Viele Frauen, die sich in der Falle eines besonderen Images glaubten, sagten mir: »Meine Zeit wird kommen; ich werde nicht ewig eine Mutter bleiben, ich werde nicht ewig eine Ehefrau bleiben. Jetzt bin ich für meine Familie da, aber meine Zeit wird später kommen.« Indem sie sich auf eine Zukunft bezogen, erinnerten sie sich, trotz ihres Gefühls, festgefahren zu sein und in der Falle zu sitzen, ihrer Hoffnungen, daß es ihnen bei Ankündigung eines Übergangs oder einer Änderung der Umstände möglich wäre, von dem Sockel, auf dem sie sich zur Zeit befanden, herabzusteigen. Obwohl derartig naive Versprechen zeitweise beruhigen, ähneln sie auf irgendeine Art den Versprechen eines Alkoholikers, morgen mit dem Trinken aufzuhören. Alle Absichten in Ehren, aber ohne eine Alternative zur bestehenden Lebensweise, wird uns nichts weiter übrigbleiben, als auf dein Sockel zu verweilen. Was wir brauchen, sind keine neuen Images oder sogar noch mehr Images, vielmehr bedürfen wir einer Strategie, wie wir ein Leben jenseits von Images führen können. Dieses Kapitel bietet einen alternativen Ansatz, über die Lebensthemen einer Frau nachzudenken. Eine Art und Weise, über das Leben einer Frau nachzudenken, besteht darin, es wie eine Geschichte zu betrachten. Geschichten bestehen, ebenso wie das Leben, aus Teilen: Es gibt einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Geschichten haben Protagonisten, Handlungsträger, Personen, die im großen und ganzen mit den Images, den idealisierten Bildern eines Lebens in Einklang stehen. Ihnen liegen Handlungen zugrunde, die in Analogie zu den Handlungen im Leben stehen können. Unter der Oberfläche bestehen die Geschichten aus Themen, die deren Ereignisse miteinander verknüpfen und in eine Beziehung zueinander setzen. Ein Thema gibt der Handlung Zusammenhalt und verleiht der Geschichte Sinn und Bedeutung. Wenn wir diese Analogie fortsetzen, dann korrespondiert das Thema einer Geschichte mit dem Lebensthema einer Person oder, genauer gesagt, mit deren Lebensthemen, weil die meisten Menschen mehr als ein Thema gleichzeitig durchleben und die Themen sich innerhalb der verschiedenen Lebensphasen ändern und entwickeln. Lebensthemen sind umfassende Kategorien, die unser »Sein« in der Welt beschreiben. Indem wir uns das Leben in Begriffen wichtiger Lebensthemen verständlich machen, verleihen wir unserer Erfahrung Sinn und Struktur. Dies verweist auf einen alternativen Denkansatz, falls wir uns die Frage stellen, wer wir eigentlich sind. Das Bild der Gehorsamen Tochter oder der Netten Alten Dame wird uns nicht länger beherrschen. Die Themen liefern einen Rahmen für unsere Handlungen. Verschiedene Lebensphasen erfordern verschiedene Lebensthemen. Die Themen in der Lebensphase einer jungen Frau unterscheiden sich im allgemeinen von den Themen der Frauen in der Lebensmitte, die sich wiederum von denen der älteren Frauen unterscheiden. Denken wir nur einmal an die Erfahrung einer jungen Frau, die damit beschäftigt ist, neue Beziehungen zu erproben, indem sie zum College geht und das erste mal von ihren Freunden und ihrer Familie getrennt ist. Das Lebensthema, das ihre verschiedenen Erfahrungen miteinander verbindet, befaßt sich mit der Erforschung. Dieser kontinuierliche rote Faden des »Erforschens« durchläuft und verbindet all die verschiedenen Erfahrungen im Leben einer jungen Frau. Im mittleren Alter mag eine Frau damit beschäftigt sein, für ihre Kinder zu sorgen, ihre Mitarbeiter zu leiten und zu beraten und darauf zu achten, daß es ihren Eltern gut geht. Das Thema, das all diese verschiedenen Erfahrungen miteinander verknüpft, ist die Pflege und Erziehung, eines der Themen von Frauen in der Lebensmitte. In der letzten Phase ihres Lebens wird eine Frau damit beschäftigt sein, ihre vielen Erfahrungen verstehen und sinnvoll deuten zu wollen. Sie mag mehr Gewicht und Bedeutung auf Interessen legen, die sie vernachlässigte, als ihr nicht soviel Zeit zur Verfügung stand; sie mag eine Beziehung beenden, die für sie unbedeutend geworden ist. Das Lebensthema, das diese Aktivitäten miteinander verbindet, ist das der Integration. Im ersten Teil dieses Buches wurde erörtert, wie Frauen von idealisierten Images verführt wurden, indem ihnen eine Formel versprochen wird, wie sie ihr Leben zu gestalten hätten. In diesem Teil des Buches werden wir ein Konzept von Lebensthemen entwickeln, die uns als strukturierende Kategorien behilflich sein können, unserem Leben einen Sinn zu verleihen.
