Die Frau im Staat
Anita Augspurg/Lida Gustava Heymann
WAS WILL »DIE FRAU IM STAAT«?
Die »Frau im Staat« will die wesentlichen Zusammenhänge von Frauenpolitik, Völkerveständigung und dauerndem Frieden klarlegen; sie hat den Zweck, das politische Leben vom Standpunkte der Forderungen und der Mitwirkung der Frauen zu verfolgen, nicht vom einengenden nationalen, sondern vom allumfassenden internationalen.
Nach dem katastrophalen Zusammenbruch des Weltkrieges ist eine neue Zeit im Werden. Die politisch mündigen und freien Frauen wollen durch ihre Mitarbeit eine Wesensänderung der Staaten herbeiführen. Unter der ständigen Rubrik: »Politische Nachrichten« wird die »Frau im Staat« ihre Leser unterrichten, wie sich die Frauen nach diesem Weltkriege zur Politik stellen, welche neuen Gedanken und Anregungen sie bringen, welche Mitarbeit sie leisten. Unter der ständigen Rubrik: »Völkerverständigung« wird die »Frau im Staat« alles berichten, was von Frauen und Männern zur Verwirklichung internationaler Gemeinschaft angestrebt wird.
Frauen sind, nur weil sie Frauen sind, gegen jede brutale Gewalt, die nutzlos zerstören will, was gewachsen, was geworden ist, sie wollen aufbauen, schützen, neu schaffen, neu beleben. Viele Frauen haben sich durch die ihnen im Männerstaate aufgezwungene Erziehung und Art, die Dinge nur vom männlichen Standpunkte aus zu betrachten, weit von ihrem ursprünglichen Wesen entfernt, sie mit ihrem ursprünglichen, eigenen, alten-neuen Geist wieder zu erfüllen, ist eine der edelsten Aufgaben der Zukunft. Die grundlegenden Forderungen der Völkerverständigung und des dauernden Friedens müssen Gemeingut, tiefe lebendige Ueberzeugung der Frauen werden, die in diesem Geiste allumfassender Gemeinsamkeit, die kommende Generation zu kraftvollen, freien, selbstbewussten Menschen, zu Persönlichkeiten erziehen sollen.
»Die Frau im Staat« dient keiner politischen Partei, was sie aber niemals verhindern kann, sich zu diesem oder jenem auch von Männerparteien vertretenen Grundsatz zu bekennen. »Die Frau im Staat« ist nicht das Organ bestehender Frauen- oder Männervereine. Das schliesst aber nicht aus, dass sie deren Tendenzen gelegentlich unterstützt. »Die Frau im Staat« will nicht die von Männern seit Jahrhunderten vertretene Politik übernehmen, oder nachahmen, sie will im Gegenteil, - deren viele Mängel und Zweckwidrigkeit erkennend, — eigene Wege gehen. Sie redet der ganz selbständigen politischen Betätigung der Frauen das Wort, denn nur diese schafft den Staaten neue Werte.
»Die Frau im Staat« ist vollständig unabhängig. Sie wird ohne Rücksicht auf herrschende Vorurteile und Ansichten, auf Beifall oder Widerspruch, auf gerader Linie ihren Zielen dienen. So übergeben wir denn das erste Heft der Oeffentlichkeit in dem heissen Wunsche, dass sich erfüllen möge, was unsere Mitarbeiterinnen und wir anstreben: dem politischen Leben ein neues, fruchtbares Element zuzuführen, das Bewusstsein der Frauen mit der Erkenntnis ihrer eigenen ursprünglichen Wesenseigentümlichkeit zu erfüllen, aufbauende Arbeit im Sinne der Völkerverständigung zu leisten und mitzuhelfen, die Völker der Erde einer inneren und äusseren Gesittung entgegenzuführen.
Nr. 1/1919
Dr. Helene Stöcker
DIE FRAUEN UND DIE PARTEIEN
Jeder unter uns, der diese letzten Jahre und Tage erlebt hat, wird sich heute vor einer Fülle neuer Fragen und Probleme sehen. Haben wir doch Erschütterungen der ganzen Welt mit erlebt, wie sie in dieser Gewalt und Stärke, in diesem Umfang und dieser Tiefe vielleicht noch nicht die Erde gesehen hat. Selbst die Zeiten der französischen Revolution vor hundert Jahren sind wie das Kräuseln der Wellen dem gewaltigen Sturm gegenüber, der in unseren Tagen die Welt erfasst zu haben scheint. Und wenn schon die Staatsmänner und die Politiker, die berufsmässig an der Leitung und Lösung der staatlichen Probleme mitwirkten, hilflos vor diesem Ausbruch der Leidenschaften standen, machtlos ihn zu lenken, dann wird es noch in besonderem Grade den Frauen zunächst wie eine unlösbare Aufgabe scheinen, hier zum Besten, zur Rettung des Ganzen vor drohendem Untergang einzugreifen.
