Heterosexualität: umkämpftes Gelände

Es ist nicht leicht, allgemein über Heterosexualität zu schreiben. Die Beziehungen zwischen Frauen und Männern sind in den letzten zwanzig Jahren einer genauen Analyse unterzogen worden, und obwohl sich traditionelle Ideen und Praktiken in manchen Gegenden noch immer halten, gibt es ganze Gesellschaftsschichten, in denen kaum noch etwas so ist, wie es früher war. Diese unterschiedlichen Lebenserfahrungen existieren allerdings keineswegs friedlich nebeneinander. Selbst wenn es manche »Inseln« gibt, auf denen entweder Traditionalismus oder Feminismus vorherrschen und wo die jeweiligen »EinwohnerInnen« leben, ohne daß ihre Überzeugungen direkt und persönlich herausgefordert würden, so leben wir doch insgesamt derzeit eher auf einem ideologischen Schlachtfeld. Die explosionsartig angestiegenen Scheidungsraten und die gleichzeitige Verbreitung feministischer Ideen haben einen Gegenangriff der konservativen Kräfte hervorgerufen, die sich immer schriller für die geheiligten Rechte der Ehemänner einsetzen. Dieser Rechtsruck stellt eine verzweifelte Reaktion auf eine Situation dar, in der das Modell Ernährer-Ehemann/abhängige Ehefrau für die meisten Paare wirtschaftlich nicht länger tragbar und für viele Frauen emotional absolut unbefriedigend geworden ist. Wir leben also in einer sehr zugespitzten Situation, in der verschiedene Gruppen um die Definitionsmacht von Begriffen wie Heterosexualität und Familie kämpfen. In jedem der beiden Lager brüten die einzelnen über den besten Strategien, wie sie ihre Kräfte sammeln und ihre Position verbessern können; sie reagieren auf die jeweilige Ideologie der anderen Gruppe und werden gelegentlich sogar von Ideen aus dem »feindlichen« Lager beeinflußt. Das alles bedeutet, daß wir - allen Versicherungen der Sex- und Familienexperten zum Trotz nicht einfach allgemein über Heterosexualität sprechen und dabei davon ausgehen können, daß wir alle dasselbe meinen. Sowohl die Vorstellungen von Heterosexualität wie die entsprechenden sexuellen und sozialen Praktiken sind sehr unterschiedlich, wobei hinzukommt, daß wir uns in einer Zeit heftiger Auseinandersetzungen und Veränderungsprozesse befinden. Darüber hinaus gibt es auffällig viele Lücken zwischen Theorie und Praxis. Manche Frauen haben die Idee einer egalitären Heterosexualität begrüßt, die Wahlmöglichkeiten und Kreativität in Beziehungen nahelegt, in ihrem Privatleben fallen sie jedoch immer wieder in die Muster der traditionellen Geschlechtsrollen zurück, da sie sie als »natürlich« empfinden. Andererseits werden viele Frauen, die aufrichtig an die traditionellen Vorstellungen über die Ehe glaubten, zufällig mit ungewöhnlichen Situationen konfrontiert, die sie ganz und gar nicht eingeplant hatten. Angesichts solcher Realitäten wie ungewollter Schwangerschaft, einer Tochter, die verkündet, daß sie sich als Lesbe empfindet, oder einer Scheidung zeigen Frauen, die bis dahin ein »traditionelles« Leben geführt haben, nicht selten eine bemerkenswerte Flexibilität und die Bereitschaft, dazuzulernen. Wir können nicht davon ausgehen, daß alle Frauen, die Anhängerinnen feministischer Ideen sind, das leben, was wir feministische Beziehungen nennen könnten, oder daß Frauen, die verheiratet sind und sonntags zur Kirche gehen, notwendigerweise eine monogame Heterosexualität in der Missionarsstellung praktizieren. Es kann sich als sinnvoll erweisen, erst einmal innezuhalten und einen der weitest verbreiteten Mythen neu zu überdenken, die von Anti-Feministen in ihrem ideologischen Kampf um die Definition der Heterosexualität eingesetzt werden. Es ist ein Mythos, der auch häufig in den Herzen, wenn nicht sogar in den Köpfen von Feministinnen herumspukt und daher ausdrücklich widerlegt werden muß, wenn wir wirklich einen Neuanfang wollen. Dieser Mythos kommt in den unterschiedlichsten Verkleidungen daher, doch sein unveränderliches Merkmal ist der Rückgriff auf die Natur, um eine bestimmte traditionelle Definition der Heterosexualität als »natürlich« und infolgedessen unausweichlich, gut, unwiderlegbar und unkritisierbar zu legitimieren. Der Rückgriff auf die Natur stellt den Versuch dar, die Heterosexualität aus dem Bereich der Politik und der Geschichte zu lösen und sie auf ein Podest mit der folgenden Inschrift zu stellen »Mutter Natur: Die Dinge, wie sie sind.«
Eine einflußreiche Vertreterin dieses »Natur«-Arguments ist »Amerikas führende Ratgeberin«, Dr. Joyce Brothers. In ihrem 1981 erschienenen Buch mit dem Titel: What Every Woman Should Know About Men (Was jede Frau über Männer wissen sollte), leitet sie ungeniert die traditionelle Kleinfamilie aus ihrer Interpretation dessen ab, was sie für das »primitive« Leben früherer Menschen hält. In Anspielung an unsere stereotypen Vorstellungen über den »Höhlenmenschen« schreibt sie:


Es ist, als ob Mutter Natur damals in der Frühgeschichte nach dem effektivsten Weg gesucht hätte, Mütter und Kinder zu beschützen. Ohne jemanden, der Nahrung herbeischafft und Mutter und Kind verteidigt, wären sie wilden Tieren und räuberischen Männern ausgesetzt gewesen... Der offensichtliche Ursprung des Schutzes und der Nahrungslieferung war der Mann. Doch wie ihn bei der Stange halten? Da kam Mutter Natur auf die Lösung: Sex. Jede Menge Sex. Die alltägliche sexuelle Verfügbarkeit der Menschenfrau schuf das, was Wissenschaftler eine Paarbindung nennen und die meisten von uns als Liebe bezeichnen. Die Kleinfamilie war geboren.[1]

Sehen wir uns die Annahmen und Werturteile an, die dieses leider typische Stück populär» wissenschaftlicher« Literatur enthält.

  • »Mutter« Natur wird als eine Art verkuppelnde Schwiegermutter beschrieben. Dies ist schlechtester Anthropomorphismus - nicht nur, weil die Natur automatisch als Frau dargestellt wird, sondern weil sie sogar als »alte Hexe« erscheint, die aus egoistischen Motiven heraus Menschen manipuliert.
  • Männer werden als von Natur aus gefährlich und sexbesessen dargestellt. Dr. Brothers verläßt sich hier offensichtlich auf einige inzwischen widerlegte anthropologische Studien, die behaupteten, nachweisen zu können, daß es vor allem die Aggressivität und sexuelle Eifersucht des Mannes gewesen ist, die uns den Pfad der Evolution entlanggejagt hat und uns zu einer zivilisierten Spezies werden ließ. Der Mythos vom »Mann als Jäger« ist von feministischen Anthropologinnen und Primatenforscherinnen inzwischen erfolgreich in Frage gestellt worden. Männliche Anthropologen neigten zum Beispiel zu der Annahme, ein gesellschaftliches System sei dadurch am besten zu verstehen, daß man die Männer in diesem System genauer betrachte, und Wettbewerb sowie Aggression seien ebenso »natürlich« wie nützlich für die Arterhaltung. Statt hier in Einzelheiten darzulegen, auf weiche Weise diese traditionelle Sichtweise widerlegt wurde, soll der Hinweis genügen, daß heute nur noch die Unverbesserlichen in der anthropologischen Zunft in Dr. Brothers Beschreibung auch nur ein Körnchen Wahrheit entdecken würden. [2]
  • Selbst wenn wir einmal annehmen, daß ihre Beschreibung zutrifft, enthält ihr Argument auf jeden Fall einen logischen Irrtum. Wenn Männer so räuberisch waren, warum sollten sich Frauen ausgerechnet an sie als »offensichtlichen Ursprung« des Schutzes wenden? Näherliegend wäre gewesen, die Frauen hätten sich ein paar große Hunde gehalten.
  • Die Frauen in Dr. Brothers Frühgeschichte scheinen keine sexuellen Empfindungen gehabt zu haben, sondern nur eine sexuelle »Verfügbarkeit«. Wer sich die Tatsache vor Augen hält, daß zahlreiche weibliche Primaten eindeutige Anzeichen sexueller Lust erkennen lassen und einige Spezies sogar etwas erleben, was man als weiblichen Orgasmus bezeichnen könnte, wundert sich nur noch, warum ausgerechnet die weiblichen Menschen der Frühgeschichte eine solch passive Sexualität erlebt haben sollten. Doch der Mythos besteht ja gerade darin zu suggerieren, daß Frauen in Wirklichkeit gar nicht an Sex interessiert sind und ihre sexuelle Gunst nur verschenken, um männlichen Schutz zu bekommen, während Männer die Frauen im Grunde gar nicht beschützen wollen, sondern ihnen nur widerwillig Schutz gewähren, um Sex als Gegenleistung zu bekommen. Auch hier eröffnet sich ein logischer Abgrund: Wie nämlich sollte ausgerechnet durch den Zusammenschluß solch fundamental unterschiedlicher Wesen mit solch äußerst verschiedenen Interessen die Kleinfamilie entstanden sein?
  • Und schließlich scheint für Dr. Brothers die einzig »natürliche« Äußerungsform menschlicher Sexualität in der heterosexuellen Monogamie innerhalb der Kleinfamilie zu bestehen. Indem sie ihre Sicht der Heterosexualität mit »Mutter Natur« und ihrem Wirken begründet, verweist sie alle anderen Möglichkeiten ins Nicht-Natürliche oder sogar ins Widernatürliche. Auf den restlichen Seiten ihres Buches spielt sie die Bedeutung der Familie wieder herunter und besteht nicht darauf, daß zu einer Ehe in jedem Fall Kinder gehörten. Doch sie ist davon überzeugt, wirklicher Sex sei heterosexueller Sex und wirkliche Liebe könne nur heterosexuelle Liebe bedeuten.

