Die Liebende

Im 18. und 19. Jahrhundert waren die meisten Ehen Konvenienzehen. Die Ehepartner wurden von den Eltern zusammengebracht und vorher eingehend geprüft. Dabei waren gesellschaftlicher Status und Finanzkraft des zukünftigen Schwiegersohnes bzw. der Schwiegertochter maßgebend für die Eheanbahnung. Für die jungen Mädchen bedeutete dies: sie wurden aus der ökonomischen Einheit der elterlichen Familie herausgenommen und als Ehefrauen auf den ihnen bestimmten Platz in einer neuen ökonomischen Einheit eingesetzt. Emotionalen Bindungen wurde keine Bedeutung zugemessen. Wichtig war die ökonomische und soziale Zusammengehörigkeit. Folgerichtig charakterisierten Gleichgültigkeit, Distanz und Kälte diese Konvenienzehen (vgl. Shorter).

1. Der Bruch mit der Konvenienz

Ende des 18. Jahrhunderts wurde dieses System der Konvenienzehen erstmals brüchig. Manche Frauen bestanden nun darauf, ihre Bedürfnisse um den Wunsch nach intensiven Gefühlen zu erweitern. Eine emotionale Bindung innerhalb der Ehe wurde für sie zunehmend wichtiger. Zunächst waren auch die Schriftstellerinnen Konvenienzehen eingegangen. Im Lauf der Jahre mußten sie allerdings feststellen, daß diese Art von Vernunftehe ohne Liebe ihren unmerklich veränderten Vorstellungen nicht mehr entsprach.
Was es für Charlotte von Kalb bedeutete, aus finanziellen Gründen und von der Familie gezwungen, eine Konvenienzehe eingehen zu müssen, äußerte sie in ihren Memoiren:

»Nicht bedenklicher als jedes andre Ehebündniß war das meine, die äußere Existenz nach aller Meinung, dadurch gesichert. Gegenseitig war es wohl weder Wunsch noch Neigung - der Gleichmuth des Leidens« (Gedenkblätter, 83).

Ebenso wie ihr erging es Caroline von Beulwitz, die von ihrer Mutter zur Ehe gedrängt wurde. Ihre Erfahrungen in der Ehe mit Wilhelm von Beulwitz beschrieb sie so:

»In meiner frühesten Jugend hatte ich so eine Erscheinung in meiner Seele - aber mein Herz wurde da gekränkt, innig gekränkt durch die Disharmonie, die ich unter meinen Empfindungen und denen des Gegenstandes meiner Liebe fand. Dies gab mir eine Gleichgültigkeit, einen Unglauben an alle Glückseligkeit, die aus dieser Quelle in das Menschenleben strömt, die mich vor allen heftigen Eindrücken von andern Seiten schützte und mir eine gewisse Schwermuth, eine Furchtsamkeit, mein ganzes Herz an irgend etwas ganz zu hängen, ließ. [. . .] Beulwitz ist ein sehr gerader, ehrlicher, edler und verständiger Mensch. Sein Charakter läßt ihn sehr selten tiefe Eindrücke aufnehmen, denn er ist leicht, und mehr zum allgemeinen Wohlwollen gegen die Leute die um ihn sind, als zur besondern dauernden Anhänglichkeit gegen einzelne Personen geneigt. Er hat völliges Zutrauen in meine Ehrlichkeit und in die Reinheit meines Herzens, und beurtheilt mich nicht falsch, obgleich unsre Gefühle über diesen Punkt verschieden sind, denn mein Herz ist starker Anhänglichkeit, ausschließender Liebe fähig, und kann nicht mit allen Leuten sympathisiren, und so sehr es auch bedarf zu lieben, so zieht es sich doch lieber in sich selbst zurück, da wo es kein gleichgestimmtes findet. Es fiel Beulwitz noch nie ein, die Wärme meiner Liebe für irgend jemand übel zu nehmen« (an Wilhelm von Wolzogen, 1787; Hase II, 114).

Die Enttäuschungen der Caroline von Beulwitz in ihrer ersten Ehe waren groß. Ihr Bedürfnis nach Zuneigung und Liebe brach sich an den Charaktereigenschaften ihres Ehemannes, der nicht in der Lage war, Carolines Gefühle zu erwidern. Ihm lag die Oberflächlichkeit vieler Beziehungen - auch außerhalb der Ehe - eher als eine intensive Beziehung zu einer Person, nämlich seiner Frau. Neben den Enttäuschungen stand allerdings die Freiheit, die sich aus dieser distanzierten Beziehung ergab: Caroline konnte Beziehungen ihrer Wahl eingehen, ohne daß ihr Mann Einspruch erhob. Dennoch beugte sich Caroline wie viele andere Frauen den Zwängen der Konvenienz und litt deshalb unter der Oberflächlichkeit und Kälte dieser Beziehungen.
Im Gegensatz zu ihr war ihre Schwester Lotte von Lengefeld in der Lage, die Ehe mit einem von der Mutter gewählten Partner zu verhindern. Das gelang ihr durch die heimliche Verlobung mit Friedrich Schiller, dem Mann ihrer Wahl. Ihm gestand sie ihre Vorbehalte gegenüber der von ihrer Mutter geplanten Verbindung:

»Meine Hand hätte ich vielleicht hingeben können und müßen, nicht durch Zwang, sondern durch meiner Mutter Wünsche, aber nicht mein Herz voll warmer treuer liebe zu dir« (Rudolstadt, 27. 8. 1789; Fielitz II, 17).

Unglücklich wäre sie sicherlich geworden, hätte sie diese Ehe eingehen müssen. Lottes Vorgehen macht die klare Trennung der beiden Beziehungsformen deutlich: hier der von der Mutter bestimmte Partner, für den sie keine Gefühle entwickeln konnte; dort der geliebte Freund, den sie aus eigenem Entschluß heiraten wollte. Ihr Brief macht deutlich, daß sie mit dem Wunsch-Partner der Mutter gezwungenermaßen zwar hätte zusammenleben können. Diese Beziehung hätte aber nie die von ihr angestrebte Qualität gehabt.
Ihre Freundin, Caroline von Dacheröden, teilte diese Ansicht. Auch sie war eigentlich dazu bestimmt, eine Konvenienzehe einzugehen. Doch sie machte einen für diese Zeit recht ungewöhnlichen Schritt: Obwohl für sie eine Ehe beinahe angebahnt war, weigerte sie sich und heiratete den Mann ihrer Wahl - Wilhelm von Humboldt.
Ganz anders Dorothea Veit: Sie lebte 20 Jahre lang in einer Konvenienzehe, die sie sehr unglücklich machte. Schon im Alter von 15 Jahren wurde sie von ihrem Vater Moses Mendelssohn zu dieser Heirat mit Simon Veit gedrängt. Dann - nach 20 Ehejahren! - nahm sie den Kampf um ihre Bedürfnisse auf. Sie ließ sich scheiden und empfand dies als eine echte Befreiung:

