»Die Frauenfrage«, »Die Frauenbewegung«

Die Frauenfrage

Henni Lehmann
EIGENRECHT UND GEMEINSCHAFTSSINN

... Wir haben gelernt, einander entgegenzukommen um der Einheit der Frauenbewegung als des übergeordneten größeren Ganzen willen, und wir müssen und werden das immer mehr lernen.
Die sich schneidenden Interessenkreise verschiedener Volksschichten haben vor dem Kriege zu scharfen innerpolitischen Zusammenstößen geführt — wir haben durch den Krieg gelernt, die Gegensätze zurückzustellen gegenüber der geschlossenen nationalen Einheit. Wir müssen nach dem Kriege, wenn der äußere Druck, der die Einheit erzwang, fortfällt, suchen, die Kompromißform zu finden, die, die Berechtigung anderer Denkungsart anerkennend, einen Ausgleich schafft, der zwar nicht die Gegensätze beseitigt - das ist unmöglich -, uns aber erfüllt mit dem Geist gegenseitigen Vertrauens und Wohlwollens, das eine höchste nationale Einheit gewährleistet. Wenn wir Frauen heute mehr als zuvor im öffentlichen Leben, im Dienst nationaler Arbeit stehen, wenn uns das Glück gegeben ist miteinander zu arbeiten, Frauen aus verschiedenen Bevölkerungskreisen von verschiedener Weltanschauung, von verschiedener Gesinnungsart, so ist es an uns, das Band jetzt so fest zu schlingen, daß es nicht reißt, wenn die Männer wieder daheim sein werden und alter Zwist neu zu erstehen droht. Ganz besonders aber muß es uns Pflicht sein, diesen Geist der Einheit der Jugend einzuprägen, wann und wo immer wir Gelegenheit haben, auf sie einzuwirken, sei es als Mütter den Kindern gegenüber, sei es lehrend, sei es jugendpf legerisch, sei es in der Berufsarbeit. Wenn wir Probleme durchdenken, wie das der Notwendigkeit des Ausgleichs, der inneren Gerechtigkeit, die ein Kompromiß bedingt - das der Preisgabe von Sonderinteressen für das Gemeinschaftsinteresse —, so ist das nicht nur zum Zweck des eigenen Reiferwerdens, sondern vor allem auch in dem wichtigen Interesse der innern Arbeit an der heranreifenden Jugend. Die Jugend liebt es ja, Probleme zu erörtern, und um so mehr, je innerlicher sie selbst veranlagt, je wertvoller sie ist. Darum muß man ihr Rede stehen können, wenn es Erörterungen gilt. Sie will gern Antwort haben auf letzte Fragen, das Kompromiß fällt ihr schwer, denn es ist ein Produkt der Resignation, die der gesunden Jugend nicht natürlich ist. Wer ein Kompromiß schließt, muß etwas von sich und dem Seinen aufgeben, und das ist für junge Menschen schwierig, da ihr Ichgefühl stärker ist, als es bei älteren der Fall zu sein pflegt. Darum muß man die Jugend immer wieder auf das hinführen, was sie dem andern, dem einzelnen, der Allgemeinheit an Selbstentäußerung schuldet. Die erste Pflicht solcher Selbstentäußerung ersteht dem Jugendlichen meist im nahen Kreise der Familie. Hier schließt sich - wie später an den Beruf und an das Staatsganze — Lehre und Beispiel an. Ich will mich nicht in jugendpflegerische Einzelheiten verlieren und nur an einen Punkt anknüpfen. Es wird so vielfach betont, welche Rücksicht die Tochter der Mutter und dem Hause schuldet, es werden Beispiele vorgeführt, wie heute manche Töchter bei kleinsten häuslichen Diensten und Gefälligkeiten versagen, während die Mutter sich wie etwas Selbstverständliches plagt. Aber nicht nur die Töchter bemessen in solchen Fällen das Recht der Mutter und der Familie falsch, auch die Mutter hat es getan, indem sie zuviel von dem Recht der eigenen Persönlichkeit aufgab, um der Persönlichkeit des Kindes gerecht zu werden. Mit diesem Recht, das sie aufgibt, verletzt sie eine Pflicht gegen sich, denn Persönlichkeitsentwicklung und Persönlichkeitskultur in edlem Sinne ist Pflicht gegen uns selbst. Die entwickelte Persönlichkeit ist ein wertvoller Besitz der AllgeDie Frauenfrage    155 meinheit. Dabei darf nicht verkannt werden, daß Persönlichkeitsentwicklung auch in der Richtung des Opfers und der Hingabe liegen kann. Zu bewußtem Opfer gehört die größte Kraft, bewußtes Opfer ist etwas anderes als sich aus Willensschwäche preisgeben — nur weil es bequemer ist, sich schieben zu lassen, als zu widerstehen. Aus bewußtem Opfer erwächst Freudigkeit, aus Nachgiebigkeit durch Schwäche Verbitterung. Für bewußtes Opfer ist verdoppelte seelische Kraft vonnöten, nicht nur die der Selbstüberwindung, sondern auch die Kraft, der Mißdeutung des Außenstehenden gegenüber standzuhalten, der darin eine Schwäche erblickt, oder das Opfer gar als Zeichen inneren Schuldbewußtseins deutet. Man kann es im Gegenteil manchmal als Schuldigkeit empfinden, eine Schuld, die man nicht begangen hat, auf sich zu nehmen, um die Brücke zur Einheit zu bauen. So steht der andere schuldlos da und ist besser zum Entgegenkommen gestimmt, denn wir verzeihen meist lieber, als daß wir uns entschuldigen. Auch dies ist ein Zurücksetzen der eigenen Persönlichkeit hinter das Gemeinschaftsinteresse, das Vermeidung unerfreulichen Haders gebietet. Die Grenze ist nur da zu ziehen, wo Selbstachtung und innere Überzeugung das Opfer verbieten. Und sie bilden auch die Grenze für Kompromisse, die man schließen oder nicht schließen darf: die innere Überzeugung, das Festhalten an dem, was Gerechtigkeit, was seelische Vornehmheit, was Ehre gebieten. Einen Mangel daran kann man bedauernd verzeihen, ein Recht auf diese Mängel kann man niemand zugestehen. Man kann sich im besten Falle zwingen, sie zu ertragen.
Nr. 23/1916

