Phantasie und Begehren

Es ist vielleicht auf den Einfluß des freudianischen Denkens in unserem Alltag zurückzuführen, daß das Wort »Begehren« sich vor allem auf sexuelles Begehren bezieht und erst in zweiter Hinsicht auf andere Arten der Begierde. Manche Menschen haben sich gegen diese Tendenz gewendet, dem sexuellen Begehren eine solch privilegierte Position einzuräumen, und ironisch argumentiert, eine Zigarre sei in erster Linie nun mal eine Zigarre, und der Wissensdurst sei als solcher zu nehmen; beides sei kein sublimiertes erotisches Begehren. Und Feministinnen haben gezeigt, daß es schlicht ein Ausdruck von freudianisch geprägtem Sexismus ist, wenn das Bemühen von Frauen, sich Zugang zu öffentlichen Bereichen zu verschaffen, auf phallozentrische Vorstellungen wie den »Penisneid« zurückgeführt wird.
Ob wir Freud nun überzeugend finden oder nicht (und ich habe in dieser Hinsicht gemischte Gefühle), es scheint doch auf jeden Fall zu stimmen, daß ein Großteil des Begehrens in unserer Gesellschaft eine sexuelle Grundlage oder einen entsprechenden Beiklang hat. Wenn Frauen über einen Einkaufsbummel reden, bedienen sie sich oftmals einer ungehemmt erotischen Sprache. Sie sprechen davon, sich »ins Vergnügen zu stürzen« und bestimmte Kleidungsstücke »scharf« zu finden; und häufig kreist ihre Unterhaltung darum, daß eine der Frauen ihre puritanischen Bedenken äußert, sich etwas zu gönnen, während die andere sie dazu ermutigt und die (finanziellen) Konsequenzen beiseite schiebt.
Auf der individuellen Ebene scheint es also eine gewisse Basis dafür zu geben, die sexuelle Libido als treibende Kraft hinter allem anderen Begehren zu betrachten. Auf der sozialen Ebene ist ein ähnliches Phänomen festzustellen. In den kapitalistischen Gesellschaften des Westens hat es seit dem achtzehnten Jahrhundert die Tendenz gegeben, sexuelle Gesundheit mit allgemeiner sozialer Gesundheit, mit »Kultur« und »Zivilisation« schlechthin gleichzusetzen, während sexuelle »Abartigkeiten« mit dem Niedergang von Herrschaftssystemen und dem Zusammenbruch der Zivilisation assoziiert wurden.
Im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert haben gebildete europäische Männer (und eine Handvoll Frauen) die Schilderungen bizarrer sexueller Praktiken der »Wilden« in Afrika, Asien und Amerika geradezu verschlungen. Wie Norbert Elias in seinem Buch Über den Prozeß der Zivilisation[1] herausgearbeitet hat, war die Entdeckung des »Barbarentums« ein Meilenstein auf dem Weg der Europäer, sich selbst als zivilisiert zu betrachten. Manche dieser Darstellungen betonten die natürliche Unschuld und Gutartigkeit der »Wilden« und wirkten in diesem Sinne als Kritik an der europäischen Gesellschaft. Doch viele andere Schilderungen betonten, wie barbarisch die Wilden von Natur aus seien und gaben in allen Einzelheiten die grauenvollen Torturen wieder, denen weiße Missionare und andere Gefangene ausgesetzt waren. Im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert wurden diese halb mythischen Erzählungen zur Rechtfertigung rassistischer Gesetze und Handlungsweisen benutzt - etwa für die Vernichtung fast der gesamten indianischen Bevölkerung in Amerika.
Geschichten von Vergewaltigungen weißer Frauen durch Angehörige anderer Rassen, von ritueller Sodomie und von gewohnheitsmäßiger Polygamie dienten nicht nur zur Rechtfertigung rassistischer Praktiken. Sie schufen auch das Bild von der sexuellen Abartigkeit schlechthin, die, so wurde befürchtet, auch unter der europäischen Bevölkerung um sich greifen würde, wenn die soziale Kontrolle des sexuellen Verlangens vernachlässigt werden würde. Die westliche Zivilisation, so wurde angenommen, basiere auf dem Aufkommen der monogamen Kernfamilie der Mittelschicht, in der jegliche Sexualität, besonders die von Frauen und Kindern, bis hin zur völligen Unterdrückung kontrolliert wurde. Jedes Abweichen von der sexuellen Norm wurde daher als Bedrohung der »Zivilisation« betrachtet, wie es damals - und heute noch - so bombastisch hieß.
So wie die nordamerikanischen Pioniere in steter Furcht vor den Barbaren draußen vor ihren Toren lebten (wozu die Vorstellung gehörte, daß diese Barbaren, »wenn wir sie hereinließen«, als erstes über die Frauen herfallen würden), so hat die »zivilisierte« Gesellschaft des zwanzigsten Jahrhunderts Angst vor dem Barbaren in jeder und jedem von uns. Freud bestätigte eine der schlimmsten Befürchtungen seiner Zeit, als er feststellte, alle Kinder seien von Natur aus »polymorph pervers«, das heißt, sie besäßen die Fähigkeit, jede Person und sogar jedes Ding erotisch zu besetzen. Freud sprach auch von der oralen und analen Erotik als grundlegenden Formen der Erotik schlechthin. Den heterosexuellen Geschlechtsverkehr hielt zwar auch er für »natürlich«, doch der Weg dorthin, so zeigte er, war weder selbstverständlich noch einfach. In den Gesellschaften, die wir fortgeschritten und zivilisiert nennen, herrscht die Angst, in die Barbarei zu verfallen, und daher geht von jenen Individuen und Gruppen, die diese Degeneration scheinbar exemplarisch vorführen, eine dauerhafte Faszination aus. Amerikanische Boulevard-Blätter wie der National Enquirer sind voll von Schilderungen der schrecklichsten Verbrechen (wenn es Sexualdelikte sind, umso besser) und von Geschichten, die am dünnen Lack der Zivilisation kratzen. Babies mit zwei Köpfen; Schwulenorgien; Frauen, die ihren Mann ermorden; Männer, die ihre Frau jahrelang in eine Kiste oder einen Schrank gesperrt haben - das sind klassische Beispiele für die Art von Geschichten, die die Faszination nähren, welche vom Niedergang unserer Gesellschaft ausgeht.
Die gehobene Variante solcher Geschichten findet sich in Kriminalromanen, die auf der Vorstellung beruhen, daß sich selbst die am bravsten aussehende Frau eines englischen Pfarrers als die bestialische Mörderin entpuppen könnte, die sieben Menschen erstochen hat. Auch Gruselromane beziehen ihre Faszination aus der Vorstellung, daß sich der eigene Ehemann in Frankensteins Enkel verwandeln könnte, behauptet Joanna Russ in ihrem geistreichen Essay mit dem Titel: »Jemand versucht, mich zu töten, und ich glaube, es könnte mein Mann sein: Der moderne Schauerroman«.[2] »Die Männer sind alle Verbrecher, ihr Herz ist ein finsteres Loch«, lautet eines jener im Schlager vermarkteten Klischees, die uns eine ganze Menge verraten, nicht über Männer an sich, sondern vielmehr über eine Gesellschaft, die dieses Klischee als Wahrheit ansieht.
Ich behaupte also, daß wir in unserer Kultur von Geschichten über »degenerierte« Menschen, ganz besonders über »abartige Sexualität«, gleichzeitig abgestoßen und angezogen werden. Und wenn wir etwas über die Gepflogenheiten kokainabhängiger Schauspielerinnen in Hollywood oder über die sexuellen Perversitäten einer bizarren Sekte lesen, überprüfen wir uns gleichzeitig selbst auf unsere »Normalität« hin. Wir schütteln den Kopf über den falschen Guru, der sein Charisma dazu mißbraucht, junge Frauen zu allen möglichen sexuellen Handlungen zu verführen. Doch ganz sicher besteht ein Teil der Attraktivität dieser Geschichten für uns darin, daß sie häufig von »normalen« Menschen handeln, Menschen wie du und ich, auch wenn sie nur als Opfer der bösen Verführer vorkommen.
Wenn wir die Aufmerksamkeit von dem Bösen abwenden, das im Herzen anderer Menschen lauert, und über unsere eigenen Leidenschaften nachdenken, sind wir keineswegs frei von diesen Mythen und Ängsten über die Anfälligkeit der Zivilisation. Wir sind uns gar nicht so sicher, ob unsere Sozialisation erfolgreich gewesen ist. Wir zweifeln an unserer Fähigkeit, uns an »zivilisierte« Werte und Verhaltensweisen zu halten, wenn wir uns in einer uns bis dahin fremden Situation wieder fänden, und wir fragen uns, ob nicht auch wir uns in den Schlagzeilen der Boulevardpresse als an einem bizarren Sexualverbrechen Beteiligte wiederfinden könnten. Diese Furcht steckt hinter dem, was ich die »Domino-Theorie« der Leidenschaften nennen möchte: die Befürchtung, alle anderen Restriktionen würden wie beim Domino-Spiel außer Kraft gesetzt, wenn wir uns einer verbotenen Leidenschaft hingäben.

