Die Bolschewiki glaubten, daß sie durch den Sturz des Kapitalismus in Übereinstimmung mit einem wissenschaftlichen Gesetz der Geschichte handelten. Aber sie waren sich gleichermaßen bewußt, daß es, abgesehen von generellen Prinzipien, keine Wissenschaft, nach der der Sozialismus aufgebaut werden sollte, noch vorgefaßte Gesetze der sozialistischen Wirtschaftsentwicklung gab. Nach Lenin war klar,
»daß sich die Umgestaltung historisch unvermeidlich auf der und der großen Linie vollziehen muß, daß das Privateigentum an den Produktionsmitteln von der Geschichte verurteilt ist, daß es untergehen wird, daß man die Ausbeuter unvermeidlich expropriieren wird. Das war mit wissenschaftlicher Genauigkeit festgestellt. Und das wußten wir, als wir das Banner des Sozialismus in unsre Hände nahmen, als wir uns für Sozialisten erklärten, als wir sozialistische Parteien gründeten, als wir uns um die Umgestaltung der Gesellschaft bemühten. Das wußten wir, als wir die Macht ergriffen, um die sozialistische Reorganisation in Angriff zu nehmen, aber weder die Formen der Umgestaltung noch das Tempo, in dem sich die Reorganisation konkret entwickeln würde, konnten uns bekannt sein. Nur die kollektive Erfahrung, nur die Erfahrung von Millionen können uns in dieser Hinsicht entscheidende Fingerzeige geben ...« (Rede auf dem I. Gesamtrussischen Kongreß der Volkswirtschaftsräte, 26.5.1918, LW 27, 406f.).
Obwohl es keine speziellen Szenarien dafür gab, wie beim Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft vorzugehen ist, nahmen führende bolschewistische Theoretiker trotzdem als selbstverständlich an, daß die ökonomischen Gesetze des Kapitalismus, sogar die politische Ökonomie als solche, nicht länger gelten würden. Für Bucharin war das axiomatisch:
»In der Tat, sobald wir eine organisierte gesellschaftliche Wirtschaft betrachten, verschwinden alle grundlegenden 'Probleme' der politischen Ökonomie: die Probleme des Wertes, des Preises, des Profits usw. Hier werden die 'Beziehungen zwischen Menschen' nicht ausgedrückt in 'Beziehungen zwischen Sachen' und die gesellschaftliche Wirtschaft wird nicht von den blinden Kräften des Marktes und der Konkurrenz reguliert, sondern von einem bewußt durchgeführten Plan. Deshalb kann hier ein gewisses System der Beschreibung einerseits und ein System der Normen andererseits Platz finden. Aber es bleibt kein Raum für eine Wissenschaft, die die 'blinden Gesetze' des Marktes studiert, denn der Markt selbst fehlt. Auf diese Weise bedeutet das Ende der auf kapitalistischer Warenproduktion beruhenden Gesellschaft auch das Ende der politischen Ökonomie.« (Bucharin 1970, 9f.)
Diese Formulierung aus einem 1920 in Moskau publizierten Buch schien nicht nur zu den vorgefaßten Meinungen über eine ideale sozialistische Zukunft, sondern auch in die Periode des Kriegskommunismus zu passen.
Der Wandel vom Kriegskommunismus zur NÖP brachte jedoch die Wiedereinführung von kapitalistischen Rohstoffmärkten mit sich, verbunden mit der Erkenntnis, daß wieder kapitalistische Ökonomiegesetze wirkten, wenn auch nur während der Rekonstruktionsphase einer durch einen verheerenden Bürgerkrieg ruinierten Wirtschaft und während der frühen Übergangsphasen zu einer geplanten Gesellschaft. Folglich diskutierte der einflußreiche Ökonom Preobrashensky in seiner Neuen Ökonomie das Bestehen eines Konflikts zwischen dem Wertgesetz und dem Planungselement und bemerkte gleichzeitig, daß das Wertgesetz, je weiter Rußland auf eine sozialistische Planung zuginge, verschwinden würde.
Generelle Thesen über die Rolle von ökonomischen Gesetzen und den Konflikt zwischen Markt und Planung waren jedoch keine große Hilfe, als die Zeit der konkreten Ausarbeitung — für die Wirtschaft als Ganzes und zum ersten Mal in der Geschichte — eines Systems sozialistischer Planung kam. Es überrascht kaum, daß es keine Einstimmigkeit über die Vorgehensweise gab. Unterschiede in der Beurteilung analytischer und organisatorischer Fragen vermischten sich mit Unterschieden der politischen Perspektive und der Klassen. Hieraus erwuchs eine ungewöhnlich lebhafte und offene Debatte unter sowjetischen Ökonomen, die sich durch den größten Teil der 20er Jahre dieses Jahrhunderts zog. Im allgemeinen tauchten zwei Typen theoretischer und praktischer Empfehlungen auf, die als der genetische und der teleologische Ansatz unterschieden wurden.