Der Ausbruch des Krieges hatte schwere Enttäuschungen auf allen Seiten gebracht. Alle Stützen, die man als Schutz vor dem Ausbruch einer solchen Menschheitskatastrophe betrachtet hatte, sind jämmerlich zusammengebrochen, politische Parteien, die Kirche, die Intellektuellen, die Künstler und Dichter aller Art. Eine tiefe Enttäuschung waren für die Frauen auch die Männer, deren seit Jahrhunderten behauptete geistige Ueberlegenheit sich jetzt darin äusserte, dass sie sich von Land zu Land gegenseitig der grössten Freveltaten und Gehässigkeiten beschuldigten, und die von jeder Objektivität so weit entfernt waren, dass man leider erkennen musste: Auch beim männlichen Geschlecht waren Instinkte, Triebe und Wünsche stärker als alle Logik, Wissenschaft, Einsicht und Erkenntnis. Der bittere Spott der Walpurgisnacht: »Denn geht es zu des Bösen Haus, das Weib hat tausend Schritt voraus. Doch wie sie sich auch eilen kann, mit einem Sprunge machts der Mann«, schien sich wieder einmal zu bewahrheiten. Und auch wenn man sehr weit davon entfernt ist, sich als Frau pharisäisch zu brüsten, darf man doch wohl aus dieser Kriegserfahrung den Schluss ziehen, dass künftig der Mann in seinem abfälligen Urteil über die angeblich mangelnde Objektivität der Frau - ausgerechnet nach dieser weltzerstörenden Erfahrung — etwas bescheidener und vorsichtiger werden sollte, als er es in manchen seiner Exemplare den Frauen gegenüber zu sein pflegt. Aber eben solche Enttäuschung, wie hier die Frauen am Manne erlebt haben, haben umgekehrt auch die Männer an manchen Frauen erlebt. Immer wieder hat man, sowohl vom Felde draussen, wie hier im Innern, von Männern die Hoffnung aussprechen gehört, dass die Frauen es sein müssen, die durch ihren leidenschaftlichen Protest, durch einheitliches Zusammenhalten, durch eine geschlossene Auflehnung diesem Vernichtungswerk am Menschen Einhalt tun müssten. Aber wenn wir auch von einzelnen solchen Bemühungen der Frauen wissen, — wir erinnern an die erste internationale Zusammenkunft der Sozialistinnen in der Schweiz im März 1915, der radikalen bürgerlichen Frauen im April 1915 in Holland - so waren diese doch leider viel zu schwach und vereinzelt, als dass sie ausschlaggebende Bedeutung auf den Lauf dieser Menschheitstragödie zu gewinnen vermochten. Wie es den Frauen nicht gelungen ist, den Ausbruch des Krieges zu verhindern, wie das Mühen der kleinen Minderheit das Ende des Krieges so schnell als möglich herbeizuführen, an der Gewalt der Gegenkräfte scheitern musste, so stehen jetzt die Frauen, da sie zum ersten Male aufgerufen werden, bei dem Neuaufbau des fast zertrümmerten Vaterlandes zu helfen, vor gewaltig ernster Verantwortung. Je gewissenhafter wir diese Verantwortung nehmen, je schwerer wird uns vielleicht die Wahl, uns einer der alten Parteien einfach anzugliedern. Je mehr haben wir vielleicht das Gefühl, es sei notwendig, eine ganz neue Partei, eine Gemeinschaft der Gewaltlosigkeit, der wahren Kultur zu gründen. Man musste ein anderes Wort für das Wort Partei finden, das so sehr den Ausdruck und die Bedeutung einer blossen Interessenvertretung - wenn notwendig mit Gewalt gegen die Interessen anderer — bekommen hat. Eine Gemeinschaft von Menschen meine ich, die sich bewusst sind, dass es gilt, dem Elend und Jammer, dem Hass und der Rachsucht mit ganz anderen Waffen zu begegnen, als es bisher geschehen ist: durch den Glauben an die Notwendigkeit der Güte für das Bestehen der menschlichen Gemeinschaft. Ein Zusammenschluss all der Menschen, die an die Notwendigkeit einer solchen geistigen und seelischen Erneuerung glauben, scheint mir das notwendigste inmitten dieser immer wieder aufflammenden, verzehrenden, gewalttätigen Leidenschaften zu sein. Und sollte zu der Bildung dieser Gemeinschaft der Kultur, der Liebe und der Versöhnung nicht vor allem die Frau berufen sein? Die Politik der Staaten lag bisher ausschliesslich in den Händen von Männern, in