»Seit 3 Wochen bin ich, nach vielen Contestationen, Scenen, - nach manchem Schwanken, und Zweifeln - endlich von V[cit] geschieden, und ich wohne allein, aus diesen Schiffbruch, der mich von einer langen Sklaverey befreit, habe ich nichts gerettet, als eine sehr kleine revenue, von der ich nur äußerst sparsam leben kann, vielen guten, frohen Muth, meinen Philip [ihren jüngeren Sohn] einige Menschen, mein Klavier, und das schöne bureau [Schreibtisch], den ich von Ihnen habe, u[nd] vor den ich Ihnen jetzt schreibe - da haben Sie in wenigen Worten alles was ich nun besitze, aber wie soll ich Ihnen alles Herrechnen was ich losgeworden bin?« (an Carl von Brinkmann, Berlin, 2. 2. 1799; Wieneke, 287).

Charlotte von Kalb trug sich schon sehr früh mit Scheidungsplänen. Der Grund war Friedrich Schiller, den sie gerne geheiratet hätte. Doch als die eigene Familie drohte, ihr den Sohn wegzunehmen, und außerdem Schiller eine andere Frau heiratete, verzichtete sie auf Scheidung. Charlotte von Kalbs Probleme lösten sich schließlich auf tragische Weise, als ihr Mann sich das Leben nahm. Als Witwe konnte sie nun das freie Leben führen, das sie sich gewünscht hatte.

Freundschaft und Zärtlichkeit
Bei Caroline Michaelis waren es nicht Vater oder Mutter, sondern der ältere Bruder, der sie zu einer - halbfreiwilligen - Ehe mit dem Arzt Wilhelm Böhmer drängte. Sie kannte Böhmer nur flüchtig. Eine gewisse Unsicherheit ist aus den Zeilen an ihre Freundinnen zu spüren, in denen sie den Hochzeitstag schilderte:

»Welch einen Taumel von Liebe, Freundschaft und Glück hab ich durchlebt, und mit welcher süßesten Wehmuth - immer die Gränze, wo Schmerz und Freude sich treffen - mit welchem Dank genoß ich ihrer. [. . .] Mittag reisten wir von den beyden Familien begleitet ab, trennten uns in Nörthen, und nun fühlt ich zum erstenmal, daß ich verheirathet war, da ich dem Mann folgen mußte und alles zurückließ« (an Luise Gotter und Wilhelmine Bertuch, Clausthal, 9.7. 1784; Schmidt I, 92).

Der anfängliche Glückstaumel verflüchtigte sich sehr schnell und mischte sich schon am Tag der Eheschließung mit Bitterkeit. Nicht ohne Bedenken war sie bereit, ihrem Mann in die Kleinstadt zu folgen und ihr bisheriges Leben aufzugeben. Mit den Ehejahren summierten sich Enttäuschungen und auch Resignation. Nach zwei Jahren äußerte sie:

»Ich bin nicht mehr Mädchen, die Liebe giebt mir nichts zu thun als in leichten häuslichen Pflichten - ich erwarte nichts mehr von einer rosenfarbnen Zukunft -mein Loos ist geworfen« (an Lotte Michaelis, Clausthal, 1786; Schmidt 1, 152).

Sie mußte feststellen, daß ihre Ehe mit Hausarbeit und Langeweile verbunden war und ihre Träume von einem besseren Leben - zumindest besser als im Elternhaus - wie Seifenblasen zerplatzt waren. Carolines Freundin Therese, die Georg Forster mehr wegen seines guten Namens als aus Zuneigung geheiratet hatte, machte ähnlich enttäuschende Erfahrungen. Es stellte sich heraus, daß sie für Georg freundschaftliche Gefühle, aber keine Liebe empfand. Nach sieben Jahren für beide Teile zermürbender Ehe verließ Therese ihren Mann. Trennungsgrund war Ludwig Ferdinand Huber, den sie nach Forsters Tod heiratete. Ihre Gefühle Georg gegenüber charakterisierte sie später so:

»Er hat nie meine Liebe beseßen, nie meine Sinne, aber von unsrer Verbindung an meine wehmütige Zärtlichkeit, meine bange Sorgfalt« (an Caroline Böhmer, Neuchätel, 25. 2. 1794; Schmidt I, 324).

Was zeichnete diese distanzierten, wenn auch von freundschaftlichen und zärtlichen Gefühlen erfüllten Ehen aus? Caroline von Dacheröden versuchte einmal, die Situation ihrer Freundin Caroline von Beulwitz zu erklären:

»Carolinens Lage ist ziemlich frei, ihr Mann ist ein gutes Wesen, der sie nicht geniert und der, wenn nicht ihre Seele faßt (dies mag wohl wenigen gegeben sein), doch ein unbeschränktes Vertrauen auf sie setzt« (an Wilhelm von Humboldt, Erfurt, 3. 1. 1789; Sydow I, 14).

Die Ehepartner hatten kein tieferes Verständnis füreinander. Sie ließen sich gegenseitig Freiheit im Rahmen der Konvention und Moral. Gemeinsamkeiten waren selten und wurden, zumindest von den Ehefrauen, auch nicht angestrebt.

2. Auf der Suche nach dem Glück

Trotz bitterer Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht blieb das Bedürfnis nach Liebe und engen Bindungen bei diesen Frauen bestehen. So äußerte Caroline von Beulwitz unverblümt ihr Liebesbedürfnis in einem Brief an Wilhelm von Wolzogen, ihren späteren zweiten Ehemann:

»Mein Herz bedarf Liebe - innigere, reinere wahrere Liebe, als die meisten Menschen sie geben können« (Rudolstadt, 8. 3. 1787; Hase II, 110).

Dieser Wunsch nach Liebe, zu dem sie sich bekannte, mußte mit neuen Inhalten ausgefüllt werden. Caroline versuchte, Liebe als ein Gefühl allen Menschen gegenüber zu definieren:

»Auch ich kenne nur Ein Gefühl, das mich zu allen Menschen, zu einem mehr oder weniger, nachdem ich Eigenschaften des Geistes und Herzens bei ihm finde, zieht, es heißt mir auch Liebe. O ich konnte nie den fatalen eingeschränkten Sinn leiden, den die meisten Menschen diesem Worte geben. Ein heiliges, reines Empfinden, das Allem was da liebeswürdig ist. Allem was schön ist begegnet, dachte ich mir immer in dieses Wort, seit ich dachte und empfand. Liebe ist ein Funken der Gottheit im Menschen, er läutert, befestigt, erhöht unser ganzes Wesen« (an Wilhelm von Wolzogen, 1787; Hase II, 114).

