In einer einmaligen und individuellen Kombination bilden die Themen der Gestaltung, Transformation, Pflege und Erziehung, Erhaltung und des Gleichgewichts den Kern der mittleren Jahre einer Frau. In dieser Zeit schreibt eine Frau an dem Teil ihrer Lebensgeschichte, der im allgemeinen als der Hauptteil bezeichnet wird. Die Ereignisse, die in ihren früheren Jahren vorbereitet, angekündigt und antizipiert wurden, gehen nun in Erfüllung. Die Lebensmitte ist voller kreativer Energie. Es ist die Frau in den mittleren Jahren, die Neues hervorbringt und Dinge entstehen läßt. Sie pflegt und schützt ihre Schöpfungen; gleichzeitig wägt sie ab zwischen den Verpflichtungen gegenüber einer Anzahl von Leuten und verschiedenen Interessen. Die Haupttätigkeit einer Frau während der Lebensmitte ist die Schöpfung. Wenn eine Frau schöpferisch tätig ist, schafft sie aus ihrem Inneren heraus etwas Neues. Ebenso wie eine Spinne das Material für ihr Netz aus dem Inneren ihres Körpers zutage fördert, schöpft die kreative Frau aus ihren inneren Ressourcen, die als zentraler Bestandteil ihres Selbst in die Schaffung von etwas Einmaligem und Neuem einfließen. [1] Oft beinhaltet diese Periode kreativer Aktivität eine Zeit des Keimens und Sprießens. [2] Das, was im wörtlichen oder metaphorischen Sinne schließlich geboren wird, muß sich im Inneren entwickeln und wachsen, bevor es zur Welt kommt. Das augenscheinlichste Beispiel des Keimens ist die neunmonatige Schwangerschaft, in der sich ein Kind entwickelt, bevor es das Licht der Welt erblickt. Wir können uns ebenso gut Situationen vorstellen, in denen im Kopf einer Frau Ideen gefiltert werden, bevor sie diese aufs Papier oder auf die Leinwand überträgt. Gleichermaßen müssen neue Unternehmungen, neue Geschäfte und neue Abenteuer geplant und ausgearbeitet werden, bevor sie tatsächlich gelebt werden können. Wir sind demzufolge oft im Besitz von Kenntnissen über Pflege und Erziehung, die schließlich praktisch umgesetzt werden. Jill, eine Künstlerin, befindet sich gerade in solch einer Schöpfungsphase. Sie hat damit begonnen, ihre Gemälde öffentlich auszustellen, und vergleicht ihre Bereitschaft, sich selbst und ihre Arbeit der Öffentlichkeit vorzustellen, mit dem Reifestadium einer Frucht, bevor diese gegessen werden kann. Sie glaubt an einen persönlichen Reifeprozeß, der der Veräußerung seines Selbst in der Öffentlichkeit vorausgeht. Die Sprache, die Jill verwendet, und die Metaphern, derer sie sich bedient, beziehen sich auf die Schwangerschaft und die Schöpfung. Es ist für Jill sehr wichtig gewesen, daß die Geburt ihrer Gemälde in der Öffentlichkeit stattfand. Sie glaubt, daß die Kunst ihrer wesentlichen Aufgabe, zu lehren und zu erziehen, nicht gerecht wird, wenn sie nicht die Privatsphäre verläßt. Sie betrachtet ihre Gemälde als Medien, um die Menschen über sich selbst und über andere aufzuklären. Ihre Arbeit kreist um die Themen Emotionen und Beziehungen, und sie benutzt ihre Gemälde, um die Menschen mit einigen ihrer tiefsten Geheimnisse, die sie in sich bewahren, zu konfrontieren. Jill sagt: »Kunst ist ein Ventil, um bestimmte Gefühle auszudrücken, trotzdem ist sie keineswegs nur ein Schuttabladeplatz.« Es ist wichtig, daß die Gefühle des Künstlers in kommunizierbare Symbole übersetzt werden, damit andere Personen seine Sprache verstehen. Sie sagt weiter: »Ich möchte, daß andere Leute wissen, was ich weiß, und sehen, was ich sehe. Meine Gemälde sind mein Vermächtnis an die nächste Generation, mein Geschenk an die Kultur, das, was ich in meiner Ausbildung und durch meine Erfahrung gelernt habe.« Die meisten von uns vermitteln die Ansammlung von Wissen und Erfahrung weiter an unsere Kinder. Jill vermittelt ihre Lebenserfahrung über ihre Kunst. Sie sagt: »Da ich keine Kinder habe, sind diese Gemälde meine Kinder. Sie vermitteln an meiner Stelle die Lektionen, die ich lehren möchte.« Diese Tendenz, ihre kreative Arbeit mit ihren Kindern zu vergleichen, ist schon in den Schriften und Arbeiten anderer Künstlerinnen thematisiert worden. Louisa May Alcott schrieb in einem Weihnachtsbrief an ihre Mutter: »Ich habe mein >Erstgeborenes< in Deinen Weihnachtsstrumpf gelegt und weiß, daß Du es mit all seinen Fehlern akzeptieren wirst (weil Großmütter immer nett und freundlich sind) und daß Du es nur als einen Vorgeschmack von dem betrachtest, womit ich mich gerade beschäftige. Da es so viele Anregungen gibt, hoffe ich, im Lauf der Zeit von Märchen und Fabeln zu Menschen und Wirklichkeiten zu gelangen...« [3] Stolz überreicht Alcott ihrer Mutter ihr erstes Buch, als ob es ein Kind wäre. Dies ist ihre Schöpfung, und sie präsentiert sie ihrer Mutter mit all dem Stolz, mit dem eine neue Mutter einer frisch gebackenen Großmutter einen Enkel präsentiert. Die Kraft einer Frau in ihrer Lebensmitte wurde als »Realisierungskraft« bezeichnet. [4] Dies ist die Zeit, in der man aus dem Potentiellen und Möglichen etwas Reales schafft. Ob es sich um den künstlerischen, kulturellen oder biologischen Bereich handelt, die Frau der Lebensmitte gebirt Inhalte, die ihren Ursprung tief in ihr selbst haben. Diese mittlere Phase folgt der Periode der Vorbereitung und Antizipation, die das Leben der jungen Frau charakterisiert. Es ist die Aufgabe der jungen Frau, ihr inneres Potential zu erkennen und zu verstehen. Die Frau in den mittleren Jahren nimmt dieses Potential und aktualisiert oder realisiert es in der Welt. Transformation ist ein anderes Thema der Frauen in den mittleren Jahren. Transformation unterscheidet sich von Schöpfung, weil es voraussetzt, daß bestimmte Dinge schon existieren und daß ihre Natur oder ihr Charakter durch den Einsatz der Frau geändert wird. [5] Es handelt sich z. B. um eine Transformation, wenn man Lammwolle nimmt, diese Wolle spinnt, webt und ein Tuch produziert. Ähnlich verhält es sich, wenn man sich um die Entwicklung eines Kindes kümmert und dazu beiträgt, daß sich das Kind von einem abhängigen Wesen zu einem autonomen, jungen Erwachsenen wandelt. In der Antike war der Prozeß der Transformation eines der großen weiblichen Mysterien. Es war die Fälligkeit einer Frau, die Substanzen eines Charakters oder Typs in Substanzen eines anderen Typs zu verwandeln. Das Gebären und die Produktion von Milch oder Nahrung durch den weiblichen Körper waren primäre Beispiele der Mysterien des Wandels. In den Sagen des Stammes der Keres gibt es ein interessantes Beispiel für die verändernde und schöpferische Frau. [6] Eine Göttin namens Gedanken-Frau läßt, allein durch die Tätigkeit des Denkens, Leben entstehen; sie denkt und singt und erfüllt dadurch die Formen mit Leben. Denkend bringt sie ihre Großfamilie zur Welt und singt ihre Schwestern ins Leben. In diesem Beispiel flößt die Frau bestehenden Formen Energie ein, wodurch diese zum Leben erweckt oder vitalisiert werden, indem deren wahres Wesen oder deren wahre Natur transformiert wird. Diese Verwandlungsarbeit unterscheidet sich von der schöpferischen Tätigkeit, bei der eine Frau etwas aus ihrem Inneren heraus ans Licht der Welt bringt. Bei der Transformation ist das Material bereits vorhanden, und es ist die Aufgabe der Frau, die wesentlichen Eigenschaften dieses Materials in etwas anderes zu verwandeln. Neben der Schöpfung und Transformation engagiert sich eine Frau in ihren mittleren Jahren für die Erhaltung. Sobald ein neues Wesen oder ein neues Sein zur Welt kommt, muß es erhalten und geschützt werden, um sein Leben zu garantieren. Eine Frau in der Lebensmitte ist sich der Zerbrechlichkeit jeder neuen Schöpfung bewußt. Sie achtet darauf, das zu erhalten, was sie zur Welt gebracht hat. Im Pantheon der Hindu wird die Verkörperung der Lebensmitte der göttlichen Dreiheit die »Erhalterin« genannt. [7] Es ist ihre Aufgabe, das zu bewahren, was zur Welt kommt. In ihrer Studie über die Denkweise von Frauen in der mittleren Lebensphase bezeichnet Sara Ruddick »mütterliches« Denken als ein Denken, in dem Bestand und Erhaltung eine wesentliche Rolle spielen. [8] Der bewahrende Aspekt im Wesen einer Frau gibt ihr die Fähigkeit, im buchstäblichen und übertragenen Sinne ihre Arme um schwache Geschöpfe zu legen, um ihnen die erforderliche Unterstützung zukommen zu lassen. Der Akt des Erhaltens kann sich auf jedes Geschöpf und nicht nur auf das biologische Kind einer Frau beziehen. Man kann sich für die Erhaltung der Arten, der Umwelt oder, im größeren Maßstab, für die Erhaltung des gesamten Planeten einsetzen. [9] In diesen Fällen erfolgt keine neue Schöpfung oder dynamische Transformation, vielmehr liegt die Betonung auf der Bewahrung dessen, was schon existiert. Phyllis, eine Geophysikerin und promovierte Geologin, bezeichnet sich selbst als »eine Verwalterin der Erde«. Sie engagiert sich privat und beruflich für den Erhalt des Planeten, indem sie sich für den Schutz des Schwachen und Nützlichen einsetzt. Phyllis verfolgt ihren Wunsch, die Erde zu erhalten, mit aller Leidenschaft und spricht von einem subtilen Gleichgewicht in der Umwelt, wie eine biologische Mutter über die Schwäche ihres Kindes reden würde. Phyllis ist aktives Mitglied der Umweltbewegung und unterrichtet ihre Mitbürger freiwillig in Abendkursen über die Probleme der Umwelt. Für sie ist die Umwelt ein lebender, atmender