Während die Revolution durch Frankreich tobte, meldeten sich auch weibliche Stimmen mit Forderungen zur Tagespolitik (vgl. Gouges). Im deutschsprachigen Raum traten Frauen seltener mit politischen Forderungen an die Öffentlichkeit. Ihre Teilnahme am politischen Zeitgeschehen war leiser und weniger auffällig.
1. Jugendliche Begeisterung
Schon in ihrer Jugendzeit zeigten die Schriftstellerinnen Interesse an politischen Fragen. Schwärmerisch war ihre Bewunderung oder leidenschaftlich ihre Abneigung bestimmter politischer Persönlichkeiten. Freiheitsbewegungen in anderen Ländern, wie in der Schweiz oder in Amerika, verfolgten sie mit Interesse und tiefer Sympathie. Johanna Schopenhauer hatte schon in der Kindheit Einblicke in die große Politik. Sie haßte, geprägt durch das Elternhaus, Friedrich den Großen und die Preußen, die 1772 die wichtigste Einnahmequelle ihrer Heimatstadt Danzig, den Hafen, durch die Teilung Polens an sich gebracht hatten. Grenze und Zollschranken machten den Danziger Bürgern, also auch der Kaufmannstochter Johanna, das tägliche Leben schwer. Johanna war mit republikanischen Ideen aufgewachsen. Ihre Einstellung gegen die Aristokratie begleitete sie auch während ihrer Ehe. Am Beispiel einer Geschichte läßt sich diese nachlesen, die Johanna, gemeinsam mit Ehemann und Freundin, in einem Badeort erlebte. Sie sollte, durch Vermittlung einer anderen Dame, der Herzogin von Braunschweig vorgestellt werden. Als sie erfuhr, daß sie der Konvention gemäß der Herzogin bei dieser Gelegenheit Hand oder Rock küssen mußte, weigerte sie sich voller Empörung:
»Wir, keinem Fürsten Untertan, freigeborene Frauen, wir sollten einer anderen Frau, die weder unsere Mutter noch Großmutter war, die Hand küssen, oder vollends gar bis zur Erde uns beugen, um den Saum ihres Gewandes zu ergreifen? [. . .] Der Gedanke, daß man ein solches uns zumuten könne, brachte mein republikanisches Blut in heftige Wallung. Feuerrot, mit blitzenden Augen und zornbewegter Stimme erklärte ich, daß ich für meine Person unter solchen Bedingungen der mir zugedachten Ehre entsagen müsse, und meine Hamburger Freundin, durch mein Beispiel ermutigt, stimmte mir bei« (Jugenderinnerungen, 215).
2. Die Französische Revolution
Den Ausbruch der Französischen Revolution erlebten die Schriftstellerinnen als erwachsene, politisch sehr interessierte Frauen. Caroline Böhmer schrieb ihrer Schwester in heller Aufregung in den ersten Monaten der Revolution:
»Ich weis nicht .wohin ich mich wenden soll, denn die heutigen Zeitungen enthalten so große unerhörte prächtige Dinge, daß ich heiß von ihrer Lektüre geworden bin« (an Lotte Michaelis, Marburg, 1789; Schmidt I, 194).
Die Begeisterung für die Aufständischen regte sich nicht nur bei Caroline, sondern auch bei den anderen Schriftstellerinnen. Mit Ausnahme Charlotte von Kalbs, die aus ihrer aristokratischen Gesinnung nie einen Hehl machte.
Die Mainzer Republik
Therese Forster und Caroline Böhmer lebten während der Mainzer Republik im Kreis der Jakobiner. Ihr - zumindest emotionales - Engagement für diese Republik hing mit der Person Georg Forsters zusammen, der in Mainz führender Jakobiner war. Caroline Böhmer war oft Gast in der Familie Forster, in der die täglichen Ereignisse heftig diskutiert wurden:
»Wir können noch sehr lebhafte Sceenen herbekommen, wenn der Krieg ausbrechen sollte - ich ging ums Leben nicht von hier - denk nur, wenn ich meinen Enkeln erzähle, wie ich eine Belagerung erlebt habe, wie man einen alten geistlichen Herrn die lange Nase abgeschnitten und die Demokraten sie auf öffentlichen Markt gebraten haben - wir sind doch in einem höchst interreßanten politischen Zeitpunkt, und das giebt mir außer den klugen Sachen, die ich Abends beym Theetisch höre, gewaltig viel zu denken, wenn ich allein, in meinen recht hübschen Zimmerchen in dem engen Gäßchen sitze, und Halstücher ausnähe, wie ich eben thue«« (an Luise Gotter, Mainz, 20.4. 1792; Schmidt I, 250).