Henriette Fürth
DAS GESUNDHEITSZEUGNIS ALS HEIRATSPAPIER

Ein aphoristischer Beitrag zur
Bevölkerungspolitik

Unter den Forderungen, die seit Jahren von der Frauenbewegung erhoben werden, ist das Verlangen, die obligatorischen Heiratspapiere durch ein Gesundheitszeugnis vervollständigt zu sehen, besonders bemerkenswert. Man geht dabei von der Erwägung aus, daß die Gesundheit der Eheschließenden für die zu gründende Familie von ebenso großer Bedeutung sei wie Heimat- und Geburtsschein, Heiratserlaubnis der Eltern usw. Von doppeltem Gewicht muß das Bestreben, eine Ehe nur von gesunden Menschen eingehen zu lassen, in einer Zeit erscheinen, in der die Sorge um die quantitative und qualitative Beschaffenheit des Nachwuchses im Vordergrund des allgemeinen Interesses steht. In diesem Zusammenhang kann über die Nützlichkeit und selbst Notwendigkeit eines solchen Heiratspapiers kein Zweifel bestehen. Nicht dasselbe kann von den gegen ein Gesundheitsattest geltend zu machenden Bedenken und Widerständen gesagt werden.
Zunächst ein Grundlegendes: Soll das Attest nur von den Männern, oder soll es auch von den Frauen verlangt werden? Die Frage scheint im ersten Augenblick widersinnig. Das Gesundsein der Frau als der Trägerin der künftigen Generation ist mindestens so wichtig, wie das des Mannes. Sonach wäre ein Gesundheitszeugnis beider Eheschließenden zu fordern. Seine Beibringung umschlösse, abgesehen von der Ausnahme, auf die wir noch zu sprechen kommen, auch keinerlei Härten. Auch die Frauen fügen sich gutwillig der jeder Einstellung in den Staats- und Gemeindedienst voraufgehenden gesundheitlichen Untersuchung. Ebenso ist es Regel, daß Arbeitsuchende sich da, wo Betriebskrankenkassen bestehen, einer Untersuchung unterwerfen müssen. Eine solche Untersuchung erstreckt sich aber in dem einen wie in dem andern Fall nur auf die Beschaffenheit lebenswichtiger Organe wie Herz, Lunge, Gefäßsystem usw. Die genitale Sphäre bleibt von ihr unberührt. Gerade sie ist aber von ausschlaggebender Wichtigkeit für die Familiengründung, bzw. den Nachwuchs. Trotzdem stellen sich der Beibringung geschlechtlicher Gesundheitszeugnisse erhebliche Bedenken entgegen. Dabei ist nicht einmal an erster Stelle der Tatsache zu gedenken, daß auch eine sorgfältige und wiederholte mikroskopische Untersuchung keine Gewähr für das Nichtvorhandensein venerischer Erkrankung zu bieten vermag, und daß außerdem durch geschickte Manipulationen und Gewaltkuren selbst eine floride Erkrankung verborgen und augenblickliche Gesundheit vorgetäuscht werden kann. Weit wichtiger ist der Umstand, daß eine solche Untersuchung auf unberührte junge Menschen geradezu revoltierend wirken muß und schwere psychische Störungen zur Folge haben kann. So entsteht ein Dilemma peinlichster Art. Die rassenhygienische Wünschbarkeit und selbst Notwendigkeit der Beibringung eines Gesundheitszeugnisses bei der Eheschließung ist ohne weiteres gegeben. Ihr gegenüber steht die Erhaltung der seelischen Unberührtheit, die Wichtigkeit der Schonung des Schamgefühls der weiblichen Jugend. Das Wesentliche des Eheschlusses bedeutet an und für sich eine Krise im Leben des Weibes, die nur abgemildert wird durch Auslösung jener höchsten Empfindungen, durch die die Arterhaltung gesichert wird. Eine vorhergehende Ganzuntersuchung müßte das Schamgefühl des reinen Weibes auf das Empfindlichste verletzen.