Die Genetiker betonten die Vorherrschaft von ökonomischen Gesetzen oder »Regelmäßigkeiten«. Effektive Planung, argumentierten sie, würde primär auf Vorhersagen des zukünftigen Kurses der der Ökonomie inhärenten objektiven Tendenzen angewiesen sein, die ihrerseits dem Grenzen setzen würden, was der Plan leisten könne. Die Ökonomen dieser »Schule« betonten die Rolle von Marktkräften, Rentabilität, knappen Ressourcen und die Notwendigkeit ausgewogenen Wachstums; sie waren sich besonders des Rückstands der Landwirtschaft bewußt. Die Teleologiker andererseits zogen es vor, ehrgeizige Ziele aufzustellen, da sie sich die Planung als ein überlegtes Programm vorstellten, um die ökonomische Struktur zu ändern und das Wachstum zu maximieren. Das Vertrauen der Genetiker in die ökonomischen Gesetze des Kapitalismus wurde zurückgewiesen; an Stelle der letzteren würde die Planung selbst zum »Gesetz« werden. Die Befürworter dieses Ansatzes maßen Landwirtschaft und Bauernschaft weniger Bedeutung bei, betonten statt dessen das Ziel der raschen Industrialisierung. Natürlich gaben sie die Existenz von Hindernissen zu, beharrten aber darauf, daß dies eher physische als Marktschranken seien.
Die Grenzen zwischen diesen beiden Ansätzen waren nicht immer sehr scharf. Die Notwendigkeit einer entschlossenen Lenkung der Ökonomie wurde von den Genetikern anerkannt, während die Teleologiker den Nutzen von Vorhersagen, basierend auf Verhaltensmustern der Ökonomie, begriffen. »Die Entscheidung«, erklärt Carr, »hing teilweise vom Charakter der Periode ab. Solange die Politik primär auf die Aufgabe der Genesung gerichtet war, auf eine Wiederherstellung eines in der Vergangenheit bereits erreichten Standes von Produktion und Effizienz, befriedigte der 'genetische' Ansatz die praktischen Anforderungen. Aber sobald die Periode der Genesung der Periode des neuen Fortschritts Platz machte, wurde es schwer, das Bedürfnis nach einer 'teleologischen' Planungskonzeption zu widerlegen.« (Carr 1952, 497)
Als sich die Bedingungen änderten, wurde eine Art Versöhnung zwischen den beiden Ansätzen erreicht. Aber das zählte nicht länger, da mit dem Voranschreiten der forcierten Industrialisierung eine offene Debatte durch die extremsten Formen der Repression beendet wurde, inklusive der physischen Eliminierung vieler, wenn nicht der meisten, der führenden Teilnehmer der früheren Debatten. Eine einzige Doktrin wurde amtlich. In den frühen Tagen theoretischer Standardisierung legte die akzeptierte Formel fest, daß die Gesetze der politischen Ökonomie nicht auf eine geplante Ökonomie zuträfen und daß das Wertgesetz nach und nach verschwinden würde. Aber mit der Zeit und der weiteren Verschanzung des Planungssystems wurde eine neue Version eingeführt, die eine Standardkomponente ökonomischer Lehrbücher in der Sowjetunion wurde und anschließend in anderen Ländern, die das sowjetische Modell übernahmen. Es stellt sich heraus, daß das Wertgesetz doch gilt, zumindest für den Konsumgütermarkt. Zusätzlich sind verschiedene Verallgemeinerungen in der Rubrik »ökonomische Gesetze des Sozalismus« enthalten: das konstante Wachstum der Produktion, planmäßige proportionale Entwicklung, Ökonomie der Arbeitszeit, Verteilung gemäß der Arbeitsleistung und vorrangiges Wachstum der Produktionsmittel gegenüber den Konsumgütern.