Die »Dominotheorie« der Leidenschaften

Nach dieser Auffassung, die tatsächlich nur ein Mythos ist, der weniger auf konkreten Erfahrungen basiert, sondern vor allem aus Paranoia und allen möglichen Ängsten erwächst, sind Leidenschaft und Begehren dunkle Mächte, die durch die Zivilisation in einem andauernden Kampf gezähmt werden müssen. Da Sexualität, wie Freud feststellte, die am wenigsten gezähmte unserer Leidenschaften ist, spielt sie die Hauptrolle in diesem Kampf. Denn für den Mythos ist der Glaube von entscheidender Bedeutung, die sexuellen Leidenschaften besäßen keinerlei selbstregulativen Mechanismus, keine inneren Begrenzungen. Niemand zerbricht sich den Kopf über den Philosophen, der sich exzessiv seiner leidenschaftlichen Wahrheitssuche widmet, doch die »niederen Instinkte«, wie sexuelle Gelüste auch genannt werden, scheinen den betreffenden Menschen willen- und hemmungslos zu machen. Ließe man sie frei, würden sie alles verschlingen, den betreffenden Menschen in einen irrationalen Lustmolch verwandeln und die Gesellschaft in eine immer ausschweifendere Orgie und damit in Chaos und Untergang treiben. (Ein gutes, nicht-sexuelles Beispiel dafür findet sich in William Goldings Roman Herr der Fliegen, der einen solchen Abstieg in das Gefilde ungezügelter Leidenschaften und Gewalt zum Thema hat. Es ist schon seltsam, daß diese Geschichte über englische Schuljungen, die typisch englische und männliche Vorstellungen von Freiheit jenseits aller gesellschaftlichen Beschränkungen zu verwirklichen suchen, als fundamentale Einsicht in die menschliche Natur als solche interpretiert wird.) Die niederen Instinkte werden daher ähnlich betrachtet wie der »schleichende Kommunismus«: Läßt man ihnen auch nur ein bißchen Raum, vereinnahmen sie gleich alles. Läßt die Gesellschaft zu, daß ein Tabu verletzt wird, dann werden die Leidenschaften den Damm der Disziplin brechen, und ein Tabu nach dem anderen wird fallen, bis Ordnung und Anstand gänzlich beseitigt sind.
Diese typisch christliche Betrachtungsweise der Leidenschaft wird sowohl von jenen Ideologen akzeptiert, die Pornos herstellen, wie von den Moralkonservativen, die Pornografie aufs schärfste bekämpfen. Die Pornoproduzenten betrachten den ungezügelten Ausdruck von Leidenschaft als erstrebenswert oder zumindest als natürlich, während die Moral konservativen und viele Feministinnen ihn für grundsätzlich gefährlich halten. Beide Seiten stellen jedoch das grundlegende Modell nicht in Frage. Einen Mythos, der mit der Domino-Theorie verknüpft ist, könnte man als »Rutschbahn«-Modell bezeichnen. Diesem Mythos zufolge bedeutet die unbegrenzte Entfaltung der Leidenschaften automatisch eine Abwärtsbewegung, ein irreversibles Versinken in immer perverseren und bizarreren Leidenschaften. Der Mythos macht uns weis, wenn wir unser homosexuelles Begehren auslebten, würden wir schließlich als Päderasten und Kinderschänder enden. (Dies ist die sexuelle Version der alten puritanischen Überzeugung, schon ein Glas Wein würde unweigerlich Alkoholismus, Promiskuität und Syphilis zur Folge haben.) Gemeinsam wirken die beiden Mythen dahingehend, die sexuellen Freuden/Begierden ideologisch entlang einer Abwärtsspirale anzuordnen, an deren unterem Ende das absolute Verderben zu finden ist. Welches besondere Begehren für die erste Stufe zum Verderben gehalten wird, ist unterschiedlich. Für manche ist es der Alkohol, für andere sind es Drogen, für wieder andere eine bestimmte Spielart sexuellen Verlangens. Also streiten wir oft miteinander darum, »wo die Grenze zu ziehen ist«, ohne je unsere Grundannahme einer spiralförmigen Abwärtsbewegung in Frage zu stellen. Diese beiden Mythen bilden die Grundlage für die Ängste vieler Frauen, die sie am sexuellen Experimentieren hindern. Sie liegen auch den Befürchtungen von Anti-Porno-Feministinnen zugrunde, die sie immer dann äußern, wenn Frauen versuchen, sexuelle Leidenschaften für sich zu reklamieren, die sonst mit dem sexuell verderbten Mann in Verbindung gebracht werden. Wir haben anscheinend Angst, daß wir, sobald wir für
uns auch nur das relativ unschuldige Vergnügen eines erotischen Blickes fordern, Gefahr laufen, erotisch aggressiv und letztlich sadistisch und gewalttätig zu werden. Dabei ziehen wir in der Regel nicht in Betracht, daß sich einige der Begierden auf der anderen Seite der »Grenze« als harmlos oder gar als Bereicherung unseres Lebens herausstellen könnten. Statt dessen sind sie für uns allesamt mit dem Anstrich von Perversion und Laster versehen.
Unsere gesellschaftlichen Institutionen bestätigen allerdings auch unsere schlimmsten Befürchtungen hinsichtlich des »krebsartigen« Wachstums der Leidenschaften. Verheiratete Paare werden in nette Bungalows gesteckt, während diejenigen, die auf der Suche nach One-Night-Stands sind, an halbseidene Bars verwiesen werden, so daß der Eindruck entsteht, schon das Begehren erotischer Abwechslung sei anrüchig. Ein weiteres Beispiel: Eine Frau, die zum ersten Mal in eine Lesben-Bar geht, wird wahrscheinlich keinen Gedanken an die sozio-ökonomische Basis der Bar und den Grund für die relative Schäbigkeit verschwenden. Statt dessen wird sie wahrscheinlich denken: »Ach, du meine Güte, ist >es< wirklich so wie das hier?«, so als ob die Bar eine direkte Verkörperung des lesbischen Begehrens wäre. Die traurige Ironie liegt darin, daß sich bestimmte Gruppen, wenn sie gezwungen werden, sich in den dunklen und häßlichen Ecken der städtischen Gesellschaft aufzuhalten, auch auf eine Weise verhalten werden, die dem Ambiente ihres jeweiligen Gettos entspricht.
Da ich die meisten Leserinnen inzwischen wahrscheinlich etwas gegen mich aufgebracht habe, möchte ich mich jetzt den Gegenargumenten zuwenden, die sich während der letzten Seiten in Ihrem Kopf gesammelt haben werden. Behaupte ich etwa, alle unsere Ängste bezüglich des Niedergangs unserer Gesellschaft und des Verlustes moralischer und sozialer Werte seien vollkommen unbegründet? Weigere ich mich etwa, überhaupt eine »Grenze zu ziehen«, und spreche ich mich für ein ungehindertes Ausleben aller Begierden aus? Habe ich keine moralischen Wertmaßstäbe? Bin ich denn nicht auch der Ansicht, daß es Menschen gibt, die tatsächlich unsere soziale Ordnung bedrohen und denen wir es durchaus nicht gestatten sollten, ihre Begierden ungehemmt auszuleben? Meine Antwort lautet: Es stimmt, daß das sexuelle Begehren manchmal frauenfeindliche, anti-soziale und grausame Formen annimmt. Ich leugne nicht, daß es Männer gibt, die erregt werden, wenn sie andere Menschen demütigen oder zusehen, wie sie gedemütigt werden, und ich betrachte diese Lust nicht als eine legitime Form des erotischen Begehrens. (Denn, um nur ein Argument anzuführen, es richtet sich gegen die Dialektik der gegenseitigen Anerkennung, die für Erotik wesentlich ist, wie ich im ersten Kapitel ausgeführt habe.) Doch möchte ich darauf hinweisen, daß wir diese ethischen Fragen erst dann ruhig erörtern können - ein Versuch, den ich dann im letzten Kapitel unternehme -, wenn wir ein wenig ideologischen Hausputz gehalten und uns von manchen Vorstellungen getrennt haben, die wir bis dahin dazu benutzten, Gutes von Schlechtem zu unterscheiden, die aber in Wirklichkeit irrational und ungerechtfertigt sind. Ich werde an späterer Stelle noch einmal ausführlicher darauf eingehen, daß die Konsumideologie unser Begehren als grenzenlos und unendlich konstruiert; weder die menschliche Natur noch das erotische Begehren sollten für die Zerrbilder verantwortlich gemacht werden, die durch historische Erscheinungsformen wie die Konsumgesellschaft und die Frauenfeindlichkeit entstanden sind. Ich bestreite nicht, daß wir unsere Leidenschaften tatsächlich als grenzenlos, dunkel und potentiell destruktiv erleben können. Doch diese Erfahrung ist historisch konstruiert. Eine Analogie: Im viktorianischen Zeitalter behaupteten zahlreiche Frauen, gar kein sexuelles Begehren zu empfinden. Doch lag das nicht daran, daß sie die Werte ihrer Gesellschaft verinnerlicht hatten? Eine weitere Analogie: Vor der Lesben- und Schwulenbewegung erlebten sich die meisten, wenn nicht alle Homosexuellen als abnorm, als Nicht-Frauen oder Nicht-Männer, als Fehlkonstruktion der Natur. Mein Argument zielt darauf, daß unsere Empfindungen über die Gefahren sexuellen Begehrens genauso historisch gebunden sind wie die Gefühle viktorianischer Damen hinsichtlich des heterosexuellen Sex oder die Empfindungen der Homosexuellen des neunzehnten Jahrhunderts gegenüber gleichgeschlechtlichem Sex.
Die Frage ist daher nicht so sehr, ob die hier analysierten Phänomene bloße Mythen oder echte Widerspiegelungen unserer Erfahrungen sind. Jeder Mythos spiegelt und formt die kollektiven Erfahrungen einer bestimmten Kultur. Das unterscheidet den Mythos von einer einfachen Geschichte, die jemand erfindet. Statt dessen lautet die Frage: Woher stammen diese Mythen, und wie gelangten sie in unsere Psychen? Ich habe schon die Vermutung geäußert, daß die Domino-Theorie christlichen Ursprungs ist. Doch ähnliche Theorien gibt es auch in nicht-christlichen Gesellschaften. Andere Kulturen und Religionen errichten genauso strikte Tabusysteme und klassifizieren Leidenschaften ebenfalls nach einem vorgefertigten Raster. Speziell christlich ist vielleicht der »Rutschbahn«-Mythos - die Annahme, es gebe in uns allen eine angeborene Sündhaftigkeit, eine inhärente Tendenz, auf die schiefe Bahn zu geraten, wenn wir nicht durch äußere Zwänge wie priesterliche Autorität, Strafgesetze, Furcht vor der Hölle und nicht zuletzt der Angst vor gesellschaftlicher Stigmatisierung, in Schach gehalten würden. Diese Vorstellung verleiht einem Großteil der christlichen Morallehre etwas Verzweifeltes, im Vergleich etwa zu den kreativeren und positiveren Moralsystemen, wie sie die alten Griechen und Römer entwickelten.[3] Doch was ist mit der Domino-Theorie in der weltlichen Kultur? Wiederum verweist das wenige, das ich über nicht-christliche und nichtbürgerliche Theorien der Leidenschaften weiß, darauf, daß unsere Gesellschaft an einer besonders extremen Version eines Modells festhält, das in verschiedenen Erscheinungsformen auch in anderen Kulturen zu finden ist. Aristoteles zum Beispiel hielt es tatsächlich für notwendig, die menschlichen Leidenschaften zu klassifizieren, zu regulieren und zu formen, doch für ihn gehörte es zum ethischen Ideal, die Leidenschaften nicht insgesamt zu unterdrücken, sondern sie sich innerhalb der internen Grenzen eines jeden Begehrens oder Bedürfnisses entwickeln zu lassen. Das heißt, er glaubte, Leidenschaften neigten dazu, ihre eigenen natürlichen Grenzen auszuformen. Man müßte nicht mit allen Mitteln gegen das Anwachsen der Leidenschaften an sich ankämpfen, sondern nur gegen das »künstliche« Wachstum, das die Grenzen der Natur der jeweiligen besonderen Leidenschaft überschritt. Faktoren wie Zeit und Kontext spielten eine wesentliche Rolle, wenn es darum ging, ob sich eine Leidenschaft natürlich oder unnatürlich entwickelte. Aristoteles vertrat keine abstrakte Moral mit absoluten Regeln. Seine Vorstellung von der natürlichen Grenze der Leidenschaften ist nicht »richtiger« als unser Modell; sie ist auf ihre Weise ideologisch (so vermutete Aristoteles zum Beispiel, Männer und Frauen seien grundverschiedener Natur und hätten daher jeweils auch verschiedene Leidenschaften). Doch sie bringt andere Werte und Überzeugungen zum Ausdruck, als sie heute modern sind, und ermöglicht uns damit einen sinnvollen Vergleich. Aristoteles lebte, und darin liegt der entscheidende Unterschied, nicht in einer Konsumgesellschaft. Die Konsumorientierung muß notwendigerweise jede Vorstellung, es gebe eine natürliche Grenze für Begierden und Bedürfnisse, zurückweisen, damit immer mehr und immer wieder andere Waren konsumiert werden können. Man erzählt uns dauernd, so etwas wie genug Geld, genug Lust oder genug Macht gebe es nicht. Man gibt uns zu verstehen, die einzigen Grenzen für unsere Konsumgelüste seien uns von außen durch unsere finanziellen Möglichkeiten aufgezwungen.
Daß Sexualität als eine Form der Konsumtion verstanden und sogar erlebt werden konnte und daher der schonungslosen Logik der Domino-Theorie unterliegt, ist ein unglücklicher, aber verständlicher Umstand. Zwar betrachtete man auch in früheren Jahrhunderten bestimmte sexuelle Aktivitäten als eine Art Konsum (Prostitution ist dafür das offensichtlichste Beispiel), doch Sex in der Ehe fiel nicht darunter. Im zwanzigsten Jahrhundert gab es dann den spektakulären erfolgreichen Versuch, marktwirtschaftliches Denken auch ins Eheschlafzimmer einzuführen. Mit Hilfe von Sex-Ratgebern und anderen Orakeln »aufregender« Heterosexualität wurde verheirateten Paaren eine klare Aufgabe gestellt: belebt euer Begehren und maximiert eure Lust. Es reicht nicht, miteinander zu schlafen, nicht einmal, oft miteinander zu schlafen. Wir müssen »an unserer sexuellen Beziehung arbeiten«, wie es heißt, als ob es sich um ein Familienunternehmen handelte. Lust wird mit Begriffen beschrieben, die aus Börsenberichten stammen könnten, und Begierden werden ähnlich wie Investitionsmöglichkeiten betrachtet. Ein Problem entsteht häufig, wenn Männer und Frauen versuchen, diese Anweisungen umzusetzen, denn beide streben bei der Ausweitung ihres sexuellen Unternehmens nicht unbedingt in die gleiche Richtung. Doch die Sex-Ratgeber ignorieren diesen Konflikt und lassen sich statt dessen gewandt darüber aus, wie »Sie beide« möglichst auch noch gleichzeitig höchste Lust erleben können, indem sie durch den Ausbau ihrer sexuellen »Nummern« ihr Repertoire vergrößern.
Eine gastronomische Analogie soll näher beleuchten, was geschieht, wenn Sex und Begehren allgemein aus dem Blickwinkel des Konsums betrachtet werden. Die meisten Frauen werden ja in unserer Kultur mit widersprüchlichen Botschaften bombardiert, die ihnen vermitteln, sie hätten geradezu dürr zu sein, müßten aber gleichzeitig alle Produkte der Nahrungsmittelindustrie genießen können. Als Folge davon sind sie hoffnungslos verwirrt und können Hunger und Sättigung nicht mehr unterscheiden. Sie leben nach der Kalorientabelle und hegen die irrationale, wenn auch nicht ganz grundlose Befürchtung, daß sie, wenn sie diese Tabelle aus dem Fenster werfen würden, sich wie Schweine mästeten. Sie haben ernsthaft das Gefühl, wenn sie aufhörten, ihren Appetit streng unter Kontrolle zu halten, würden sie innerhalb weniger Wochen den Umfang einer Litfaßsäule haben. Meine eigene Magersucht war von dieser irrationalen Furcht vor meinen Begierden beherrscht, und ich habe mich bis heute nicht vollständig von der Paranoia befreit, daß ein Wegfall aller äußeren Zwänge einem Abstieg in ein urzeitliches Chaos gleichkäme.
Selbstverständlich ist es richtig, daß eine Frau, die lange Zeit nach einer Diät gelebt hat und damit aufhört, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zunächst zu viel von der verbotenen Nahrung essen wird. Doch es ist natürlich absoluter Unsinn anzunehmen, wir würden, uns selbst überlassen, nur noch pausenlos essen. Es ist nämlich genau umgekehrt: Gerade die Diät verursacht die besessene Beschäftigung mit allem, was mit essen zu tun hat. Das bedeutet jedoch nicht, daß es keine »natürlichen« Begierden gibt, wenn es ums Essen geht. Wenn ich erst einmal gut genug auf meinen Körper zu hören gelernt habe, um zu wissen, wann ich wirklich hungrig bin, gehe ich hin und wähle aus, wandle also das allgemeine Verlangen in eine konkrete Begierde um. Und an dieser Stelle greift die Kultur ein. Mein Hunger auf rohen Spinat würde in China pervers erscheinen; meine Vorliebe für in Olivenöl gebratene Eier hat sicher mit meiner Kindheit in Spanien zu tun. Wichtig ist es, solche Bedürfnisse nicht moralisch zu beurteilen. Wir könnten jedoch versuchen, gesündere Nahrungsmittel sozusagen zu erotisieren, nicht aus moralischen, sondern ausschließlich aus praktischen Gründen.
Leider ist es äußerst schwierig, in unsere gastronomische wie in unsere sexuelle Welt eine pragmatische Haltung zu unseren Begierden einzuführen. Aufgrund der oben beschriebenen Mythen sind wir häufig nicht in der Lage, über unsere Ängste, unwiderruflich zum Untergang verurteilt zu sein, hinauszusehen. Daher schwanken wir zwischen Schuldgefühlen auf der einen und dem ungezügelten Verlangen nach dem Verbotenen auf der anderen Seite. Scheinbar banale Faktoren wie Hunger oder Körpermaße werden dann nicht mehr als biologische Fakten betrachtet, denen von unserer Kultur eine bestimmte Bedeutung verliehen wird, sondern als Monster, die im Herzen von Frauen und Männern lauern und für das verantwortlich sind, was wir für unsere wesenhafte menschliche Neigung zu Plumpheit und Sittenlosigkeit halten. Die Entmystifizierung von Leidenschaft und Begehren ist daher nicht nur ein theoretisch wichtiges Unterfangen, sondern sie ist auch ein unmittelbar persönliches Anliegen, das unser emotionales und körperliches Wohlergehen ebenso betrifft wie unsere erotische Gesundheit.

