»Was rauscht dort durch den Eichenwald,
Was dringt durch die Gebüsche? -
Germania ist es, - bleich und kalt,
Baar aller Lebensfrische.
Wild flattert in der Luft ihr Haar,
Entfärbt sind ihre Wangen,...
Wer hat geschändet so die Maid?
Wer weckte dich zum Streite?
Wer hat befleckt der Unschuld Kleid,
Nun der Verachtung Beute - ...«
Zwei Jahre nach Ausbruch der Revolution, am 16. März 1850, erscheint dieses Gedicht in der »Eßlinger Schnellpost«; verfaßt hat es August Hochberger, der Vorsitzende des Eßlinger Arbeitervereins. Um die Situation im nachrevolutionären Deutschland zu beschreiben, verwendet er die Allegorie der Germania als Sinnbild für den abstrakten Gedanken der deutschen Nation - sie steht für die (1850 verlorene) Hoffnung auf Einheit und Freiheit.
Die Allegorie ist eine Visualisierung des Abstrakten im Konkreten, gewissermaßen eine Verbindung von Geist und Sinnlichkeit, in der Begriffe und Ideen in eine Menschengestalt umgesetzt werden.[1] Diese Personifikationen übergeordneter Prinzipien finden wir sowohl in der Literatur wie in der Denkmalskunst, auch in der politischen Karikatur kommt ihnen eine wichtige Funktion zu. Allegorien werden meistens als Frauen dargestellt;[2] welche Idee eine weibliche Figur verkörpert, ist an ihren Attributen, Emblemen und im Zweifelsfall durch die Hinzufügung eines erläuternden Textes erkennbar.
Die Allegorie ist dem Symbol oder der Symbolfigur ähnlich,[3] unterscheidet sich jedoch von diesen durch ihren höheren Grad an Abstraktion. Im Gegensatz zur Germania hat z.B. der deutsche Michel als symbolischer Repräsentant des deutschen Volkes einen sehr viel stärkeren Realitätsbezug, mit ihm sind konkrete politische Handlungen verbunden. Das Verhältnis von Allegorie zur Symbolfigur ist grob gesprochen das Verhältnis von übergeordnetem abstraktem Begriff zum konkreten Leben. Diese Relation ist immerhin einer ironischen Bemerkung wert: Der Allegorie als weiblichem Wesen wird die Abstraktion zugeordnet, die ansonsten dem Männlichen vorbehalten ist, während die Symbolfigur des Michel Eigenschaften und Verhaltensweisen des Deutschen zum Ausdruck bringt, die sehr oft negativ und dümmlich angelegt sind.[4] Es handelt sich also um eine Umkehr der geschlechtsspezifischen Rollen. Bei genauerer Betrachtung von Einzeldarstellungen muß man jedoch feststellen, daß die Allegorie als weibliche Figur mit den von Männern verbreiteten Mustern von Weiblichkeit übereinstimmt, sie ist Spiegelbild des bürgerlichen Frauenideals.
Germania ist in der politischen Bewegung 1848/49 als Leitbild präsent. Sie taucht aber nicht nur als >Kunstprodukt< auf, sondern wird auch im Rahmen nationaler Festakte von Frauen als >tableau vivant< gespielt [5] - sie ist ein Bild, mit dem die Menschen damals konkret umgehen. Wie sehr Germania auch in den politischen Alltag eingebunden ist, bezeugt die Tatsache, daß 1848 ein Germania-Bild in der Frankfurter Paulskirche, dem Sitz der Nationalversammlung, hängt.[6]
In der Karikatur allerdings wird die Allegorie der Germania durch ihre verzerrte Vermenschlichung ihrer höheren > Weihen< beraubt und für den politischen Alltag trivialisiert. Ihre tendenzielle politische Verwendung führt zu einer Differenzierung des klassischen Germaniabildes - der Freiraum an Darstellungsmöglichkeiten reicht von der >hehren< und glorifizierten Figur bis hin zur heruntergekommenen Alten. In der nationalpolitischen Karikatur ist die Allegorie somit ein unverzichtbares Ausdrucksmittel, das je nach Grad der politischen Entwicklung unterschiedlich eingesetzt wird.
