»Die Kämpferin«, »Die Kommunistin«, »Die Frau« Wien

 

Die Kämpferin

Baumeister B.
GEGENWÄRTIGES UND
ZUKÜNFTIGES

Meine Ehe
Es war eine Zeit innerer Aufwühlung, in der ich meine Frau kennen lernte. Sonst in der größten Zurückgezogenheit gelebt, immer als Eigenbrötler, erschloß sich mir mit einem Male ein neues Land. Ich habe diese grüne Frühlingszeit des Lebens wahrhaftig erlebt, wie sie sonst nur der Dichter beschreibt: Himmelhochjauchzend, zum Tode betrübt!
Nach meinen Anschauungen gehörte ich zum Bürgertum. Alles »Gute« und »Schöne« machte auf mein durchwühltes Innere den nachhaltigsten Eindruck. Mit Leichtigkeit erklomm ich die höchsten Gipfel der bürgerlichen Schöngeisterei, wie sie sich in dem Ausspruch Goethes für den idealen Bürger zeigt: Das ewig Weibliche zieht mich hinan!
Mich zog es hinan. In meiner schwärmerischen Liebe zu meiner Frau, in meiner seelenfesten Ueberzeugung an mein ehrliches Streben nach Wahrheit, in meinem Glauben an die absolute Gerechtigkeit, die das Gute belohnt und das Schlechte bestraft, sonnte ich mich in dem Gedanken, in meiner Frau einen Kameraden zu finden, mit dem ich gemeinsam das vollbringen wollte, was mir scheinbar allein nicht möglich war. Wir wollten gemeinsam glauben, gemeinsam suchen, gemeinsam streben, gemeinsam schaffen! Damals dünkten mich die Worte Stifters in seinen »Nachkommenschaften«: »Wir werden unsre Herzen verbinden, sie werden etwas vollführen und klein und niedrig und unerheblich wird es nicht sein«, seien eigens für mich niedergeschrieben ...
Heute faßt ein Schaudern mich an, wenn ich daran zurückdenke. Eines Tages erschloß sich meinen wahrheitssuchenden Sinnen die Erkenntnis: »Es gibt keine Gerechtigkeit!« Tiefer konnte ein Mensch nicht fallen, als ich von meiner Höhe herunter fiel. Was für innere Kämpfe ich erlebt habe! Seit meiner Verheiratung fiel Stück für Stück des bürgerlichen Menschen von mir ab, wie Zunder. Der ganze bürgerliche Idealismus brach zusammen, und auf seinen Trümmern sproß der Sozialismus empor. Mein Streben nach Wahrheit hatte dadurch auch neue Kraft und neue Nahrung bekommen. Ohne die sozialistische Idee wäre ich wahrscheinlich zugrunde gegangen. Kühl und logisch ist jetzt mein Denken. Aber, aber, den Glauben an meine Kameradin habe ich mit zu Grabe tragen müssen.
Heute ist es noch unmöglich, daß wir unsern geistigen Weg zusammengehen können. Das Leben aller Frauen spielt sich zwischen Scheuern, Waschen, Kochen, Nähen, Plätten, Kinderwarten, Einholen und sonstigen tausenderlei Kleinigkeiten ab. Ich brauche ja den Genossinnen nicht zu sagen, wie niederdrückend diese alltägliche Hausfrauenarbeit wirkt. Von hier aus gibt es nach meiner Meinung keinen geistigen Aufstieg. An den alltäglichsten Dingen, an den kleinlichsten Kleinigkeiten, sind meine höchsten Wünsche nach der geistigen Gemeinschaft mit meiner Frau zerschellt. Es ist ganz unmöglich, daß sich meine Frau die Zeit und Muße nehmen kann zur Lesung wissenschaftlicher Werke, zum Anschauen schöner Bilder und dergleichen.
Meine Frau und ich sind um eine tiefe Erkenntnis reicher geworden. Man spricht immer so schlechthin von einer bürgerlichen Gesellschaftsordnung. Aber sie ist eine Macht, und diese Macht hat ihr System, durch welches sie wirksam wird. In dieses System hinein sind wir geboren, unter ihm aufgewachsen, es bildet ein Teil unseres Lebensinhaltes, und wenn wir schon sozialistisch gesinnt sind, schlummert im Unterbewußtsein die bürgerliche Weltanschauung weiter und die Ehe ist in der heutigen Form die stärkste Stütze des bürgerlichen Systems.
Heilig, heilig, heilig ist die Ehe, heilig war sie auch mir! Aber im Augenblick der Eheschließung hatte der Schwarzrock mein Liebchen verwandelt. Ich hatte plötzlich keine Kameradin mehr, keine Genossin, mit der ich eine Geistesgemeinschaft eingehen konnte, sondern eine - Hausfrau.
Wir haben gemeinsam darüber beraten, meine Frau und ich, wie wir am besten dem sozialistischen Geiste dienen könnten. Wir mußten dabei feststellen, daß meine Frau unter allen Umständen an die tausenderlei kleinen und kleinlichen Hausfrauenpflichten gefesselt ist, sollte das Wohl der Familie nicht aufs Spiel gesetzt werden. Die heutige Ehe, ureigenster bürgerlicher Boden, ob man sich noch so dreht und windet, diese Tatsache muß anerkannt werden. Und der Mann genießt dabei die größte Freiheit.
Ich besitze nun den größeren Teil dieser Freiheit. Aus diesem Grunde auch den größeren Teil der Pflicht gegenüber dem Geiste des Sozialismus. Meine Frau wird danach trachten, mir die Stunden des Studiums soviel als möglich zu sichern. Denn um den Feind endgültig niederzuwerfen, brauchen wir geistige Waffen. In dieser Schmiede will ich rastlos mit tätig sein.