Die Zurichtung des weiblichen Begehrens

Die Psychoanalyse sieht die Grundlage für alle sinnlichen Bedürfnisse darin, daß das Baby einst von der Mutter oder von anderen Lust- und Nahrungsquellen getrennt wurde und auf diese Weise ein Gefühl des Mangels entwickelt. Dies bedeutet, welcher Natur unser begehrtes Objekt auch immer sein mag, unser Begehren nimmt oft die Form einer Sehnsucht an, nicht nur bei jemandem zu sein, sondern mit dem begehrten Objekt eins zu werden. Dieses Verlangen ist mit einer permanenten Angst vor Verlust verbunden, die sowohl die Form der Angst vor der Trennung von unserer Mutter annehmen kann, als auch der möglichen Trennung von anderen Objekten des Begehrens.[4] Der männliche Säugling wächst zu einem Mann heran, dessen maskulin-phallisches Verlangen nach der Mutter dann in gewissem Ausmaß befriedigt werden kann, indem er Frauen und die ganze Welt erobert. Das Mädchen stellt dagegen fest, daß die Verwirklichung infantiler Bedürfnisse frustriert wird, indem es ermutigt wird, seine Energie und Sehnsucht nicht auf die mütterliche Brust zu richten, sondern ausschließlich den männlichen Körper zu erotisieren. Das ursprüngliche Objekt des weiblichen Begehrens muß also vollständig abgelehnt werden. Selbst wenn einer Frau diese Umorientierung gelingt und sie sich in der heterosexuellen Rolle wohl fühlt, wird sie als Erwachsene ganz spezifisch weibliche Schwierigkeiten haben, ihre sinnlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Ihre Machtlosigkeit in der patriarchalischen Welt ist eines von mehreren offensichtlichen Problemen. Ein weiteres besteht darin, daß sie nicht nur die Art ihres begehrten Objekts austauschen, sondern auch die Form des Begehrens selbst verändern muß. Das Begehren des Säuglings ist grenzenlos, selbstsüchtig und oft destruktiv. Es wird geformt durch das Verlangen, alles zu verschlingen, was sich in seiner Reichweite befindet, sogar alle potentiell unabhängig von ihm existierenden Objekte wie die Brust der Mutter. Als Erwachsene können sich Männer ein gewisses Maß an selbstsüchtigem Begehren erlauben, und solange sie nicht bestimmte, kulturell definierte Grenzen überschreiten, werden sie sogar dafür belohnt und geachtet, wenn sie sich als ehrgeizig, zielstrebig und besitzergreifend erweisen, mit anderen Worten: wenn sie ihre Macht und Herrschaft über Menschen und Objekte ausüben. Frauen hingegen werden von frühester Kindheit an dazu erzogen, eines Tages Mutter zu werden. Ihr Begehren wird in Selbstlosigkeit umgelenkt. Obwohl Freud glaubte, es gäbe unwandelbare psychologische Gründe dafür, daß Frauen ihre aktiven, phallischen Bedürfnisse in den Wunsch, ein (männliches) Kind zu ernähren, umwandeln, liegen die Gründe für diese Umwandlung/Zurichtung des weiblichen Begehrens eher in der Struktur der Männergesellschaft. Freud benutzte die simple biologische Tatsache, daß die Frau keinen Penis hat, dazu, kurzerhand zu behaupten, Frauen wünschten sich nicht nur ein Baby, sondern die Kernfamilie insgesamt. Von frühester Kindheit an werde unser Wunsch, den anderen zu besitzen und sozusagen zu verschlingen, in den gegenteiligen Wunsch umgewandelt, von dem stärkeren Mann in Besitz genommen zu werden. Dieser Wunsch werde von dem ebenfalls »angeborenen« Bedürfnis begleitet, nicht nur eine biologische, sondern auch eine soziale Mutter zu werden.
Die Vielschichtigkeit des menschlichen Begehrens geht, was Frauen anbetrifft, auf diese Weise verloren: uns werden nur zwei mögliche Formen des Begehrens zugestanden. Die eine ist der Wunsch, ein Objekt des männlichen Begehrens zu werden, unsere Autonomie einem stärkeren (männlichen) Willen zu unterwerfen. Die andere ist eine Identifizierung mit den »höheren«, selbstlosen Idealen von Fürsorge und Mutterschaft.

Diese beiden Formen sind tatsächlich zwei einander ähnliche Aspekte desselben Grundbedürfnisses, wie es im Modell des weiblichen Begehrens zu erkennen ist, das durch die »Madonna«, also die Jungfrau Maria, repräsentiert wird. Maria verbeugt sich vor dem (männlichen) Engel des Herrn und sagt: »Dein Wille geschehe« und »Ich bin die Magd Gottes«. Sie entsagt allen persönlichen Bedürfnissen und nimmt statt dessen die Mission auf sich, ihr Leben einem bestimmten Mann (Jesus) zu widmen und sich durch ihn den abstrakten, gottgewollten Werten zu weihen. Sie begehrt nur noch, das Gefäß für Gottvaters grandioses männliches Begehren zu sein, Fleisch zu werden und auf Erden zu wandeln. Hierzu wird sie gebraucht, diese Aufgabe kann sie erfüllen, denn obwohl sie nur Fleisch ist, kann ihre »niedrige« Natur zu »höherer« Verwendung gebracht werden, indem sie jener besonderen Verbindung aus Geist und Materie Leben gibt, die Jesus Christus heißt. Männer können Gott näher kommen, indem sie keusch und asketisch sind; Frauen hingegen, deren Zugang zum Bereich des Geistes aufgrund ihres angeblich schwächeren Intellekts ohnehin fraglich ist, können eine speziell weibliche Heiligkeit erlangen, indem sie sich in ihr eigenes Fleisch versenken. Maria kommt Gott näher als jede andere weibliche Heilige, gerade weil sie ihre »Natur«, ihren weiblichen Körper, nicht verleugnet, sondern ihn bejaht und in den Dienst des männlichen Heiligen Geistes stellt. So verkörpert die Jungfrau Maria ein machtvolles Modell für das weibliche Begehren. Seltsamerweise stellt sich bei näherem Hinsehen heraus, daß das entgegengesetzte Modell, Eva oder die gefallene Frau, gar nicht so grundlegend anders ist. Eva ist es nicht gelungen, ihr infantiles Bedürfnis nach grenzenloser Macht vollständig zu unterdrücken. Das autonome Bedürfnis, das in ihrem Wunsch zum Ausdruck kommt, den Apfel vom Baum der Erkenntnis zu essen, symbolisiert die allgegenwärtige Möglichkeit, daß Frauen sich weigern könnten, Werkzeuge Gottes zu sein. Doch diese Unabhängigkeit, wie sie in der Geschichte vom Paradies angedeutet wird, ist keine wirkliche Unabhängigkeit. Eva weist den Herrn nur zurück, weil sie von einem anderen Mann, dem Teufel, dazu verführt wurde. Sie hätte nie von sich aus daran gedacht, den Apfel zu essen - die Schlange mußte ihn ihr anbieten. Damit ist ihre Rebellion gegen ihre Rolle als Werkzeug Gottes fest in den größeren Kontext eines Machtkampfes zwischen den beiden mächtigen männlichen Kräften, Gott und Teufel, eingebunden. Der Unterschied zwischen Eva und Maria mag äußerlich als der zwischen Rebellion und Unterwerfung erscheinen. Doch bei näherem Hinsehen besteht der Unterschied eher zwischen dem Gehorsam gegenüber einem »guten« und dem Gehorsam gegenüber einem »bösen« Herrn und Meister.
Das weltliche Pendant zu Eva ist die Hure. Auch sie scheint die weibliche Rolle zu durchbrechen, da sie »Lust fördert« (so die infamen Worte eines Richters in Ontario, mit denen er die Vergewaltigung einer Stripperin herunterspielen wollte). Häufig ist sie es, die die Initiative ergreift, und ob sie nun von ihrer eigenen Lust oder vom Wunsch nach finanziellem Gewinn angestachelt wird - sie nähert sich Männern, ohne darauf zu warten, daß diese den ersten Schritt tun. Doch wieder wird das scheinbar aktive Begehren erst zum Ausdruck gebracht, nachdem es fest in den größeren Kontext patriarchalischer Bedürfnisse eingebunden ist. Sie übernimmt die Führung, doch letztlich, so das Klischee, bestehe ihr Wunsch darin, überwältigt, beherrscht, gefickt zu werden. Der Inbegriff der Hure, die »Nymphomanin« der männlichen Phantasien, ist eine Frau, die gar nicht genug gefickt werden kann, deren ungewöhnlich starkes Begehren dennoch im Grunde nur ein passives ist. Sie findet daher ihre Erfüllung, wenn sie auf einen Mann trifft, der stark genug ist, sie zu unterwerfen.
Der Inhalt des Begehrens einer gefallenen Frau ist ein anderer als der der Madonna, doch die Form ist dieselbe. Frauen mobilisieren ein riesiges Reservoir psychischer und physischer Energie, um sich in den Dienst des männlichen Begehrens zu stellen. Ob sie als Werkzeug des Guten oder des Bösen Mannes dienen, der Erlösung oder der Verdammnis, dem Geist oder der Lust - Frauen ist es nie erlaubt, die Tatsache in Frage zu stellen, daß sie im wesentlichen nichts weiter sind als Mittel zum Zweck. Frauen dienen allein dazu, Ziele oder Ideale oder Sehnsüchte zu verwirklichen, die von anderen an sie herangetragen werden. In dieser Hinsicht ist es richtig, mit Freud zu sagen, daß das weibliche Begehren ein »dunkler Kontinent« ist, das große Unbekannte der westlichen Kultur. Es ist nicht so, daß wir nicht begehren dürften, sondern uns wurde nicht erlaubt, unser Begehren unabhängig von der männlichen Begierde zum Ausdruck zu bringen.
Da weibliches Begehren immer etwas Relatives ist, müssen wir untersuchen, wie das phallische Begehren selbst entsteht. Bevor wir uns jedoch dem phallischen Begehren zuwenden, ist es vielleicht sinnvoll, zunächst einige weitere Beispiele dafür anzusehen, wie das weibliche Begehren dem männlichen unterworfen und so zugerichtet wird, daß es die Strukturen der patriarchalischen, kapitalistischen Konsumgesellschaft festigt.

