»WIR HABEN DURCH DEN KRIEG GELERNT,
DIE GEGENSÄTZE ZURÜCKZUSTELLEN
GEGENÜBER DER GESCHLOSSENEN
NATIONALEN EINHEIT!«
(Henni Lehmann, 1916)
Chronik
Juli 1914
Ausbruch des 1. Weltkrieges
Juli 1914
Einrichtung eines NATIONALEN FRAUENDIENSTES, an dem sich der BDF beteiligt, um den freiwilligen Fraueneinsatz im Krieg zu koordinieren. Zusammensetzung: staatliche Stellen, BDF, Frauen- und Wohlfahrtsorganisationen
Mai 1914
in Rom Tagung des Internationalen Frauenbundes
Mai 1914
Rosa Luxemburg und Clara Zetkin sind die prominentesten Kriegsgegnerinninen der
SPD, die durch die Bewilligung der Kriegskredite einen »Burgfrieden« mit dem Kaiser schloß
14.8.1914
Luise Zietz, Frauenverantwortliche der SPD erklärt, daß die sozialdemokratische Frauenbewegung mit dem
Nationalen Frauendienst Hand in Hand arbeite, ohne sich ihm formell anzuschließen.
26. - 28. März 1915
Bern, internationale Konferenz sozialistischer Frauen auf Initiative Clara Zetkins, die dafür
vom SPD-Vorstand gerügt wird. Illegal wird unter den Frauen im Reich eine Resolution
aus Bern gegen den Krieg in Tausender Auflage verteilt. Die angestrebte Massenkundgebung
gegen den Krieg bleibt aber aus.
Mai 1915
Internationale pazifistische Frauenkonferenz in Den Haag, zu der der BDF es ablehnt, Delegierte zu schicken.
Anita Augspurg, Lida G. Heymann u. a. Pazifistinnen nehmen dennoch teil. Sie werden dafür scharf von der
BDF-Spitze kritisiert. Aus Protest daraufhin zahlreiche Rücktritte im BDF.
1915
wird noch einmal versucht, die verschiedenen Stimmrechts-Vereine zusammenzubringen.
Die beiden gemäßigten Gruppen schließen sich zusammen (12000 Mitglieder), die Radikalen
um Augspurg und Heymann bleiben isoliert (2000 Mitglieder).
Mai 1915
Rücktritt des BDF aus den Gremien der internationalen Frauenbewegung, die für den
Frieden eintritt. Nur der radikale Flügel (Augspurg, Cauer, Stöcker, Heymann u. a.)
bleiben bei der pazifistischen Haltung und vertreten sie auch öffentlich.
Sommer 1915
staatliches Redeverbot für die Sozialdemokratin Luise Zietz, weil diese öffentlich gegen
die politische Rechtlosigkeit der Frauen, die im Krieg besonders deutlich werde, protestierte.
Juli 1915
Die Gewerkschaften kündigen ihr Massenabo bei der Gleichheit und geben selbst ihre
Gewerkschaftliche Frauenzeitung heraus.
1915
Die Pazifistinnen gründen den »Deutschen Frauenausschuß für einen dauernden Frieden«,
der vor allem mit Flugblättern Anti-Kriegs-Aufklärung betreibt.
1915
Lida Gustava Heymann wird in München öffentliches Redeverbot erteilt.
seit 1915
zahlreiche spontane Hungerrevolten von Frauen, jedoch ohne SPD-Einfluß.
1916
Der radikale Stimmrechtsverband wird polizeilich aufgelöst, und A. Augspurg wie L. G.Heymann
erhalten außer dem Redeverbot auch Korrespondenzverbot mit dem Ausland.
Ende 1916
Luise Zietz wird im SPD-Vorstand von Marie Juchacz ersetzt, da sie zur Opposition tendiert.
1917
L. G. Heymann wird aus Bayern ausgewiesen. Sie, A. Augspurg und Helene Stöcker,
werden aus dem BDF ausgeschlossen.
Januar 1917
Viele Frauen der SPD wie Zetkin und Zietz werden vom SPD-Vorstand ausgeschlossen,
weil sie an einer oppositionellen Konferenz teilgenommen haben.
