»MACHT DAS WEIB STARK UND GEACHTET
DURCH KENNTNISSE UND BILDUNGSWERT,
DURCH EINEN GRÜNDLICH ERLERNTEN BERUF,
DER IHR UNABHÄNGIGKEIT SICHERT AUCH OHNE
EINEN ERNÄHRER«
(Anna Lohn-Siegel, 1876)
CHRONIK
- 1865 Leipziger Frauenbildungsverein (Louise OttoPeters) Der 3. »Vereinstag Deutscher Arbeitervereine« spricht sich für die Förderung der Frauenerwerbsarbeit aus.
- 1866 Allgemeiner Deutscher Frauenverein (ADF) Verein zur Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts (Lette-Verein)
- 1869 Verband deutscher Frauenbildungs- und Erwerbsvereine Internationale Gewerksgenossenschaft für Männer und Frauen Der »Allgemeine deutsche sozial-demokratische Arbeiterkongreß« spricht sich gegen Frauenwahlrecht und -arbeit aus. Verein deutscher Lehrerinnen und Erzieherinnen Verein zur Fortbildung und geistigen Anregung der Arbeiterfrauen (Lina Morgenstern). John Stuart Mill fordert in seiner Schrift »Die Hörigkeit des Weibes« die Gleichstellung der Geschlechter.
- 1871 Gründung des Deutschen Kaiserreiches
- 1873 Zulassung von Frauen zum Staatseisenbahndienst, zum Post- und Telegraphendienst in Preußen Berliner Arbeiterfrauen- und Mädchenverein
- 1876 Bündnis zwischen ADF und dem Verband deutscher Frauenbildungs- und Erwerbsvereine Hedwig Dohm fordert in ihrer Schrift »Der Frauen Natur und Recht« das Stimmrecht für Frauen
- 1878 Sozialistengesetze
- 1879 August Bebel veröffentlicht »Die Frau und der Sozialismus«
- 1880 Kulturbund gegen staatlich reglementierte Prostitution, (Gertrud Guillaume-Schack)
- 1885 Verein zur Wahrung der Interessen der Arbeiterinnen, Berlin (Gertrud GuillaumeSchack). Berliner Arbeiterinnenverein im Norden
- 1887 Helene Lange gibt ihre »gelbe Broschüre« zur höheren Mädchenbildung heraus
- 1888 Deutscher Frauenverein Reform
In dieser Phase tritt ein neuer Typ der Frauenzeitschriften in Erscheinung. Nicht mehr die Einzelherausgeberin mit ihrem publizistischen Engagement, sondern überregionale Organisationen der Frauenbewegung begründen die Erscheinung von Frauenblättern. Die Neuen Bahnen, hrsg. von Louise OttoPeters und Auguste Schmidt in Leipzig, sowie Der Frauenanwalt, hrsg. von Jenny Hirsch in Berlin, sind Verbandsorgane, ihr Bestand und ihre Substanz sind an Theorie und Praxis des jeweiligen Vereins gebunden. Ihre Herausgeberinnen wie auch Redakteure/ innen sind auch innerhalb der Vereinsarbeit aktiv: Louise Otto-Peters und Auguste Schmidt im 1866 gegründeten »Allgemeinen Deutschen Frauenverein«, und Jenny Hirsch ist Schriftführerin des »Lette-Vereins« und im Vorstand des »Verbandes deutscher Frauenbildungs- und Erwerbsvereine« (1869 gegr.).