Dieser Glaube an die Natürlichkeit der Heterosexualität ist so verbreitet, daß wir ihn nicht einmal mehr als Glauben wahrnehmen. (In Kapitel Vier wird das Problem der Unsichtbarkeit solcher Mythen näher beleuchtet.) Heutzutage wird dieser Glaube nur noch selten in einer solch naiven Form vorgebracht. Doch in intellektuelleren und subtileren Versionen, die nicht länger die Fortpflanzung in den Mittelpunkt stellen, sondern den Sex als solchen, übt er weiterhin großen Einfluß aus, nicht nur auf unsere Gedanken, sondern auch auf unsere unmittelbaren Empfindungen. Wir scheinen uns des Gefühls nicht erwehren zu können, es sei richtig, wenn sich Männer und Frauen erotisch zueinander hingezogen fühlen, und zwar schlicht deshalb, weil es Männer und Frauen sind. Wir lächeln einem glücklichen, jungen, heterosexuellen Pärchen zu und lassen uns zu ihrer Hochzeit einladen, unabhängig davon, welche Beziehung die beiden Beteiligten in Wirklichkeit zueinander haben. Im Gegensatz dazu fühlen wir uns ganz schön unbehaglich, wenn die Regeln der Monogamie und der exklusiven Heterosexualität durchbrochen werden, und suchen krampfhaft nach einer Erklärung, warum Frau A so viele LiebhaberInnen hat oder warum Herr B sich zu Männern hingezogen fühlt. Doch wenn sich A und B als stabil monogames Paar zusammenfinden, hören wir auf, Fragen zu stellen. Ihre Beziehung »ist« einfach, so wie Dr. Brothers primitive Gesellschaft. Einer der entscheidenden Eckpfeiler des traditionellen Denkgebäudes von der natürlichen Heterosexualität ist die Vorstellung, daß Penis und Vagina »ineinander passen«, daß sie »füreinander bestimmt sind«, und daß die erotische Anziehung zwischen Männern und Frauen nichts weiter ist als die psychische Widerspiegelung des körperlichen Bedürfnisses nach Vereinigung. Diese Ansicht enthält verschiedene Probleme. Zum einen stellt sie Männer und Frauen so dar, als fielen sie auf ihre physiologischen Bedürfnisse herein und als sei die Erotik nichts weiter als reine Schminke für die Fortpflanzungsabsichten von »Mutter Natur«. Auf diese Weise werden Menschen ent-menschlicht, denn sie werden zum einen auf ein sexuelles Organ reduziert, und zum anderen wird dieses Sexualorgan zu einem reinen Fortpflanzungswerkzeug reduziert. Zweitens ignoriert diese Auffassung die Besonderheit des Sex, indem sie ihn der Fortpflanzung unterordnet. Auf diese Weise werden implizit nicht nur die Homosexualität, sondern alle Sexualpraktiken abgewertet, die nicht der Fortpflanzung dienen. Es ist wahr, daß Sexualverkehr eines der besten Mittel ist, um ein Kind zu bekommen. Doch die Sexualforschung hat gezeigt, daß der Geschlechtsverkehr ein schlechtes Mittel darstellt, wenn es um die Verwirklichung sexueller Lust bei der Frau geht, da in dieser Hinsicht Onanie und lesbischer Sex wesentlich effektiver sind. (Shere Hite fand zum Beispiel heraus, daß nur 30 Prozent einer großen Gruppe befragter Frauen regelmäßig beim heterosexuellen Geschlechtsverkehr einen Orgasmus bekamen, 99 Prozent jedoch leicht einen Orgasmus durch Onanie bekommen konnten.[3] Männer bevorzugen ihrerseits zum Lustgewinn die Fellatio vor dem Geschlechtsverkehr.

Diese Ergebnisse der Sexualforschung hätten eigentlich die Vorstellung vom Geschlechtsverkehr als optimaler Möglichkeit, sexuelle Lust zu leben, ein für allemal ins Reich der Mythen verweisen müssen. Und auch die steigende Verbreitung von Verhütungsmitteln hätte eigentlich dazu beitragen müssen, die Verknüpfung von Sex und Fortpflanzung aufzubrechen. Doch nach wie vor glauben viele an die Theorie, die Vagina sei das »richtige« Sexualorgan der Frau und das »natürliche Gefäß« für Penis und Samen.
Warum ist das so?
Nun, vielleicht ist die sexuelle Revolution für uns alle etwas zu schnell verlaufen. Trotz unserer Experimente mit Sexualpraktiken halten wir die Vorstellung vom Geschlechtsverkehr als »natürlichster« Form des Sex aufrecht und zimmern uns so ein Refugium, in das wir jederzeit zurückkehren können. Es ist immer beunruhigend, alte Ideen und Vorstellungen schwinden zu sehen. Angenehmer ist es uns da, unserem sexuellen Repertoire gewisse Abwandlungen und »Desserts« (wie es in Joy of Sex heißt) hinzuzufügen, als die der Hierarchie sexueller Akte zugrundeliegenden Annahmen in Frage zu stellen, die dem regulären Geschlechtsverkehr die Rolle des »Hauptgerichts« zuweisen und alles andere in den Bereich der »Vor- und Nachspeisen« verbannen. Es ist sehr wichtig, die Aufteilung sexueller Handlungen in »grundlegende« oder »natürliche« einerseits und »Vorspiel« bzw. »Garnierungen« andererseits genauer zu untersuchen. Erst nachdem wir das Fundament des alten Gebäudes freigelegt haben, werden wir in der Lage sein, unsere sexuellen Bedürfnisse aufrichtig zu betrachten und zu entscheiden, was uns denn wirklich gefällt. Der Ansatz von Joy of sex klingt freizügig, doch so wie hier sexuelle Handlungen klassifiziert werden, suggeriert dieses Buch, »nur« oraler Sex oder »nur« Analverkehr könnte doch wohl keine richtige Sex-Mahlzeit ausmachen. Die Gleichsetzung des Geschlechtsverkehrs mit dem Nährwert einer Mahlzeit ist nichts weiter als ein ideologisches Konstrukt.
Dieses Argument, der Geschlechtsverkehr sei das Eigentliche, basiert auf der Grundannahme, Penis und Vagina »paßten« zusammen wie Topf und Deckel. Mit etwas Phantasie könnten wir leicht auch eine Reihe anderer Körperteile aufzählen, die zusammenpassen. Die Leserin möge es einmal versuchen. Es ist eine gute Gedankenübung. Wenn einer Frau gesagt werden muß, sie sei »infantil« oder »unreif«, da sie den Geschlechtsverkehr nicht als natürlichste und angenehmste Form des Sex betrachtet, oder wenn sie erst nach einem längeren Prozeß der Indoktrination und Verinnerlichung der Vorstellungen über die »erwachsene, reife« Frau die Vagina als Lustorgan betrachtet, dann kann man sich mit Recht fragen, wie gut Penis und Vagina wohl in Wirklichkeit zusammenpassen. Die abgenutzten Klischees, mit denen uns beigebracht werden soll, unsere Sexualität sei auf die Vagina reduzierbar und die Vagina ihrerseits der ideale Platz für den Penis (der in sie passe wie der Schlüssel ins Schloß) - diese Klischees enthalten einen entscheidenden, einen phallokratischen Fehler. Demnach wurde das »Schloß« so gemacht, daß ein »Schlüssel« hineinpaßt und es für sich genommen keinerlei Zweck erfüllt. Doch tatsächlich hat eine Vagina sehr viele Funktionen: Sie leitet das Menstruationsblut nach außen, und vor allem, sie bildet den Geburtskanal - und diese Funktionen haben nun wirklich gar nichts mit dem Phallus zu tun. Es liegt nahe, die Vagina-Klischees schlicht als Äußerungsformen männlicher Eifersucht und Abwehr der weiblichen Reproduktionsfähigkeit zu begreifen. Bedroht durch eine Vagina, deren Dunkelheit und Feuchtigkeit ihnen Angst macht und deren lebenspendende Kraft sie sowohl erschreckt wie fasziniert, versuchen Männer, die unabhängige Existenz der Vagina zu ignorieren und sie auf ein Behältnis zum Empfang von Penis und Samen zu reduzieren. Diese Interpretation des Vagina-Klischees ist von vielen feministischen Theoretikerinnen vorgebracht worden, zuallererst von Simone de Beauvoir, die detailliert die zahlreichen Mythen und Rituale untersuchte, deren gemeinsamer Nenner darin besteht, daß Männer versuchen, sich gegen die elementare Macht der sexuellen und reproduktiven Aktivitäten der Frauen zu wehren. Sie schreibt:

In allen Gesellschaften flößt die Frau dem Manne Grauen ein: Es ist das Grauen seiner eigenen fleischlichen Bedingtheit, die er in sie hineinprojiziert... Mit dem Tage, an dem sie sich fortpflanzen kann, wird die Frau unrein; und rigorose Tabus umgeben die menstruierende Frau... Tatsächlich macht nicht dieses Blut die Frau unrein, sondern es ist eher das äußere Zeichen ihrer Unreinheit. Es betrifft den Ursprung, es fließt aus dem Körperteil, in dem sich der Fötus entwickelt. An das Menstruationsblut bindet sich das Grauen des Mannes vor der Fruchtbarkeit der Frau.[4]

Simone de Beauvoir erinnert uns außerdem daran, daß die als unumstößliche Tatsache hingestellte, possessive Äußerung von Männern über die »Richtigkeit« des Geschlechtsverkehrs manchmal eine tief verwurzelte Angst vor dem Unbekannten, dem Übernatürlichen, nicht direkt Beobachtbaren verrät - und die Furcht, die Vagina könnte der schlechteste, weil gefährlichste Ort für einen Penis sein.

Manche Völker glauben, die Vagina verberge eine Schlange, die den Mann heißt, sobald er das Hymen durchstößt; manche schreiben dem jungfräulichen und dem Menstruationsblut schreckliche Kräfte zu, die im Verdacht stehen, die Manneskraft zu vernichten. In solchen Bildern drückt sich die Vorstellung aus, das weibliche Prinzip sei das stärkere, bedrohlichere, wenn es intakt ist.[5]

Die Furcht der Männer vor dem Geschlechtsverkehr kann einerseits auf diese mythologischen Ängste, zurückgeführt werden, die gar nicht so überholt sind, wie sie scheinen, und die heute noch in den Bildern der kastrierenden Frau, der Nymphomanin, der Nonne und der Königin der Nacht fortleben. Andererseits wurzeln auch sie in der realen Angst, zum Säugling zu regredieren und buchstäblich von der Mutter verschluckt und in den Mutterleib zurückgesogen zu werden.[6] Ohne zu sehr auf diese Ängste und Befürchtungen einzugehen, können wir doch festhalten, daß der Geschlechtsverkehr für Männer keineswegs nur das als natürlich hingestellte Besitzergreifen darstellt, wie oft behauptet wird. Die Pornoindustrie mag millionenfach das Bemühen widerspiegeln, Männer davon zu überzeugen, daß Sex sicher und absolut unproblematisch ist, daß Sex einfach Spaß macht; dennoch: das Bild der vagina dentata, der zähnebewehrten, verschlingenden Vagina, lebt weiter im kollektiven Unbewußten.
Es scheint mir, daß Furcht und Neid der Männer auf die sexuelle und reproduktive Stärke der Frauen das Niveau mythisch überhöhten Frauenhasses erreicht hat, dessen Grundlage aber bislang meist nicht erkannt wird.
Es gibt tatsächlich Unterschiede zwischen Männern und Frauen, die Neugier und sogar Angst oder Eifersucht auslösen können. So beneidet sicher mancher Vater seine Frau um die Fähigkeit, das gemeinsame Kind zu nähren. Ein anderer mag sich fragen, warum Frauen anscheinend vielfältigere sexuelle Reaktionen haben. Solche Empfindungen sind normal und müssen nicht zwangsläufig Bilder von in der Vagina lauernden Schlangen heraufbeschwören; dies kann jedoch geschehen, wenn solche Empfindungen nicht erkannt, sondern unterdrückt werden. Es ist nicht der Geschlechterunterschied selbst, der die Angst vor Frauen verursacht. Sondern es ist die Unterdrückung der kindlichen Neugier oder des normalen Sich-Wunderns, verbunden mit dem ideologischen Versuch, die männliche Überlegenheit auf allen Gebieten sicherzustellen, die solch elementare Ängste auslösen, wie sie Simone de Beauvoir beschrieben hat.
Seit Freud seine Theorie formulierte, nach der die weibliche Sexualität in der Kindheit zunächst pansexuell, dann klitoridal ist, haben wir außer unserer Intuition noch andere Hinweise darauf, daß der herkömmliche Geschlechtsverkehr möglicherweise doch nicht das non plus ultra ist. Bei Freuds Schilderung der weiblichen Entwicklung wird nie so recht klar, warum Mädchen ihre glückliche orale Sexualität und die aktive klitoridale Masturbation aufgeben, um ausschließlich die Vagina als passives Gefäß für den phallischen König zu erotisieren. Freud stellt einfach fest, das kleine Mädchen sei so überwältigt vom Anblick des großen Penis, daß ihr die eigene kleine Klitoris zu armselig erscheine, um sich weiter mit ihr zu beschäftigen. »Ihre Selbstliebe wird beschämt durch den Vergleich mit der weitaus überlegenen Ausrüstung des Jungen, woraufhin sie nicht länger ihre masturbatorische Befriedigung aus der Klitoris bezieht und ihren Liebhaber für ihre Mutter verstößt...«[7] Und ab dann gibt sie sich alle Mühe, selbst eine gute Ehefrau und Mutter zu werden. So weit hergeholt, wie das Konzept des Penisneids bereits ist - noch unwahrscheinlicher erscheint die Vorstellung, das Mädchen gebe seine autoerotischen Vergnügungen einfach auf. Warum sollte es? Selbst wenn der Penis größer ist als die Klitoris, so verfügt das Mädchen doch zumindest über eine Klitoris, und aller Neid der Welt wird ihr keinen Penis verschaffen. Und sie soll tatsächlich eine Größen-Fetischistin sein?