Organismus, der der gleichen Aufmerksamkeit und Pflege bedarf wie jedes andere Lebewesen, und dies vertritt sie mit aller Leidenschaft. Sie lehnt beispielsweise den Gebrauch von Klimaanlagen ab, weil sie schädlich für die Atmosphäre sind. Das vierte zentrale Thema für Frauen der Lebensmitte ist die Erziehung und Pflege und die Fürsorge. Die Frau mittleren Alters ist eine pflegende Instanz, und zwar nicht nur in ihrer Beziehung zu ihren eigenen Kindern, sondern in allen Beziehungen, in denen sie die Aktivitäten anderer Individuen anleitet, unterstützt und ermutigt. [10] Eine Frau mag einen Garten pflegen oder irgend etwas anderes, das der Fürsorge und Betreuung bedarf. Pflege erfordert tiefste Hingabe und stärkstes Engagement: Man muß sich die Hände schmutzig machen. [11] Im buchstäblichen und metaphorischen Sinne sind Distanz und Pflege unvereinbar. Man kann schöpferisch sein, wenn man auf einem Stuhl sitzt und denkt, ist man jedoch pflegerisch tätig, steht man in einer Wechselbeziehung und muß die Umgebung kontinuierlich miteinbeziehen. Man hat die pflegerischen Aktivitäten als »aufmerksame Liebe« bezeichnet. [12] Bei der Pflege achtet man auf die kleinen Details, auf die kleinen Dinge, die so wichtig bei der wirklichen Fürsorge um eine andere Person oder Situation sind. Diese fürsorgliche Einstellung mag sich ganz persönlich auf die unmittelbare Familie beziehen und, im größeren Maßstab, auf die Gemeinde und die Umwelt. [13] Man kann sich fürsorglich um die Obdachlosen, die auf der Straße leben, kümmern, um die Kranken oder um diejenigen, die irgendwelchen Umständen zum Opfer gefallen sind. Auf der gesellschaftlichen Ebene mag man sich für soziale Belange engagieren, indem man seine Aktivitäten über den engeren Familienkreis hinaus ausdehnt und seine sozialen Energien auf größere Gruppen konzentriert. Einer Frau namens Alice war es trotz ihrer stereotypen, männlichen Karriere als Vollzugsbeamtin möglich, ihr soziales Bewußtsein beizubehalten. In der Mitte ihrer Dreißiger bewarb sie sich als eine der ersten schwarzen Frauen in ihrem Bezirk um die Aufnahme in die Polizei-Akademie. Zu ihrer Überraschung wurde sie angenommen, als sie aber ihre Ausbildung begann, fiel ihr auf, daß ihre Vorgesetzten daran interessiert waren, die einer ethnischen Minderheit zugehörenden Neubewerber auszusieben. Alice nahm sich vor, ihre unkonventionelle Karriere erfolgreich abzuschließen. Als Auszubildende gab man ihr die schwierigsten Streifengänge im Bezirk, um einerseits ihre Fähigkeiten auf die Probe zu stellen, und andererseits, um sie zu entmutigen, weiterhin auf der Akademie zu bleiben. Alice gelang es, ihrer Tätigkeit als Streifenpolizistin erfolgreich nachzugehen, aber nicht, indem sie die übliche männliche Macho-Rolle übernahm. Sie integrierte statt dessen ihr Wissen als Frau und Mutter in ihre Tätigkeit als Polizistin. Sie sagte, daß die männliche Devise in diesem Job folgendermaßen lautete: »Zuschlagen, Tränengas, später die Namen notieren.« Dieser Stil entsprach nicht Alices Einstellung zu ihren Mitmenschen, auch ließ er sich nicht mit ihrer physischen Konstitution vereinbaren. Statt dessen war sie auf ihren Streifengängen bemüht, sich der Probleme der Anwohner ihres Bezirks anzunehmen. Sie nahm sich die Zeit, um sich mit den Müttern über deren Kinder zu unterhalten. Sie ging auf die jungen Männer zu, die an den Straßenecken standen, und versuchte, auf eine persönliche Art auf sie einzugehen. An einem heißen Sommernachmittag kaufte Alice für alle Kinder in der Nachbarschaft Eis und organisierte eine informelle Party im Wohnquartier. Sie wurde von der Gemeinde respektiert und manchmal sogar von deren Bewohnern beschützt. Für einige Frauen im Wohnviertel wurde sie zum Musterfall und schließlich wurde sie in eine ungefährlichere und bessere Position bei der Polizei versetzt. Indem sie Polizistin wurde, lehnte sie das ab, was normalerweise Frauen zugeschrieben wird; dennoch hat sie in ihrem Beruf Aufmerksamkeit und Fürsorge einfließen lassen, was sich nicht nur durch ihren persönlichen Stil erklären läßt, sondern auch durch ihre Eigenschaften als Frau in den mittleren Jahren. Ein entscheidendes Thema für eine Frau in der Lebensmitte ist das Gleichgewicht; sie akzeptiert und respektiert ein harmonisches Verhältnis, ein Gleichgewicht in ihren verschiedenen Verantwortungen, Rollen und Verpflichtungen. Wenn eine junge Frau glaubt, daß alles möglich sei und daß ihren Handlungen keine Einschränkungen auferlegt sind, so wägt und gewichtet die Frau in ihren mittleren Jahren all die Aktivitäten und Möglichkeiten eines Erwachsenenlebens und ist dabei um eine gewisse Harmonie bemüht. Eine Frau in der Lebensmitte muß auf Ausgewogenheit bedacht sein, weil ihre zahlreichen Verantwortungen ein flexibles Rollenverhalten erfordern. [14] Selbst wenn sie ihre Energien in eine einzige Richtung lenkt, wird eine Frau in ihren Dreißigern oder Vierzigern allein deshalb, weil sie länger gelebt, mehr Menschen kennen gelernt und viel mehr Verpflichtungen auf sich genommen hat, notwendigerweise verschiedenartige Rollen und Funktionen ausüben. Diese zahlreichen Verpflichtungen machen es notwendig, daß sie Prioritäten setzt und ins Gleichgewicht bringt. Wenn es Frauen nicht gelingt, ihre Aktivitäten in einem Gleichgewicht zu halten, lassen sie es zu, sich vom Mythos der Super-Frau verführen zu lassen, von dem Glauben, weiterhin alles tun zu können, obwohl ihre Verpflichtungen zugenommen haben. Für die junge Frau ist es ein leichtes, voller überschwenglicher Entscheidungsfreiheiten zu stecken, weil ihre wirklichen Verantwortungen oft sehr begrenzt sind. Wenn eine Frau in der Lebensmitte einer ähnlichen Schrankenlosigkeit nachgibt, werden sich vor ihr bedeutende Schwierigkeiten auftürmen, weil ihre wahren Verantwortungen und Verpflichtungen im allgemeinen enorm zugenommen haben. Sie wird von den Menschen ihrer unmittelbaren Umgebung geprägt, von ihrer Familie, von ihrem Arbeitsplatz und von ihrer Nachbarschaft, gleichzeitig wirkt sie auf dieses gesamte Umfeld zurück. Jeder dieser zwischenmenschlichen Bereiche stellt Anforderungen, auf die sie reagieren muß. Eine derartig geforderte Frau muß auf Gleichgewicht bedacht sein. Eine der Verantwortungen der vielen antiken Mutter-Gottheiten war die Erhaltung des Gleichgewichts, der Harmonie. [15] Es war ihre Aufgabe, die Natur, das Individuum und die größere Gemeinschaft in ein dynamisches Gleichgewicht zu bringen. Glaube an Harmonie und gegenseitiges Geben und Nehmen war Teil im ehemaligen System des Naturrechts. Ein Beispiel sind die Gesetze der Maat, einer antiken Mutter-Gottheit der Ägypter. [16] Männer und Frauen waren verpflichtet, der Göttin Maat das Geständnis zu machen, daß sie von anderen Personen oder von der Umwelt nicht mehr als den ihnen zustehenden Anteil genommen und andere Personen, die Erde, den Boden, die Luft und die Ströme respektiert zu haben. Die Göttin Maat forderte, daß sich Personen in ihrer Auseinandersetzung mit der Welt von einem Gefühl des Gleichgewichts leiten lassen müssen, ihren Platz im Universum erkennen sollten und mit anderen Menschen und den natürlichen Mächten den Zustand der Harmonie anzustreben hätten. Trotz seiner offensichtlichen Wichtigkeit handelt es sich beim Gleichgewicht um ein Thema der Lebensmitte, das häufig übersehen wird. Viele Frauen wissen nicht einmal, wieviel Energie sie verausgaben oder welche Fähigkeiten sie einsetzen, um ihr Leben und das Leben ihrer Familie so reibungslos wie nur möglich zu gestalten. Obwohl sich unsere größeren Lebensdramen auf der Folie von Gleichgewicht und Harmonie abspielen, sind diese keineswegs nur als deren Hintergrund zu betrachten. Wie pünktlich fahrende Züge werden wir uns des Gleichgewichts erst dann bewußt, wenn unser Leben nicht mehr in geordneten Bahnen verläuft. Im Gegensatz zu den meisten Frauen war sich Hope der Bedeutung, die das Gleichgewicht in ihren mittleren Jahren spielte, voll bewußt. In den letzten zwanzig Jahren war sie damit beschäftigt, die Anforderungen von Beruf und Mutterschaft auszubalancieren. Während dieser Zeit hat sie gewußt, daß das Jonglieren und Balancieren mit den zahlreichen Interessen und Verpflichtungen für sie weitaus wichtiger gewesen ist als irgendeiner der einzelnen Bälle, die durch die Luft flogen. Hope ist eine wunderbare Jongleurin, und durch ihre Bemühungen ist es ihr gelungen, ein stabiles und liebevolles Eheleben zu führen, vier Kinder zu erziehen und einer aktiven Teilzeit-Karriere nachzugehen, durch die sie die Familie unterstützen kann und die ihr ein gewisses Maß an beruflicher Befriedigung gibt. Als sie sich für einen Beruf und einen Partner entschied, war sich Hope der Tatsache bewußt, daß ein Teil des Lebens einer Frau in den mittleren Jahren darin besteht, einige unterschiedliche, gleichzeitig ablaufende Aktivitäten ins Gleichgewicht bringen zu müssen, und bei ihren Entscheidungen berücksichtigte sie diesen Balanceakt. Sie erinnert sich der Ermahnung ihrer Mutter, die als Buchhalterin tätig war: Die Karriere einer Frau muß sich mit dem Familienleben vereinbaren lassen. Bei einer früheren Verabredung mit einem Freund beobachtete Hope dessen Mutter, eine talentierte und begabte Frau, deren Karriere sich