Eine aktive Teilnahme beider Frauen am Jakobinerclub dagegen, wie Sigrid Damm im biografischen Essay zur Briefausgabe von Caroline Böhmer-Schlegel-Schelling (1980) annimmt, ist nicht belegt und auch nicht wahrscheinlich. Dort waren nämlich Frauen per Beschluß der Versammlung von der Teilnahme ausgeschlossen. Dies bestätigte Therese Forster-Huber in einem Brief an General von Kaikreuth (Geiger, 82). Sie betonte darin, daß in den Jakobinerclub keine Frauen aufgenommen werden durften und daß sie kein Recht hatten, eigene Versammlungen durchzuführen.
Caroline von Beulwitz dagegen war der Mainzer Republik gegenüber skeptisch eingestellt:
»Zu etwas Gescheitem kanns gewiß mit der Mainzer Freiheit nicht kommen. Die Deutschen sind noch viel zu unkultivirt, um sie auf Begriffe zu gründen, und viel zu phlegmatisch, um sich an einer schönen Illusion zu weiden« (an Lotte Schiller, Rudolstadt, November oder Dezember 1792; Fielitz III, 70).
Im Mühlrad der Politik
Caroline Böhmer geriet bei der Ausreise aus Mainz in das Mühlrad der Politik. Sie wurde von den Preußen als Geisel für Georg Forster festgehalten.
»Geißel soll ich seyn darum: Mainzer Bürger sind als Geißeln nach Strasburg geführt - man sucht sie frey zu machen, ehe Mainz übergeht, um nicht da etwa Verbrecher entwischen laßen zu müßen. Man will die Weiber schrecken, denen man genaue Verbindungen, wenn auch nicht avouirte [eingestandene], mit Französischen Bürgern zugetraut. Mich soll Forster erlösen. - Das kern F. nicht, und ich werds nie von ihm fordern - denn wir stehn nicht in diesem Verhältniß« (an Friedrich Gotter, Königstein, 16. 5. 1793; Schmidt 1. 288).
Über ihre Haftbedingungen auf der Festung Königstein schrieb sie voller Empörung;
»Gehen Sie hin, lieber Gotler, und sehn Sie den schrecklichen Aufenthalt, den ich gestern verlaßen habe - athmen Sie die schneidende Luft ein, die dort herrscht -laßen Sie sich von den, durch die schädlichsten Dünste verpesteten Zugwind durchwehn - sehn Sie die traurigen Gestalten, die Stundenweis in das Freye getrieben werden, um das Ungeziefer abzuschütteln, vor dem Sie dann Mühe haben sich selbst zu hüten - denken Sie sich in einem Zimmer mit 7 anderen Menschen, ohne einen Augenblick von Ruhe und Stille, und genöthigt, sich stündlich mit der Reinigung deßen, was Sie umgiebt zu beschäftigen, damit Sie im Staube nicht vergehn - und dann ein Herz voll der tiefsten Indignation gegen die gepriesne Gerechtigkeit, die mit jeden Tage durch die Klagen Unglücklicher vermehrt wird, welche ohne Untersuchung dort schmachten, wie sie von ohnge-fähr aufgegriffen wurden -« (an Friedrich Gotter, Kronenburg, 15. 6. 1793; Schmidt I, 290).
Nach ihrer Freilassung traf sie die Verachtung und Reglementierung der Gesellschaft. Sie durfte sich in ihrer Heimatstadt Göttingen nicht mehr aufhalten. Noch Jahre später traf Caroline der Haß und die Verachtung bürgerlich-konservativer Gesellschaftskreise.