Die Karikatur ist seit ihrem Entstehen [7] eng mit sozialen und politischen Auseinandersetzungen verbunden und erreicht im Zusammenhang mit der nationalen Bewegung im 19. Jahrhundert ihren Höhepunkt hinsichtlich Qualität und auch Quantität. Ihre Wirkungsmöglichkeit wird in Verbindung mit dem Massenkommunikationsmittel Zeitung [8] enorm gesteigert - dementsprechend erscheinen in dieser Zeit viele politisch-satirische Zeitschriften, deren Gründungsdaten häufig mit revolutionären Ereignissen zusammenhängen.[9] Auch in den Jahren 1848/49 wird die Karikatur zu einem wichtigen Medium der politischen Auseinandersetzung und wird von demokratischer Seite ebenso verwendet wie von der Reaktion. Ihr übertreibender und zuspitzender Charakter erlaubt, die in dieser Zeit angelegten Gegensätze zu veranschaulichen und pointiert herauszuarbeiten. Indem die Karikatur die Ereignisse der Revolution kommentiert, politische Positionen auf den Punkt bringt, ist die Karikatur eine aktive, kämpfende Kunst.[10]
In den politischen Karikaturen des Vormärz und der Revolution dokumentieren sich gruppenspezifische Ideen und politische Positionen, aber natürlich auch das Verhältnis einer Gruppe zu ihren politischen Gegnern; durch ihre Bestätigungsfunktion erfüllen sie einen gruppendynamischen Zweck und tragen zum inneren Zusammenhalt einzelner politischer Gruppen bei. Zugleich reflektieren sie gesellschaftliche Strukturen und Normierungen - dies gilt auch für das Verständnis der Rolle der Frau in einer männlich geprägten Gesellschaft.
Die folgende Untersuchung der allegorischen Darstellung der Frau in der Karikatur konzentriert sich auf die württembergische Wochenzeitschrift »Eulenspiegel«, ein politisch-satirisches Blatt, das in den Jahren 1848-1850 von Ludwig Pfau [11] in Stuttgart mitherausgegeben wurde, und für dessen Illustrationen Jacob Nisle verantwortlich war.
Die Zeichnungen im »Eulenspiegel« sind nicht so raffiniert und bestechend wie die damals künstlerischen Hochformen der Karikatur, auf den heutigen Betrachter wirken sie sogar plump und unbeholfen. Im pietistischen Württemberg besitzt die karikaturale Illustration keine künstlerische Tradition; in den damaligen Kunstmetropolen Berlin, München und Düsseldorf dagegen lassen die kulturellen Rahmenbedingungen und der französische Einfluß ein weltoffeneres Klima entstehen, das die Entwicklung dieses Typs des Visual-Journalismus begünstigt.[12] Dort wird die Karikatur als Kunstform sehr viel breiter kulturell genutzt, sie ist in ihrer ästhetischen Qualität fortgeschrittener. Bedenkt man, daß Honore Daumier im gleichen Zeitraum in Frankreich mit Hilfe der Lithographie in ganz neue Dimensionen der graphischen Darstellung vorstößt, erscheinen die württembergischen Karikaturen rückständig [13] - so verwenden die Herausgeber des »Eulenspiegel« z.B. noch die »veraltete« Holzstichtechnik. Formal-qualitative Betrachtungen bleiben daher bei der folgenden Untersuchung allegorischer Frauendarstellungen weitgehend außer Acht.
Frauen tauchen bereits im programmatisch zu verstehenden Titelkopf des »Eulenspiegel« auf. Die Narrenfigur hält einer Reihe von Personen den Spiegel vors Gesicht. Es sind vorwiegend Männer, die stellvertretend für staatstragende Berufsgruppen und Stände stehen, wie die Bürokraten und Schreiber, die Geistlichen, die Justiz, den höfischen Adel, das Militär, die Fürsten und Könige. Unter diesen elf klar gezeichneten Männern befinden sich zwei Frauen: Eine von ihnen verschwindet fast in der Masse, die andere steht in der ersten Reihe, wodurch sie besonders hervorgehoben wird; sie rauft sich die Haare und schreit mit weit aufgerissenem Mund. Ihre Zeichnung enthält gewisse Parallelen zum klassischen Bild der Furien, die als Rachegöttinnen ja zugleich >Hüterinnen der sozialen Ordnung< waren. Sehr häufig wird die Furie auch als Allegorie der Angst verwendet. In diesem Sinnzusammenhang erscheint die Frau als Pendant zum männlichen Bild des »Heulers«, wie die ängstlichen Konservativen in der Revolution genannt wurden (Laterne 8.5.49). Inmitten der die Reaktion repräsentierenden Männer verkörpert sie mit ihren angstverzerrten Gesichtszügen die politische Einstellung eines Teils des württembergischen Bürgertums. Indem sie besonders häßlich und abstoßend dargestellt wird, ist sie zugleich eine Karikatur des weiblichen Geschlechts.