Liebe galt auch bei den anderen Schriftstellerinnen als etwas Heiliges, als ein tiefes und religiöses Gefühl. Daran knüpften sich Vorstellungen von Wärme und Innigkeit. Lotte von Lengefeld etwa sprach von ihrer »warmen und innigen Liebe« zu Schiller (an Friedrich Schiller, Rudolstadt, 2.9. 1789; Fielitz II, 26).
Liebe verstanden diese Frauen als starkes und bindendes Gefühl zwischen Frau und Mann von ewiger Dauer. Die freiwillige Liebe, nicht mehr der Zwang der Konvenienzehe, sollte Beständigkeit in die partnerschaftliche Verbindung bringen und auch schlechte Zeiten, Zeiten der Krise, überstehen können. Lotte schrieb an Schiller:

»Alle diese Menschen sollen uns nicht kümmern, unser leben wird schön und ungetrübt vergehn, wenigstens werden wir es uns selbst nicht trüben, und auch das Schicksal wird es nicht können, da auch selbst wenn Stürme kommen sollten, die im Leben oft unvermeidlich sind, die Liebe sie leichter uns ertragen laßen wird« (Weimar, 9. 2. 1790; Fielitz II, 286).

Diese neue, tiefempfundene Liebe sollte sich auf einen Partner konzentrieren. Caroline von Dacherödens Beziehungen zu mehreren Männern wurde denn auch von ihrer Freundin Lotte von Lengefeld heftig attak-kiert, so in einem Brief an Friedrich Schiller:

»Ich möchte es ihr recht fühlbar machen können wie wenig es einem doch giebl, viele Menschen an sich feßeln zu wollen, aber sie trägt sich mit diesen Irrthum, vielen viel sein zu können, und dies geht nun doch nicht« (Rudolstadt, 19. 11. 1789; Fielitz II, 130).

Caroline akzeptierte diese Beschränkung ihres Gefühls auf eine Person nicht. Sie bezog mehrere Männer gleichzeitig in ihre Liebe mit ein, ebenso wie ihre Freundin Caroline von Beulwitz-Wolzogen. Beide suchten also einen Weg, um ihr Liebesbedürfnis zu befriedigen. Sie setzten sich damit über die Schranken der Moral hinweg, ohne zunächst klare Vorstellungen zu haben, wie eine andere Beziehungsform aussehen konnte. Therese Forster-Huber definierte ihre selbstgewählte Beziehung zu Huber so:

»Aber glauben Sie mir - nein nicht glauben. - Wißen Sie, alles was seine und meine Verbindung angeht ist schöner, heiliger als je die Welt errathen kann. Hier ist nicht die Rede von den auch von mir verehrten Grundsätzen gewöhnlicher bürgerlicher Verbindungen, wir verlezten viele nöthige Geseze, aber eine Höhere Moralität lehrte uns die Strafe tragen, über die Strafe zu triumphiren, und durch eigenes Verdienst durch keine Vorsprache gewonnen jeder Lohn der Bürger Tugend, der erfüllten Pflicht des stolzesten Bewußtseins zu haben. Hier spricht nicht der Enthusiasmus der Leidenschaft, nur der der Tugend« (an Karl August Böttiger, Stoffenried, 18. 7. 1805; C 42).

Das Experiment
Nach dem Bruch mit der Konvenienz folgte bei den Frauen eine Phase des Experimentierens. Was als Experiment begann, nämlich Liebe als das entscheidende Bindungsglied zwischen den Partnern zu verstehen, stellte sich bald als die Art des Zusammenlebens heraus, die den Bedürfnissen dieser Frauen nach Nähe und Intensität gerecht wurde. In besondere Schwierigkeiten kam Caroline Böhmer-Schlegel, die zwei Männer zur selben Zeit liebte. Zu jedem hatte sie ein anderes Verhältnis, keinen von beiden wollte sie aufgeben. In ihrer Not kam sie zu der Schlußfolgerung, daß sie zu beiden, zu August Wilhelm Schlegel und zu Friedrich Schelling, auf Distanz gehen müsse. Dazu schrieb sie an Schlegel:

»Was ich Dir zu sagen habe, ist jetzt blos das - ich kann niemals Schelling als Freund verläugnen, aber auch in keinem Falle ein Gränze überschreiten, über die wir einverstanden sind« (Braunschweig, 6. 3. 1801; Schmidt II, 65).

Schlegel war mit diesem Arrangement zufrieden, das ihm den ersten Rang, Schelling den zweiten Rang einräumte. Schelling aber opponierte dagegen, denn er beanspruchte Caroline für sich alleine und machte ihr Vorwürfe, daß sie eine Beziehung mit ihm überhaupt eingegangen war. Caroline wehrte sich dagegen:

»Ja, ich habe ein Verbrechen begangen, da ich mich der Liebe überließ, aber, was ihr Fesseln anlegte, war und ist heilig, und nicht ein Mangel an freyer Gesinnung und nicht eine Halbheit der Liebe. Willst Du mir nie verzeihen, daß die unwiederstehliche Neigung zu Dir sie durchbrach? Nichts ist unheilbar für Seelen wie die unsrigen, und ich war kühn, aber nicht frevelhaft. Vergieb mir« (Braunschweig, März 1801; Schmidt II, 74).

3. Die Lebensgemeinschaft

Was diese Frauen suchten, war ein Partner, mit dem sie in enger Gemeinschaft leben und dem sie ihre Liebe geben konnten. Sie wollten sich ganz auf den einen Menschen einstellen. Dazu gehörte für sie aber auch, nicht nur dessen angenehme Seiten, sondern auch seine Schwächen zu lieben. Lotte von Lengefeld äußerte:

»Es ist nicht Liebe, wenn man sich nur ein schönes Bild in der Seele entwirft unr! diesen selbst alle Vollkommenheit giebt, sondern dies ist liebe, die Menschen so zu lieben wie wir sie finden, und haben sie Schwachheiten, sie aufzunehmen, mit einem Herzen voll Liebe« (an Friedrich Schiller, Weimar, 2.2. 1790; Fielitz II, 269).

Ernste und banale Gefühle und Gedanken kreisten um den Partner: wie es ihm ging auf der Reise, ob er auch einen Regenschirm bei sich hatte, oder wie Dorothea Veit-Schlegel anfragte:

»Guter lieber Friedrich, wie geht es Dir? Das heitre Wetter macht mich Deinetwegen recht froh, aber freilich wirst Du an Kälte viel zu leiden haben. Ich wollte nur. Du hätteste Ueberschuhe mitgenommen« (an Friedrich Schlegel, Wien, 6. 4. 1809; Raichl, 333).