Die These, die wir hier aufstellen wollen, ist, daß diese Masse von sogenannten ökonomischen Gesetzen des Sozialismus nichts mit wissenschaftlicher Analyse zu tun hat und bestenfalls eine bloße Rationalisierung der existierenden Praxis ist. Unter dem Deckmantel von Gesetzen verbergen diese nichtssagenden Verallgemeinerungen unter anderem das Bestehen von Interessenkonflikten in den geplanten Gesellschaften, wie auch die Plausibilität von alternativen Planungsprinzipien. Durch die Vernebelung der wahren Probleme sind sie folglich Teil der Ideologie im Sinne falschen Bewußtseins. Aber bevor wir diese These weiter ausführen, wollen wir zuerst untersuchen, was mit den ökonomischen Gesetzen des Kapitalismus gemeint ist.
Wenn der Begriff »Gesetz« auf Naturerscheinungen angewendet wird, bezieht er sich auf eine Folge von Ereignissen, von denen beobachtet wurde, daß sie unter gleichen Bedingungen mit unveränderter Gleichförmigkeit auftreten. Offensichtlich kann der Begriff in den Sozialwissenschaften nicht die gleiche Bedeutung haben, da die Bedingungen nie gleich sind, noch eine Folge von Ereignissen durch kontrollierte Laborexperimente wiederholt werden kann. Daher lassen sich die Gesetze des Kapitalismus genauer als Tendenzen beschreiben. Doch obwohl sich Marx vollkommen bewußt ist, daß der Kapitalismus ein zum Wandel fähiger Organismus ist und daß die ihm zugrundeliegenden Tendenzen nur annähernd sein können, modifiziert durch eine Vielfalt historischer Entwicklungen, behauptet er nichtsdestoweniger, daß es das eigentliche Ziel des Kapital sei, »das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu enthüllen«. Wie approximativ diese Gesetze auch sein mögen, sie sind dem Wesen nach objektive Gesetze, unabhängig von den Zielen und Entscheidungen derer, die in der Ökonomie tätig sind. Diese Gesetze zeigen sich als eine blinde Elementargewalt, eine Naturnotwendigkeit.
Sofern die Bewegungsgesetze des Kapitalismus objektiv sind, so behauptete Marx, würde der Kurs der Entwicklung im damals industriell am weitesten fortgeschrittenen Land (England) schließlich auch im Fall der weniger industrialisierten Länder im wesentlichen zutreffen. Daher sagte | er im Vorwort zur ersten Auflage des Kapital voraus: »An und für sich handelt es sich nicht um den höheren oder niedrigeren Entwicklungsgrad der gesellschaftlichen Antagonismen, welche aus den Naturgesetzen der kapitalistischen Produktion entspringen. Es handelt sich um diese Gesetze selbst, um diese mit eherner Notwendigkeit wirkenden und sich durchsetzenden Tendenzen. Das industriell entwickeltere Land zeigt dem minder entwickelten nur das Bild der eignen Zukunft.« (MEW 23, 12) Und das geschah wirklich — aber nur in den Ländern, die sich als Kernländer des weltkapitalistischen Systems heraustellten.[1]
Aber warum diese Einheitlichkeit der Grundmuster in den Kernländern? Hier kommen wir zu dem, was für die ökonomischen Gesetze des Kapitalismus spezifisch ist — spezifisch in dem Sinn, daß wohl in keinem anderen gesellschaftlichen System die Hauptaspekte ökonomischer Operationen objektiven ökonomischen Gesetzen unterworfen sind. (Es ist zu beachten, daß wir uns hier nur auf ökonomische Gesetze beziehen.) Der Grund dafür ist in der besonderen Natur der kapitalistischen Produktionsweise verwurzelt, deren grundlegende Merkmale die verallgemeinerte Produktion und Zirkulation von Waren, ein universeller Markt und die Anarchie der Produktion sind. Unter diesen Bedingungen schafft die Konkurrenz zwischen Kapitaleinheiten gewisse Typen von Wirtschaftsverhalten, unabhängig vom Willen einzelner Kapitalisten (oder Kapitalgesellschaften). Gerade die Konkurrenz treibt die Selbtausdehnung des Kapitals voran und macht ständige Verbesserungen der Produktionsmittel notwendig, Fehlschläge bei der Erfüllung der Bedingungen setzen den Kapitalisten dem Risiko aus, sein Unternehmen zu verlieren. Das ist der Grund, warum Marx die Konkurrenz als den »wesentlichen Lokomotor der bürgerlichen Ökonomie« identifiziert und bemerkt: »Die Konkurrenz exequiert die innren Gesetze des Kapitals; macht sie zu Zwangsgesetzen dem einzelnen Kapital gegenüber, aber sie erfindet sie nicht.« (Marx, Grundrisse, 450 u. 638)
Hier ist nicht der Ort, um weiter auszuführen, wie die Konkurrenz funktioniert, noch um die Unterschiede zwischen Konkurrenz unter dem Monopolkapital und in früheren Stadien zu untersuchen. Aber man muß wissen, daß in allen Stadien kapitalistischer Entwicklung die Konkurrenz der entscheidende Faktor ist, um die Gesetze wirksam werden zu lassen. Das ist sicher so im Falle des Wertgesetzes, der Vervielfältigung, Zentralisation und Konzentration des Kapitals, der Schaffung einer relativen Überbevölkerung und der allgemeinen Tendenz der Akkumulation.
