Die Lebensphase der jungen Frau wird beherrscht von Themen der Vorbereitung, Erforschung, Antizipation und Aufnahmefähigkeit. Zuerst und vor allem ist die Lebensphase der jungen Frau eine Zeit der Vorbereitung. Die junge Frau ist damit beschäftigt, sich für das Leben vorzubereiten. Sie ist die Forscherin, die erkundet, verschiedene Möglichkeiten erprobt und sich die Informationen aneignet, die sie benötigen wird, um mit der Aufgabe ihrer Selbstverwirklichung zu beginnen. Ebenso antizipiert die junge Frau auch die Zukunft; jedoch unterscheidet sich ihre Antizipation von dem passiven Warten des Ewigen Mädchens. Die Antizipation der jungen Frau ist ein aktiver Prozeß, sich selbst imaginär in die Zukunft zu projizieren. Sie träumt Hunderte Male, was auf sie zukommen wird, indem sie ihren Phantasien über ihre vielen Möglichkeiten nachgeht, bevor sie tatsächlich in die Phase der Lebensmitte tritt. Das Forschen einer jungen Frau nimmt viele Formen an; sie möchte über die Welt, über Beziehungen und vor allem über sich selbst mehr erfahren. Bezeichnenderweise sind ihrem Forschungsdrang nur wenig oder überhaupt keine Grenzen gesetzt - wenn es irgend etwas gibt, möchte sie darüber Bescheid wissen. Midge, eine junge Frau, hat ihre Konsequenzen aus ihrer Ansicht gezogen, daß man aus jeder Begegnung lernen könne - sie plante ein Seminar, das sie gern im Studienangebot ihrer Universität gehabt hätte. Sie gab dem Kurs den Titel »Ein zielloser Spaziergang durchs Leben«. Sie stellt sich vor, daß sich das Seminar aus einer Gruppe hochmotivierter wißbegieriger Studenten zusammensetzt, die ins Seminar kämen, um über Dinge zu reden, an denen sie interessiert sind und für die sie sich leidenschaftlich engagieren könnten. Jeder Student wäre verantwortlich für die Erforschung eines Bereichs seines persönlichen Interesses und müßte den anderen Studenten die Ergebnisse im Seminar zur Verfügung stellen. In einem derartigen Kurs lernen die Studenten voneinander, erhalten aber auch Informationen, die mit dem üblichen Lehrstoff nichts zu tun haben. Das jeweilige Thema wird nur deswegen im Seminar erörtert, weil ein Teilnehmer zufälligerweise daran interessiert ist. Dieser offene Eklektizismus ist ein typisches Beispiel für die Überzeugung der jungen Frau, daß sie weitläufige Aspekte des Bewußtseins und der Möglichkeiten des Menschen erforschen könnte und sollte.
Paradoxerweise gerät sie aufgrund ihrer ungewöhnlichen Offenheit oft mit ihren Eltern in Konflikt, die gerne wüßten, welche Bedeutung einem Kurs über hinduistischen Symbolismus im Hinblick auf die Existenz einer Hausfrau, einer Anwältin oder einer Sozialarbeiterin beizumessen wäre. Die junge Frau ist über den krassen Pragmatismus ihrer Eltern entsetzt. In diesem Stadium ihres Lebens müssen Informationen nicht »irgendwo hinführen«, um von Bedeutung zu sein; sie müssen nur interessant sein. Es mag sein, daß Eltern mit ihrem Hinweis auf die Praktikabilität bemüht sind, den expansiven Forschungsdrang auf das Wesentliche zu reduzieren, da sie bestimmte Interessen aufgeben mußten und in ihnen jetzt eine Bedrohung sehen. Alle jungen Frauen, mit denen ich mich unterhielt, hatten den Wunsch, sich verstärkt damit auseinanderzusetzen, was es bedeutet, eine Frau zu sein. Bei einigen führte das dazu, daß sie ihre Mütter beobachteten; andere befragten ältere Frauen über die Themen Mutterschaft und Karriere. Bei anderen wiederum, die sich von der Familie entfremdet hatten, führten die Forschungen zur Lektüre über das Leben sowohl von berühmten als auch von durchschnittlichen Frauen. Viele hatten eher aus persönlichen als aus akademischen Gründen das Bedürfnis, mindestens ein Frauen-Seminar zu belegen. Eine Frau namens Sally versenkte sich in die Mythologien der Göttinnen und nahm sogar an einem Hexensabbat teil. Bei den früheren Generationen war diese Erforschung der Fraulichkeit ein natürlicher Bestandteil des alltäglichen Lebens. Frauen verbrachten ihre Zeit mit ihren Müttern und Schwestern, indem sie gemeinsamen Aufgaben nachgingen und Erfahrungen austauschten. Die gesamte weibliche Verwandtschaft traf sich bei Geburten, der Beerdigung von Familienmitgliedern und um z. B. Steppdecken zu nähen und Marmelade zu kochen. Mit dem Aufkommen der betriebsamen Kleinfamilie und dem heutigen Mangel an Klarheit darüber, was es bedeutet, eine Frau zu sein, ist es verständlich, daß der Forschungsdrang der jungen Frau zu der sehr eindeutigen Frage führt: »Wie ist man eine Frau?« Es ist für junge Frauen ganz natürlich, sich in ihren Forschungen mit sich selbst zu beschäftigen. Ihre Neigung, Tagebücher zu schreiben und sich stundenlang mit Freunden zu unterhalten, spiegelt ihren Wunsch wider, sich selbst kennenzulernen, indem sie den geringsten Nuancen ihrer Interaktionen und ihrer Gefühle nachgehen. Manchmal scheint dieses Interesse an sich selbst zur Hauptbeschäftigung zu werden. In diesem Stadium ihres Lebens wurden Frauen als »schwangere Jungfrauen« bezeichnet. [1] Mit diesem offensichtlichen Paradox manifestiert sich die Vorstellung von einer jungen Frau, die voller eigener Möglichkeiten steckt; die Frau geht nicht mit einem biologischen Kind, sondern mit ihrem eigenen Ich schwanger, und wie bei jeder Frau, die ein Kind in ihrem Leib trägt, ist die Aufmerksamkeit nach innen gerichtet, indem sie sich auf das konzentriert, was sich in ihr selbst abspielt. Was sich jedoch in diesem Fall entwickelt, ist kein Fötus, sondern das eigene wesentliche und wahre Selbst der Frau. In ihrer Beschäftigung mit sich selbst ist die junge Frau leidenschaftlich darauf bedacht, ihren eigenen Ansichten treu zu bleiben. Äußere Umstände, die ein Relativieren der eigenen Ansichten erfordern würden, werden kaum beachtet. Ein gutes Beispiel für diese Eigenschaften ist Jeanne d'Arc, eine junge Frau, die sich mit diesem Stadium der weiblichen Entwicklung so stark identifizierte, daß sie es vorzog, »La Pucelle« oder »die Jungfrau« genannt zu werden. [2] Sie war eine Frau, die aufgrund ihrer leidenschaftlichen Verbundenheit mit ihrem Glauben auf den Scheiterhaufen kam - ein Ereignis, für das sie schließlich heilig gesprochen wurde. Junge Frauen vertreten mit aller Vehemenz die Ansicht, daß es wichtig sei, sich selbst gegenüber treu zu bleiben und nicht die eigenen Bedürfnisse und Wünsche aus purem Konformismus oder um des lieben Friedens willen zu verraten. Deshalb haben Frauen, die in dieser Lebensphase dazu gezwungen werden, gegen ihren eigenen Willen zu handeln, tiefe Schuldgefühle gegenüber dem betrogenen Selbst. Bei der Behandlung von Frauen, die Opfer einer inzestuösen Beziehung waren, ist mir aufgefallen, daß der schwierigste Teil bei der Genesung der ist, daß sich die Frau von dem freispricht, was sie als ihre Komplizenschaft bei der inzestuösen Tat betrachtet. Die Frau sieht sich an dem Punkt, an dem sie sich in ihr Schicksal fügt, als Verräterin an ihrem Selbst; im Heilungsprozeß ist die Schuld gegenüber »dem Mädchen, das sie war« sehr schwer zu tilgen. Ihr Unterbewußtsein sagt ihr, daß sie weitaus aufrichtiger gewesen wäre, wenn sie, wie Jeanne d'Arc, für ihre Integrität in den Tod gegangen wäre. Manchmal mag die Treue einer Frau zu ihren inneren Werten, gemessen an äußeren Wertvorstellungen, selbstgerecht und intolerant erscheinen. Sie glaubt zu wissen, was richtig ist, und möchte diejenigen, die Kompromisse schließen, nicht respektieren. Da sie mit den Anforderungen der Realität nichts zu tun hat, mag sie sich sogar auf leichtsinnige oder gefährliche Abenteuer einlassen, um ihrer Wahrheit treu zu bleiben. Es gibt eine weniger bekannte Geschichte über die Jagdgöttin Artemis, eine archetypische Verkörperung der ungebundenen jungen Frau, die sehr anschaulich die selbstgewisse Verfolgung dessen illustriert, was eine Frau als gerecht empfindet. Während sie im Wald ein Bad nimmt, wird die Göttin von Aktaion, einem jungen Mann, beobachtet. [3] Sie verwandelt ihn in einen Hirsch, den sie von ihren Jagdhunden zerfleischen läßt, weil sie darüber entsetzt ist, daß er sie bei ihrem privaten Ritual beobachtet hat. Ihre Tat erscheint gewalttätig und übertrieben im Verhältnis zu einem Vergehen, das in einer ziemlich geringfügigen und unbeabsichtigten Beeinträchtigung ihrer Privatsphäre bestand. Für diese Frau, wie für viele Frauen in diesem Lebensstadium, sind die persönlichen Maßstäbe von richtig und falsch absolut. Kompromisse zu schließen oder die eigenen Ansichten preiszugeben kommt einer Verletzung seines wahren Selbst gleich. [4] Eine junge Frau, Tess, fiel in ihrer konservativen Oberschule dadurch auf, daß sie mit fünfzehn Jahren in ihrem Biologieunterricht gegen das offizielle Lehrbuch über weibliches Verhalten protestierte, weil sie der Ansicht war, daß es sich um ein sexistisches Buch handle. Tess wußte, daß ein Teil der herkömmlichen methodischen Erklärungen über das Leben einer Frau und über biologische Reaktionen nicht dem neuesten Stand entsprachen. Sie sagte vor der Klasse: »Dies ist ein sexistisches Buch, und ihr solltet es nicht lesen. Es sollte keine Pflichtlektüre sein.