Germania als alte Vettel
Bei den Germaniadarstellungen nutzen die Karikaturisten den Spielraum, der durch den Zusammenhang zwischen Allegorie und Frauengestalt gegeben ist. Im Unterschied zur überhöhenden und idealisierenden Darstellung der Germania in der repräsentativen Denkmalskunst der Gründerjahre wird sie in der Karikatur parallel zum politischen Zustand der Nation in den verschiedensten Lebensphasen dargestellt. In der Übergangszeit vom Vormärz zur Revolution taucht sie im »Eulenspiegel« in der Regel als alte Vettel auf. Die vor sich hinsiechende, runzlige Alte oder das mächtige fette Weib verkörpern in ihrer Mißgestalt das reaktionäre System des Deutschen Bundes und die Schwerfälligkeit der nationalen Bewegung. Germania ist also in der politischen Karikatur der Vormärzzeit eine Antifigur. Die stereotypen Negativmuster und Klischees der häßlichen, gebrechlichen Alten erfahren ihre Modifikation in der Darstellung der groben, tyrannischen Raben-und der bösen Stiefmutter.
Ende Januar 1848 wird in der Karikatur mit der Überschrift »Allzu viel ist ungesund« eine alte, ausgemergelte Frauengestalt mit hexenartigen Gesichtszügen gezeigt. Sie hält in ihren hageren Händen eine dampfende Tasse, auf einem Tisch daneben häufen sich Medikamente.
Daß es sich um die Allegorie der Germania handelt, läßt sich an ihrer Schärpe mit der Aufschrift »Germania« und an dem Eichenlaubkranz erkennen. Ihre üblichen Attribute Helm, Schild mit dem Emblem des Reichsadlers und Schwert liegen achtlos am Boden; ihr Helm dient einer Katze und deren Jungen als Nest. Germania ist hier keine strahlende Figur, sondern eine resignierte, offensichtlich kranke, an »Auszehrung« leidende Alte. Die Medikamente »Hoffnungstropfen«, »Einheitssurrogat« sowie »freies teut-sches Rheinwasser« und »Dombaupulver« — die beiden letzten beziehen sich auf die Rheinlandkrise 1840 und das Dornbaufest 1842 in Köln - stehen für das Scheitern der Nationalbewegung im Vormärz und machen deutlich, daß Nationalfeiern symbolische Ersatzhandlungen, aber keine politische Lösung sind. Wie aus dem Text hervorgeht, bewirkt der »Eichelkaffee« als nationaler Stärkungstrank so wenig wie die übrigen Arzneimittel. Die bewußt karikierte Form der Germania als kränkelnde Alte symbolisiert hier nicht die große vaterländische Idee und Fiktion der deutschen Einheit, sondern verkörpert den desolaten Zustand des zersplitterten Deutschlands. »Publicus« als Repräsentant der bürgerlichen Öffentlichkeit und Michel als Symbolfigur der Bevölkerung stehen der Krankheit Germanias hilflos gegenüber, obwohl sie deren Ursachen kennen: Germania hat 32 Ärzte, d.h. 32 deutsche Regenten, unter deren Behandlung sie leidet. Eine Rezeptur im Sinne einer konkreten politischen Veränderung kann und mag der »Eulenspiegel« unter den Bedingungen der Vormärz-Zensur nicht geben. Der Platz bleibt leer, eine beliebte Technik, der Zensur ein Schnippchen zu schlagen und nicht zu sagen, was ohnehin alle denken.
Ebenfalls noch kurz vor der Revolution, am 26.2.1848, erscheint die Karikatur »Eile mit Weile«. Sie zeigt Michel als Toten im Sarg. Vor ihm steht Germania als häßliche, vulgär wirkende Frauengestalt, die auch hier wieder den Deutschen Bund verkörpert.