allen kriegführenden Ländern. Bisher waren allein die Männer diejenigen, die die Völkerkriege in Person ausfochten, in den Volksvertretungen die Rüstungen und Kriegskredite bewilligten. Und man hätte annehmen sollen, dass sie als Männer kluge und einsichtsvolle Persönlichkeiten repräsentierten, die nur vernünftigen Erwägungen, objektiven Entscheidungen Raum geben würden, in so folgenschwerem Handeln. Wenn trotz dessen der allgemeine Weltvernichtungskampf einsetzen konnte, so haben wir darin den unleugbaren Beweis, dass die Menschen, - auch die Männer, nicht nur die Frauen — immer noch stärker von ihren Affekten und Leidenschaften als selbst von ihren eigenen Interessen zum Handeln bestimmt werden. Es ist wie ein Eingeständnis des Zusammenbruchs der bisherigen männlichen Politik, dass nunmehr auch das weibliche Geschlecht soll mitbestimmen dürfen, was mit ihm geschieht und wie das Haus, in dem das ganze Volk leben soll, eingerichtet werden muss. Auch wenn man nicht glaubt, dass mit dem Eintritt der Frau in die Politik an sich schon eine Wendung zum Besseren garantiert sei, - weil die Frauen in ihrer Masse ja ebenso gut Menschen mit menschlichen Schwächen und Unzulänglichkeiten sind wie die Männer, - wird man doch versuchen müssen, an der höheren Entwicklung der so arg verwirrten und zertrümmerten menschlichen Gesellschaft mitzuwirken. So notwendig eine Sachkenntnis und klare Einsicht sind, so deutlich hat sich gezeigt, wie wenig Fachkenntnis auf einem Einzelgebiet der Wissenschaft schon dazu hilft, wirkliche politische Weisheit zu produzieren. Dies scheint weit mehr vom Gesamtcharakter, der Weltanschauung, der Persönlichkeit abzuhängen, zu der die Frau sich ebenso entwickeln kann, wie der Mann. Denn beschämender als unsere sogenannten Intellektuellen, unsere gelehrtesten Professoren sich während des Krieges gezeigt haben, törichter können sich auch politisch unerfahrene und wissenschaftlich unbelehrte Frauen nicht betätigen. Diese Intellektuellen haben durch ihre gefährliche Machtpolitik im Gegenteil zur Verhetzung und Verwirrung und damit zur Verlängerung des Krieges und zur Vergrösserung der Opfer in einer Weise beigetragen, die niemals gutgemacht werden kann. Ohne die Bismarck'sche Gewalttheorie, dass Macht vor Recht gehe, dass alle Gebote sonst geltender Sittlichkeit während des Krieges Angehörigen anderer Völker gegenüber aufgehoben seien, wäre es zweifellos möglich gewesen, dem Krieg aus dem Wege zu gehen, jedenfalls aber seine Dauer abzukürzen. Auch die Frauen, die nun das Geschick der Gesamtheit mitbestimmen sollen, müssen sich klar darüber sein, welche besondere Schuld auch unser eigenes Vaterland, seine bisherigen Leiter an dieser Weltkatastrophe tragen. Glücklicherweise finden sich in anderen Ländern ebenso einsichtsvolle und gerechte Menschen, die dieselbe Arbeit der Kritik in ihrem Lande üben, wie das zum Beispiel nirgendwo so energisch und tatkräftig geschehen ist, wie in England. Diese notwendige Kritik kann jeder üben, ohne fürchten zu müssen, damit das eigene Land zu schädigen. Denn die beste Liebe zum Vaterlande besteht nicht darin, sein Vaterland für das beste der Welt zu halten, sondern darin, sich zu bemühen, es zum besten Lande der Welt zu machen. Über diese Fehler, die im letzten Jahrhundert, insbesondere in den letzten dreissig Jahren in Deutschland begangen worden sind, kann vielleicht einmal in einem nächsten Aufsatz ausführlicher gehandelt werden. Heute muss uns nur so viel klar sein: wenn wir nach überwältigenden Erfolgen, nach scheinbar ungeheueren Triumphen vor einem militärischen Zusammenbruch stehen, wie er selten in der Weltgeschichte gesehen wurde, so stehen wir vor der Auswirkung eines welthistorischen Gerichtes. Der berechtigte Unwille des Volkes hat die alte Macht, die in erster Linie in dies Verderben geführt hat, hinweggefegt. Damit ist aber der Krieg der Geister, der Krieg Aller gegen Alle, noch nicht beendet.