April 1917
Gründung der USPD (Zetkin, Zietz, Luxemburg u. a. treten über)
Ostern 1917
Der Kaiser verspricht in seiner Osterbotschaft dem Volk zum Dank für seinen Kriegsdienst
politische Mitbestimmung nach Kriegsende. Die Frauen werden mit keinem Wort dabei erwähnt.
Darauf leben die Stimmrechts-Aktivitäten wieder auf. Selbst der BDF startet noch einmal eine Kampagne.
18. Mai 1917
Clara Zetkin und ihre Anhängerinnen werden aus der Gleichheit entlassen.
22. Sept. 1917
Die Frauen der SPD, des BDF und der radikalen Stimmrechtsvereine vereinbaren eine
Zusammenarbeit. Als Preis für die Zusammenarbeit verlangt die SPD vom BDF die
Unterstützung des Allgemeinen gleichen Wahlrechts: darauf Spaltung im BDF.
1914 -18
Durch die Kriegswirtschaft stieg die Zahl der in traditionellen Männerbereichen
beschäftigten Frauen um 52%, die Löhne jedoch nur um ca. 30%, womit die Frauen
immer noch nur die Hälfte der Männerlöhne erhielten.
8. Nov. 1918
Der interfraktionelle Ausschuß nimmt, nachdem der Kaiser vom Parlament abgelöst wurde,
das Stimmrecht für Frauen mit ins Programm. Dies nicht auf Initiative der SPD/USPD, sondern
aufgrund des Drucks der Massen von der Straße.
12. Nov. 1918
Der Volksbeauftragten-Rat (SPD/USPD) ruft mit seinem Programm das Stimmrecht
für Frauen im Zusammenhang mit dem allgemeinen gleichen Wahlrecht aus.
Kommentar
Anhand der Verbandszeitschrift des BDF, DIE FRAUENFRAGE, zeigt sich: während des ersten Weltkriegs, der Frauen in bisherungeahntem Maße in Mitleidenschaft und Kriegsdienste zog, wird die nationalistische und reaktionäre Orientierung zur Hauptströmung der bürgerlichen Frauenbewegung. Von 1898 bis 1919 gab dieses Blatt Marie Stritt im Auftrage des Vorstandes heraus. Obwohl die Herausgeberin immer noch staatskritischer war als Gertrud Bäumer, von der sie 1910 im Vereinsvorstand abgelöst wurde, ist die unter ihrer Regie publizierte FRAUENFRAGE ganz auf der Linie, jede Frage der Frauenemanzipation hinter die selbstopfernde Unterstützung für's Vaterland zurückzustellen. Durch dieses Opfer hoffte man auf politische Rechte nach dem gewonnenen Krieg, - von Kaisershand gewährt.
Mit pazifistischer Tendenz erschien dagegen Die FRAUENBEWEGUNG, das Organ der radikalen, pazifistischen Frauen, die zwar seitdem Niedergang der Stimmrechtsbewegungmehr und mehr an Einfluß verloren, aberseit 1915 im »pazifistischen deutschen Frauenausschuß« für einen dauernden Frieden kämpften. Von Minna Cauer seit 1898 alleinherausgegeben, war Die Frauenbewegungvier Jahre lang zuvor gemeinsam mit Lilyvon Gyzicki (später Braun) redigiert worden.Doch diese wechselte in den späten 90er Jahren vom Verein Frauenwohl und den »Ethischen« zur SPD, wo sie zur erbitterten Kontrahentin von Clara Zetkin wurde.
Die Sozialistin versuchte zu Kriegszeiten mit ihrer GLEICHHEIT ebenfalls nicht nur einenpazifistischen, sondern auch klassenkämpferischen Kurs gegen die Mehrheitsfraktion ihrerPartei zu steuern. Dabei geriet sie allerdingsmehr und mehr in die Opposition, weil sich die SPD durch den Burgfrieden mit dem Kaiserreich zum Kriegsunterstützer gemacht hatte und die Genossinnen mehr und mehr auf eine rein karitative Arbeit zur Verhinderung der schlimmsten Kriegsfolgen orientierte.