« Tess' freimütige Bemerkung sorgte in ihrer Schule für einen Skandal. Sie war jedoch mit sich selbst zufrieden, nicht nur, weil sie für ihre Ansichten eingestanden war, sondern auch, weil sie eine traditionelle Lehrmeinung angegriffen hatte, die, ihres Wissens, falsch war. Als Tess zu einer jungen Frau heranwuchs, waren ihre Eltern über ihre Freimütigkeit und Offenheit besorgt. Obwohl Tess von ihren Eltern ermutigt wurde, ihren Instinkten zu folgen, waren sie nun darüber beunruhigt, daß die Unabhängigkeit ihrer Tochter eine Richtung einschlug, die sich von dem unterschied, was sie sich gewünscht hatten. Als sie aufs College ging, entschied sie sich, Kunst zu studieren. Ihre Eltern waren beunruhigt, weil sie der Ansicht waren, daß Kunst, insbesondere die Herstellung von großen Skulpturen, kein Beruf für eine Frau wäre. Eine Frau brauchte eine praktischere Betätigung, damit sie eventuell ihren Ehemann unterstützen könnte, während er seiner Ausbildung nachging. Tess' Eltern machten den Vorschlag, sie solle sich mit Graphik-Design beschäftigen, eine Tätigkeit, die sich besser vermarkten ließe. Als Tess sie über ihren Entschluß informierte, Bildhauerin zu werden, eine Betätigung, die nicht nur unpraktisch war, sondern auch im allgemeinen Frauen verschlossen blieb, waren sie nicht einverstanden und versagten ihr die Unterstützung des College-Studiums. Sie forderten sie auf, nach Hause zurückzukehren, wiederum im Elternhaus zu leben und Kurse am College der Gemeinde zu belegen. Wenn sie damit nicht einverstanden wäre, drohten sie, ihr die finanzielle Unterstützung zu entziehen. Tess wußte, daß sie tun mußte, was sie für richtig hielt. Also beschloß sie, ihre Berufsausbildung fortzusetzen und sich den Wünschen der Eltern zu widersetzen. Sie zog es vor, sich selbst gegenüber treu zu bleiben, sogar zu dem Preis, daß sie ihre wichtigste Beziehung aufs Spiel setzte. Tess sprach fast drei Jahre nicht mehr mit ihrer Mutter und ihrem Vater. Sie kam selbst für ihr Studium auf, indem sie nebenbei einer Vollzeitarbeit nachging. Für viele Töchter wäre die mangelnde Unterstützung während des Studiums eine Quelle permanenter Ressentiments und Spannungen. Tess macht ihren Eltern für deren Entscheidung jedoch keine Vorwürfe. Sie ist froh, sich wieder mit ihnen versöhnt zu haben. Sie haben nun wieder eine liebenswürdige, aber distanzierte Beziehung. Tess war es am wichtigsten, ihrem Herzen gefolgt zu sein und sich nicht durch die Versuchung, eine gute und gehorsame Tochter zu sein, von ihrem Weg abbringen zu lassen. Ironischerweise führte die Ablehnung ihres Vorhabens durch ihre Eltern nur zur Festigung ihrer Entschlossenheit und zu der Gewißheit, daß die Entscheidung, Künstlerin zu werden, wahrhaftig ihre eigene war. Sie weiß nun, daß sie nur deshalb eine Künstlerin ist, weil sie es will, und nicht aufgrund der Bedürfnisse und Wünsche einer anderen Person. Feministische Schriftstellerinnen haben die junge Frau als »eine Frau für sich selbst« bezeichnet. [5] Sie gehört ausschließlich sich selbst und ist weder einer anderen Person, irgendeiner Idee oder irgendwelchen Verbindlichkeiten verpflichtet. Oft ist ihre Freiheit im wesentlichen dadurch geprägt, daß sie sich noch nicht einer anderen Person in einer ausschließlichen Beziehung verschrieben hat; das bedeutet im allgemeinen, daß sie sich noch nicht zu einem Mann hingezogen fühlt. Geschichte und Literatur erzählen Bände von jungen Frauen, die sich gegen die von ihren Eltern arrangierten Heiraten auflehnen. Die Heiratsvereinbarung symbolisiert, daß die Frau nicht sich selbst, sondern ihrer Familie gehört, insbesondere ihrem Vater. In diesem Drama junger Frauen fordert die Heldin ihr Recht, ihr eigenes Leben zu gestalten. Auf der persönlichen Ebene mag es von Bedeutung sein, daß sie schon einen anderen liebt, einen Beruf ausüben möchte oder sich einem spirituellen Ziel verpflichtet hat. Symbolisch gesehen ist es jedoch nur wichtig, unabhängig zu bleiben. Sie ist weder einer Person, einer Sache noch einer Verpflichtung verschrieben, die sie sich nicht selbst gewünscht hat; sie betrachtet jeden Versuch, sie in eine unselbständige Richtung zu drängen, als einen Angriff auf ihre uneingeschränkte Freiheit. In der Geschichte des heiligen Uncumber lernen wir eine Frau kennen, die sich in einen Mann verwandelt, um sich für den Brautwerber unattraktiv zu machen. [6] Die Frau wünscht, keusch zu bleiben, und ist demzufolge mit einer Heirat nicht einverstanden. Als der Vater entdeckt, daß sie sich im Gesicht die Haare wachsen ließ und eine männliche Haltung einnahm, ließ er sie kreuzigen. Die junge Frau zieht es vor, freiwillig in den Tod zu gehen, als sich für den vom Vater ausgewählten Bräutigam zu entscheiden. Sie entscheidet sich, unabhängig zu bleiben, und folgt ihren eigenen Neigungen; damit lehnt sie es ab, den Erwartungen der patriarchalischen Gesellschaft gerecht zu werden. In Geschichten dieses Genres richtet sich die Opposition der jungen Frau eher gegen den Vater als gegen den Werber, bei dem es sich oft nur um eine unbekannte und zufällige Person handelt. Sie beugt sich nicht dem Willen des Vaters und der Gesellschaft, die er repräsentiert. Dieser Kampf zwischen dem Einlösen sozialer Erwartungen und eigenen Wünschen war ein wiederkehrendes Motiv in Midges Träumen. In ihrem Traum muß Midge eine Brücke passieren, um die Reise ihres Lebens fortzusetzen. Auf der Brücke steht ein mittelalterlicher Ritter in voller Rüstung, und Midge weiß, daß dieser Ritter die Anerkennung und die Erwartungen der Gesellschaft repräsentiert. Sie weiß ebenfalls, daß sie diese Brücke nicht passieren kann, wenn es ihr nicht gelingt, den Ritter zu schlagen. Im Traum fühlt sie sich mächtig und stark und sagt zu sich selbst: »Ich bin jung und lebe, und ich habe ein Recht auf mein Leben. Er ist alt und leblos.« Als sie diese innere Kraft verspürt, zerfällt der Ritter zu Staub, und sie kann die Brücke überqueren. Im weiteren Verlauf ihres Traums sieht sich Midge zusätzliche Brücken bauen, damit auch andere Leute passieren können. Sie hofft, daß andere, in der Verfolgung ihrer eigenen Reise und ihrer eigenen Ziele, diese Verbindungen nutzen werden. Midges Traumvorstellungen sind für alle Frauen von Bedeutung. Sie muß eine Möglichkeit finden, die Erwartungen, die andere an sie stellen, abzuwehren, um ihre eigene persönliche Reise fortzusetzen. Bezeichnenderweise werden diese Erwartungen von einem erstarrten Ritter verkörpert. Midges Sieg über die Erwartungen der anderen ist keiner rebellischen Konfrontation zu verdanken, sondern resultiert vielmehr aus der Bejahung ihrer eigenen Macht und ihres Rechts auf ihr eigenes Leben. Sowie es ihr möglich ist, ihren Anspruch zu äußern, verschwindet der Ritter, und sie kann ihren Weg fortsetzen. Neben ihrer Ablehnung, von einer Beziehung vereinnahmt zu werden, hat sich die junge Frau auch noch keinem besonderen Beruf verschrieben. Die Lebensphase der jungen Frau ist die Zeit der Erprobung und Erforschung, und sie versucht die unterschiedlichsten Lebensweisen auszuprobieren und verschiedene Interessen zu erforschen, bevor sie sich auf das festlegt, was sie ihr ganzes Leben lang machen wird. Ähnliche Schwankungen gibt es bei Freundschaften, Werten und Verbindungen jeder Art. Es ist charakteristisch für diese Zeit im Leben einer Frau, daß sie sich für jede Möglichkeit, die sie erforscht, leidenschaftlich einsetzt; die Möglichkeiten mögen sich jedoch ändern. Die Intensität, mit der diese erforscht und bewertet werden, bleibt konstant; typisch ist jedoch für diese Lebenszeit, daß sich die Inhalte ändern. Eine Frau läßt sich nicht voreilig auf eine besondere Möglichkeit ein und ist dennoch nicht überheblich im Hinblick auf den Verlauf der Erforschung. Sie ist äußerst leidenschaftlich engagiert herauszufinden, welche Entscheidungen auf sie zukommen. Für manche Frauen ist diese Ungewißheit beängstigend; sie werden von der Möglichkeit überwältigt, noch keine Entscheidungen getroffen zu haben. Seine eigene Frau zu sein keiner anderen Person verpflichtet zu sein, von keiner einzigen Idee oder Philosophie geleitet zu werden und sich für keinen bestimmten Beruf entschieden zu haben - wird zu einer erschreckenden Aussicht. Wenn eine Frau von der Ambiguität, die dieser Phase ihrer Entwicklung innewohnt, verängstigt oder überwältigt ist, mag sie versucht sein, eine vorzeitige Entscheidung herbeizuführen. Tatsächlich mögen einige Schwangerschaften bei Teenagern, gewisse junge Ehen und manchmal auch sehr frühe Berufsentscheidungen ein Versuch sein, diese Zeit der Ungewißheiten frühzeitig zu beenden. In ihrer Studie über das Erwachsenwerden von Frauen beschreibt Ruth Ellen Josselson eine Gruppe von Frauen, deren Lebenslauf eine frühe Einschränkung von Entscheidungsmöglichkeiten widerspiegelt. [7] Diese Frauen hatten sich für einen Beruf und eine bestimmte Lebensweise entschieden, als sie noch junge Mädchen waren. Josselson vermutet, daß diese Frauen Beständigkeit und Sicherheit brauchten und sich demzufolge schon in sehr früher Jugend für eine bestimmte Lebensweise oder einen bestimmten Beruf entschieden haben. Dies sind die Frauen, die später sagen: »Ich wollte immer Lehrerin werden« oder »seit meinem fünften Lebensjahr wollte ich Ärztin werden oder den Jungen von nebenan heiraten«. Entscheidungen, die erst nach Abschluß der Forschungsphase getroffen werden sollten, wurden schon frühzeitig gefällt. Interessanterweise kann Josselson nicht feststellen, daß die Frauen in der »Ausschluß-Gruppe« notwendigerweise unglücklich über ihr Leben sind. Es scheint, daß sie dieses Stadium