schlecht mit den Anforderungen der Mutterschaft vereinbaren ließ. Diese Frau sah sich gezwungen, ihre beruflichen Aktivitäten aufzugeben, um den Bedürfnissen ihrer Familie nachzukommen. Hope folgerte daraus, daß eine Karriere flexibel und örtlich ungebunden sein muß, um sich mit den Anforderungen der Mutterschaft vereinbaren zu lassen. Daraus ergab sich, daß sie einige Berufsmöglichkeiten nicht weiter in Betracht zog, z. B. auch Berufe, die sehr wohl ihren besonderen Talenten und intellektuellen Interessen entsprochen hätten. Obwohl Hope sagte, sie hätte sich »Hals über Kopf in den Mann verliebt«, der schließlich ihr Ehemann wurde, bestand eine der wichtigsten Qualitäten, die dieser Mann in die Ehe gebracht hatte, darin, ein hilfsbereiter Vater zu sein, und in seiner Bereitschaft, viele Aufgaben im Familienleben mit ihr zu teilen. Für Hope schien er der ideale Partner beim Mannschafts Jonglieren zu sein. Sie hatte recht: Er hat sich als ein liebevoller und hilfsbereiter Vater bewährt und ist in der Führung des Haushalts und der Erziehung ihrer drei Söhne und ihrer Tochter ein wahrer Partner gewesen. Die mittleren Jahre im Leben einer Frau sind sehr inhaltsreich. Die Frau der Lebensmitte webt die Themen der Schöpfung, Transformation und Erhaltung. In Fürsorge und Pflege wendet sie sich anderen zu und hält all ihre Aktivitäten im Gleichgewicht. Das Volksmärchen vom Kind und der »Sidh« gibt uns ein gutes Beispiel für die Themen der Lebensmitte. [17] Die Geschichte beginnt mit einer jungen Frau, deren Reise über einen Bergpfad führt. Sie wird von ihrem Jungen Sohn, einem noch sehr kleinen Kind, begleitet. Das Kind ist durstig, und die Frau muß ihre eigene Sicherheit aufs Spiel setzen, um etwas zu trinken zu finden. Sie ist darauf bedacht, das Kind zu pflegen und sein Leben zu erhalten. Sie ist eine biologische Mutter, eine Frau, der mütterliche Kreativität nicht fremd ist. Auf ihrer Suche nach Wasser rutscht sie aus, stürzt und wird ohnmächtig. Während ihrer Ohnmacht wird ihr Kind von mächtigen Feen entführt. Als sie aus der Ohnmacht erwacht, ist der erste Gedanke der Jungen Frau, ihr Kind zu retten. Wiederum ist sie damit beschäftigt, sein Leben zu erhalten. Ihr wird erzählt, daß die Chance, ihr Kind lebendig zurückzubekommen, sehr gering ist. Dennoch bleibt sie bei ihrem Entschluß, das Kind wiederzufinden. Während sie wieder langsam zu Kräften kommt, befragt sie die Einwohner des Dorfes, um Informationen und Ratschläge einzuholen, die zur Rettung ihres Kindes führen könnten, und erfährt von einer alten Großmutter des Stammes, daß ihr Baby von mächtigen Feen geraubt wurde. Bei einer alten Frau, dieser Quelle weiblicher Macht und Weisheit, sucht sie Rat. Die junge Frau handelt nicht übereilt; sie nimmt sich Zeit, Informationen zu sammeln, und macht sich mit der wahren Ordnung der Dinge vertraut. Sie wird ihr Kind schon zur rechten Zeit finden. Als sie wieder bei Kräften ist, bricht sie auf in das Land der Feen, um ihr Baby zu suchen. Sie macht die Entdeckung, daß es sich bei den Feen um Wesen handelt, die gierig auf materiellen Besitz sind, aber nicht die Macht besitzen, die Gegenstände ihres Wunsches herzustellen oder zu verwandeln. Als sie davon erfährt, entlockt sie ihrem Gedächtnis die wunderbarsten Traumgebilde und die herrlichsten Dinge. Sie nimmt sich vor, Dinge herzustellen, von denen die Feen derartig bezaubert werden, daß sie ihr das Kind wieder zurückgeben. Sie verwandelt ganz gewöhnliche und alltägliche Dinge in einen schönen Mantel und eine wohlklingende Harfe. Mit diesen Gegenständen sucht sie das Land der Feen auf, um ihr kleines Kind zurückzukaufen. Am Schluß der Geschichte sind die Unternehmungen der jungen Frau von Erfolg gekrönt, und sie kehrt zurück nach Hause, um ein harmonisches und beständiges Leben mit ihrem Sohn zu führen. Diese Frau vereinigt in sich viele Themen einer schöpferischen Frau mittleren Alters. Sie ist eine biologische Mutter; sie ist eine pflegende und fürsorgliche Person; sie sorgt für die Erhaltung des Lebens; sie ersinnt einen klugen Plan, um sich und ihr Kind zu retten; und sie verwandelt Dinge alltäglichen Bedarfs in magische Erfindungen, durch die sie ihr Ziel erreicht. Sie ist in jedem Sinne eine Frau der Lebensmitte.
Typische Frauen der Lebensmitte
Weil die Aktualisierungsmöglichkeiten der Frau der Lebensmitte so zahlreich und unterschiedlich sind, erscheint es sinnvoll, die Geschichte zweier Frauen mittleren Alters wiederzugeben, von denen jede mit recht unterschiedlichen Resultaten aktiv im Leben steht.
Pams Geschichte
Pams Leben ähnelt einem Drehbuch des traditionellen Lebens einer Frau aus der Generation ihrer Mutter. Sie ist die Mutter von fünf Kindern, eine Vollzeit-Hausfrau, und sie arbeitet nicht außerhalb des Hauses, obwohl sie ihr Jurastudium erfolgreich abgeschlossen hat. Pam sagt, daß sie schon immer das Leben führen wollte, das sie momentan lebt. Als sie noch Studentin auf dem College war, wußte sie jedoch, daß diese besondere Lebensentscheidung unter den Frauen ihrer Generation nicht gerade populär war. Als Kind der sechziger Jahre mußte sie diese Pläne in der Tat für sich behalten, weil es für eine junge Frau gesellschaftlich inakzeptabel war, aufzuwachsen und sich für ein Leben zu entscheiden, das dem ihrer Mutter ähnelte. Um den Erwartungen ihrer Generation zu entsprechen, ließ sich Pam ins Jurastudium treiben. Sie wußte, daß sie, zumindest nominell, das Leben einer unabhängigen Karriere-Frau annehmen würde. Für Pam standen zwei Dinge auf der Tagesordnung: Der eine Punkt betraf ausschließlich sie allein, der andere wurde von ihrem Freundeskreis und vom »Zeitgeist« sanktioniert. Eigentlich wollte sie Mutter werden und Kinder großziehen, aber ihre Kultur diktierte ihr, daß es ihr Wunsch zu sein hätte, eine Karriere-Frau zu werden. Interessanterweise fühlten sich die Frauen aus der Generation ihrer Mutter oft vor eine ähnliche Alternative gestellt; bei ihnen handelte es sich jedoch um andere Inhalte. Viele dieser Frauen hatten den persönlichen Wunsch, ein unabhängiges Leben zu führen oder einen Beruf auszuüben. Der herrschende Zeitgeist erforderte aber, daß sie ein Leben als Hausfrau, Mutter und Ehefrau zu führen hatten. Deshalb hinterließen die Selbstdarstellungen vieler Frauen den Eindruck, als ob sie sich unbewußt in die Mutterschaft hätten treiben lassen, eine Entscheidungsmöglichkeit, an der sie kaum beteiligt waren und der gegenüber sie sich verpflichtet fühlten, um den Erwartungen ihrer Zeit zu entsprechen. Bei Pam gab es eine ähnliche dynamische Spannung; der Inhalt war jedoch das genaue Gegenteil. Ihr persönlicher Wunsch war es, Mutter zu werden, ein Elternteil zu sein; sie mußte jedoch ebenso auf die von ihrem gesellschaftlichen Umfeld sanktionierten Werte eingehen. So geschah es, daß sie etwas geistesabwesend in eine Karriere rutschte, wobei sie sich die Option, schließlich das zu wählen, was allein sie für richtig hielt, nämlich Mutter zu werden und Kinder großzuziehen, offen hielt. Es wäre interessant, darüber zu spekulieren, mit welcher Geschwindigkeit sich die kulturellen Normen ändern. Wenn Pam in den fünfziger, statt in den sechziger Jahren groß geworden wäre, wäre es für sie völlig natürlich gewesen, sich für ein Leben zu entscheiden, das dem ihrer Mutter glich. Aufgrund der sozialen und politischen Unruhen, durch die die sechziger Jahre gekennzeichnet waren, kam es für eine Frau nicht in Frage, so werden zu wollen wie ihre Mutter. Die Vorstellungen vom Leben einer erwachsenen Frau wandten sich konsequent ab vom Leben der Mütter und der Eltern und bemühten sich um eine Alternative. Wenn Pam von ihrer Entscheidung erzählt, das renommierte New Yorker Anwaltsbüro zu verlassen, um zu heiraten und eine Familie zu gründen, sagt sie ironischerweise: »Ich habe etwas Unerhörtes getan, etwas, von dem jeder sagen würde, daß ich das als Frau nicht tun dürfe.« Eine Frau, die den Entschluß gefaßt hat, nicht zu heiraten und keine Kinder haben zu wollen, hätte vierzig Jahre früher genau das gleiche gesagt. Im Gegensatz zu anderen Entscheidungen in ihrem Leben war sich Pam über ihren Entschluß, ein Kind haben zu wollen, niemals im unklaren. In einem gewissen Sinne war Pam die Mutterrolle auf den Leib geschrieben. Seit Beginn ihres Sexuallebens wollte Pam ein Baby haben. Tatsächlich hat sie niemals sexuelle Erfahrungen gehabt, ohne diese mit der biologischen Mutterschaft in Verbindung zu bringen. Pam sagt: »Kinder zu haben schien das Natürlichste der Welt zu sein. Ich fühle mich wie eine Bäuerin, die zur Welt gekommen ist, um auf den Feldern zu arbeiten; dies ist deiner Hände Arbeit, dies ist etwas, was du kannst.« Es war für sie eine derartig natürliche Entscheidung, daß sich diesbezüglich wirklich niemals die Frage stellte, ob das alles paßte oder richtig war. Sie schreibt die Leichtigkeit, mit der sie in die Rolle der Mutter geschlüpft ist, der Tatsache zu, daß auch ihre Mutter im Hinblick auf ihre Mutterschaft nicht die geringsten Zweifel hegte. Pam hatte immer das Gefühl, daß ihre Mutter in ihre Rolle als Mutter verliebt war und daß sie dies freiwillig und mit großer Freude tat. Das Bemuttern schien Pam eine natürliche und einer erwachsenen Frau angemessene Tätigkeit zu sein.