Die sechziger bis neunziger Jahre werden vielfach als Beginn der organisierten Frauenbewegung in Deutschland betrachtet. Sie sind tatsächlich aber ein mühsamer und ängstlicher Versuch der Wiederbelebung des Emanzipationswillens von Frauen. Historisch neu ist der nationale Zusammenschluß der Verbände, die aber - gemäß dem Vereinsgesetz als unpolitische Bildungsvereine in ihrem Charakter durchaus hinter bereits Erreichtem zurückstehen. Die Emanzipationsansätze der 48er Revolution, weiterentwickelt in selbstorganisierten Bildungs- und Erziehungseinrichtungen sowie zahlreichen Frauenvereinen, fielen im Nachmärz der Restauration zum Opfer. Personelle Einbußen - viele aktive Mitarbeiterinnen flohen oder wurden ausgewiesen — Geldmangel und polizeiliche Säuberungsaktionen bremsten die Organisierung. Und als in den sechziger Jahren neue Vereine entstanden, hatte das eine Jahrzehnt des Verschwindens weiblicher Öffentlichkeit einen derart deutlichen Bruch in der Tradition der Emanzipationsbestrebungen bewirkt, daß die Geschichte aktiver Frauen fast vergessen schien. Das führte zu dem Phänomen, daß die wenigen »Alten« in diesem Neubeginn in der Minderheit waren und vergessene, z.T. radikalere Positionen vertraten. Louise OttoPeters verkörpert diese Erscheinung. Mit ihrem in den Märzkämpfen gewonnenen Erfahrungen repräsentiert sie eine revolutionäre Tradition, die in den zunächst auf Bildungs-und Erziehungsfragen konzentrierten Frauenvereinigungen der 60er Jahre keine Resonanz findet. Louise Otto-Peters entscheidet sich für einen Mittelweg; sie übernimmt die Führung, ohne ihre Mitglieder mit ihren Vorstellungen zu »überfordern«, um sich schließlich selbst immer weiter der Mehrheit anzupassen: geachtet und doch behutsam ihre eigenen Ideen reduzierend, bezahlte sie für die Gemeinsamkeit den Preis der Annäherung an die konventioneller denkende Mehrheit. Sie fand ein Motto für diese tagesrealistische Haltung: Die Frauen müßten sich ihre Rechte selbst erkämpfen. Sie mag viele objektive politische Gründe für diese Strategie gehabt haben, ganz subjektiv bedeutet sie einen Schutz vor der Einsamkeit der Fortgeschritteneren, ein Sich-Einrichten in der melancholischen Haltung der Älteren, Wissenderen, die historisch vergessene Erfahrung bewahrt. Defensiv im Gestus, bescheiden in der Zielsetzung und immer kompromißbereit in der Argumentation bemühen sich die Sprecherinnen der neu entstandenen Frauenbewegung, bei der weiblichen Hälfte der Bevölkerung Gehör zu finden und vom männlichen Teil ernst genommen zu werden. ». . . es kann uns ja nur daran gelegen sein, unser eigentliches weibliches Gebiet zu behaupten, welches in seiner Art ebenso ausgedehnt ist wie das des Mannes und welches immer mehr und mehr alle willkürlichen Begrenzungen durchbricht und darum sicher für uns erhalten bleibt, weil es dem Manne ja ebensowenig möglich ist, uns in unsere idealen Bereiche zu folgen, als wir in den seinigen mit ihm um die Herrschaft streiten wollen. Laß jedem das Seine!«[1] In ihrer Schrift: »Die Frauen und ihr Beruf« hat Luise Büchner schon 1855 dieses Motto formuliert, das man einem Großteil der Veröffentlichungen der Frauenbewegung in den nächsten Jahrzehnten voranstellen könnte: die Behauptung des »eigentlich Weiblichen«. Sie garantierte der herrschenden Männerwelt, daß die Grundpfeiler des »immer schon Männlichen« nicht ins Wanken geraten würden. Damit wurde das Terrain abgesteckt, in dem sich die Debatten der Frauenbewegung dann bewegten. Das Hauptthema - das Recht der Frauen auf Arbeit und (Aus)Bildung stieß noch innerhalb dieser Begrenzung auf genügende Widerstände, die mit ideologischer und praktischer Mühsal von den Frauen zu bezwingen