Anstatt Themen als eine Alternative zu Images vorzuschlagen, hätten wir uns ebenso gut Handlungen zuwenden können. Was könnte letztendlich befreiender wirken als eine Aktion? Dies ist aber die zweite große Falle der Frauen. Ein Leben, das sich durch Aktivitäten definiert, erhält ebenso wenig einen Sinn wie ein Leben, das durch das Diktat eines Images eingeschränkt wird. Man muß sich nur das Gefühl der Leere anhören, das in den Beschwerden der Frauen mitschwingt, wenn sie ihr Leben folgendermaßen beschreiben: »Ich stehe auf; ich mache das Frühstück, ziehe die Kinder für die Schule an; ich gehe zur Arbeit, hol die Mädchen ab, bereite das Essen vor. Und das ist mein Tag.« Nur das Leben zu »machen« kann sinnlos werden. Wenn wir unser Leben auf nichts anderes als auf eine Ansammlung von alltäglichen Erfahrungen reduzieren, machen wir aus dem, was es bedeutet, ein Mensch zu sein, eine Nebensächlichkeit. Ein Teil der Frustrationen, der bei den Frauen zwischen 1950 und 1960 aufkam, war dadurch bedingt, daß das Führen eines Haushalts sich auf eine Reihe täglicher Aktivitäten beschränkte. Die Frauen hatten das Gefühl, ihr Leben bestehe ausschließlich aus der Erziehung der Kinder, dem Haushalt und dem Essenkochen. Der thematische Zusammenhang, der diesen Ereignissen eine Bedeutung verliehen hätte, stieß auf Unverständnis. Tatsächlich spiegeln die Aktivitäten der Hausfrau die Themen der Lebensmitte wider, wie z. B. Pflege, Gleichgewicht und Transformation. Obwohl wir sinnlosen Aktivitäten keine allzu große Bedeutung beimessen sollten, wäre es ebenso falsch, wenn wir den thematischen Zusammenhang vernachlässigten, durch den aus dem Leben etwas mehr wird als nur eine Ansammlung von zusammenhanglosen Aktivitäten. Viele Action-Filme, die in den letzten Jahren populär wurden, strahlen eine gewisse Leere aus, weil die Handlung, die Aktionen keine thematische Integrität besitzen. Ein Mord wird von einer Jagd abgelöst, die in einer Flucht endet und zu einem weiteren Mord führt. Manchmal erzeugen diese Handlungen nur Langeweile, obwohl Spannung und Engagement beabsichtigt waren; sie langweilen uns, weil sie keinen Sinn vermitteln, weil diesen Aktionen weder eine Ordnung noch eine thematische Kohärenz zugrunde liegt. Es geht nur um Aktion um der Aktion willen. In den letzten Jahren haben die Protagonisten der Männerbewegung darauf hingewiesen, daß eine Überbetonung der Aktivitäten ein Grund dafür sein könnte, daß viele Männer über eine gewisse Leere und Zusammenhanglosigkeit klagen. Wenn Handlung auf keiner thematischen Integrität basiert, scheint sie sinnlos zu sein. In dem Maße, in dem Ereignissen Sinn beigemessen wird oder in dem der Aktivitäten innewohnende Sinn erschlossen wird, machen die Männer Erfahrungen, die sie bereichern. Lebensthemen verbinden und geben den scheinbar zusammenhanglosen Ereignissen in einem individuellen Leben eine gewisse Kohärenz. Thematische Kohärenz ist eine der menschlichen Einzigartigkeiten, die uns von anderen Lebewesen unterscheidet. Zusätzlich verbinden Lebensthemen das Leben von Menschen, die, oberflächlich gesehen, sehr unterschiedliche Lebensweisen haben. Muß eine Frau bewußt ein bestimmtes Lebensthema wählen, oder agiert die thematische Kohärenz auf einer unbewußten Ebene? Für die vielen verschiedenen Frauen gibt es ebenso viele verschiedene Antworten darauf. Obwohl das Leben aller Frauen thematisch organisiert ist, sind manchen Frauen die Themen bewußt, um die sich ihr Leben strukturiert; andere hingegen sind sich dessen nicht bewußt. Manche Frauen verstehen nicht nur, sondern wählen ganz bewußt die Themen, die ihr »Sein« in dieser Welt bestimmen. Andere Frauen führen ein ebenso thematisch strukturiertes Leben, aber es scheint, als ob sie dabei Scheuklappen tragen. Wenn man sie danach fragt, ist es ihnen nicht möglich, die Themen, die ihr Leben bestimmen, darzustellen. Dennoch glaube ich, daß sich das Leben aller Frauen in Begriffen von Lebensthemen beschreiben läßt, daß es besser ist, diese Themen zu kennen, und daß es noch besser wäre, die Themen seines Lebens bewußt auszuwählen. Weil es nur eine geringe Anzahl von Themen gibt, nach denen Frauen leben, und weil es eine noch geringere Anzahl von Themen gibt, die in einem bestimmten Stadium des Lebens einer Frau