Die gemeinsame Freiheit in der Ehe aber wird uns am jüngsten Tage des Kapitalismus winken, wenn die Produktionsmittel in den Händen der Arbeiter sich befinden. Erst dann, wenn es möglich sein wird, die moderne Technik zum Wohle aller anzuwenden, auch des Einzelhaushaltes und in den Städten den Haushalt zu zentralisieren. Erst wenn jedes Menschen Existenz sichergestellt, wenn die persönliche Sorge und Mühe um das tägliche Brot wegfällt, erst dann sind wir frei und gleich und können uns frei ins Auge sehen. Dann werden wir uns schwester- und brüderlich zusammensetzen, neue Einrichtungen und Verhältnisse schaffen, die vernünftig und gerecht sein werden. Dann wird Geist mit Geist reden können und geistige Gemeinschaften werden keine Seltenheit sein und dann erst — wird auch die Ehe Wahrheit werden!
Nr. 1/1921

O. Richter (Althaldensleben)
DIE SOZIALISTISCHE FRAU
IN DER GEMEINDE

Die Novemberrevolution 1918 brachte mit einem Male das allgemeine, gleiche und geheime Wahlrecht für alle Staatsbürger beiderlei Geschlechts vom vollendeten 20. Lebensjahre an, wofür jahrzehntelang die organisierte sozialistische Arbeiterschaft und nicht zuletzt auch unsre gleichgesinnten Frauen kämpfen mußten. Aber damit, daß die Frau am Tage der Wahl den Stimmzettel für die Kandidaten unsrer Partei in die Wahlurne legt, ist es selbstverständlich nicht allein getan. Sie muß daher alle Kräfte anspannen, um die Verwirklichung des Sozialismus zu beschleunigen. So hat nun die Frau in erster Linie mit Gelegenheit, in den Stadt- bezw. Gemeindeverwaltungen fruchtbringende Arbeit zu leisten, denn hier wirken sich die Fragen der inneren Politik aus. Hier wird beraten, wie die beschlossenen Gesetze durchzuführen und praktisch anzuwenden sind. Ich denke zum Beispiel an die Schul- und Erziehungsfragen, die Kommunalisierung von Betrieben, die Versorgung mit Wasser und Licht, das Verkehrswesen, Wohnungsund Bestattungswesen, Erwerbslosenfürsorge, Armen- und Wohlfahrtswesen. Gesundheitspflege, Jugendfürsorge, die Berufsvor-und Ausbildung der Gemeindebeamten. Alle diese angeführten Aufgaben, die man noch weiter ausdehnen kann, sind Probleme, die nicht nur in großen, sondern auch in kleinen und mittleren Verwaltungen wiederkehren. Für die Vertreter unsrer Partei, nämlich der USPD., kann es daher nicht schwer sein, die großen Gesichtspunkte im Rahmen der Richtlinien unsres Gemeindeprogramms zu behandeln, welche der leider allzufrüh verstorbene Genosse Emanuel Wurm im Auftrage unsrer Parteileitung entworfen hat und die als Wegweiser in den Gemeindevertretungen dienen sollen. Auch in unsrer kommunal-politischen Zeitschrift: die Sozialistische Gemeinde, werden alle akuten kommunalen Fragen ja behandelt. Leider fehlt uns bis heute immer noch das kommunale Handbuch. Wir müssen uns daher mit dem begnügen, was zur Zeit vorhanden ist und darauf Rücksicht nehmen, daß unsre Partei im Kriege geboren ist und sich erst jetzt, nachdem die Spaltungen mit den Moskowitern vollzogen ist, zu einer revolutionär-sozialistischen Partei, frei von kleinbürgerlicher Ideologie, entwickeln kann. Nun jedoch zur Sache! Bei jeder einzelnen Frage, die in den Gemeindeparlamenten auf der Tagesordnung steht, tritt aber immer wieder die finanzielle Lage der Gemeinden in den Vordergrund. Und zu jeder Ausgabe muß auch wieder eine neue Einnahmequelle gefunden werden, d. h., keine Ausgaben ohne Deckung. Und hierbei muß das Allgemeinwohl wieder der Träger des Gedankens sein. Von diesem Gedanken müssen wir uns leiten lassen, da gar zu gern die bürgerliche Gesellschaftsklasse in Arbeiterkreisen krebsen geht, daß sich die sozialistischen Gemeindevertreter der Tragweite ihrer Beschlüsse nicht bewußt sind. Die Reaktion sucht Dumme, um wieder Einfluß in den Dorfparlamenten zu gewinnen! Auf dem Gebiete der sozialen Fürsorge kann die Frau besser wie der Mann helfend eingreifen, z. B. in der Krankenpflege, Säuglings- und Tuberkulosefürsorge, Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. Bei den Arbeitsämtern ist zur Zeit die Berufsvorbildung und -Eignung von besonderer Bedeutung. Gerade eine Frau aus unsern Reihen wird hier nützlichere Arbeit leisten können, um den wirtschaftlich Schwachen zu helfen, als eine »Dame« der sogenannten »besseren Gesellschaft«. Für die hier angeführten Aufgaben, die man natürlich noch weiter ausdehnen kann, muß die Frau bei allen zuständigen Stellen Verständnis wecken und auch mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln vertreten. Eine Frau, hervorgegangen aus dem Proletariat, kann die Nöte und Sorgen einer Familie besser beurteilen und begründen, als der Mann. An eine wirklich praktische und positive Arbeit in der Gemeindeverwaltung ohne die Mitarbeit der Frau ist eigentlich gar nicht zu denken. Ihre Vorbildung als Hausfrau und Mutter in Erziehungsfragen usw. haben sie für viele Verwaltungszweige geradezu geschaffen. Nach den preußischen Wahlen stehen wir in den nächsten Wochen vor den Wahlen zu den Gememdeparlamenten. Pflicht der Vorstände unsrer Ortsgruppen in den einzelnen Gemeinden ist es daher, bei diesen Wahlen überall Frauen mit aufzustellen als Kandidaten. Auch in der heutigen kapitalistischen Republik können sich sozialistische Gemeinden bilden, die dann die Interessen des klassenbewußten Proletariats anders vertreten werden als eine bürgerliche Mehrheit, was doch wohl gar keinem Zweifel unterliegt. Darum: Hinein mit der proletarischen Frau in die Gemeindeverwaltungen und führt den Kampf für den Sozialismus!