waren. Dabei nahmen die Frauen mit mancher sozialer, erzieherischer und pflegerischer Einrichtung in Selbsttätigkeit dem Staat Aufgaben ab, die sich aus der zunehmenden Industrialisierung und der Auflösung alter Versorgungssysteme als dringend erforderlich ergaben. Angesichts der Tatsache, daß als Hand-, Landarbeiterin oder Dienstbotin große Teile der Frauen aus den unteren Schichten in Lohnarbeit standen, scheint es anachronistisch, daß das Frauenrecht auf Arbeit überhaupt zur Debatte stand. Verständlich wird das erst daraus, daß es den Frauenvereinen vor allem um Berufs-, d.h. Erwerbsmöglichkeiten für bürgerliche Frauen ging, für die die Hausfrauen- und Mutterrolle noch uneingeschränkt als Leitbild funktionierte. Die Arbeiterinnen stießen bei ihren Klassengenossen auf Vorbehalte, da ihre billigere Arbeitskraft objektiv als lohndrückende Konkurrenz wirkte. Die Diskussionen in der gleichzeitig sich organisierenden Arbeiterbewegung um die Frauenarbeit werden deshalb vorwiegend unter dem Stichwort der »Schmutzkonkurrenz« geführt, was sich auf die Erfahrung bezog, daß Frauen als Arbeitskräfte von Unternehmern gerne dann und dort eingestellt wurden, wo männliche Arbeiter gegen Lohnsenkungen protestierten. Lohnraub und steigende Lebenshaltungskosten machten es unmöglich, die materielle Not durch die Erwerbsarbeit von Mann und Frau zu lindern. Dieser konkrete Erfahrungshintergrund des einzelnen Arbeiters wurde im Diskurs der Arbeiterbewegung über die Frauenerwerbsarbeit nur häufig durch konventionelle, ideologische Aussagen über die Frauenrolle verdeckt. Ihr Platz sei im Haus am Herd, ihre Energie gehöre dem häuslichen Glück — mit solchen Vorstellungen rückten sich sozialdemokratische Arbeiter in die Nähe von patriarchalischen Philistern, die um ihre gesellschaftlichen Privilegien und ihre familiäre Alleinherrschaft besorgt waren. Der »proletarische Antifeminismus« hatte zwar andere Ursachen als der bürgerliche, aber häufig das gleiche Gesicht.[2] Der Beginn einer national organisierten Frauenbewegung ist unter diesen historischen Voraussetzungen kein sozial umfassender. Ihre Mitglieder sind größtenteils Frauen aus bürgerlichen Schichten, z.T. mit sozialem Engagement und Interesse für die Situation und Problematik der Arbeiterin. Diese Struktur prägt auch die beiden Frauenzeitschriften, die jetzt entstehen: die Neuen Bahnen und den Frauen-Anwalt, denn sie sind organisatorisch, finanziell und personell an je einen Verein gebunden. Das garantiert Beständigkeit und Zuverlässigkeit im Erscheinen und in der Information, bindet die inhaltliche Ausrichtung aber an die Ziele des Verbandes. Da die aktiven Frauen ihre Aufgabe vor allem in der Informations- und Aufklärungsarbeit sahen, um die Ziele der Frauenbewegung erst einmal unter den Frauen bekannt zu machen, entsprach das publizistische Konzept dem Zwecke der Verbreiterung. Darüber hinaus lieferten die Zeitschriften - als theoretische Organe der Vereine - die Möglichkeit, der täglichen Kleinarbeit in der tätigen Hilfe und Selbsthilfe einen historischen Sinn zu verleihen. Die Selbstbescheidung in den Zielsetzungen und die nicht zu bewältigenden praktischen Aufgaben fanden einen Ausgleich in einem auffälligen verbalen Aufwand: Zeitschriften und Vorträge waren die Medien des selbstgesetzten Bildungsauftrages. Die »Hebung der Bildung des weiblichen Geschlechtes« hat doppelte Funktion: einerseits ist sie erklärtes Ziel der Frauenvereine, motiviert durch ökonomische Notwendigkeit (Erwerbsfähigkeit) und weibliches Selbstwertgefühl (Selbständigkeit). Andererseits bewegt sich der Bildungsauftrag, folgend der Einsicht, Frauen müßten erst gleichberechtigungsfähig werden, innerhalb eines