Freud legte großen Wert darauf, die passive, vaginale Sexualität als die höchste, die reifste Form der weiblichen Sexualität darzustellen; doch es gelang ihm nicht, ein überzeugendes Modell dafür zu entwerfen, wie sich diese Sexualität entwickelt. Es muß allerdings auch gefragt werden, ob das ganze Unterfangen nicht überhaupt unmöglich ist. Physiologische, psychologische und empirische Argumente können herangezogen werden, um zu demonstrieren, daß manche oder sogar die meisten Frauen tatsächlich den Geschlechtsverkehr zumindest manchmal genießen. Doch was sich niemals beweisen läßt, ist die Behauptung, der Geschlechtsverkehr sei generell der Sexualakt an sich und das höchste Gut überhaupt. Wir wissen, daß Frauen nicht sehr häufig zum Orgasmus kommen, wenn der einzige Sex, den sie praktizieren, in herkömmlichem Geschlechtsverkehr besteht. Und auch theoretisch läßt sich keinerlei Grund herausfinden, weshalb Mädchen und Frauen die vielfältigen Empfindungsmöglichkeiten ihres Körpers aufgeben sollten, um sich ausschließlich auf den passiven Penis-Vagina-Geschlechtsverkehr zu konzentrieren. (Nicht daß der Geschlechtsverkehr passiv sein muß; doch traditionell wird die vaginale Sexualität mit Passivität gleichgesetzt.)
Und dennoch, trotz all der Beweise dafür, daß der vaginale Geschlechtsverkehr nicht die privilegierte Form weiblicher Sexualität darstellt, halten sich die Mythen und Klischees praktisch unverändert: Weiterhin glauben die Leute, Penis und Vagina seien »füreinander gemacht«, und wenn sie zufällig etwas anderes mit ihrem Penis oder ihrer Vagina tun, betrachten sie es als abartig, unnatürlich oder unmoralisch.

Im Zitat von Simone de Beauvoir klangen einige der möglichen Gründe dafür an, warum es der Vorstellung vom glücklichen Paar Penis-Vagina gelang, aller Logik und aller Erfahrung zu trotzen. Einer dieser Gründe besteht darin, daß die Vagina, sowohl sexuell wie reproduktiv betrachtet, einfach zu mächtig ist und daher ständig in Besitz genommen, ständig gepaart werden muß mit dem Penis. Die ehrfurchtgebietenden Fruchtbarkeitsgöttinnen vergangener Kulturen sind gezähmt und trivialisiert worden. Sie wurden reduziert auf das Niveau von Playboy-Häschen, deren Geschlechtsmerkmale mit »Votzen« und »Titten« umschrieben werden, Begriffe, die die weibliche Sexualität ihrer wirklichen Macht entkleiden und dem Phallus eindeutig das Machtmonopol zugestehen.
Der Mythos des Geschlechtsverkehrs wird auch von der Vorstellung gestützt, die Erotik gründe sich prinzipiell auf Unterschiedlichkeit, vor allem auf genitale Unterschiedlichkeit. Nun ist diese Vorstellung nicht notwendigerweise patriarchalisch in Form und Absicht, denn Unterschiedlichkeit beinhaltet nicht unbedingt eine Rangordnung. Es kann sich ja um eine liebenswerte, gleichwertige Unterschiedlichkeit handeln, die bei aufgeklärten Heterosexuellen wohl tatsächlich erotische Empfindungen auslöst.
Die Vorstellung von der erotischen Verschiedenheit ist uns schon so selbstverständlich geworden, daß wir normalerweise gar nicht auf die Idee kämen, innezuhalten und sie in Frage zu stellen. Wir gehen dann gewöhnlich fröhlich dazu über, unsere eigene erotische Anziehung zu Person X oder Y daraufhin zu begutachten, welche bedeutsamen »Unterschiede« es zwischen ihnen und uns gibt. Wir könnten natürlich genausogut unsere Faszination daraufhin betrachten, wie ähnlich wir uns X oder Y fühlen.

Ein Beispiel: Eine Freundin sagte einmal zu mir: »Ich mag Männer, weil sie so anders sind!« Also stellte ich mir vor, sie habe sich in einen muskelbepackten Koloß mit Vollbart und aggressiv-männlicher Persönlichkeit verliebt. Als ich ihren Freund dann jedoch einmal kennenlernen durfte, stellte ich fest, daß er weder groß noch muskelbepackt noch aggressiv war, sondern vielmehr ausgesprochen androgyn, sowohl im Aussehen als auch in seiner Persönlichkeit. Wo also war er, der vielgepriesene große Unterschied? (Denn auch meine Freundin sieht eher androgyn als feminin aus.) Bestand der Unterschied in seinem Penis? Doch auch andere Männer, die noch viel mehr »anders« waren als dieser junge Mann, hatten einen Penis, und an ihnen war meine Freundin nicht interessiert. War es wirklich die Verschiedenheit, von der sie sich so sehr angezogen fühlte?
Verschiedenheit ließe sich anhand zahlreicher Merkmale messen: Größe, Gewicht, Hautoder Haarfärbe, Rasse, Sprache, Alter, Intelligenz, körperliche Fitness, Überzeugungen, Talente etc. Wenn ein heterosexuelles Paar aus zwei Individuen besteht, die sich hinsichtlich ihrer sozialen Herkunft, ihrer Interessen und ihrer ethnischen Zugehörigkeit bemerkenswert ähnlich sind (wie es gewöhnlich der Fall ist) und die sich hauptsächlich in dem einen Punkt unterscheiden: ihrem Geschlecht, dann kann wohl kaum behauptet werden, der Schlüssel für ihre gegenseitige erotische Anziehung bestehe in ihrer Verschiedenheit. Der Geschlechtsunterschied wurde in ihrem Fall erotisch besetzt, in der Tat, doch dasselbe geschah auch mit ihren weitaus zahlreicheren Ähnlichkeiten.

Es liegt nicht in meiner Absicht, Ähnlichkeiten oder Verschiedenheiten per se eine erotische Anziehungskraft zuzusprechen. Manche Menschen suchen ihre PartnerInnen ausschließlich danach aus, ob sie ihnen ähnlich sind, andere brauchen krasse Unterschiede, um sich erotisch angesprochen zu fühlen. Alle sollen das je nach ihren Bedürfnissen regeln, meine ich. Der Punkt, auf den es mir hier ankommt, ist ein anderer: Ich kann keinen triftigen Grund dafür erkennen, daß wir das Geschlecht über alles setzen und dann einfach behaupten sollten, der Geschlechtsunterschied als solcher sei erotisch, wenn wir dies anderen Unterschieden nicht zubilligen. Im antiken Athen betrachteten erwachsene Männer jedenfalls erwachsene Frauen lediglich als Partnerinnen für die Fortpflanzung; ihre erotischen Gedichte dagegen waren in der Regel an junge Männer gerichtet. Damals wurde der Altersunterschied erotisiert, der Geschlechtsunterschied konnte erotisch sein - oder auch nicht.
Wenn wir Erotik als eine Kraft verstehen, die um Sexualität und den Geschlechtsunterschied kreist, trennen wir sie von anderen Aspekten der menschlichen Existenz. Aktivitäten und Beziehungen, in denen Sex und die jeweilige Geschlechtszugehörigkeit keine wesentlichen Bestimmungsgrößen sind, werden dann als nicht-erotisch klassifiziert. Nun ist an der erotischen Interaktion sicherlich etwas Besonderes, das sie von dem Vergnügen gemeinsamen Arbeitens oder einer gemeinsamen Familiengeschichte unterscheidet. Doch diese Unterscheidung als selbstverständlich hinzunehmen und sie absolut zu setzen, ist ein Fehler, der zudem ganz bestimmte philosophische Überzeugungen stützt, die ins Reich der Mythologie gehören. Denn zum einen bestärkt die Trennung (als das Sexuelle, das Geheimnisvolle schlechthin, als Dialektik des Unterschiedes) von anderen Aspekten der menschlichen Interaktion eine Auffassung vom Menschen als ewig zwischen Vernunft und Leidenschaft hin- und hergerissenem Wesen. Zum zweiten wird das Alltagsleben mit seinen rationalen Interaktionen enterotisiert, wenn wir die Erotik jenseits der Vernunft ansiedeln. Und schließlich konstruiert die Abspaltung der Vernunft von der Leidenschaft einen Bereich des Instinktiven, auf den Frauen großenteils beschränkt werden.