Die Frage der Gewalt
Die meisten Schriftstellerinnen wandten sich in der radikalen jakobinischen Phase von der Revolution ab. Der Grund dafür war die Brutalität, von der sie hörten. Lotte Schiller war darüber sehr enttäuscht:
»Man möchte fast lieber von der Aristokraten-Partie sein, weil sich die Gegenpartie in so schlechtem Lichte zeigt. Seit dem grausamen Tod Ludwigs haben die Franken ihren Kredit bei mir verloren. Auch die Art, wie sie in den Rheingegenden zur Freiheit bekehren wollen, empört. Wenn das nicht Despotismus ist, so ists gewiß der, den die Könige ausüben und ausübten, noch weniger -« (an Christophine Reinwald, Jena, 1.4. 1793; Urlichs, I, 340).
Anders Johanna Schopenhauer: Sie stand auch später zu ihrer Begeisterung über die Ereignisse in Frankreich:
»Etwas Mord, einzelne Greueltaten, die bei der Eroberung der Bastille vorgefallen waren und noch täglich, leider in immer steigender Anzahl sich erneuerten, wurden als in solchen Zeiten unvermeidlich nicht sonderlich beachtet. Verjährte Krebsschäden sind nicht mit Rosenwasser zu heilen, war ein damals sehr beliebter Kernspruch. Und was war denn die Hinrichtung eines oder zweier Elender, die, strotzend von erpreßtem Reichtum und Wohlleben, das hungernde, nach Brot schreiende Volk zur Zielscheibe ihres Witzes zu wählen sich erkühnt halten? Was war sie, verglichen mit dem unheilvollen Geschick jenes Greises, der bei der Zerstörung der Bastille im dunkelsten Keller aufgefunden worden war?« (Jugenderinnerungen, 264).
Allerdings bemerkte Johanna auch einen Widerspruch in ihrer damaligen Einstellung, den sie dann so ausdrückte:
»Jetzt war das Rächerschweit der strafenden Gerechtigkeit in den Händen des wütenden, im Blutdurst und wilder Zerstörungssucht immer mehr sich entflammenden Volkes. Die Stelle der damals noch nicht erfundenen Guillotine vertrat einstweilen der berüchtigte Laternenpfahl, die Prozedur dabei war noch kürzer; schauerliche Mordtaten fielen täglich vor, doch wir in der Ferne gedachten nur der Missetaten der Mächtigen und Großen, die das jetzt nicht mehr zu bändigende Volk bis zur Verzweiflung getrieben, und entschuldigten, was wir nicht billigen konnten. Lustig sangen wir >Ah, ca ira, ca ira! les aristoerates ä la laterne! und wären halb des Todes gewesen, hätten wir einen von ihnen hinführen sehen müssen, absonderlich ich, die ich über meine gefiederten Untertanen auf dem Hühnerhofe nie ohne bängliches Herzklopfen ein Todesurteil aussprechen konnte« (Jugenderinnerungen, 266).
Die eigentliche Begeisterung, die dahinter stand, war radikal, emotional und doch rein verbal. Sie galt Ereignissen, die sich in weiter Entfernung abspielten.
3. Napoleon und die Kriegsgefahr
Ebenso wie die Politik der Jakobiner lehnte Caroline von Beulwitz-Wolzogen auch die nachfolgende Politik Napoleons ab. Aus eigenem Erleben schilderte sie die politischen Zustände in Frankreich:
»Das Gouvernement ist schändlich, jetzt kann ichs schreiben. Frankreich ist kein Staat, sondern ein erobertes Land, wo der Eroberer despotisiert. Keine öffentliche, legale Verwaltung, keine Spur von Rechtlichkeit; Alles stiehlt. Es wird aber auch nicht lange dauern, fürchte ich, und B[ounaparte] lebt immer in Todes furcht« (an Lotte Schiller, Stuttgart, 1. 10. 1802; Urlichs II, 86).