ungefährlichen Terrains. Frauen bilden Frauen aus - in diesem Programm sind Erfolge möglich, ohne an die Prinzipien der patriarchalischen Herrschaftsverhältnisse zu rütteln. Die große gesellschaftliche Aufgabe, welcher diese Arbeit dient, nämlich aus unmündigen Frauen würdige Gesellschaftsmitglieder zu machen, gibt dieser Praxis ihre Bedeutung. So darf man vermuten, daß die Zeitschriften auch eine wichtige Bedeutung darin hatten, die Mitglieder bei der Stange halten zu wollen. Die Themenstruktur der Blätter ist entsprechend: Leitartikel zu den Hauptfragen der Frauenbewegung (Frauenarbeit, -bildung, -erziehung, -Studium, Familie, die Stellung der Frau in der Zukunft) in räsonierendem Stil, teils mit philosophischem Anspruch, werden ergänzt durch Berichte aus der Vereinsarbeit, in denen dann das Praktische, das Soziale überwiegt - es sei denn, es wird von Vortragsabenden oder künstlerischen Darbietungen berichtet. Informationsteile mit Berichten aus dem Ausland rücken dann teils die Fernziele (politische und rechtliche Gleichberechtigung, d.h. vor allem Wahlrecht und Frauenstudium) in den Blick, für die die Zeit in Deutschland aber noch nicht reif sei. Und doch gibt es im Rahmen dieses abgesteckten Feldes Unterschiede. Schon in der Vereinsgründung, in Statuten und Programm erweist sich der »Verein zur Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts«, 1866 in Berlin auf Initiative von Adolf Lette gegründet, später kurz »Lette-Verein« genannt - der dann die Führung in dem 1869 von ihm angeregten »Verband deutscher Frauenbildungs- und Erwerbsvereine« übernimmt als männlich dominierte Organisation. Männer bilden den Vorstand, Frauen werden von ihnen kooptiert; 69 werden durch Statutenänderung auch Frauen in den Vorstand gewählt; aber erst eine LetteTochter, Frau Schepler-Lette, durchbricht 1872 das männliche Vorsitzprinzip. In der schriftlichen Begründung, die der Vereinsgründung vorausgeht, spricht Lette - mit Blick auf die Versorgungsprobleme der unverheirateten bzw. verwitweten Frauen — von »Notwendigkeit«, koppelt sie mit »Gesichtspunkten der Humanität und Gerechtigkeit« und spricht sich in diesem Sinne für Frauenarbeit aus. Seine Abgrenzungen sind allerdings eindeutiger als die Zielsetzungen: es ginge nicht um politische Emanzipation und Gleichberechtigung, auch nicht um die Fabrik-, Hand-, Landarbeiterinnen und Dienstbotinnen, und: die Familie müsse ursprünglichste , und wichtigste Aufgabe des weiblichen Berufes bleiben. Das Verbandsorgan DER FRAUEN-ANWALT wurde von der Schriftführerin des »LetteVereins«, Jenny Hirsch, in Berlin von 1870 bis 76 und erneut 1878 bis 81 unter dem Namen Deutscher Frauen-Anwalt herausgegeben.[3] Danach mußte es aus finanziellen Gründen sein monatliches Erscheinen einstellen. Im Blatt schreiben überwiegend Frauen. Männer melden sich zu solchen Themen wie »Weiblicher Erwerb und Verbrauch« oder »Das Studium der Frauen an der Universität Zürich« zu Wort. Die männliche Dominanz in den Verbänden wird insofern in der Zeitschrift nicht proportional gespiegelt. Möglicherweise liegt in der weiblichen Regieführung des Blattes ein Grund für die mangelnde Unterstützung durch die Vereine. Es läßt sich vermuten, daß die Redakteurinnen fortgeschrittener in ihrem Emanzipationsbewußtsein waren als die Vereinsbasis. Obwohl das Primat der Familie nie angetastet wird, deuten beschwichtigende Redeweise und äußerst behutsames Eintreten für weibliche Erwerbsarbeit auf ein solches Verhältnis hin. Ausgehend vom vermeintlichen Kern weiblicher Aufgaben, der Kindererziehung, drehen sich die Beiträge um die pädagogische Qualifizierung der Mütter, um die Einrichtung von Kindergärten und Kindergärtnerinnenseminaren, um