Beispiel 1

Beilagen für vier: Pikanter Bohnensalat. Dieses verlockende Gemüse, mit anderen pfiffigen Zutaten zusammen auf frechem grünen Gemüse serviert, paßt perfekt zu Party oder Picknick. Links: Linsen in scharfem, senfgewürztem Dressing; rechts: knusprige Drei-Bohnen-Kombination. Ganz schön flott!

Dieser Text ist die Einleitung zu einem zweiseitigen Fotobericht in Cosmopolitan über die Rehabilitierung der einfachen Bohne durch »pfiffige Zutaten« und »freches grünes Gemüse«, präsentiert in einem märchenhaften Kontext von Reichtum, Klasse und sinnlichem Vergnügen. Natürlich gibt es auch Rezepte dazu, aber die Betonung liegt auf dem sinnenfrohen Ereignis, nicht auf den Anweisungen, wie die Leserin die Gerichte zubereiten, oder besser nachmachen kann.

Dieser Bericht soll gleichzeitig an mehrere weibliche Bedürfnisse appellieren. Einige davon sind natürlich, so wie der Nahrungstrieb, doch die meisten Bedürfnisse, die in dem Zeitschriftenbeitrag angesprochen und geweckt werden, sind gesellschaftlich begründet und sogar künstlich konstruiert. Betrachten wir sie im Detail, indem wir sie bestimmten Kategorien zuordnen.

Nahrung

Unser natürliches Hungergefühl wird durch Hochglanzfotos stimuliert, auf denen die Linsen und Bohnen (normalerweise nicht gerade die appetitanregendsten Nahrungsmittel) überlebensgroß dargestellt werden und mit Hilfe geschickter Beleuchtung tatsächlich verlockend und sogar »pfiffig« aussehen (die farbliche Wirkung entsteht durch Garnierung mit Petersilie, Zwiebeln und Karotten). Unsere Geschmacksnerven werden auch durch die Begriffe selbst stimuliert: »frech«, »scharf«, »knusprig«, »flott«. Und diese Geschmacksnerven scheinen, was die benutzten Worte angeht, eigentümlich feminin zu sein. Das Wort »knusprig« erinnert an kindliche Genüsse: Cornflakes sind in der Werbung das »knusprige« Nahrungsmittel par excellence. »Frech«, »scharf« und »flott« sind, besonders in dieser Kombination, unweigerlich weibliche Worte. Darüber hinaus gibt es hier kein Fleisch oder irgend ein anderes Nahrungsmittel, das vor allem mit Männern assoziiert wird. Wenn jedoch die Geschmacksnerven einer Frau stimuliert worden sind, ist es ihr nicht erlaubt, ihre Gelüste unmittelbar zu befriedigen, indem sie das Gericht einfach (allein) ißt. Das Rezept ist für vier Personen berechnet, und wir verstehen, ohne daß man es uns ausdrücklich erklären müßte, daß das Wort »vier«, besonders wenn es neben einem Bild mit Weingläsern steht, zwei Männer und zwei Frauen, genauer: zwei Paare bedeutet. Was also eine rein sachliche Angabe in einem Kochrezept zu sein scheint, entpuppt sich als soziale Anweisung zu heterosexuellem Verhalten und zum Eingehen von Partnerschaften.

Sex

Bohnen und Linsen sind nicht gerade extravagante oder romantisch wirkende Nahrungsmittel. Doch selbst sie können über die banale Aufgabe, den Körper zu ernähren, hinauswachsen und in den Dienst eines »höheren« Zwecks, der sexuellen Interaktion gestellt werden. Denn sie werden mit einem »scharfen« (lies: sexy) und »senfgewürzten Dressing« serviert. Als ob das noch nicht genug wäre, werden wir ausdrücklich angewiesen, diese Gerichte für »Parties und Picknicks« zuzubereiten. Muß ich noch mehr sagen? Das »verlockende Gemüse«, das auf den Fotos idealisiert wird, sieht so aus, als ob es auf unmittelbare und befriedigende Weise unser Bedürfnis nach Nahrung erfüllen und uns gleichzeitig als »richtige« Frau in einem heterosexuellen Paar bestätigen würde. Dieses Vergnügen muß jedoch aufgeschoben werden. Bohnensalat macht sich nicht von selbst und darf nicht aus dem Delikatessen-Geschäft geholt werden, wie es Männer tun würden, wenn sie ein Picknick im Grünen vorbereiten müßten. Nein, eine Frau muß ihren Bohnensalat selbst zubereiten. Sie wird viel Zeit damit verbringen, die Zutaten einzukaufen und zu putzen, Zwiebeln zu schneiden, Öl und Essig abzumessen, die Bohnen einzuweichen und zu kochen, Dosen zu öffnen, die Küche wieder sauberzumachen. Dazu brauchen wir bestimmte Fähigkeiten, angefangen damit, wie man Knoblauch zerkleinert bis hin zur optischen Präsentation. All diese Arbeit sollen wir leisten, weil wir Frauen sind, denn genau das sind die Aufgaben einer Frau.
Obwohl die Fotos und Rezepte den Appetit der Frauen selbst stimulieren und nicht den ihrer potentiellen Gäste, ist das Gericht zum exklusiven Genuß für Paare gedacht. Eine Durchsicht von Frauenzeitschriften zeigt, daß nur sehr wenige Rezepte für eine einzelne Frau gedacht sind; eine Frau allein lebt ja Diät. Lust am Essen ist nur erlaubt, wenn eine Frau für Männer kocht und mit Männern ißt. So wird also unser Impuls zu essen und unser Wunsch, gut zu essen, den Bedürfnissen unseres gesellschaftlichen Umfeldes untergeordnet. Wir Frauen bekommen nur nebenbei etwas Gutes zu essen, nämlich wenn wir eine schöne Mahlzeit für unsere Familie oder für die Männer in unserem Leben kochen. Wenn wir allein oder mit anderen Frauen zusammen sind, sollen wir unsere Begierden zügeln und uns mit Salat und Selters begnügen. Die dauernde Diät wird uns allerdings gelegentlich so zuwider, daß wir manchmal mit unseren Freundinnen ausgehen und »richtig schlemmen«, gewöhnlich Süßes. Doch in Torten und Plätzchen zu schwelgen ist kein ungetrübtes Vergnügen, da es von Schuldgefühlen über die vielen Kalorien und der quasi-moralischen Angst begleitet wird, wir könnten davon zunehmen.[5] Es ist, als ob ein gutes Essen mit Freundinnen dem Onanieren gliche - ein niederes Bedürfnis, das zum Wohle der Heterosexualität und der Familie unterdrückt und gezügelt werden muß.

Soziale Schicht

Bohnen und Linsen sind nicht gerade Nahrungsmittel, die man mit der Oberschicht assoziieren würde. Rezepte für Hummer und mit Champagner verfeinerte Desserts richten sich an eine bestimmte Schicht; während Linsensalat eigentlich den Gerichten zugeordnet wird, die sich auch eine Frau leisten kann, die von Sozialhilfe lebt. Doch Armut ist ein Tabuthema in Frauenzeitschriften. Eine Frau kann »mit dem Haushaltsgeld sparsam umgehen«, was ein Euphemismus für arm sein ist, doch Gott bewahre, daß eine der tüchtigen und schicken Leserinnen der Zeitschrift X tatsächlich kein Geld haben könnte. Die Assoziation mit Armut muß unbedingt vermieden werden, und daher wird es verschleiert, daß bestimmte Nahrungsmittel billig zu haben sind. Dies wird mit verschiedenen Methoden erreicht: mit pseudo-pornografischen Bildern, die gelbe Wachsbohnen wie pures Gold aussehen lassen; mit Rezepten, die nach teurem Rotweinessig, Dijon-Senf und Olivenöl verlangen. Die Botschaft scheint zu sein: Du magst ja eine alleinlebende Frau sein, die nicht das Geld hat, um zu Hause üppige »Dinners« zuzubereiten doch du kannst deine bescheidenen Möglichkeiten kaschieren, indem du Bohnen und Linsen einen exklusiven Appeal verleihst. Wenn dein Freund dann bemerkt: »Was für eine tolle Soße!«, kannst du antworten: »Ja, nicht? Das macht der Dijon-Senf.« Und dein Freund mag dann denken: »Sie hat wirklich Klasse... Ich frage mich, was sie aus einem Schnitzel alles machen könnte.«
Die Bilder und Beschreibungen des Bohnensalates, die einem das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen, sind also nicht dazu gedacht, das Verlangen von Frauen nach gutem Essen zu befriedigen. Sie appellieren vielmehr an dieses Verlangen, um einerseits patriarchalische Werte durchzusetzen (Frauen kochen für Männer, Zwangsheterosexualität, die Unterordnung des weiblichen Genießens unter das gemeinsame Genießen des Paares oder der Familie) und andererseits konsumorientierte Mittelschicht-Werte (die gewöhnliche Bohne verschwindet in exotischen Saucen und wird neben teure Weingläser plaziert). Der Artikel über Bohnensalat erzeugt bestimmte Bedürfnisse bei den Leserinnen - Bedürfnisse, die sich an einem bestimmten Lebensstil orientieren, der durch Schichtzugehörigkeit, Geschlechtsrolle und sexuelle Orientierung definiert ist. Der Linse geht es wie Aschenputtel: Sie hat ihre obskure, altjüngferliche Herkunft abgeworfen und ist auf zauberhafte Weise zum Symbol der Annehmlichkeiten des heterosexuellen Lebens der Mittelschicht geworden.