eine bestimmte Funktion erfüllen, werden ähnliche Lebensthemen von vielen Frauen geteilt, selbst wenn sie ein scheinbar völlig unterschiedliches Leben führen sollten. Obwohl ich mich an dieser Stelle auf Themen und nicht auf Aktivitäten konzentriere, ist es dennoch unmöglich, das eine ohne das andere zu besprechen. Themen geben Aktivitäten einen Sinn; diese sind das Rohmaterial, das von Themen organisiert wird. Gewiß können wir uns alle an das Spiel »verbinde die Punkte« in den Malbüchern erinnern, die uns als Kinder Freude bereiteten. Wenn wir dieses Spiel als eine Analogie betrachten, dann stellen die Punkte die einzelnen Aktivitäten dar, während die Verbindungslinien die vereinheitlichenden Themen repräsentieren. Unverbunden erscheinen die Punkte wie ein sinnloses Durcheinander auf einer Buchseite. Ohne die zu verbindenden Punkte könnten die Linien kein erkennbares Bild produzieren. Man braucht Punkte und Linien, Aktivitäten und Themen, um ein sinnvolles Bild herzustellen. Die Beziehung zwischen Thema und Aktivität wird poetisch sehr treffend mit der traditionellen weiblichen Metapher des Webens versinnbildlicht. Jeder, der Weben lernt, lernt als erstes, daß es in jedem Gewebe zwei verschiedene Arten von Fäden gibt: den Kettenfaden und den Schußfaden. Die Kettenfäden sind die langen, ununterbrochenen Fäden, die der Länge nach durch das Tuch verlaufen. In einigen Geweben, wie z. B. in Dekorationsstoffen, sind die Kettenfäden kaum zu sehen, dennoch liefern sie die grundlegende Struktur des Materials und verleihen ihm Form und Substanz. Viele Gewebe, die sich in Wirklichkeit stark unterscheiden, haben ähnliche grundlegende Kettenfäden. Die dem Gewebe eigene Farbgebung und Individualität wird durch den Schußfaden produziert. Die horizontalen Kettenfäden sorgen für Textur, Farbe und oft auch für das Muster des Materials. Die Themen eines Frauenlebens werden repräsentiert von den Kettenfäden. Ihre besonderen und einmaligen Aktivitäten sind analog zu den Schußfäden zu betrachten. Wir teilen ähnliche Themen miteinander - unsere Kettenfäden weisen Ähnlichkeiten auf, aber unsere Leben unterscheiden sich, weil wir es mit den Schußfäden einmaliger Aktivitäten und individueller Entscheidungen weben. In meinem eigenen Leben manifestiert sich das Thema der Erziehung und Pflege durch die Leitung und Führung eines großen Mitarbeiterstabes von jungen Therapeuten. Eine andere Frau verwebt die Kettenfäden der Erziehung und Pflege, indem sie zu Hause ihre Kinder großzieht; sie stellt ein anderes Tuch her. Jedoch sind unser beider Leben geprägt durch die Themen Erziehung und Pflege, obwohl wir diese sehr unterschiedlich realisieren. Oberflächlich gesehen scheinen sich unsere Leben in verschiedenen Welten abzuspielen; dennoch artikulieren beide ein zentrales Thema von Frauen mittleren Alters und weisen auf dieser Ebene starke Ähnlichkeiten auf. Die Metapher des Webens ist eine adäquate Analogie, um die wesentlichen Handlungen jedes Individuums, das Gestalten eines Lebens zu umschreiben. Die Weberin produziert ein Tuch, ein Gewebe, indem sie die Kettenfäden mit den Schußfäden verziert, um ein besonderes und einmaliges Muster herzustellen, das ihre Sensibilität und Talente widerspiegelt. In den letzten Jahren erfreut sich die Redewendung »wählen Sie sich ein Leben aus« allgemeiner Beliebtheit. Der ausdrückliche Befehl richtet sich an scheinbar passive und beziehungslose Personen und fordert sie auf, sich ins Leben zu stürzen. Sich jedoch »ein Leben auszuwählen« ist das gleiche, als ob man sich für ein Tuch in einem Regal entscheidet. Man webt nicht selber, man bedient sich eines Lebens, das nicht nur von einem anderen strukturiert, sondern auch verziert wurde. Wenn sich eine Frau nach einem vorgegebenen Image ausrichtet, bedient sie sich, im wahrsten Sinne des Wortes, eines Lebens; sie wählt sich ein fertiges Image aus dem Verkaufsregal und versucht, sich in dieses Korsett zu zwängen. Wenn eine Frau ihr eigenes Leben webt, indem sie sich des genormten Kettenfadens der Weiblichkeit bedient, ihn ändert und verziert, um ihre einmalige Perspektive, ihre besonderen Lebenserfahrungen und ihre persönlichen Werte widerzuspiegeln, dann greift sie nicht nach einem Leben, sondern gestaltet es im wahrsten Sinne selbst.