Diese Abneigung gegenüber der Politik Napoleons mischte sich mit der Furcht vor neuen kriegerischen Auseinandersetzungen. Lotte Schiller machte sich in ihrem Tagebuch tiefgehende Gedanken über den Krieg:
»Wenn man sich kultivierte Nationen denkt, die in ruhigen Zeiten nach der höchsten Verfeinerung streben, und sie plötzlich in den schreckenvollen Kriegszustand versetzt sieht, da ist aller Glaube an moralische Steigerung der Vollkommenheit plötzlich vernichtet. Wenn Mensch gegen Mensch steht, wenn er sein Leben vertheidigt, sein Individuum retten will, wird er sich alle Grausamkeiten gegen den, der ihn anfällt, erlauben; er wird wie ein Raubthier nur sein eigenes Wesen retten wollen. So lange Kriege möglich sind, so lange Einzelne wagen können, an ihren Vortheil das Glück ihrer Völker zu wagen; wenn kein Herrscher fühlt, daß das Glück des ruhigen Bewohner seines Eigenthums mehr werth ist als ein schreckenvoller Ruhm der Siege; so lange sind wir immer nur auf einer eingebildeten Höhe. Wenn fremde Menschen für einen elenden Lohn für ihren erkauften Herrn streiten, wenn Verbrecher, denen nichts mehr heilig ist in der Welt, dadurch wieder Mitglieder der Gesellschaft werden, daß sie Soldaten werden, so lange wird ein Krieg immer das schrecklichste Phänomen in der moralischen Welt sein. Ein losgebundener Zustand, ein Leben, wo nur rohe Kraftäußerung etwas gilt, wie kann der Menschen bilden und zu Moralität zurückführen?« (April 1807; Urlichs I, 65).
Die durch den Krieg entblößte Schlechtigkeit unter den Menschen beklagte Caroline Böhmer-Schlegel-Schelling nach der preußischen Niederlage gegen die Franzosen bei Jena:
»Aber wie zerrissen sieht es in der Welt aus - welche Unsumme von Elend, vernichteten Wohlstand, Schlechtigkeit - welcher gänzliche Mangel an der gemeinsten Sicherheit. Man hört nichts andres in der Nähe und Ferne. Wie mag den Menschen zu Muth seyn, die nun wirklich drinnen stecken mit ihren Geist und Gemüth, und nicht eine Atmosphäre um sich her ziehn können, in welche das alles nur scheinbar dringt. Wie viel lieber wollte ich in einem Dorf auf der Schlachtlinie von Jena gewohnt haben und in Staub mit getreten seyn, als mir die Seele anstecken lassen durch diese abscheuliche Verwirrung aller moralischen Dinge« (an Luise und Friedrich Gotter, München, 4. 1. 1807; Schmidt II, 485).
Dorothea Veit-Schlegel und Friedrich Schlegel lebten 1809, als Österreich gegen Napoleon verlor, bereits in Wien und waren pro Österreich eingestellt (Schlegel war in österreichischen Diensten). In der Ablehnung Napoleons setzte Dorothea auf die Österreicher, denen ihrer Ansicht nach die politische Zukunft Deutschlands gehörte. Preußen hatte ihrer Meinung nach abgewirtschaftet, wie sie Karl August Varnhagen von Ense, einem Freund aus der gemeinsamen Berliner Zeit, zu verstehen gab:
»Wir hören Wunderdinge von der Stimmung und den Absichten dort [in Berlin] und können uns, die wir den Winter 1808 und 9 liier gesehen, nicht gut denken, daß Sie oder sonst ein Gleichgesinnter nicht thätigen Anthcil nehmen wird. Aber freilich sieht alles in der Ferne anders aus, besonders von hier aus gesehen, wo man wie eingesperrt seufzen muß. - Über die Schande und Ehre Preußens, worüber Sie so seufzen, denke ich etwas anders als Sie, und das liegt wiederum in der großen Verschiedenheit unserer Ansichten, insofern ich eine Christin mich zu sein erfreue, und Sie noch in traurigem Heidenthum befangen sind. Nicht die Strafe ist Schande und nicht die Busse, vielweniger noch die mit Aufopferung und Selbstüberwindung errungene Besserung, sondern die Sünde allein. Damals als unsre Landslcute und Herrscher im Uebermuth des schlecht erworbenen Besitzes und der triumphirenden Sicherheit sich ihrer Herrlichkeit, Macht und Grösse erfreuten, damals als sie den Fluch der betrogenen und verlassenen Verbündeten auf sich geladen hatten, damals war die Zeit der tiefsten Schande nach unsrer Ansicht, jetzt ist alles das überwunden, gebüsst und ganz vorüber und kömmt wohl nie wieder. Und im Grunde ist es wirklich kein Unglück, was sie jetzt erfahren; es war vielmehr nach allem, was vorgegangen, ein zu starkes Selbstgefühl, zu glauben, dass man da allein sich frei machen würde können. Deutschlands Stamm ist ausgeschlagen, die Zweige liegen zerstreut und einzeln umher und müssen auf einen frischen Stamm geimpft werden, wenn sie nicht untergehen sollen. Umsonst hofft man, dass sie von selber Wurzel fassen können. Ist es nun nicht besser, man wird auf eine recht starke Kerneiche geimpft als auf jenen halb verschimmelten Lorbeer - der Raub der Köche und Zierde der Komödianten?« (Wien, 23. 2. 1813; Raich II. 141).