Nach vielen Querelen mit und Rügen der Parteiführung wurde Clara Zetkin schließlich von der Tätigkeit in ihrer Redaktion zusammen mit den engsten Mitarbeitern suspendiert. Das Blatt wurde von Marie Juchaczaus dem Parteivorstand neu ausgerichtet undder Parteilinie zur Frauenpolitik angepaßt:Unterhaltung, Entspannung, praktische Tipsfür den Haushalt und die Kindererziehungwaren jetzt der Schwerpunkt der ehemals agitatorischen Gleichheit. Clara Zetkin aberhatte nicht nur die Zeitschrift verlassen, sieschied mit vielen kritischen Genossen zugleich aus der Partei und gründete noch 1915 die USPD.
In der GLEICHHEIT wird seit 1915 nun die Arbeiterin [1] hauptsächlich als Hausfrau und Familienmutter in ihren sozialen, psychischenund ökonomischen Nöten angesprochen, diedurch Nahrungsmittelknappheit und andereökonomische Folgen des Krieges hervorgerufen wurden. In der Frage des allgemeinenStimmrechts für Mann und Frau geht die Zeitschrift jetzt mit der bürgerlichen Frauenbewegung zusammen, zunächst mit den Radikalen und zu Kriegsende hin mit der gesamtenBewegung. Den bürgerlichen Frauen steht dieSPD für kurze Zeit insgesamt nicht sehr ablehnend gegenüber.
Schon kurz vor der Machtübernahme in der GLEICHHEIT durch die Mehrheitssozialistenhatten die Gewerkschaften ihr Massenabonnement, durch das alle weiblichen Gewerkschafterinnen das Blatt kostenlos erhielten,gekündigt, und damit der GLEICHHEIT Tausende von Leserinnen entzogen. Dem Gewerkschaftsvorstand wurde zuwenig Pragmatisches über die Arbeitswelt und stattdessen, wie er sagte, zuviel Ideologie und Agitation geboten. So gründeten die Gewerkschaften selbst schon 1916 ihre Gewerkschaftliche Frauenzeitung. Verantwortlich für die Redaktion war Gertrud Hanna, die Frauensekretärin der Gewerkschaften, die das Blatt bis 1933 redigierte. (Zwischen 1923 und 25 wurde aus Kostengründen das Erscheinen eingestellt.) Dadurch, daß die meisten Abonnentinnen der Gleichheit automatisch auf die zweimonatlich erscheinende Gewerkschaftszeitung übergingen, hatte diese zunächst keinerlei Existenzsorgen, dagegen verlor die sozialistische Frauenzeitung gleich ein Drittel ihrer Leserinnen. Erst langsam konnte sie sich von diesem Schlag wieder erholen und neue Leserinnen gewinnen. Die GEWERKSCHAFTLICHE FRAUENZEITUNG hatte schon zu Beginn des zweiten Jahrganges eine Auflage von 100 000 Exemplaren, Ende 1918 bereits das Doppelte, allerdings wuchsdie Zahl der weiblichen Gewerkschafterinnenauch proportional. Die Zeitung, die sich ursprünglich aus dem politischen Meinungsstreitheraushalten wollte, schließt sich mehr undmehr stillschweigend den Vorstellungen derMehrheit in der SPD an. Ihr Inhalt bestehtüberwiegend aus spröden Abhandlungen übersozial, arbeits- und wirtschaftsrechtliche Fragen und sozialpolitische Themen. Da man davon ausging, daß der Eintritt ins Berufsleben,besonders aber die gewerkschaftliche Organisation der Frauen schon genügend politischeKlarsicht mit sich brachten, ließ man die politische Schulung völlig hinter Problemen derArbeitswelt zurückstehen. Und nicht nur dasunterscheidet das Blatt immens von derGleichheit, selbst in der Diskussion um dieBerufstätigkeit der Frau ist man zwiespältig,als nach dem Krieg offiziell die These von derDoppelverdienerin Frau aufgestellt wird.Grundsätzlich tritt das Organ zwar für dieberufliche Arbeit von Frauen ein, gleichzeitig fordert die Redaktion aber dazu auf, denaus dem Krieg zurückgekehrten Männern dieArbeitsplätze wieder zur Verfügung zu stellen. Denn auch hier gilt der Mann als Ernährer der Familie.