Nun soll aus dem Kriege und der Knechtschaft der Friede und die Freiheit aufblühen. Aber noch sind wir von diesem schönen, heiss ersehnten Ziele weit entfernt. Wir stehen nur vor einer veränderten Front, vor heissen Kämpfen, gewaltiger und erschütternder vielleicht als je, für die der äussere Krieg erst die Voraussetzung geschaffen hat. Ermattet vom langen Kampfe, sehnsüchtig verlangend nach Ruhe und Behagen, möchte uns wohl der Mut entfallen, auch in diesem neuen, unendlich schwierigen Kampf zu bestehen. Wir müssen uns daher des tapferen Wortes erinnern: »Nur der verdient die Freiheit, wie das Leben, der täglich sie erobern muss«. Der einzige Sieg, der in diesem Krieg errungen wurde, der von Dauer sein wird, ist wohl der des Gedankens des Pazifismus: die Erkenntnis, dass die Gewalt nur immer noch ärgere Anwendung von Gewalt nach sich zieht, dass die Gewalt am Ende in ihrem Erfolg nur immer vernichtend, nicht aber aufbauend sein kann. Ein trauriger Triumph für uns, die wir diesen Gedanken in jeder Phase des Krieges vertreten haben. Aber jetzt gilt es, die neue Freiheit der Frau vor allem dazu zu benutzen, diese Erkenntnis zu verbreiten. Durch die bluterkauften Erfahrungen dieses Krieges sollte sie allen Menschen unauslöschlich eingebrannt sein: dass aus dieser Welt mit ihrem schier unübertrefflichen Raffinement, Menschen auf alle mögliche Art zu töten, eine Welt erstehen muss, die ebenso reich an Grossmut und Güte, wie jetzt an Blut und Grausamkeit ist. Dafür haben die Frauen, die zum wirklichen Bewusstsein ihres Wesens und ihrer Verantwortung gelangt sind, in erster Linie zu sorgen.
Einer, der lebenslang ein Vertreter des Gewaltprinzips gewesen ist, Napoleon I, hat am Ende seines Lebens der Erkenntnis Ausdruck gegeben, dass neben der Gewalt in der Welt eine andere Macht, der Geist, die Kultur, die Güte sich mehr und mehr durchsetzen wird und muss. »Was mich in der Welt am meisten erstaunt,« sagt er, »das ist die Unfähigkeit der rohen Gewalt, irgend etwas zu organisieren. Es gibt in der Welt nur zwei Dinge: das Schwert und den Geist, die Kultur. Mit der Zeit ist es immer das Schwert, das durch den Geist geschlagen wird«.
Sorgen wir dafür, dass bei dem Eintritt der Frau in das öffentliche Leben jener Zeitpunkt beginnt, wo die Gewalt für immer beseitigt wird, wo wir - weil wir in jedem Mitmenschen einen Teil unseres eigenen Wesens erkennen - für alle gleich befriedigende, befreiende Lebensbedingungen schaffen, wie es vielleicht vor allem auch durch eine Sozialisierung, eine Vergesellschaftung der Produktionsmittel, möglich ist. Die Art und der Grad der Einführung dieser Vergesellschaftung ist vielleicht eine Frage der Zweckmässigkeit wir verlangen aber auf alle Fälle die Bereitschaft, die Gesinnung zur gegenseitigen Hilfe, zur sozialen Gerechtigkeit. Wir Frauen, als Anhänger des Friedens und der Freiheit, müssen dafür sorgen, dass unsere Stimme der Versöhnung in diesem inneren Kampf sich fruchtbarer geltend macht, als sie es während des äusseren Kampfes der Staaten bisher vermochte. Unsere Idee der Gewaltlosigkeit ist im äusseren Kampf am Ende jetzt zum Siege gelangt: eine Hochburg des Krieges, des blutigen Gewaltprinzips, der preussische Militarismus, ist gefallen. Nun gilt es, denselben Sieg auch im Innern, gegenüber den Vertretern blutiger Gewalt zu erringen. Aber wir hüten uns, jetzt derselben Verhetzung im inneren Kampf zu verfallen, die schon droht, einer Verhetzung, der die Nationalisten aller Länder im Kampf der Staaten verfielen. Wir wollen gewissenhaft und vorurteilslos prüfen, wo unsere wahren Feinde: die Vertreter der Gewalt und Ungerechtigkeit stehen, und wir wollen mit allen unseren Kräften die stützen, die mit dem weitesten Blick, dem wärmsten Herzen, der kritischen Besonnenheit und der grössten Energie den steilen Weg zu Menschheitsglück und Völkerverbrüderung, zur höchsten persönlichen Entwicklung des Individuums gehen. Nr. 1/1919
KURZE POLITISCHE NACHRICHTEN
Zur Erwerbslosenfürsorge in Bayern.