der weiblichen Entwicklung nur übersprungen und die Lebensphase der jungen Frau voller Ungeduld verlassen haben. Bei manchen Frauen führt die Angst vor der Ungewißheit in der Phase der jungen Frau zu einer intensiven Beschäftigung mit Kontrollproblemen. Aufgrund des Gefühls, vor allzu vielen Möglichkeiten zu stehen, schränken sie ihre Freiheiten ein, und das betrifft auch ihre Sexualität, Spontaneität und Leidenschaftlichkeit. Eine junge Frau, Celeste, deren Kindheit von dem irrationalen und unkontrollierten Verhalten ihrer Mutter geprägt war, hatte das starke Bedürfnis, ihr eigenes Verhalten in den Griff zu bekommen. Insbesondere hielt es Celeste für notwendig, ihre eigenen sexuellen Grenzen zu kontrollieren und darauf zu achten, daß ihre Sexualität ausschließlich von ihren Wünschen und ihrer Bereitschaft abhängt und ihr von keinem anderen aufgezwungen werden sollte. Das Problem der Kontrolle spielte ebenfalls im Hinblick auf ihre Ernährung, das Körpergewicht und das Sich-der-Welt-Präsentleren eine Rolle. Obwohl sie keineswegs fanatisch eine Diät befolgt und Kalorien zählt, ist es für Celeste wichtig zu wissen, daß sie Einfluß auf ihre äußere Erscheinung hat; daß sie ihr Gewicht kontrollieren kann; daß ihre Identität und ihre Erscheinung nicht durch Dinge beeinflußt werden, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen. Erforschung und Erprobung von Entscheidungsfreiheiten gehören zu den primären Aktivitäten der jungen Frau, aber auch Vorbereitung und Antizipation sind wichtige Themen. Da sie wissen, daß sie schließlich gewisse Verantwortungen übernehmen und gewisse Funktionen ausführen werden, bereiten sich einige junge Frauen aktiv auf diese Aufgaben vor. Wie Sportler, die sich auf einen Wettkampf vorbereiten, erlernen und trainieren sie die Fertigkeiten, um ihre zukünftigen Aufgaben bewältigen zu können. Faith hat z. B. einen großen Teil ihrer Zeit als junge Frau darauf verwandt, sich auf ihre mütterlichen Aufgaben vorzubereiten. Seit ihrer frühen Mädchenjahre wußte Faith, daß ihre Mutter keine gute Mutter war. Obwohl sie einen lebendigen und fröhlichen Eindruck machte, wenn die Nachbarn auf einen kurzen Besuch kamen, hatte Faiths Mutter tatsächlich starke Depressionen und schloß sich den größten Teil des Tages in ihrem Zimmer ein, um zu trinken. Obwohl sie einen erfolgreichen und charmanten Mann geheiratet hatte, fühlte sich Faiths Mutter in ihrem Luxushaus unbehaglich und sehnte sich nach ihrer Schwester und der kleinen ländlichen Gemeinde, in der sie aufgewachsen ist. Wenn Faiths Vater eine weibliche Begleitung bei seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen brauchte, simulierte die Mutter eine Krankheit und bestand darauf, daß die Tochter an ihrer Stelle ging. Aufgrund des Alkoholismus und der Depressionen ihrer Mutter mangelte es Faith an einer Bezugsperson, mit der sie Vertraulichkeiten austauschen konnte, die ihr eine gewisse Orientierung und Liebe und Fürsorge gegeben hätte. Deshalb beschloß Faith als junge Frau, die Mängel ihrer Mutter dadurch zu kompensieren, daß sie selbst eine gute Mutter würde. Sie beobachtete andere Frauen, um sich die Informationen anzueignen, die sie für ihre spätere Aufgabe als Mutter benötigte. Als Faith ein kleines Mädchen war, erzählte ihr ihre Großmutter mütterlicherseits von ihren Abenteuern, als sie in der Gemeinde umher reiste, um die Kranken zu versorgen. Faith fand ihre Großmutter wunderbar und unterhaltsam, und sie folgerte daraus, daß gute Mütter gern bei ihren Kindern sind und an deren Erfahrung teilnehmen. Ihre Großmutter vermittelte ihr das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, und Faith beschloß, daß sie als Mutter ihren Kindern das gleiche Gefühl vermitteln wolle. Zeitweise wurde Faith in ihren frühen Jugendjahren von ihrer Mutter zu einer Frau in der Nachbarschaft gebracht, die für sie eine Art Ersatzmutter war. Faith beobachtete diese Frau bei ihren täglichen Aufgaben im Hause. Als sie älter wurde, war Faith dieser Frau in deren kleinem Buchladen behilflich. Es machte ihr Spaß, ihre Zeit mit dieser Frau zu verbringen. Sie freuten sich, lachten und arbeiteten gemeinsam. Aus dieser Erfahrung lernte Faith, daß ein Teil der mütterlichen Pflichten darin besteht, den Alltag und die alltäglichen Aufgaben mit ihren Kindern zu teilen. Es ging dabei nicht um etwas Außergewöhnliches, wie sie es noch mit ihrer Großmutter erlebte. Interessanterweise wurde Faiths Mutter bewußt, daß es ihre Fähigkeiten überstieg, ihr Kind großzuziehen, und sie suchte deshalb eine Frau, die diese Aufgabe für sie übernehmen würde. Wie die strengen Königinnen in den Märchen übergab Faiths Mutter ihr Kind einer mütterlichen Bäuerin zur Pflege. Faiths Suche nach Anhaltspunkten, wie sie eine bessere Mutter werden könne, dauerte an, als sie ihr Studium am College aufnahm. Sie war darüber begeistert, daß es in ihrem College Regeln und Richtlinien gab. Es gab Vorschriften darüber, wie lange sie nachts ausbleiben durfte, wie sie zu den Mahlzeiten gekleidet sein mußte und wie oft im Monat sie die Kirche besuchen mußte. Das College konfrontierte sie mit Strukturen und Einschränkungen, Dinge, die von guten Eltern vermittelt werden sollten. Im Gegensatz zu ihren Kommilitoninnen liebte Faith diese Regeln und Richtlinien. Sie wußte, daß sie eine Struktur und ein Sicherheitsnetz boten, dessen sie bedurfte, um ihre eigenen Möglichkeiten zu entwickeln und zu erforschen. Durch diese Erfahrung ergänzte Faith ihre Liste über mütterliche Eigenschaften durch die Punkte: Vermittlung von Strukturen und Schutz für ihr Kind. In ihren frühen Erwachsenenjahren bereitete sich Faith auf ihre Aufgabe als Mutter vor, eine Aufgabe, die, wenn sie erfolgreich bewältigt wurde, Faith die Möglichkeit geben würde, symbolisch die schlechte Bemutterung, die sie in der eigenen Kindheit erfahren hatte, zu reparieren.
Eine charakteristische junge Frau
Obwohl dieses Buch beabsichtigt, Frauen beim Herabsteigen vom Sockel idealer Werte behilflich zu sein und die Schöpfung von Idealtypen zu meiden, ist die Darstellung einer besonderen Lebensgeschichte am besten geeignet, um die Vermischung von Thema, Handlung und Beziehung adäquat zu vermitteln. Indem wir uns die vollständige Geschichte einer Frau anhören, wird es uns möglich sein, die Themen zu entdecken, die die Erfahrung aller jungen Frauen strukturieren.
Paulas Geschichte
Paula ist eine junge Frau und fühlt sich in dieser Lebensphase glücklich. Sie sagt zu Beginn ihrer Geschichte: »Schließlich bin ich jung, und warum sollte mir das nicht von Vorteil sein?« Jung zu sein bedeutet frei zu sein, sich selbst und die Welt zu erforschen, und Paula fühlt sich durch ihre »Jugendlichkeit« angeregt. Auf der Oberschule gehörte Paula einer Gruppe junger Frauen an, die für ihr aufsehenerregendes und rebellisches Verhalten bekannt war, weil sie die Grenzen ihres Forschungsdrangs überschritten. Manchmal kamen sie exotisch gekleidet zur Schule, nur um zu erfahren, wie man sich dabei fühlt. Einige ihrer Mitschüler und die Lehrer der Schule bezeichneten dieses Verhalten als rebellisch: Paula wußte jedoch, daß sie gegen nichts rebellierte. Weder opponierte sie gegen ihre Familie noch gegen die Schule; sie wollte nur all die Möglichkeiten, die sie erfinden oder entdecken konnte, unbedingt ausprobieren. Sie war der Ansicht, daß einige der jungen Frauen in ihrem Bekanntenkreis ein wichtiges Stadium in ihrem Leben nicht nutzten. Es schien ihr, als ob sie vorzeitig gealtert waren. Sie waren ernsthaft, konzentriert, beschränkt und versäumten das Abenteuer, jung zu sein. Nach dem Abitur verließ Paula ihr Elternhaus und zog mit einigen anderen jungen Frauen in eine Mietwohnung. Sie fühlte sich wohl, selbständig zu sein und nicht mehr den Zwängen der elterlichen Erwartungen ausgesetzt zu sein. Ohne diese Erwartungen fühlte sie sich viel offener und empfänglicher für all das, was sie umgab. Paula nahm sich die Freiheit, ein eigenständiges Leben zu führen. Ihr erstes unabhängiges Abenteuer fand im sicheren Bereich ihrer Familie statt. Es war ihr möglich, die Domäne des elterlichen Realitätsverständnisses zu verlassen; dennoch konnte sie die Verbindung zu ihrer Familie und den gewohnten Dingen aufrechterhalten. In ihrer späten Jugend stehen junge Frauen vor dem Dilemma, einerseits eine gewisse Autonomie anzustreben, aber gleichzeitig die Verbindung zu anderen aufrechtzuerhalten. [8] Es ist für junge Frauen wichtig, daß ihre Autonomie nicht auf Kosten ihrer bestehenden Beziehungen und ihrer Verbindungen zu wichtigen Leuten und wichtigen Erfahrungen geht. Indem Paula ihr Elternhaus verließ und in eine Wohnung in ihrer Heimatstadt zog, ließ sich ein Kompromiß herstellen zwischen ihrem Bedürfnis nach Unabhängigkeit und ihrem Wunsch, die Beziehung zu ihrer Familie aufrechtzuerhalten. Wenn sie weit entfernt von ihrem Elternhaus gewohnt hätte, wäre sie ihrem Wunsch nach Autonomie und Erforschung nachgekommen, ohne jedoch das Gefühl der Verbundenheit zu haben. Wenn sie einer Arbeit nachgegangen und weiterhin in ihrem Elternhaus geblieben wäre, hätte sie ihre wichtige Beziehung auf Kosten ihrer Freiheit, zu forschen und Risiken einzugehen, aufrechterhalten. Durch ihre Kompromißlösung auszuziehen, aber nicht fortzuziehen, ließ sich leicht ein Gleichgewicht zwischen Autonomie und Beziehung herstellen.