Demgegenüber gibt es nur zwei Wege: der eine wäre, daß man die gesundheitliche Untersuchung des Weibes nur so weit erstreckt, als es auch bei Amtsanstellung usw. üblich ist. Damit wäre freilich zum erstenmal ein Ausnahmegesetz geschaffen, das seine Spitze gegen den Mann richtet. Begründend darf man hier aber ohne weiteres anführen, daß der Mann der Gefahr der venerischen Erkrankung schon darum mehr ausgesetzt ist, weil das ungeschriebene, aber trotzdem nicht minder wirksame Gesetz der doppelten Moral ihm im Punkte des Sexuallebens ganz andere Rechte und Freiheiten zubilligt als der Frau. So sind beim Manne auch besondere Vorsichtsmaßregeln in sich gerechtfertigt. Außerdem wird eine sich auch auf die Sexualsphäre erstreckende Leibesuntersuchung ihn schon darum weniger berühren, weil solche, und zwar periodische Untersuchungen, längst ein selbstverständlicher Bestandteil der militärischen Dienstzeit sind. Der andere Weg wäre, auf eine derartige Untersuchung auch bei den weiblichen Ehekandidaten nicht zu verzichten, sie aber durch entsprechend vorgebildete Ärztinnen vornehmen zu lassen.
Man mag einwenden und hat eingewandt, daß diese Untersuchungen wenig beweisend und daher von so geringem Werte seien, daß der Erfolg Opfer und Mühe nicht lohne. Dem ist entgegenzuhalten, daß schon das Bekanntwerden einer Anzahl florider Fälle, wie auch die erst durch die heute unterlassene Untersuchung eintretende Selbsterkenntnis der Beteiligten in gewissem Grade prophylaktisch wirken und so an ihrem Teil zur Gesundung des Ehelebens und damit der Nachkommenschaft beitragen könnte. Außerdem wäre die Möglichkeit gegeben, die nachträglich bekannt werdende böswillige Verschweigung und Verschleierung durch strenge Strafen zu treffen, so daß für die Guten das Pflichtgefühl, für die Bösen die Gewärtigung strenger Strafe die Beachtung und Befolgung der darauf bezüglichen Vorschriften herbeiführte. Selbstverständlich wären solche Atteste der Schweigepflicht aller Beteiligten (Ärzte, Standesbeamten usw.) zu unterstellen. Auch dürften sie kein Heiratsverbof zur Folge haben. Wer einen anderen heiraten will, wissend, daß er krank ist, darf daran nicht gehindert werden. Dem wissend Wollenden geschieht kein Unrecht. Jedenfalls ist es aber an der Zeit, diese wichtige Frage in den Fluß der allgemeinen Diskussion zu stellen.
Nr. 23/1916

AUS DEM TÄTIGKEITSBERICHT DES BUNDES DEUTSCHER
FRAUENVEREINE

vom 1.März 1914 bis 1.März 1916

Im Mai 1914 tagte der Internationale Frauenbund in Rom; der Bund war unter Führung der Vorsitzenden durch eine ansehnliche Delegation von etwa 25 Frauen vertreten, und man freute sich der Möglichkeiten lohnender, gemeinsamer Arbeit mit den Frauen des Auslandes.
Dann kam der Krieg und zunächst mußten manche der bisherigen Aufgaben des Bundes zurücktreten hinter die Pflichten der Stunde.
Schon in den Tagen der drohenden Kriegsgefahr, vor der Mobilmachung, richtete die Vorsitzende des Bundes an die angeschlossenen Verbände und Vereine ein Anschreiben, in dem mitgeteilt wurde, daß der Bund im Falle der Notwendigkeit einen Plan für diejenigen sozialen Hilfeleistungen übersenden werde, die der Natur der Sache nach von den Bundes-Verbänden und Vereinen übernommen werden sollten. Sofort nach der Mobilmachung wurde den Vereinen der Plan des »Nationalen Frauendienstes« zugeschickt, der in etwa 50 Städten zum Rahmen weitgehender sozialer Kriegsfürsorge wurde. Um den Frauen ihre Aufgaben in der Umschaltung der Volksernährung nahe zu bringen, gab der Bund eine Reihe von Flugblättern heraus:

  1. den Plan einer Organisation der Versorgung mit Obstkonserven von Prof. Eltzbacher und Prof. Oppenheim (3000 Exemplare).
  2. »Was verlangt das Vaterland von den Hausfrauen« (47 000 Exemplare).
  3. »Flugblatt zur Schonung des Brotes« (46000 Exemplare).
  4. »Flugblatt an die Deutschen Schulkinder« (44000 Exemplare).
  5. »Flugblatt an die Soldaten zur Bewahrung vor leichsinnigem Geschlechtsverkehr« (34000 Exemplare).

Schon vor dem Krieg hatte der Engere Bundesvorstand eine Aussprache über die Möglichkeit und Form von Konsumentenorganisationen der Hausfrauen veranstaltet. Die ungeahnte Wichtigkeit, welche der Aushungerungsplan unserer Feinde den Volksernährungsfragen brachte, führte am 22. Mai 1915 zur Gründung des Deutschen Verbandes der Hausfrauenvereine, dessen Vorsitz in den Händen von Frau Martha Voß-Zietz liegt. Die dem Bund angeschlossenen Verbände und Vereine waren zu der Gründungsversammlung, die im Anschluß an die Tagung des Verbandes zur Förderung hauswirtschaftlicher Frauenbildung stattfand, eingeladen.
... Im Mai 1915 wurde im Haag ein Internationaler Frauenkongreß abgehalten, der nach dem Wortlaut der Einladung über »verschiedene Fragen des künftigen Friedensschlusses« verhandelte. Da in einer Zeitungsnotiz gesagt worden war, die Auffoderung zu dem Kongreß entstamme der organisierten Frauenbewegung, erklärte der Bund in einer an die Zeitungen versandten Notiz, er stehe dem Plane dieses Kongresses vollkommen fern. Der Gesamtvorstand bestätigte in einer bei seiner Sitzung vom 15. April 1915 einstimmig angenommenen Resolution die ablehnende Stellung, die der Engere Vorstand in dieser Veröffentlichung gegen die Beschickung des Kongresses eingenommen hatte.
Auch in den Kreisen des Bundes Deutscher Frauenvereine faßte der Gedanke Wurzel, den von allen Frauen tief empfundenen Dank an das Heer durch eine Frauenstiftung zum Ausdruck zu bringen. So beschloß der Gesamtvorstand mit dem katholischen Frauenbund, der einen dahingehenden Antrag an den Bund gestellt hatte, in Verbindung zu treten, und am 5. Juli 1915 fand in Berlin die Gründungssitzung der »Kriegsspende Deutscher Frauendank 1915« statt. Sie ist ein Zusammenschluß von Frauenverbänden zum Zweck der Aufbringung von Mitteln für die Zwecke der Nationalstiftung für die Hinterbliebenen der im Kriege Gefallenen und der bürgerlichen amtlichen Kriegsbeschädigtenfürsorge. Sie erstreckt ihre Wirksamkeit über das ganze Gebiet des Deutschen Reiches und ist - im Anschluß an die beiden genannten Organisationen - bestimmt zur Unterstützung

a) der Familien der Hinterbliebenen gefallener Krieger aus Heer und Marine aller Waffengattungen,
b) der Familien von Kriegsbeschädigten aus Heer und Marine aller Waffengattungen.

Dezember 1914: Eingabe an den stellvertretenden Preußischen Kriegsminister (gemeinsam mit dem katholischen Frauenbund), betr. Einschränkung des außerehelichen Geschlechtsverkehrs der Soldaten während des Krieges.Nr. 23/1916