Die GEWERKSCHAFTLICHE FRAUENZEITUNG und die umgewandelte GLEIHHEIT sind mit dem Krieg, einem wichtigen Einschnitt in der Geschichte der Frauenbewegung, entpolitisiert worden. Sie beschränken sich auf Fragen der formalen Gleichberechtigung und innerorganisatorische Themen. Erst mit der Herausforderung durch faschistische Tendenzenin den frühen dreißiger Jahren politisieren sie sich zaghaft, jedoch auf sehr unterschiedliche Weise: während die Gewerkschaftszeitung Mitglieder wirbt, um damit die bestehende Ordnung, vor allem die gefährdete Familie zu erhalten, fordert die Gleichheit abstrakt zum Parteieintritt auf, um die bestehende Ordnung über diesen Weg zu verändern. Beides aber sind zu spät einsetzende Varianten eines hilflosen Antifaschismus, erwachsen aus einer Haltung, die allzulange Zeit vergaß, den Kampf ums Bewußtsein der Frauen ernst zu nehmen und nicht dem Gegner zu überlassen.
War die Frage der Haltung zum Krieg ein zentraler Gradmesser des (auch publizistisch veröffentlichten) Bewußtseins zwischen 1914und 18, so war es nach dem Krieg die Haltung zur »Doppelverdiener«-These, mit der man die Frauen aus den traditionellen Arbeitsbereichen der Männer wieder herauswerfen wollte. Wenn im aktuellen Teil der Gleichheit, der sich immerhin noch der Politik verschrieben hatte, die Angriffe auf die erwerbstätigen Frauen gar nicht aufgegriffen wurden, fällt andererseits um so mehr auf, daß nach 1917 schon im Feuilleton der Zeitschrift auf die »Politik der Mutter« orientiert wird. Auch hier findet — ganz wie in der bürgerlichen publizistischen Hauptströmung - eine Orientierung auf ein sehr konservatives Frauenbild statt:
»Sei du Mittlerin im Kreise deiner Familie . . .so übst du die rechte Politik der Mutter und dienst deiner Familie und deinem Volk.« (aus Die Gleichheit, Heft 18,1920)
Während des Krieges ist das BDF-Organ DIE FRAUENFRAGE da allerdings noch deutlicher, bzw. seine Opfer-Metaphern können im Kriegszusammenhang mühelos als völkischrassistisch und nationalistisch interpretiert werden. Die drei dokumentierten Beiträge aus der Frauenfrage vom Dezember 1916 zeigen sehr deutlich, wie von einer relativ abstrakten Abhandlung zum Ideal des »Gemeinschaftssinns« über die Propagierung »eines rasse-hygienischen Gesundheitszeugnisses als Heiratspapier« bis hin zu den aktuellen Meldungen aus dem BDF ein immer klareres nationalistisches und zugleich antifeministisches Bild von der Frau und ihren Aufgaben gezeichnet wird. Von den Rechten der Frauen wird nun gar nicht mehr gesprochen, stattdessen an ihre Opferbereitschaft und Dienstwilligkeit appelliert, ja geradezu davon ausgegangen. Von den Arbeiterinnen und deren Lebens- und Arbeitsbedingungen unter der Kriegsindustrie wird kaum Notiz genommen: Völlig unkommentiert übernimmt man die Zitate einer Untersuchung über den prozentualen Anteil der Frauen in Landwirtschaft und Industrie. Empörenswert findet man einzig die Überlegung der Bergbau-Industrie, Frauen auch unter Tage zu beschäftigen. »Das Oberbergamt steht auf dem Standpunkt, daß es aufgrund des sogenannten >Ermächtigungsgesetzes< vom 4. August 1914 auch über die Zulassung von weiblichen Arbeitern unter Tage entscheiden kann!«