Nachdem sie fast ein Jahr unabhängig im Schutz der unterstützenden Familie gelebt hatte, beschloß Paula, ihre Forschungen ein wenig auszudehnen. Sie verließ ihre Heimatstadt, um mit einer anderen jungen Frau auf Reisen zu gehen. In allen Lebensgeschichten junger Frauen sind Reisen eine wichtige Form des Forschens. Es scheint, als ob Frauen die Umgebung, in der sie aufgewachsen sind, wirklich verlassen müssen, um gewisse Risiken eingehen zu können, neue Möglichkeiten zu erproben und sich selbst in einer vom Elternhaus entfernten Welt zu erfahren. Ob es sich um eine exotische Fernreise oder um eine Reise in die Nachbarstadt handelt, beides symbolisiert eine Bewegung, die sich vom allzu Bekannten abwendet und sich dem Neuen und Unbekannten zuwendet. Bezeichnenderweise folgen diese Abenteuer keiner geplanten Reiseroute. Die Erforschung erfolgt ohne Reiseleiter, und die junge Frau sträubt sich gegen jede Vorausplanung. Viele junge Frauen träumen davon, einen Bus, ein Flugzeug oder einen Zug zu besteigen, einfach irgendwo anzukommen und zu sehen, was dort geschieht. Bei ihrem besonderen Abenteuer reiste Paula mit einer anderen jungen Frau nach Süditalien, und beide erforschten gemeinsam zahlreiche kleine Städte. Ohne jeden Plan oder feste Unterkunft nahmen sie einen Bus zu irgendeiner kleinen Stadt und bummelten einfach herum. Nach zwei Tagen fuhren sie in ein anderes kleines Dorf und schauten sich das an, was es eben gerade zu sehen gab. Es ist interessant, daß die jungen Frauen bei diesem Abenteuer sich nicht darum kümmerten, ob sie sich einer Gefahr aussetzten. Sie machten sich nicht die geringsten Gedanken darüber, durch diese Art des Reisens ihre Sicherheit aufs Spiel zu setzen. Ohne wirkliche Kenntnis ihrer persönlichen Grenzen und Schwächen können junge Frauen oft schlecht einschätzen, welche Entscheidungen gefährlich sein könnten. Auf ihrer Reise wurde Paula häufig von Gefühlen der Ehrfurcht und des Erstaunens überwältigt. Oft saß sie auf einem Berg, bewunderte den schönen Ausblick und dachte: »Es ist unbegreiflich, es ist absolut unbegreiflich, daß ich hier bin und mir dies alles offensteht.« Dieses Erstaunen über die Welt, über ihren Platz in dieser Welt und ihre eigenen Möglichkeiten sind genau ein Teil dessen, was es bedeutet, eine junge Frau zu sein. Paula erinnert sich an ihre Gedanken auf ihrer Reise: »Ich möchte alles kennenlernen; ich möchte jedes Buch lesen, jedes Seminar besuchen; ich möchte, daß mir keine Möglichkeit versperrt bleibt; es gibt so viele Dinge, die ich lernen möchte; wer weiß, wofür ich mich schließlich interessieren werde.« Aus diesen blauäugigen, naiven Äußerungen hören wir eine junge Frau heraus, die in ihrem Dasein als junge Frau völlig aufgeht und überglücklich konstatiert, wieviel es für sie zu lernen und zu wissen gibt. Für eine gewisse Zeit traten Paulas Forschungen in ein Stadium, das sie als »sexuelle Verrücktheit« bezeichnete. Sie erforschte ihre eigene Sexualität und hatte zahlreiche Partner. Sie betrachtete diesen Teil ihrer Forschungen, ihre eigenen Grenzen kennenzulernen, als etwas ganz Normales im Leben einer jungen Frau. Sie sagte, daß ihre Eltern über diesen Aspekt ihrer Erforschungen bestürzt waren und sich mit ihr über das Problem der sexuellen Freiheit auseinandersetzten. Während Paula diesen Teil ihrer Erfahrungen als etwas Normales in ihrer Entwicklung akzeptierte, sind manche Frauen im Hinblick auf sexuelle Experimente besonders verängstigt. Zahlreiche Frauen, die ich interviewte, verhingen über ihr Sexualleben ein Moratorium. Da sie glaubten, nur eine gewisse Quantität an neuen Informationen verarbeiten zu können, beschränkten sie ihre Erforschungen in einem bestimmten Zeitraum nur auf einen Bereich.. Wenn sie an intellektuellen, sozialen oder zwischenmenschlichen Fragen interessiert waren, konnten sie keine Experimente im sexuellen Bereich eingehen. Deshalb sagten sie sich relativ willkürlich: »Ich werde in den nächsten zwei Monaten, in den nächsten sechs Monaten oder in den nächsten zwei Wochen keine sexuelle Beziehung eingehen.« Eine willkürliche zeitliche Begrenzung schränkte diesen Aspekt ihrer Entwicklung und Erforschung ein. Der Sexualtrieb ist manchmal zu überwältigend, um mit ihm vernünftig umgehen zu können. Die junge Frau befürchtet, daß dieser mächtige Trieb alle anderen Bedürfnisse und Wünsche, die sich zu entwickeln beginnen, zum Versiegen bringt. Die Vorstellung, sich mit einer anderen Person sexuell zu vereinigen, mag für eine Frau beängstigend sein, die sich gerade erst mit der Macht ihrer Autonomie und Individualität vertraut macht. Wahrscheinlich wird sie das Risiko, mit einer anderen Person eine sexuelle Beziehung aufzunehmen, erst dann eingehen, wenn sie sich in ihrer persönlichen Identität gefestigt weiß. Ebenso wie sie ihre sexuellen Experimente als einen normalen Teil ihres Daseins als junge Frau akzeptiert, betrachtete Paula auch ihre Erforschung von Beziehungen als etwas Normales auf dem Weg ihrer Selbsterkenntnis und als Möglichkeit, mehr über andere Leute in Erfahrung zu bringen. Sie sagte, sie hätte schon viele Leute kennengelernt, mit denen sie sich vorstellen könnte, ein gemeinsames Leben zu führen, wenn sie vor der Entscheidung stände, nur mit einer einzigen Person zusammenzuleben; momentan könne sie sich jedoch nicht vorstellen, sich ausschließlich auf einen Partner zu beschränken. Paula betrachtete Beziehungen als ein Vehikel zur Selbsterforschung und nicht als eine permanente Verpflichtung, die ein ganzes Leben binde. Trotz ihrer Ungewißheit, welche Art romantischer Beziehung sie bevorzuge, war sich Paula ganz sicher, daß sie einmal Mutter werden wollte. Sie selbst war ein Adoptivkind, und biologische Verbindungen waren für sie etwas Mysteriöses und Unbekanntes. Sie wußte nicht, was es bedeutet, mit einer anderen Person biologisch verwandt zu sein. Obwohl sie auf ihre Mutter, ihre Großmutter, ihre Tanten und ihre Geschwister deuten und im Hinblick auf Persönlichkeit, Interessen und Werte Ähnlichkeiten feststellen konnte, war es ihr nicht möglich, irgendwelche physischen Gemeinsamkeiten zu entdecken. Sie sah nicht so aus wie die anderen Familienmitglieder, sie hatte keine Vorstellungen davon, was es bedeutete, einer anderen Person ähnlich zu sehen. Sie hatte das Gefühl, daß sie diese biologische Verbindung kennen lernen müsse; demzufolge bekannte sie sich zu der eindeutigen Verpflichtung, eines Tages ein Kind zu bekommen. Als junge Frau basierte ihre Motivation, ein Kind zu bekommen, nicht darauf, ein anderes Lebewesen zu lieben und zu pflegen, sondern vielmehr auf dem Wunsch, eine bisher unbekannte Blutsverwandtschaft zu einer anderen Person kennenzulernen. Paula plant, eines Tages Schriftstellerin zu werden, aber sie weiß, daß es ihr momentan noch nicht möglich ist, eine persönliche und originelle Aussage machen zu können. Sie hofft, eines Tages Dinge äußern zu können, die die herkömmlichen Denkweisen herausfordern werden. Aber sie weiß, daß es ihr noch nicht möglich ist, etwas zu schreiben, von dem Leute Notiz nehmen würden. Sie muß noch »viele Dinge« lernen und sich in ihr eigenes Leben vertiefen, bevor sie ihre Gedanken formulieren wird.