Die Frage, ob der geliebte Mann warm genug angezogen war, stellte sich auch Sophie Mereau-Brentano:

»Es ist jetzt so kalt, daß ich zittre, wenn ich denke, daß Du unterwegs sein könntest. Es reut mich sehr, daß Du Dir nicht noch einen Mantel hast machen lassen, so wie ich jetzt viele sehe, mit so breiten Kragen, daß sie ganz wie ein Mantel und ein Mäntelchen aussehen. Ich friere nun doppelt, einmal ohne Dich und einmal mit Dir, das heißt, wenn ich, wie jetzt, will schlafen gehen, denn am Tage wollt ich gern die Wärme mit Dir teilen, weil sich mein Zimmer unbegreiflich gut heizt« (an Clemens Brentano, Heidelberg, 2. 11. 1804; Gersdorff, 311).

Es war jedoch nicht nur die fast mütterliche Sorge um das Wohlbefinden des reisenden Partners. Diese Sätze drückten auch ein inniges Gefühl aus: dem Partner zugetan zu sein, ihm etwas Besonderes geben zu wollen. Sophie schrieb einmal an Clemens:

»Meine Liebe, meine ich, müßte Dich umgeben wie ein warmes, weiches Kleid, das Du überall mit Dir trägst und in dem Du Dich wohl befindest, [. . .]« (Heidelberg, 17. 11. 1804; Gersdorff, 324).

Hinter diesem Gedanken stand der Wunsch, durch Umhüllen und Wärmen dem Partner seine Zuneigung zu zeigen. Wärme war gleichbedeutend mit Nähe: Den Partner an sich zu ziehen hieß, ihm Gutes zu tun. Und: die Frauen wollten den Partner in den Mittelpunkt ihres Herzens, des symbolisches Ortes ihrer Liebe, stellen.
Dies bedeutete ein Zurücknehmen der eigenen Person. Sophie an den Geliebten:

»Es gibt Augenblicke, wo ich für Dich, für Dein Glück mit Freuden sterben könnte; ich opferte Dir mein Leben, ein reines Opfer, denn es geschah aus Liebe -[. . . ]« (an Clemens Brentano, Weimar, 1 3. 9. 1803; Gersdorff, 200).

Zu einem anderen, greifbareren Opfer war Dorothea Veit-Schlegel bereit:

»Soll ich ein Geständnis machen? Ich bin etwas bange, Dich hier wieder in der alten besorgten Lage zu sehen, besonders da Du nun jetzt wieder ein freies, schönes, genussreiches Leben wirst gewohnt sein. Wenn es mir unangenehm ist. Dich nicht bei mir zu sehen, so ist es mir ungleich schmerzhafter noch, wenn Du Dich von mir fortsehnen musst. Soll ich eines ertragen - die Ueberzeugung, dass Du Dich sehnst, bei mir zu sein, ist mir Ersatz dafür. Freilich kannst Du hier dichten und arbeiten, besonders da Du so stark wollen willst; aber denkst Du auch daran, wie sehr das Beschränkte unsrer Lage Dich immer im Arbeiten stört?« (an Friedrich Schlegel, Köln, 18. 1. 1807; Raich I, 208).

Das beschränkte Leben in der Kölner Ein-Zimmer-Wohnung bereitete beiden Probleme. Zum einen war Friedrich unzufrieden, was sich auf seine Arbeitsfähigkeit und auf das Verhältnis zu Dorothea auswirkte. Zum anderen wollte sie ihn zwar gerne bei sich haben, leistete aber lieber einen Verzicht auf das - problematische - Zusammensein, allein damit er ein freieres Leben führen konnte. Das Wissen, von ihm selbst aus der Ferne geliebt zu sein, war ihr wichtiger als seine Nähe.

Die »schwache« Frau
Von dieser Art Opferbereitschaft war es nur noch ein kleiner Schritt zu dem, was Agnes von Stolberg-Stolberg unter wahrer Liebe verstand: Ohne ihren Mann, so meinte sie, würde sie nur zur Hälfte existieren. Für ihn lebte sie, nicht für sich selbst:

»Ohne meinen Stolberg lebe ich nur halb u[nd] doch hilft mir diese Liebe zu ihm, ein Leben ertragen das mir von einem Tag zum andern äußerst ungereimt vorkommt, u[nd] um seintwillen u[nd] der süßen Lieder wegen sorge ich sogar ängstlich] für meine Gesundheit« (an Ernestine und Johann Heinrich Voß, Ahrensberg, 6. 10. 1785; H).

Sie empfand sich als Teil einer Einheit: Ohne ihren Partner wollte sie nicht leben, ja, ohne ihn lohne sich die Anstrengung des Überlebens gar nicht.
Ähnlich verhielt es sich bei Caroline von Dacheröden. Ihr erschien Wilhelm von Humboldt als ein fast übermenschlich gutes Wesen, während sie selbst sich als weitaus weniger wert einschätzte. Lotte von Lengefeld schließlich dachte sich, als sie sich verliebte, als der ergänzende Teil einer Beziehung, in welcher dem männlichen Partner die starke Position und damit die Dominanz zukam:

»Wir sind glücklich in unserer liebe, in dem Gefühl uns anzugehören, ich vergeße der Welt so ganz wenn ich bei dir bin, und wir brauchen nichts außer uns zu suchen. Reich in deinem Geiste wird der meine sich freun, dem Flug des deinen zu folgen und in deinem und meinem Herzen wird ewiger Frühling der Liebe blühn; welche Aussicht auf die Zukunft! mein künftiges Leben steht nun hell und lachend vor mir« (an Friedrich Schiller, Rudolstadt, 6. 9. 1789; Fielitz II, 29).

Als Lotte fünf Monate nach der Eheschließung anläßlich eines Besuchs bei ihrer Mutter ihren Schiller alleine ließ, schrieb sie:

»Ohne dich ist das leben mir nur ein traum, ich bin nie da wo ich scheinbar bin, sondern meine Seele, meine besten wärmsten Gefühle sind nach Dir hin gerichtet. [. . .] wie klar fühl ichs täglich und jezt, daß nur bei dir, nur unter deinen Augen das Leben mir liebliche Blüthen geben kann. Arm und leer wäre mein Herz ohne dich. Mein beßres Leben lebe ich nur bei dir« (an Friedrich Schiller, Rudolstadt, 27.7. 1790; Fielitz III, 15).