Offensichtlich gilt nichts von dem für sozialistische Gesellschaften mit Planwirtschaft. Märkte für Konsumgüter existieren weiter. Aber obwohl das Marktgeschehen Signale gibt, die die Überlegungen von Planungsinstanzen beeinflussen, ist es noch immer die Sache von Planern, die Hauptentscheidungen bei der Verteilung der Ressourcen und dem Akkumulationsprogamm zu treffen. (Jugoslawien macht momentan einige Ausnahmen. Eine Analyse dieses Modells bedarf jedoch einer gesonderten Behandlung.) Der entscheidende Punkt ist, daß es keine objektiven ökonomischen Kräfte gibt, die einen speziellen Kurs der wirtschaftlichen Entwicklung, unabhängig von den Zielen und Entscheidungen derer, die das System lenken, erzwingen. Was aber nicht heißen soll, daß es keine objektiven Faktoren gibt, die die Planungsmöglichkeiten eingrenzen. Aber diese betreffen hauptsächlich natürliche und technische Grenzen. Zusätzlich erlegen der Umfang und die Qualität der Arbeitskraft, die Versorgung mit Rohstoffen, Wasser, Energie, Transport, Kommunikationsmitteln u.a., dem, was produziert und verteilt werden kann, enge Beschränkungen auf. Diese hängen mit Produktionstechnologie, Infrastruktur, Bedürfnissen, Planungseffizienz und mit den Konsequenzen der früheren Investitionspolitik zusammen. Noch wichtiger ist, daß diese Hemmnisse nicht hinter dem Rücken der Entscheidungsträger existieren, wie es bei objektiven ökonomischen Gesetzen der Fall ist, sondern daß sie potentiell erkennbar sind und man sich bewußt mit ihnen befassen kann.
Zusätzlich zu den eben genannten Restriktionen sind auch ökonomische Beschränkungen vorhanden, z.B. Probleme mit der Kontrolle des Vorrats und der Verteilung von Geldmitteln, Krediten (auch ausländischer Zahlungsmittel). Störungen bei der Durchführung des Plans können entstehen, wo ausgedehnte Privatmärkte und/oder außergesetzliche ökonomische Operationen besonders einflußreich sind. Je mehr eine sozialistische Gesellschaft letztlich auf den Handel mit kapitalistischen Ländern angewiesen ist, desto stärker können die Gesetze der kapitalistischen Ökonomie übergreifen. Aber auch hier hängt es von der Entwicklungsstrategie der herrschenden Lenkungsinstanzen ab, wieviel Außenhandel (und Devisenschulden, um diesen Handel zu finanzieren) daran beteiligt ist.
Die Ansicht, daß objektive ökonomische Gesetze in einer sozialistischen Ökonomie fehlen, war in der Sowjetunion bis in die frühen 50er Jahre eine konventionelle Doktrin. Dieser Standpunkt wurde in Lapidus und Ostravitjanovs Politische Ökonomie vorgetragen, wo behauptet wurde, daß das Wertgesetz im Verschwinden sei und eine klare Unterscheidung zwischen dem spontanen Ablauf eines kapitalistischen Systems und der bewußten sozialistischen Planung getroffen wurde. Erstmals 1928 herausgegeben, wurde dieses Buch für viele Jahre der sowjetische Standardtext. (Es wurde anschließend in viele andere Sprachen übersetzt und als Lehrwerk kommunistischer Kreise in der ganzen Welt benutzt.) Die konventionelle Weisheit nahm nach 1951 eine Wendung um 180 Grad zu einer vollständig entgegengesetzten Theorie. 1952 wurde Stalins Broschüre Die ökonomischen Probleme des Sozialismus in der UdSSR herausgegeben. Dort erklärte er unter anderem, daß ökonomische Gesetze bei der Planung berücksichtigt werden müßten. Seitdem enthielt der offizielle Kanon immer eine Liste solcher Gesetze, und sie sind Standardbestandteüe der Ökonomie- und Planungslehrbücher der Sowjetunion und anderer sozialistischer Staaten geworden.