Themen für alle Jahreszeiten
Der Psychoanalytiker Carl Jung glaubte, daß jedem Lebensstadium die gleiche Bedeutungsfülle innewohne, daß sich aber Sinn und Thema eines jeden Stadiums unterscheiden. [1] Wir sind zu verschiedenen Zeiten in unserem Leben in verschiedene Aktivitäten verwickelt, und wir bedienen uns unterschiedlicher Strategien, um uns diese Aktivitäten in den verschiedenen Stadien unserer Entwicklung verständlich zu machen. Jedes Lebensstadium hat sein eigenes charakteristisches Gefüge von Lebensthemen, das unsere Erfahrung integriert und ordnet. Im biblischen Buch »Der Prediger« werden die Stadien des Lebens als thematische Handlungen bezeichnet. [2] Der biblische Vers sagt uns, daß alles seine entsprechende Jahreszeit hätte. Die Lebensabschnitte einer Person werden in den Begriffen der fortlaufenden Seinsweisen umschrieben. Es gibt eine Zeit zum Pflanzen, eine Zeit zum Säen, eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen. Gewisse Aspekte der kürzlich wiederauferstandenen Göttinnenmythologie betonen die Themen, die jede Phase eines Frauenlebens kennzeichnen. So bediente man sich des Symbols des Mondes, um die Eigenschaften einer Frau in den verschiedenen Stadien ihres Lebens darzustellen. [3] Die junge Frau ist der zunehmende Mond: Er ist voller Versprechen; er ist die Wiege der Zukunft. Die reife Frau wird durch den Vollmond repräsentiert; sie ist reif und vollständig gegenwärtig. Potentialität und Versprechen, das Warten auf die Aktualisierung des Möglichen sind vorüber; vielmehr leuchtet der Mond in seiner ganzen Fülle. Der abnehmende Mond repräsentiert die ältere Frau: Er schwindet dahin, stiehlt sich davon und befindet sich im Übergang zum Nichts, er ist nur noch ein Splitter oder Schatten seiner selbst. Die Bewegung des Mondes ist eine dominierende Vorstellung von der weiblichen Entwicklung gewesen, weil eine Phase ganz natürlich in die nächste übergeht. Anstatt Mißklang, Unbeständigkeit und Absolutheit auszudrücken, ist die Bewegung von einer Phase zur nächsten stufenweise und organisch. Die zeitlichen Sequenzen lassen sich leicht in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einteilen. [4] Wenn wir an die Totalität des Lebens einer Frau denken, erscheint es uns sinnvoll, eine ähnliche dreiteilige Einteilung vorzunehmen und von der jungen Frau, der Frau mittleren Alters und der älteren Frau zu sprechen. Jede dieser Phasen besitzt verschiedene Eigenschaften, verschiedene Aktivitäten und verschiedene Themen, die der jeweiligen Phase angemessen sind. Dennoch sind diese drei Teile Bestandteile eines Bewußtseins, einer Lebensgeschichte. Um die Geschichte zu verstehen, müssen wir danach fragen, welche Lebensthemen die Erfahrung einer Frau in jedem besonderen Stadium ihrer Entwicklung ordnen. Das zentrale Thema, das vielen Aktivitäten der jungen Frau zugrunde liegt, ist die Vorbereitung. Sie ist eine Frau, die kurz vor dem Antritt ihrer Lebensreise steht, und die Vorbereitung ist eine ihrer grundlegenden Aufgaben. Sie ist eine Forscherin. Ihre Neugier hat den Höhepunkt erreicht, weil sie noch nicht weiß, was aus ihr wird, und deshalb erforscht sie viele Möglichkeiten. Sie antizipiert. Sie ist eine Frau, die sich im Stadium aktiver Antizipation befindet, die mit der Welt und sich selbst beschäftigt ist, aber noch nicht ganz die Frau ist, die sie einmal sein wird. In diesem Stadium ist die Frau empfänglich. Sie empfängt, was ihr die Welt zu bieten hat, indem sie vielen Bereichen das Rohmaterial entnimmt, das sie zur Gestaltung ihrer Persönlichkeit benötigt. Das zentrale Lebensthema einer Frau in den mittleren Jahren ist die Kreativität. Sie ist eine lebenssprühende, reife Frau, deren Tätigkeit darin besteht, etwas zu produzieren, zu erzeugen, aber nicht nur, um Entscheidungsfreiheit zu aktualisieren und sich dann von dem, was sie gestaltet hat, abzuwenden, sondern auch um zu pflegen, zu beschützen und zu umsorgen. Sie ist eine Frau, die Leben, Ideen, Möglichkeiten und neue Unternehmungen schöpferisch produziert und diese pflegt, bis sie sich vollständig entwickelt haben. Sie schafft einen Ausgleich zwischen den zahlreichen konkurrierenden Anforderungen, indem sie Prioritäten setzt und Harmonie erzeugt. Die ältere Frau beschäftigt sich mit dem Reflektieren. Sie ist die Frau der Perspektive, die sich beim Messen und Urteilen nicht nur auf ihre eigenen Lebenserfahrungen beruft, sondern auch auf die Erfahrungen derjenigen, die vor ihr aus dem Leben geschieden sind. Ihr zentrales Thema ist die Integration; sie führt die Dinge zusammen, indem sie aus den Splittern ihrer Lebenserfahrungen ein einmaliges, harmonisches Ganzes produziert. Ihre Aufgabe besteht im Nachdenken. Sie ist eine Frau des Reflektierens, des Denkens und bringt ihre reiche und tiefe persönliche Erfahrung in ihren Ansichten zum Ausdruck. Obwohl sich die Lebensthemen jeder Phase voneinander unterscheiden, sollten die Themen der einen Phase nicht als besser oder schlechter als die der anderen beurteilt werden. Es ist nicht besser zu reflektieren als zu erforschen, auch ist dem Gestalten keine größere Bedeutung beizumessen als dem Vorbereiten. Jede Phase hat ihre eigenen Themen, die sich unterscheiden, aber im Wert denen der anderen Phasen in nichts nachstehen. Indem das Leben einer Frau in Begriffen eines begrenzten Repertoires von Lebensthemen umrissen wird, werden die besonderen Aktivitäten, mit denen sie sich beschäftigen möchte, völlig offen gelassen. Ihre Erforschungen können z. B. in den unterschiedlichsten Bereichen stattfinden; sie kann in den unterschiedlichsten Bereichen schöpferisch tätig sein. In ihrem Forschungsdrang mag eine Frau eine Reise zu einem neuen Ort unternehmen; bei einer anderen führt der Weg in die Bibliothek zu Büchern und historischen Fakten. Die Kreativität einer Frau äußert sich im Malen von Bildern, eine andere bringt ein Kind zur Welt. Indem wir unsere Diskussion auf den thematischen Zusammenhang des Lebens einer Frau konzentrieren, sagen wir nichts über die Formen, in denen diese Themen aktualisiert werden können.