Paula ist sich bewußt, daß sie sich im Stadium der Vorbereitung und Antizipation befindet. Sie stürzt sich in die Aktivitäten, die für diesen Zeitraum ihres Lebens wichtig sind, und sie weiß, daß dies in die nächste Phase einmünden wird, in die Phase der Lebensmitte. Als junge Schriftstellerin hegt sie die Hoffnung, an der Gestaltung neuer und der Änderung alter Vorstellungen beteiligt zu sein, indem sie die Menschen zwingt, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Ihr ist jedoch bewußt, daß sie ihre Vorbereitungen abgeschlossen haben muß, um diese besondere Herausforderung annehmen zu können. Paula hat ein stark ausgeprägtes Selbstbewußtsein und ist überzeugt, mit allem, was auf sie zukommt, fertigzuwerden, selbst wenn es sich um unangenehme Dinge handeln sollte. Sie hat das Gefühl, eine starke Frau zu sein, die eine Kraft in sich birgt, mit der sie alles bewältigen kann, was auch immer geschehen mag. Sie glaubt, daß der größte Teil ihrer Kraft aus ihrer Verbindung mit anderen Frauen in ihrer Familie herrührt. Sie glaubt auch, daß ihre Mutter und ihre Großmutter starke Frauen waren, die Unglück und Prüfungen mit Integrität und Kraft gemeistert haben. Als Nachkomme dieser Frauen glaubt Paula, selbst mit traumatischen oder schwierigen Erfahrungen fertigwerden zu können. Darüber hinaus betrachtet sie ihre biologische Mutter als eine Quelle ihrer Stärke. Das einzige, was sie über ihre wirkliche Mutter weiß, ist, daß sie sechzehn Jahre alt war, als Paula zur Welt kam. Paula glaubt, daß es sehr viel Kraft und Mut erfordert haben muß, in diesem frühen Alter und diesem verwundbaren Zustand ein Kind zu haben und dieses für eine Adoption freizugeben. Demzufolge bezieht sie sich in ihrem Selbstverständnis als Frau, der es möglich ist, mit potentiellem Unglück fertig zu werden, auf die Phantasien über ihre leibliche Mutter.
Wie viele junge Frauen ist Paula eine »Frau von freier und ungebändigter Natur«. [9] Diese Bezeichnung will sagen, daß sie weder durch innere Restriktionen noch durch äußere Sanktionen und Erwartungen eingeschränkt ist. Ihre √úberschwenglichkeit und ihre unbegrenzten Möglichkeiten erfüllen sie oft mit Ehrfurcht und Verwunderung, Ehrfurcht vor ihrer eigenen Energie und Kraft und Verwunderung über die Möglichkeiten, die ihr in der Welt geboten werden. [10] Da Optimismus eine der dominierenden Eigenschaften einer jungen Frau ist, sind wir erschüttert, wenn wir eine junge erschöpfte Frau sehen, die über sich selbst verbittert ist und an ihren Möglichkeiten zweifelt. In diesen Fällen fragen wir uns, was mit ihr geschehen sein mag. Wurde sie vielleicht in ihrer Jugend allzu drastischen Einschränkungen unterworfen? Wenn sie z. B. mißbraucht oder übermäßig eingeengt wurde, so hat sie frühe und bittere Einschränkungen erlebt, Einschränkungen, die ihr Verständnis von Offenheit und √úberschwenglichkeit angesichts dieser Welt geändert haben. Junge Frauen haben oft das subjektive Empfinden, schweben zu können, wenn es keine Einschränkungen gäbe. Die Flügel wurden ihnen noch nicht gestutzt, und gesellschaftliche Zwänge sind noch nicht so offenkundig wie im späteren Alter. [11] Obwohl Frauen letztendlich vielen Einschränkungen unterworfen sind, fühlen sich junge Frauen noch nicht allzu stark unter Druck gesetzt. Junge Frauen nehmen sich die Freiheit, den verschiedensten Aktivitäten nachzugehen. Sie treiben Sport, verfolgen intellektuelle Ziele, fordern sich selbst heraus und erproben ihre Möglichkeiten und ihre Kraft. Ihr Realitätsverständnis scheint noch nicht sehr stark ausgeprägt zu sein, weshalb sie ganz ungezwungen Pläne schmieden und Möglichkeiten antizipieren, die voller Widersprüche stecken. [12] Diese Widersprüche, die von älteren Frauen als Einschränkungen empfunden werden, beeinträchtigen jedoch noch nicht den Forschungsdrang junger Frauen. Im wahrsten Sinne des Wortes glauben Frauen in diesem Lebensstadium, einfach alles haben zu können. Sie können sich nicht vorstellen, daß sich die Tatsache, Mutter von sechs Kindern zu sein, nicht mit dem Beruf einer Astronautin vereinbaren ließe. Sie haben die Gewißheit, daß sie potentiell all die Fähigkeiten in sich bergen, wofür auch immer sie sich entscheiden, wobei sie Möglichkeit gleichsetzen mit Aktualisierung oder Realisierung. Weder wurde sie bisher durch die Außenwelt eingeschränkt, noch mußte die junge Frau darüber hinaus Beschneidungen ihrer Persönlichkeit erleiden. Falls ihr durch ihre Erziehung keine grundlegenden narzißtischen Verletzungen zugefügt wurden, durch die ihre Selbstachtung zerstört wurde, wird sie immer noch von ihrer eigenen Macht überzeugt sein. Wenn sie ein besonders konkurrierendes oder kritisches Elternteil hat, das ihre Versuche der Selbsterforschung und ihren Expansionsdrang ununterbrochen kritisiert, mag sie sich schon sehr früh als ein beschränktes und unfähiges Wesen betrachten. Das erinnert mich an eine Frau, deren Mutter ihr jedesmal, wenn sie sich im Spiegel bewunderte, sagte: »Eines Tages wirst du in der Taille ebenso dick sein wie ich.« Diese kritische und erniedrigende Bemerkung war mehr als nur eine Äußerung über die Figur des jungen Mädchens; im wesentlichen sagte die Mutter: »Du kannst träumen, was du willst, aber die Realität wird dich erdrücken, so wie sie mich erdrückt hat; angesichts der Realität wirst du dir der Grenzen bewußt werden, die du glaubst überschritten zu haben.« Unabhängig von derartigen systematischen Beschädigungen des freien und ungezügelten Selbst wird die junge Frau in diesem Stadium ihres Lebens hartnäckig auf einem bedingungslosen Glauben an ihre eigenen unbegrenzten Möglichkeiten beharren. Diese Entwicklungsphase zur freien und ungezähmten Frau wurde umschrieben als eine Zeit »ungezügelter Wildheit«. [13] Die junge Frau geht viel mehr Risiken ein und ist weitaus mutiger als in anderen Zeiten ihres Lebens. Teilweise ist das dadurch bedingt, daß sie noch nicht mit Einschränkungen und Grenzen, insbesondere den physischen Grenzen, wie Verletzung und Tod, konfrontiert wurde. Eine junge Frau fühlt sich unüberwindbar und frei, die Dinge beim Schopf zu packen und die Welt auf eine Art und Weise zu erforschen, die ihr in einer späteren Zeit ihres Lebens verwegen vorkommen wird. Tatsächlich wollten viele Frauen, die von ihren Abenteuern, die sie als junge Frauen erlebten, erzählten, kaum selbst an ihre Geschichte glauben, als ob sie sich in ihrer momentanen Verfassung nicht mehr vorstellen konnten, in ihrer Jugend so wild und verwegen gewesen zu sein. [14] Diese Zweifel sind oft mit einem gewissen Neid verbunden; die Frau in den mittleren Jahren mag sehr wohl dieses Feuer von Hingabe und Freiheit beneiden, das auch sie als jüngere Frau noch in sich spürte. Es sollte nicht überraschen, wenn sich Frauen in diesem Alter oft zu wilden, starken Dingen, wie z. B. zu Tieren, die wild durch den Wald traben, und zur ungezähmten Natur hingezogen fühlen. [15] In dieser Hinsicht ist es interessant, über Liebesaffären zu spekulieren, die junge Frauen in der Literatur und in Mythen mit wilden Pferden hatten. Die freudianische Interpretation analysiert dieses Interesse als sexuelle Faszination; es scheint jedoch weitaus plausibler, daß junge Frauen von der Kraft, der Freiheit und der scheinbar unzähmbaren Natur dieser Geschöpfe fasziniert sind. Die junge Frau identifiziert sich mit dem entfesselten Sein und sehnt sich danach, sich ebenso frei zu bewegen wie das wilde zügellose Pferd. Beim Erzählen ihrer Lebensgeschichte betrachten viele Frauen die Zeit, in der sie noch jung waren, als ihre authentischste und originärste Zeit, als den Zeitraum in ihrem Leben, in dem sie sich frei fühlten, diejenige zu sein, die sie in Wirklichkeit waren. [16]
Verbindungen in der Lebensphase
der jungen Frau