Mit der Rute als Züchtigungsmittel und dem Schlüssel, dem Zeichen für die Macht im Haus, ist sie Sinnbild autokratischer Staatsgewalt. Auch die Krone über der Frauenhaube und der zepterähnliche Insignienstab in ihrer linken Hand machen sie als Repräsentantin absolutistischer Herrschaft kenntlich. Die Karikatur bezieht sich auf ein bereits seit 1842 in zahlreichen Variationen verbreitetes Gedicht, dessen Inhalt satirisch durch die Illustration reflektiert wird. Die massige Alte reicht dem bereits toten Michel einen Laib Brot, der die Aufschrift »politisches Leben« trägt. Die einzelnen Brote im Korb der Alten stehen für die in der Restaurationszeit unterdrückten politischen Rechte wie z.B. »Preßfreiheit«, »Associationsrecht«, »Volksbildung«. Die Karikatur parallelisiert die Hungersnot des Jahres 1847 mit der Entbehrung politischer Freiheit. Das Korn, das zu Brot verbacken, allerdings zuerst gedroschen werden soll, repräsentiert die Stützen des alten Systems: die »Pfaffen«, die »Polizeimacht«, »Bürokratie«, »stehendes Heer«. Diese im Februar, wenige Tage nach Beginn der Revolution in Frankreich erscheinende Karikatur spielt auf die Agonie der politischen Bewegung in Deutschland an, denn bis das Korn gedroschen, gemahlen und gebacken war, war das Kind, d.h. der deutsche Michel, verstorben. Dennoch signalisiert diese Karikatur den bevorstehenden politischen Umschwung und die dadurch erhofften politischen Rechte. Um die Kritik am absolutistischen und bürokratischen Polizeiregime zu unterstreichen, hat der Karikaturist ganz bewußt Germania als eine vulgäre, eher dem niederen Stand angehörende >Weibsperson< gezeichnet.
Das Bild der häßlichen, die staatliche Repression verkörpernden Alten hält sich noch bis in die ersten Wochen der Revolution. Die Karikatur »Das Neueste!« vom 4.3.1848 nimmt direkt Bezug auf die Revolutionsnachrichten aus Frankreich. Dieselbe resolute Alte droht Michel, der vom Krähen des gallischen Hahns aufgewacht ist, nun mit der Rute. Die Unmündigkeit des Michels und die Dominanz der Frauenfigur [14] wird dadurch unterstrichen, daß Michel, obwohl erwachsen, in einer viel zu kleinen Wiege liegt. Der Karikaturist verwendet auch hier wieder eine ins Negative gewendete Mutterfigur, die Stiefmutter, die vor allem im Bereich der Literatur und der Märchen das Böse verkörpert. Die absolutistische Staatsgewalt wird in diesen Karikaturen mit der Erziehungsgewalt gleichgesetzt. In ihnen wird interessanterweise nicht dem Mann die Staatsmacht zugeordnet- etwa verkörpert durch Polizei oder Militär -, sondern der strafenden Frau.
Allegorien als Sinnbild der demokratischen Bewegung
Es fällt auf, daß während der Revolutionszeit im »Eulenspiegel« keine Germania
darstellungen verwendet werden. An ihre Stelle treten Frauenallegorien, die kon
krete demokratische Forderungen verkörpern. Im Gegensatz zur alten Vettel Ger- \
mania des Vormärz sind diese Frauenfiguren sehr viel jünger und mit klassischer
Würde gezeichnet.