Nr. 2/1921

Die Kommunistin

Elvira Rosenberg
DER VORENTWURF ZUM NEUEN
HAUSANGESTELLTENRECHT

Die Revolution am 9. November, die für uns Kommunisten lediglich eine - noch dazu verpfuschte - Revolution muffiger Aktenschränke darstellt, hat wüklich mit etwas frischer Luft nur in den ersten acht Tagen geweht, als unter dem Druck des noch drohenden Massenwillens die Volksbeauftragten der sozialistischen Parteien wenigstens die schlimmsten Volksunterdrückungsbestimmungen aufhoben. Dazu gehörte auch das sogenannte Gesinderecht, besser bezeichnet Herrschafts-Willkürrecht. Das Bürgerliche Gesetzbuch trat an seine Statt. Es ergaben sich jetzt aber allerlei Uebelstände. Z. B. ließ die sogenannte Verkehrssitte des § 242 des BGB., auf die in strittigen Fällen zu achten war, der Willkür des Richters und dem noch immer geholten Polizeibüttel Tor und Tür offen, dem Hausangestellten sein Recht zu nehmen. Die Polizei bzw. die Gendarmerie hat überhaupt nichts mehr zwischen sogenannter Herrschaft und Hausangestellten zu suchen. Streitigkeiten gehen den Schlichtungsausschuß oder den Richter an. Die bestehenden Gewerbeordnungen waren nicht anwendbar, und so machte sich das Fehlen einer Hausangestelltenrechtordnung immer faßbarer.
Die Gesellschaft für soziale Reform (bürgerliche Vereinigung!) ging daran, hier vorzuarbeiten. Der Hausangestelltenverband, der eingeladen war, mitzuarbeiten, mußte seine Mitarbeit bald wieder drangeben, da ihm nicht gestattet wurde, die vom Verband vorgeschlagenen Verbesserungen in den Vorentwurf mit hineinzunehmen. Er sollte einen Sonderentwurf machen. Hausfrauen und Gesellschaft für soziale Reform waren sich gegenüber der Angestelltenvertretung schwesterlich einig. Die Gesellschaft sollte sich daher lieber Gesellschaft für bürgerliche Zugeständnisse nennen.... Hier zunächst das wesentliche aus dem beabsichtigten neuen Hausangestelltenrecht. Statt Hausangestellten soll es jetzt heißen: Hausgehilfen (!). Solche sollen sein, die hauptsächlich häusliche Arbeiten verrichten. Wird in der Mehrzahl der Arbeitsstunden für den Laden, für den Verkauf (.Restaurant, Konditorei usw.) gearbeitet, gilt die Gewerbeordnung, für Landarbeit die Landarbeiterordnung.
Demnach wird die Kinderausbeutung unter der »freiesten« Verfassung der Welt gesetzlich berechtigt. Und das noch dazu im Haushalt, wo der Familienvorstand Kläger und Richter zugleich ist. Daß die Behörde die Arbeitsstunden festsetzt, will gar nichts heißen für den, der die Agrarverhältnisse kennengelernt hat. Das Martyrium des Landkindes in den Resten aus der Leibeigenschaft bleibt voll und ganz, als da sind: die schwere Arbeit an den Hackfrüchten, Kartoffeln, Vieh und außerdem schwere Hausarbeit. In den Schulstunden schlafen diese übermüdeten Kinder trotz »aufmunternder Hilfe« des Lehrers andauernd ein. Bezeichnend ist es, daß nicht nur die katholischen Hausfrauen, sondern auch der katholische Hausangestelltenverband für die Beibehaltung der Kinderarbeit sich einsetzte, die der Hausangestelltenverband Deutschlands unter allen Umständen zu beseitigen strebte.
In sittlicher Hinsicht soll der Arbeitgeber, also die sogenannte Herrschaft, auf die jugendlichen Hausangestellten ein wachsames Auge haben. Uns will scheinen, daß es viel notwendiger wäre, die männlichen Mitglieder der »Herrschaft« zum sittlichen Lebenswandel anzuhalten. Besteht doch nach den Statistiken ein weit über die Hälfte hinausgehender Prozentsatz in der Prostitution aus oft von Sohn und Vater verführten Landund Stadtdienenden. Das Vormundschaftsgericht kann überall mit Bänden an tragischen Schicksalen aufwarten. Wir verlangen festbesoldete Hausinspektoren. Das Haus ist keine Freistatt mehr im mittelalterlichen Sinne. Für unsere Hausangestellten wird das Haus die Gewerbebetriebsstätte und somit gesetzlicher Kontrolle unterstellbar. Dagegen sträubt sich der Gesetzentwurf und läßt nur von Fall zu Fall - wenn eine andere Klärung gar nicht möglich - eine Prüfung an Ort und Stelle zu.
Die Regelung der Arbeitsleistung der Kinder gegenüber den Erwachsenen schwebt in der Luft. Den Jugendlichen von 14-18 Jahren steht nur das Recht zu auf drei anstatt zwei Stunden Pausen für die Einnahme der Mahlzeiten. Das 15jährige Kind hat genau so lange zu arbeiten wie die 25jährige Erwachsene!
Die Arbeitsbereitschaft! Nicht zu einem achtoder zehnstündigen Arbeitstag ist die Hausangestellte verpflichtet, sondern zu einer 13stündigen Arbeitsbereitschaft. Laut Gesetz existiert in Deutschland der Achtstundenarbeitstag. Die Hausangestellten, die ja fast ausschließlich vom Bürgertum ausgebeutet werden, fallen unter ein Ausnahmegesetz. Mit einem Temperament ohnegleichen ging die Vertreterin des Zentrums, Frau Heßberger, im vergangenen Jahre bei Besprechung eines neuen Hausangestelltenrechts im Reichstag gegen den festen Arbeitstag bei Hausangestellten an. Sie führte aus, daß die Hausfrau 16 und mehr Stunden am Tage arbeite im Hause (wer lacht da nicht!), und außerdem sei Strümpfestopfen, Spazierengehen mit den Kindern, Gemüseputzen keine anstrengende Arbeit (demnach müßte ein Torwächter überhaupt nicht müde werden! D. Verf.) und wenn man trotzdem in dem neuen Gesetz bei den Hausangestellten einen festen Stundenarbeitstag ansetzen würde, so würden es die Hausfrauen wie in Amerika machen, d. h. sich (genau wie in der Landwirtschaft) vom Ausland die anspruchsloseren Arbeitskräfte herbeiholen. Sie führte wörtlich an, daß im verhungernden Indien und China genug Hilfskräfte seien, um das Familienleben zu schützen. Sie wehrte sich mit Entschiedenheit, daß die Arbeit des Hausangestellten eine gewerbliche sei, denn sonst hätte sie der Unterstellung unter die Gewerbeordnung und damit der Inspektion das Wort reden müssen.  Unter gar keinen Umständen können wir den Hausangestellten sagen, mit einer solchen Vergewaltigung ihrer Arbeitspflicht, wie sie eine 13stündige Arbeitsbereitschaft darstellt, zufrieden zu sein, und unsere kommunistischen Vertreterinnen werden im Reichstag dieserhalb die Auseinandersetzung nicht schuldig bleiben.