Frauen haben unter dieser ideologischen Trennung der Leidenschaft von der Vernunft oft gelitten; viele Feministinnen haben darauf hingewiesen und diese Aufspaltung kritisiert. Da die erotische Interaktion vom Geschlechtsunterschied und vom Gegensatz von Vernunft und Leidenschaft abhängig sein soll, wurden erotische Beziehungen als Beziehungen zwischen ungleichen definiert. Vernunft und Leidenschaft als »männliche« und »weibliche« Prinzipien sind nicht einfach nur unterschiedlich. Sie sind auch ungleich innerhalb der Hierarchie, die zwischen ihnen herrscht. Auf der anderen Seite wurden Beziehungen zwischen gleichen als »denkenden Menschen« von vorneherein ent-erotisiert, da sie nicht auf Verschiedenheit, sondern auf Ähnlichkeit beruhen, die von Philosphen als das »gemeinsame Licht der Vernunft« gepriesen wurde. Westliche Philosophen waren der Meinung, diese Gemeinsamkeit liefere sowohl die Grundlage für das Denken als solches als auch für die demokratische Gesellschaft schlechthin. Die meisten dieser Philosophen haben auch die Überzeugung vertreten, Frauen seien weniger vom Lichte der Vernunft beschienen und daher nicht geeignet für die Welt der Politik und der Philosophie. Und selbst die wenigen, die der Ansicht waren, Frauen verfügten doch über die notwendige Rationalität und Persönlichkeit, um sich im Bereich der Vernunft aufhalten und am Gesellschaftsvertrag teilnehmen zu können, ließen die grundlegende Aufspaltung zwischen Erotik und Rationalität unangetastet. Selbst wenn Frauen ein Quentchen Rationalität zugesprochen wurde, mußten sie doch weiterhin Mutter Erde und die »dunklen« Instinkte verkörpern. Und in der Populärkultur taucht seit dem neunzehnten Jahrhundert immer wieder der innere Kampf der Frauen auf: zwischen ihrem Bedürfnis nach Lernen oder nach Erfolg einerseits und ihrer Weiblichkeit andererseits. Dieser Kampf wird oft tragisch dargestellt, da man die Anforderungen an Weiblichkeit als konträr zu den Anforderungen an Menschlichkeit betrachtet. Ob Frauen nun ein gewisser Zugang zum Bereich der Vernunft und des öffentlichen Lebens zugestanden wurde oder nicht, es gab immer noch die scharfe Trennung zwischen »menschlichen« Interaktionen (basierend auf der von Männern definierten Gleichheit rationaler Menschen, wie sie das männliche Rollenmodell vorschreibt) und erotischen Interaktionen aufgrund der Geschlechtsunterschiede. Die Gleichheit in der intellektuellen Welt und auf dem »freien Markt« wurde als per definitionem unerotisch, ja anti-erotisch betrachtet, während der ungleiche Kampf zwischen Vernunft und Leidenschaft als »sexy« galt. Die Beschränkung der Frauen auf den Bereich des Irrationalen ging einher mit einer Ent-Sexualisierung der Welt der Männer, der Politik, der Arbeit und der Kultur. Einer der Gründe dafür war die uralte Sehnsucht danach, die Vernunft als ein Werkzeug zur Beherrschung der Natur und zur Unterwerfung der Leidenschaften einzusetzen und, dazu, nicht zufällig, Frauen die ja als der Natur am nächsten stehend betrachtet wurden - auf ihren Platz zu verweisen. Ein weiterer Grund bestand sicherlich darin, daß man, hätte man Sexualität und Erotik im öffentlichen Raum zugelassen, sicherlich Homosexualität hätte anerkennen müssen, oder zumindest Homoerotik. Da also Männer und Frauen per definitionem durch den Unterschied ihres Geschlechts voneinander getrennt und so grundlegend verschieden waren, konnte es sich die Gesellschaft gar nicht leisten, Gleichheit zu erotisieren.
Ein weiteres Ergebnis dieser Entwicklung war, daß ein unnötig tiefer Graben zwischen Heterosexualität und Homosexualität gezogen wurde. So wie wir die Unterschiede in der heterosexuellen Erotik übertrieben haben, so haben wir die Ähnlichkeit in homosexuellen Beziehungen übertrieben. Ein schwuler Mann reagiert nicht nur auf die Männlichkeit in seinem erotisch attraktiven Gegenüber. Und zwei lesbische Frauen mögen zwar hinsichtlich mancher körperlichen Merkmale und auch in einigen Charaktereigenschaften ähnlich sein, aber ansonsten können sie durchaus verschieden sein wie Tag und Nacht. Mein Plädoyer geht also nicht in die Richtung, »Raum zu schaffen« für Homosexualität als Erotik der Gleichheit, sondern betrifft die grundlegende Infragestellung der Trennung in Gleichheit und Verschiedenheit und die Überbetonung von Unterschieden, wenn wir über sexuelle Anziehung sprechen. Die Heterosexualität ist zu kompliziert und unvorhersehbar, um auf solch einfache Formeln reduziert zu werden wie: »Mann und Frau begegnen sich«, »Gleich und gleich gesellt sich gern« oder »Gegensätze ziehen sich an«. Selbstverständlich unterscheiden sich Frauen von Männern, aber ihre gegenseitige Anziehung ist nicht nur von diesen Unterschieden abhängig. Und auf jeden Fall handelt es sich bei ihnen nicht um Gegensätze. Da es nur zwei Geschlechter gibt, neigen wir dazu, diese Tatsache zu verabsolutieren und anzunehmen, die beiden Geschlechter seien Gegensätze. Warum eigentlich? Was wäre denn, wenn es drei oder vier Geschlechter gäbe, geschaffen durch das Wunder moderner Wissenschaft? Oder wenn wir nur zwei Sinne hätten statt fünf, sagen wir einmal: nur Augen und Ohren - würden wir dann automatisch davon ausgehen, die beiden seien Gegensätze? Wenn ich zwei Töchter habe oder eine Tochter und einen Sohn, sind die beiden dann Gegensätze? Die Heterosexualität kann erst frei sein, wenn wir aufhören, der Vorstellung anzuhängen, da würden zwei »Gegensätze« zueinander »hingezogen«. Männer und Frauen reagieren nicht wie Metallsplitter auf einen Magneten, auch die Bilder von Schlüssel und Schloß, Topf und Deckel und wie die funktionalistischen und fatalistischen Metaphern alle heißen mögen, passen nicht. Sie versuchen, Heterosexualität als die Norm darzustellen, indem sie uns suggerieren, es handle sich um ein von der Natur auferlegtes Schicksal. Heterosexualität ist nicht Schicksal. Sie ist eine Wahlmöglichkeit - oder, genauer gesagt, sie wäre eine Wahlmöglichkeit, wenn unsere Gesellschaft pluralistischer und weniger rigide wäre in der Bereitstellung sexueller Alternativen. Denn schließlich bedeutet Wahlmöglichkeit, daß es verschiedene Optionen gibt; solange wir aber die Erotik zwischen den Geschlechtern als ein im Geschlechtsunterschied begründetes, unausweichliches Schicksal betrachten, verfügen wir über eine recht verkümmerte Vorstellung von Heterosexualität. Selbst wenn wir in unserem persönlichen Leben die naturalistische Sichtweise nicht überwinden können, so sind wir doch durchaus in der Lage, uns für eine freiere Heterosexualität einzusetzen, indem wir die vorherrschende Ideologie ablehnen und versuchen, die bereits bestehenden kreativen Möglichkeiten auszuweiten. Was wir auf jeden Fall tun können, ist, den Mythos nicht ständig zu wiederholen - an den wir ja ohnehin nicht recht glauben können -, daß wir alle uns zu Männern hingezogen fühlen, »weil sie so anders sind«. Unsere Lebenserfahrung spricht da eine andere Sprache: Wir fühlen uns zu ganz bestimmten Männern hingezogen, teilweise, weil wir uns von ihrer »Männlichkeit« angezogen fühlen, teilweise aber auch aufgrund bestimmter Gemeinsamkeiten, die wir mit ihnen haben, aufgrund der Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Gruppen beispielsweise. Schließlich fühlen wir uns nicht automatisch zu allen Männern hingezogen (was der Fall sein müßte, wäre der genitale Unterschied wirklich so entscheidend). Bei einem ganz bestimmten Mann finden wir vielleicht seine Muskeln und seinen Bart »sexy«, dieselben Merkmale können uns aber bei einem anderen Mann durchaus abstoßen. Wir sind keine Marionetten von »Mutter Natur«, die unsere Bedürfnisse nach Belieben manipuliert, um unsere weibliche Vagina zum »Gefäß« für den maskulinen Penis zu machen. Wir sind menschliche Wesen mit sehr komplexen Gründen für unsere sexuellen Vorlieben. In all unseren erotischen Bedürfnissen und Aktivitäten spielen Ähnlichkeit und Verschiedenheit, Erkennen und Faszination, Vertrautheit und Fremdheit ineinander. Weder Verschiedenheit noch Ähnlichkeit sind aus sich heraus erotisch; sondern es ist ihre spielerische Beweglichkeit und ihr Austausch, der bei der erotischen Interaktion die entscheidende Rolle spielt. Eine dauernde Erotisierung von Verschiedenheit würde die Geschlechtsunterschiede in ein pornografisches Szenario hinein übertreiben, bei dem der Mann mit dem größten Schwanz die Frau mit den dicksten Brüsten bekommt. Und eine dauernde Erotisierung von Ähnlichkeit wäre gleichermaßen phantasielos und steril; dann wären alle Menschen so gleich, daß es eigentlich gar keinen Grund dafür gäbe, sich zu dem einen Menschen mehr hingezogen zu fühlen als zu einem anderen.
Worauf wir also hinarbeiten und was wir uns vorstellen sollten, ist eine Erotik, die sowohl die Ähnlichkeit wie die Verschiedenheit schätzt und für attraktiv erklärt. Das kann uns dabei behilflich sein, sowohl die Wälle unseres Egoismus zu durchbrechen als auch den anderen Menschen als uns ähnlich zu erleben und die »Bewunderung« für seine oder ihre Andersartigkeit und Verschiedenheit aufrechterhalten zu können. Das vielleicht Wichtigste ist: Männer und Frauen wurden nicht für die Heterosexualität geschaffen, sondern die Heterosexualität ist für Männer und Frauen da.

Veränderungen: Anfänge, Ansätze und Erfolge


Die fortschrittliche amerikanische Zeitschrift Mother Jones hat 1984 einen langen Artikel veröffentlicht, eine Art Bekennerbrief einer Frau, die sich für unabhängig und selbstsicher hielt, sich aber immer wieder zu den schlimmsten Machos hingezogen fühlte. Sie mochte vor allem Soldaten, jene harten Burschen, die in Vietnam gekämpft hatten und alle Zärtlichkeit, die sie vielleicht früher einmal in sich spüren konnten, erfolgreich unterdrückt hatten. Die Männer waren weiß, groß, stark und häufig gewalttätig. Sie tranken zu viel, benutzten ihr Gehirn viel zu selten und waren das Abziehbild von »Living in the Army«. Die Autorin des Aritkels gab zu, die Tatsache, daß sie sich zu solchen Männern hingezogen fühlte, enthalte eine selbstzerstörerische Komponente, aber sie wußte sich nicht zu helfen. Sie schlief nicht nur mit diesen Männern, sondern hatte auch äußerst ungleiche und demütigende Beziehungen zu ihnen.