Mehrere Monate nach Ausbruch der Revolution, am 19.8.1848, veröffentlicht der »Eulenspiegel« eine Karikatur, in der die Allegorie des Vertrauens dargestellt wird. Sie stützt sich auf einen Schild, der zwei einander umschließende Hände als Emblem aufweist, das Zeichen der Arbeiterverbrüderung. Durch die attributive Zuordnung des Schildes wird die klassizistisch gekleidete Frau als Allegorie erkennbar. Ihr sind folgende Symbole beigegeben: Das Füllhorn für Überfluß, Hammer, Zirkel und Winkelmesser als Darstellungen für Handwerk und Wissenschaft, die Waage als Sinnbild des Rechts, Schiff und Anker als Zeichen der Hoffnung. Sie selbst sitzt auf einer mit Schätzen gefüllten Truhe. Bezeichnenderweise sind Füllhorn und Waage mit Spinnweben versehen - eine Anspielung auf die damalige wirtschaftliche Krise und ein Hinweis darauf, daß daraus schon längere Zeit kein Reichtum mehr geflossen und die Gerechtigkeit abhanden gekommen ist. Gegenüber der Frau steht der deutsche Michel in einer bittenden Haltung; er hält seine Mütze in der Hand und fragt die Allegorie, also das Vertrauen, wann sie »inmitten des deutschen Volkes zu sehen sein werde«. Um zu kennzeichnen, wo der Repräsentant des deutschen Volkes steht, sind auf seiner Seite die Insignien fürstlicher und königlicher Macht wie Krone, Reichsapfel und Zepter angeordnet, ebenso Orden und Ehrenzeichen, Langhaar- und Zopfperücke, Zeichen gesellschaftlicher und geistiger Rückständigkeit sowie ein Stammbaum als Sinnbild erblicher Macht. Dieses Ensemble der Symbole, die zugleich die verschiedenen sozialen Klassen repräsentieren, wird vorsichtig von einer Rose umrankt. Dieses Symbol der Liebe kann nur auf der Grundlage des »Vertrauens« wachsen.
Da die Allegorie hier ein Wunschbild verkörpert, ähnelt der Stil ihrer Darstellung dem anderer Kunstformen. In der Allegorie des Vertrauens verschmelzen zwei Vorstellungen: das sich aus dem Mittelalter herleitende romantische Ideal anbetungswürdiger Frauengestalten und die Strenge des Klassizismus, die sich in ihrer Kleidung ausdrückt. Im krassen Gegensatz zur überhöhten Darstellung der Figur steht ihre sehr deutliche Sprache, sie sagt zu Michel: »Räumt erst den alten Plunder fort, dann komm ich zu euch, auf mein Wort«. Damit formuliert die Karikatur den politischen Standpunkt des »Eulenspiegels«, der im Sommer 1848 entscheidende Schritte zur politischen Umwälzung vermißt und die Spaltung der politischen Bewegung auf das Fortbestehen alter Gesellschaftsformen und Kräfte zurückführt.
Als es um die Anerkennung der Grundrechte durch die einzelnen deutschen Staaten geht, und die Kompetenz der Nationalversammlung in Frage steht, erscheint am 27.1.1849 eine zweiteilige Karikatur, in der die Allegorie der »Volkssouverainetät« dargestellt wird.
Die »Volkssouverainetät« eilt durch einen Wald von Grenzpfählen, wo Soldaten einzelner Staaten sie von ihren streng bewachten Territorien abhalten. Daß es sich hierbei um die Allegorie der Volkssouveränität handelt, läßt sich nur an der sie wie ein Heiligenschein umrahmenden Schrift erkennen. Im zweiten Teil der Karikatur sitzt die »Volkssouverainetät« in antikem Gewand mit übereinandergeschlagenen Beinen beim Spinnen, ihr Gesicht drückt Niedergeschlagenheit und Resignation aus. Auch wenn diese Frauengestalt idealisiert und mit klassizistischer Würde dargestellt wird, sind ihre Gesichtszüge doch bereits verhärmt. Zwar »findet sie irn Spinnhause endlich Ruhe«, dennoch ist sie eine Gefangene - deutlich sichtbar an der Kette an ihrem Fuß. Interessant ist bei dieser Karikatur die Gleichsetzung der Männer mit der Reaktion und die der Frau mit politischem Fortschritt. Die Allegorie, die hier ein demokratisches Prinzip verkörpert, wird im ersten Teil von Grenzposten, den die reaktionären Einzelstaaten symbolisierenden Männern abgewiesen. Der zweite Teil der Karikatur zeigt, daß das Festhalten an der Volkssouveränität ins Gefängnis führt. Indem sie im Arbeitshaus »dem Michel Schlafkappen spinnen muß«, wird sie als Frau in ihre >häuslichen< Grenzen zurückverwiesen. Ihre Fesselung symbolisiert die politische Ausweglosigkeit der Revolution und die Resignation der politischen Bewegung. Da die Frau demokratische Inhalte und damit für den »Eulenspiegel« den »Fortschritt« verkörpert, ist sie jugendlich dargestellt.