Wir können nur darüber spekulieren, was hinter dem Wechsel der Doktrin steht. Er kann mit der Transformation in der herrschenden Ideologie zusammenhängen — von der frühen Ansicht der UdSSR als einer Gesellschaft im Übergang zum Sozialismus bei entfesseltem Klassenkampf zur Nachkriegsvorstellung, daß sich ein voll erblühtes sozialistisches System mit harmonischen Klassen- und Sektorbeziehungen herausgebildet habe. Eine bestehende Gesellschaft braucht ihre Gesetze, um so besser, wenn sie etwas von unvermeidlichen Naturgesetzen an sich haben. So erklärte der Direktor des Instituts für sozialistische Weltwirtschaft der Akademie der Wissenschaften der UdSSR:
»In der Übergansphase vom Kapitalismus zum Sozialismus und in einer vollständig sozialistischen Gesellschaft, ist die Planung eine Form des ökonomischen Managements von Seiten des Staates, basierend auf dem Wissen und der Verwendung von objektiven sozialistischen ökonomischen Gesetzen, unabhängig von persönlichen Willensäußerungen oder Wünschen. Vorausgesetzt, daß man die nötigen materiellen Grundvoraussetzungen für eine geplante ökonomische Entwicklung hat, hängt die Effektivität jeder Planung davon ab, wie korrekt die Staatsorgane die Grundgesetze der Ökonomie anwenden.« (Sorokin 1967, 6)
Aber welches sind diese ausschlaggebenden Gesetze? Der folgende Überblick entüllt wohl eine Menge über die herrschende Ideologie eines Großteils, wenn nicht der Gesamtheit, der heutigen sozialistischen Welt.
I. Das ökonomische Grundgesetz des Sozialismus.
Dieses »Gesetz« ist ein Standardbestandteil von Lehrbüchern und wissenschaftlichen Publikationen in sozialistischen Ländern geworden. Hier ist ein typisches Beispiel:
»Das Motto der gesellschaftlichen Produktion ist, alles um der Menschen willen, zum Wohl der Menschen, zu produzieren. Dieses Hauptmerkmal der sozialistischen Produktion kommt wissenschaftlich im ökonomischen Grundgesetz der Ökonomie des Sozialismus zum Ausdruck. Sein Wesen ist, daß das unmittelbare Ziel der sozialistischen Produktion die immer vollere Befriedigung der ständig wachsenden materiellen und kulturellen Bedürfnisse aller Menschen durch die fortgesetzte Entwicklung und Verbesserung der gesellschaftlichen Produktion, auf der Grundlage der entwickeltsten Technologie, ist.« (Nikitin, 237)
Wie kann man das nur als ein ökonomisches Gesetz betrachten? Bestenfalls ist es eine politische Richtlinie, die eine Vielzahl von Interpretationen erlaubt. Wenn es ein »Grundgesetz« wäre, dann müßte es in allen Stadien des Wachstums und in allen Ländern gelten, die sich schließlich dem Sozialismus zuwenden. Aber diese Art politischer Richtlinie könnte für eine industrialisierte Gesellschaft, wo die Produktivkräfte schon hoch entwickelt und die Verschwendung menschlicher und natürlicher Ressourcen Haupthindernisse sind, bestürzend falsch sein. In industrialisierten Ländern dürfte das Ziel wohl eine rationalere Nutzung der menschlichen Leistung, Produktionskapazität und natürlicher Ressourcen sein. Es ist durchaus denkbar, daß sich die Massen, nachdem die grundlegenden Bedürfnisse befriedigt sind, für mehr Freizeit und bessere Möglichkeiten für individuelle Kreativität statt für »die Befriedigung der ständig wachsenden materiellen Bedürfnisse ... (und) die fortgesetzte Entwicklung und Verbesserung der gesellschaftlichen Produktion« entscheiden.
Eine endlose Expansion materieller Bedürfnisse der Konsumenten, stimuliert und ermutigt durch die soziale Umgebung und durch Geschäftsstrategien, ist genau das, wonach Kapitalisten streben, ein wesentlicher Bestandteil der kapitalistischen Kultur. Bürgerliche Ökonomen unterstützen das ideologisch, indem sie ihre Theorie auf die Annahme gründen, daß die Bedürfnisse der Konsumenten unersättlich seien und die Souveränität der Konsumenten allgemeine Geltung habe. Die Bedürfnisse der Konsumenten sind jedch in hohem Maße sozial beeinflußt, wie Paul Baran ausgeführt hat.