Lehrerinnenausbildung, die »höhere Mädchenbildung« und das Studium von Frauen (hier vor allem im medizinischen Fach), um immer wieder zum Zentrum zurückzufinden: zur Frau als Mutter und Ehefrau. »Wer die ewige Menschennatur kennt, wird nicht fürchten, daß das Weib sich abwende von der Ehe und dem Glück der Kindererziehung«. Mit diesem Argument versucht Bertha Meyer (Nr. 1, 1870), der Furcht, die Frauen würden durch die Erwerbsarbeit den familiären Aufgaben entfremdet, vorzubauen. Und in dem Artikel »Durch Sonderung zur Einigung« versucht Johanna Goldschmidt zwischen den streitenden Lagern, die es offenbar auch innerhalb der Leserschaft des Frauen-Anw alt gab, zu vermitteln. Mit verbaler Nivellierung in der Rede vom »Natur-Beruf« und vom »Cultur-Beruf« der Frau wird die Auseinandersetzung pragmatisiert vom Prinzipienstreit auf die Ebene individueller Entscheidung je nach »Anlage« der einzelnen Frau verlagert. Überhaupt vertritt der FRAUEN-ANWALT einen praktischen Standpunkt. In ihrem für die Zeitschrift programmatischen Artikel der ersten Nummer bestimmt Luise Büchner die beabsichtigte »Tendenz, fern von jeder Phrasenmacherei und jedem Aufstellen unnützer Theoreme, die wirklichen Bedürfnisse des weiblichen Geschlechtes in's Auge zu fassen« (S. hier S. 61) Daß sich diese Theoriefeindlichkeit - wie so oft - vorwiegend gegen fortgeschrittene, radikalere Theoriebildung der Frauenemanzipation richtet, erschließt sich aus der wiederholten und redundanten Veröffentlichung von Weiblichkeitspostulaten, die Berufstätigkeit und Studium oder gar die Teilhabe von Frauen an öffentlichen Aufgaben regelmäßig als Ausnahme definieren. Lediglich eigene Existenzsorgen unverheirateter Frauen oder »ausgesprochene Talente« sind anerkannte Motive, von der »echt weiblichen Mission« abzuweichen (vgl. Franziska Essenther, hier S. 65). Diese Werturteilsbildung bleibt nicht ohne Konsequenz für die Berichterstattung, die unter der Rubrik »Chronik« Informationen aus der internationalen Frauenbewegung bringt. In der Nachricht über die erste weibliche Friedensrichterin in den Staaten z.B. werden ihr männliche Statur und Charakterzüge bescheinigt (vgl. hier S. 65), als sei dies Voraussetzung zur Ausübung einer derart un-»weiblichen Mission«. Insofern trägt die Zeitschrift nicht offensiv dazu bei, die herrschende Konsensbildung über die Geschlechtsrollen, die gerade in der Vorurteilsstruktur der Männlichkeits- und Weiblichkeitsmuster besonders feste Gestalt hat, zu überwinden.
Derart verharrende Weiblichkeitsvorstellungen werden nicht etwa im Laufe der Zeit abgebaut, sondern erhalten schließlich in der theoretischen Begründung eines anzustrebenden Frauenbildes programmatischen Charakter und politische Funktion. 1879 prägt Marie Calm den Begriff des »kulturhistorischen Berufes« der Hausfrau und Mutter (Nr. 1, 1879), um die gesellschaftliche Bedeutung der »Nur-Hausfrau« aufzuwerten. Damit bereitet sie bei realer Restauration der Rollenteilung mit Hilfe ideologischer Aufwertung des weiblichen Parts, der als genuin weiblich definierten Aufgaben, den Boden für eine Beruhigung rebellischer Frauengemüter. Dem Recht der Frau auf Bildung und Erwerb wird somit in den Reihen der Frauenbewegung selbst der Status einer Menschenrechtsfrage aberkannt, stattdessen wird es zu einer schnöden, ökonomischen Notwendigkeit degradiert.
Recht auf Arbeit für die »unversorgten« Frauen, sprich Unverheirateten, das bleibt der beherrschende Tenor im Frauen-Anw alt. Daß die Aufwertung der Mutter und Hausfrau auf Kosten der unverheirateten Frau geschieht, die als »Unversorgte« implizit diskriminiert wird, kann entgegen allen anderslautenden Beteuerungen nicht verborgen bleiben.