Bevor sie ihren Ehemann kennen lernte, hatte Pam Befürchtungen, niemals jemanden zu finden, mit dem sie eine Familie gründen könnte. Sie glaubte, daß sie ohne Kinder und ohne der Gesellschaft der Mütter anzugehören, einer Person gleichkäme, die auf der Straße lebt, wie eine Frau, die von dem, was es bedeutet, eine Frau zu sein, abgeschnitten wäre. Sie fürchtete sich vor diesem Exil und glaubte, an den Rand der Gesellschaft gedrängt zu werden. Pam konnte sich keine andere Alternative vorstellen, ihre Möglichkeiten, Mutter zu werden, anders zu realisieren als über den Status der biologischen Mutter. Wenn sie an die Möglichkeit dachte, in ihrem Leben keine Kinder zu haben, fühlte sie sich aller Hoffnungen beraubt, als ob sie nur eine Zuschauerin wäre, ohne wirklich am Erwachsenenleben teilzunehmen. Als Mutter von fünf Kindern, wovon drei Kinder als Drillinge zur Welt kamen, nimmt Pam an allen Aktivitäten einer erwachsenen Frau teil. Sie fand Gefallen an ihren Schwangerschaften, war aufgeregt und fühlte sich erfüllt von dem neuen Leben, das sich in ihr entwickelte. Für Pam ist die Schwangerschaft ein schöpferischer Akt, und obwohl sie ihre Mutterschaft genießt und gern ihre Kinder großzieht, war ihr die Erfahrung des Gebärens ihrer Kinder sehr wichtig. Sie hätte sich nicht so schöpferisch gefühlt, wenn sie Kinder adoptiert hätte. Als Mutter von kleinen Kindern mochte Pam die direkte Bindung, die zwischen ihr und dem kleinen Kind bestand, und sie fühlte sich erregt, der Mittelpunkt des Universums einer jungen, heranwachsenden Person zu sein. Während ihre Kinder aufwuchsen, war Pam damit beschäftigt, sie zu unterrichten und zu pflegen. Sie nimmt sich die Zeit, mit jedem ihrer fünf Kinder die Hausaufgaben zu machen, und ein großer Teil des Tages und ihrer Aktivitäten zentriert sich um die Entwicklung und das Wachstum dieser jungen Menschen. Sie hat sich in deren Schulleben engagiert, hilft aus im Unterricht und war Vorsitzende der Eltern-Lehrer-Konferenz; zur Zeit bietet sie einen Kurs in politischer Weltkunde in den unteren Klassen der Oberschule an. Es geht Pam nicht ausschließlich darum, ihre eigenen Kinder zu unterrichten, sondern auch darum, daß ein wichtiger Anteil ihrer täglichen Aktivitäten der Ausbildung der nächsten Generation zugute kommt. Wenn sie darüber nachdenkt, was sie machen wird, wenn ihre Kinder älter werden, spielt Pam mit dem Gedanken, selber eine Schule zu gründen. Obwohl sie nicht als Pädagogin ausgebildet wurde, möchte sie weiterhin junge Leute unterrichten und erziehen. Mit einer Familie von fünf Kindern jongliert und wägt Pam Prioritäten ab, und sie ist sehr stolz auf die Tatsache, daß sie es schafft, die Stundenpläne von sechs verschiedenen Personen erfolgreich unter einen Hut zu bekommen. In diesem Sinne ist es beinahe so, als ob sie einen Kleinbetrieb leite, die Bedürfnisse verschiedener Individuen berücksichtigen müsse und Prioritäten zu jonglieren und auszubalancieren habe. Dieses Organisationsgeschick, das für Frauen der Lebensmitte wichtig ist, ist für Pam eine Aktivität, über die sie auch ihr Selbstverständnis definiert. Da ihre älteste Tochter kurz vor der Pubertät steht, ist sich Pam bewußt, daß sie die Verantwortung für die Sozialisierung dieser jungen Frau trägt und ihrer Tochter den Übergang vom Mädchen zur jungen Frau erleichtern muß. Für Pam ist die Mutterschaft Kern ihrer persönlichen Identität. Sie liebt die Bindung, die sie gegenüber ihren Kindern empfindet, und weiß, daß ihre Kinder sie in einer Art und Weise rühren, wie es durch einen Beruf niemals der Fall gewesen wäre. Nach der Geburt ihres ersten Kindes überlegte Pam, zumindest eine Teilzeittätigkeit auszuüben. Als sie aber ihren kleinen Sohn in den Armen hielt, hatte sie nicht mehr das Gefühl, daß noch irgendeine Entscheidung getroffen werden müsse. Sie wußte, daß sie nicht zur Arbeit zurückkehren könne und daß ihrer eigenen Entwicklung und ihrem Selbstbewußtsein am besten damit gedient sei, wenn sie zu Hause bliebe, um ihre Kinder großzuziehen. Aufgrund der besonderen Zusammensetzung der Familie sie hat fünf Kinder, von denen drei als Drillinge geboren wurden - fühlt Pam, daß es etwas Besonderes ist, Mutter dieser besonderen Kinderschar zu sein. Sie ist sich dessen bewußt, daß die Tatsache, Mutter dieser besonderen Familie zu sein, ihren Status innerhalb der Gemeinde verbessert hat, und, ihrer Ansicht nach, dies in einer Zeit, in der die Mutterschaft im allgemeinen als eine Frauenbeschäftigung nicht geschätzt wird. Sie war eine Mutter, die die Aufmerksamkeit auf sich zog, insbesondere wenn sie mit dem Drillingskinderwagen die Straße entlangging. Es war ein besonderer Status, auf den sie stolz war. Pam liebt die besondere Aufmerksamkeit, die ihr aufgrund ihrer vielen Kinder zuteil wird, und es macht ihr Spaß, in die Schule zu gehen und die drei kleinen Kinder aufgeregt auf sich zu rennen zu sehen. Sie hat das Gefühl, etwas mehr als »die Durchschnittsmutter« zu sein.
Robins Geschichte
Robin ist das jüngste Kind einer großen italienischen, katholischen Familie, und sie erinnert sich, wie ihr ihre Mutter sagte, als sie eine junge Frau wurde: »Ich brauche keine Enkelkinder mehr. Mach etwas anderes. Sieh zu, daß du mehr vollbringst.« Robin betrachtete diese Ermahnung ihrer Mutter als eine Ermutigung, all die verschiedenen Entscheidungsmöglichkeiten, die ihr offen standen, zu erforschen. Sie mußte nicht das Leben wiederholen, das ihre Mutter, ihre Großmutter und ihre Tanten geführt hatten, sie durfte vielmehr etwas anderes machen, und alles mit der Billigung und Ermutigung ihrer Mutter. Robin ist akademische Rektorin eines kleinen College und schon fast zwanzig Jahre mit einem Mann verheiratet, den sie als ihren Partner oder Teamgefährten, niemals jedoch als ihren Ehemann bezeichnet. Robin ist sich ganz sicher, daß sie nicht über ihre Rolle als Ehefrau definiert werden möchte und daß sie ihre eigene Identität beibehalten möchte, obwohl sie ihren Mann sehr liebt und sich zu ihrer Beziehung bekennt. Sie erinnert sich, als junge Braut den Gang entlanggelaufen zu sein und Tränen der Angst vergossen zu haben. Sie befürchtete, daß sie aufgrund der Ehe die Erwartungen ihrer Mutter nicht erfüllt hätte, etwas anderes und mehr aus ihrem Leben zu machen. Die Ehe hätte bedeuten können, ihre unabhängige Identität den Bedürfnissen einer anderen Person zu opfern. Bald bemerkte sie jedoch, daß ihr Ehemann ihre Dynamik und ihre Professionalität respektierte und bewunderte und wünschte, daß sie ihre eigene Person sei, ganz so, wie sie es sich vorgestellt hat. In ihrer Position als akademische Rektorin ist Robin für die Ausbildung und Erziehung junger Männer und Frauen verantwortlich. Sie ist immer sehr bewegt, wenn sie mit einer Studentin in Verbindung tritt und wenn sie, wie sie sagt, im Leben dieser jungen Person etwas bewirkt haben sollte. Robin möchte dem College, an dem sie arbeitet, ihren Stempel aufdrücken, obwohl ihre Aussichten eher begrenzt sind. Sie weiß, daß in dieser Organisation eine gewisse Struktur existiert, die respektiert werden muß, und demzufolge sind dem individuellen Wirkungskreis Grenzen gesetzt. Trotz dieser Beschränkungen möchte Robin keine anonyme -Verwaltungsbeamtin sein. Sie ist bemüht, dem intellektuellen Klima des College eine persönliche Note zu geben, damit es aufgrund ihrer Anwesenheit ein angenehmerer Ort wird.
Weil sie verwaltungstechnisch für einen großen Mitarbeiterstab verantwortlich ist, muß Robin oft mit den Prioritäten und Interessen der unterschiedlichsten Leute jonglieren. Sie fühlt sich wie die Mutter einer großen Familie, die den Bedürfnissen und Wünschen ihrer Kinder nachkommen muß. Sie glaubt, es sei wichtig, daß jede einzelne Person das Gefühl hat, etwas Besonderes zu sein. Robin beschäftigt sich mit den Beziehungen zu ihrem Mitarbeiterstab ebenso wie mit der Bewältigung ihrer administrativen Aufgaben. Indem sie sich fürsorglich für ihre Mitarbeiter einsetzt, ist sie bemüht, jeder einzelnen Person das Gefühl zu geben, daß ihr oder sein einmaliger Beitrag gewürdigt wird. Diese pädagogische Aufmerksamkeit ähnelt derjenigen, die Mütter ihren Kindern entgegenbringen. In Robins Fall konzentriert sich jedoch diese Aufmerksamkeit auf die Mitarbeiter und auf die Studenten eines kleinen College. Viele Frauen, die es bevorzugen, ihre Energien der Lebensmitte auf die Umwelt anstatt auf die Familie zu konzentrieren, vergleichen ihre Arbeit mit den Aktivitäten von Müttern. Constance Lytton, eine britische Gefängnisreformerin um die Jahrhundertwende, schrieb in einem Brief an ihre Mutter: »Die in mir verborgene Mutterschaft ist seit Jahren durch das Schicksal der Gefangenen langsam in mir erwacht. Diese vorsätzliche, brutale Grausamkeit, die man ihnen, ihren Seelen und Körpern antut, diese dumme, verbitterte Verschwendung guter Möglichkeiten, wenn man nur an sie denkt. Die Gedanken an sie, die Sehnsucht nach ihnen brennt in mir und zehrt an mir so vital und unbezähmbar, wie nur ein physisches Kind nach seiner Mutter rufen kann.« [18] Robin richtet die gleiche leidenschaftliche Aufmerksamkeit auf ihre Studenten und den Lehrkörper des College, an dem sie arbeitet. Der Entschluß, keine Kinder haben zu wollen, den Robin und ihr Ehemann gefaßt haben, wird von ihrer Familie unterstützt. Sie sagt: »Ich weiß, ich wäre eine gute Mutter, aber ich brauche kein Kind, um das zu beweisen.« Sie ist sich ihrer Fähigkeit bewußt, ein erzieherisches und hilfsbereites Milieu herstellen zu können, weil sie das jeden Tag in ihrer Arbeit mit den Studenten und dem Lehrkörper unter Beweis stellt. Während ihre Familie ihre Entscheidung gutheißt, gerät sie gelegentlich unter Druck durch ihren Freundeskreis, in dem man der Meinung ist, daß entweder mit ihrer Ehe oder mit ihr selbst irgend etwas nicht stimme, weil sie keine Kinder haben möchte. Insbesondere eine ihrer Freundinnen meint, daß sie ihre Prioritäten überdenken und eine Familie gründen müsse. Robin hat das Gefühl, daß sie durch ihre Kinderlosigkeit eine enorme Verantwortung für ihr eigenes Leben übernommen habe. Es gibt keine dritte Person, auf die sie oder ihr Mann sich konzentrieren könnten, um ihrem Leben eine Bedeutung oder Richtung zu geben. Die Entscheidungen, die Robin trifft, sind ihre eigenen Entscheidungen, sie haben weder etwas mit ihren Kindern noch mit ihrer Familie zu tun. Sie weiß, daß sie für das Leben, das sie geführt hat, nur sich selbst Rede und Antwort stehen muß. Sie kann niemanden außer sich selbst verantwortlich machen. Es ist für Robin in einem gewissen Sinne eine Anregung, für ihr eigenes Leben verantwortlich zu sein und als Architekt ihrer eigenen Existenz tätig zu sein. Dennoch ist es etwas beängstigend, und Robin ist sich bewußt, daß es einfacher wäre, wenn sich ein Teil ihrer Entscheidungen über Kinder rationalisieren ließe. Wenn sie sich sagen könnte: »Nun, ich hab' es für meine Kinder getan«, oder »ich hab' es wegen meiner Kinder nicht getan«, könnte sie die Bürde ihrer persönlichen Verantwortung verringern, die durch die Gestaltung ihres eigenen Lebens auf ihr lastet. Die schöpferischste Aufgabe ist für Robin die Gestaltung ihres eigenen Selbst. Ob im Guten oder im Schlechten, sie akzeptiert die Verantwortung für das, was sie ist, und sie kennt ihre Stärken ebenso gut wie ihre Grenzen. Sie bedauert nicht, das Leben zu führen, für das sie sich entschieden hat, und wenn sie auf die Entscheidungen, die sie getroffen hat, zurückblickt, so geschieht das mit Liebe und Sehnsucht, nicht aber mit Bedauern und Wehmut. Sie weiß, daß verschiedene Aktivitäten verschiedenen Lebenszeiten zuzuordnen sind, und obwohl sie ihr Leben als junge Frau genoß, fühlt sie sich in der momentanen Lebensphase ebenso wohl. Robin glaubt, ihr Leben habe einen ganz bestimmten Zweck. Ihren Gedanken über sich selbst haftet etwas Spirituelles und Religiöses an. Sie glaubt, bisher glücklich gewesen und mit einem guten Leben gesegnet worden zu sein, demzufolge fühlt sie sich verpflichtet, ihrer Gemeinde und ihrer Arbeit verbindlich und enthusiastisch mit gleicher Münze zurückzuzahlen. Robin glaubt, sich nicht für einen Weg entschieden zu haben, der von der Mehrheit beschritten wird. Kulturell und familiär gesehen unterscheidet sich ihr Leben von dem ihrer Geschwister und Kusinen. Im Verhältnis zu den anderen Frauen in ihrer Familie, deren Ausbildung mit der Oberschule beendet war und die sich für einen konventionellen Lebenslauf entschieden, indem sie vornehmlich Ehefrauen und Mütter wurden, hat Robin eine bessere Ausbildung, mehr Autonomie und größere Unabhängigkeit. Wenn sie an ihre Zukunft denkt, hat sie Befürchtungen, eine kinderlose, einsame alte Frau zu werden. Wenn sie beobachtet, wie Mütter und Väter ihre jungen Söhne und Töchter zum College bringen, ist es für sie schmerzhaft, aus dieser Gemeinschaft ausgeschlossen zu sein und der Annehmlichkeiten des Familienlebens nicht teilhaftig zu werden. Sie ist sich dennoch bewußt, über ihr Leben sagen zu können: »Ich hab' es auf meine Art getan, und ich habe die Entscheidungen getroffen, die ich für richtig hielt.« Sie weiß aber auch, daß sie durch viele Aktivitäten die Einsamkeit und den Schmerz überbrücken kann, wie z. B. durch die Aufrechterhaltung ihrer Beziehungen zum Freundeskreis und ihr Engagement in der Kirche. Somit hat sie wiederum das Gefühl, ihre Zukunft selber in die Hand nehmen zu können, indem sie entschlossen ist, sich ihr späteres Leben nach eigenem Wunsch zu gestalten.