Der Magistrat in München hat folgende Beträge für die Erwerbslosen vorgeschlagen: Erwachsene Männer Mk. 5,-, Frauen Mk. 3,50; männl. Jugendliche von 16-21 Jahre Mk. 4,-, weibliche Mk. 3,-; Männl. Jugendliche unter 16 Jahren Mk. 3,-, weibliche 2,-.
Der Bayerische Verein für Frauenstimmrecht und dessen Ortsgruppe München, erheben gegen diese Sätze Einspruch aus Gründen, die sich aus rationeller Bevölkerungspolitik und Gemeindewirtschaft ergeben. Die aufgestellten Fürsorgesätze bewegen sich in dem Verhältnis, wie die Arbeitsleistungen in den betreffenden Personenkreisen eingeschätzt zu werden pflegen, bzw. gemäss der herkömmlichen Unterscheidung zwischen der Entlohnung von Männer- und Frauenarbeit. Beide Bemessungen sind hier nicht am Platz, denn nicht Entschädigung für Arbeitsentgang, sondern Gewährung des notwendigen Unterhalts ist Zweck der Erwerbslosenfürsorge.
Es widerspricht einer gesunden Bevölkerungspolitik, den heranwachsenden Menschen zwischen 16-21 Jahren geringere Ernährungsmöglichkeit zu geben, als den erwachsenen, da der Körper des ersteren noch zunehmen und sich aufbauen muss, letzterer sich nur zu erhalten braucht. Wird daher für den erwachsenen Mann 5 Mk. als notwendiger Unterhalt betrachtet, so bedarf der heranwachsende Jüngling mindestens so viel. Es widerspricht noch mehr einer gesunden Bevölkerungspolitik, der Frau geringere Ernährungsmöglichkeit zu geben als dem Manne, denn die Frauen, die Mütter des Volkes, ernähren ausser dem eigenen Körper denjenigen ihrer Kinder. Lassen wir die Frau darben, besonders die Arbeiterin, so schwächen wir zugleich die Kinder.
Die ersten Frauen im bayerischen Parlament.
Bayern war der erste Staat in Deutschland, der die Republik proklamierte, in Bayern verlieh man den Frauen zuerst die politische Gleichberechtigung und in Bayern zogen zum ersten Male Frauen in das Parlament ein. Im provisorischen Nationalrat sitzen unter den 180 Mitgliedern 8 Frauen, Dr. Anita Augspurg, Vertreterin des Bayer. Vereins für Frauenstimmrecht. Frl. Eberle, Sekretärin des kath. Frauenbundes. Frau Hedwig Kaempfer, Mitglied des Revolutionsausschusses. Frau Dr. Kempf und Frau Kieselbach, Vertreterinnen der gemässigten Frauenbewegung. Frau Maurer, Mehrheitssozialistin. Frl. Sturm und Frl. Sumper, Vertreterinnen von Lehrerinnenvereinen.
Freie Frauen-Partei Deutschlands.
Unter diesem Namen hat sich in Berlin eine Frauenpartei gegründet. Das Programm derselben ist durch das Parteibüro, Charlottenburg, Joachimstalerstr. 27 unentgeltlich zu beziehen. Es enthält neben vorzüglichen Forderungen Merkwürdigkeiten, so z. B. wird von der Erhaltung einer »deutschen« Weiblichkeit gesprochen. Demnach gäbe es eine französische, englische, russische, japanische usw. Weiblichkeit. Die jetzige Zeit ist weniger denn je geeignet, dass Begriffe, die allen Völkern gemeinsam sind, »vernationalisiert« werden. Auch die Forderung, dass die Natur der Frau »eine angepasste Abgrenzung politischer Betätigung« fordert, ist geeignet, unter den Frauen grösstes Misstrauen gegen diese neue Gründung zu erregen. Es erscheint also angebracht, das weitere Vorgehen der freien Frauenpartei Deutschlands prüfend abzuwarten, ehe man sich zur Mitarbeit entschliesst.
Nr. 1/1919