Es ist erstaunlich, auf welche Barrieren dieser halbherzige Angriff von Frauen auf männlich beherrschte Bereiche dennoch stößt. Bemerkenswert auch der Aufwand männlicher Theoriebildung, mit dem Panzer gegen die weibliche Emanzipation geschmiedet werden. Mit Erfindungsreichtum und militanter Argumentationsphantasie werden die kuriosesten Begründungen für die weibliche Inferiorität veröffentlicht. Das reicht von physiologischen und biologischen Gründen (das berüchtigte kleinere Hirn der Frau; Virchow: »Alles, was wir an dem wahren Weibe Weibliches bewundern und verehren, ist nur eine Dependenz des Eierstockes«) über ethische (Bildung und Erwerb bedeute eine Erniedrigung der Frau), moralische (das Medizinstudium sei eine »schamlose Preisgabe allen weiblichen Zartgefühls«) und ästhetische Einwände (die Arbeit ginge auf Kosten der Weiblichkeit, sprich Schönheit der Frau) bis zu ehrlicher Arroganz (»wie viel tägliches Vergnügen man dem Manne raube, wenn man Mädchen zu gelehrt macht«, Nathasius; »daß ein bestimmtes, wahres, genau feststellbares Maß von Unwissenheit bei Frauen Garantie häuslicher Tugend sei«, Holtzendorff).[4]
Eingeschüchtert durch solch frauenfeindliche Offensive, wagt sich kaum eine Frau auf das Terrain politischer Gleichheitsforderung. Im »Verband deutscher Frauenbildungs- und Erwerbsvereine« entspricht die Verlagerung politischer Gleichstellung von Frauen und Männern - als strategische Beschwichtigung sowohl in patriarchalische Richtung und als Verheißung auch ins frauenrechtlerische Lager gesprochen - durchaus der ideologischen Substanz des Verbandes.
Als Hedwig Dohm 1876 als Einzel- und Vorkämpferin der radikalen Frauenbewegung für das Frauenstimmrecht in die Öffentlichkeit tritt,[5] moniert man Voreiligkeit und polemischen Ton ihrer Schrift: »Anders stellen wir uns aber zu der Frage, ob es an der Zeit sei, diese Forderung zu erheben. Frau Dohm ist gleich den Amerikanerinnen der Ansicht, daß eine bessere Stellung der Frau in rechtlicher und sozialer Hinsicht nur dadurch zu erreichen sei, daß sie die politischen Rechte erhalte, wir hingegen gehen von dem Grundsatz aus, durch eine bessere, gründlichere Erziehung des weiblichen Geschlechts, durch eine Ausbreitung der weiblichen Bildung schrittweise den Boden zu bereiten und das Gebäude aufzuführen, für das alsdann das Frauenstimmrecht gleichsam die Krönung bilden würde.« (Nr. 12, 1876, Jenny Hirsch)
Ellen Miras spricht sich in den Neuen Bahnen wohlwollender über Hedwig Dohms Forderung aus: »Doch wir wollen schon heute bekennen, daß es Hedwig Dohm gelungen ist, unsere eigenen Ansichten über diesen Punkt ganz bedeutend zu erschüttern.« (Nr. 9, 1876). Aber im allgemeinen halten auch die Sprecherinnen des ADF die politische Gleichstellung von Frau und Mann für verfrüht. Die Überlegungen, die Louise Otto-Peters zu einer solch zögernden Haltung bewegen, basieren dabei auf Erfahrungen aus den Arbeiter-und Frauenbildungsvereinen und gehen vom Prinzip der Selbsthilfe aus. Erst wenn die Masse der Frauen eine solche Forderung unterstütze, sei sie mit Aussicht auf Erfolg zu vertreten. Bereits im Programm des ADF ist das Ziel der Gleichberechtigung an die Prinzipien von Selbsthilfe und Assoziation gebunden. Die Gründung des ADF 1866 geht auf die Initiative des »Leipziger Frauenbildungsvereins« zurück, der Verbindungen zum »Arbeiterbildungsverein« unterhielt. Diese Gemeinsamkeit im Ursprung der Frauen- und Arbeiterbewegung — verstärkt durch personelle Verbindungen zwischen L. Otto-Peters und August Bebel und durch gemeinsame politische Tradition - hat sich im Laufe der Organisation- und Programmentwicklung nicht als beständig erwiesen. Anfangs