Die ganze weibliche Persönlichkeit ging in einer menschlichen Einheit auf, in der sich die Frau als zwar wichtiger, aber ergänzender Teil verstand. In der Zugehörigkeit zu einer solchen Einheit wurde die Frau glücklich und zufrieden. Ohne den Partner war das Leben kaum mehr lebenswert, nur die enge Gemeinschaft mit ihm brachte die Erfüllung. Doch nicht nur eine derartige Fixierung auf den Mann gab es, sondern darüber hinaus auch eine Anbetung seiner Person. Caroline von Dacheröden gab in ihrem Brief an Wilhelm von Humboldt ein Beispiel dafür:

»Ach, was bist Du für ein wunderbares Wesen. Ich komme oft stundenlang nicht davon zurück. Diese seltene Fülle des Geistes, diese unaussprechliche Feinheit in der Empfindung und im Umgange, und dieser unbefangene kindliche Sinn, wo findet man das noch vereint? [. . .] lieben, lieben kann ich Dich, Bill, und mich freuen, daß ich Sinn habe, Dich zu empfinden, zu fassen, in der Seele zu tragen -aber verdienen kann ich Dich nie« (Erfurt, 21. 1. 1790; Sydow 1, 253).

Im Überschwang der Gefühle galten die Qualitäten des Mannes (Intelligenz, Sensibilität und Spontaneität) alles, die eigene Person schrumpfte zu einem Nichts zusammen:

»Wir Frauen sind ein wunderbares Volk - alles, was wir je sein können, macht die Liebe aus uns, aber sie wirft uns auch in unser Nichts zurück - nie, deucht mir, hätt ich's inniger empfunden wie jetzt, nie erschien ich mir so arm, so wenig Deiner wert, ach, und diese verzehrende Sehnsucht in mir hat alle Blüthen meines Geistes versengt« (an Wilhelm von Humboldt, Burgörner, 23. 7. 1790; Sydow 1, 201).

Der Partner wurde durch diese Anbetung und Überhöhung zu einem übergewichtigen Gegenpol gemacht. Aus dieser asymmetrischen Dualität entsprang jene Spannung, die von Caroline als Sehnsucht bezeichnet wurde. Eine Spannung, von der ihre Gefühle Kraft erhielten und die ihr, zumindest zeitweise, den Verstand raubte.
Die Vorstellung von der Unterlegenheit der Frau gipfelte in der Aussage, die erwachsene Frau sei einem Kind gleich. Der Schutz des Mannes gab Caroline von Dacheröden das Gefühl, ein solches Kind zu sein;

»Ja, die Ruhe und die Sicherheit des Zusammenseins wird meinen Gefühlen eine noch schönere Farbe geben, ein süßeres Leben über mich ausgießen - ach, ich bin ein Kind - ich kann mir's möglich denken, wie ich im Anfang unsres vereinten Lebens durch einen Laut Deiner Stimme, eine Umarmung mich werde überzeugen müssen, daß mein schönes Dasein mehr als Traum, daß es Wahrheit und Wirklichkeit ist« (an Wilhelm von Humboldt, Burgörner, 13. 6. 1790; Sydow I, 162).

Auch sprachlich wurde sie zum Kind, indem sie in einer Art Kindersprache schrieb:

»Am Tage will Li eine vernünftige Person sein, Bills treue, sorgsame Hausfrau, aber am Abend muß sie ein Kind sein dürfen, alles treiben, was ihr in den Kopf kommt, springen, klettern, tanzen, küssen, denn das Küssen schickt sich für jede Rolle« (an Wilhelm von Humboldt, Erfurt, 4. 11. 1790; Sydow I, 265).

Der gleiche Wunsch tauchte bei Caroline Böhmer-Schlegel-Schelling auf. Sie wollte zum Kind werden, das seinen Kopf an die starke Brust Schellings lehnen konnte.
Die Unterlegenheit fand hier eine symbolische Übersteigerung: Die Frau wollte sich schwach zeigen, damit der geliebte Mann um so stärker erscheinen konnte.

4. Die Seelengemeinschaft

Wann immer von einer tiefen und engen Beziehung zwischen Frau und Mann die Rede war, fiel der Begriff »Seele«. Nicht nur Gefühl, Verstand und Sinnlichkeit wurden als Teil einer solchen Beziehung verstanden, sondern auch die Seele. Die »Seelengemeinschaft« wurde damals von vielen als Voraussetzung einer derartig tief empfundenen Beziehung gesehen. Wo sie bestand, brachte sie die besondere Qualität der Beziehung zum Ausdruck. Die Seelen der Liebenden mußten sich nahe sein. Caroline von Beulwitz maß der ,,Seelennähe« vor allem in schlechten Zeiten großen Wert bei, wie aus einem Brief an Friedrich Schiller hervorgeht:

»So wie Sie hat es noch Niemand verstanden die Saiten meines innersten Wesens zu rühren - bis zu Thränen hat es mich oft bewegt, mit welcher Zartheit Sie meine Seele in trüben Momenten gepflegt, getragen haben« (Rudolstadt, 18. 11. 1788; Fielitz 1, 121).

Der Begriff »Seele« war Kernbegriff einer besonderen Art der Beziehung, die nicht unbedingt identisch mit einer ehelichen Verbindung war, wie dieses Beispiel zeigt. Bei den Beziehungen mit einem so hochsensiblen Mann wie Friedrich Schiller räumten die Frauen den Begriffen »Seele« und »Seelengemeinschaft« einen hohen Stellenwert ein. Dies war auch bei Charlotte von Kalb der Fall. Ebenso sprach die Frau, die Schiller schließlich heiratete, von einer Seelengemeinschaft mit Schiller:

»Nur in so fern bin ich ruhig mein lieber daß ich nun weis daß Du mich liebst, daß sich unsre Seelen gestanden, daß sie unzerreißbar fest verbunden sind« (an Friedrich Schiller, Rudolstadt, 27. 8. 1789; Fielitz II, 17).

Das Ideal einer solchen Verbindung, die auch Wilhelm von Humboldt und Caroline von Dacheröden anstrebten, war eine Übereinstimmung auf einer für andere Personen nicht faßbaren Ebene. Dies kam einer Verschmelzung beider Personen zu einer Identität gleich. Caroline schrieb an Wilhelm von Humboldt:

»Was ich so gern denke. Wilhelm, und was mir immer gewisser wird, ist, daß dieses innige Verständnis der Seelen, dieses leise überfließen immer mehr zunehmen muß. je höher wir steigen, je vollkommener wir werden, daß wir immer mehr eins werden müssen in unsern Gefühlen und daß mit der Vereulung unsres Wesens notwendig solche Liebe wie die unsre zunehmen muß« (Erfurt, 4. 1. 1789; Sydow I, 16).