Beispiel 2

Frage: Mein »Problem« ist, daß ich das Vorspiel und den oralen Sex dem Geschlechtsverkehr bei weitem vorziehe. Ich finde nichts Merkwürdiges an dieser Vorliebe, doch die meisten meiner Liebhaber scheint das zu stören. Sollte ich deswegen professionelle Hilfe suchen? Ich bekomme bei der Art des Sex, die ich mag, durchaus Orgasmen.

Antwort: Solche Praktiken zu bevorzugen, ist nicht unbedingt ein Problem, doch die Tatsache, daß Sie Männern Ihre Neigungen auf eine Art und Weise deutlich machen, die sie ärgerlich stimmt, führt mich zu der Vermutung, daß Sie Männern gegenüber möglicherweise feindselige Gefühle hegen ... Vielleicht scheuen Sie vor der Penetration zurück, weil Sie Angst haben, von zuviel Nähe verletzt zu werden. Zwar können Cunnilingus und andere Vorspiel-Praktiken tatsächlich ein wichtiger Teil der Intimität sein; andererseits können diese Praktiken, allein angewandt, auch dazu dienen, einen persönlicheren Kontakt zu vermeiden...
»Die Couch des Analytikers« von Dr. William S. Appleton, Psychiater

Dr. Appleton hat zwar offenbar Freud gelesen, nicht aber den Hite-Report. Er ist das Orakel für psychische Gesundheit in Cosmopolitan. Frauen, die ansonsten den liberalen Lebensstil genießen, den Cosmo propagiert, werden hier ermuntert, ihr Leben zu erforschen und ein »Problem« zu entdecken, das Dr. Appleton lösen kann - ähnlich wie katholische Kinder angehalten werden, in ihren persönlichen Erfahrungen »Sünden« zu entdecken, die zur Befriedigung der Ausforschungsgelüste des Beichtvaters dienen können. Die Verfasserin des Leserinnenbriefes hat entdeckt, daß Sex ihr Spaß macht, und sie genießt es, wenn Männer sie auf eine bestimmte Weise lieben. (Dies meint Dr. Appleton, wenn er von »Neigungen« und »Vorspiel-Praktiken« spricht.) Auf der anderen Seite macht ihr der Geschlechtsverkehr wenig Spaß, vielleicht weil er ihr weh tut, vielleicht auch einfach nur, weil er langweilig ist. Es ist ihr auf diese Weise gelungen, trotz ihrer Erziehung und trotz der jahrhundertelangen patriarchalen Versuche, das sexuelle Verlangen von Frauen zu negieren, ihren Weg zur Lust und zur sexuellen Befriedigung zu finden. Und doch haben sich genügend patriarchalische Vorstellungen in ihr Bewußtsein eingeschlichen, so daß sie fragt: »Sollte ich professionelle Hilfe suchen?«, auch wenn sie hinzufügt, daß sie durchaus Orgasmen hat.
Der Psychiater, der sich nie fragen würde, ob er vielleicht professioneller Hilfe bedürfte, wenn seine Frau beim Geschlechtsverkehr kein sonderliches Vergnügen empfände, entscheidet, daß die Schreiberin in der Tat professionelle Hilfe braucht. Er identifiziert sich völlig mit den frustrierten Liebhabern dieser Frau, weiß jedoch Besseres, als die Ratsuchende direkt anzugreifen. Er sagt ihr nicht einfach: »Die Lust des Mannes ist das, was zählt, du Dummchen!« Nein, das wäre zu durchsichtig. Er geht vielmehr wie selbstverständlich davon aus, daß es »natürlich« und »normal« ist, den Geschlechtsverkehr als das letztendliche Ziel aller sexuellen Praktiken zu betrachten und den Sex auf Sex für den Mann zu reduzieren. Wenn eine Frau die vaginale Penetration vermeidet, kann das nicht aus dem einfachen Grund geschehen, daß sie keinen Spaß daran hat, denn die Lust der Frau ist nicht der Zweck des Sex, so wie ihn Dr. Appleton definiert. Es muß daran liegen, daß sie - welche Überraschung! - eine frigide, kalte Frau ist, trotz aller Hinweise auf das Gegenteil. Sie muß Männern »feindselig« gegenüberstehen, denn jede Frau, die ihre eigene Lust über die des Mannes stellt, muß eine pathologische Männerhasserin sein. Sie habe »Angst, von zuviel Nähe verletzt zu werden«. Die Tatsache, daß viele Männer ihren Liebhaberinnen beim Geschlechtsverkehr tatsächlich weh tun, spielt keine Rolle. Frauen müssen sich dem großen Penis unterwerfen, um eine richtige Frau zu sein, und ihre eigene Lust oder ihr Schmerz werden in der Tat als unwichtig betrachtet.
Die sexuellen Wünsche dieser Frau werden auf diese Weise in pathologische Symptome umdefiniert. Ohne es wirklich auszuformulieren, suggeriert Dr. Appleton, daß Frauen sich freudig dem am männlichen Orgasmus orientierten Ablauf des Geschlechtsverkehrs fügen sollten; ihre eigene Lust gilt nur als »Vorspiel« und »Nebensächlichkeit«. Doch ihre größte Sünde besteht nicht in ihrem sexuellen Begehren; das Hauptproblem liegt darin, daß sie Männer »ärgert«, indem sie ihre Wünsche äußert. Cosmos Dr. Appleton ist kein Viktorianer; ihm ist vage bewußt, daß Frauen über eigenständige Lustempfindungen verfugen. Doch seiner Ansicht nach sollten Frauen über ihre Bedürfnisse schweigen und einfach versuchen, die Situation so zu manipulieren, daß sie dabei irgendwie ihr Vergnügen finden. Auf keinen Fall sollten sie Männer mit ihren Gelüsten konfrontieren.
Dieses Beispiel verweist auf den fundamentalen Widerspruch der Cos-mo-Ideologie, die einerseits das Recht der Frauen proklamiert, Affären zu haben und aggressiv zu sein - sowohl im Bett, als auch im übrigen Leben -, sich andererseits aber vor dem Eingeständnis drückt, daß dadurch an irgendeinem Punkt die Autorität der männlichen Partner und der Dr. Appletons unweigerlich herausgefordert wird. Cosmo porträtiert Frauen in schicken Jobs mit noch schickeren Liebhabern. Doch nie wird der unmittelbare Kampf zwischen diesen Frauen und den Männern in ihrem Leben gezeigt. Wenn die Dinge außer Kontrolle geraten, so rät Cosmo den Frauen, sollten sie ihren Liebhaber abservieren. Doch solange die Affäre andauert, muß die Befriedigung der weiblichen Bedürfnisse immer sehr sorgfältig darauf abgestimmt sein, die Grundstruktur der Beziehung nicht zu gefährden. So werden Frauen zum Beispiel ermutigt, ihr Sexleben aufzupeppen, indem sie sich beim Lieben verschiedene Tabusituationen vorstellen. Das können sie für sich alleine tun, ohne mit den Männern über ihre Bedürfnisse sprechen zu müssen. Weibliches Begehren existiert also und wird tatsächlich andauernd neu durch die Kultur geschaffen, in der wir leben. Doch hat das weibliche Begehren seinen Ursprung weder in der autonomen Existenz von Frauen, noch ist es in einer frauenfreundlichen sozialen Umgebung verwurzelt, in einem harmonischen Ganzen, dessen Regeln von Frauen übernommen werden könnten, ohne daß ihr Begehren verzerrt oder unterdrückt werden müßte. In unserer Gesellschaft genießen wir weder individuelle Freiheit, noch die Vorzüge eines wohl geordneten kollektiven Lebens. Unsere Bedürfnisse werden von denselben Mächten konstruiert, die patriarchalische Strukturen und individuelle sexistische Männer hervorbringen. Manchmal wird unser Verlangen so stimuliert, daß unsere Energien kanalisiert werden können, um die Lust des Mannes zu befriedigen (wie der Rat von Dr. Appleton lautet). Zu anderen Zeiten wird unser Begehren zum Nutzen der Gruppe ausgebeutet (z.B. wenn der Hunger der Frauen »gestillt« wird, indem man sie anleitet, wie sie für ihre Familie kochen sollen). Moderne Theorien über die sexuelle Befreiung drohen, die alte Vorstellung, sexuelles Begehren sei ausschließlich Sache von Männern, zu untergraben. Infolgedessen werden riesige Energien mobilisiert, um sicherzugehen, daß Frauen ihre neugewonnenen sexuellen Freiheiten in den Dienst der Männer stellen. Der moderne Liebhaber »schenkt« seiner Frau Orgasmen. Das ist erlaubt, da die Überlegenheit des Penis unangefochten bleibt. Nicht erlaubt ist es einer Frau dagegen, frei über ihre Bedürfnisse zu sprechen, ihr Verlangen zu benennen und es nicht in Bezug zum männlichen Begehren zu setzen. Wir dürfen das »Geschenk« sexueller Lust durch Männer akzeptieren - solange wir nicht darauf hinweisen, daß nicht in erster Linie sie es sind, die uns etwas zu schenken haben. Das Begehren von Frauen muß so zugerichtet werden, daß es einen Anstrich von Wildheit erhält, den Schein von Autonomie. Doch das Ausleben des Begehrens, so radikal es im Vergleich zur erzwungenen Leidenschaftslosigkeit von Frauen früherer Jahrhunderte sein mag, findet immer noch innerhalb eines phallokratischen Kontextes statt.