»Denn keineswegs sind alle Bedürfnisse aus dem Verlangen des Menschen nach Leben herzuleiten oder aus einer mythischen, in aller Ewigkeit unveränderlichen 'Natur'; diese Auffassung ist metaphysischer Obskurantismus, der allem historischen Wissen und aller Erfahrung ins Gesicht schlägt. In Wirklichkeit sind die Bedürfnisse der Menschen komplexe, historische Phänomene, die die dialektische Wechselwirkung zwischen ihren physiologischen Erfordernissen auf der einen Seite und der herrschenden sozialen und wirtschaftlichen Ordnung auf der anderen widerspiegeln. Von den physiologischen Erfordernissen kann manchmal um der Analyse willen abstrahiert werden, da sie relativ konstant sind. Und wenn diese Ausklammerung explizite geschieht und immer gegenwärtig bleibt, darf man (und muß man) menschliche Bedürfnisse legitim als 'künstlich' betrachten, d.h. als bestimmt durch die Art der wirtschaftlichen und sozialen Ordnung, unter der die Menschen leben.« (Baran 1966, 16)
Allerdings haben bislang soziale Revolutionen in Ländern stattgefunden, wo ein enormes Anwachsen der Produktivkräfte erforderlich war, um die grundlegendsten physiologischen Bedürfnisse der Bevölkerung, Essen, Kleidung, Unterkunft, ärztliche Versorgung etc. zu befriedigen. Zusätzlich mußte Sorge getragen werden, Kapazitäten für die Rüstungsproduktion zu schaffen. Da dem so ist, mußte eine verlängerte und intensivierte Industrialisierung und Modernisierung der Landwirtschaft höchste Priorität haben. Aber es ist eine ganz andere Sache, das, was in existierenden postrevolutionären Gesellschaften notwendig war und bleibt, auf die Ebene eines »Grundgesetzes« zu heben. Das dient nur zur Rechtfertigung laufender Praktiken und lenkt gleichzeitig von dem ab, worum es bei einer wirklich sozialistischen Gesellschaft hauptsächlich geht. Tatsache ist, daß die in den frühesten Stadien der Industrialisierung gefällten Planungsbeschlüsse eine Auswirkung auf die Zusammensetzung zukünftiger Konsumentenwünsche und -bedürfnisse haben. Stadtplanung, Auswahl der Technologie, Fabrikstandorte, welchen Konsumgütern bei expandierender Kapazität Vorrang gewährt wird — dies zusammen mit der politischen Struktur und Praxis, beeinflussen zwangsläufig die sozio-kulturelle Umwelt und die Art der Konsumentenbedürfnisse. Zudem wird der materielle Konsum langfristig sicherlich von der Erschöpfung nicht erneuerbarer natürlicher Ressourcen eingegrenzt, während kurzfristig auch die Begrenzung von natürlichen Ressourcen im Inland beachtet werden muß, wenn eine exzessive Abhängigkeit vom Außenhandel vermieden werden soll. Kurz gesagt, die Proklamation von der Erfüllung endlos ansteigender materieller Bedürfnisse der Konsumenten als das Grundgesetz des Sozialismus ist höchstens leere Propaganda und hat nichts mit wissenschaftlicher Analyse zu tun.
II. Das Gesetz der planmäßigen, proportionalen Entwicklung.
Dieses »Gesetz« enthält eine Reihe von Bestimmungen über die Aufrechterhaltung einer Balance zwischen interdependenten ökonomischen Sektoren, die Planer befolgen müssen: z.B. zwischen Landwirtschaft und Industrie; Output von Produktions- und Konsumgütern; Investitionen in verschiedenen Regionen; Verfügbarkeit gelernter Arbeiter, Ingenieure, Techniker etc. und Produktionskapazität; Rohstoffen, Zwischenprodukten und Enderzeugnissen. Alles in allem sind diese Vorschriften nichts weiter als Platitüden oder die offensichtlichsten pragmatischen Instruktionen für nationale Pläne. Wie eine Erklärung aus einem der Lehrbücher zeigt, sind die Arbeit, das Metall und die Maschinen, welche zur Produktion von Verbrennungsmotoren verbraucht wurden, vergeudet, wenn nicht gleichzeitig genug Benzin produziert wird, um die Autos, Traktoren und Flugzeuge mit Brennstoff zu versorgen. So unglaublich es klingt, das wird als eine Illustration der »objektiven Verbindung zwischen den Prozessen der ökonomischen Entwicklung, die, unabhängig vom menschlichen Willen, die planmäßige Festsetzung bestimmter Proportionen verlangt und im Gesetz der planmäßigen, proportionalen Entwicklung der nationalen Ökonomie zum Ausdruck kommt«, angeboten (Nikitin, 244f.).