Während sich Frauen in diesem Entwicklungsstadium vornehmlich auf die Beziehung zu sich selbst konzentrieren, brechen sie jedoch weder den Kontakt zu anderen Menschen noch zu ihrer Kultur ab. Charakteristischerweise reduzieren sich ihre Verbindungen in diesem Stadium ihres Lebens nicht allein auf eine einzelne Person. Da sie sich dagegen gesträubt haben, als Besitz einer anderen Person betrachtet zu werden, könnte man fälschlicherweise vermuten, daß sie »keine Beziehung« haben und allein seien. Dies ist jedoch nicht der Fall, zumal junge Frauen dem moralischen Imperativ verpflichtet sind, sich um ihre Mitmenschen zu sorgen und sich gesellschaftlich zu engagieren. [17] Das Thema der Verbindungen wird bei jungen Frauen häufig auf zwei grundverschiedenen Ebenen wahrgenommen; die größere Gemeinschaft, in der sie sich ungezwungen und wohl fühlen, und ihre persönlichen Familien, mit denen sie sich oft im Konflikt befinden, indem sie darum kämpfen, sich selbst gegenüber treu zu bleiben, während sie ihre Beziehungen aufrechterhalten. Außer ihrer Beziehung zu sich selbst ist für eine junge Frau die Beziehung zur größeren Gemeinschaft, zur Gesellschaft und zu ihrer Umwelt am wichtigsten. Sollte sie einmal von sich selbst absehen, so wird das Nächstliegende nicht ihre eigene Familie sein, mit der sie eine ambivalente Verbindung aufrecht erhält, sondern viel eher die große Familie der Menschheit. Durch ihre Verbundenheit mit allen Menschen und Geschöpfen ist sie besonders sensibel für die Rechte der Unterprivilegierten und den tatsächlich Schwächeren. Die Lebensphase der jungen Frau ist eine Zeit, in der sich Frauen zu Werten, √úberzeugungen und idealistischen Ansichten hingezogen fühlen, indem sie für die Bedürfnisse derjenigen eintreten, die vom Schicksal nicht begünstigt wurden, und indem sie ein offenes Ohr für die Probleme der Umwelt und der größeren sozialen Gemeinschaft haben. Die Frau der Lebensmitte interessiert sich für ihre persönliche und unmittelbare Familie, jüngere Frauen interessieren sich für die große Familie der Menschheit. Eine unbekannte Interpretation der Geschichte der jungen Göttin Persephone weiß von diesem Interesse zu berichten, das junge Frauen der größeren Gemeinschaft entgegenbringen. Die bekannteste Version des Persephone-Mythos erzählt über die Entführung und Vergewaltigung des jungen Mädchens durch den Gott der Unterwelt. Ihre Mutter Demeter trauert über ihren Verlust und bringt Verwüstung über die Erde, bis Persephone in die Welt der Lebenden zurückkehren darf. In der weniger bekannten Version dieser Geschichte entdeckt Persephone die verlorenen Seelen, die scheinbar völlig vernachlässigt umher wandeln, und sie fragt ihre Mutter, wer für die Sorge um die Seelen der Toten verantwortlich ist. [18] Demeter erwidert ihrer Tochter, daß es in ihre Zuständigkeit falle, die Seelen der Toten in die Unterwelt zu begleiten. Da sie aber das Land der Lebenden bevorzuge, habe sie diese Verantwortung vernachlässigt. Persephone bittet daraufhin ihre Mutter, diese Verantwortung übernehmen zu dürfen, die verlorenen Seelen zu begleiten und ein Drittel ihres Lebens in der Unterwelt zu verbringen, um die Toten in die Gesellschaft der Seelen einzuweihen. In dieser Version der Geschichte entscheidet sich Persephone selbst für ihr Schicksal; sie wird nicht entführt, nicht gegen ihren Willen verschleppt. Persephone setzt sich über die Bedürfnisse und Wünsche ihrer Mutter hinweg, um sich den Bedürfnissen der größeren Gesellschaft zuzuwenden. Sie beschäftigt sich nicht ausschließlich mit dem Land der Lebenden, sondern ebenso mit dem Land der Toten, und sie sympathisiert mit denjenigen, die sich dort verirrt haben und ohne Führung umherirren. Diese Verbundenheit mit der größeren Gesellschaft mag eine Erklärung dafür sein, warum so viele junge Frauen freiwillig ihre Zeit opfern und sich verpflichten, denjenigen zu helfen, die auf der Schattenseite des Lebens stehen. Diese Neigung, sich einer größeren Gemeinschaft gegenüber verantwortlich zu fühlen, ließe sich damit erklären, daß junge Frauen viel mehr Zeit haben, sich für derartige freiwillige Unternehmungen zu engagieren als Frauen, die in der Mitte des Lebens stehen und sich um ihren Beruf und ihre Familie kümmern müssen. Ich glaube jedoch, daß dieses Interesse an der größeren Gemeinschaft nicht unbedingt nur eine Frage von Zeit ist; es erklärt sich teilweise aus der Tatsache, daß ihr Platz in der großen Welt ein zentraler Faktor im Selbstverständnis einer jungen Frau ist. Im Gegensatz zu dieser Harmonie und Verbundenheit mit der Weltgemeinschaft fühlen sich junge Frauen in ihrer Beziehung zu ihren unmittelbaren Familien meist unbehaglich. Es scheint für junge Frauen oft mit Anstrengungen verbunden zu sein, ihre familialen Verbindungen aufrechtzuerhalten und sich selbst gegenüber treu zu bleiben.
Josies Geschichte
Josie ist eine junge Frau, die um Selbstbestimmung bemüht ist, während sie ihre Beziehungen mit starken und mächtigen Personen aufrecht erhält. Sie ist sich dessen bewußt, daß sich ihr zerbrechliches, sich entwickelndes Selbst ohne weiteres diesen mächtigen Personen und diesen verführerischen Beziehungen unterwerfen könnte. In jeder ihrer drei wichtigsten Beziehungen - der zu ihrem Vater, zu ihrer Mutter und zu ihrem Freund versucht Josie, eine Bindung aufrechtzuerhalten, während sie gleichzeitig ihre eigene Persönlichkeit und ihr inneres Potential klärt, entwickelt und erforscht. Josies Vater ist ein mächtiger und allseitig gebildeter Mann, dessen Position in der Familie der eines Hausgurus gleichkommt. Josie und ihre Brüder und Schwestern bitten ihren Vater um Rat, und er hält hof in der Familie. Nach dem Abendessen haben die verschiedenen Familienmitglieder mit ihm »Termine vereinbart«, um mit ihm über spezielle Probleme zu diskutieren und für ihre zahlreichen Projekte seine Zustimmung einzuholen. Obwohl Josie ihren Vater schätzt und bewundert, ist ihr bewußt, daß diese Beziehung für eine junge Frau, die im Prozeß der Selbstfindung steht, eine potentielle Gefahr und Verführung darstellt, nicht, weil das von ihrem Vater beabsichtigt wäre, sondern weil ihr eigenes sich entfaltendes Selbst im Verhältnis zu seiner Macht und Selbstsicherheit schwach und verwundbar erscheint. Ihr Vater hat immer dazu ermahnt, »das Richtige zu tun«, eine etwas zweideutige Aussage, die trotzdem seine Kinder geprägt hat. Seine Worte haben den Charakter eines ausdrücklichen Befehls, das Verhalten mit seinen Anforderungen in Einklang zu bringen. Josie weiß, daß ihre Neigung, seinem Anspruch »das Richtige zu tun« nachkommen zu wollen, ihre Versuchung widerspiegelt, Vaters kleines Mädchen zu sein, eine Rolle, der sie sehr widersprüchlich gegenübersteht. Sie wünscht die Liebe und Anerkennung ihres Vaters und möchte mit dieser wichtigen Person in Verbindung bleiben, andererseits möchte sie gleichzeitig auf ihren eigenen Beinen stehen. In gewisser Hinsicht hat sie das Problem mit ihrem Vater durch ihr leidenschaftliches Bekenntnis zu feministischen Fragen, Kämpfen und Werten gelöst. Sie fordert ihren Vater durch Fragen über die Rechte der Frauen heraus, indem sie ihn bittet, seine sexistische Sprache zu ändern und einige seiner Einstellungen und Ansichten über die Frauen im allgemeinen und die Frauen in ihrer Familie im besonderen zu korrigieren. Josie glaubt, es sei ihre Pflicht, ihren Vater und andere Männer aufmerksam zu kritisieren, weil sich die Frauenbewegung in einem »Ausnahmezustand« befände. Ihr Verständnis vom Ausnahmezustand und ihr leidenschaftliches Bekenntnis zu feministischen Werten spiegeln nicht so sehr den Zustand der Frauenbewegung wider als die Wirklichkeit in Josies eigenem Leben. Für sie gibt es in der Tat einen Dringlichkeitszustand, und ihr Bekenntnis zum Feminismus muß eindeutig, unerbittlich und leidenschaftlich sein, weil es ihrem Bekenntnis zu sich selbst gleichkommt. Sie weiß sehr wohl, daß nur ein inbrünstiges Bekenntnis, nur eine kompromißlose Position ihr die Kraft verleiht, den überwältigenden Ansichten ihres Vaters zu widerstehen. Das Verhältnis zu ihrer Mutter ist für Josie eine kompliziertere und schwierigere Angelegenheit. Sie bewundert ihre Mutter sehr und möchte einen großen Teil dessen, wie ihre Mutter gelebt hat, auch in ihrem eigenen Leben verwirklichen. Es imponiert ihr, was ihre Mutter erreicht hat; sie hat ein wunderschönes Zuhause, eine Teilzeitarbeit als Dozentin am Gemeinde-College, arbeitet freiwillig im Rahmen ihrer Kirche in einer Suppenküche für obdachlose Familien, ist Mutter von fünf Kindern und die Ehefrau eines erfolgreichen Geschäftsmannes. Sie weiß jedoch, daß es für sie wichtig ist, kein Abklatsch ihrer Mutter zu werden. Die beiden Frauen haben viele gemeinsame Interessen, und die Art und Weise, wie sich ihre Karrieren entwickelt haben, weist viele Ähnlichkeiten auf. Sie besuchten ähnliche Colleges; sie hatten ähnliche Hauptfächer belegt; und einige der Ziele Josies decken sich mit denen ihrer Mutter. Josie fühlte sich bei dieser Identifizierung mit ihrer Mutter ganz wohl, weil sie glaubt, ihr eigenes Leben auf dem der Mutter aufbauen zu können. Josie betrachtet das Leben ihrer Mutter als Grundstock, dem sie die erweiterten Möglichkeiten einer Frau der neunziger Jahre hinzufügt. Auf diese Weise wird sie ihrer Mutter ähneln, aber gleichfalls eine eigenständige Person bleiben. Sie ist sich jedoch bewußt, daß eine derartige Ergänzung ein Leben voller Aktivitäten zur Folge hat, und sagt scherzhaft: »Kann mir einer mal sagen, wie ich zu einem Achtundvierzig-Stunden-Tag komme? Dann kann ich endlich all das erledigen, was ich mir vorgenommen habe.