Die Frauenbewegung

Minna Cauer
NEU-GRUPPIERUNGEN

Das Leben fordert jetzt, besonders im öffentlichen Getriebe, ein beständiges Durchdenken der Verhältnisse, fordert von früh bis spät nicht nur Beobachtung und Umwertung bestehender Wertansichten, sondern es verlangt die sich immer mehr anbahnende Scheidung der Geister zu erfassen, um daraus Folgerungen und Schlüsse zu ziehen.
Die alte Art der Nur-Frauenrechtlerei ist dahin, dafür tritt das Bemühen ein, die Frauenbewegung in Zusammenhang mit all den großen Problemen und neuaufkommenden Ideen zu bringen, sie aus ihrer Isoliertheit loszulösen, um sie in das Ganze einzureihen. Die Frauen fordern jetzt ihre Rechte, sie bitten nicht. Die Frauen verlangen nach Taten, nicht nach langatmigen theoretischen Auseinandersetzungen. Die Frauen fordern ihre Rechte nicht nur für sich, wie es die alte frauenrechtlerische Methode war, sondern sie haben einsehen gelernt, daß Staat, Gemeinde und das ganze politische, wirtschaftliche Leben das Denken, Mitarbeiten der Frau bedürfen. Nicht zum wenigsten aber haben sie ihre Einflußlosigkeit auf die Gestaltung der Verhältnisse bitterschwer empfunden und die Klardenkenden und Besonnenen, die Kritischen haben den Mut zur Offenheit gezeigt, daß auch die Frauenwelt eine Schuld an dieser Weltkatastrophe hat, daß die Lauheit und Mattigkeit innerhalb des Kampfes um Recht und Freiheit mit aller Kraft überwunden werden muß. Sehen wir uns daraufhin einmal einige Neu-Gruppierungen in der Frauenwelt an, die als Zeichen für und wider die großen freiheitlichen Ideen, die der Frauenbewegung zugrunde liegen, aufgefaßt werden müssen. Beweisen diese Neu-Gruppierungen eine aufsteigende Linie oder eine Stärkung alter überlebter Ansichten oder nur egoistische Interessenvertretungen?
In den Vordergrund möchten wir das Zusammengehen der sozialdemokratischen und bürgerlichen Frauen verschiedener Richtungen stellen. Die Veranlassung bot dazu der Entwurf zur Wahlrechtsreform im preußischen Abgeordnetenhaus. (Siehe Zeitschrift für Frauenstimmrecht S. 5)
Alle Glieder des Volkes werden zum Neubau Deutschlands aufgerufen, mit Ausschluß der Frauenl Das spricht Bände. Das traf die denkenden Frauen bis ins Innerste. Nicht nur ihr Ehrgefühl empörte sich, nein, ihr starker Wille, bei diesem Um- und Neubau zu helfen, dafür zu helfen, die grenzenlosen Schäden, die sich überall gezeigt haben, zu beseitigen, bleibt machtlos, so lange die Frau nicht als gleichberechtigt im Staatsleben gilt. Die Idee des Rechts tritt hier als ein hohes Ideal zutage, dürfte auch fernerhin eine Brücke zum Verständnis mancher anderer Probleme sein, die nur gelöst werden können, wenn die Idee des Rechts immer im Vordergrund steht und nicht ein Fach- oder Berufs- oder gar ein Klasseninteresse. So sehr man sich über jede Einigung einst gegnerischer Ansichten freuen wird, so müssen wir jedenfalls immer die Frage des Rechts der Frau und ihre Gleichberechtigung im Staat in den Vordergrund stellen, denn ohne diese ist und bleibt die Frau einflußlos und ein Objekt der Gesetzgebung. Von diesem Gesichtspunkt aus blicken wir auf Neubildungen und erlauben uns dabei unsere Ansichten auszusprechen. Wir begrüßen es z. B. als einen Fortschritt, daß die weiblichen Handelsgehilfinnen sich zu einer »Arbeitsgemeinschaft weiblicher Verbände« zusammengeschlossen haben. Die einst sich gegnerisch gegenüberstehenden Verbände der weiblichen kaufmännischen Angestellten und Beamtinnen Deutschlands (Sitz Berlin und Sitz Kassel) sind mit katholischen Verbänden (Berlin, Süddeutschland und Köln) zusammengetreten. Sie wollen, »solange die volle gesellschaftliche und wirtschaftliche Gleichberechtigung der weiblichen Angestellten nichterkannt und durchgeführt ist, für dieses Ziel wirken und sich dabei von dem Grundsatz leiten lassen, daß die deutsche Volkswirtschaft, die gesunde Entfaltung und Entwicklung sozialen Lebens gekräftigt und gefördert werden.«