Statt die enorme Arbeitsleistung der Frauen während des Krieges mit ihren mangelnden Rechten und eigenen Forderungen zu konfrontieren, beschränkt sich DIE FRAUENFRAGE auf die Zurückstellung des »Eigensinns« hinter den »Gemeinschaftsinn«. Die Abstraktheit des gleichnamigen Artikels läßt sich eigentlich erst aufdecken, wenn man die dort verwendeten Begriffe einfach einmal aneinander reiht: »Kompromisse - sich zurückstellen - Selbstentäußerung - Absage an Doktrinen zum Wohle des Ganzen - Keimzelle zur Erlernung dieser Haltung ist die Familie - Opfer und Hingabe als Momente einer gesunden Persönlichkeitsentwicklung.« In der Frauenfrage publizieren fast ausschließlich weibliche Mitarbeiter. HenrietteFürth, hier schon durch ihre Beiträge im Neuen Frauenleben und der Neuen Generation bekannt, schrieb den Beitrag über das Gesundheitszeugnis - später ging sie zur SPD und schrieb in der Gleichheit, ein Indiz für die Durchlässigkeit zwischen bürgerlichen und den späteren SPD-Journalen und deren inhaltlicher Ausrichtung zugleich. Die Frauenfrage kam in Berlin und Leipzig heraus. Da ihre praktische Orientierung auf den nationalen Frauendienst und die zeitgenössischen Konsumentenorganisationen gerichtet war, wurde auch die Rubrik der Korrespondenz über Frauenaktivitätenund -forderungen zugunsten einer hauswirtschaftlichen Korrespondenz umgewandelt. Einzig in den Nachrichten über die Frauenbewegung in anderen Ländern wurde, allerdings unkommentiert und betont sachlich über die Aktivitäten und Rechte der Frauen im Ausland berichtet.
Minna Cauer, die Herausgeberin der Frauenbewegung gehörte von Anfang an zumradikalen, zum im eigentlichen Sinn politischen Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung, (vgl. Kapitel 4). Berlin als Sitz einerradikalen Stimmrechts- und Frauenbewegungwar und blieb der Standort ihres Blattes.Gebunden an den fortschrittlichen »Verein Frauenwohl« stand es trotzdem allen Richtungen offen, was explizit auf jeder Nummer vermerkt wurde.
In den 90er Jahren widmete sich die Zeitung denn auch primär der Stimmrechtsfrage; in der Zeit gab es eine regelmäßige Beilage Frauenstimmrecht. In der No 3 des ersten Jahrganges druckte Die Frauenbewegung als Forum der Meinungsbildung und des -Streits je einen Pro- und einen Contrabeitrag zur Frauenstimmrechtsfrage ab. Professor Georg von Gizycki, der Mann von Lily,[2]schrieb den Artikel für das Stimmrecht. Er argumentierte darin sowohl historisch mit John Stuart Mill und anderen Theoretikern als auch aktuell, indem er Mrs. Wolters, eine Englische Sufragette, zitierte, und Beispiele schon veränderter Praxis in einigen Staaten der USA und Neuseeland heranzog. Er widerlegt, dialektisch verfahrend, jedes zuvor angeführte Gegenargument der Wahlrechtsfeinde, und liefert damit den Leserinnen eigenes Argumentationsmaterial. Den Gegenbeitrag verfaßte Henriette Goldschmidt, eine der bürgerlichen Frauenrechtlerinnen der gemäßigten Richtung des BDF. Sie betont die Bedingungen, die von den Frauen erst einmal selbst erfüllt werden müßten, ehe sie »wahlrechts-reif« geworden seien. Und »um dieses Ziel zu erreichen, muß unser Programm ein gemäßigtes und kein überstürztes sein; besonders an die Stellung der Frau als Gattin und Mutter dürfen wir nicht rühren, sondern müssen ihren Wert und ihre Bedeutung immer betonen.«