« Sie weiß, daß sie all dem eine persönliche Note hinzufügen muß, weil es für sie gefährlich wäre, die Einzelheiten des Lebens ihrer Mutter zu kopieren. Sie möchte jedoch die Verbindung und Beziehung zu ihrer Mutter aufrechterhalten, die sie als wertvolle Person zu schätzen weiß und deren Leben ihr ein nützliches und konstruktives Bild darüber vermittelt, wie eine Frau ihr Leben gestalten könnte. Am deutlichsten manifestiert sich die Problematik von Bindung und Autonomie in Josies Beziehung zu ihrem Freund. Josies Freund ist zehn Jahre älter als sie und, wie ihr Vater, ein lebenserfahrener und erfolgreicher Mann. Er weiß, wer er ist, was er will und wie er sein Leben gestalten möchte. Seine diesbezügliche Gewißheit steht im augenfälligen Gegensatz zu Josies Forschungsdrang und Offenheit für zahllose Möglichkeiten und Entscheidungen. Sie ist sich noch nicht sicher, wie sie ihr Leben gestalten möchte, wer sie sein möchte und welche Interessen für sie, im Hinblick auf ihre eigene Geschichte, ausschlaggebend sein werden. Ihre eigene Ungewißheit, die ihrer momentanen Lebensphase durchaus angemessen ist, scheint im Verhältnis zu seiner Gewißheit und Sicherheit bedeutungslos. Aufgrund ihrer Erkenntnis, daß sie ein starkes Maß an Selbstsicherheit besitzen müsse, um eine erfolgreiche Beziehung mit diesem Mann führen zu können, hat Josie sich eine Bedenkzeit ausgebeten und sich freiwillig ins Exil begeben, indem sie vorerst die Beziehung ruhen ließ, um ein Jahr ausschließlich ihrer eigenen Entwicklung und Erforschung von Möglichkeiten nachzugehen, was dieser Phase ihres Lebens durchaus angemessen war. Als sie diesen Mann kennen lernte, hatte Josie geplant, ihr vorletztes Studienjahr in Europa zu absolvieren. Als sie sich verliebte, änderte sie vorerst ihre Pläne, damit sie nicht ein ganzes Jahr von ihrem Freund getrennt wäre. Als sie beschloß, ihrem Vorsatz treu zu bleiben und ihre Pläne, ein Jahr in Europa zu verbringen, voranzutreiben, ersann sie einen Modus, wie sie und ihr Freund öfter zusammenkommen könnten, damit das eine Jahr nicht allzu lang würde. Sowie sie in Europa war, wurde ihr klar, daß sie sich der einmaligen Möglichkeit berauben würde, ein neues Land, eine neue Kultur, eine neue Sprache und ein neues Selbst zu erforschen, wenn sie den Plan, ihren Freund häufiger zu treffen, weiter verfolgen würde. Deshalb bat sie ihn um ein Jahr, das sie nur für sich nutzen wollte. In ihrer Vorstellung ähnelte dieses Jahr einem selbst auferlegten Exil, das ein schöpferischer Künstler benötigt, um aus den bestehenden Zwängen und Erwartungen auszubrechen und das Ich zu befreien, um alle vorhandenen Möglichkeiten erforschen zu können. Indem sie sich dieses eine Jahr zugestand, glaubte Josie ihrem Freund und ebenso sich selbst eine Erklärung zu geben: »Dies bin ich; dies ist mein Bedürfnis; dies ist, was ich will; vielleicht nicht für immer, aber gerade jetzt.« Nicht gebunden durch eine Beziehung mit einer Person, die nicht fähig war, mit ihr das Gefühl von Ehrfurcht und Bewunderung zu teilen, konnte sie sich von all den neuen Dingen, die sie sah, gefangen nehmen lassen. Es war wichtig für Josie, die neuen Orte mit Leuten zu erforschen, die einen ähnlichen Forschungsdrang verspürten. Sie wollte keinen erfahrenen Mentor, der sie an die Hand nahm; sie wollte keinen Führer. Vielmehr wollte sie die Dinge mit neuen Augen sehen und im höchsten Maße aufnahmefähig bleiben für das, was vor ihr lag, ohne es durch die Erfahrung einer anderen Person gefiltert zu bekommen. Sie hatte das Gefühl, sehr viel über sich selbst zu lernen; sie lernte, Dinge zu tun, von denen sie glaubte, daß sie dazu niemals fähig wäre. Sie sagte zum wiederholten Male: »Dies ist >meine< Zeit; >unsere< Zeit wird später kommen.« Josie mußte ihrer eigenen Entwicklung gegenüber der Entwicklung ihrer Beziehung zu ihrem Freund den Vorrang geben. Sie sagte nicht, daß eine Beziehung unwichtig sei, sondern vielmehr, daß sie sich erst selbst entwickeln müsse, um als ebenbürtiger Partner eine Beziehung eingehen zu können. Nun, da sie aus Europa zurückgekehrt ist, haben sie und ihr Freund ihre Beziehung wiederaufgenommen. Josie ist guter Hoffnung, daß es ihr möglich war, ihre wichtigen Beziehungen beizubehalten oder zu modifizieren, während sie ihrer eigenen Entwicklung treu geblieben ist; dennoch waren ihre Bemühungen ständig mit Problemen verbunden, und sie mußte permanent darauf achten, nicht vom Weg abzukommen.
Übergangsstadien in der Lebensphase
der jungen Frau
Kein anderes Übergangsstadium wurde in der westlichen Kultur derartig ritualisiert wie der √úbergang von der Lebensphase der jungen Frau zur Lebensmitte. Formal gesehen, werden junge Frauen bei der Heirat von ihren Vätern weggegeben, eine Handlung, die unter anderem den Schritt in eine neue Lebensphase symbolisiert. Während an einer Ehe eine junge Frau und ein junger Mann gleichermaßen beteiligt sind, ist es der Statuswechsel der jungen Frau, der von ihren Eltern mit soviel Brimborium, wie es die ökonomischen Verhältnisse gestatten, verkündet wird. Wenn sie beschließt, ihre akademische Ausbildung oder berufliche Fortbildung zu vervollständigen, wird ihr √úbergang zu den Verantwortungen und Erwartungen der Lebensmitte durch eine Abschlußzeremonie gekennzeichnet. Dieser erste wesentliche √úbergang im Leben einer Frau hinterläßt oft einen bitter-süßen Geschmack. Obwohl es sich um fröhliche Ereignisse handelt, weinen wir oft bei Hochzeiten und Abschlußfeiern. Frauen verspüren eine gewisse Traurigkeit, wenn sie aus der Lebensphase der jungen Frau heraustreten. Die Zeit der sorglosen Erforschungen ist vorbei, und man muß neue, einschränkende Verantwortungen übernehmen. Beim Wechsel ins nächste Stadium weinen manche Frauen über ihre Jugend, als ob sie sich von einem lieben Freund verabschieden würden. Wenn das √úbergangsstadium besonders schwierig ist, mag die Frau eine Phase tiefgreifender Desorientierung und Zerrissenheit erleben. Die Frau, die sie zukünftig wird, erscheint der Frau, die sie war, fremd. Gewisse formalisierte Kostümierungen in der Lebensmitte der Erwachsenen mögen fremd erscheinen. Wenn z. B. eine neue Tätigkeit oder eine neue Beziehung einen neuen Namen oder Titel erfordert, mag die junge Frau die verwirrende Erfahrung machen, gern wissen zu wollen, um wen es sich denn bei dieser »Dr. Jones« oder dieser »Frau Schmidt« in Wirklichkeit handelt, auf die sich jedermann bezieht. Die Rollen der Lebensmitte mit ihren Uniformen, kritischen Bemerkungen und Erwartungen erscheinen der Frau, die sich ungebunden und frei ganz wohl fühlte, wie eine Falle.
Wenn sie sich zur Zeit des √úbergangs nicht bereit fühlt, ihren Weg fortzusetzen, oder wenn sie besonders stark an ihrem ungezähmten Selbst hängt, mag es ihr vorkommen, als ob sie durch ihre Entwicklung tatsächlich ihr innerstes Wesen tötet oder verrät. In derartigen Fällen wird der Verlust der Jugend von Trauer begleitet sein, indem sie sich für ihre Entwicklung selbst um Vergebung bittet und sich mit der Aufgabe, eine erwachsene Frau zu sein, vertraut macht. Bei anderen Frauen verläuft der √úbergang zur Lebensmitte relativ reibungslos. In manchen Fällen vollzieht sich der Wechsel problemlos, weil sich einige Frauen in der Lebensphase der jungen Frau nie ganz wohl gefühlt haben. Für diese Frauen ist die Jugend nichts weiter als eine Zeit des Wartens. Sie lauern auf den rechten Augenblick, während sie sich ein wenig vorbereiten. Vornehmlich warten sie aber darauf, zur Hauptaufgabe ihres Lebens überzugehen, die für sie im Dasein einer erwachsenen Frau besteht. Solche Frauen verhalten sich wie jemand, der im Menü die Vorspeise ausläßt. Sie vertreiben sich die Zeit mit höflichem Geplauder, während sie auf die Hauptmahlzeit warten. Für diese Frauen gibt es weder Trauer noch Verlust, wenn sie die Lebensphase der jungen Frau verlassen; statt dessen sind sie voller Enthusiasmus und Erwartung; sie haben das Gefühl, letztendlich dem Hauptziel in ihrem Leben näherzukommen. Einige Schriftsteller haben angemerkt, daß der Übergang von der Lebensphase der jungen Frau zur Phase der Lebensmitte heutzutage einen längeren Zeitraum beansprucht als früher. [19] Es ist bei Frauen weitaus stärker verbreitet, diese √úbergangsphase zu verlängern und im Stadium der Vorbereitung und Antizipation zu bleiben, indem sie Entscheidungen bis in ihre Dreißiger verlagern. Diese Verzögerung mag darin begründet sein, daß die Angst der Frauen vor den Aufgaben der Lebensmitte heutzutage zugenommen hat. Der Weg ist nicht so überschaubar wie ehemals, und die Möglichkeiten scheinen sich vermehrt zu haben. Demzufolge haben Frauen oft das Gefühl, daß sie sich für dieses große Unternehmen besser vorbereiten müssen und mehr Zeit benötigen, um sich dieser Aufgabe gewachsen zu fühlen. Für andere Frauen verläuft dieser Übergang in die Lebensmitte reibungslos, weil sie für diesen Wechsel wirklich bereit sind. Sie haben ihre Erforschungen, Vorbereitungen und Antizipationen erfolgreich abgeschlossen und sind nun bereit, den Schritt ins nächste Stadium ihrer Entwicklung zu vollziehen. Eine junge Frau, Tandy, hat solch ein relativ reibungsloses Übergangsstadium durchlaufen.