Mit der Veröffentlichung dieser Geschichte versuchten die HerausgeberInnen des Blattes offenbar, eine kontroverse Diskussion unter ihrer linken Yuppie-Leserschaft zu entfachen, die im großen und ganzen an egalitäre Beziehungen glaubte und John Wayne-Figuren für endgültig pass6 hielt. Dieses Ziel haben sie erreicht, denn eine Vielzahl an LeserInnenbriefen in den folgenden Ausgaben brachten ein breites Spektrum höchst emotionaler Reaktionen zum Ausdruck. Manche IxserInnen dachten: »Mit dieser Frau kann etwas nicht stimmen; sie muß Masochistin sein oder so etwas Ähnliches«. Die unterschwellige Botschaft lautete in solchen Fällen: »Ich habe niemals derartige Bedürfnisse.« Andere aber drückten zwar ihr Unbehagen über die Veröffentlichung aus, schlossen aber mit der Bemerkung, man solle sich niemals ein Urteil über das Sexualverhalten anderer Menschen anmaßen, sondern »leben und leben lassen«.
Diese beiden Reaktionen auf das offene Bekenntnis einer Frau, politisch und feministisch ausgesprochen »falsche« Bedürfnisse zu haben, sind typisch für unsere gegenwärtigen Diskussionen über das weibliche Begehren. DogmatikerInnen versuchen, jedes Verlangen wegzuerklären, das nicht in ihr egalitäres Paradigma paßt, und leugnen Hinweise auf Machtstrukturen in ihren eigenen Beziehungen. Also sind Frauen, die sich zu alkoholisierten Soldaten hingezogen fühlen, einfach »krank«.
Das sexuell libertäre feministische Lager dagegen (ein sehr kleines Lager, denn die meisten Libertären sind Männer) weigert sich, die Dynamik spezifischer Beziehungen zu untersuchen. Diese Frauen sind der Ansicht, solange eine Frau einverstanden ist mit der sexuellen Aktivität oder der Beziehung, soll sie doch tun und lassen was sie will, und andere sollten sie nicht moralisch be- und verurteilen.

Die Libertären weisen da auf einen wichtigen Punkt hin. Viele Diskussionen über Sexualität beginnen und enden mit moralischen Urteilen, die uns überhaupt nicht helfen, wenn wir begreifen wollen, was eigentlich vor sich gegangen ist. Das einzige, was solche Urteile bewirken, ist, die selbsternannten Richterinnen darin zu bestärken, sie und ihre Bedürfnisse seien wirklich angemessen feministisch. Doch moralische Urteile sind nicht die einzige Art und Weise, sich mit Sexualität auseinanderzusetzen. Die Frau mit einer fatalen Leidenschaft für Soldaten muß nicht unbedingt als Masochistin bezeichnet werden. Wir können uns auch bemühen zu verstehen, was genau sie in den Soldaten sucht. Wir könnten uns ihre persönliche Entwicklungsgeschichte - Wer waren ihre Eltern? Wie hat sich ihre Sexualität entwickelt? - und ihren sozialen Kontext ansehen - zum Beispiel die amerikanische Ideologie vom Soldatentum als Inbegriff von Männlichkeit - und so verstehen lernen, wie die erotischen Vorlieben dieser Frau in die grundlegenden Muster ihres sexuellen und sozialen Lebens passen.

Da sie ihre Beziehung zu den Soldaten offenbar als diskussionswürdig betrachtete und darüber schrieb, hat sie sich bereits ein Stück neben sich gestellt und bemüht sich zu verstehen, ob und warum sie ihre sexuellen Verhaltensmuster verändern sollte. Die von ihr karikierte Männlichkeit der Männer machte es den Leserlanen relativ leicht, ihr Verlangen nach diesen Männern als »ein Problem« zu begreifen. Doch was wäre gewesen, wenn sie sich zu Rechtsanwälten mittleren Alters mit dickem Bankkonto hingezogen gefühlt hätte? Das wäre vielleicht für Mother Jones kein interessantes Thema, gleichgültig, wie sehr sie ihr Verhalten problematisieren würde. »Fatale Neigung zu Männern der Oberklasse ruinierte beinahe mein Leben«; »Schäbige Leidenschaft für Börsenmakler«, »Warum steht sie auf Yuppies?« - Nein, das wären keine guten Schlagzeilen. Und doch gibt es keinen Grund, warum eine Leidenschaft für Rechtsanwälte oder Börsenmalder für das Selbstwertgefühl einer Frau nicht ebenso schädlich sein könnte wie eine Sehnsucht nach Boxern, Fußballspielern oder Soldaten. Als eine Investition behandelt zu werden, ist nicht unbedingt besser als die Behandlung als Kriegsbeute, auch wenn es an der Oberfläche vielleicht etwas zivilisierter erscheint.

Wenn wir Veränderungen wollen, müssen wir uns entscheiden, was wir eigentlich verändern wollen. Die Frau in Mother Jones war sich nicht darüber im klaren, ob ihr Problem darin lag, daß viele ihrer Männer entweder Alkoholiker waren oder gewalttätig oder beides, oder ob es um ihre Faszination durch die Armee ging. Wenn das letztere das eigentliche Problem war, hätte sie vielleicht versuchen können, selbst in die Armee einzutreten, um ihre untergründige Faszination ausleben und überwinden zu können. Wenn das erste das Problem war, müßte sie ihre Lebensgeschichte und ihre Gefühlswelt darauffiin betrachten, welche Rolle physische Gewalt und Alkohol darin spielten. Alternativ dazu könnte sie ihre Erfahrungen auch anders denn als bizarre Vorlieben betrachten, nämlich als übersteigerte Version ganz normalen weiblichen Verhaltens. Viele Menschen werden daran gehindert, manche ihrer Verhaltensweisen zu problematisieren, einfach deshalb, weil sie als normal und »natürlich« hingestellt werden. Frauen, die sich der Frauenbewegung verpflichtet fühlen, erleben an sich öfter die entgegengesetzte Reaktion. Sie versuchen nicht nur, ihre Geschlechtsrollen in ihren eigenen Beziehungen zu analysieren, sondern sie bekommen oft diffuse Schuldgefühle, daß sie sich überhaupt zu Männern hingezogen fühlen. Ihr Feminismus hat ihnen schmerzhaft deutlich vor Augen geführt, wie Männer ihre Macht nutzen, mißbrauchen und in persönlichen Beziehungen immer wieder herstellen können; und viele verzweifeln darüber und glauben, eine Gleichheit oder Gleichwertigkeit in Beziehungen mit Männern sei überhaupt nicht möglich. Also beginnen sie sich selbst in Frage zu stellen: Warum fühlen sie sich überhaupt zu Männern hingezogen? Spüren sie wirklich das Verlangen nach einem männlichen Körper, oder sind sie einfach nur seiner Macht verfallen?
Viele Frauen, die Feminismus und Heterosexualität als einander widersprechend empfinden, haben sich dafür entschieden, eine strikte Trennung vorzunehmen zwischen ihrem öffentlichen Leben - als überzeugte Feministin, als Frau, die mit anderen Frauen zusammenarbeitet - und ihrem Privatleben. Eine Feministin mag sich sehr zu einem Mann hingezogen fühlen, der zwar nicht fehlerlos, aber generell pro-feministisch eingestellt ist, und sich doch ein wenig für ihre Liebe zu ihm schämen. Ich habe gelegentlich Frauen bei einer Party oder einem öffentlichen Ereignis gesehen, die bei dieser Gelegenheit den Mann, mit dem sie zusammenlebten, vollkommen ignorierten, einmal mußte ich eine Frau, mit der ich seit Jahren zusammenarbeitete, praktisch zwingen, nüch dem Mann vorzustellen, mit dem sie seit Jahren in einer Partnerschaft zusammenlebte.
Die britische Feministin Angela Hamblin kommentiert diese Situation so:


Im Laufe des letzten Jahrzehnts hat sich eine steigende Zahl feministischer Frauen darangemacht, die Bedingungen zu verändern, unter denen wir bereit sind, unsere Sexualität mit Männern zu teilen. Es war zum größten Teil ein rein privater Kampf... Unterm Strich bleibt festzuhalten, daß wir uns als heterosexuelle Feministinnen in einer isolierten Lage befanden..., darauf zurückgeworfen, unsere Beziehungen zu Männern als unsere »Privatangelegenheiten« zu betrachten, die mit unserem politischen Kampf nichts zu tun haben.[8]

In vielen Frauengruppen gibt es, besonders wenn auch lesbische Frauen darunter sind, eine unausgesprochene Vereinbarung, so zu tun, als existierten Beziehungen zu Männern gar nicht oder als seien sie unbedeutend. Wir sind schließlich die starken Frauen und wollen nicht auch noch der Vorstellung Vorschub leisten, daß Frauen über ihre Beziehungen zu Männern definiert werden. Und manche Lesben tragen ihren Teil dazu bei, heterosexuellen Frauen Schuldgefühle zu vermitteln, indem sie ihnen zu verstehen geben, sie hielten Männerbeziehungen für eine Schwäche, die Achillesferse des Feminismus sozusagen. Ich persönlich kenne jedoch nicht eine einzige lesbische Frau, die ernsthaft die Auffassung vertritt, Heterosexualität sei per se eine unfeministische Lebensform. Nicht wenige der sozialen Beziehungen, die mit Heterosexualität einhergehen, sind in der Tat fragwürdig, aber diese strukturellen Probleme rechtfertigen noch keine abfälligen Bemerkungen über das sexuelle Verlangen von Frauen nach Männern. Es ist wahr, daß viele Feministinnen - nicht nur Lesben - es für reichlich öde und sogar, politisch gesehen, geschmacklos halten, wenn eine Frau in ihren Äußerungen ständig Bezug auf ihren Ehemann oder Freund nimmt. Doch wenn eine Frau erotisch im siebten Himmel schwebt, gibt es keinen Grund, ihr ihre Leidenschaft dämpfen oder ausreden zu wollen.
Die Leidenschaft für einen Mann ist nicht gleichzusetzen mit Abhängigkeit von ihm. Die Freude über eine schöne, befriedigende Sexualität sollten Frauen sich gegenseitig mitteilen und miteinander teilen; die Diskussionen über Männer sollten nicht nur den Momenten vorbehalten bleiben, in denen es in unseren Beziehungen kriselt und wir Schutz und Unterstützung bei unseren Schwestern suchen. Selbstverständlich brauchen alle ein gewisses Taktgefühl, um manchen Frauen nicht das Gefühl zu geben, sie stünden außen vor, oder lesbischen Frauen den Eindruck zu vermitteln, ihre Beziehungen zählten nicht. Doch es ist von entscheidender Bedeutung für unsere kollektive Weiterentwicklung, daß wir bestimmte Risiken eingehen und das Glück, das unser Körper empfindet, mit anderen teilen. Als Feministinnen mögen wir Frauen mit Skepsis begegnen, die sich dauernd der Anerkennung durch Männer versichern müssen, um sich überhaupt als lebens- und liebenswert zu empfinden. Doch genau aus diesem Grund sollten wir uns darüber freuen, wenn Frauen Männer begehren, ohne existenziell auf sie angewiesen zu sein.
Wir müssen lernen, über unser sexuelles Begehren miteinander zu sprechen. Wenn Frauen sich miteinander unterhalten, steht häufig ein Thema ganz oben auf der Tagesordnung: »Beziehungen«. Doch das ist nicht dasselbe wie über Sex zu sprechen. Denn erstens findet nicht jeder Sex innerhalb von Beziehungen statt, und unsere Konventionen machen es uns sehr schwer, über eher flüchtige sexuelle Erfahrungen miteinander zu sprechen. Und zweitens neigen wir auch in unseren Gesprächen über unsere »Beziehung« häufig dazu, ihre sexuelle Komponente zu verschweigen. Das ist eigentlich kein Wunder, denn schließlich können wir ja häufig nicht einmal mit unserer/m Geliebten über Sex reden.
Was würde geschehen, wenn wir Sex zu einem ganz gewöhnlichen Gesprächsthema machten, gerade so wie wir über unsere Arbeit und über Politik reden? Die meisten Diskussionen, an denen ich teilgenommen habe, behandeln das Thema Sex indirekt. So mag eine Frau beispielsweise das Thema Verhütung ansprechen und am Ende einiges über ihr Sexualleben verraten haben durch die Art und Weise, wie sie eine »wissenschaftliche« Diskussion über das Diaphragma führte. Chder eine andere vertraut einer Freundin an, daß sie befürchtet, sich bei X oder Y Herpes geholt zu haben. Aber wir kämen nie auf die Idee, eine gute Freundin anzurufen und ihr zu sagen: »Ich muß dir unbedingt von der großartigen sexuellen Erfahrung erzählen, die ich gerade gemacht habe.« Wir kämen uns ausgesprochen dumm dabei vor, so als wären wir sexuell pervers oder wollten uns mit unseren tollen Eroberungen brüsten. Doch unsere Gefühle, Frustrationen, ekstatischen Momente und geheimen Sehnsüchte mitzuteilen, ist ein wesentlicher Teil des FeministinSeins. Wir glauben doch schließlich daran, daß das »Persönliche politisch« ist, und was könnte persönlicher sein als Sex?
Ein Grund für unser kollektives Schweigen kann genau darin liegen, daß wir uns diesen Slogan zu sehr zu Herzen genommen haben und uns insgeheim Sorgen machen, unsere sexuellen Praktiken könnten sich als »politisch nicht korrekt« herausstellen. Doch ich glaube, der Feminismus ist in dieser Hinsicht in den letzten Jahren sehr viel reifer geworden. Es gab einmal die vehementen Diskussionen dahingehend, die männliche Penetration sei sadistisch und frauenfeindlich, aber ich glaube, nur wenige kämen heute noch auf die Idee, eine solche Auffassung öffentlich zu vertreten. Und für jeden dogmatischen Kommentar gibt es viele, viele andere Äußerungen von Frauen, die nicht so leicht verurteilen, sondern bereit sind, ihre Gedanken und Gefühle mitzuteilen.