Über den Schlafraum ist nichts ausgeführt, was in gesundheitlicher Beziehung anzuführen ist. Er soll verschließbar sein. Nichts von einem Fenster, nichts von seiner Lage, — er kann demnach direkt auf einem finsteren Hof, über der Müllgrube usw. sein. Nichts von Lüftungsmöglichkeit, nichts von seiner Grösse. Ebenfalls ist nicht erwähnt, daß ein jeder Hausangestellte sein eigenes Waschgeschirr verlangen kann. Er soll ein verschließbares Behältnis für seine Sachen erhalten. Was ist das? Eine Kiste, die verschließbar ist, ist auch ein verschließbares Behältnis!! Dann soll ein warmer Raum am Tage im Winter zur Verfügung stehen. Von wann ab? Bei 20 Grad Kälte oder schon früher? Dieser warme Raum kann auch die Küche sein. Mit Recht hat sich der Hausangestelltenverband dagegen aufgelehnt. In wievielen Küchen ist Gaskocheinrichtung und daher nur verschlagene Temperatur. Berechnete doch die »Voss. Ztg.« am 24. Januar 1920, wie das Zentralorgan des Hausangestelltenverbandes im März 1920 mitteilte, das Zimmer der Hausangestellten mit 365 M. Dafür können die Arbeitnehmer aber dann auch wirklich ein anständiges Zimmer verlangen und brauchen nicht in der Küche zu hausen. Auch der Hausangestellte kann Besuch bekommen und hat menschenwürdiges Quartier zu beanspruchen. Wer das nicht stellen kann, soll sich seine Arbeit allein machen. Ueber die Kost steht nur ein Satz in dem Entwurf: »§ 11, Der Hausgehilfe hat Anspruch auf gesunde und auskömmliche Kost.« Das ist schlicht und einfach gesagt. Gesund sind Kartoffeln, Heringe und Grütze und auch auskömmlich sind Grütze, Heringe und Kartoffeln. Im Kriege, wo das heilige Durchhalten gepredigt wurde, waren für die Herrschaft gesund und auskömmlich Speck, Schweinebraten und geheim geschlachtetes Rindfleisch, verschobene Eier und für die Dienstboten Kriegsküche. Wir verlangen dabei den Zusatz: »genau der Kost des Arbeitgebers entsprechend«. Denn für einen Menschen, der den ganzen Tag auf den Beinen ist, ist nur das Kräftigste recht und billig. Und Standesunterschiede beim Essentopf müssen verschwinden. Die Erfahrungen und Leiden des Weltkrieges haben uns belehrt.
Nach einem Jahre soll es acht Tage Urlaub geben. Das ist zu wenig. Was sind acht Tage nach 365 langer Tage Frohn. Außerdem muß da noch etwaigen niederträchtigen Kündigungen, um sich der Urlaubsvergütung zu entziehen, ein Riegel vorgeschoben werden, indem bei vorzeitiger Kündigung nach einem halben Jahre bereits Vergütungspflicht eintritt.
Die fristlosen (sofortige Entlassung) Kündigungsgründe sind vermehrt worden. Ueber sie wird noch einmal extra zu reden sein. Auch da müßte eingeschaltet werden, daß alle die angeführten Vergehen kein Recht auf Kündigung mehr geben, wenn das Vergehen drei Tage, nachdem es zur Kenntnis des Arbeitgebers gelangt, bereits zurückliegt. Sonst kann ein Schikanierungssystem gegen den armen Angestellten losgelassen werden, von dem nur der eine Ahnung hat, der selbst noch halbes Kind, als Hausangestellter tätig war. »Unbefugtes Verlassen der Arbeit« kann auch benutzt werden als sofortiger Kündigungsgrund. Das ist im Gesetzentwurf sehr unklar ausgedrückt, ebenso wie »unsittlicher Lebenswandel!« Wenn eine Angestellte des Abends sich z. B. mit der Elektrischen oder Vorortbahn verspätet, so kann das auch schon unsittlicher Lebenswandel heißen. Nächtliches Herumtreiben läßt sich leicht daraus machen und ist schon oft gemacht worden.
Die Schadenersatzpflicht besteht auch noch für zerbrochenes Geschirr usw. sogar für kostbare Wertgegenstände. Arbeitsverweigerung ist ebenfalls ein Grund zu fristloser Entlassung. Hier fehlt also Klarheit Dingen.
Das Schlimmste aber in dem neuen Gesetzentwurf ist der Steckbrief für den Hausangestellten. Stempelpflichtig ist die Arbeitsbescheinigung, und verstehen wir nicht, wozu nun der Hausangestellte noch eine sogenannte Hausgehilfenkarte braucht? Diese Hausgehilfenkarte soll nämlich neben allen Personalien das Lichtbild des Inhabers tragen. Man denke, weil die Herrschaften zu bequem sind, sich auf den vorangegangenen Stellen nach dem Angezogenen zu erkundigen, wobei die sich jetzt mit gestohlenen Papieren dunklen Erwerb schaffenden Elemente leicht entlarvt werden können, sollen Tausende braver Arbeitenden einen Steckbrief anschaffen müssen, um vogelfrei aller polizeilichen Willkür ausgesetzt zu sein. Dagegen ist allerschärfster Protest anzusagen. Keine Ausnahmegesetze für irgendeine Gruppe der Erwerbstätigen, welcher Arbeitsschicht sie auch angehören. In jeder Klasse, in jeder Erwerbsschicht gibt es und gab es Diebe und Betrüger.