Beziehungen der Frau mittleren Alters
Frauen in der Lebensmitte sind in ein Netz von Beziehungen verstrickt. Sie kennen weitaus mehr Leute, haben viel mehr Beziehungen als in irgendeiner anderen Phase ihres Lebens. Einige dieser zwischenmenschlichen Beziehungen befriedigen emotionale Bedürfnisse, andere entsprechen konkreten Lebensbedürfnissen, und wiederum andere bestimmen den Platz, den eine Frau in dieser Welt einnimmt. [19] Es dürfte schwer fallen, die mittlere Phase des Lebens einer Frau zu verstehen, ohne auf ihre Beziehungen zu anderen Personen, zu ihrer Gemeinschaft und zu sich selbst einzugehen. In der Diskussion über biologische Mutterschaft haben z. B. einige Autorinnen den damit verbundenen Beziehungsaspekt betont, indem sie darauf hinweisen, daß es sich bei der Mutterschaft vor allen Dingen um eine sich entwickelnde gegenseitige Beziehung zwischen zwei Menschen handelt, und nicht so sehr um eine Institution oder einen Beruf. [20] Wenn wir die Mutterschaft mit jeder anderen Karriere oder Berufstätigkeit gleichstellen, übersehen wir, daß diese in erster Linie Beziehungsqualitäten vermittelt. Dennoch ist für viele Frauen »Mutter« keine Karriere oder Beziehung; es geht vielmehr um die idealisierte Mutter als Image der Frau mittleren Alters, die als Synonym für Normalität gilt und als notwendige Eintrittskarte in die Welt der Erwachsenen. Die Zeit der Lebensmitte ist als »die Zeit der Mutter« bezeichnet worden. Die Aufgabe einer Frau in den mittleren Jahren besteht darin, in sich die Mutter zu entwickeln, [21] und obwohl die Autoren, die sich dieser Terminologie bedienen, beabsichtigen, daß wir Mutterschaft und Muttersein als allumfassende Begriffe betrachten sollten, die den gesamten Bereich der Möglichkeiten einer Frau umfassen, fällt es dennoch schwer, das Wort »Mutter« zu verwenden, ohne an eine biologische Mutter, die ihr Kind pflegt, zu denken. Der Begriff »Mutter« ist derartig stark mit einer Frau in den mittleren Jahren verbunden, daß einige Kulturen alle Frauen als »Mutter« bezeichnen. [22] Eine Frau muß nur ein gewisses Alter erreicht haben und Mitglied des Stammes sein, um als »Mutter« bezeichnet werden zu können. Dieser Begriff bezieht sich nicht auf besondere biologische oder genetische Verbindungen, er deutet nur an, daß sich die Frau in einer besonderen Phase ihres Lebens befindet. Ähnlich wird im Straßenjargon einiger Städte jede erwachsene Frau »Mama« genannt. Dieser Begriff bedeutet nichts Besonderes im Hinblick auf den Status einer Frau als biologische Mutter, vielmehr sind »Mama« oder »Mutter« zu Synonymen für eine erwachsene Frau geworden, so daß die Begriffe austauschbar sind. Dennoch ist die Frau der Lebensmitte nicht einer biologischen Mutter gleichzustellen. Einige Frauen ziehen es vor, keine Kinder zu haben; anderen ist es nicht möglich, Kinder zu bekommen. Einige Frauen, die Kinder haben, ziehen es vor, sich nicht über ihre mütterlichen Beziehungen zu definieren. Für die Frauen, die sich und ihren Erwachsenenstatus über die Fähigkeit, ein Kind haben zu können, definieren, kann die Unmöglichkeit, ein Kind zu bekommen, nicht nur den Verlust einer wichtigen potentiellen Beziehung bedeuten, sondern auch die Zerrüttung ihrer gesamten Entwicklung. Die Unmöglichkeit, ein Kind zu bekommen, hat Jackies Leben stark geprägt. Wie viele andere Frauen ist für sie die Elternschaft eine Vorbedingung des Erwachsenendaseins. [23] Immer ist sie von der Voraussetzung ausgegangen, biologische Mutter zu werden, da sie glaubte, daß die mittlere Phase ihres Lebens erst dann beginnen würde, wenn sie ein Baby bekäme. Paare, denen es nicht möglich ist, Kinder zu bekommen, fühlen sich oft, ebenso wie Jackie, in ihrer Entwicklung zum nächsten Stadium ihres Erwachsenendaseins blockiert. [24] Bevor die Reproduktionstechnik so weit entwickelt ist, unfruchtbaren Paaren helfen zu können, wird sich Jackies Problem auf andere Weise gelöst haben. Dennoch bietet die Technologie Paaren einen mehrjährigen Behandlungszyklus gegen Unfruchtbarkeit an, bevor diese sich dazu entschließen, ein Kind zu adoptieren oder kinderlos zu bleiben. Jackie versucht schon seit mehr als fünf Jahren ein Kind zu bekommen. Jeder neue technologische Fortschritt verschiebt alle ihre Entscheidungen über ihr weiteres Leben. Jackies Unfähigkeit, ein Kind zu bekommen, hat nicht nur ihre Entwicklung blockiert, sondern auch dazu geführt, daß sie in einer Mischung aus Wut und Unzulänglichkeit glaubt, außer Kontrolle zu geraten. Für viele Frauen ist die Unfruchtbarkeit ein starker Schlag für ihre Selbstachtung. [25] Frauen überkommt das Gefühl von Schuld, Scham und Wut, wenn ihnen die Möglichkeiten versperrt sind, die anderen so leicht zugänglich sind. [26] Unfruchtbarkeit ist als eine unsichtbare Behinderung bezeichnet worden, und für Jackie ist es in der Tat eine schwerwiegende Unfähigkeit, die sie mit viel Scham und Unbehagen erträgt. Jackies Lebensplan geriet aus den Fugen, als sie und ihr Mann erfolglos versuchten, ein Kind zu bekommen. Nachdem sie ein Jahr lang bemüht war, schwanger zu werden, befürchtete Jackie, nicht empfangen zu können. Zu dieser Zeit unterzogen sie und ihr Mann sich einer Reihe von Untersuchungen und Behandlungen, die ihre Unfruchtbarkeit »heilen« sollten. Jackies erste Reaktion auf das Problem endete in völliger Verwirrung. Sie konnte einfach nicht verstehen, daß ihre wohl durchdachten Pläne nicht in Erfüllung gingen. »Es gibt kein Baby, und es gibt keine Antwort darauf, warum das so ist. Wir haben unser Leben geplant. Alles, was wir taten, hatte einen bestimmten Grund, und alles nahm einen völlig anderen Verlauf. Dies ist ein Teil der Frustration.« In den letzten fünf Jahren wurden zahlreiche Untersuchungen und Behandlungen durchgeführt - Untersuchungen und Behandlungen, die für Jackie physisch und psychisch schmerzhaft waren. Ihr ganzes Leben ist durcheinander geraten, und es ist ihr unmöglich, sich auf andere Pläne oder Träume zu konzentrieren als auf den, ein Baby haben zu wollen. Einer der schwierigsten Aspekte ihres Problems besteht darin, daß sie sich aus bestimmten wichtigen Freundschaften und Beziehungen ausgeschlossen fühlte. Mutterschaft bedeutete für Jackie nicht nur eine Beziehung zu einem Kind, sie hatte auch die Vorstellung, daß dies die Quelle einer kontinuierlichen Beziehung zu anderen Frauen wäre. Weil Jackie versagt hat, Mutter zu werden, ist ihre Beziehung zu ihrer besten Freundin abgebrochen. Beide Frauen hatten geplant, ihre Familien zur gleichen Zeit zu gründen. Für Jackies Freundin war es kein Problem, ein Kind zu bekommen, und diese Tatsache führte zum Bruch ihrer Freundschaft. Jackie gibt zu, daß sie auf die unkomplizierte Schwangerschaft ihrer Freundin eifersüchtig und neidisch war und daß sie sich darüber hinaus ausgeschlossen fühlte. Man hatte den Eindruck, als ob sich ihre Freundin unbehaglich fühlte, Jackie in Familienereignisse einzubeziehen, fast so, als ob Jackie eine Ausgestoßene wäre, jemand, der nicht mehr zur Gemeinschaft der anderen Frauen gehört. Jackie bekommt immer noch Depressionen, wenn sie von der Schwangerschaft einer ihrer Freundinnen erfährt. Obwohl sie versucht, hilfsbereit zu sein und Interesse zu zeigen, fällt es ihr schwer, das Gefühl der Wut und des Ausgeschlossenseins zu unterdrücken. Besonders verbittert ist Jackie, wenn sie bemerkt, daß andere Frauen ihre Kinder nicht haben wollen oder diese mißhandeln. All dies erscheint ihr derartig unfair, da doch gerade sie, die unbedingt ein Kind haben will und eine gute Mutter wäre, dieser Möglichkeit beraubt wurde. Oft ist Jackie voller Wut, die sich nicht einmal gegen eine besondere Person richtet. Sie sagt: »Es ist, als ob sich eine kosmische Kraft über mich lustig macht.