Caroline wollte dem geliebten Mann ihre Seele schenken, um sie von ihm neu schaffen zu lassen. Eine Art Austausch der Seelen sollte dabei stattfinden:

»Und nun, da in meiner Seele alle Gefühle, die sonst nur die Folgen einziger, ausschließender Liebe sind, ihr vorangegangen, dürft ich da mir nicht sagen, daß ihre Blüte unsterblich ist? Daß Du mein sein wirst, ich Dein, in allen Wandlungen unsres Wesens? O Wilhelm, - komm in meine Arme, daß meine Seele in Dich überströme und ich die Deine empfange« (Auleben, 22. 6. 1790; Sydow I, 175).

Caroline schlug hier eine Brücke zwischen Seele und dem Erotisch-Körperlichen. Zurückhaltender formulierte Dorothea Veit-Schlegel ihre Liebe zu Friedrich Schlegel:

»Täglich fühle ich mich in der Seele mehr und näher an ihn gezogen, und recht fühle ich das Glück mit ihm zu leben« (an Friedrich Schleiermacher, Paris, 21. 11. 1802; Raich I, I 10).

Körperliche Gesten, Umarmungen und Küsse sollten nach außen die seelischen Empfindungen wiedergeben. Caroline von Dacheröden versuchte, das Übermaß an Gefühlen durch eine äußerliche Geste der Umarmung auszudrücken;

»Wilhelm, ich kann Dir nicht sagen, wie mir ist, aber ich möcht es zusammendrängen in eine Umarmung und es so in Deine Seele legen« (an Wilhelm von Humboldt, Erfurt, 4. 1. 1789; Sydow I, 16).

Erotisch-körperliches und seelisches Verlangen flossen ineinander. Caroline faßte ihre zärtliche Sehnsucht nach Wilhelm in den Wunsch nach körperlicher Verschmelzung:

»Ich träume mich in Deine Arme, und meine Lippen berühren die Deinen« (an Wilhelm von Humboldt, Burgörner, 16. 6. 1790; Sydow I, 165).

Geradezu sinnlich formulierte Caroline Böhmer-Schlegel-Schelling ihre Zuneigung zu Schelling:

»Ich habe Dich innig lieb, ich küsse Deine Stirn, Deine beyden lieben Augen und den süssen Mund« (an Friedrich Schelling, Braunschweig, Oktober 1800; Schmidt II, 5).

Und noch offener sprach Dorothea Veit-Schlegel ihre erotische Erwartung aus:

»O mein herzensliebster, herrlicher Friedrich, wie zittere ich vor Begierde, Dich zu sehen« (an Friedrich Schlegel, Wien, 12. 8. 1809, Raich I, 371).

Liebe und Leidenschaft
Caroline von Dacheröden zeichnete in einem Brief an Wilhelm von Humboldt eine intime Szene, in der sie ihre Vorstellung auch von körperlicher Unterwerfung in einer anbetenden Haltung dem Geliebten gegenüber zum Ausdruck brachte:

»Laß mich hingegossen vor Dir Deine Knie fest umschließen und mit nassen Blicken zu Dir hinaufsehen und bitten - ach, ich fühle in demselben Moment doch Deine Liebe, Deine wahrlich überschwengliche Liebe!« (Erfurt, 11.10. 1790; Sydow I, 245).

In der Position des Kniefalls konnte Caroline zeigen, was sie für Wilhelm empfand: sich selbst als unwert, den Partner gottähnlich. Der Austausch von seelischen und körperlichen Berührungen fand in dem Moment statt, als er sie zu sich emporhob. Caroline schilderte diese körperliche Liebe so:

»Teurer, geliebter Mann, wenn in begeisterten, in den schönsten Momenten meines Daseins ich Dich ganz empfinde, allbelebend das Gefühl Deiner Schönheit sich über mich ergießt, neigt sich meine Seele vor Dir in heiliger Anbetung -so empfange ich Dich in meine Arme, aber Du ziehst mich hinüber zu Dir mit der Glut Deiner Seele - es strömt mein innerstes, geheimstes Leben Dir zu -, mein Wesen wagt es, Eins zu werden mit dem Deinen - Eins mit dem Urbild aller Schönheit und Größe, die ich so ewig in Dir empfinde -. O Du Einziger, was soll ich Dir sagen, Du hast diese Momente trunkener Seligkeit mit mir empfunden, Du hast so oft die Tränen der Wonne mit brennenden Küssen von meinen Wangen aufgetrocknet - komm zurück, daß ich sie wieder weine, und Du mir den höchsten Genuß gebest, den Menschen Menschen zu geben vermögen - mir, die ich's nicht verdiene, die ich's in der höchsten Vollendung meines Wesens nie verdienen könnte, mir gib diesen Genuß, Du bist ja mein, und für mich ist ja nirgend mehr ein Dasein als allein das, das ich aus Dir schöpfe« (an Wilhelm von Humboldt, Rudolstadt, 26. 7. 1792; Sydow II, 11).

Die Spannung, die sich in der Polarität von Frau und Mann aufbaute, löste sich in einem Rausch der Leidenschaft auf. Die unterlegene Frau und der überlegene Mann fanden zueinander in einer sich hingebenden Einheit, in der Körper und Seelen verschmolzen, um nach dem erlebten Höhepunkt wieder auseinanderzufallen und die Spannung wieder neu aufzubauen. Caroline erfuhr in dieser Art seelischer und körperlicher Begegnung ein hohes Maß an Zufriedenheit und Glück. Doch nicht immer war die körperliche Liebe für Frauen ein Genuß. Gerade innerhalb der körperlichen Beziehung wird der Unterschied von Konvenienzehe und Liebesehe deutlich. Therese Forsters Ehe mit Georg Forster ermangelte es der »Seelennähe« und damit auch der sexuellen Erfüllung. Therese schrieb darüber:

»Wie ich heyrathete, war ich unschuldiger als ein Kind. Ich ward erst vier Wochen nach meiner Hochzeit Frau, weil die Natur uns nicht zu Mann und Frau bestimmt hatte. Ich weinte in seinen Armen und fluchte der Natur, die diese Qual zur Wollust geschaffen hatte - endlich gewöhnte ich mich daran - in Polen« machte ich ihn glücklich, aber Liebe genügte ihm nicht, obschon er dort glauben muste, ich liebte ihn, den meine Briefe an Meyer, die er sah, störten ihn nicht, so schwärmerisch sie waren. Nun kamen wir zurück, und er wurde elend, den nun sah er, ich hatte ihn nie geliebt. [. . .] Forster hatte damals meine Seele empört - er wüste, ich liebe einen Andern - er war der Vertraute meiner Unklugheit - er hätte mich einen stillen Lebensweg führen können und bestürmte mich mit Sinnlichkeit. Nun fiel ich in Verzweiflung. Ich war allen Gefühl abgestorben, und verfolgte jede Spur desselben mit fanatischer Bitterkeit. Nur Forsters Wohlstand, sein Hauswesen war meine Absicht - ihn muste ich immer, immer gut sein - er war mir theuer und werth in jeder Rücksicht, wo ich nicht sein Weib war, aber wo ich seine Sinne berührte, muste ich mit den Zähnen knirschen. Ich sah mich endlich vor eine Hündinn an, die das Männchen niederwirft - ich sah es wie die Erniedrigung der Menschheit an - ich hatte einen Grad menschenhaßender, alles Gefühl verabscheuender Bitterkeit, die seinen guten Herzen wohl meistens entging« (an Caroline Böhmer, Neuchätel, 25. 2. 1794; Schmidt I, 324).