Abgesehen von einigen persönlichen, familiären oder sozialen Unglücksfällen sollte eine Frau damit rechnen, lange genug zu leben, um, zumindest bis zu einem bestimmten Ausmaß, all die Themen praktisch in Erfahrung zu bringen, die im Bereich ihrer Möglichkeiten liegen. Wir haben eine Lebenserwartung von siebzig bis achtzig Jahren. In unseren späten Teenager-Jahren und in unseren zwanziger Jahren befinden wir uns am Anfang unserer Reise; in unseren Dreißigern, Vierzigern und Fünfzigern befinden wir uns in der Lebensmitte; und in unseren Sechzigern und Siebzigern nähern wir uns dem Ende unseres Lebens. Während Unfälle, persönliche biologische Voraussetzungen und die Familiengeschichte die Entwicklung eines individuellen Lebens ändern mögen, setzen wir im allgemeinen voraus, daß wir ein hohes Alter erreichen. Wenn eine Frau den Durchschnitt von siebzig oder achtzig Jahren nicht erleben sollte oder glaubt, dieses Alter nicht zu erreichen, wird sie das Leben anders wahrnehmen. Eine Frau, mit der ich sprach, behauptete permanent, daß sie vor ihrem dreißigsten Lebensjahr sterben würde. Sie glaubte, niemals wirklich die mittlere Phase ihres Lebens zu erreichen. Deshalb hielt sie es als junge Frau für richtig, ihren Forschungen nachzugehen, vernachlässigte aber das Antizipieren und Vorbereiten. Weil es für sie keine Zukunft gab, waren Vorbereitung und Antizipation sinnlos. Nach ihrem dreißigsten Geburtstag mußte sie sich zeitlich umorientieren. Sie mußte ihre Situation neu einschätzen und herausfinden, was notwendig war, um sich auf ihre Lebensmitte vorzubereiten. Als sie achtunddreißig Jahre alt war, war sie verheiratet, hatte zwei Kinder und ging aktiv ihrem Beruf nach. Es war ihr möglich, die Zeit der Vorbereitung und Antizipation, die bei anderen Frauen einen Zeitraum von zehn oder fünfzehn Jahren in Anspruch nimmt, auf nur ein paar Jahre zu komprimieren. Indem sie sich bewußt wurde, daß sie anstatt nur dreißig wahrscheinlich siebzig oder achtzig Jahre alt würde, sah sie sich gezwungen, von den Themen einer jungen Frau zu denen der Lebensmitte überzugehen. Eine andere Frau, die während meiner Arbeit an diesem Buch starb, machte eine ganz andere Erfahrung. Sie glaubte, eine durchschnittliche Lebenserwartung zu haben und eine, wie sie sich äußerte, »verschrobene alte Frau« zu werden. Als sie herausfand, daß sie an einer tödlichen Krankheit litt und wahrscheinlich nicht älter als fünfunddreißig Jahre würde, mußte sie die Themen der älteren Frauen in die letzten Monate ihres Lebens integrieren. Beinahe über Nacht wurde aus einer Frau mittleren Alters eine Frau, die am Ende ihres Lebens stand. Mit diesem neuen Verhältnis zu ihrer Lebenszeit ging sie Aktivitäten nach, mit denen sich eine Frau am Lebensende beschäftigt. Sie erinnerte sich an einige Leute und Ereignisse, die für sie wichtig waren; sie hinterließ ihren Kindern Botschaften und Worte der Weisheit und Unterstützung; sie versuchte, ihrem vergangenen Leben einen Sinn abzugewinnen und ihrer Erfahrung Bedeutung und Wichtigkeit beizumessen. Mit der UnterstÜtzung eines spirituellen Beraters versuchte sie, Frieden zu finden und ihre Zweifel zu zerstreuen. Thematisch gesehen konzentrierte sie sich nun darauf, was dem Lebensende einer Frau angemessen ist. Aufgrund ihrer Krankheit mußte sie thematisch umdisponieren, obwohl sie sich, zeitlich gesehen, in der Mitte ihres Lebens befand. Eine andere Frau, deren Familie sich erstaunlich hoher Lebenserwartungen rühmt, glaubt, daß sie auf jeden Fall über siebzig, vielleicht sogar neunzig Jahre alt würde. Deshalb denkt sie, daß sich ihre Lebensmitte über einen Zeitraum von fünfzig Jahren erstrecken wird. Ihr erscheint die Lebensmitte, die Zeit erhöhter Aktivität, Erfüllung, Kreativität und Erziehung fast unerträglich lang. Sie hat das Gefühl, als ob ihre Mutterzeit eine Ewigkeit dauert, und mit Mutterzeit meint sie nicht nur die eigentliche Zeit der Bemutterung, sondern die Zeit der Fürsorge und Erziehung im allgemeinen. Sie ist erschöpft, wenn sie über die Aussichten dieser verlängerten Phase der Lebensmitte nachdenkt. Sie glaubt, daß diese Situation erst in der Mitte ihrer Siebziger beendet sein wird, und sie befürchtet, daß sie kaum noch die Energie aufbringen kann, die sie sich für den letzten Abschnitt ihrer Lebensreise erhofft. Jedes Lebensstadium erhält einen Sinn im Kontext der vorherigen und der folgenden Phase. Es scheint z. B. vernünftig, über einen längeren Zeitraum der Forschung und Antizipation