Aber die Rechtlosigkeit für die Hausangestellten, das war bisher so ein gefundenes Fressen für das vornehme und weniger vornehme Bürgertum. Kein Menschenschlag wurde mehr unterdrückt und geschubiackt als die Dienstboten. Und die Polizei war immer auf Seite der Herrschaft. Bis zum Umfallen arbeiten und knapp zu essen. Geradezu haarsträubend lesen sich die Schilderungen in Dr. Stillichs Buch »Die Lage der weiblichen Dienstboten in Berlin. 1902«. Ein Fräulein von Rauch allerdings sagt in ihrem Buch »Das herrschaftliche Dienstmädchen«, »daß der Unterschied der Stände nach den unerforschlichen, göttlichen Gesetzen seit Ewigkeit so bestanden hat« ... Wir Kommunisten werden uns gestatten, diese göttlichen Gesetze durch sehr irdische Angestelltenrechte zu ersetzen. Else von Rauch meint zwar: »Solange Menschen die Erde bewohnen, wird sich das nicht ändern« ... Allerdings, solange es noch immer Menschen gibt, die nicht wissen, daß alle Arbeitenden solidarisch gegen ihre Ausbeuter zu sein haben, dauert der Kampf um die Befreiung der Arbeiterklasse und damit auch um Angestelltenrechte. Im kommunistischen Staat gibt es keine Ausbeuter und keine Ausgebeutete. Die kleinen Einzelhaushalte fallen fort und damit auch die Hausangestellten im heutigen Sinne. Und bis dahin heißt es kämpfen.
Nr. 13/1921

Die Frau

Professor Anna Siemsen
FRAUENWAHLEN IN DEUTSCHLAND

Man hat in Deutschland durchweg seit Einführung des Frauenstimmrechtes die Geschlechter nicht getrennt abstimmen lassen. Wo an einzelnen Orten aber solch getrennte Abstimmung durchgeführt wurde, war das Ergebnis so interessant und politisch wichtig, daß man trotz nicht unerheblichen Widerstandes, besonders von frauenrechtlerischer Seite, allmählich immer mehr zu einer solchen Trennung übergeht. Das ist nur zu begrüßen. Denn wir können daraus die Schlußfolgerung ziehen auf den Stand des politischen Interesses und der politischen Einsicht bei unseren Frauen, ebenso wie auf das, was uns zu tun obliegt.
Nehmen wir eine Tatsache gleich vorweg. Die Ergebnisse der früheren und der diesjährigen Frauenwahlen in Deutschland zeigen - darauf hat schon Genossin Popp in der »Unzufriedenen« hingewiesen - das seltsame Resultat, daß die erklärten Verfechter des Frauenstimmrechtes, die sozialistischen Parteien, verhältnismäßig schlecht abschneiden, daß auch die frauenfreundlichen bürgerlichen Parteien weniger Anziehungskraft ausüben als die Rechtsparteien, welche das Frauenstimmrecht entweder wie das Zentrum früher ablehnten oder ihm wie die heute aufgesplitterten Deutschnationalen noch heute grundsätzlich feindlich sind.
Dies überraschende Resultat wird aber erst verständlich, wenn wir die Tatsachen und ihre Entwicklung etwas näher verfolgen. Im ganzen hat die Wahlfreudigkeit der Frauen in Deutschland langsam zugenommen. Zur Nationalversammlung war sie sehr stark, flaute dann ab und stieg in den späteren Wahlen langsam wieder an. Schon bei den Wahlen 1928 übertrafen die Frauenstimmen die Männerstimmen an Zahl, während allerdings die prozentuale Beteiligung der Frauen noch immer zurückblieb. Das scheint, soweit Resultate bekanntgeworden sind, auch heute wieder der Fall zu sein. Bei der sehr starken Anteilnahme der Massen, auch der sonst unpolitischen, sind die Frauen ungefähr ebenso beteiligt wie die Männer. Wir haben also festzustellen, daß die Erziehung zur Politik, die die Not- und Krisenzeit in Deutschland vollbringt, auch die großen Mengen der Frauen zur Wahlurne holte. Und das könnte uns befriedigen: als politische Menschen, die oft genug klagen mußten über die Gleichgültigkeit der Frauen; als Frauen, weil damit bei der größeren Anzahl ihrer Stimmen der Fraueneinfluß bestimmend wird in der Politik.
Aber dabei ist nun ein bedenklicher Haken. Diese politische Frauenerziehung geht nämlich Umwege, die für uns Sozialisten wenig erfreulich und in unserer heutigen Lage direkt gefährlich sind.
Die Resultate der getrennten Listen liegen uns zurzeit noch nicht restlos vor. Es würde für die österreichischen Genossinnen, welche die einzelnen Orte und Gegenden nach ihren Besonderheiten nicht kennen, nur ermüdend sein, wenn ich alle diese Einzelzahlen anführen und ihre Bedeutung ihnen mühselig auseinanderklauben wollte. Ich beschränke mich also auf die durchgehenden Hauptergebnisse. Die sind folgende: Die Sozialdemokratie erhält allgemein einen ein wenig geringeren Prozentsatz von Frauen- als von Männerstimmen. Das Verhältnis ist günstiger in großen Orten und in protestantischen Gegenden, ungünstiger auf dem platten Lande, in kleinen Städten und vor allem dort, wo der Katholizismus sehr stark ist. Dagegen ist die Zahl der kommunistischen Frauenstimmen wie schon in den früheren Wahlen allgemein geringer als die der Männer.