Genau die entgegengesetzte Position nahm Caroline von Humboldt ein. Preußen würde politisch und moralisch gestärkt aus den Befreiungskriegen gegen Napoleon hervorgehen, so ihre Prognose nach der Frühjahrsoffensive der Preußen:
»Preußen hat in dieser Zeitperiode eine Kraft geäußert und entwickelt und zum Theil in das wirklich reele und handelnde Leben übertragen, die einem Preußen als die Wiege künftiger gesetzmäßiger Freiheit sehr teuer machen« (an Wilhelm von Humboldt, Wien, 19. 7. 1813; Sydow IV, 66).
4. Patriotische Gefühle
Therese Forster-Huber wiederum sympathisierte mit Napoleon, den sie für den Vollstrecker der Französischen Revolution im übrigen Europa und dessen Ein- bzw. Übergriffe sie für richtig und politisch-fortschrittlich hielt. Der Patriotismus, den sie in Deutschland erlebte, war ihr allzu oberflächlich, ja falsch, wie sie ihrem Vater mitteilte:
»Diese Zeit fordert uns mehr wie eine andre auf unser Glück im Familien leben zu suchen, und gewiß kann die moralische Verbesserung der Staaten nur von da aus gehofft werden. Ich verwerfe kein andres Mittel, aber schöne Bücher schreiben, von Germanischer Herrlichkeit träumen, in die Patriotenposaune stoßen, wunderbare Erziehungsmethoden erfinden - das alles bildet die Menschen nicht - lebte jeder ernst, heiter, beschränkt in seinem kleinen Kreise so würde wieder Kraft und Einigkeit bestehen, ohne daß so laut und viel gesprochen würde« (Stuttgart, 14. 10. 1810; B 928).
Hin- und hergerissen zwischen dem Abscheu gegen den Krieg und der Hoffnung auf Befreiung von der französischen Fremdherrschaft, neigten die Schriftstellerinnen sich aber auch dem Patriotismus zu. Lotte Schiller schrieb darüber:
»Die Zeit ängstigt einen, wo man ist, und ich weiß nicht, wo ich Ruhe finden könnte: denn Antheil muß ich nehmen und wäre es nur für vergangene Leiden. Und die Menschheit im Ganzen hat genug Prüfung erlitten, um Jahre lang sich die Phantasie mit Schmerz zu erfüllen. Von der Nähe der Kriegsscenen möchte ich nicht wieder leiden, und wenn wir wieder in die Lage kommen könnten, so verbürge ich mich gern in den Schoos der Alpen. Mein Gefühl für's Vaterland ist zu mächtig und ich erkenne nur die Partei, die nicht uns mit der Dauer unsrer jetzigen Zustände bedroht. Wer uns hilft, das Gefühl unsrer selbst wieder zu erlangen, den ehre ich und dessen Macht« (an Carl Ludwig von Knebel, Weimar, 6.3. 1813; Düntzer, 110).