Der neue Geist des schicken männlichen Begehrens

Wenn Frauen einem Prozeß unterliegen, der die Benennung und Verwirklichung ihres Begehrens der Entwicklung des männlichen Begehrens unterordnet, so mag man ja annehmen, das sexuelle Begehren von Männern sei frei von Zurichtungen und das, was wir vor uns sehen (Aggressivität, Konkurrenz, Vergewaltigung...) sei demnach Ausdruck der »wahren« männlichen Bedürfnisse. Doch diese Schlußfolgerung ist falsch, denn sie ignoriert den komplizierten Prozeß, durch den Männer in die maskuline Rolle hineinwachsen. Spätestens von dem Zeitpunkt an, wenn der Junge von Mutter oder Kindergärtnerin zu hören bekommt, daß »Jungen nicht weinen«, geht er in die »Geschlechter-Schule«: er lernt die Verhaltensweisen und Gefühle, die als typisch männlich gelten. Angst, Trauer, Verwirrung, Schwäche und Zuneigung sind einige der Gefühle die ausgerottet und durch eine kleine Auswahl akzeptierter Gefühle ersetzt werden sollen: durch Aggressivität, Konkurrenzdenken, Stolz und Mut.
Das bedeutet nicht, daß auch Männer unterdrückt werden, wie einige recht naive Männer daraus geschlossen haben. Das ist keine Unterdrückung, denn die Schule der Herrschenden soll Männer in die Lage versetzen, Frauen zu beherrschen, sowie Männer aus anderen Schichten und Rassen, und zwar auf »natürliche« Weise, ohne Selbstzweifel oder Schuldgefühle. Die Erziehung zur Männlichkeit begrenzt und stutzt das Wachstum des individuellen Mannes, jedoch dergestalt, daß die Männer lernen, sich in eine Struktur einzufügen, die ihnen Privilegien, Macht und Reichtum sichert. Selbst solche Männer, die nicht an der Spitze der männlichen Pyramide stehen, weil sie nicht der herrschenden Klasse, Rasse oder sexuellen Orientierung angehören, haben zumindest Macht über einige Frauen.
Die meisten Anforderungen an die traditionelle Männlichkeit bringen es mit sich - insbesondere in einer kapitalistischen Gesellschaft, in der Wettbewerb und Rücksichtslosigkeit finanziell belohnt werden -, daß Männer Bedürfnisse entwickeln, die häufig gewalttätigen Charakter haben. Doch so wie manche der in Frauen durch die Anforderungen an traditionell weibliches Verhalten und Fühlen geschaffenen Bedürfnisse nicht an und für sich negativ sind (wie das Bedürfnis zu ernähren und zu beschützen), so sind auch nicht alle männlichen Bedürfnisse ausschließlich negativ zu sehen. Gegen das Bedürfnis, hart zu arbeiten, um ein gutes Produkt abzuliefern (wie es bei Handwerkern, Facharbeitern und Bauern häufig anzutreffen ist), ist an sich nichts einzuwenden. Doch es kann traurige Auswirkungen haben, wenn es mit einem rücksichtslosen individualistischen Karrieredenken verbunden ist oder mit einem kollektiven Überlegenheitsgefühl gegenüber »minderwertigen« Gruppen. Der Stolz des weißen Facharbeiters mischt sich häufig mit Sexismus und Rassismus und kann beispielsweise in einer Gewerkschaftspolitik resultieren, die ausschließlich die eigenen Privilegien absichern soll. So sind zum Beispiel für englische Setzer und Drucker ihre besonderen Fähigkeiten sowohl mit ihrer Männlichkeit wie mit ihrer Nationalität synonym; ihre Arbeit gegen den Ansturm der neuen Technologien zu verteidigen, ist häufig das gleiche wie ihren Beruf gegen Frauen und gegen irische Männer zu verteidigen. Dennoch gibt es natürlich Fähigkeiten und Fertigkeiten, die zu bewahren sich lohnt, selbst wenn die von diesen Männern gewählten Strategien reaktionär sind.[6] Dieses Beispiel verweist auf ein allgemeineres Problem bei dem Versuch, das Begehren von Männern zu verstehen. Da Begehren als primär männlich begriffen und erfahren wird, ist es schwierig, herauszufinden, welche Aspekte männlichen Begehrens in der patriarchalen Herrschaft liegen und welche traditionell den Männern zugeschrieben wurden, aber eigentlich allgemein menschlich sind.
Wenn wir von der Arbeitswelt zur Welt des ästhetischen und erotischen Vergnügens übergehen, können wir fragen: Ist das Bedürfnis, Bilder zu betrachten, die sowohl ästhetisch wie erotisch gefallen, spezifisch männlich? Oder ist es - wie das Bedürfnis, sich in qualifizierter Arbeit »selbst zu verwirklichen« - ein Bedürfnis, das zwar scheinbar fest mit dem Geschlechts- und Rassen-Privileg verbunden ist, aber durchaus auch getrennt von dem jeweiligen Herrschaftssystem vorstellbar ist? Manche Leute glauben, nur Männer hätten Spaß daran, Bilder von nackten Menschen zu betrachten, denn dieses Bedürfnis liege in der männlichen Natur begründet. Frauen hätten wohl ein Auge für die schönen Künste, aber, so wird argumentiert, selbst die klassischen Meisterwerke seien ja im wesentlichen vom männlichen Blick geprägt; Frauen spielten in ihnen nur die Rolle von Objekten oder Symbolen. Daher könnten Frauen Bilder, Skulpturen oder Filme nicht wirklich schätzen, denn um das tun zu können, müßten sie sich mit dem männlichen Blick des Künstlers oder der Kamera identifizieren. Selbst wenn sie diese Position für einen Moment einnehmen könnten, fielen sie doch dauernd in die Identifikation mit dem Objekt zurück, wodurch sie sich selbst am Genuß erotischer Kunst hinderten.[7]
Es ist viel Wahres dran an diesem Argument. Eine Analyse der »Sehweisen« enthüllt, daß der männliche Blick immer der autoritative ist, während der weibliche nur reagiert oder antwortet. So jedenfalls wird es uns in konventionellen Bildern und Filmen vorgeführt.  (In Hollywood-Filmen verschmelzen der Standpunkt des männlichen Hauptdarstellers, der Kamera und des Zuschauers tendenziell zu einem. Wir betrachten nicht nur den Mann, der eine Frau ansieht, wir sind der Mann, der eine Frau ansieht.) Doch es ist nicht klar, ob das Vergnügen des Betrachtens hoffnungslos mit männlicher Macht verknüpft ist oder ob es »gerettet« werden kann, um dem Begehren und der Lust von Frauen zu dienen. Dies kann nicht durch einfache Umkehrung der Blickrichtung erreicht werden: Ein Mann, der von einer Frau angestarrt wird, würde uns und sich selbst lächerlich vorkommen - und keineswegs erotisch. Als Zuschauerinnen würden wir mit großer Wahrscheinlichkeit unseren Blick abwenden und uns nicht mit dem Blick der Frau identifizieren. Und ein Bild, das eine stehende, voll bekleidete Frau zeigte, die auf einen sich zurücklehnenden, blassen nackten Mann blickt, würde eher Gekicher provozieren als ästhetische Bewunderung hervorrufen. Die Gründe dafür sind vielfältig, haben jedoch damit zu tun, daß eine Umkehrung der Geschlechtsrollen immer als komisch oder lächerlich betrachtet wird, und das Komische ist unvereinbar mit dem Erotischen (wie in Kapitel Eins bereits erwähnt wurde).
So nützt es uns nichts, wenn wir auf den Bildern einfach die Positionen vertauschen, denn die Art und Weise, wie wir diese Bilder wahrnehmen, wird notwendigerweise durch unsere gesellschaftliche Realität bestimmt. In einer Welt, in der Frauen Macht besäßen, würde der weibliche Blick Autorität, aktives Begehren und Wahrheit vermitteln. Doch in unserer Welt ist das nicht so, und wir können die Bedeutung bestehender Symbole nicht einfach willkürlich verändern.
Manchmal jedoch spüren wir flüchtig, wie es ist, einen sowohl gebieterischen wie begehrlichen Blick auf jemanden zu werfen - ohne uns gleichzeitig männlich zu fühlen. Manche Künstlerinnen schaffen »klassische« weibliche Akte, denen es gelingt, ganz und gar nicht klassisch zu sein: Die Künstlerinnen verwandeln das Modell nämlich nicht in ein Objekt, sondern statten es im Bild mit genau der Macht aus, die diese Frau im wirklichen Leben hat. In meinem Wohnzimmer hängt eine Zeichnung einer nackten Frau. Der Akt wurde von einer Lesbe gezeichnet; die Figur der Gezeichneten beginnt beim Kinn und hört genau über dem Schritt auf. Es gibt kein Gesicht auf dem Bild, das dem Körper Ausdruck und Individualität verleihen und ihn vom Objektstatus des »klassischen« Aktmodells retten könnte. Doch eine sehr starke und aktive Hand, die im Vordergrund zu sehen ist und mit kühnen, dunklen Strichen gezeichnet wurde, erfüllt genau diesen Zweck. Der Körper ist schön im traditionellen Sinne und sieht wahrscheinlich »passiv« aus, einfach weil es der Körper einer nackten Frau ist. Doch Arm und Hand suggerieren Macht, Individualität und ein Verlangen, das autonom ist und nicht nur Reaktion auf das Begehren der/des Betrachtenden.
Wenn ich die Zeichnung ansehe, empfinde ich die gleiche Art ästhetischen Vergnügens wie bei den Skulpturen Henry Moores oder den Zeichnungen von Picasso. Gleichzeitig empfinde ich noch eine ganz andere Art von Vergnügen, eines, das deutlicher erotisch ist. Ich sehe nicht nur ein Objekt; ich sehe ein Objekt, das zugleich auch Subjekt mit einem, obwohl mir unbekannten, Eigenleben ist. Wird der betrachtende Blick auf konventionelle Weise definiert, dann assoziiert man ihn mit Männlichkeit und einseitiger Macht. Doch wenn wir den Kontext und die Konnotationen von Macht verändern, können wir eine Situation schaffen, in der es immer noch den Blick in eine Richtung gibt (ich betrachte die Zeichnung einer Frau, die mich nie gesehen hat), doch die Form des visuell-erotischen Begehrens ist eine andere. Zwar behaupten manche Feministinnen, alle Darstellungen weiblicher Körper seien per se objektivierend und sexistisch, doch ich glaube, daß es Beispiele gibt - wenn auch nur wenige -, die beweisen, daß die Verbindung zwischen visuell-erotischem Vergnügen und Männlichkeit nicht zwingend ist und durchbrochen werden kann. Der begehrliche Blick, selbst auf einen nackten weiblichen Körper, könnte gerettet werden (ich sage »könnte«, weil es mich immer unruhig macht, wenn ich sehe, wie männliche Besucher meine Zeichnung betrachten, und meine Unruhe ist sehr wohl begründet). Wenn Männer in der Realität nicht so viel Macht über Frauen hätten, würde der männliche Blick nicht alles, auf das er fällt, in Objekte verwandeln.
Selbst in der heutigen Welt machen Männer jedoch nicht immer Gebrauch vom stereotypen männlichen Blick auf Frauen. Wenn ich zum Beispiel im Sportzentrum bin, kann ich dort viele halbnackte Frauenkörper sehen.
Doch da sie nicht passiv zur Schau gestellt werden, sondern eher aktiv schwitzen, und da die Männer gleichfalls mit anstrengenden Tätigkeiten beschäftigt sind, die kaum Voyeurismus erlauben, sind die Blicke der Männer nur selten objektivierend oder erniedrigend. Sie wissen wahrscheinlich, daß jede Frau hier nur allzu leicht einen unangenehm langen Blick auf ihre nur allzu sichtbare sexuelle Ausrüstung werfen könnte. So riskieren sie also verstohlene, bewundernde Blicke, doch geben sie sich keinem unzweideutigen Voyeurismus hin, der sich so leicht gegen sie wenden könnte. Und was mich betrifft, so setze ich (auch wenn das ketzerisch klingt) ihre verstohlen bewundernden Blicke nicht automatisch damit gleich, sexistisch zum Objekt gemacht zu werden, vor allem dann nicht, wenn die Frau, der dieser Blick gilt, gerade einer Tätigkeit nachgeht, in der sie ihre Stärke und Ausdauer unter Beweis stellt. Ein solcher Blick mag zum Teil objektivierend sein; doch er erkennt auch die Macht und das Begehren der anderen an.
Dennoch ist die männliche Erotik tendenziell von Besitzdenken, Aggressivität und mangelnder Anerkennung für die Bedürfnisse der anderen Person geprägt. Wie ich schon zu Beginn dieses Abschnitts festgestellt habe, mag die Männlichkeit Männer auch behindern und ihr emotionales Wachstum in gewisser Hinsicht beschneiden, doch diese Zwänge werden Männern sozusagen in ihrem eigenen Interesse auferlegt. Feministinnen sollten also nicht erwarten, daß Männer genauso erpicht darauf sind, sich von ihrer Männlichkeit loszusagen, wie wir es sind, wenn es darum geht, die demütigenden Aspekte der weiblichen Rolle abzustreifen. Tatsächlich kenne ich keinen einzigen heterosexuellen Mann, der bereitwillig auf seine männlichen Gewohnheiten und Privilegien verzichtet hätte; wenn es tatsächlich einmal vorkam, wurde dieser Prozeß immer durch eine Partnerin mit unabhängigen Vorstellungen in Gang gesetzt oder durch den kollektiven Druck der Frauenbewegung (und gewöhnlich durch eine Kombination von beidem). Zwar können wir feststellen, daß Männer wie Frauen gleichermaßen in ihrem erotischen Leben behindert sind, doch die Handicaps der Frauen, die auf der Unterordnung ihrer Bedürfnisse unter die des Mannes beruhen, sind eindeutig problematischer. Die Handicaps der Männer mögen zwar dazu führen, daß deren Gefühlsleben verarmt, doch diese Behinderungen sind zugleich mit umfassender gesellschaftlicher und sexueller Macht verknüpft. Die Grenzen der maskulinen Erotik zu erkennen bedeutet, die ganz realen Privilegien in Frage zu stellen, über die Männer verfügen, um ihre Bedürfnisse zu verwirklichen. Wie es in einem Witz so treffend heißt: »Männer sagen, sie seien unterdrückt, weil sie nicht weinen dürfen - aber sie hatten bislang auch noch keinen Grund zu weinen.«
Es wäre daher naiv, von Männern zu erwarten, sie gäben spontan ihre männliche Vorherrschaft auf. Wenn sie es täten, würden sie langfristig gesehen vielleicht ein erfüllteres Leben führen, doch kurzfristig hätten sie einiges zu verlieren und müßten manche Verunsicherung in Kauf nehmen. Außerdem dürfen Männer bei ihresgleichen nicht den Eindruck erwecken, »unter dem Pantoffel zu stehen«. Heterosexuelle Frauen werden daher nicht umhinkönnen, die Männer, die sie lieben, immer wieder zu Veränderungen zu zwingen, trotz all der Probleme, die diese Kämpfe mit sich bringen. Es ist möglich, daß immer mehr Männer bereit sind, sich einer solchen Auseinandersetzung zu stellen, nicht nur aus Liebe zu einer bestimmten Frau, sondern auch aus Gerechtigkeitsempfinden und aus Einsicht in die Notwendigkeit langfristiger Veränderungen.