Der Mangel an Liebe machte für Therese die sexuelle Beziehung zu Georg Forster zur Unterdrückung. Die körperliche Vereinigung, die Caroline in der Liebesbeziehung als Verschmelzung positiv und bereichernd fand, hatte für Therese etwas Tierisches. Sie wurde unterworfen, unterwarf sich auch selbst und litt daran. Für Caroline von Beulwitz dagegen hatte Leidenschaft etwas Positives, Erstrebenswertes. Liebe und Leidenschaft gehörten für sie zusammen:

»Leidenschaft, dünkt mir, ist ein so inniges Gefühl der Vollkommenheit eines Gegenstandes, daß es die ganze Seele, ihre ganze Genußfähigkeit gleichsam verschlingt. Ein beständiges Streben, Sehnen nach diesem Gegenstand, das eine Taubheit des Gefühls für Alles was er nicht ist und nicht im Verhältniß mit ihm ist, begleitet. Ein Verlieren seiner selbst in einem andern. Ich kenne diesen Zustand eigentlich nicht aus Erfahrung und glaube, daß nicht alle Menschen darein kommen können, und rechne es auch nicht unter die vorzüglichsten Eigenschaften eines Menschen, daß er desselben fähig ist. [. . .] Leidenschaftliche Liebe kann nie Gleichgültigkeit oder Abscheu werden, wenn sie rein und edel ist, aber sie kann eine sanfte wärmende Flamme werden aus einem Feuer, welches das Wesen des Menschen verzehrte - [. . .] Diese leidenschaftliche Liebe, dieses ganze Hingeben der Seele und des Lebens entsteht, wie micht dünkt, leichter zwischen Männer- und Frauen-Seelen, weil man sich gegenseitig mehr zu geben hat. Männer haben mehr Vernunft und Stärke, und Frauen mehr Gefühl und Feinheit« (an Wilhelm von Wolzogen, 1787; Hase II, 114).

Auch sie machte eine unterschiedliche Qualitätseinstufung von Weiblich und Männlich. Die Frau galt als Gefühlswesen, der Mann als Vernunftwesen. Diese Dualität erzeugte dieselbe Spannung, die Caroline von Dacheröden mit der Beschreibung von Leidenschaft, vom Ineinander-Aufgehen von Körpern und Seelen und der damit erreichten Auflösung der Spannung aufzeigte.

Aufblühen durch Liebe
Eine Liebesbeziehung gab jenen Frauen ein neues Lebensgefühl. Sie gewannen bei aller Unterordnung neues Selbstbewußtsein durch die Zugehörigkeit zum Partner. In der Ehe fanden sie den Sinn des Lebens und einen emotionalen Ausgleich. Doch nicht nur die Ausgeglichenheit nahm zu; durch gelebte Liebesbeziehungen gab es auch eine Art Aufblühen der Frau in der Liebe. Nicht ohne Grund verwendete Caroline von Beulwitz-Wolzogen dafür Begriffe aus der Natur:

»In der höchsten Stimmung der Gemüther zu einander, in der Liebe, umgibt uns eine eigne, feinere, reinere Aetherluft, welche Laute unsers Wesens fortpflanzt, unvernehmbar denen, die die Luft der Erde einathmen. Das ganze geistige Wesen entfaltet neue Organe, und die Gewißheit, in einem schönen Herzen sein ganzes Wesen abgedruckt zu sehn, lockt himmlische Blüthen hervor, die sonst kalt und geschlossen geblieben wären« (Gedankenlese; Hase I, 117).

Das Gefühl der Ausgeglichenheit durch Liebe kam mit der Verlobung, durch die Ehe, durch eine heimliche Liebschaft, durch eine glückliche Beziehung. Um eine derart glückliche Frau handelte es sich nach dem Eindruck Caroline von Dacherödens bei ihrer Freundin Lotte Schiller:

»Lottgen hat so in allem den süßen Ausdruck der Ruhe, der Zufriedenheit, des innigsten Wohlseins - es wird mir wohl und weh, wenn ich sie neben Schiller sehe, wenn sie sich öffentlich Du nennen und er sie liebe Frau' ruft« (an Wilhelm von Humboldt, 1. 1. 1791; Sydow I, 349).

Die Ausgeglichenheit war Ergebnis eines liebevollen Verhältnisses; das Recht auf ihr individuelles Glück war dagegen Anspruch dieser Frauen. Ob von kurzer oder längerer Dauer, der Wunsch - in den Armen eines Mannes - glücklich zu werden, blieb zentral.
Neben dem Bedürfnis nach diesem Glück stand das nach Harmonie, das sich im Wunsch nach Nähe und Intensität zeigte. Möglichst nahe mußte der Geliebte sein. War er es einmal nicht, kam es bei den Frauen zu einem heftigen Trennungsschmerz, wie Agnes von Stolberg-Stolberg klagte:

»Diese Trenn[un]g von meinen Stolberg der mir Leben Glück Freude und Alles ist, hat einen Schleier über mein Leben geworfen wovon es doch immer eine Dunkelheit behalten wird die selbst der Lichtstrahl des Wiedersehns nicht verdrängen kann, noch zulezt wird ihr Andenken ein Grauen und eine Bangigkeit in meiner Seele zurücklaßen, die mich im Genuß des Süßesten Glückes das sein wird was einem Bösewicht ein böses Gewissen sein mus. Dies Leben ist zu kurz um sich von einen solchen Schlag ganz wieder zu erhohlen. Was braucht man viel den Tod mit seiner Trennung zu fürchten wenn Menschen dies können!« (an Emestine und Johann Heinrich Voß, Tremsbüttel, 10. 11. 1785; H).

Ähnlich, wenn auch nicht so in Pessimismus verfallend, ging es Caroline von Dacheröden. Ihre Sehnsucht war ganz auf das Wiedersehen, auf das Neubeginnen des harmonischen Zusammensein ausgerichtet:

»Mein ganzes Wesen ist in dem wunderbarsten Aufruhr. So gewiß ich weiß, daß Du heute nicht kommen kannst, dennoch stürz ich ans Fenster wenn ich von fern einen Wagen die Straße heraufrasseln höre, und das Blut strömt fiebrisch durch meine Adern. Ach, jeder Moment vergrößert die unsägliche Wonne und Qual dieses Erwartens - Wilhelm, Wilhelm, und wo bist Du!« (an Wilhelm von Humboldt, Erfurt, 2. 4. 1791; Sydow I, 439).