Wir sprechen dabei die Hoffnung aus, daß diese Verbände sich auch zur Erneuerung des staatlichen Lebens eine Aufgabe stellen, d. h. sich als »Glieder des Staates« fühlen, die nicht nur an wirtschaftlicher Entfaltung und Gesundung mitwirken wollen, sondern auch verpflichtet sind, die politische Entwicklung zu fördern. Wirtschaftliche Grundlage ohne politische führt stets zu einer egoistischen Interessenvertretung, - diese aber ist es, die überwunden werden muß. Diese Interessenvertretung ist leider tief in unser politisches und parlamentarisches Leben eingetreten, das hat im allgemeinen auf das ganze politische Leben herunterziehend und zerstörend mitgewirkt. Die Frauenwelt, auch die erwerbende und arbeitende, muß höhere geistige Ideen vertreten, - nur Fach- oder Berufsorganisationen ohne höheres geistiges Leben erstarren, selbst bei äußeren Erfolgen.
Zusammenschlüsse mancher Art sehen wir auch sonst vor sich gehen! Die Hausfrauen Deutschlands haben erkannt, daß auch sie Glieder des Staates sind, also Beachtung finden müssen...
Völlig gegnerisch verhalten sich die Neubildungen der Landfrauenvereine gegen ihre Gleichberechtigung im Staatsleben...
Wir müssen also auf die Gegnerschaft von den Hausfrauen- und Landfrauenverbänden rechnen. Klarheit ist immer dankbar zu begrüßen. Der größte Teil dieser Frauen wird agrarisch-konservativ sein, die Hausfrauen sind noch nicht zu fassen. Eine der wenigst erfreulichen Erfahrungen hat uns der Deutsch-Evangelische Frauenbund wie schon so manches Mal bereitet. Er gehört dem Bunde Deutscher Frauenvereine an, seine Vorsitzende sitzt im Vorstand des Bundes, der Bund hat prinzipiell die Forderung des aktiven und passiven Wahlrechts der Frauen angenommen. In der Debatte im preußischen Abgeordnetenhause am 15. Januar hörten wir, daß der Deutsch-Evangelische Frauenbund in seiner Eingabe, die Frauen in staatlichen Organisationen der Regierung Preußens einzugliedern, einen Frauenrat dafür als verantwortliches Organ zwischen Regierung und der Frauenschaft Preußens zu schaffen, also eine Art sachverständigen Beirat, dabei zum Schluß folgende Stellung zum Frauenstimmrecht genommen hat:
»Der Dtsch.-Ev. Fr. glaubt, daß diese aus der Kenntnis der bestehenden Verhältnisse für das Frauen- und Erwerbsleben, aus dem weitverbreiteten Wunsche nach der Vertretung der Frauenwelt erwachsenen Vorschläge eine Fortbildung der Entwicklung ermöglichen, ohne daß dazu Formen gewählt werden, die, wie das politische Frauenstimmrecht, dem Wesen der deutschen Frau fremd sind und nicht im Interesse des deutschen Familienund Volkslebens sein dürften.«
Und wie steht nun die Jugend zu all dem, was an Problemen und Aufgaben in der Frauenwelt vor ihr liegt? Die Frage ist recht schwer zu beantworten. Das eine steht fest, mit der der Vergangenheit angehörenden Frauenrechtlerei will sie nichts mehr zu tun haben. Die Jugendbewegung aber, die männliche und weibliche, bricht mit allem, ein großer Gärungsprozeß ist in ihr enthalten — Spaltungen, Wiedervereinigung, Aufkommen neuer Ideen, starker Widerwillen gegen das Alte, starker Einfluß der Führer besonders auch auf die weibliche Gefolgschaft. Einzelne Führer sind scharfe Gegner der Frauenbewegung und deren Ziele, und gerade diese haben an Einfluß gewonnen, weil sie nur die überlebte Methode der Frauenbewegung kennen, die die große Idee derselben verschüttet hat. Dazu kommt, daß ein wesentlicher Teil der weiblichen Jugend teils im harten Erwerbsleben jetzt stehen muß, teils persönliches schweres Leid zu tragen hat, ferner, daß sie mit inneren Konflikten dieser Weltkatastrophe gegenüber ringt und selbst Mittel und Wege sucht, um erst mit sich zurecht zu finden. Eine Zahl lieber, prächtiger Jugend, männlich und weiblich, mit der wir verkehren, die mit uns in Verbindung steht und die sicherlich einmal kämpfend und verantwortlich führend in den neuen sich