Die Rubrik »Aus der Frauenbewegung«, regelmäßiger Bestandteil des Blattes von Anfang an, setzt sich sowohl mit der frühen sozialdemokratischen, als auch der bürgerlichen Frauenbewegung auseinander. Dabeiwird Stellung bezogen, nicht nur berichtet,wie es Tradition der FRAUENFRAGEund anderer bürgerlicher Frauenblätter ist. Wiederin der No 3 von 1895 wird z. B. der GleichHEITS-Artikel über die »Harmonieduseleider Frauenrechtlerinnen« kritisiert, den ClaraZetkin verfaßte. Minna Cauer wird von Lilyv. Gizycki, die diese Rubrik redigiert, miteiner Rede zitiert, die sie vor der LeipzigerGesellschaft für ethische Kultur gehaltenhat. In dieser Rede ging Minna gegen eine»gewisse Art von Wohltätigkeit energisch« vor und vertrat die Meinung, daß die erwerbstätigen Frauen ihre berechtigten Forderungen nur durch Zusammenschluß in eigenenfesten Organisationen durchsetzen könnten.Dann die Meldung, daß Lily von G. vor Arbeiterinnen und Arbeitern gesprochen habe,wobei es eine interessante, wenn auch hitzige Diskussion mit Sozialdemokraten gegebenhabe. An anderer Stelle wird von den Herausgeberinnen kritisiert, daß die Frauenzeitungen Deutschlands meist nur einer bestimmten Richtung dienen.
Gegen diese Eingleisigkeit anzutreten, hatte sich DIE FRAUENBEWEGUNG verschrieben. Sie erschien ja auch zum ersten Mal zu einem Zeitpunkt, als die gemäßigte Mehrheit im BDF eindeutig die Oberhand gewonnen hatte, und die Stimmrechtsbewegung endgültig zerstritten war. Den unterlegenen radikalen Vereinen, die besonders in München, Hamburg und Berlin weiter agierten, wurde im Zentralorgan des BDF Die Frauenfrage kein Platz zugestanden, sie wurden nur »von oben herab« behandelt, um ihren Einfluß noch mehr einzudämmen. Die Leserinnen der Frauenbewegung waren denn wohl überwiegend die weiterhin bestehenden Anhängerinnen der Radikalen und einige Sozialistinnen, die über Clara Zetkins Verdikt hinaus mit diesem Zweig der Frauenbewegung sympathisierten. Dieses verstärkt sich nachdem Krieg und der Ablösung Clara Zetkins in der GLEICHHEIT
Nach dem ersten Weltkrieg, unter der Alleinregie von Minna Cauer verstand sich DIE FRAUENBEWEGUNG als aufrüttelndes Organ der fortschrittlichen Frauenbewegung gegen die Tendenzen der Gemäßigten. Es nannte sich im Untertitel jetzt ORGAN FÜR DIE STAATSBÜRGERLICHE BILDUNG DER FRAU. Neben der Herausgeberin arbeitete vor allem Berta Eitner mit an dem Blatt, das weiterhin vierzehntägig erschien. Bis zur Durchsetzung des Frauenstimmrechts 1918 vertrat es in seiner Stimmrechts-Beilage weiterhin seine Minderheitsposition: Das allgemeine Wahlrecht für Frauen und Männer! —die gleiche Haltung wie die SPD, die das aber eher halbherzig tat, und das Wahlrecht erst durch den Druck von der Straße bei ihrem Regierungsantritt 1918 durchsetzte.
Wichtig als Kontrast für und als Antwort auf die Haltung des BDF während des Krieges sind die beiden abgedruckten (S. 158/161) Artikel »Neu-Gruppierungen« und »Zukunftsaufgaben« in der No 3/4/1918. Sie sind nicht mehr nur Ausdruck einer Differenzierung innerhalb der Frauenbewegung, sondern signalisieren sichtlich zwei Lager: die pazifistischen und sozialistischen Frauen und die, die freudig den Krieg unterstützt und zur »Selbstverwirklichung« genutzt haben, die »gemäßigten« vaterlandstreuen, bürgerlichen Frauen, die die radikalen Pazifistinnen 1917 aus dem BDF ausgeschlossen hatten. Minna Cauer tritt mit ihrer FRAUENBEWEGUNG nach Kriegsende noch einmal systematisch den unpolitisch bis reaktionären Tendenzen des BDF entgegen. Trotzdem, auch nach ihrem Ausschluß argumentiert sie nie so prinzipiell ablehnend, wie Clara Zetkin in der GLEICHHEIT schon 1902.