Die bürgerlichen Parteien hatten in den früheren Wahlen meist einen geringen Überschuß von Frauenstimmen, der stärker wurde, je weiter rechts sie standen, und nur die Nationalsozialisten blieben hinter dem Prozentsatz der Männerstimmen zum Teil erheblich zurück. Als eigentliche Frauenpartei aber stand das Zentrum da, dessen kirchlicher Charakter stärker betont ist als bei den österreichischen Christlichsozialen. Hier waren die Frauenstimmen oft 20, 30, ja 40 Prozent höher als die Männerstimmen. Aber eines ließ sich schon bei diesen Wahlen deutlich beobachten: die Frauen gingen nach der stärksten Partei. Wo das Zentrum am stärksten war, hatten auch viele Arbeiterfrauen Zentrum gewählt, während die Männer sozialistisch stimmten. In großen Orten mit starker Sozialdemokratie hielten sich Frauenund Männerstimmen bei der Sozialdemokratie das Gleichgewicht. Wo die Deutschnationalen vorherrschten, strömten ihnen die Frauen zu, wo die Volkspartei gesellschaftlich tonangebend war, war sie die »Frauenpartei« und sogar die sonst wenig glücklichen Demokraten zogen die Frauen an in den wenigen Orten, wo sie gesellschaftlich und politisch vorherrschten.
Das Bild der Wahlen von 1928 war also dieses, daß die Frauen weit stärker als die Männer der allgemeinen Stimmung unterlagen, was man so öffentliche Meinung nennt, und was weniger in Leitartikeln und politischen Versammlungen als in den tausend kleinen Einflüssen des Alltags und Festtags zum Ausdruck kommt, vom Zeitungsfeuilleton angefangen bis zum Beflaggen der Häuser. Die Frauenwahlen erschienen bestimmt nicht durch politische Erkenntnis und Überzeugung, sondern durch Gefühl, Stimmung und Überlieferung. Sie erschienen als typische Wahlen unpolitischer Wähler.
Die Wahlen von 1930, die überhaupt neue Massen von Nichtwählern (rund 5 Millionen neuer Stimmen) mobil gemacht haben, haben diesen Zustand bei den Frauen natürlich verstärkt. Zum ersten Male haben die Nationalsozialisten große Massen von Frauen erfaßt, trotz ihrer ausgesprochenen Frauenfeindlichkeit. Das Zentrum, die Bayrische Volkspartei und der neuentstandene »christlich-soziale Volksdienst«, eine ganz reaktionäre protestantische Pfarrerpartei, haben ausnahmslos eine ganz überwiegende Zahl von Frauenstimmen, die beim »Volksdienst« bis zu 300 Prozent der Männerstimmen erreicht. Eine Berliner Zeitung errechnet im Überschlag, daß von den rund 6 Millionen Stimmen dieser Parteien 3'75 Millionen Frauenstimmen sein werden oder mit anderen Worten, daß sie nur 38 Prozent Männer, aber 62 Prozent Frauenstimmen aufweisen, also beinahe zu zwei Dritteln Frauenparteien sind.
Die reaktionäre Welle, die Deutschland überflutet und bedroht, ist also ganz zweifellos durch die Frauen verstärkt worden. Das wird sich an ihnen selbst am bittersten rächen, denn der soziale Druck, der schon heute auf ihnen, den Schwächsten, am schwersten lastet, wird sich verschärfen, und sie werden die ersten sein, die darunter leiden. Uns liegt es aber nicht ob, darüber zu jammern, ebensowenig, uns zu entrüsten oder zu moralisieren. Wir haben vielmehr nach den Ursachen dieser Erscheinung zu suchen, um sie zu überwinden. Die erste Ursache ist die mangelnde politische Erziehung. Wir Sozialdemokraten müssen offen zugeben, daß wir bei den Frauen ebenso wie bei der Jugend nicht das geleistet haben, was notwendig war, sonst wären nicht beide in hellen Haufen zum Nationalsozialismus gestürmt und die Frauen nicht in solchen Massen bei den klerikalen Parteien geblieben. Worin liegt unser Mißerfolg begründet, da uns doch gerade Österreich zeigt, daß es so nicht zu sein brauchte? Ich sehe drei Ursachen dafür: Politische Erziehung muß erstens anschaulich, zweitens allgemein verständlich und drittens aktiv sein. An allen dreien hat es in Deutschland gefehlt.
Österreich hat den großen und politisch fast unschätzbaren Vorzug, daß im »roten Wien« dem ganzen Lande ein hell leuchtendes Vorbild sozialistischer Arbeit beigestellt ist. Was hier in sozialen Einrichtungen, im Wohnungsbau und im Erziehungswesen geleistet wurde, das ist auch dem einfachsten Gemüt und dem unpolitischsten Menschen begreiflich. Es kann nicht übersehen, und es kann nur sehr schwer verfälscht und verdunkelt werden. Uns fehlt in Deutschland Ähnliches. Wohl ist auch bei uns viel gearbeitet und manches sehr Beachtliche geleistet worden. Aber das ist alles zersplittert, hier und dort, und es ist nirgends so unmißverständlich und grundsätzlich die Leistung sozialistischer Politik und sozialistischer Macht. Es ist überwiegend das Ergebnis von Koalition mit bürgerlichen Parteien, von Kompromissen. Und wo in einzelnen Ländern, in Sachsen, Thüringen, Braunschweig, rein sozialistische Arbeit begonnen wurde, da wurde sie schnell durch die Reaktion unterbrochen, konnte sich nicht entfalten und Früchte tragen, konnte daher auch nicht als Vorbild wirken. Was aber in sozialer Gesetzgebung zweifellos erreicht wurde und den heftigen Haß des Bürgertums erregt hat, das prägt sich nicht leicht dem einfachen und ungeschulten Sinne ein. An den Wiener Gemeindebauten kann man nicht deuteln. Aber an der Arbeitslosenversicherung läßt sich so viel aussetzen und nörgeln, daß zuletzt sogar die stempelnde Arbeiterin glaubt, auf ihre Unzulänglichkeit schimpfen zu müssen, statt ihren Fortbestand politisch zu verteidigen.