Tandys Geschichte
Tandy war von ihrer Zeit im College völlig begeistert und liebte es, neue Gebiete, neue Möglichkeiten und neue Studienfächer zu lernen und zu erforschen. Sie nahm sich die Freiheit, zahlreiche verschiedene Beziehungen einzugehen: Sie hatte Beziehungen, in denen sie von der anderen Person völlig absorbiert wurde, und auch solche, in denen sie sich so entfremdet und lustlos fühlte, daß es sie fast langweilte. Sie spielte mit den beiden Extremen des zwischenmenschlichen Kontinuums, indem sie versuchte herauszufinden, was für sie richtig war. Als Studentin öffnete sie sich ihrer inneren Stimme und begann, Gedichte und Kurzgeschichten zu schreiben. Sie sagt, sie hätte in ihrem Geist einen Spielplatz entdeckt, einen Ort, an den sie jederzeit zurückkehren kann und an dem sie niemals wieder allein sein wird. Wenn Tandy diese Zeit ihres Lebens beschreibt, hat man den Eindruck, daß sie sich mit eigener Kraft empor schwang und von allem, was vor ihr lag, angeregt wurde. Vor Beendigung ihrer regulären Studienzeit konzentrierte sich Tandy auf ein Spezialgebiet und bereitete sich vor, das Fachstudium zu absolvieren. Das Gebiet, für das sie sich interessierte, war ein ziemlich begrenzter Bereich innerhalb der englischen Literatur; für Tandy war es ein aufregendes und ergiebiges Thema, mit dem sie sich lebenslang hätte beschäftigen können. Für sie bestand ihre Zukunft aus der Lehre, dem Schreiben, einer Familie und der Erziehung von Kindern; diese Aussichten erregten sie, und nichts stand ihnen im Wege. In dem Moment, als sie sich vorbereitete, das Graduierten-Studium aufzunehmen, geschah etwas, und Tandy beschreibt sich diesbezüglich als eine Person, die »die Bremse gezogen« und ihre eigene Triebkraft zum Stillstand gebracht hätte. Sie sagt: »Ich glaube, ich wurde ein wenig ängstlich. Es war, als ob man surfen lernte und mit jedem Mal ein bißchen besser wird, und ein bißchen besser und ein bißchen besser, und ehe man sich's versieht, läßt man sich auf die großen Wellen ein, und alles geht ganz gut, und plötzlich fühlt man sich ein wenig unbehaglich. Ich komm ganz gut voran, aber ich habe Angst.« Tandys Angst hatte zur Folge, daß sie ihre Pläne im Hinblick auf das Fachstudium änderte. Statt dessen zog sie mit ihrem Freund, der noch sehr stark mit seinem eigenen Forschungsprozeß beschäftigt war, nach New Mexico. Er hatte keinen Job, und er versuchte, Gedichte zu schreiben und sich selbst zu finden. Tandy zog mit ihm zusammen, arbeitete im Büro eines Rechtsanwalts und sorgte fast zwei Jahre lang für ihren gemeinsamen Unterhalt. In einem gewissen Sinne versuchte sie, ein traditionelles Lebensmuster einer Frau zu realisieren.
Sie verwarf ihre eigenen Wünsche und Interessen, um den Mann ihrer Wahl zu unterstützen. Tandy meint, daß ihre Kanäle zu ihrer inneren Stimme in der Zeit, in der sie in New Mexico lebte, verstopft waren. Es war nicht so, daß die Stimme ausgetrocknet oder verschwunden wäre, sondern daß es, wie sie sagte, »zuviel Müll im Kanal« gab, so daß sie nicht eindringen konnte und ihre Stimme nicht durchkam. Bezeichnenderweise ist Tandys Vater Anwalt, und indem sie in einer Kanzlei als gehorsame Sekretärin, d. h. als gute Tochter arbeitete, kehrte sie ebenfalls in eine Rolle zurück, die ihr sehr geläufig war. Sie wußte, wie sie sich als Papas gutes Mädchen zu verhalten hatte und daß dies auf Kosten ihrer eigenen unabhängigen Entwicklung geschah. Am Ende ihrer zweijährigen Arbeit in der Vorhölle, wandte sich Tandy wieder ihrem eigenen Leben zu. Sie bewarb sich nochmals für das Fachstudium und bereitete sich vor, ihre Karriere wieder aufzunehmen. Sie sagt im nachhinein, daß die Zeit, die sie in New Mexico verbrachte, wie eine Geschichte war, die sie bis zum Schluß gelesen hätte, um sie ein für allemal beiseite zu legen. Tandy hatte sich keine Illusionen gemacht, daß ihr Umzug nach New Mexico ein Erfolg werden würde oder daß sie und ihr Freund für immer glücklich geworden wären. Es war fast so, als ob sie diese Geschichte bis zum bitteren Ende auskosten mußte, um sie hinter sich zu bringen. Sie vergleicht es mit der Lektüre der ersten hundert Seiten eines Romans, im klaren Bewußtsein darüber, sich später nicht mehr an diese Geschichte erinnern zu können, geschweige denn, sie überhaupt zu mögen, sich aber dennoch dazu zu zwingen, das Buch bis zum Ende zu lesen. Bevor sie das Fachstudium aufnahm, kehrte Tandy für ein paar Monate in ihr Elternhaus zurück, um sich zu sammeln und gleichzeitig ihren √úbergang von der Phase der jungen Frau zur frühen Lebensmitte zu durchleben.
Sie nahm sich die Zeit, mit ihrer Mutter und ihrem Vater zu sprechen, wobei sie mit beiden fast so etwas wie ein Interview über die Einschränkungen, die diese angesichts des Wechsels von der jugendlichen Erregung zur Lebensmitte erlebt hatten, veranstaltete. Insbesondere wollte sie von ihrer Mutter wissen, ob sie es bedauert hätte, Kinder zu haben.. Ihre Mutter war eine sehr kreative Frau, die, neben der Erziehung der Kinder, einer Karriere nachging. Tandy wollte wissen, ob ihre Mutter durch den Entschluß, eine Familie großzuziehen, ihre Karriere auf eine Art und Weise einschränken mußte, die nicht wiedergutzumachen war. Tandys Mutter versicherte ihr, daß sich Karriere und Familie vereinbaren ließen. Obwohl Tandy weiß, daß es sich bei dieser Art von Rückversicherungen bei ihrer Mutter um nichts anderes handelt als um ihre eigene Beruhigung, ist sie dennoch erleichtert zu erfahren, daß die traditionelle Mutterschaft nicht den totalen Verzicht auf die eigenen unabhängigen Ziele und Wünsche bedeuten müsse. Im Hinblick auf Einschränkungen und Aufgabe von Entscheidungsmöglichkeiten interessiert sich Tandy für die Position ihres Vaters, weil sie sich sehr stark als seine Tochter identifiziert. Sie betrachtet ihren Vater als einen hochbegabten Mann, der ehemals eine Art idealistischer Rebell war, jedoch im Laufe seiner Karriere viele herrschende Werte übernommen hat. Tandy bemüht sich, ihren Vater in Scheinargumente zu verwickeln, um zu sehen, ob es ihr noch möglich wäre, sein altes idealistisches und enthusiastisches Feuer wieder zu entfachen. Wenn ihr Vater darauf eingeht und auf überschwengliche und leidenschaftliche Art antwortet, glaubt sie, ihr Ziel erreicht zu haben. Für Tandy bedeutet dies, daß man tatsächlich in den Strom der Lebensmitte eintauchen kann, ohne die Beziehung zu seinem einmaligen und wahren Selbst aufgeben zu müssen. Tandy weiß, daß sie durch zusätzliche Verantwortungen zwischen den vielen unterschiedlichen Bereichen, in denen sie kreativ tätig ist, ein Gleichgewicht ausjonglieren und Kompromisse schließen muß. Sehr gern möchte sie Mutter werden, und sie ist entschlossen, die Kindererziehung an die erste Stelle zu setzen, wenn es die Situation erfordern sollte. Sie weiß, daß es Zeiten geben wird, in denen ihre Karriere hinter der Kindererziehung rangieren wird. Dennoch ist ihr bewußt, daß sie sich jetzt noch nicht in dieser Situation befindet, und sagt: »Momentan fühle ich mich nicht sehr strapazierfähig, aber das kommt daher, daß ich mich in der Anfangsphase des Rennens befinde. Wahrscheinlich werde ich strapazierfähiger, wenn die Mutterschaft für mich näher rückt.« Tandy verwendet in ihrer Aussage die Metapher eines Rennens. Sie weiß, daß sie am Anfang steht, am Anfang der Lebensmitte, und den √úbergang von der Zeit der Erforschung und Vorbereitung zur Zeit der Entwicklung und Erfüllung hat sie erfolgreich abgeschlossen. Am Anfang wird sie weniger Kompromisse schließen müssen als später, und Tandy weiß, daß sie im Laufe der Zeit andere Prioritäten setzen wird. Sie glaubt, auch dafür bereit zu sein, sowie diese Änderungen eintreten, und daß sie auch darin aufgehen wird. Wenn eine Frau in die zweite Phase ihres Lebens tritt, muß sie sich nicht aller Aspekte der vorherigen Lebensphase entledigen. Es ist in der Tat wünschenswert, daß eine Frau Eigenschaften einer jungen Frau, wie z. B. deren Sinn für Forschung, Neugier und Aufgeschlossenheit für neue Ideen und Möglichkeiten, in die Lebensmitte hinüber nimmt. Nur das Antizipieren und die Vorbereitung muß sie hinter sich lassen. Man kann sein ganzes Leben lang die Zukunft antizipieren und sich auf Ereignisse vorbereiten, die niemals eintreten werden. Es muß jedoch eine Zeit kommen, in der Vorbereitung und Antizipation beiseite gelegt werden, um mit den Aufgaben des Lebens zu beginnen. Die Lebensphase der jungen Frau ist die Zeit des Träumens. Wenn eine Frau träumt, bedient sie sich des Realen und Wahrscheinlichen und fügt unbegrenzte Möglichkeiten hinzu. Was ist oder sein kann, schwingt sich empor durch die zusätzliche Energie dessen, was sein könnte. Die junge Frau phantasiert sich in eine Zukunft, die frei von Zwängen ist. Nach dem Wechsel in die Lebensmitte beginnt eine Frau, in der Welt der Vollendung und der Wirklichkeiten zu leben. Sie muß mit begrenzten und aktuellen Sachverhalten fertig werden, indem sie ihre Träume mit den realen Möglichkeiten in Einklang bringt. Durch diese Einschränkungen entsteht aber auch die Möglichkeit für unverfälschte Kreativität und reale Erfüllung. Kreativität und Erfüllung werden die zentralen Themen in den mittleren Jahren einer Frau.