nachzugehen, wenn man glaubt, daß eine Zeit der Entwicklung, Erfüllung und Blüte folgen wird. Es wäre sinnlos, einen Garten zu pflegen, der niemals blühen wird, Samen zu säen, die niemals aufgehen werden. Man beschäftigt sich nur mit diesen antizipatorischen, vorbereitenden Aktivitäten, wenn man davon ausgeht, daß ein Zeitraum von fruchtbarer Aktivität folgen wird. Es macht nur einen Sinn, die Aktivitäten ausklingen zu lassen, zu integrieren und die verschiedenen Teile seines Lebens zusammenzufügen, wenn man tatsächlich ein Leben gelebt hat. Wenn man in der Kindheit oder als Jugendliche stirbt, hat man keine Zeit und kein Vorbild für die Integration und die Abwicklung der Dinge, wie dies im allgemeinen am Lebensende geschieht. Man kann nur dann Erfahrungen integrieren, wenn man wirklich welche gemacht hat. Im Gegensatz zu einer Querfeldeinreise, auf der es Kilometersteine gibt, die einem anzeigen, welche Strecke man schon zurückgelegt hat und auf der es geographische Orientierungspunkte gibt, die auf die Mitte oder das Ende des Ausflugs hinweisen, gibt es auf der Reise des Lebens keine exakten Zeitmarkierungen. Uns bleibt nur die subjektive Gewißheit, daß wir uns in der Mitte und nicht mehr am Anfang befinden; es mag uns nicht möglich sein, genau zu sagen, wann der Übergang stattgefunden hat, wann aus dem Beginn die Mitte geworden ist. Wenn jemand sein oder ihr Leben lebt, ist der Übergangspunkt, wann eine Phase der Erfahrung endet und die nächste beginnt, oft verschwommen. Einigen Frauen, mit denen ich mich unterhielt, war es jedoch möglich, aufgrund eines eindeutigen Gefühls der Ehrfurcht tatsächlich ihr »eigenes Leben zu leben«, die Mitte ihres Lebens zu identifizieren. Frauen sagten: »Ich weiß, dies ist mein Leben; dies ist das Leben, das ich leben werde.« Sie verließen sich auf ihre Erfahrung, gaben das Antizipieren auf und schränkten die Anzahl von Möglichkeiten ein; die Route war gewählt, und ihnen war bewußt, sich in der Mitte der Reise zu befinden. Alle Themen handeln von Verbindungen. Thematische Kohärenz verbindet die scheinbar gesonderten Verhaltensweisen einer Frau in den entsprechenden Lebensphasen. Das Fließen von einem Thema zum nächsten, thematische Kontinuität vereint die getrennten Phasen im Leben einer Frau. Und die Universalität altersspezifischer Lebensthemen verbindet die Frauen, die sich im gleichen Lebensstadium befinden.
Thematische Kohärenz
Eine Frau beschrieb anfangs ihr Leben als das einer traditionellen Hausfrau; sie erinnerte sich, zur Aufrechterhaltung der Familie die verschiedensten Dinge unternommen zu haben. Sie kochte gern; sie mochte es, ihr Haus auszuschmücken; sie nahm sich die Zeit, ein Computersystem auszuarbeiten, um die Akten in ihrem Büro zu ordnen. Zu Beginn unseres Gesprächs schienen diese Aktivitäten nur dadurch miteinander verbunden zu sein, weil sie allein von ihr in ihrer Rolle als kompetente Hausfrau und Geschäftsfrau bewältigt wurden. Dennoch war jede dieser Aktivitäten mit dem Thema der Transformation verbunden. Unabhängig davon, wo sie ihre Arbeit verrichtete, fand diese Frau Gefallen daran, die Dinge von einem Stadium ins andere zu transformieren. Sie mochte es, ein Ordnungssystem für ungeordnete Akten auszuarbeiten; sie mochte es, ungewöhnliche Zutaten zu einem interessanten Eintopfgericht oder einer Suppe zu verarbeiten. Obwohl, oberflächlich betrachtet, keiner dieser Aktivitäten eine nennenswerte Bedeutung beizumessen wäre, ist jede für sich gesehen eine Art und Weise, die Welt zu ändern, um sich die Dinge, von denen man umgeben ist, wahrhaftig und einmalig anzueignen. Als dieser Frau bewußt wurde, daß ihr Leben durch das Thema der Transformation einen Zusammenhang bekam, schienen die verschiedenen unvereinbaren Aktivitäten, mit denen sie sich beschäftigte, miteinander verbunden und sinnvoller zu sein. In ihrem Leben hat sich die Schriftstellerin Isak Dinesen einige Male neu erschaffen. Sie schrieb unter verschiedenen Pseudonymen, einschließlich ihrem bekanntesten, Isak Dinesen. Sie schrieb und überarbeitete ihre Texte in Englisch und Dänisch, und sie mußte zweimal ins Exil gehen, zuerst von ihrem Heimatland Dänemark nach Afrika, um anschließend Afrika wieder zu verlassen, das ihr zur zweiten Heimat geworden war. [5] Dennoch sind all ihre Aktivitäten durch ein einziges Thema miteinander verbunden: Kreativität. Dinesen hat ihr Leben lang die Grenzen ihrer Kreativität ausgeweitet, und zwar sowohl beim Schreiben als auch hinsichtlich ihrer Erfahrungen.