Hinzu kommt als Zweites, daß alle Erfolge der Sozialdemokratie seit der Revolution erkauft wurden durch Kompromisse mit den bürgerlichen Parteien. Daß in den wechselnden Koalitionen sie belastet wurden mit sehr viel bürgerlicher Politik, und da sie von rechts und links dauernd bekämpft wurden, so machte man sie für alles verantwortlich, was in diesen schweren zwölf Jahren über Deutschland kam, vom Elend der Inflation bis zum neuerlichen Zusammenbruch der Finanzwirtschaft des Reiches. Das wurde am schlimmsten in den letzten zwei Jahren, in denen wir formell an der Spitze der Regierung standen, in Wahrheit aber zu schwach waren zu irgendwelchen positiven Maßnahmen, ja oft sogar zur Abwehr reaktionärer Angriffe. Sogar für einen politisch geschulten Menschen war es nicht immer leicht, der Politik der Partei zu folgen. Für den Unpolitischen aber war die Schlußfolgerung sehr naheliegend: »Seit den zwei Jahren, als der Sozialdemokrat Müller Reichskanzler war, ist die Zahl der Arbeitslosen auf drei Millionen gewachsen und das Reich in immer schlimmere Schulden geraten; also müssen wir die Parteien wählen, welche die Sozialdemokratie am wirkungsvollsten bekämpfen.«
Endlich aber ist es eine alte Wahrheit, daß ein Mensch nur lernt durch eigenes Tun. Man wird ein politischer Mensch nur, indem man politische Verantwortung trägt. Bisher ist es uns nicht gelungen, die Frauen hinreichend politisch tätig zu machen. Aber zweifellos liegt das auch daran, daß sie zu wenig mitbestimmen können, zu wenig in die Zusammenhänge der politischen Arbeit Einblick erhalten. Gewiß war die Sozialdemokratie die Partei, welche den stärksten Prozentsatz an weiblichen Abgeordneten aufwies. (Im jetzigen Reichstag ist sie freilich von den Kommunisten überflügelt, welche 18 Prozent Frauen haben.) Aber 13 Prozent im vorigen, 11 Prozent im neuen Reichstag, das ist immer noch eine zu geringe Beteiligung der Frauen, die mehr als 50 Prozent der Wähler stellen. Und fast für alle Gebiete der Parteiarbeit gilt das gleiche. Wir haben versucht, die Frauen speziell auf das Gebiet der Wohlfahrtspflege zu führen und die Arbeiterwohlfahrt hat zweifellos sehr Gutes geleistet, auch darin, daß sie die Genossinnen aktivierte. Aber sie geriet dabei doch manchmal in bedenkliche Nähe der kirchlichen Wohlfahrtspflege, die in Deutschland sehr stark ist. Vor allem aber erzog sie wohl gute Funktionärinnen für soziale Arbeit, aber keine Frauen, welche die politische Lage genügend überschauten, um Propagandaarbeit unter ihren Mitschwestern zu leisten.
So ist es kein Wunder, daß jetzt, wo die Massen in Deutschland allgemein in Bewegung geraten sind, die Frauen, noch immer politisch ungeschult, noch immer beherrscht von religiösen Überlieferungen, gesellschaftlichen Vorurteilen, von Gefühlen und Stimmungen, sich hinreißen lassen in die blinde Gewalt- und Verzweiflungspolitik der Nationalsozialisten, oder verharren bei den kirchlichen Parteien, wo sie von alters her Anerkennung, ein Tätigkeitsfeld und gefühlsmäßige Erbauung fanden.
Trotzdem ist die Lage nicht verzweifelt, wenn wir sie nur klar erkennen. Die Frau geht in Deutschland keinen Sonderweg, sondern sie geht die Irr- und Umwege aller politisch Ungeschulten, die durch verworrenes Gefühl und unklare Erregung geleitet werden. Wir können erwarten, daß Erfahrung hier wie früher bei den Massen der Arbeiter Ernüchterung, Einsicht und politiDie Frau  187 sches Urteil reifen wird. In der schweren und gefährdeten Lage, in der sich Deutschland und Europa befinden, ist allerdings von entscheidender Bedeutung, ob es uns gelingt, die politische Erziehung der Frauen zu beschleunigen durch eine klare, eindeutige und verständliche politische Haltung und durch die Schulung unserer Genossinnen in verantwortlicher Mitarbeit.
Nr. 11/1930

Dr. Paul Stein
KONGRESS FÜR SEXUALREFORM
Der Kongreß für Sexualreform hat im September eine volle Woche hindurch in Wien getagt. Männer und Frauen aus vielen Ländern, Ärzte, Erzieher, Rechtsgelehrte haben in ihren Vorträgen von allen Seiten her in das Dunkel des menschlichen Geschlechtslebens hineingeleuchtet, haben all die vielfältigen Ursachen aufgehellt, die es verschulden, daß so viele Menschen zu einem unglücklichen Liebesleben verurteilt sind, haben als Sprecher der verstehenden Wissenschaft die Forderungen vorgebracht, deren Erfüllung das Geschlechtselend, die Sexualnot der Massen, verhindern kann. Sie haben, alles in allem, der Welt den lebendigen Eindruck vermittelt, daß auch die Sexualnot zum allergrößten Teil eine Folge der sozialen Not ist, daß sie die Auswirkung der herrschenden Gesellschaftsordnung ist, die mit ihren drükkenden Existenzverhältnissen, mit ihren sinnlosen Sexualgesetzen, die aber auch mit dem Geist einer heuchlerischen Moral, die das Natürliche hemmt und das Schöne ins Häßliche verkehrt, die Hauptschuld daran trägt, wenn der Trieb, der alle Menschen zu ihrem Glück führen sollte, eine Quelle von Not und Seelenqual geworden ist.
Nicht alle Ursachen der Sexualnot sind dem einfachen Menschen so ohne weiteres verständlich wie die sozialen Ursachen, die die äußeren Lebensverhältnisse und damit auch das innere Leben und Gedeihen des Menschen bedrücken. Am deutlichsten ist die Wirkung des Wohnungselends auf das Geschlechtsleben. Die kapitalistische Gesellschaft hat die Massen unter so beengende, bedrückende Wohnungsverhältnisse gezwungen, daß man — wie es auf dem Kongreß auch geschehen ist - die Wohnungsfrage geradezu zu einer Hauptfrage der Sexualreform machen muß: Solange so viele Menschen ihr intimes Leben zu zweit nicht ungestört in einem freundlichen Räume führen können, den sie allein besitzen, solange fehlt der Ehe eine wesentliche Voraussetzung ihres Gedeihens. Was die überfüllte Proletarierwohnung für die Entwicklung der Kinder, die da alles miterleben, was sie für die Verbreitung der sexualen Entartung, für die Verbreitung der Geschlechtskrankheiten bedeutet, das wurde auf dem Kongreß deutlich dargelegt, am deutlichsten von Professor Tandler, der auch mit Recht darauf hinwies, was für ein gutes Stück Sexualreform durch die Schaffung der 45.000 schönen Wohnungen geleistet worden ist, die die rote Stadt Wien bis jetzt errichtet hat.