Doch trotz aller patriotischen Gefühle, aus denen heraus die Befreiungskriege geführt wurden, nahm Lotte eindeutig gegen den Krieg Stellung:
»Mir ist eigentlich das Leben und Treiben der militärischen Welt immer widrig. Das Schreien, Laufen, Trommeln usw. es ist nur ein beweglicher Müßiggang; denn wenn es darauf ankommt, so verliert sich die Kraft des Einzelnen gänzlich, und ein Stein, der dazu bestimmt ist, ein Gebäude tragen zu helfen, ist ebensoviel werth als ein denkendes Wesen in einem Quarre. Ich bin von denen, die jede Aussicht einer künftigen Ruhe gern ergreifen, und da ich so ziemlich wenig von der Welt überhaupt erwarte, so kann ich nicht klagen, daß sich eine Aussicht zum Frieden zeigt, und denke darüber wie Sie. Die Welt liegt im Argen, und was man wünscht und möchte, muß man ja ohnehin in seinem Busen bewahren. Ich empfinde jetzt immer die Schönheit und Wahrheit dieser Worte. Die Welt ist meinem Ideal nicht reif, und es können noch Jahrhunderte vergehen, ehe es der Menschheit gelingt, das Gute und Rechte zu ergreifen und zu bewahren, wenn solche Motive die Handlungen leiten, wie wir erfahren und auch beobachtet haben in der Geschichte« (an Carl Ludwig von Knebel, 14.6. 1813; Düntzer, 113).
Die Söhne und der Krieg
Die Zeit der Freiheitskriege stellte im übrigen die Schriftstellerinnen vor ein besonderes Problem, egal, auf welcher Seite sie politisch standen: Sie hatten Söhne im wehrfähigen Alter. Fühlten sie sich als Patriotinnen, so hielten sie es für ihre Pflicht, ihre Söhne in den Krieg zu schicken. Andererseits waren die gefühlsmäßigen Bindungen an die Söhne so stark, daß der Gedanke, sie auf dem Schlachtfeld sterben sehen zu müssen, fast unerträglich war:
»Die Angst um meine Kinder, deren Schicksal ich immer weniger in der Gewalt habe, je älter sie werden, liegt mir in manchen Momenten recht auf dem Herzen. Es würde mich aber auch schmerzen, wenn sie nicht kriegslustig wären; und doch traure ich, daß ein hartes Loss sie treffen kann, denn ich habe gar zu viele trübe Eindrücke bekommen in den vorigen Jahren und alle Noth des Geschickes empfunden« (Lotte Schiller an Prinzessin Caroline, Weimar, 2. 1. 1814; Urlichs I, 670).
Lotte Schillers Sohn Karl wurde Soldat, Sohn Ernst blieb zu Hause, weil er noch zu jung war. Damit war die mütterliche Sorge geteilt:
»Ob ich gleich alle Pflichten fühle und in meinem Herzen nicht unwerth an diejenigen mich anschließen darf, die Opfer mit Fassung bringen, so ist es doch ein Riß in meine Existenz, den mir nicht leicht eine Begebenheit wieder heilen kann, denn ich lebe nur in den geliebten Kindern und habe zu viel schmerzliche Scenen erlebt, zu klar gesehen, welchem Schicksal er entgegen gehet, um nicht meine Ruhe aufzugeben« (an Prinzessin Caroline, Weimar, 13. 1. 1814- Urlichs I 671).
Die Tochter strickte indessen Socken für die Soldaten.