Ich vermute, das größte Hindernis, über Sex zu reden, ist nicht so sehr die Furcht vor den Reaktionen der anderen, sondern eher die Befürchtung, wir selbst könnten vielleicht gar nicht so angetan sein von dem, was wir da feststellen, wenn wir nur genau genug hinsehen. Zahlreiche der von Angela Hamblin interviewten Frauen mußten zugeben, daß sie gelegentlich in ihrem Leben sexuelle Praktiken ausgeübt hatten, die sie demütigten. Eine Frau sagte zum Beispiel:


Ich habe mich zum Sex gedrängt gefühlt - durch Überredung, durch Streitereien, Beschimpfungen und durch nackte Gewalt. Ich hatte recht lange eine Beziehung zu einem Mann, der sich beim Sex gegen jede andere als die von ihm bevorzugte Variante sträubte, was dazu geführt hat, daß ich dauernd zum Geschlechtsverkehr gezwungen wurde... Er hat mir keinen Raum gelassen, meine eigene Sexualität zu entwickeln.[9]

Diese Frau ist offenbar wütend auf den Mann, aber sie ist auch wütend auf sich selbst, daß sie sich diesen Raum nicht genommen hat. Sie äußert weiter, daß sie oft von diesem Mann beschimpft und zum Sex gezwungen wurde, und fügt hinzu, daß dies eine »recht lange Beziehung« war, ein Zusatz, der dafür spricht, daß sie sich selbst die Schuld dafür gibt, es so lange mit ihm ausgehalten zu haben. Sie hat sich wahrscheinlich gelegentlich gegen den Sex gewehrt, doch anstatt diesen Widerstand hervorzuheben, betont sie ihre Schwäche. Indem sie sich selbst als Opfer darstellt, vollführt sie das feministische Pendant zur katholischen Beichte. Und wie wir schon in früheren Abschnitten diskutiert haben, nimmt sie innerlich das Mitleid vorweg und erwartet insgeheim, daß die feministische Leserschaft ihr vergibt.


Es ist in der Tat sehr schwierig, sich moralischer Urteile zu enthalten, besonders wenn es um die eigene Person geht, und Wege zu finden, unangenehme Erfahrungen zu schildern, ohne in die Attitüde der reumütigen Sünderin zu verfallen. Und ganz besonders schwierig ist es, die eigene Situation offenzulegen, wenn uns das Gefühl, daß wir Männer anziehend finden, selbst suspekt ist und wir Schwierigkeiten haben, Leidenschaft und Abhängigkeit und den sexuellen Aspekt der Heterosexualität von seinen sozialen und politischen Konnotationen zu unterscheiden. Sich einem Mann »hinzugeben«, bedeutete nur zu oft, sich insgesamt dem patriarchalischen System hinzugeben; sich verführen zu lassen, hat häufig bedeutet, einen Mann glauben zu lassen, er habe Macht über alle Frauen. Also empfinden wir eine besondere Verantwortung, uns der Macht eines Mannes entgegenzustellen, und wenn wir das nicht schaffen, haben wir das Gefühl, unsere Schwestern zu verraten.
Zwar ist an diesen Empfindungen etwas Wahres dran, doch wir können nicht das gesamte Gewicht des Patriarchats (oder des Feminismus) alleine auf unseren Schultern tragen. Wir sollten freundlicher zu uns selbst sein und uns von dem Gefühl verabschieden, weil wir uns einem Mann hingeben oder einen Orgasmus vortäuschen, müsse der Feminismus gleich einen schweren Rückschlag erleiden. Und wenn wir beginnen, über Sex zu sprechen, müssen wir das mit einem Respekt für unsere eigene Persönlichkeit tun, uns selbst dieselbe Zuneigung, dasselbe Verständnis zukommen lassen wie wir sie anderen Frauen entgegenbringen. Wir haben alle schon verschiedentlich Rückfälle in alte Rollenklischees an uns beobachtet oder einem Mann mehr gegeben, als er verdient hätte. Doch wir sind keine Über-Frauen und können nicht aus eigener Kraft ein nicht-sexistisches Gesellschaftssystem hervorbringen. Wir können wütend auf uns sein, wenn wir uns nahtlos in ein von Männern definiertes Szenario eingefügt haben oder in einer Beziehung ausharrten, von der wir wußten, daß wir dort die unterlegene, die weniger respektierte Persönlichkeit waren. Aber wir haben uns für nichts, was wir jemals getan haben, zu schämen. Scham und Schuldgefühle hindern uns eher daran, neue Verhaltensweisen zu entwickeln und bringen uns dazu, genau das Verhalten zu wiederholen, das uns die Schuldgefühle oder die Scham hat empfinden lassen.
Uns so zu akzeptieren, wie wir sind, würde uns sehr dabei helfen, miteinander zu sprechen und uns in unseren bis dato privaten sexuellen Auseinandersetzungen beizustehen. Wir könnten lernen, unser eigenes Verhalten aus kritischer Distanz zu betrachten, wir könnten sogar lernen, darüber zu lachen, wenn wir uns stereotyp verhalten. Doch wir sollten niemals das Gefühl bekommen, daß wir eigentlich auf die Knie fallen, Asche auf unser Haupt streuen und uns des Feminismus für unwürdig erklären müßten.
Vor einigen Jahren war ich in einer anderen Stadt auf einer Tagung. Am zweiten Abend blieb ich noch lange mit einigen Leuten zusammen und diskutierte über die Aussichten für eine sozialistische Revolution in Lateinamerika und andere politische Themen. Einer der Teilnehmer an der Diskussion, ein gebürtiger Lateinamerikaner, kam mir zunächst wie ein typischer Frauenheld vor, der klassische »latin lover«. Doch während wir zusammensaßen, diskutierten und tranken, stellte ich fest, daß er von revolutionärer Überzeugung erfüllt war. Schließlich gingen alle zu Bett, bis auf diesen Mann, eine Frau und mich. Der Mann (ich werde ihn Daniel nennen) stand an einer Stelle plötzlich auf, stellte sich hinter meinen Stuhl und legte mir die Hand in den Nacken. Ich hätte das als Übergriff empfinden sollen, statt dessen erregte mich diese Geste. Die andere Frau signalisierte ihr Interesse an ihm durch subtile, doch unmißverständliche Zeichen, und während ich sie beobachtete, beschloß ich, daß ich diese Nacht mit Daniel verbringen würde. (Ich konnte sogar fühlen, wie mein sexuelles Interesse durch diese Konkurrenzsituation noch gesteigert wurde, ein seltsames, mir bis dahin unvertrautes Gefühl.) Gleichzeitig wollte ich mich nicht zur Närrin machen, indem ich zu deutlich mein Interesse signalisierte, also bemühte ich mich um die schmale Gratwander-ung zwischen Interesse und Gleichgültigkeit, antwortete seinen Blicken, aber nicht zu begierig.
Nach einiger Zeit wurde der anderen Frau deutlich, daß sie »verloren« hatte, und sie zog sich dezent zurück. Allein mit Daniel, fragte ich mich, ob ich es wirklich »durchziehen« wollte. Ich kannte ihn kaum, und wir würden noch den Rest der Woche zusammenarbeiten. Doch nach einem weiteren Blick aus seinen schwarzen Augen schlug ich alle Vernunft in den Wind. Er hatte mehr als ein Glas zuviel getrunken und machte den Vorschlag, wir sollten noch gemeinsam spazierengehen, was ich für eine gute Idee hielt, da ihn das ernüchtern würde. Wir gingen hinaus in die stille, tropische Nacht. Schon bald fielen wir uns in die Arme und küßten uns leidenschaftlich. Wir kehrten zurück zu unserem Hotel, gingen auf sein Zimmer, und ich stand stumm daneben (wie eine gute Geliebte, dachte ich lächelnd), als er seinen Zimmergenossen - der schon fest schlief - aufweckte und davonschickte. Dieser glitt an uns vorbei, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Ich fühlte mich ein wenig lächerlich, schob die Verlegenheit jedoch entschlossen von mir.
Schließlich wurde die Tür geschlossen, und wir gingen ohne Umschweife ins Bett. Er kümmerte sich um die Verhütung, was mich angenehm überraschte, doch nachdem wir diese Hürde überwunden hatten, ging er dazu über, die Sexualität zwischen uns nach eigenem Gutdünken zu gestalten, entsprechend seiner Vorstellung davon, wie guter Sex abzulaufen hatte. Ich war etwas irritiert - ich bin es gewohnt, daß man sich gegenseitig vorsichtig und zögernd erkundet, und war nicht darauf vorbereitet, daß er so zielstrebig vorging -, doch gleichzeitig war daran etwas ausgesprochen Erregendes. Zwar übernahm er die Regie, doch er war nicht egoistisch; tatsächlich verbrachten wir sogar mehr Zeit damit, meiner Lust nachzugehen als seiner, soweit eine solche Unterscheidung überhaupt möglich ist. Ausgehend vom gewöhnlichen Geschlechtsverkehr gingen wir zu einer Reihe anderer Möglichkeiten über, und meine Lust steigerte sich. Als er, recht gebieterisch, zu mir sagte: »Dreh dich um«, tat ich es nicht nur fügsam, sondern mit einer Leidenschaft, die der seinen entsprach. Als die Sonne aufging, fühlte ich mich - mein Körper fühlte sich - unsagbar glücklich.
Ich hatte das sichere Gefühl, etwas getan zu haben, das sowohl in den Augen der Traditionalisten wie nach Ansicht von Feministinnen falsch gewesen war. Ich hatte mit einer anderen Frau um die sexuelle Gunst eines Mannes rivalisiert, und das bedeutete, daß ich mich nicht nur wenig schwesterlich verhalten, sondern auch noch dazu beigetragen hatte, das Ego des Mannes aufzupolieren. Dann hatte ich ihn den Ort wählen lassen, an dem wir uns lieben würden; und schließlich hatte ich ihm die Kontrolle über den gemeinsamen Sex überlassen. Er hatte keinen Augenblick gezögert, seine sexuellen Wünsche zu äußern, während ich größtenteils still geblieben war. Last not least war er ungefähr fünfzehn Jahre älter als ich, verheiratet, und sein Interesse an einer jüngeren Frau war offenbar ausschließlich sexuell. Und wahrscheinlich war er auf dem besten Weg zum Alkoholiker. Insgesamt betrachtet also keine überragende Vorstellung. Und doch wußte ich genau, worauf ich mich einließ, machte mir keine Illusionen über ihn und hatte mich entschieden, mich so zu verhalten und das Ganze so weit wie möglich zu genießen. Die Art von Sex, die wir hatten, wies jeden Gedanken an eine Beziehung gleich in die Schranken - vermutlich betrachtete er »seine« Frauen als sein persönliches Eigentum - und qualifizierte ihn als eine spontane »One-Night-Affair«; aber so, ohne jegliche Konsequenzen, war es einfach schön. Mich kümmerte also nicht nur wenig, was andere Leute denken mochten, sondern auch, was ich am nächsten Tag wohl darüber denken würde. In Toronto, der Stadt, in der ich lebe, wäre ich wahrscheinlich niemals so wagemutig gewesen, doch hier würde keine(r) meiner Bekannten etwas davon erfahren.