Aggressivität und Passivität

Eines der Themen dieses Buches ist die Notwendigkeit, daß Frauen ihr Begehren in all seiner Vielfalt beim Namen nennen und für sich einfordern, ohne von vornherein Urteile darüber zu fällen, welche Aspekte des sexuellen Begehrens - wenn sie es sich denn überhaupt zugestehen -»eigentlich« männlich oder »eigentlich« weiblich sind. Deshalb will ich eine Analyse der erotischen Aggressivität und Passivität versuchen, die nicht von naturalistischen Annahmen über Geschlechtsrollen ausgeht - etwa der Vermutung, Männer seien von Natur aus erotisch aggressiver. Wir müssen uns auch vor dem Grundirrtum der Domino-Theorie hüten, Aggressivität münde notwendigerweise in Sadismus, oder in gegenseitigem Einverständnis praktizierter sadomasochistischer Sex führe zwangsläufig zu Gewalttätigkeiten. Dies anzunehmen, würde darauf hinauslaufen, die Meinung der Polizei darüber zu teilen, was eine »Perversion« ist (»Mit Rockmusik-Videos fängt's an, und dann kommen die Kinderpornos.« - »Sie fangen mit Hasch an und sind dann bald heroinabhängig«). Statt diese Bilder von amoklaufender perverser Leidenschaft zu akzeptieren, täten wir gut daran, uns der Widersprüche innerhalb der Leidenschaft bewußt zu werden und auch Erfahrungen einzubeziehen, die nicht in unser vorgefertigtes Modell passen. Wir können dabei immer noch die Möglichkeit offen lassen, daß es sich, wenn wir an der Brustwarze unserer Geliebten knabbern, vielleicht dabei tatsächlich um eine harmlose Form unterschwelliger Gewalt handeln könnte. Vielleicht enthält das aktive sexuelle Begehren wirklich eine sadistische Komponente und das passive Begehren dementsprechend eine masochistische. Doch das muß nicht unbedingt der Fall sein. Wenn wir das jedoch behaupten, müssen wir konkrete Beweise vorlegen, nicht nur die Domino-Theorie und dergleichen anbieten. Untersuchen wir also die sadistische und die masochistische Form des Begehrens. Als erstes müssen wir dabei die unterschiedlichen Bedeutungen klären, die diese vieldeutigen Begriffe haben. Konzentrieren wir uns vor allem auf den Masochismus, da er traditionellerweise mit der weiblichen Sexualität in Verbindung gebracht wird, so können wir mindestens fünf verschiedene Bedeutungen des Begriffs »Masochismus« unterscheiden:

  1. Masochismus kann das Bedürfnis bezeichnen, erotisch besiegt oder überwältigt zu werden, jemandem »zu Willen zu sein«: eine besonders starke Form passiver Erotik. Diese erste Bedeutung des Masochismus ist ganz und gar nicht masochistisch, insofern als sie keine Unterlegenheit oder Selbstverachtung enthält. Es kann ein ausgesprochenes Glücksgefühl sein, die mächtige erotische Kraft einer/eines Geliebten zu wollen/zu erwarten.
  2. Manche Leute verstehen unter Masochismus auch das erotische Bedürfnis nach Sex, der ein gewisses Ausmaß an körperlicher Grobheit beinhaltet (Bisse, plötzliche Penetration, analer Sex etc.). Auch dahinter steckt nicht unbedingt das Bedürfnis nach Schmerz. In der sexuellen Erregung sinkt die Schmerzempfindlichkeit ganz erheblich, und »grober« Sex kann dann, in gewissen Grenzen, nicht als schmerzhaft, sondern als besonders erregend erlebt werden. Handlungen, die in nicht sexuellem Kontext oder in Vergewaltigungssituationen ganz sicher als äußerst brutal und schmerzhaft erlebt würden, werden beim einverständlichen Sex nicht immer so empfunden. Manche Menschen brauchen jedoch tatsächlich Schmerz, um überhaupt sexuell erregt zu werden. Dies mag sogar gleichzeitig der Fall sein, ist aber ein ganz anderes Begehren.
  3. Die meisten Menschen verstehen unter Masochismus ein sexuelles Lustgefühl, das durch die Zufügung von körperlichem Schmerz entsteht. Ich vermute, das ist nicht gerade bei vielen Frauen ein Hauptelement ihres Begehrens, doch es mag manchmal bei den unter 1. und 2. genannten Formen des Begehrens unter anderem auch eine Rolle spielen.
  4. Eine weitere Bedeutung des Begriffs Masochismus bezieht sich auf das größtenteils nicht-sexuelle Bedürfnis nach Demütigung und Erniedrigung. Dies ist oft verbunden mit Selbsthaß und/oder einem allgemeinen Abscheu gegen Sex und alles Körperliche. Einigen Psychologen zufolge haben Menschen, die streng religiös aufgewachsen sind, manchmal das Gefühl, sie müßten für ihre Lust »bestraft« werden. Indem sie dafür sorgen, daß sie sexuelle Lust und Demütigung gleichzeitig erfahren, gelingt es ihnen, sowohl ihre sexuellen Bedürfnisse wie die Ansprüche ihres moralistischen Über-Ichs zu befriedigen.
  5. Schließlich praktizieren manche Leute eine größtenteils ritualisierte, symbolische Version des Sadomasochismus, der bestimmte Requisiten (Leder, Peitschen, Strapse, Uniformen) und bestimmte »Szenarien« beinhaltet (z.B. Domina/Sklavin, Lehrer/Schüler, Polizist/Verbrecher). Eine stattliche Minderheit unter den Schwulen und Lesben praktiziert diesen einverständlichen Sadomasochismus, und laut Auskünften von Beteiligten bestimmt der- oder diejenige, der/die »unten« ist, immer die Grenzen des Spiels. Manchmal schließt das Spiel groben Sex ein, manchmal ein gewisses Ausmaß an kontrollierter Gewalt, z.B. legt der »Polizist« dem »Verbrecher« Handschellen an und tut so, als wolle er den Verdächtigen »mißhandeln«. Manchmal kommt es gar nicht zu sexuellen Handlungen, weil beide Partnerinnen so in ihr Rollenspiel vertieft sind, daß ihnen nach nichts anderem der Sinn steht. Einigen Lesben zufolge, die diese Form des Sadomasochismus sowohl praktizieren wie predigen, liegt der Reiz des Spiels weniger in den körperlichen Handlungen als vielmehr im »Austausch von Macht«. Denn die/derjenige, die/der »oben« ist, hat nur scheinbar die absolute Macht über Schmerz und Lust der anderen Person; sie/er besitzt diese Macht nur insoweit, wie die/derjenige »unten« ihr/ihm vertraut. Demnach ist das Machtverhältnis zwischen Sadistin und Masochistin erheblich ausgewogener, als es auf den ersten Blick aussehen mag.