vorhandene, für Frauen positive Ansätze (Votum für Frauenarbeit auf dem »Vereinstag Deutscher Arbeitervereine« 1865, Gleichberechtigung in der »Internationalen Gewerksgenossenschaft« 1869) wurden in der Gründungsphase der Sozialdemokratie durch einen sich durchsetzenden »proletarischen Antifeminismus« zurückgedrängt (vgl. oben). Der ADF nimmt die Verbesserung der Situation der Arbeiterinnen in sein Programm auf; als Mittel hofft man auf die ergänzende Wirkung einer »Assoziation von Arbeitern und Arbeiterinnen« und einer Verbesserung der Bildung und Ausbildung, die in Selbsthilfe, in Form von Sonntags- und Abendschulen, von den bürgerlichen Frauen übernommen wird. Vor allem L. Otto-Peters bemüht sich, in diesem Sinne auf die Arbeiterbewegung einzuwirken. In den Neuen Bahnen werden die Beschlüsse der Arbeiterbewegung kritisch kommentiert. Das Blatt widmet sich auch konkreten Problemen der Arbeitsbedingungen, etwa der Ausbeutung der Handarbeiterinnen durch die Zwischenmeister, dem Arbeiterinnenschutz und den Lohnverhältnissen. Berichte über Hilfsvereine und Fortbildungsschulen gehören zur Berichterstattung des Blattes. Aus ihnen geht der Umfang der sozialfürsorgerischen Tätigkeiten der Frauenvereine hervor: Versorgung von Kindern, Kranken, Armen, Betreuung von weiblichen Gefangenen und Qualifizierung von Frauen für gewerbliche Arbeiten. (Vgl. hier S. 70 ff) Die Zeitschrift wurde 1866 von L. OttoPeters und Auguste Schmidt, den beiden Sprecherinnen des ADF, gegründet und herausgegeben und erschien bis ins Jahr 1919 zweimal im Monat. So wie der ADF Männer nur als Ehrenmitglieder aufnahm, sind auch nur wenige Artikel von Männern in den Neuen Bahnen zu finden. Die expandierende Phase des ADF reicht bis in die Mitte der 70er Jahre, als eine Mitgliederzahl von 12000 erreicht ist, (um die Jahrhundertwende hat der Verein erst 14000 Mitglieder). Ideologisch ist eine allmähliche Angleichung an den »Lette-Verein« zu beobachten; 1876 kommt es zum Bündnis. »Seit dieser Zeit sind die beiden größten Vereinsgruppen Deutschlands zu gegenseitiger Verständigung gelangt; der Allgem. Dtsch. Frauenverein, der Träger der Idee, hatte seine Bedeutung auch für die praktische Lösung der Frauenfrage durch Gründung der Zweigvereine erwiesen, - der Verband deutscher Frauenerwerbsvereine wandte seine Aufmerskamkeit mehr als früher auch der idealen Seite der Frauenbewegung zu.« In dieser Rückschau (»Gründung und Entwicklung des ADF«, in N.B. Nr. 24, 1897) sind die Unterschiede im Ansatz und in den Zielvorstellungen bereits völlig vergessen. Die Einschätzung von der umfangreicheren praktischen Arbeit der Frauenerwerbsvereine hat ihre ojektive Grundlage in der finanziellen Protektion des Verbandes durch die Kronprinzessin Friedrich, während der ADF seine Selbsthilfeaktionen aus eigenen ökonomischen und personellen Kräften bestreiten mußte. Die darin enthaltene These von der größeren Bedeutung der theoretischen Debatte im ADF ließe sich aus der Tatsache der Kontinuität in der Veröffentlichung des Verbandsorgans als ideologischer Begleitung praktischer Vereinsarbeit erhärten. Das zunehmende Übergewicht konservativer Kräfte im Verein spiegelt sich auch in der Herausgeberschaft. Nach dem Tod von L. OttoPeters im Jahre 1895 wird die Zeitschrift von Auguste Schmidt allein herausgegeben, nach der Jahrhundertwende dann nacheinander von Elsbeth Krukenberg, Gertrud Bäumer und Elisabeth Altmann-Gottheimer. Der personellen Dominanz von Lehrerinnen entspricht thematisch eine Konzentration der inhaltlichen Interessen auf Fragen der »höheren Mädchenbildung«. Daneben stehen die Bemühungen um Frauen-Studium und Erwerbsarbeit in bürgerlichen und akademisch