Dasselbe Motiv der Abweisung wiederholt sich am 7.7.1849 in der Karikatur »Consequenzen«, in der der deutsche Michel die Allegorie des Parlaments aus den württembergischen Grenzen verweist. Auch hier ist die Frauenfigur mit einem wallenden, klassizistischen Gewand gekleidet; auf ihrem langen, zerzausten Haar trägt sie eine Haube mit der Aufschrift »Parlament«. Wesentlich bei dieser Karikatur, die sich auf die gewaltsame Auflösung des Rumpfparlaments in Stuttgart am 18.6.1849 bezieht, ist, daß sich der Konflikt zwischen der Frau und dem deutschen Michel abspielt, der mit der militärischen Gewalt paktiert. Indem die Allegorie barfüßig und mit gefesselten Händen dargestellt ist, erinnert sie an Bildvorstellungen aus der Passion Christi: »Die Karikatur des 19. Jahrhunderts hatte politische Ideen mit der Passion Christi identifiziert, um sie zu propagieren.«[15]
Von der Jungfrau zur Braut
Erst 1849/1850, als die Aussicht auf eine einheitliche Nation in die Ferne rückt, wird in den Karikaturen das Bild der Germania wieder beschworen, die allerdings im Verlauf dieser politischen Entwicklung einen Gestaltwandel erfährt: Während sie 1849 noch als Braut idealisiert wird, jung, hübsch und begehrenswert erscheint, wird sie, als die Revolution gescheitert ist, wieder als Leidende und Kranke gezeichnet. Die einzelnen Lebensphasen - sei es die häßliche Alte, die begehrenswerte Braut [16] oder die Kranke - spiegeln das Auf und Ab der politischen Bewegung wider.
In der Karikatur »Scene aus dem großen romantischen Ritter- und Räuberspiel, das derzeit in Deutschland aufgeführt wird« vom 18. August 1849 wird Germania von fünf Männern umworben. »Jungfer Germania«, hier eine jugendliche, gutaussehende Frau in einem figurbetonten Kleid mit dem Emblem des Reichsadlers, ist an einen Baum gebunden. Während »Fritze« und »Seppl«, die Repräsentanten Preußens und Österreichs, »im Zweikampf« um sie »begriffen sind«, schneidet Hecker, der badische Rebell, erkennbar an seinem Hut mit der Hahnenfeder, die Fesseln Germanias durch. Mit Genugtuung schaut Michel dem Getümmel und der >demokratischen Befreiung< Germanias zu.
Germania ist in dieser Darstellung passives Objekt, das von konservativer Seite umkämpft und von den Republikanern befreit wird. Indem der Karikaturist sie mit niedergeschlagenen Augen darstellt, wird ihre duldende Haltung besonders stark hervorgehoben. Diese Passivität unterscheidet die Germaniadarstellungen wesentlich von den demokratischen Allegorien der Revolutionsjahre. Germania erscheint als Spielball männlicher Interessen. Der Kampf um die Nation wird in diesen Karikaturen mit dem Kampf um eine Frau gleichgesetzt.
Mit dem Fortschreiten der Revolution erscheint Germania in den Karikaturen zunehmend der männlichen Gewalt ausgesetzt. In der Zeichnung »Germania und ihre Freier« vom 20.10.1849 zerren wiederum der Preuße und der Österreicher an der gefesselten und damit hilflosen Germania. Michel kann seiner »Muhme« nicht helfen. Germania ist in dieser Darstellung stärker als vorher Sexualobjekt, Ziel männlicher Begierde; mit ihrem offenen Haar und dem tiefen Dekollete betont der Karikaturist ihre sexuelle Attraktivität. Germania als von Männern bedrohte oder geschändete Jungfrau ist ein Motiv, das in der Restaurationszeit nicht nur im »Eulenspiegel« auftaucht. Auch das eingangs erwähnte Gedicht von August Hochberger setzt die Unterdrückung der nationalen und damit revolutionären Bewegung mit Vergewaltigung gleich.