Ich möchte nicht behaupten, daß alles im Leben einer Frau notgedrungen in ein Raster gepreßt werden sollte. Es ist aber trotzdem vorteilhaft, sich der grundlegenden Lebensthemen bewußt zu werden. Eine Frau, mit der ich sprach, war Mathematiklehrerin gewesen. In der Mitte ihrer Vierziger stellte sie fest, daß ihr der starre und formalistische Inhalt der Mathematik keinen Spaß mehr machte. Nach langer Überlegung beschloß sie, ihre zwanzigjährige Karriere zu beenden. Während sie sich nach einem neuen Beruf umsah, organisierte sie zwischenzeitlich in ihrer Gemeinde politische Seminare, unterrichtete in der Sonntags-Schule und schrieb Kochbücher für ökologisch bewußte Köche. Als wir unser Gespräch begannen, war es ihr nicht möglich, all diese verschiedenen Dinge unter einen Hut zu bringen. Sie glaubte, in Wirklichkeit nicht zu wissen, was sie machen sollte, und war gleichzeitig in den verschiedensten Bereichen tätig. Als ihr bewußt wurde, daß diese Aktivitäten keineswegs voneinander getrennt waren, sondern sich alle um das Thema der Transformation und Ausbildung zentrierten, wurden ihr ihre Entscheidungen klarer: Sie war eine Ausbilderin, ein Mensch der Veränderung, und die Inhalte, auf die sie sich konzentrierte, waren nicht so wichtig wie das grundlegende Thema, das den Ereignissen ihres Lebens eine Richtung wies und miteinander verband.
Thematische Kontinuität
Lebensthemen ziehen sich kontinuierlich durch das gesamte Leben einer Frau und kennzeichnen darüber hinaus gewisse Phasen ihres Lebens. Dieses scheinbare Paradox löst sich auf, wenn man in Betracht zieht, daß bestimmte allgegenwärtige Themen in einem besonderen Zeitraum in den Vordergrund treten, dann an Bedeutung verlieren, um anschließend von anderen Themen verdrängt zu werden. Das Thema der Kreativität ist z. B. im gesamten Leben einer Frau gegenwärtig; für manche Frauen ist es aber nur während der Lebensmitte ein vorherrschendes Thema. Auf ähnliche Weise rückt das Thema der Integration, das in der Lebensphase der jungen Frau und in der Lebensmitte im Hintergrund steht, in den späteren Jahren in den Vordergrund. Die Kontinuität unter den Lebensthemen ist dadurch bedingt, daß deren Bewegung zwischen Vorder- und Hintergrund ganz natürlich verläuft. Antizipation und Erforschung vermischen sich ganz einfach mit Kreativität. In der darauf folgenden kreativen Tat sind die Fäden des Themas der Vorbereitung noch zu erkennen. Wir können Spuren des Themas der Pflege und Erziehung in der Integration ausfindig machen, die im späteren Leben eine dominierende Rolle spielt. Viele unserer Lebensthemen verspinnen sich miteinander zu fortlaufenden Fäden und gestalten den Übergang von einer Lebensphase zur nächsten weitaus unproblematischer, als wenn man die einzelnen Ereignisse für sich ohne jede Verbindungen betrachten würde. Übergänge sind viel schwieriger, wenn wir uns in Begriffen idealer Images definieren und von einem. einzelnen Image zum nächsten schreiten würden. In der Welt idealisierter Images wurden Übergänge meist mit dem Tod verglichen. [6] Bevor die Ehefrau geboren wird, muß die Tochter sterben. Es sollte nicht verwundern, daß wir uns an bestimmten Idealisierungen zu lange fest klammern. Wenn eine Frau in die nächste Phase ihres Lebens eintritt, stirbt ein Teil ihres Selbst. Eine Frau ließ mich wissen, daß sie sich nach der Geburt ihres ersten Kindes entschloß, den Namen ihres Mannes anzunehmen und ihren Mädchennamen abzulegen. Durch die Rollenverschiebung fühlte sie sich derartig verändert, daß sie meinte, nicht mehr die Frau zu sein, die mit ihrem Mädchennamen identifiziert wurde.