Nun bin ich weit davon entfernt, flüchtigen Sex mit einem angenehmen, aber sexistischen Mann mittleren Alters als eine Art Rezept anzupreisen. Im großen und ganzen findet guter Sex mit einem Mann eher innerhalb einer länger dauernden Beziehung statt, in der ein Mann unsere Wünsche und unseren eigenen Rhythmus lernen kann und wir die Gelegenheit haben, ihm zu vertrauen und uns zu öffnen. Und auf jeden Fall erfüllt auch der beste Sex in flüchtigen Begegnungen noch lange nicht unser Bedürfnis nach Zuneigung und Sympathie.
Mir geht es hier jedoch um folgendes: Manchmal gelingt es uns, unter ungewöhnlichen Umständen ungewöhnliche Lust zu empfinden, und wir sollten für das Unerwartete offen sein. Die Welt, in der wir leben, ist den körperlichen Lustgefühlen einer Frau nicht gerade zuträglich, und selbst wenn wir eine Gelegenheit finden, sexuelle Lust auszuleben, kommt es häufig vor, daß der soziale Kontext nicht »stimmt«. Unter diesen Umständen sollten wir es weder uns noch anderen vorwerfen, wenn wir für uns das Beste aus einer grundsätzlich ungünstigen Situation machen.
Doch gelegentlich sehen wir Momente einer Art von Sex zwischen Männern und Frauen, die ausschließlich der gegenseitigen Lust dient und in der die sozialen Machtbeziehungen außer Kraft gesetzt zu sein scheinen. Manche, vielleicht sogar die meisten Frauen erleben das nur in langdauernden Beziehungen, in einem längeren Prozeß der gegenseitigen Annäherung und Herstellung von Gleichwertigkeit. Andere Frauen finden vielleicht keinen Partner, der sich auf diesen Prozeß einläßt, oder sie ziehen es aus dem einen oder anderen Grund vor, sich einem solchen langwierigen Angleichungskampf nicht auszusetzen. In diesen letztgenannten Fällen suchen die betreffenden Frauen nach Möglichkeiten, ihre Heterosexualität außerhalb der konventionellen Paarbeziehung zu leben.


Es wäre jetzt sehr schön, dieses Kapitel mit einer Lobpreisung der vielfältigen Möglichkeiten beschließen zu können, wie Frauen ihre Leidenschaft für Männer ausleben und sexuelle Befriedigung finden können. Doch dies wäre unrealistisch, ohne das Problem des Mangels zu betrachten, das heterosexuelle Frauen generell plagt, Feministinnen aber ganz besonders.


Das Problem des Mangels

Es gibt keinen Zweifel, daß der Mangel an geeigneten Männern das Haupthindernis für die sexuelle Befreiung der heterosexuellen Frauen darstellt. Frauen Mitte Dreißig oder älter stellen einfach fest, daß sie nicht-sexistischen, gut aussehenden, interessanten Männern in ihrem Alltag so gut wie nicht begegnen. Und wenn, dann sind sie - wie eine meiner Freundinnen einmal klagte - »in festen Händen«.
Es handelt sich dabei nicht nur um einen Mangel an Gelegenheiten für sexuelle Begegnungen. Unsere Gesellschaft ist so organisiert, daß heterosexuelle Frauen ohne Partner gleichzeitig auch von vielen anderen Dingen abgeschnitten sind: von gemeinsamen Wochenenden, Gesprächspartnern für Sorgen, jemandem, von dem sie sich Geld leihen oder mit dem sie in Urlaub fahren können. Es ist viel Wahres an dem Klischee, daß die Welt in Paaren denkt. Wenn eine Frau keinen festen Partner hat, leidet ihr soziales Leben mindestens ebenso wie das Sexualleben, wenn nicht mehr. Möchte sie auswärts zu Abend essen, muß sie mühsam einen Termin mit einem Freund oder einer Freundin finden; für spontane Ausflüge in Kneipen etc. fehlt es meist ebenfalls an geeigneten Partnern. Eine Frau alleine bekommt weniger Einladungen zu Feten, und wenn sie zu Freundlnnen eingeladen ist, die alle in Paaren leben, fühlt sie sich oft wie ein fünftes Rad am Wagen.
Und gleichgültig, wie unabhängig und selbstbewußt wir sind, es ist schwierig, der Überzeugung zu entkommen, daß die Attraktivität einer Frau auf dem sexuellen Markt definiert wird. Es ist schwierig, uns selbst für liebenswert und attraktiv zu halten, wenn wir keinen Erfolg im Paarungsspiel haben. Die objektiven Bedingungen sprechen gegen uns, besonders wenn wir die Mitte Dreißig überschritten haben, denn die meisten Männer ziehen eine niedliche Zwanzigjährige einer achtunddreißigjährigen, selbstbewußten Feministin vor. Statistisch betrachtet sind die Chancen, einen Mann näher kennenzulernen, ausgesprochen schlecht. Noch schlechter ist es um die Chance bestellt, einen Mann zu finden, der bereit ist, seinen eigenen Sexismus in einer Beziehung in Frage zu stellen. Selbst wenn wir feststellen, es ist nicht unser Fehler, daß geeignete Männer für eine Beziehung so selten auf uns zukommen, neigen wir dazu, uns mit Freundinnen zu vergleichen, die in einer Partnerschaft leben, und schneiden selbst dabei meist ungünstig ab. Manchmal idealisieren wir ihre Beziehung und merken nicht, daß auch sie eine ganze Reihe von Kompromissen eingehen und mit ungünstigen Situationen fertig werden müssen.
Das Problem des Mangels bedeutet, daß wir, wenn wir erst einmal eine Beziehung eingegangen sind, eine ganze Menge dafür tun, sie aufrechtzuerhalten, bis dahin, daß wir unseren Prinzipien untreu werden. Wenn die Alternative zu Mann X in Einsamkeit besteht, neigen wir dazu, uns mit allen möglichen Unarten dieses Mannes abzufinden, die wir bei einer Zimmergenossin niemals dulden würden. Der fragliche Mann mag nicht perfekt sein, aber er bekommt einen Glorienschein allein dadurch, daß er da ist. Dies erinnert mich an das »der letzte Mann auf der Welt-Syndrom«, wie das eine meiner Freundinnen einmal genannt hat - ein Syndrom, von dem Frauen manchmal schon in überraschend jungem Alter befallen werden.
Die allzu große Abhänigkeit einer Frau, die unter diesem Syndrom leidet, ist leicht zu erkennen; weit schwieriger ist es, ihr konkrete Vorschläge zu machen, wie sie in der Beziehung mehr Einfluß gewinnen kann. Wenn wir erst einmal um die vierzig oder gar fünfzig sind, besteht tatsächlich eine große Wahrscheinlichkeit, daß jeder Mann, mit dem wir eine Affäre haben, die letzte Gelegenheit für eine verbindliche Beziehung sein wird. Wir wissen zwar, daß älter zu werden nicht automatisch bedeutet, häßlich und einsam zu sein, doch der Rest der Welt hat das offenbar noch nicht mitbekommen. Dies kann einen enormen Druck auf eine Beziehung ausüben und die Neigung zur Eifersucht verstärken.
Ein weiterer Aspekt des Mangel-Problems ist der, daß man ohne ständigen Partner dauernd zwischen einem Leben ohne Sex und flüchtigen Sexualbeziehungen zu wählen gezwungen ist. Die letztgenannte Alternative kostet einige Energie, und häufig ist das Ergebnis nicht einmal in sexueller Hinsicht befriedigend. Viele Frauen durchleben in einem bestimmten Stadium ihres Lebens eine Zeit, in der sie flüchtige Affären mit Männern, die sie kaum kennen, eingehen - mit dem Ergebnis, daß sie sich entweder emotional zu sehr engagieren oder daß sie die betreffenden Männer abstoßend finden. Als Studienanfängerin habe ich einige Jahre so gelebt. Ich muß zugeben, daß sich meine Vorstellung - Spaß an gelegentlichem, unkompliziertem Sex mit einem einigermaßen netten Mann zu haben - nur selten verwirklichen ließ. Einer oder zwei dieser Männer stellten sich als ausgesprochene Widerlinge heraus, und mit ihnen zu schlafen bedeutete, mehr über sie zu erfahren, als ich jemals wollte. Ein anderer Mann konnte offenbar sich selbst eine unkomplizierte sexuelle Freundschaft mit mir nicht zugestehen und war, nachdem wir einige Male miteinander geschlafen hatten, weder in der Lage, mich weiterhin als Freundin zu akzeptieren, noch weiterhin mit mir zusammenzuarbeiten. Und ein recht merkwürdiger Mann (der sich bei näherem Kennenlernen als impotent erwies) beschloß, sich in mich zu verlieben. Woraufhin ich gezwungen war, die Flucht vor ihm zu ergreifen. Im Laufe von zwei, drei Jahren erwies sich nur eine kleine Anzahl von Männern als »okay«. Der Sex mit ihnen war angenehm, es gab danach keine emotionalen Rechnungen zu begleichen, und miteinander zu schlafen war in eine mehr oder weniger oberflächliche Freundschaft integriert. Als ich mich dann in einen Mann verliebte, der intelligent war, gut aussah und sich nicht vor seinen eigenen Gefühlen fürchtete, war ich keineswegs abgeneigt, mein lockeres Leben aufzugeben und vielleicht zu heiraten. Ausschließlich monogam zu leben, gehörte nicht zu unserer Vereinbarung, aber ich hielt es nicht für schwierig, ihm grundsätzlich treu zu sein und Verantwortung für die Beziehung zu übernehmen. Ich hatte mich niemals zuvor auch nur annähernd verliebt und daher keinen Grund anzunehmen, es könnte plötzlich ein anderer wundervoller Mann in meinem Leben auftauchen. Ich wollte auf mein Recht, gelegentlich mit jemand anderem zu schlafen, nicht verzichten (er auch nicht), aber ich bezweifelte, daß ich das sehr häufig tun würde. Flüchtige sexuelle Begegnungen enthalten für Frauen so zahlreiche Fallen, daß es verständlich ist, warum so viele alleinstehende Frauen schließlich darauf verzichten. Dennoch halte ich es für wichtig, daß wir Sex außerhalb von Beziehungen nicht ganz aufgeben. Wir müssen uns sicherlich der Risiken bewußt sein, aber wenn wir total darauf verzichten, zementieren wir das alte System, nach dem eine Frau sexuelle Lust nur in einer verbindlichen, festen Beziehung erleben darf. Das bedeutet nicht, daß es keine guten Gründe geben kann, weshalb eine Frau sich für ein zölibatäres Leben entscheidet. So wie ich es sehe, ist das Zölibat eine positive Wahlmöglichkeit, mit der sich eine Frau dafür entscheidet, aus der Suche nach einem Sexualpartner vollständig auszusteigen. Probleme kann es für Frauen geben, die nicht freiwillig auf sexuelle Kontakte verzichten, sondern eigentlich auf der Suche nach einem Sexualpartner sind. Wenn sie zu pingelig sind und zu sehr darauf bestehen, alles mögliche sicherzustellen, bevor sie mit einem Mann ins Bett gehen, nachdem sie eine lange Zeit ohne Sex waren und viel Zeit und Energie darauf verwendet haben, eine Beziehung zu finden, kann es für sie schwierig werden, eine solche Affäre überhaupt zu genießen. Sie befrachten diese Affäre dann möglicherweise mit vielen Bedeutungen, die sie vielleicht gar nicht hat, und können sich so tatsächlich selbst ein Bein stellen, indem sie das »der letzte Mann auf der Welt«-Syndrom bekommen.
In unserer Generation werden wir es nicht mehr erleben, daß genug »neue Männer« in Erscheinung treten, die sowohl geeignet sind für eine Beziehung, als auch überhaupt daran interessiert. Das ist die traurige Wahrheit. Also müssen wir mit anderen sexuellen Möglichkeiten experimentieren, ohne zu viele Illusionen über die Möglichkeiten zu hegen, die gelegentliche Affären in sich bergen. Wir können in unserem Leben viele Dinge planen, doch in bezug auf Sexualität ist das schwierig. Unter den heterosexuellen Frauen, die ich kenne, scheinen diejenigen die glücklichsten zu sein, die mit offenen Augen nach Sexualpartnern und sexueller Lust durchs Leben gehen, aber weder zu sehr von ihrem Partner noch generell von Männern abhängig sind. Die unglücklichsten Frauen sind diejenigen, die sich solch künstliche Grenzmarken setzen wie: »Wenn ich mit vierzig noch keinen Mann habe, dann ist alles gelaufen« oder »Wenn diese Beziehung schiefgeht, dann liegt es an mir«. Ein solches Denken kann nicht nur das eigene Leben, sondern auch die beste Beziehung ruinieren.
Darüber hinaus müssen wir uns darin üben, unser sexuelles Verlangen von emotionalen Bedürfnissen zu unterscheiden. Das ist nicht immer leicht. Wir müssen akzeptieren, daß wir weiterhin unsere Freundlnnen als emotionale Stütze und für gute Gespräche brauchen, selbst wenn wir uns auf eine Beziehung zu einem Mann einlassen. Und wir müssen akzeptieren, daß eine nicht-sexuelle Freundschaft mit einem Mann oder einer Frau wichtiger für unser emotionales Wohlergehen sein kann und wir mehr Energie und Verantwortungsgefühl in sie investieren, als in manche sexuelle Beziehungen. Wenn wir realistisch sind in unseren Erwartungen und es vermeiden, einen Partner als den letzten Mann auf der Welt zu behandeln (selbst wenn er es sein mag!), werden wir entspannter und besser in der Lage sein, Höhen und Tiefen und sogar Fehlschläge zu verkraften. Wenn wir unsere emotionalen Investitionen diversifizieren - man verzeihe mir diesen Börsen-Ausdruck -, dann werden wir in einer plötzlich auftauchenden Katastrophe nicht so verletzlich sein.