In der Karikatur »Ein Korb« vom 30. März 1850 ist Germania- und damit die Hoffnung auf deutsche Einheit - sichtlich gealtert; sie wird als altjüngferliche Braut, als »Mamsell«, dargestellt. Sieben Männer - möglicherweise die neu eingesetzten konservativen Staatsminister - werben um sie. Doch sie weist deren Antrag mit der Begründung zurück, daß sie bereits einen »Schatz« habe, nämlich den schlafenden Michel. Die Allegoriefigur der Germania ist hier nicht klassizistisch idealisiert, sondern verbürgerlicht und trägt statt des Eichenlaubkranzes ein Häubchen. In dieser Darstellung wird eine vollkommen andere Beziehung zwischen Germania und Michel angesprochen. Ist sie in den bereits angeführten Beispielen entweder Mutter, Jungfrau oder Base des Michels, tritt sie hier als seine Braut auf. Obwohl dieser als Verkörperung des deutschen Volkes und der politischen Bewegung schläft, hält sie ihm die Treue. Biedermeierliche Eheideale werden hier auf politische Verhältnisse übertragen, d.h. die Treue der Germania symbolisiert die Kontinuität der Nationalidee.
In allen diesen Fällen, in denen Germania als attraktive, junge Frau dargestellt wird, vermitteln die Allegorien ein Bild von Weiblichkeit, das von moralischen Grundvorstellungen wie Duldsamkeit, Treue und Keuschheit geprägt ist.
Nach dem Scheitern der zweiten verfassungsgebenden Landesversammlung und dem endgültigen Sieg der restaurativen Kräfte innerhalb des Deutschen Bundes ist Germania wieder leidend. In der Karikatur »Radikalmittel gegen Zahnweh« vom 13Juli 1850 entwickelt sie sich zurück zur Negativfigur, sie wird als trampelige Beißzange dargestellt und tritt wieder als Mutter Michels auf. In dieser Gestalt wirkt sie entsexualisiert und nicht mehr begehrenswert. Michel, der hier die Rolle des besorgten Sohnes einnimmt, weist auf ihren weit aufgerissenen Mund. Der demokratische Arzt sieht die einzige Lösung in einer Radikalkur: alle 32 Zähne mit ihren »mürben und brüchigen« Kronen sollen gezogen werden. Die immer noch bestehenden Einzelstaaten mit ihren Monarchen zu beseitigen, ist die Quintessenz dieser inzwischen nicht mehr durchführbaren Radikalkur.
Wie diese Beispiele zeigen, ist Germania als allegorische Frauenfigur »eine beliebig füllbare Leerform«,[17] ein Reflexionsobjekt politischer Sehnsüchte und ein Medium für den Zustand der deutschen Nation. Im Unterschied zu Michel, der die politische Bewegung des deutschen Volkes verkörpert, ist sie dort, wo sie als Positivfigur für das Ideal der deutschen Nation steht, keine handelnde und denkende Person mit Eigenexistenz. Gerade in dieser »Leerform« liegt möglicherweise begründet, daß die Allegorie der Nation als Frau gedacht wird.
Als Alte und Kranke, als Jungfrau und Braut oder als Verstoßene werden die besprochenen Allegoriefiguren, sei es nun die Germania, das Vertrauen, die Volkssouveränität oder das Parlament, in einen typischen Frauenrahmen gestellt, der dem bürgerlichen Frauenbild entspricht. Um so auffallender ist die Darstellung einer Allegorie, die in der Ausgabe vom 8. Dezember 1849 ein Gedicht von Ludwig Pfau als Anfangsvignette schmückt. Dort steht eine Frau mit wehendem Haar in Siegerpose auf einem am Boden liegenden Preußen. In der einen erhobenen Hand hält sie ein Schwert, in der anderen eine Fahne mit dem Emblem des Reichsadlers und der Aufschrift »frei, einig«. Sie trägt die phrygische Mütze, das Symbol der Revolution und Freiheit seit 1789; hinter ihr sieht man die Strahlen der aufgehenden Sonne als Zeichen einer neuen Gesellschaft. Die Frau als kämpferische Heroine ist Leitfigur der revolutionären Bewegung.
Nicht zufällig erinnert diese Darstellung an das Gemälde »Die Freiheit führt das Volk an« von Eugene Delacroix aus dem Jahr 1830. Die Frau repräsentiert eine politische Kraft, die sie in der sozialen Wirklichkeit nicht besitzt, sie ist Hülle für eine politische Utopie.