Auch Caroline vom Humboldt bangte um das Leben des Sohnes Theodor, der Soldat wurde. Aus Furcht, noch weitere Kinder zu verlieren, konzentrierte sie sich ganz auf den Rest der Familie und versuchte, mit dem Kleinsten und den Töchtern ihre Sorgen zu vergessen. Zunächst merkwürdig muß die Begeisterung von Dorothea Veit-Schlegel anmuten, als ihr Sohn Philipp in den Kampf zog. Ihre vorrangige Sorge galt der Frage, ob er warm genug angezogen wäre:
»Ich beschwöre Dich Philipp, dass Du Dir, sobald Du in eine Stadt kömmst (schon in Töplitz geht es); dass du Dir nicht allein einen Mantel schaffst, im Fall Du keinen haben solltest, sondern auch warme Strümpfe und etwas Flanell, entweder als Leibbinde oder als Kamisol. [. . .] Ich zittere, wenn ich an Deine Gesundheit denke in diesem entsetzlichen nassen Wetter. [. . .] Gott und seine Heiligen wollen Dich beschützen! [. . .] Wie siehst Du aus, was hast Du an? wie ist Dir zu Muth? was hast Du für ein Pferd? kannst Du auch wohl zum Beten kommen? nur ein Vater unser und Ave Maria, und nur alles und immer in der Gegenwart Gottes!« (Wien, 11.9. 1813; Raich II, 202).
Ihrer religiösen Anschauung nach legte sie das Leben des Sohnes in Gottes Hand. Vordergründig war ihre Sorge um das Wohlbefinden Philipps größer als um sein Überleben. Ihre Briefe an den Sohn ergeben -ihr und ihm zur Beruhigung? - den Eindruck, als ob es sich beim Kriegseinsatz um einen Spaziergang im schlechten Wetter handelte. Dieses krampfhafte Leugnen der wirklichen Gefahr zerbrach sofort, als Philipp tatsächlich in Lebensgefahr geriet und nur mit knapper Not dem Tod entkam. Das tiefe Erschrecken über diesen Vorfall und dessen glücklichen Ausgang führte sie noch näher an ihren christlichen Glauben heran:
»Viele Tage lang konnte ich das Bild nicht vor meiner Seele wegschaffen, es war wie festgebannt vor meinen Augen -- unaufhörlich danke ich Gott und der heiligen Jungfrau für Deine wunderbare Errettung. Dein guter Schutzengel behüte Dich ferner« (an Philipp Veit. Wien, 21. 11. 1813; Raich II, 214).
So fern den gefahrvollen Ereignissen, die ihre Söhne umgaben, mußten die Mütter sich Ersatzwirklichkeiten schaffen: Dorothea wich aus in die Religion, Caroline in die Familie. Natürlich war dann die wohlbehaltene Rückkehr der Söhne Grund zu großer Freude und Erleichterung.
5. Freiheitsliebe
Im politischen Bereich sympathisierten die Schriftstellerinnen mit den Ideen von Freiheit und Gleichheit. Sie waren über die laufenden politischen Ereignisse erstaunlich gut aus Zeitungen, Augenzeugenberichten und eigenen Eindrücken informiert. Ihr politischer Standpunkt war meist identisch mit dem ihres Freundeskreises, in dem ausführlich über Politik diskutiert und die persönliche Meinung frei geäußert wurde. Dabei blieb es auch nach dem Einsetzen der Restauration 1815. Die Liebe zur Freiheit nahmen die Schriftstellerinnen sehr persönlich. Schon in den durch die Französische Revolution sehr bewegten neunziger Jahren wurden sie nicht in der großen Politik, sondern in ihrem eigenen Leben aktiv und veränderten, was sie bedrückte oder ihnen mißfiel. Dorothea Veit schrieb nach ihrer Scheidung von Simon Veit an einen Freund:
»Wie durch einen Zauberschlag kam ihr Brief gerade jezt, in einen Moment, wo ich seit langer Zeit wieder einmal recht lebhaft, recht lief im Herzen das Be-dürfniß fühle, alles was mir lieb, was mir werth ist recht eng um mich zu versammeln, und mich meines erworbnen, meines kostbaren Eigenthums zu erfreuen, wie eine freygelassne, die nun erst etwas ihr eigen nennen darf, nachdem sie sich selbst angehört; und nun mit eifersüchtiger Sorgfalt es bewacht. Denken Sie sich mein Gefühl, so lange ich lebe, ist dies das erste Mal, daß ich von der Furcht frei bin, eine unangenehme Unterhaltung eine lästige Gegenwart, oder gar eine demütigende Grobheit ertragen zu müssen. Kaum fühle ich mich noch recht -noch bis jezt ist mir es wie einer, der lange eine große Last getragen, er glaubt sie noch zu fühlen nachdem er ihrer schon längst entledigt ist. Jezt bin ich was ich längst hätte sein sollen lieber Freund! jezt bin ich glücklich, und gut - keine Grmeley mehr, keine Beschämung vielleicht würden Sie mich auch nicht mehr so hart finden, ich lebe in Frieden mit allem was mich umgiebt!« (an Carl von Brinkmann, Berlin, 2. 2. 1799; Wieneke, 287).