Die Krise der Heterosexualität


Wenn es uns in einer Beziehung schlecht geht, oder wenn wir gerade keine Beziehung haben, kann es ganz sinnvoll sein, sich die Tatsache vor Augen zu führen, daß die Schwierigkeiten, die wir gerade erleben, nicht an unserer persönlichen Krise liegen, sondern an der historischen Krise der Heterosexualität. Viele der traditionellen Normen, die in früheren Jahrzehnten dazu dienten, Paare zusammenzuführen und zusammenzuhalten, sind offensichtlich im Zusammenbruch begriffen. Doch nach wie vor sind wir das Produkt unserer Kindheitserfahrungen und haben bestimmte emotionale Bedürfnisse und Erwartungen, die in der heutigen Welt nicht leicht zu erfüllen sind. Die meisten von uns sind in einer relativ konventionellen Kleinfamilie aufgewachsen, und selbst die Ausnahmen unter uns sind zumindest mit der Kleinfamilien-Ideologie konfrontiert worden, die mehr oder weniger unangetastet blieb. Doch die meisten von uns werden den größten Teil ihres Lebens nicht in einer solchen Verbindung verbringen. Als Produkt unserer Erziehung und gleichzeitig als Erwachsene in einer Welt ~nach der sexuellen Revolution«, hegen wir widersprüchliche Bedürfnisse und Wünsche. Wir möchten lebenslange Sicherheit, aber auch vollständige Autonomie. Wir haben ein Gefühl für unsere Rechte und Verantwortlichkeiten in Beziehungen, glauben aber auch an die Bedeutung von Freiheit und daran, daß jeder Mensch seinen eigenen Weg gehen muß. Da diese Überzeugungen in sich widersprüchlich sind, ist es kein Wunder, wenn wir häufig verwirrt sind.
Abgesehen von der allgemeinen, geschlechterübergreifenden Krise im Sexual- und Familienleben (mehr über die sexuelle Ethik im letzten Kapitel), müssen Frauen, die an die Unabhängigkeit von Frauen glauben, sich mit besonderen Problemen und Widersprüchen her-umschlagen. Wir werden uns nicht mit einer konventionellen Beziehung begnügen, in der der Mann die wesentlichen Entscheidungen trifft und wir nur gelegentlich darüber den Kopf schütteln, was wieder an ihm »typisch Mann« ist. Wir erwarten eine ganze Menge von den Männern, schließl ich haben wir ja selbst ganz wesentliche Veränderungen durchgemacht. Doch selbst die Männer, die verstandesmäßig für gleichwertige Beziehungen sind, finden es nicht leicht, uralte Verhaltensmuster zu durchbrechen, die sich ausschließlich zu dem Zweck herausgebildet haben, ihnen ein angenehmes Leben zu sichern.
Das bedeutet, Konflikte liegen immer in der Luft, und dies zu wissen, kann uns beinahe zur Verzweiflung treiben. Denn niemand möchte dauernd im Haus, im Schlafzimmer, in der Küche, in Anwesenheit der Kinder und bei der Hausarbeit kämpfen müssen. Wir möchten unseren Kampf gegen das Patriarchat gern vor der Haustür anfangen und drinnen einen liebenden Mann und Partner vorfinden. Und doch geht das nicht, selbst wenn wir es noch so sehr möchten und selbst wenn wir uns die größte Mühe geben, über manche Probleme hinwegzusehen. Wenn wir uns erst einmal durch die Einwirkung des Feminismus zu verändern begonnen haben, tragen wir dieses kritische Bewußtsein in uns und nehmen es überall mit hin, gleichgültig wohin wir gehen; wir können es nicht abstreifen oder einfach abschalten. Zwar gelingt es uns gelegentlich, unser feministisches Urteil außer Kraft zu setzen und »fünf gerade sein zu lassen«, doch wir könnten uns niemals mehr etwas vormachen und so tun, als seien wir glücklich, wenn eine Beziehung uns in Wirklichkeit einengt.
Vielleicht sollten wir die Situation einmal aus anderer Perspektive betrachten und uns freuen und wundern, daß es tatsächlich manche Beziehungen gibt, die funktionieren. Schließlich ist esja durchaus bemerkenswert, wenn manche Männer die Herausforderung annehmen und eine
sexuelle und soziale Beziehung eingehen, in der nicht automatisch die angestammten männlichen Interessen Vorrang haben. Es ist überraschend, daß so viele Menschen die alten Verhaltensmuster hinter sich lassen und versuchen, ihr Leben zu gestalten, allein mit ihren persönlichen Lebenserfahrungen, ihren Überzeugungen und den Erfährungen anderer als Orientierung. Da es uns nur allzu leicht fällt, uns selbst die Schuld zu geben, wenn etwas mißlingt, sollten vielleicht wir einmal die positiven Veränderungen würdigen, die wir schon erreicht haben.


Auch hier gilt es wieder, unseren persönlichen Kampf in den Kontext eines kollektiven Kampfes von Millionen von Frauen überall auf der Welt zu stellen, die alte Normen in Frage stellen und dabei sind, die Bedingungen für ein anderes Leben neu zu gestalten. Wir selbst mögen vielleicht in dem Stadium, das nach der Zerstörung des Alten, aber vor der Schaffung des Neuen kommt, steckenbleiben und mit düsterem Blick auf unsere persönliche Zukunft schauen. Doch wenn irgendwo auf der Welt eine Frau oder ein Paar tatsächlich eine qualitative Veränderung schafft, dann handelt es sich nicht nur um ihre ganz eigene, persönliche Veränderung, sondern um einen Wandel, der zur Schaffung neuer Grundlagen für uns alle dient. Wir befinden uns tatsächlich mitten in einer revolutionären Situation, und niemand hat je behauptet, das sei ein gemütlicher Ort, an dem zu leben ausschließlich Spaß mache. Manchen von uns wird es gelingen, relativ glückliche und gleichwertige Beziehungen mit Männern einzugehen und zu leben; manche von uns werden eine Mischung aus Erfolgen und Niederlagen erleben, wieder andere werden Männern hauptsächlich auf nicht-sexuellem Wege begegnen. Wir sollten der verhängnisvollen Tendenz entgegentreten, miteinander zu rivalisieren, wer die größeren Gewinne oder Verluste in diesem heterosexuellen Spiel davonträgt. Es ist wichtig, ein politisches, ein historisches Verständnis für die Bedeutung des Veränderungsprozesses, in dem wir uns alle gegenwärtig befinden, zu behalten. Und wir können realistischerweise darauf hoffen, daß unsere Töchter und Söhne aufgrund der Kämpfe, die wir durchlebt haben, ihr eigenes Sexualleben mit weniger Behinderungen beginnen können, als es bei uns der Fall war.