In der Kategorie der Proportionalitäten ist jedoch eine Bestimmung enthalten, die einige Ähnlichkeit mit einem ökonomischen Gesetz aufweist. In der gesamten Literatur wiederholt sich die Bedingung, daß in einer sozialistischen Gesellschaft Abteilung I (die Produktion von Produktionsmitteln) schneller anwachsen muß als Abteilung II (die Produktion von Konsumgütern). In einem Essay von Maurice Dobb über dieses Prinzip, kommentiert er dessen historischen Hintergrund folgendermaßen:
»Es gibt vor allem zwei Gründe, warum dies eine besonders marxistische Vorstellung ist (zumindest in dem Sinn, daß es jemandem automatisch einfallt, der marxistische Kategorien gebraucht). Zunächst ist sie eine ziemlich offensichtliche Anwendung von Marx' berühmtem Zwei-Abteilungen-Schema des zweiten Bandes des Kapital. Zweitens hat Lenin im Verlauf seiner Kontroverse mit den Volkstümlern diese Ansicht weiterentwickelt, daß der Kapitalismus die Produktion von Produktionsmitteln schneller erweitert hat, als die von Konsumgütern: daß dies tatsächlich ein wesentlicher Teil der 'historischen Mission' des Kapitalismus gewesen ist — 'Produktion um der Produktion willen'. Wenn dies der Kapitalismus geleistet hat, folgte daraus sicherlich für jeden Marxisten, daß dies a fortiori das Ziel einer sozialistischen Ökonomie sein muß, besonders in der Lage, in welcher sich die Sowjetunion in den 20er Jahren befand.« (Dobb 1967, 108)
Der Schlüssel ist hier »die Lage, in welcher sich die Sowjetunion in den 20er Jahren befand«, überwiegend ein Agrarstaat, der mit einer schwachen und unterentwickelten industriellen Basis und mit der Zerstörungsgefahr durch aggressive kapitalistische Mächte zurechtkommen mußte. Tatsächlich konzentrierte sich die oben erwähnte Debatte in den 20er Jahren in erster Linie auf dieses Problem. Am Ende wurde die Entscheidung getroffen, hauptsächlich in die Expansion der Schwerindustrie zu investieren, in dem Glauben, daß dadurch ein ungewöhnlich schnelles Wachstum, langfristig ein höheres Konsumniveau und eine verläßlichere Selbstverteidigung gewährleistet würden. Ob man im Nachhinein sagen kann, daß dies die optimale Wahl war, ist hier nicht die Frage. Wichtig ist, daß es sich zum historischen Zeitpunkt um eine bewußte Entscheidung der herrschenden Gruppe des ersten Landes handelte, das eine sozialistische Gesellschaft aufbauen wollte. Die Anziehungskraft von Marx und Lenin mag den Entscheidungsträgern größeres Vertrauen in die von ihnen getroffene Wahl gegeben und ihnen geholfen haben, öffentliche Unterstützung für sie zu gewinnen. Aber was letzten Endes auf dem Spiel stand, war eine politische Entscheidung in einem spezifischen Kontext.
Die These, daß Abteilung I im Verhältnis zu Abteilung II in allen Stadien sozialistischer Entwicklung und in allen sozialistischen Ländern schneller anwachsen muß, ist eine Sache des Glaubens, nicht der Logik, und sicherlich kein objektives Gesetz. Der Aufbau einer starken industriellen Basis ist natürlich wesentlich, um die Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen und Unabhängigkeit zu erreichen. Aber genauso steht es mit der Expansion der landwirtschaftlichen Produktion. Es kann kein einheitliches Rezept für eine ideale Balance zwischen Landwirtschaft und Industrie und zwischen den zwei Abteilungen geben, denn viel hängt unter anderem von den vorherrschenden Bedingungen in Industrie und Landwirtschaft, vom relativen Umfang der Arbeitskraft (Überschuß oder Mangel), der Wahl der Technologie, die das Verhältnis Kapital/Produktion beeinflußt, und der Abhängigkeit vom Außenhandel ab.[2]