Ich möchte noch hinzufügen, daß die Theorie, die zur Rechtfertigung von S/M-Ritualen entstanden ist, zum größten Teil von homosexuellen Menschen entwickelt wurde, und es läßt sich schwer abschätzen, inwieweit sich diese Rechtfertigungen auf eine heterosexuelle Situation übertragen lassen, in der die Frau die Position der Sklavin/Schülerin/»Unteren« innehat. Bei den patriarchalischen Verhältnissen, in denen wir leben, ist es schwer zu begreifen, wieso eine Frau freiwillig das Bedürfnis haben sollte, ihre Macht vollständig in die Hände eines Mannes zu legen, wenn dieser schon allein aufgrund seines Geschlechts so viel Macht über sie besitzt. Doch vielleicht ist es ja möglich, in diesem Zusammenhang persönliche Bedürfnisse von gesellschaftlichen Zwängen ein Stück weit zu trennen.
Diese fünf Bedeutungen des Begriffs »Masochismus« (denen fünf Bedeutungen von Sadismus entsprechen) müssen sorgfältig auseinandergehalten werden, wenn wir die Dialektik des aggressiven/passiven Begehrens verstehen wollen. Ich möchte den Begriff »Masochismus« auf die unter 3. und 4. genannten Bedeutungen begrenzen, den Begriff Sadomasochismus für die unter 5. genannten Praktiken reservieren und für die unter 1. und 2. genannten Bedürfnisse andere Begriffe finden. So ist das Begehren, das unter 1. beschrieben wurde, im Grunde nichts weiter als die eine Hälfte der Dialektik des erotischen Begehrens, wie es im ersten Kapitel beschrieben wurde. Statt dieses Begehren also als eine Form des »Masochismus« zu betrachten - ein Ausdruck, in dem unweigerlich etwas Pathologisches mitschwingt, gleichgültig, wie neutral er vorgeblich benutzt wird -, finde ich es zutreffender, dieses erotische Verlangen im Kontext gegenseitiger erotischer Macht zu analysieren. Passive Erotik ist nur ein Moment, nur eine Facette der Erotik, und selbst wenn Frauen dazu erzogen werden, in dieser Rolle zu verharren, glaube ich, daß die meisten Frauen sich auch zur gegenteiligen aggressiven Seite ihres Begehrens bekennen würden.
Wenn ich aggressive und passive Bedürfnisse als zwei Momente ein- und derselben Dialektik beschreibe, so will ich damit nicht behaupten, wir müßten, um unsere rigiden Rollen und ihre Nebenbedeutungen zu überwinden, nur die Plätze wechseln, nach dem Motto: »Jetzt bin ich aktiv und du passiv, und dann tauschen wir«. Natürlich ist der Rollentausch durchaus wichtig, denn er widerlegt die Vorstellung, manche Menschen, vor allem Frauen, seien im wesentlichen passiv, während andere, vor allem Männer, im wesentlichen aggressiv seien. Doch die Dialektik meint mehr als nur einen einfachen Rollentausch. »Dialektik« bedeutet, daß jede der beiden Seiten die andere in sich birgt. Das Zusammenspiel der beiden Gegensätze findet nicht nur in der Mitte statt, im Raum zwischen den beiden festgefügten, isolierten Ganzheiten, sondern auch innerhalb der beiden Extreme selbst.
Ein konkretes Beispiel soll das verdeutlichen. Wenn ich mich zu einem bestimmten Zeitpunkt in der aktiven Rolle befinde, zum Beispiel eine Frau verführe, gehört zu dieser aktiven Verführung das starke, unglaublich selige Gefühl, nachzugeben, mich hinzugeben, mich willig dem wachsenden Begehren meiner Geliebten zu unterwerfen. Ich mag zwar nach außen hin diejenige sein, die handelt: eine Bluse aufknöpft, sie küßt, sie erregt; doch meine Geliebte ist kein bloßes Objekt, und die Reaktion, die ich sehe, ist nicht mechanisch. Die Reaktion meiner Geliebten ist Begehren - ein Begehren, das sich eine Weile vor allem in passiver Erotik ausdrücken mag, immer jedoch die Möglichkeit enthält, daß ich verschlungen, zurückgeworfen, überwältigt werde. Was ich im Körper der Geliebten sehe und fühle, ist nicht Schwäche, sondern Stärke. Diese Stärke drückt sich vor allem auf passive Weise aus, ist jedoch zweifellos genauso machtvoll und potentiell aktiv wie meine eigene aktive Kraft. Und wenn ich vom Verführen zum Lieben übergehe, verkörpere ich, auch wenn ich diejenige sein mag, die oberflächlich betrachtet »alles macht«, keineswegs pure Aggressivität, während die andere ausschließlich passiv ist. Wenn ich meine Geliebte stimuliere, erfülle ich mein eigenes Begehren, sexuell aggressiv zu sein. Gleichzeitig aber identifiziere ich mich mit ihrer Lust, sowohl mit ihrer körperlichen Reaktion wie mit ihrem Verlangen, meine erotische Kraft zu spüren. Ich sehe nicht etwa nur von außen, wie sie sich sehnt, sondern ich fühle das Sehnen in mir selbst. Beim Sex mit einem Mann kann eine Frau sich nicht in diesem Maß mit dem körperlichen Prozeß identifizieren, den er erlebt; dennoch kann sie sich weitgehend mit seiner emotionalen Erregung, seinem Begehren, seiner Lust und Befriedigung identifizieren. Dieses Zusammenspiel komplementärer Begierden, die sich sowohl durch Opposition wie durch Identifikation definieren, läßt sich ganz sicher nicht angemessen durch den mechanistischen Begriff des »Rollentausches« beschreiben. Denn es ist ja nicht so, als ob ich zu einem bestimmten Zeitpunkt hinter der Kulisse verschwände, die Verkleidung wechselte und wieder hervorkäme. Aktives und passives Begehren enthalten sich immer gegenseitig, oder zumindest enthält jedes eine Spur des anderen. Selbst wenn nur eine der Rollen ausagiert wird, bleibt das Begehren nicht statisch und unzweideutig. Der erotische Austausch ist kein Tennisspiel, in dem das Begehren dem Ball gliche, der zwischen zwei Spielerinnen hin- und herfliegt. Die Bewegung innerhalb der einzelnen Spielerin bzw. des einzelnen Spielers bildet den Grund für den Austausch, den wir zwischen ihnen wahrnehmen.
Wenn wir erst einmal verstehen, wie sich aktives und passives Begehren dauernd wechselseitig als Gegensätze schaffen und gleichzeitig ineinander verschmelzen, werden wir eher in der Lage sein, zu wählen und uns zu entscheiden, ob wir tatsächlich etwas an unserer Erotik verändern wollen oder nicht. Vielleicht zögern wir, uns einzugestehen, daß eine gewisse Aggressivität »zu uns gehört«, und müssen erst einmal sichere Situationen schaffen, in der wir diese Seite an uns erforschen können. Möglicherweise sind wir aber auch dann am glücklichsten, wenn wir uns vorwiegend auf eine der beiden Rollen beschränken. Nirgendwo auf der Welt gibt es ein Gesetz, das Liebenden vorschreibt, sie hätten die Hälfte der Zeit aktiv und die andere Hälfte der Zeit passiv zu sein. Doch selbst wenn wir uns primär zu einem der beiden Pole hingezogen fühlen, müssen wir erkennen, daß auch der andere in uns ist. Wenn wir uns vollkommen mit dem Begehren unserer/unseres Geliebten identifizieren, dann bedeutet das, daß wir die Möglichkeit haben, auf dieses Begehren auch einfühlsam einzugehen. Vielleicht entscheiden wir uns für das Unkonventionelle, holen unsere Sex-Spielzeuge hervor oder spielen Rollenspiele nach bestimmten Vorgaben. Doch sicherlich bereiten uns die Spielzeuge und Spiele nach einiger Zeit keinen sonderlichen Spaß mehr, wenn wir sie bloß dazu benutzen, die Dynamik des Begehrens zu verhüllen, und wenn wir selbst in festen Rollen erstarren wie die Figuren in einem Wachsfigurenkabinett. Die sexuellen Requisiten lassen sich am besten dazu einsetzen, die Bewegung und Dialektik des Begehrens deutlich zu machen, und nicht um sie zu einem bestimmten Zeitpunkt und in bestimmten Ritualen einzufrieren. Diese sexuellen Requisiten umfassen sowohl konventionelle Rituale - romantisches Abendessen bei Kerzenlicht etc. - als auch unkonventionelle Rituale wie sexuelles Spielzeug. Ich glaube nicht, daß es moralische oder unmoralische, bessere oder schlechtere sexuelle Rituale gibt.
Manche Rituale verstärken jedoch tendenziell den Mythos von »natürlichen« Rollen für die Liebenden verschiedener Geschlechter, Rassen und sozialer Schichten. Dabei fallen mir so manche beliebte Sado-Maso-Szenarios ein, wie Polizist/Verbrecher oder Macho/Frau in Strapsen und Stöckelschuhen. Die Vertreterinnen des Sadomasochismus behaupten häufig, diese Rollen hätten mit ihrem sonstigen Leben nichts zu tun, sie seien reine Phantasie-Produkte; andere argumentieren, sie machten sich auf diese Weise lustig über diejenigen, die diese Rollen im wirklichen Leben spielten. Diese Argumentation enthält ein Körnchen Wahrheit, doch insgesamt glaube ich, wer so redet, überschätzt die Fähigkeit der Individuen, nach ihrem Gutdünken zu bestimmen, welche gesellschaftliche Bedeutung bestimmte Zeichen und Rollen haben. Der Grund, warum der Sadomasochismus so stark auf sehr ungleiche und stereotype Rollen zurückgreift, liegt genau darin, daß diese Rollen mit einer ungeheuren Macht verbunden sind, die eingesetzt werden kann, um den erotischen Austausch anzuheizen. Diese Macht ist in anderen erotischen Szenarios nicht zu finden, etwa wenn sich zwei androgyne Menschen gegenseitig verführen. Ob Sadomasochistlnnen absichtlich erotische Rollenvorgaben einsetzen, um gesellschaftliche Herrschaftsbeziehungen zu bestärken, oder ob sie diese Szenarios einfach als Phantasien ohne großen Bezug zum wirklichen Leben betrachten - Tatsache bleibt, daß sie Machtformen zum Einsatz bringen, die eine sexistische und ausbeuterische Gesellschaft hervorgebracht hat. Es mag möglich sein, diese Formen so einzusetzen, daß ihre gesellschaftliche Bedeutung verringert oder sogar untergraben wird, doch man muß sich sicherlich dauernd selbst daran erinnern, um nicht automatisch die »gewöhnliche« Dynamik der Macht und die »normale« Bedeutung der benutzten Rollen und Bilder mit zu akzeptieren.
Ich glaube jedoch den Verfechterinnen eines Sadomasochismus, der in gegenseitigem Einverständnis praktiziert wird, daß sie sich zumindest ihres Rollenspieles bewußt sind. Zwei Menschen, die sich einem erotischen Spiel hingeben, bei dem sich eine/r von ihnen als Polizist verkleidet, wissen genau, daß niemand mit der Macht eines Polizisten auf die Welt kommt, sondern daß diese Macht einzelnen Menschen von bestimmten gesellschaftlichen Kräften in Form gewisser Symbole verliehen wird.
Im Gegensatz dazu betrachten viele »normale« Paare, die permanent in einem ungleichen Rollenspiel gefangen bleiben, ihre Rollen meist keineswegs als gesellschaftlich konstruiert, sondern als ganz natürliche Verhaltensweisen. Sie glauben wahrscheinlich fest daran, Mutter Natur habe bestimmt, der Mann möge beim Sex auf der Frau liegen und die Frau solle ihren Mann bzw. Freund das Abendessen bezahlen lassen. Diese Rollen sind wesentlich übler, da sie unbewußt angenommen werden, selbst wenn das betreffende Verhalten ziemlich harmlos und weniger bemerkenswert ist als das exotische Gebaren derjenigen, denen es Spaß macht, sich in schwarzer Lederjacke und mit Nietenhalsband zu lieben.

Dieses Kapitel begann mit einer Kritik an einigen Vorstellungen über Leidenschaft und Begehren, die sowohl in unserer Kultur wie in unserer individuellen Psyche ein großes Gewicht haben und uns aktiv davon abhalten, uns Klarheit über unsere Bedürfnisse zu verschaffen und mit ihnen zu experimentieren. Die mythischen Ängste, die ich als »Domino-Theorie« und »Rutschbahn-Theorie« bezeichnet habe, werden durch die ungezählten Anordnungen ergänzt und verstärkt, welche die patriarchalisch konstruierten Modelle von Männlichkeit und Weiblichkeit vorgeben. Und schließlich wurde in diesem Kapitel untersucht, wie erotische Aggressivität und Passivität funktionieren, wobei sowohl der Mythos zurückgewiesen wurde, daß diese beiden Aspekte des Begehrens notwendigerweise geschlechtsspezifisch seien, als auch der noch weiter verbreitete Mythos, daß jedes Begehren zeitweise festgelegt und von dem dialektisch gegenteiligen Begehren getrennt werden kann. Wir haben versucht, sämtliche naturalistischen Vorstellungen über unser sexuelles Begehren beiseite zu lassen und die Art und Weise zu betrachten, wie Bedürfnisse nach ihrem Gegenteil verlangen und gleichzeitig den Keim zu ihrem Gegenteil in sich tragen, ja, sich in dieses Gegenteil verwandeln.
Dieser Ansatz macht Schluß mit dem Mythos, es gebe feste, objekthafte Begierden und ermöglicht es auf diese Weise, nicht nur die Macht und den Einfluß der sozialen und kulturellen Faktoren auf unsere Bedürfnisse zu erkennen, sondern auch die weniger sichtbaren, aber entscheidenden Formen des Widerstandes gegen diese gesellschaftlichen Kräfte. Feministische Theoretikerinnen haben eine ganze Menge dazu beigetragen, die Wurzeln mancher dieser Mythen über unser sexuelles Begehren aufzudecken, insbesondere was den Mythos von der »natürlicherweise« masochistischen Frau angeht. Doch die Analysen müssen noch tiefer gehen und auch jene Mythen einschließen, die nicht direkt geschlechtergebunden sind, wie etwa die »Domino-Theorie« der Leidenschaft. Der hier vertretene Ansatz ist daher ein Versuch, die Diskussion voranzutreiben, nicht nur, indem einige neue Ideen vorgestellt werden, sondern auch, indem für eine neue Methodologie plädiert wird, die zum einen dem Thema angemessen ist (sexuelles Begehren kann ja nicht statistisch erfaßt werden), zum anderen dem unverhohlen politischen Ziel dient, das Begehren an sich zu verändern, indem die sozialen und kulturellen Kräfte, die unsere innersten Leidenschaften schaffen und formen, genau betrachtet wurden. Ob die Leserinnen sich nun mit den Ideen und Schlußfolgerungen, die ich hier präsentiert habe, einverstanden erklären oder nicht - ich hoffe, sie werden zumindest versuchen, die Methode auszuprobieren. Niemand verfügt über das Monopol auf die Erfahrung oder die endgültige Theorie des Begehrens. Autorinnen können nur Mythen und Ideologien aufdecken, in Frage stellen und neue Wege aufzeigen, wie wir uns zu unseren Erfahrungen verhalten können, ohne das soziale System vorauszusetzen, das wir versuchen, kritisch zu analysieren. Das wäre keine geringe Leistung.