vordrängenden Formen der Frauensache wirken wird, will jetzt einmal zu sich selber kommen, sich noch nicht einzwängen in gegebene Verhältnisse, für die sie sich nicht maßgebend hält, zu der sie sogar noch nicht einmal eine innere prinzipielle Stellung genommen hat. Diese Jugend ist durch die schweren Kriegsjahre geschult genug, um zu wissen, was es bedeutet, für ein solches mit allem verschlungenes Problem zu arbeiten. Sie arbeiten gern mit, um zu lernen, aber eine Veranwortung für die Lösung dieser neuen Idee wollen sie nicht nehmen. Sie lassen uns teilnehmen an ihrem Forschen und Suchen, sie lassen uns hineinblicken in ihre Ideen- und Kampfeswelt, aber sie wollen ihre eigenen Wege gehen. Stören wir sie darin nicht, sondern stehen wir ihnen ratend und helfend zur Seite, wenn sie es wollen und wünschen. Nichts aber ist köstlicher als mit der Jugend zu leben, es bereichert das eigene Dasein, wir schauen da hinein in einen Gärungsprozeß, der auch einst der notwendigen Erneuerung der Frauensache zugute kommen wird.
Die jetzige Jugend, männliche und weibliche, ist eigenartig, sie will auch eigenartig behandelt und eigenartig angefaßt werden, — das verlangt ein Sichversenken in literarische und politische und sehr tiefgehende religiöse Strömungen, wie die Jugend sie auffaßt. Für alles Große, das wir dieser Jugend entgegenbringen, ist die Jugend zu haben. Sie steht durchaus nicht, wie man annimmt, ohne Achtung vor dem, was die ältere Generation geleistet hat, nur ist ihr alles Kleinliche widerwärtig. Wer wagt es, wenn er ein ehrlicher Mensch ist, zu behaupten, daß das Kleinliche, das Spezialisierte, das Kalt-Intellektuelle, nicht im Vordergrunde stünde, auch in der Frauensache, und daß das Große, Warmherzige, Psychologische und Zusammenfassende unterbunden oder vernichtet ist. Unter den vielen Briefen, die bei mir von sehen der Jugend einlaufen, möchte ich hier eine Stelle über die Frauenstimmrechtssache anfügen, die zu denken gibt, da sie von einer Jugendlichen stammt, die alle Probleme vom soziologischen Standpunkt auffaßt. Die Stelle lautet: »Bisher hat man für das Stimmrecht im wesentlichen nur die nichtmütterlichen Frauen, die Minderheit also, interessieren können. Hätten wir ein einfaches und großes verwirklichbares Programm, mit dem wir die mütterlichen Frauen in Bewegung setzen, so kämen viel größere Massen und nachhaltigere Kräfte für die Stimmrechtsforderung heran. Hierbei wäre das Stimmrecht natürlich selbst nur wieder notwendiges Mittel für den Zweck, eben jenes vertiefte Programm zu vollenden.«
Solche und mehrere andere Worte, die uns mündlich und schriftlich entgegentönen, sind uns eine Mahnung, vorbildlich für die Jugend zu arbeiten, die vertrauend auf uns blickt.
Anders liegt die Sache bei den Neugründungen, die wir heute besprochen haben: Hausfrauen- und Landfrauenverbände. Hinter letzteren steht die ganze agrarische Macht der Männer; die Hausfrauenverbände können eventl. sich dazu gesellen, denn die Hausfrauen sind vorläufig auf rein wirtschaftliche Interessengemeinschaft eingestellt und können sich mit den Landfrauenverbänden durch wirtschaftliche egoistische Interessen verbunden fühlen. Ebenso kann der Deutsch-Evangelische als Dritter im Bunde gelten, denn er vertritt, wenn auch verschleiert, die konservative Partei.
Aus allem ist zu ersehen, wie auch in der Frauenwelt sich Umwälzungen vollziehen, von deren Tragweite wir uns noch kein bestimmtes Bild machen können. Politik liegt hinter allen diesen Gründungen trotz aller Erklärungen gegen das Frauenstimmrecht, bei den Führenden bewußt, bei der Masse unbewußt.
Die Jugend aber hat völlig andere Ideen, noch ungeklärte, gärende, aber sie gehören nicht der Vergangenheit an, sondern nur allein der Zukunft, sie werden geboren aus einer schicksalschwangeren Zeit und suchen die Stätten auf, wo sie einst landen können und verstanden werden.
Nr. 3/4/1918