« Sie glaubte, ihr Leben planen zu können; sie glaubte, über ein Quentchen von Kontrolle zu verfügen; aber ihr wurde eine bittere Lektion erteilt; Kontrolle ist in dieser unvoraussagbaren Welt unmöglich. Jackie vergleicht sich mit dem Hamster in einem Rad, der ununterbrochen läuft und läuft, um im Leben voranzukommen, bis das Problem der Schwangerschaft gelöst ist. Jackie weiß, daß sie sich in Wartestellung befindet. Sie weiß nicht, ob sie ein Kind adoptieren soll, und sie ist sich nicht im klaren darüber, wie ihre Karrierepläne auszusehen hätten, wenn sie kinderlos bleiben sollte. Der Wechsel in die Lebensmitte, in die Phase, in der Jackie ihrer bedeutendsten kreativen Aufgabe nachgehen sollte, hat sich verschoben. Nun, da ihr Plan nicht verwirklicht werden konnte, ist Jackie sich nicht sicher, welche Formen ihre Aktivitäten in der Lebensmitte annehmen werden. Sie fühlt sich verwirrt und verloren. Obwohl Jackie und ihr Mann versuchen, ihr Leben in den üblichen Bahnen fortzuführen und Pläne zu schmieden, fällt es ihnen schwer, das Problem der Unfruchtbarkeit zu ignorieren. Vor kurzem haben sie den Entschluß gefaßt, jeden Sonntagabend alles stehen und liegen zu lassen, um Bilanz zu ziehen, ruhig und romantisch miteinander zusammenzusein und sich der Zeiten zu erinnern, als sie noch nicht um jeden Preis ein Kind bekommen wollten. Sie haben auch versucht, öfter in Ferien zu fahren, um diesem Leben, das vom Problem der Unfruchtbarkeit durchtränkt ist, zu entfliehen. Jackie sagte, es wäre wunderbar gewesen, sich für eine Woche davon zumachen, all die ärztlichen Verordnungen, Pläne und Schwangerschaftstabellen hinter sich zu lassen und wieder nur die Gesellschaft des anderen zu genießen. Wenn sie jedoch an ihre Zukunft denkt, sagt sie: »Eine Wand stürzt herab.« Unfruchtbarkeit ist eine Barriere, mit der sie auf keine Art und Weise umgehen kann. Wenn Jackie eine andere Möglichkeit fände, die Themen der Pflege und Kreativität in ihrem Leben zu realisieren, würde sie sich wahrscheinlich weniger blockiert fühlen, um mit den Hauptaufgaben ihrer Lebensmitte fortzufahren. Sowie Frauen ihre Beziehungsidentität mit ihrem unabhängigen Selbstbewußtsein vermischen, laufen sie Gefahr, sich dem Schmerz, der Wut und der Verwirrung, unter denen Jackie zu leiden hat, auszusetzen, wenn diese Beziehungen beendet werden. Wenn man z. B. auf den Gedanken kommt, unbedingt Mutter dieses besonderen Kindes oder Ehefrau dieses besonderen Mannes sein zu wollen, dann mag es zu einer Art Identitätskrise kommen, wenn diese Beziehungen enden. Eine Frau erlitt einen physischen und seelischen Zusammenbruch, als ihr Mann sie nach fünfundzwanzigjähriger Ehe verließ. Die Ehe war für sie lebensbestimmend, und ohne diese fühlte sie sich ebenso verwirrt wie in einer jugendlichen Identitätskrise. Schlimmstenfalls kommt es dazu, daß das Selbst aufhört zu existieren; die persönliche Identität ist zum Synonym für die primäre Bezugsperson geworden. Eine Frau betrachtet sich nicht mehr als eine unabhängige und selbständige Person; sie ist ausschließlich die Ehefrau von X oder die Mutter von jemandem. [27] Oft verwenden wir bei der Bezeichnung einer Frau die Anrede »Mrs.« und fügen dann den Ruf- und Familiennamen des Ehemanns hinzu; der einzige Unterschied zu seinem Namen besteht in dem Buchstaben »s«; ansonsten wird keine selbständige oder unabhängige Identität anerkannt. Frauen wird nicht einmal die Autonomie ihres Rufnamens gewährt. Sie existieren nur als Beziehungsanhängsel ihrer Ehemänner. Obwohl Beziehungen für Frauen in der Lebensmitte gewisse Gefahren in sich bergen, bedeuten sie auch das Versprechen persönlicher Bereicherung und Erfüllung. Auf der Basis wichtiger Beziehungen können Frauen ihren Mut erproben und lernen, wer sie wirklich sind; auch bereiten ihnen die einfachen Beziehungen zu anderen Leuten Freude. Wie schon erwähnt, nehmen bei Frauen die Gelegenheiten für Beziehungen jeder Art in der mittleren Phase ihres Lebens zu. Dies ist teilweise dadurch bedingt, daß sie mit anderen Menschen häufiger in Kontakt treten. [28] Wenn man in die dreißiger oder vierziger Jahre kommt, ist es schon allein dadurch, daß man eine gewisse Anzahl von Jahren hinter sich hat, beinahe ein Kunststück, keine große Anzahl von Beziehungen und Verbindungen zu unterhalten. Gewöhnlicherweise hat man an verschiedenen Arbeitsplätzen gearbeitet und ist an verschiedenen Orten ausgebildet worden. Man hat seine ursprüngliche Familie und vielleicht darüber hinaus eine neue Kernfamilie. Man hat Schwägerinnen und Schwager, Nachbarn und Freunde. Indem man die wesentlichen Ereignisse des Lebens durchläuft die Geburt eines Kindes, den Tod eines Freundes, den Umzug in eine neue Stadt - erweitert und ändert sich der Beziehungskontext. Frauen der Lebensmitte befinden sich auf der Höhe ihres Beziehungslebens. Beziehungen entstehen, indem Frauen ihren Aktivitäten im Leben nachgehen. [29] Man entscheidet sich nicht willkürlich, eine Beziehung einzugehen; vielmehr geht man alltäglichen und oft geringfügigen Aufgaben nach, und im Verlauf dieser sich wiederholenden, kleinen Aktivitäten entsteht eine Bindung zu anderen Individuen. In ihrem Buch Composing a Life betont Mary Bateson die Wichtigkeit dieser alltäglichen, gewöhnlichen Tätigkeiten. Sie behauptet, daß durch diese vertrauten und einfachen Aufgaben, die räumlich und zeitlich begrenzt sind, zwischenmenschliche Kommunikation aufgebaut und verstärkt wird. Diese alltäglichen Aktivitäten ergeben sich im wesentlichen aus der spezifischen Lebensweise der Frau der Lebensmitte, und aus diesen Aktivitäten entwickeln sich Beziehungen. Obwohl es ein leichtes ist festzustellen, daß der wesentliche Teil im Leben einer Hausfrau von Beziehungs- und Fürsorgeproblemen geprägt ist, waren diese Themen am Arbeitsplatz vieler Frauen gleichermaßen höchst aktuell. Eine Frau, Cora, die einen großen Betrieb leitet, beschäftigt sich eingehend mit den »menschlichen« Problemen in ihrem Büro. Sie kümmert sich um Bedürfnisse der Leute in ihrem Betrieb und hat herausgefunden, daß sie als Vorstand der Gesellschafter nicht nur durch finanzielle Überlegungen motiviert wird, sondern ebenso durch ihre Sorge um das Wohlergehen ihrer Mitarbeiter. Eine andere Frau, Dale, gab aufgrund ihrer Bedenken über die Beziehungen in ihrem Betrieb eine sehr erfolgreiche Karriere auf. Während sie ihre Aufgaben erfolgreich bewältigte und in der Hierarchie der Firma aufstieg, fühlte sich Dale in zunehmendem Maße leer und unbefriedigt über Entscheidungen, die ausschließlich auf Profit- und Verlustkalkulationen basierten, ohne die Auswirkungen, die die Firmenpolitik auf das Leben der Mitarbeiter hatte, in Erwägung zu ziehen. Ihre Unzufriedenheit fand ihren Höhepunkt, als sie eines Tages mit ihren Kollegen eine Investitionsstrategie diskutierte, durch die das Leben einiger Mitarbeiter-Familien stark in Mitleidenschaft gezogen worden wäre. Als sie sich leidenschaftlich gegen diese Strategie aussprach, war sie dem Weinen nahe. Es war ihr nicht möglich, ihren männlichen Kollegen klarzumachen, daß das Leben von Menschen wichtiger sei als Profite. Völlig unbeabsichtigt hat Dale ihr fürsorgliches weibliches Selbst entdeckt eine Eigenschaft, die Carol Gilligan und ihre Kolleginnen als »Fürsorge-Orientierung« bezeichneten [30] - und es war ihr nicht mehr möglich, »einer von ihnen« zu sein. Ihr Interesse an den Menschen, den Beziehungen und den menschlichen Auswirkungen von wirtschaftlichen Entscheidungen hatte zur Folge, daß sich Dale von den Männern, mit denen sie zusammenarbeitete, sehr entfremdet fühlte. Für viele Frauen in der Lebensmitte stehen Beziehungsfragen in enger Verbindung zu ihren Verpflichtungen. Während es einer jungen Frau möglich ist, Beziehungen einzugehen, ohne ihre Selbständigkeit aufzugeben und ihre Entscheidungsfreiheiten einzugrenzen, sind die Beziehungen einer Frau der Lebensmitte mit Einschränkungen verbunden. Eine Mutter zu sein oder sein Leben mit einer bestimmten Person zu teilen, vermittelt zwar das Gefühl tiefer Verbundenheit, führt aber zu Einschränkungen der individuellen Möglichkeiten. Oft machen wir die Erfahrung, daß in der Lebensmitte die Verpflichtung ein notwendiger Tribut für fürsorgliche, zuverlässige und langzeitige Beziehungen ist. Ohne Verpflichtungen erhalten unsere Beziehungen den Charakter einer Jugendliebe: Sie sind intensiv, aber oberflächlich, leidenschaftlich, aber von kurzer Dauer. Wichtige Beziehungen können für Frauen eine Voraussetzung für Wachstum und Entwicklung sein. Sie werden nicht nur mit den angenehmen Seiten der Bindung und Fürsorglichkeit konfrontiert, sondern erfahren auch mehr über sich selbst. Aufgrund ihrer zentralen Bedeutung in der Lebensmitte einer Frau sind Beziehungen jedoch mit gewissen Gefahren verbunden. Eine Frau kann sich in ihren primären Beziehungen verlieren, indem sie ihre individuelle und persönliche Identität durch eine Beziehungsidentität ersetzt. Auch können die Verpflichtungen gegenüber ihren Beziehungen die Verpflichtung gegenüber sich selbst überschatten. Obwohl einige Frauen wegen dieser Gefahren vor den Herausforderungen einer Beziehung zurückscheuen, reizt es die meisten, sich wenigstens auf den Versuch, Bindungen in der Lebensmitte zu knüpfen, einzulassen.