Verbindung der Frauen untereinander
Eine thematische Untersuchung des Lebens der Frauen verdeutlicht die Gemeinsamkeit selbst derjenigen, deren Existenz sich grundlegend voneinander unterscheidet. Eine fünfunddreißigjährige Künstlerin in New York, eine von der Sozialhilfe lebende Mutter mit drei Kindern und eine vorstädtische Hausfrau und Anwältin aus der Umgebung von Boston scheinen nur sehr wenig Gemeinsamkeiten zu haben. Sie spielen unterschiedliche Rollen, bevorzugen unterschiedliche Images und unterschiedliche Dinge. Aber als Frauen mittleren Alters treten in ihrem Leben die gleichen verbindenden Themen auf. Jede Frau hat mit der Gestaltung, der Pflege und Erziehung zu tun und ist schließlich darauf bedacht, ihre Schöpfungen zu erhalten. Eine Frau aktualisiert diese Themen, indem sie Kinder großzieht, eine andere, indem sie malt, und eine dritte, indem sie ein Gleichgewicht zwischen ihrer Tätigkeit als Anwältin und als Hausfrau herstellt. Wenn wir von den persönlichen Aktivitäten und den individuellen Entscheidungen abstrahieren, werden wir die gleichen vereinheitlichenden Themen im Leben jeder dieser Frauen ausfindig machen. Vor einigen Jahren wies Sara Ruddick darauf hin, daß alle Frauen von der begrifflichen Verschiebung profitieren würden, indem sie die »Bemutterung« als eine Aktivität und nicht als eine Rolle betrachten würden. [7] Die Bezeichnung »Mutter« bezieht sich auf eine Frau mit einem Kind. Im Gegensatz dazu kennzeichnet »Bemutterung« eine Reihe von Verhaltensweisen, die bei den unterschiedlichsten Sachverhalten angewandt werden kann von der Erziehung eines Kindes bis zur Arbeit in einer Suppenküche. Nur eine verkürzte Interpretation der Arbeit Sara Ruddicks liefert uns die Auflistung von Verhaltensweisen, die sich unter dem Begriff »Bemutterung« subsumieren lassen. Wenn wir jedoch ihre Arbeit weitläufiger interpretieren, wird es uns möglich, Bemutterung oder, allgemeiner gesagt, Pflege und Erziehung als eines der großen Themen der Lebensmitte zu betrachten. Als Thema bezieht sich Bemutterung auf Frauen, die neben der Erziehung von Kindern mit einer Reihe von Aktivitäten beschäftigt sind. Wenn uns bewußt wird, daß die Lebensthemen aller Frauen im selben Entwicklungsstadium die gleichen sind, können wir die Debatte darüber, wer eine bessere Frau oder eine »wahre Frau« ist, hinter uns lassen. Das Thema Erforschung wird von einer Frau, die das College besucht hat, nicht besser zum Ausdruck gebracht als von einer Frau, die eine Lehre in einem Büro absolviert. Auch ist es kein qualitativer Unterschied, seine kreativen Energien in ein Geschäft, in das Schreiben eines Buches oder in das Aufziehen einer Familie zu investieren. Die thematische Infrastruktur ist die gleiche. In diesem Sinne sind wir alle »wahre Frauen«, und wir können uns der Beurteilungen entledigen, die dazu neigen, eine von uns als besser oder fraulicher als die andere zu bezeichnen. Das Leben der Frauen über Lebensthemen zu erklären, muß nicht notwendigerweise dazu führen, daß sich Frauen anders verhalten werden. Es ist keineswegs eine Forderung nach neuen Images, um die Gehorsame Tochter oder die Treue Ehefrau zu ersetzen, es ist ebenso wenig eine Aufforderung, unsere bisherigen Aktivitäten zu unterbrechen und anders zu leben. Es handelt sich vielmehr um eine Verschiebung der Perspektive, um eine Verlagerung der Akzentuierung. Die thematischen Fäden, die unsere Aktivitäten verbinden, treten nun in den Vordergrund, so daß es uns möglich ist wahrzunehmen, was unserem Leben eine Struktur verleiht. Zu oft werden wir uns der Infrastruktur erst dann bewußt, wenn sich deren Zerfall ankündigt. Als Gesellschaft ignorieren wir unsere Brücken und Straßen, bis ein gewisses Maß an Zerstörung eintritt. Als Individuen bemühen wir uns um das Verständnis der thematischen Infrastruktur erst dann, wenn wir mit einer Sinnkrise konfrontiert werden. Wir fragen nach dem Sinn in unserem Leben erst dann, wenn unsere Handlungen keinen Sinn mehr ergeben, wenn wir nicht mehr wissen, warum wir bestimmte Dinge tun, oder wenn wir mit einer Sache konfrontiert werden, auf die wir nicht vorbereitet waren. Wir beginnen nach den verbindenden Themen zu suchen, die uns mit unseren Erfahrungen verankern und unserem Leben eine Zielrichtung und Kontinuität verleihen. Wenn wir diese Themen in den Vordergrund rücken, wenn uns bewußt wird, daß das Gewebe des Lebens sowohl einen grundlegenden Kettenfaden als auch einen oberflächlichen Schußfaden besitzt, steigern wir unsere Bemühungen, ein authentisches und bewußtes Leben zu führen.