5. Eifersucht

Die Liebesbeziehung, die selbstgewählte Partnerschaft, schloß die Eifersucht ein. Sie spielte im Kampf um den richtigen Partner eine große Rolle. So standen sich Caroline Michaelis und Therese Heyne schon als junge Mädchen als Rivalinnen gegenüber. Therese war die empfindlichere und schrieb darüber:

»Hätte unser Interesse als Mädchen nicht so oft sich gerieben, und wüßt' ich nicht daß sie ehemals von meiner Freundin meine Feindin ward, so würde sie mein liebster Umgang seyn« (an Sömmering, Göttingen, 6. 6. 1784; Waitz, 15).

Eifersucht tauchte auf, sobald sich die Zuneigung von zwei Frauen zu einer anderen Person, vor allem wenn dies ein Mann war, kreuzte. So verhielt es sich im Verhältnis zwischen Schiller, Lotte und ihrer Schwester. Friedrich Schiller liebte beide Frauen, und beide Frauen wußten von seiner Liebe zu ihnen. Doch Lotte war nicht in der Lage, die Aufteilung von Schillers Liebe zu verkraften. Sie wurde geplagt von der Angst, die Schwester könne Schiller mehr bedeuten als sie selbst. In ihrer Not wandte sie sich an ihre Freundin Caroline von Dacheröden, die sie zu trösten suchte:

»Es ist eine enge, irrige Vorstellung, meine Liebe, wenn wir glauben daß es nur einen Ausdruk für daßelbe Gefül gebe, und nüanzirt sich anders in jedem Individuum und für jedes Individuum und diese geistigen Gestalten vervielfältigen sich ins Unendliche bei Menschen wie = [bedeutet Schiller].
Ich begreife ser gut wie = [Schiller] dich anders liebt, wie Linen [ihre Schwester Caroline], um dich so zu lieben wie sie müstest du der getreue Abdruk ires Wesens sein, und wo fändest du in der Welt zwei ähnliche Geschöpfe, aber er liebt dich darum nicht weniger. [. . .] Sein heiliges Herz umfaßt Euch beide, vermischt Euch und doch steht ir wieder allein und verschieden in seiner Seele, jede in schöner eigner Grazie, jede im verschiedenen Ausdruk desselben Gefüls'« (Caroline von Dacheröden an Lotte von Lengefeld, Erfurt, 3. 11. 1789; Fielitz II, 103).
Dieser gut gemeinte Trost konnte Lottes bohrende Zweifel nicht beseitigen. Caroline gab ihr deshalb den Rat, ihre Gefühle Schiller anzuvertrauen:
»Wenn es dauren solte, meine Lotte, und du fültest daß du die Idee = [Schiller] liebe Line mer als dich nicht als eine kranke Vorstellung hinwegräumen köntest, so wäre mein Rat, dich mit = [Schiller] darüber zu erklären. An der heiligen Wahrheit seines Herzens kanst du nicht zweifeln« (Erfurt, 18. 11. 1789; Fielitz II, 140).

Da Lotte ihre Eifersucht zunehmend quälte, schilderte sie schließlich doch Schiller andeutungsweise ihre Probleme. Seine Antwort, er liebe sie beide, sie und ihre Schwester, konnte Lotte natürlich auch nicht zufriedenstellen.  Sie entschloß sich zwei  Monate später, Schiller zu einer Entscheidung zu zwingen. Sein Entschluß für sie ließ ihre Eifersucht abklingen.
Doch der Kampf um Schillers Zuneigung, den sie gegen ihre Schwester führte, war nicht der einzige, den Lotte ausfechten mußte. Als Rivalin trat auch Charlotte von Kalb auf. Diese pochte auf Vorrechte bei Schiller, da er schon eine Beziehung mit ihr eingegangen war. Eifersucht und Angst vor Verlust beherrschte beide Frauen. Lottes Briefe an Schiller waren gespickt mit Abwertungen der Rivalin. Sie versah diese mit Eigenschaften, die in ihren Augen unweiblich waren:

»Nein gewiß Lieber sie ist nicht gemacht dir zu gehören, sie hat so viel Härten in ihren Wesen, die Dich nicht glücklich gemacht hätten« (an Friedrich Schiller, Weimar, 22. 1. 1790; Fielitz II, 254).

Vor der langersehnten, umkämpften Heirat mit Schiller erhielt Lotte gar einen bösartigen anonymen Brief, den sie Charlotte von Kalb zuschrieb. In ihm hieß es:

»Eine Person welche immer Wohlwollen gegen Sie gehegi hat, giebt Ihnen den guten Rath sich nicht so um den Herren Rath Schiller zu bemühen weil Sie sich dadurch lächerlich machen und sehr viel durch seinen Umgang von dem was Sic sonst waren verlohnen haben. Ueberhaupt findet mann durch den Umgang mit Dichtern kein Glück in dem sie alle einer mehr einer weniger Fantasten sind und vom wahren Glücke des Lebens weit entfernt. Jagen Sic nicht so nach Poeten sondern bilden Sie sich lieber zu einer guten Haußfrau, denn es giebt wenig Männer die dergleichen Weiber ernähren können« (Fielitz II, 307).

Bevor sie sich gegen die Rivalin durchsetzen konnte, gab Lotte jede Art von Klatsch über Charlotte von Kalb an Schiller weiter. Sie schrieb ihm:

»Die I[mhoff] hat mir erzählt, die K[alb] wäre unzufrieden mit ihrem Mann, aus Eifersucht, weil er ihr nicht immer treu wäre, die K[alb] hätte es ihr so hingeworfen. Ich habe einiges von der K[alb] gehört, was ich mir nicht so von ihr gedacht hätte; sie muß erstaunend heftig sein, oder ist es der Ihnhoff] nur so vorgekommen, du solltest es einmal hören« (Kochberg, 1. 11. 1789; Fielitz II, 83).

Es kam auch zu heftigen Szenen zwischen beiden Frauen, aus denen Lotte als »Siegerin« hervorging, da sie kühl und sachlich bleiben konnte. Als Schiller und Lotte heirateten, kam es dann zu dem von Lotte gewünschten Bruch Schillers mit Charlotte von Kalb. Mit den Jahren änderte sich schließlich das Verhältnis der beiden Frauen zueinander. Es gelang ihnen, eine unbelastete Freundschaft miteinander zu führen.