Übergangsphasen bei Frauen in der Lebensmitte
Wenn wir den Übergangsprozeß von Frauen in den mittleren Jahren überdenken, sollten wir uns beider Seiten dieses Prozesses vergewissern. Die Lebensmitte ist eine Phase mit einem Anfang und einem Ende. Der Eintritt in die Aktivität der Lebensmitte mag in aller Vorsicht und langsam, kann aber ebenso überstürzt und plötzlich erfolgen. Viele junge Frauen scheinen mit einem mal in die Lebensmitte einzutauchen, indem sie all die Verantwortungen und Aktivitäten einer erwachsenen Frau übernehmen. Wir können davon ausgehen, daß viele junge Mädchen, die schon als Teenager ein Kind bekommen haben, über Nacht vom Stadium der jungen Frau ins Stadium einer Mutter der Lebensmitte katapultiert wurden. Während diese Frauen die Aktivitäten, die Verantwortungen und den äußeren Habitus einer Erwachsenen übernehmen, sind viele von ihnen innerlich Mädchen geblieben, die sich stärker mit der antizipierenden, träumenden und mit Ehrfurcht und Bewunderung in die Zukunft blickenden jungen Frau identifizieren als mit der Frau in der Lebensmitte, die ihre Verantwortungen kennt, ihre Verpflichtungen abwägt und ausbalanciert und in Aktivitäten der Pflege und Fürsorge involviert ist. Ein Teil des Dilemmas, mit dem junge Mütter konfrontiert sind, mag sehr wohl durch den Konflikt zwischen innerem und äußerem Verhalten bedingt sein. Ihre öffentliche Erscheinung mag mit der Phase einer erwachsenen Frau übereinstimmen, ihre psychische Entwicklung bleibt dagegen einer anderen Phase verhaftet. Obwohl sie sich im Alter von vierzig Jahren als Frau der Lebensmitte recht wohl fühlt, hatte Felicia über viele Jahre verfrüht Verantwortungen der Lebensmitte übernommen und fühlte sich wie ein Mädchen, das sich wie eine Frau verhielt. In ihrer Jugend glaubte Felicia den kulturellen Anforderungen vieler schwarzer Mädchen, so schnell wie möglich erwachsen zu werden, entsprechen zu müssen. Obwohl sie ein intaktes und ökonomisch abgesichertes Familienleben hatte, verbrachte Felicia ihre Freizeit mit Kindern, die in Wohlfahrtssiedlungen lebten. Wie sie sagte, trieb sie sich »mit den schlimmsten Leuten, die sie finden konnte« herum, und jedesmal, wenn sie von ihren Eltern wegen ihrer Freunde angesprochen wurde, beschuldigte sie diese des Rassismus. Die meisten Mädchen aus ihrem Freundeskreis, mit denen sie ihre Zeit verbrachte, kamen aus gescheiterten Familien oder waren Kinder allein erziehender Mütter. Diese Mädchen stellten keine Erwartungen an die Zukunft und gingen davon aus, daß ihr Leben ebenso sein werde wie das ihrer Mütter. Felicia erinnert sich, mit sechzehn auf Partys gegangen und von ihren Freundinnen gefragt worden zu sein: »Wann wirst du ein Baby bekommen? Du bist keine Frau, bevor du ein Baby hast.« Zu der Zeit, als Felicia die Abschlußklasse der Oberschule besuchte, hatten die meisten ihrer Freundinnen schon Kinder, und sie selbst wünschte sich, einen Mann zu finden, um ebenfalls schwanger zu werden und dem Club der anderen Mädchen beizutreten. Ihre Eltern hatten aber andere Pläne mit ihr. Sie wollten, daß sie das College besucht, eine Ausbildung erhält und finanziell erfolgreich wird. Es war ein wichtiges Ziel für die Familie, daß sie und ihre Geschwister nicht nur eine akademische Ausbildung erfolgreich abschließen, sondern darüber hinaus auch flnanziellen Erfolg hätten. Trotz dieser Vorstellungen der Familie fühlte sich Felicia stärker zu den kulturellen Anforderungen hingezogen, die sie mit den Mädchen aus der Nachbarschaft teilte. Um eine junge schwarze Frau zu sein, müßte man ein Baby bekommen. Felicia war auf der Oberschule erfolgreich, war aber zum größten Teil von dem gesamten Betrieb enttäuscht. Sie hatte das Gefühl, daß die Lehrer und das pädagogische System gegenüber den schwarzen Kindern in der Nachbarschaft versagt hätten. Wenn Schüler höflich waren, sich gut benahmen und lesen konnten, erhielten sie gute Zensuren, unabhängig davon, ob sie die Schule schwänzten oder ihre Aufgaben erledigten. Felicia sagt, daß sie sich durch die Oberschule treiben ließ und mit einer Durchschnittszensur von drei bis vier ihren Abschluß machte. Felicia kümmerte sich nur sehr wenig um ihr zukünftiges College-Studium und bewarb sich aufs Geratewohl im Sommer nach dem Abitur nur an zwei Universitäten. Obwohl sie eine intelligente und begabte junge Frau war, ließ sich der Universitätsbesuch kaum mit Felicias Plänen vereinbaren. Sie wollte »über Nacht« zur Frau werden, indem sie ein Kind bekommen würde, und nicht durch die Ausbildung und die Vorbereitung auf Aufgaben für das Erwachsenenleben. Im allerletzten Moment und trotz ihrer ambivalenten Einstellung gegenüber dem College wurde Felicia an einer der beiden Universitäten, für die sie sich beworben hatte, mit einem Stipendium angenommen, und sie begann im Herbst ihr Studium, als sie schon drei Monate schwanger war. Felicia war über ihre Schwangerschaft überglücklich. Sie sagte ihren Eltern nichts darüber, bis ihre Mutter davon erfuhr, als sie einen Brief las, den Felicia einer Freundin geschrieben hatte. Ihre Mutter war völlig niedergeschmettert, als sie von der Schwangerschaft erfuhr, und sie bestand darauf, daß Felicia den betreffenden jungen Mann heiraten müsse. Felicia hatte gegen diesen Vorschlag keine besonderen Einwände, und kurz darauf heirateten sie und ihr Freund. Bezeichnenderweise hatte Felicia kein wirkliches Interesse, weder Mutter noch Ehefrau zu sein. Sie war nur daran interessiert, ihre Weiblichkeit unter Beweis gestellt zu haben, und in ihrer Gemeinschaft erfolgte dies durch die Geburt eines Kindes. Darüber hinaus wollte sie sich unbedingt mit den kulturellen Erwartungen der jungen schwarzen Frauen identifizieren, und das bedeutete, schwanger zu werden und sich so schnell wie möglich ins Pseudoerwachsensein zu stürzen. Nachdem Felicias Kind geboren war, übergab sie es dessen Großmüttern, die es gemeinsam erzogen. Innerhalb von drei Monaten war sie wieder schwanger. Dieses Mal war sie aber nicht mehr darüber erfreut, sondern schämte sich, und es war ihr peinlich, sich auf eine zweite Schwangerschaft eingelassen zu haben. Sie frage ihren Ehemann, ob sie abtreiben dürfe, und er lehnte es ab, Zu dieser Zeit benötigte eine Frau die Unterschrift ihres Mannes, um abtreiben zu lassen, und Felicia blieb nichts weiter übrig, als innerhalb von vierzehn Monaten ein zweites Kind auszutragen.
In dieser Zeit geriet Felicia in Verwirrung, und zwar im Hinblick auf ihre Identität als Frau und aufgrund einiger von ihr gefällter Entscheidungen. Sie hatte zwei Babys; dennoch fühlte sie sich immer noch nicht wie eine Frau. Deshalb war Felicia darum bemüht, unabhängig von ihrer Mutterschaft nach anderen Möglichkeiten zu suchen, wie sie zur Frau werden könne. Sie trat an der Universität der Gruppe der Schwarzen Panther bei und wollte von diesen jungen Leuten wissen, wie sie sich als schwarze Frau zu verhalten habe. Innerhalb kurzer Zeit ließen die Führer dieser Gruppe Felicia wissen, daß ihre »Sache« Rechtsanwälte, Ärzte und Wissenschaftler benötige und daß sie ihren Studienschwerpunkt von der Kunst zur Wissenschaft verlagern sollte. Felicia folgte deren Anweisungen wie ein Roboter. Sie hatte niemals besonderes Interesse an der Wissenschaft, war aber bereit, alles zu tun, um von ihrem schwarzen Freundeskreis anerkannt zu werden. Felicia studierte im Hauptfach Physik, und obwohl sie sich um ihre zwei Kinder und ihren etwas verantwortungslosen Ehemann kümmern mußte, schaffte sie den College-Abschluß mit Auszeichnung. Im Alter von zweiundzwanzig Jahren hinterließ sie äußerlich den Eindruck einer erfolgreichen Frau. Sie hatte einen College-Abschluß, war Ehefrau und Mutter zweier Kinder. Innerlich fühlte sie sich jedoch wie die junge Frau, die sie tatsächlich auch war. Sie wollte ihrem Forschungsdrang nachgehen, Möglichkeiten erproben und träumen, nicht jedoch mit den Verantwortungen der Lebensmitte herumjonglieren. Bei einer anderen Gruppe von Frauen erfolgt der Eintritt in die Lebensmitte häufig sehr langsam und verspätet. Die Feministin Betty Friedan hat sich mit einer Gruppe von Frauen beschäftigt, die sehr langsam die Verantwortungen der Lebensmitte übernommen haben. [31] Viele dieser Frauen befürchten, diesen wichtigen Übergang vielleicht zu lange hinausgezögert zu haben. Da die biologische Mutterschaft vom Alter und der physischen Konstitution abhängt, mag ein verspäteter Eintritt in die Aktivitäten der Lebensmitte zur Folge haben, daß gewisse Möglichkeiten zur Realisierung des Prozesses der Lebensmitte nicht mehr zur Disposition stehen. Meist spiegelt der Übergang nach der Entwicklungsphase der Lebensmitte wider, wie eine Frau ihr Leben in ihren mittleren Jahren gestaltet hat. Die Geschichten, die sie sich über sich selbst und über ihr Leben erzählt hat, werden darüber entscheiden, wie sie mit dem Übergang nach der Lebensmitte zurechtkommt. Einige Frauen sind der Ansicht, die Aktivitäten ihrer Lebensmitte beständen aus zwei Teilen: Bemutterung und Arbeit. [32] Für diese Frauen gibt es innerhalb der Lebensmitte eine Übergangsphase. Sie beginnen diese Phase mit der Verwirklichung ihrer Kreativität als biologische Mutter. In ihren frühen Vierzigern erfolgt oft ein Umschwung, wobei sie ihre schöpferische Energie auf andere Bereiche konzentrieren und somit den Übergang von einer bestimmten Art der Verwirklichung von Themen der Lebensmitte zu einer anderen vollziehen. Diese Frauen sind weiterhin schöpferisch engagiert; der Einsatz ihrer Kreativität hat sich von den Kindern auf die Karriere verlagert. Während ihrer gesamten Lebensmitte war Hannah bemüht, die Rolle der Mutter mit ihrer beruflichen Karriere in Einklang zu