ausgebildeten Berufen. Auch die veränderte Behandlung der Dienstbotenfrage zeugt von einer Verbürgerlichung des ADF. Hatte der Verein sich zunächst auch für die sozialen und menschlichen Interessen der Dienstboten eingesetzt, so werden diese 1896 in dem Artikel »Unser Arbeitsfeld« von Auguste Schmidt - wie im Frauen-Anwalt schon viel früher - nur noch als Erziehungsobjekte thematisiert. Den »Frauen des Volkes« wird empfohlen, »ihre Töchter nicht in die Fabrik, sondern in den Dienst (zu) schikken, weil frühere Dienstmädchen in der Ehe meistenteils wirtschaftlicher und fleißiger sind als Fabrikarbeiterinnen.« (vgl. hier S. 72) Die weitgehende Abkehr des ADF von den Arbeiterinneninteressen wird in dem selben Artikel ihnen selbst zur Last gelegt: sie hätten sich hartnäckig den Bemühungen entzogen, klagt Auguste Schmidt und lobt dagegen den Lern- und Arbeitseifer der Töchter und Frauen der Mittelschicht. Die Unangefochtenheit der Entweder-OderEntscheidung für Familie oder Beruf zu Lasten der einzelnen Frau als praktische Konsequenz der reduzierten Emanzipationsbestrebungen wird besonders evident an der Einmütigkeit, mit der in dieser Phase das Heiratsverbot für Lehrerinnen und Bahn-, Post- und Telegraphieangestellte von den Frauenvereinen akzeptiert wurde. »Wir können es immer nur als eine Ausnahme denken, daß die Frau Tag für Tag ihre Häuslichkeit, ihre Pflege der bedürftigen Kinder verläßt, um außer dem Hause einem Beruf nachzugehen, und dürfen dies am allerwenigsten als absolute Regel hinstellen. Kann, fragen wir, die verheiratete Lehrerin wohl mit ganzem Herzen in der Schule stehen, wenn sie ein hilfsbedürftiges, vielleicht ein krankes Kind zu Hause hat? Der unverheirateten Lehrerin dagegen, die nicht durch engste Familienbeziehungen gebunden, wird die Schule die eigentliche Heimat, ihre Zöglinge werden ihr Ersatz für das Glück, welches das Schicksal ihr nicht bestimmt hat, und im Umgang mit der frischen, aufblühenden Jugend wird ihr selbst die Frische bleiben, welche sie vor Verbitterung und Verknöcherung schützen wird, wenn die Zahl der Jahre auch schon eine höhere ist«. (Frauen-Anwalt, Nr. 4, 1870). Und Auguste Schmidt formuliert in den »Neuen Bahnen (Nr. 23, 1875) selbst gegen verheiratete Ärztinnen Bedenken. Diese Ersatzfunktion der Berufstätigkeit für die unverheiratete Frau führt dazu, die am Mutterbild orientierten Weiblichkeitspostulate auch auf den Arbeitsbereich zu übertragen. Mit der »geistigen Mütterlichkeit«[6] (Henriette Schrader-Breymann) ist ein Begriff gefunden für die Haltung, die Frauen im Prinzip zur Gesellschaft einnehmen sollten. Daß solche Frauen wie Hedwig Dohm in dieser Frauenbewegung keine Resonanz fanden, ist einsichtig. Sie beteiligt sich 1888 an der Gründung des »Deutschen Frauenverein Reform«, der sich gegen eine Erziehung zum spezifisch Weiblichen wandte und gleiche Schulausbildung für Mädchen und Jungen und freien Zugang der Frauen zum Universitätsstudium forderte. Hiermit und mit der Konstituierung der sozialdemokratischen Frauenbewegung unter Klara Zetkins Regie Anfang der 90er Jahre beginnt eine Phase der politischen Differenzierung in der Frauenbewegung. Danach ist die Rede von einer Frauenbewegung, die alle Frauen vereinige, zur Ideologie geworden. In dem Artikel »Die Frauenbewegung und die politischen Parteien« spricht Marie Hecht sich gegen einen Anschluß der Frauen an die politischen Parteien aus und hebt den Vorteil der Einheit hervor: die Frauenbewegung sei »eine Bewegung aller Frauen auf ein Ziel hin« (vgl. hier S. 69). Gleichzeitig schließt sie explizit - wie schon die Gründungsversammlung des »Bundes Deutscher Frauenvereine« 1894 - die Sozialdemokratinnen aus.