Berta Eitner (Leipzig)
ZUKUNFTSAUFGABEN

Was sich aus dem Chaos der gegenwärtigen Meinungen und Anschauungen auch als fest umrissene Forderung einstens, nach Kriegsende, ergeben wird, eines ist gewiß: die geistig interessierten Frauen in Deutschland müssen engeren Zusammenschluß suchen, damit ihre neue einzusetzende Arbeit eine einheitliche werde. Zuerst muß eine Belebung der Interessen der bürgerlichen Frau angestrebt werden, die um so mehr Aussicht auf Erfolg hat, als die Zukunft die Alltagssorgen wieder etwas erleichtern dürfte, zu denen der Krieg und seine Begleiterscheinungen die Frau herabzwang. Zuviel Stoff an Opposition ist angesammelt, zuviel Gegensätzliches und Ungeklärtes, selbst in den Seelen der Frauen, die sonst über den Leitartikel ihres Lokalblattes nicht hinauskamen. Es sind Richtlinien aufzustellen, eine vernunftgemäße Wegleitung anzubahnen, eine Lösung der neuen Probleme ist zum mindesten anzustreben.
Aus dem Zusammenschluß der geistig interessierten Frauen wird sodann die Führerschaft für die heranwachsende Jugend gewonnen werden, welche der Jugend die neuen Wege zu den längst erkannten Zielen weist. Denn die vergangenen drei Kriegsjahre haben manche Unterlassungssünde in der Jugenderziehung geschehen lassen, haben andererseits auf die kindliche Psyche mit Einflüssen gewirkt, die zu jener Denkungsweise zurückführte, die uns überwunden schien, und die zu der einseitigen Auffassung der bürgerlichen Gesellschaft, zu ihrer bekannten Rückständigkeit, den Grund legte.
Als sich im Jahre 1849 demokratisch gesinnte Frauen zur Gründung der Hamburger Hochschule entschlossen, glaubten sie damit den Grundstein für eine Erziehung der weiblichen Jugend im fortschrittlichen Sinne zu legen. Noch die alternde Malvida von Meysenbug, die der Hamburger Hochschule als Lehrerin und Leiterin angehörte, warb in Rom um die Unterstützung geistig fortgeschrittener Männer, um in Italien eine Hochschule im Sinne der einstigen Hamburger zu gründen und durch ihre Schülerinnen das Ideal der »wahren Emanzipation« zu propagieren.
Es liegt uns fern, heute noch eine Kritik der Zustände einer vergangenen Zeit vornehmen zu wollen. Aber die Beschäftigung mit dem Dezennium der 40er Jahre drängt förmlich die Überzeugung auf, daß die aus der demokratischen Bewegung herauswachsende Frauenbewegung den verhängnisvollsten Irrtum beging, als sie sich von der Beschäftigung mit inner- und außerpolitischen Fragen abwandte. Der Fehler wird erst in der gegenwärtigen Kriegszeit bis in seine letzten Konsequenzen fühlbar, und es wäre manches zu vermeiden, manches besser zu machen gewesen, wenn die Mehrheit der Frauen über ein politisch geschultes Urteil, über selbständigen Blick und ein vorurteilsloses Abwägen der sich bekämpfenden Strömungen verfügt hätte. In der Bewertung außerdeutscher Frauenverbände vermochte die deutsche Frau als eine politisch ungeschulte Erscheinung niemals die Bedeutung zu finden, die ihrer hervorragenden Geistigkeit zukam. Die vor dem Kriege von den fortschrittlich gesinnten Frauen angestrebten internationalen Beziehungen konnten nur spärlich an Boden gewinnen, zumal da ihnen von rechtsstehenden Kreisen kein Verständnis, oftmals tendenziös gefärbte Abneigung sich entgegenstellte. Das heute in der Antwortnote der deutschen Regierung so viel diskutierte Wort von den »internationalen Beziehungen« hätte vor der Völkerkatastrophe gerade durch die geistigen Beziehungen der Frauen an Gestalt gewinnen können, wenn eine starke Gegenströmung, die schon der Jugend aufgeprägt wurde, eine Realisierung der Ideale nicht unterbunden hätte. Es war ein Reden vor tauben Ohren, ein vergebenes Werben um Interessen, wer die Notwendigkeit internationalen Austausches geistiger Werte unter den Frauen der verschiedenen Nationen befürworte. Wird das Wort jetzt an Tragkraft gewinnen, da es von der Regierung gesprochen wurde, jetzt, nachdem eine Welt, die zu Hoffnungen berechtigte, zusammengebrochen und eine Welt von Feinden den Kreis zum Ersticken enge gezogen, in dem der einzelne zur unfreien Nummer herabsinkt und die Sorge um den Alltag jedes Interesse überwuchert? Und das Schlimmste: wann werden wir jetzt gegenüber den Vorurteilen, der Einseitigkeit, dem Haß und kleinlicher Bosheit der Nachbarvölker, »auf die Deutschland wie kein anderes Volk angewiesen ist«, mit dem Rüstzeug reiner Gesinnung und ehrlichen Friedenswillens treten können? Die deutsche Frau wird in der Umwelt vor eine schwere Aufgabe gestellt, denn eine böse Saat ist ausgesät, und sie ist schneller und üppiger aufgegangen als guter Samen. Es wird von der Überzeugungskraft der deutschen Frau abhängen, ob sie die Überlieferung der demokratischen Frauen der 40er Jahre aufnehmen und hinaus ins Leben, an neue Aufgaben tragen will und eine neue Epoche nach überwundener Kriegszeit vorbereiten hilft: »Die Verwirklichung jenes Verlangens nach Freiheit des Gedankens als Grundlage der Sittlichkeit.« Die Forderung nach Gedankenfreiheit war lange verstummt, sie muß um so dringlicher werden, je mehr das geistige Niveau der bürgerlichen Schichten durch den Existenzkampf herabgedrückt wurde.
Nur in der Atmosphäre freien Denkens kann sich das Vaterlandsgefühl zum Weltgefühl erweitern, kann von der Begrenztheit ins Unbegrenzte wachsen.
Dann könnte, wie Malvida von Meysenbug es ausdrückt, zunächst noch als dämmerndes Ahnen, über dem geistigen Bunde der Frauen »der Hauch jenes Geistes wehen, der zufolge unserer Hoffnung einst die Menschheit zu einem schönen Bunde vereinen sollte«.
Nr. 3/4/1918