bringen. Anfangs kümmerte sie sich ganztags um ihre Kinder, dann wurde sie im Laufe der Zeit Mutter und Arbeitnehmerin, wobei die Mutterschaft eindeutig an erster Stelle stand. In ihren späten Dreißigern verlagerte sie die Schwerpunkte, und Hannah wurde eine Frau, die zu Hause ihren Mutterpflichten nachkam, aber ebenfalls einer Karriere nachging, die es ihr ermöglichte, sich auch außerhalb des Hauses zu engagieren. Nachdem ihr Kind das Elternhaus verlassen hatte, um das College zu besuchen, verlagerte sich schließlich nochmals der Schwerpunkt, und Hannah identifizierte sich vornehmlich mit ihrer Rolle als Karriere-Frau. Diese letzte Verlagerung auf die Karriere-Frau veranlaßte Hannah, innerhalb ihrer Lebensmitte einen Übergang zu vollziehen. Kurz nach ihrem vierzigsten Geburtstag begann sie sich zum erstenmal in ihrem Leben hinsichtlich ihrer Pläne unsicher zu fühlen. Ihre Ungewißheit erreichte derartige Dimensionen, daß sie von Ängsten und Phobien geplagt wurde. Zu dieser Zeit entschloß sich Hannah zu einer Psychotherapie, um sich gewissermaßen über den Ursprung einiger dieser ungewöhnlichen und verwirrenden Gefühle Klarheit zu verschaffen. Das Ergebnis der Therapie war, daß Hannah beschloß herauszufinden, ob es eine Möglichkeit gebe, ihre Identität als Mutter anders als über die Erziehung ihrer Kinder zu gewährleisten. Ihr Sohn und ihre Tochter waren groß genug und bedurften nicht mehr ihrer permanenten Aufmerksamkeit und Pflege. Dennoch waren Pflege, Fürsorge und der Wunsch, den Bedürfnissen anderer nachzukommen, für Hannah wichtige Aktivitäten, die schon immer konstituierender Bestandteil ihres Selbst waren. Hannah beschloß, nochmals ein Fachstudium aufzunehmen, um Krankenschwester zu werden, eine Karriere, durch die sie ihre Identität als Mutter außerhalb des Hauses bestätigt bekäme. Für eine andere Frau, Fran, erfolgte der Übergang innerhalb der Lebensmitte in die entgegengesetzte Richtung. Bis zu ihren frühen Vierzigern war Fran eine erfolgreiche Berufsoffizierin beim Militär, die sehr viel Verantwortung zu tragen hatte und großes Prestige genoß. Als ihr angeboten wurde, frühzeitig in den Ruhestand zu treten, beschloß sie, das Militär zu verlassen und ein Kind zu bekommen. Als Mutter konnte Fran ihre pädagogischen und schöpferischen Seiten völlig anders realisieren als in der ersten Hälfte der Lebensmitte. Über die Geburt ihres Kindes sagte Fran: »Ich hatte das Gefühl, eine Frau zu sein, die die wichtigste Arbeit der Welt verrichtet. Es war keine Arbeit, die die Aufmerksamkeit anderer auf sich zieht oder für die man ein Gehalt erhält. Es handelte sich vielmehr um das Wesentliche im Leben, das nur von Frauen geleistet werden kann, und ich fühlte mich so stolz.« Von der Populärpsychologie und Sozialmythologie wird oft behauptet, daß der Übergang aus der Lebensmitte als ein »Leeres-Nest-Syndrom« empfunden wird, da man der Ansicht ist, daß Frauen nach der Lebensphase, die vornehmlich von der Mutterschaft geprägt war, depressiv und desorientiert werden. Tatsächlich scheinen Interviews mit Frauen, die die Phase der Lebensmitte verlassen, darauf hinzudeuten, daß es sich bei dem leeren Nest eher um ein imaginäres Konstrukt handelt, als für diese Frauen einen realen Tatbestand im Übergang von einer Lebensphase zur anderen darzustellen. [33] In der Tat fühlen sich viele Frauen erleichtert, die Bemutterungsjahre, in denen sie sich um andere kümmerten, hinter sich zu lassen. Wir können nur darüber spekulieren, warum das »Leere-Nest-Phänomen« so populär ist, obwohl es die realen Erfahrungen vieler Frauen nicht berücksichtigt. Wenn wir die Frau in ihren mittleren Jahren als eine idealisierte Mutter betrachten, die sich ausschließlich über die Pflege, die Fürsorge und über selbstlose Aktivitäten definiert, können wir davon ausgehen, daß es ihr mit Beendigung dieser Aktivitäten nicht möglich sein wird, zu ihrer Identität zurückzufinden oder den Übergang zu einer anderen bedeutenden Phase ihres Lebens zu vollziehen. Wenn Frauen jedoch andere Identifikationsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und sie diesen idealisierten Vorstellungen von der Mutterschaft nicht allzu stark verhaftet sind, dann könnte man davon ausgehen, daß der Übergang aus den mittleren Jahren und der biologischen Mutterschaft von einigen Frauen eher als eine Herausforderung und Möglichkeit betrachtet wird, als daß dies ein Grund zur Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung wäre. Die besten Beispiele dafür, daß ihre Entwicklung in der Lebensmitte zum Stillstand gekommen ist, entstammen den Geschichten von Frauen, die ihr Potential der Lebensmitte ausschließlich als biologische Mütter genutzt haben. Vielen dieser Frauen fällt es schwer, zu einer ebenso gerechtfertigten, konstruktiven Identifizierung zu gelangen, nachdem die Mutterschaftsjahre beendet sind. Es gibt zahlreiche Beispiele von Frauen, die versuchen, die Mutterschaftsphase zu verewigen oder zu verlängern. Manche Frauen verhindern die Unabhängigkeit ihrer Kinder, nur um ihre Rolle als Mutter beizubehalten. Ich hörte einige Frauen sagen, als man ihnen erzählte, daß ihre Kinder sie eines Tages nicht mehr brauchen werden: »Oh, nein, nicht meine Kinder, meine Kinder werden mich immer brauchen.« Während diese etwas defensive Erwiderung das Problem einer Frau zum Ausdruck bringt, sich eine Zeit vorstellen zu können, in der ihre Kinder eine andere Beziehung zu ihr unterhalten werden, hat eine derartige Aussage aber auch etwas Abschreckendes, weil man sich vorstellen kann, daß eine Frau ihre Kinder oder ein spezielles Kind nicht aus der Abhängigkeit entläßt, um ihre eigene Identifikation mit der biologischen Mutter nicht aufgeben zu müssen. Eine Frau kann ihre Teenagertochter ganz subtil ermutigen, ein Kind zu bekommen, das der Großmutter zur Erziehung übergeben werden kann. Auf diese Art verlängert eine Frau nochmals ihre Identifikation mit der biologischen Mutter. Natürlich können Frauen ihre Zeit als Mutter dadurch verlängern, indem sie ein weiteres Kind bekommen. Es gibt zahlreiche Beispiele von Frauen, die noch in ihren Wechseljahren ein Kind bekommen, ein Kind, das viele Jahre, nachdem dessen Geschwister schon unabhängig geworden sind, zur Welt kommt. Obwohl viele dieser Schwangerschaften nicht geplant und zufällig sind, ist es erstaunlich, wie viele von ihnen allein dem Zweck dienen, das unbewußte Bedürfnis zu befriedigen, die Identifikation mit der Rolle der Mutter fortzusetzen, die einzige, mit der sich so manche Frau wohl fühlte und die ihr Erfüllung brachte. Für Jennifer, die in ihren mittleren Jahren ihre Kinder großzieht, ist die Versuchung, noch ein Kind zu bekommen, sehr stark. Wenn Jennifer darüber nachdenkt, was nach den Jahren der Mutterschaft geschehen wird, taucht vor ihr ein leerer Bildschirm auf. Sie weiß, was sie für ein Leben führen wird, sowie sie Großmutter und in ihren Sechzigern und Siebzigern ist, und daß sie sich in den Aktivitäten der Pflege und Bemutterung wiederum wohlfühlen wird. Sie macht sich jedoch über die Zeit zwischen ihrem fünfundvierzigsten und sechzigsten Lebensjahr Gedanken, weil sie sich nicht vorstellen kann, wie sie mit den Themen Kreativität und Pflege umgehen kann, ohne biologische Mutter zu sein. Es ist interessant, daß Jennifer mit dem Gedanken spielt, noch ein Kind zu bekommen. Sie weiß ihrer Rolle als Mutter gerecht zu werden und den Aktivitäten der erwachsenen Frau nachzukommen, wenn sie ein Kind bemuttert. Ihr ist bewußt, daß sie diesen Zeitraum von fünfzehn Jahren, über den sie sich momentan Gedanken macht, überbrücken könnte, wenn sie jetzt ein weiteres Kind bekäme. Jennifers Dilemma verweist auf die Notwendigkeit, von Images auf Themen überzugehen, wenn wir an das Leben einer Frau denken. Wenn Jennifer ihre mittleren Jahre als eine Zeit des Schöpfens, der Pflege und des Jonglierens betrachten würde, wäre ihr Problem, »Mutter« zu sein, nachdem die Kinder erwachsen sind, gelöst. Sie könnte einfach ihre Fähigkeiten in Bereichen und Aufgaben außerhalb des Hauses einsetzen. Wenn sie sich ausschließlich als »eine Mutter« bezeichnet, begrenzt sie ihre Möglichkeiten in der Lebensmitte und erschwert eindeutig ihren Übergang zur Lebensphase der älteren Frau. Es wurde darauf hingewiesen, daß einer Frau der Übergang von der Lebensmitte zur älteren Lebensphase leichter fällt, wenn sie eine Tochter hat, an die sie einen Teil ihrer Aufgaben delegieren kann, wie z. B. Pflege und Schöpfung, Zuneigung und Fürsorglichkeit. [34] In den mittleren Jahren befindet sich eine Frau auf dem Höhepunkt ihrer schöpferischen, energetischen Kraft, und wenn es ihr gelingen sollte, nicht nur ihre Aufgaben, sondern auch ihr Selbstverständnis als starke Persönlichkeit einer Tochter zu vermitteln, könnte ihr dadurch der Übergang in die nächste Phase ihrer Entwicklung erleichtert Werden. In einem gewissen Sinne hinterläßt sie in dem von ihr erzeugten Körper einen Teil der Kraft und Energie, der in ihr Selbst steckt. Wenn wir in einem etwas allgemeineren Sinne über die Verbindung zwischen einer Generation von Frauen zur nächsten denken, können wir feststellen, wie sogar Frauen, die keine biologischen Töchter haben, mit Vergnügen ihr akkumuliertes Wissen der nächsten Generation von »Töchtern« weitergeben. Die Art und Weise, wie man dieses Lebensstadium verläßt, hängt sehr stark davon ab, wie man diesen Zeitraum durchlebt hat. Je eingeschränkter die Möglichkeiten gewesen sind, desto schwerer mag es sein, in seiner Entwicklung fortzufahren. Je profunder das Verständnis darüber war, was es bedeutet, eine Frau in der Lebensmitte zu sein, umso einfacher mag sich der Übergang in die letzte Lebensphase vollziehen.