Sie genoß ihre selbstgewählte Freiheit und blühte auf. Ganz ähnliche Veränderungen spürte auch Caroline Böhmer nach dem Tod ihres ersten Mannes:
»Sie haben mich in einer Lage gekant, wo ich von allen Seiten eingeschränkt, durch den Druck meines eignen Gewichts niedersank - grausam bin ich herausgerißen, doch fühl ich daß ich es bin, denn es ist so hell um mich geworden als vvcnn ich zum erstenmal lebte, wie der Kranke der ins Leben zurückkehrt, und eine Kraft nach der anderen wiedererlangt, reine Frühlingsluft athmet, und in nie empfundenem Bewußtseyn schwelgt« (an Wilhelm Meyer, Göttingen, 1, 3. 1789; Schmidt I, 175).
Aufleben, in Freiheit atmen, zu wissen: alles, was sie tat, war ihre Entscheidung - damit war eine gutgemeinte, von ihren Freunden Friedrich und Luise Gotter arrangierte Ehe nun nicht mehr vereinbar. Ihrem Freund Meyer offenbarte sie ihre Lebensphilosophie einer neuen weiblichen Freiheit:
»Im Ernst, mein lieber Meyer, die gottlose kleine Frau - die cokette junge Witwe - denn es giebt doch dergleichen Lesearten über mich - feßelte durch ihre unscheinbare Hülle - ihn - Du weißt seinen Nahmen - und ich stand an - das ganze Lebensgewirr kreuzte sich in meinem Kopf- so oder so! 3 Tage lang wars mir ein Räthsel - es lößte sich zuletzt in die Frage auf: vvilst Du gebunden seyn, und gemächlich leben, und in weltlichem Ansehn stehn bis ans Ende Deiner Tage -oder frey, müßtest Du es auch mit Sorgen erkaufen. - Die träge Natur lenkte sich dorthin - und die reine innerste Flamme der Seele ergriff dieses - ich fühle was ich muß - weil ich fühle was ich kan - schelte mich niemand unvernünftig - ich habe wohl erwogen, und kenne den ganzen Werth einer Lage, wie sie sich in die gewöhnliche Reihe der Dinge paßt - aber verblenden kont er mich nicht über den wahren Werth des Lebens. Wer sicher ist, die Folge nie zu bejammern, darf thun was ihm gut dünkt. Ich hätte mich freylich noch sehr nützlich für den Staat machen können, wenn ich ihm eine Haushaltung besorgt, und ein halb Duzend Kinder mehr erzogen hätte, wie mein einziges liebes Mädchen - aber es geschieht eben so gut ohne mich, und keine Glückseeligkeit wird dann dabey zerstückt - für des lieben Gottes Staat ists also beüer« (Göttingen. 29. 10. 1791; Schmidt I, 229).
Zentraler Teil des Lebensgefühls dieser Schriftstellerinnen war ein elementares Bedürfnis nach Freiheit. Sophie Mereau-Brentano beschrieb es nach einem Streit mit Clemens recht anschaulich:
»Es ist wahr, ein Gefühl ist in mir, ein einziges, welches nicht Dein gehört. Es ist das Gefühl der Freiheit. Was es ist, weiß ich nicht; es ist mir angeboren, und Du verletzest es zuweilen. Verteidigen kann ich es nicht, denn wer sich verteidigen muß, ist nicht frei; betrügen kann ich nicht, denn Betrug ist Zwang, kannst Du es also mehr schonen, wie bisher, so bin ich zufriedner« (an Clemens Brentano, Heidelberg, 17. 11. 1804; Gersdorff, 324).