Zahlreiche Redner sprachen auf dem Kongreß über die unseligen Wirkungen jener Sexualmoral, die die bürgerliche Gesellschaft als eine »Stütze der Gesellschaft« bewahrt wissen will, die aber aus vielen Gründen viel sexuales Unheil verschuldet. Diese Moral benimmt vor allem dem jungen Menschen die natürliche Einstellung zum Sexualen als einer selbstverständlichen, als einer von Natur aus reinen Sache, sie umgibt das Liebesleben der Menschen mit einer Mauer von Heimlichkeiten, Verboten und Unnatürlichkeiten. So werden sehr viele Menschen schon in den Entwicklungsjahren seelisch verbogen, werden unfähig, ein Liebesleben einfach und natürlich zu führen, ja, viele werden geradezu seelisch krank, »neurotisch«, wie die Ärzte sagen, das heißt krankhaft unfähig, zu einem befriedigenden Sexualgenuß zu gelangen. Diese Moral schädigt vor allem aber die Frauen. Sie will den Frauen nicht zubilligen, was den Männern freisteht, sie will auch selbständig arbeitenden, ehelosen Frauen ihre Freiheit nicht gönnen, sie verfemt noch immer die alleinstehende Frau, die einen Liebesgefährten gefunden hat, und sie verfemt das uneheliche Kind und stellt es dem ehelichen nicht gleich an Recht und Geltung. Diese Scheinmoral erreicht aber den Höhepunkt ihrer Heuchelei und Gefährlichkeit, wo sie jene reaktionären Ehegesetze begründen will, die die Untrennbarkeit selbst der schlechtesten Ehe erzwingen und die Schließung der besten neuen Ehe verhindern. Die Forderung des Sexualkongresses, daß jede Ehe, die zerrüttet ist, ohne weiteres getrennt werden kann, sie verlangt für tausende Menschen die Befreiung von sexualer Not. Wenn es uns gelingt, am 9. November den Klerikalismus in Osterreich zu besiegen, dann werden wir endlich imstande sein, dieses Stück längst ersehnter Sexualreform durchzuführen.
Und dann werden wir auch darangehen können, jene anderen sinnlosen Sexualgesetze zu beseitigen, die aus dem Unverstand einer früheren Zeit zurückgeblieben sind und durch den rücksichtslosen Klerikalismus dem Volke aufgezwungen bleiben. Der Kongreß hat das Elend, das diese Gesetze verschulden, in erschütternder Weise aufgezeigt. Sinnlos veraltet stellte er die Strafgesetze dar, die die »Abnormalen«, die beispielsweise die Homosexualität, die Liebe zum gleichen Geschlecht, mit schwerer Strafe bedrohen, obwohl die Menschen der gleichgeschlechtlichen Liebe leicht als anders Veranlagte erkannt worden sind. Mit stürmischen Protest nahm aber der Sexualkongreß vor allem gegen jene Gesetze Stellung, die noch immer die Unterbrechung der Schwangerschaft unter allen Umständen unter Strafe stellen. Ausführlich wurde das Elend, das damit den Frauen aufgeladen wird, auf dem Kongreß gemalt, am erschütterndsten durch den Mund unserer Genossin Adelheid Popp, die die Verzweiflung der Frauen schilderte, die sich nicht helfen dürfen, die man zwingt, zu gebären, ohne daß vom Staate für den Schutz der arbeitenden und darbenden Mutter, für die Existenz des Kindes, das ins Elend hineingeboren wird, gesorgt werden würde. Das soziale Unrecht, das dieses Gesetz bedeutet, das Unrecht, das die wohlhabenden Frauen die Hilfe des Operateurs und den Schutz vor der strafenden Gerechtigkeit finden läßt, die Proletarierinnen aber in die gefährlichen Hände der Kurpfuscherei und in die Arme der Justiz treibt, all dies und noch mehr wurde von Genossin Popp in der Form eines flammenden Protestes gegen die Abtreibungsgesetze dargestellt. Dazu brachten der Geheimrat Professor Wolf aus Berlin und der Wiener Arzt Dr. Peller Zahlen vor, die jeder Frau klarmachen müssen, was diese Gesetze bedeuten und was unser Kampf gegen den § 144 bedeutet: Wenigstens 8000 Frauen sterben, wie Professor Wolf berichtete, an den Folgen des heimlichen Abortus alljährlich in Deutschland. Langdauerndes körperliches Siechtum führt der kurpfuscherische Abortus bei mindestens 100.000 Frauen im Jahre herbei; denn auch in Deutschland herrscht noch der Abtreibungsparagraph. Dabei wäre die Operation im Spital ungefährlich. Erschütternd war auch die Feststellung Dr. Pellers, daß sehr viele Frauen, die nach einem heimlichen Abortus erkrankt sind, sich fürchten, ihre Rettung im Spital zu suchen. Dr. Peller hat nachgewiesen, daß die Aussichten auf Rettung um so geringer sind, je länger so eine Frau zu Hause bleibt. Viele Fälle aber kommen aus Angst vor dem Gesetz erst wenige Stunden vor ihrem Tod ins Spital...
Gelehrte aller Kulturländer haben auf dem Sexualkongreß in die Forderung nach Abschaffung der Abtreibungsgesetze, wo solche noch bestehen, eingestimmt. Aber auch die Notwendigkeit, die Frauen über den Schutz vor unerwünschter Empfängnis, über die Verhütungsmethoden aufzuklären, wurde als eine dringende Aufgabe der Sexualreform erklärt. Wir österreichischen Sozialdemokraten, besonders wir sozialdemokratischen Arzte und die Frauen, die wir diese Notwendigkeit schon lange erkannt haben, wir können daraus nur neue Antriebe empfangen, den alten Kampf gemeinsam und nur noch energischer weiterzuführen.
Nr. 11/1930