Minna Cauer und ihre Sympathisantinnen saßen zwischen allen Stühlen. Durchaus in der parlamentarischen Demokratie und nicht in der Diktatur des Proletariats ihre Hoffnung sehend, konnten sie sich weder den Sozialdemokratinnen, wie Lily v. G. es tat,anschließen, noch war im mehr und mehr unpolitisch ausgerichteten BDF ein Platz für sie.
Das macht vielleicht den gegenüber der Basis des BDF milde gestimmten Ton einer Kritik an der Entwicklung dieses Bundes erklärbar. Sie kritisiert die schließlich einmal »aus der demokratischen Bewegung herausgewachsene Frauenbewegung für ihren verhängnisvollen Irrtum, sich von der Beschäftigung mit innen- und außenpolitischen Themen zurückgezogen« zu haben. Ebenfalls den Rückzug aus den zuvor von den fortschrittlichen Frauen angestrebten internationalen Beziehungen.
Konsequent trat Minna Cauer für das Zusammengehen mit den Sozialdemokratinnenein, auch wenn sie selbst nicht mehr zur Partei übertreten wollte. Sie war der von linken Sozialisten und der jungen KPD längstdisqualifizierten Meinung, daß »die Idee des Rechts über allen Fach-, Berufs- und Klasseninteressen« stünde. (»Neu-Gruppierungen«) Erstmals zog eine bürgerliche Vertreterin, und keine unbekannte, öffentlich Bilanz, wie die neue Frauenbewegung zu arbeiten habe, mit wem sie zusammengehensolle, von wem sie nichts zu erwarten habeund mit wessen offener Gegnerschaft sierechnen müsse, (vgl. »Neu-Gruppierungen«, SPD, Hausfrauen- und Landfrauenvereine, Jugendbewegung).
Doch selbst in einer Phase der Klassenauseinandersetzungen, wie sie sich in und nach dem Krieg zuspitzten, ist bei Minna Cauer ein idealistischer und ethischer Grundzug unüberhörbar, obwohl sie keine sozial-karitative Haltung hatte gegenüber den »armenSchwestern«, wollte sie doch auch vom Antagonismus zwischen besitzenden und ausgebeuteten Frauen nichts hören. Wie ihre Mitstreiterinnen Lida G. Heymann und Helene Stöcker strebt sie eine absolute und nicht taktische Gemeinsamkeit aller Frauen an,die um ihre klassenübergreifenden Rechte kämpfen. Grundzug dieser idealistischen Argumentation ist die Auffassung, wenn die
Frauen erst ihre politischen Rechte erkämpft hätten, würden sie auch eine fortschrittliche und soziale Politik beeinflussen oder gar erreichen. Ein Irrtum leider, der schon nach den ersten Wahlen mit Frauenstimmen sichtbar wurde: Die Mehrheit der Frauen in Deutschland wandte sich nach dem Krieg gerade von den Linkskräften, der Sozialdemokratie aller Schattierungen und den Kommunisten ab, auch wenn das in manchen Frauenzeitungen Weimars immer wieder als nicht typisch weiblich, sondern durch soziale und politische Einflüsse erklärt wurde.
Die Blätter um den ersten Weltkrieg herum sind in Sprachgestus und allgemeiner Aufmachung denen der vorausgehenden Jahre (Kap. 5) sehr ähnlich. Obgleich schon nach dem Krieg einige kommerzielle Anzeigen abgedruckt werden, gibt es mit der Fotoillustration von Artikeln, dem Titelfoto und der kommerziellen Werbung größeren Stils erst in den 20er Jahren einen Einschnitt im Erscheinungsbild der Frauenzeitungen.