III. Das ökonomische Gesetz der Verteilung nach der Arbeitsleistung.
Diesem »Gesetz« liegt ein fundamentaler sozialistischer Lehrsatz zugrunde. Wenn die Distribution der Konsumgüter auf der geleisteten Arbeit basiert, dann ist das Kapitaleinkommen eliminiert. Aber es ist eine Menge mehr impliziert, denn das »Gesetz« gebietet, daß Facharbeitern, effizienteren Produzenten und mit schwererer Arbeit Beschäftigten (z.B. in der Stahlherstellung und im Kohlebergbau) eine höhere Bezahlung zugestanden wird. Da dies wie ein Widerspruch zum sozialistischen Ideal der Gleichheit erscheinen könnte, wird Marx um Unterstützung angerufen. In seiner Kritik des Gothaer Programms erklärt Marx:
»Womit wir es hier zu tun haben, ist eine kommunistische Gesellschaft, nicht wie sie sich auf ihrer eignen Grundlage entwickelt hat, sondern umgekehrt, wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgeht, also in jeder Beziehung, ökonomisch, sittlich, geistig, noch behaftet ist mit den Muttermalen der alten Gesellschaft, aus deren Schoß sie herkommt. Demgemäß erhält der einzelne Produzent — nach den Abzügen [um die verbrauchten Produktionsmittel zu ersetzen, um für die Expansion der Produktion und eine Versicherungsreserve im Falle von Unfällen zu sorgen; d.Verf.] — exakt zurück, was er ihr gibt. Was er ihr gegeben hat, ist sein individuelles Arbeitsquantum.« (MEW 19, 20)
Während Marx' Warnung seinem Streben nach Realismus entspringt, gehen die Ideologen viel weiter, indem sie die Praxis in ein absolutes Gesetz verwandeln. Sie gehen soweit, zu insistieren, daß gleiche Verteilung mit der ersten Phase des Kommunismus unvereinbar sei. Bei jedem Hindernis im Voranschreiten der Produktion schreien sie nach noch größeren Lohnunterschieden als Produktivitätsansporn. Wenn jedoch Marx der Anhaltspunkt ist, sollten auch seine zusätzlichen Beobachtungen beachtet werden. Er proklamiert ein Endziel gleicher Verteilung
»in einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch ihre Produktivkräfte gewachsen sind und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen« (ebd., 21).
Selbstverständlich ist dieses Ideal noch sehr weit entfernt. Aber wenn ihm je entsprochen werden soll, wird das nicht von heute auf morgen geschehen können. Die höhere Phase des Kommunismus kann nicht an einem bestimmten Tag eingeleitet werden. Wenn die knechtende Arbeitsteilung je abgeschafft werden soll, wenn der Gegensatz zwischen geistiger und körperlicher Arbeit je überwunden werden soll, wenn die Arbeit selbst zu einem Lebensbedürfnis werden soll, dann kann das nur in einem evolutionären Prozeß passieren, wie langsam dieser Fortschritt vielleicht auch sein muß. Wenn andererseits die Verteilung nach der Arbeitsleistung und die anderen Charakteristika des Produktionssystems, die mit der Durchführung dieser Regel einhergehen, ein unveränderliches Gebot bleiben, kann der Evolutionsprozeß nie beginnen. Der für das Fortdauern der Ungleichheit angegebene Grund ist die praktische Unmöglichkeit, das kapitalistische Erbe zu ignorieren. Aber in dem Maße, wie sich die Praxis der Lohnunterschiede (und die Distribution von Gütern und Dienstleistungen über nichtmonetäre Mittel an die privilegierte Elite) in der Wirklichkeit existierender sozialistischer Gesellschaften festsetzt, unterstützt durch die Behauptung, dies geschähe in Übereinstimmung mit einem objektiven Gesetz, werden die ökonomische Moral und intellektuelle Aspekte des kapitalistischen Erbes verstärkt und ständig reproduziert.
IV. Das Wertgesetz.
Die Betonung der Geltung des Wertgesetzes trotz des Sturzes des Kapitalismus impliziert, daß die Warenproduktion in den geplanten postrevolutionären Gesellschaften fortbestehen muß. Das wird einfach und klar vom Direktor des Instituts für Ökonomie an der ungarischen Akademie der Wissenschaften formuliert:
»Das Wertgesetz ist ein Gesetz mehrerer sozioökonomischer Formationen, es herrscht in einem engeren oder weiteren Rahmen in jeder Gesellschaft vor, wo die Warenproduktion eine kleinere oder größere Rolle spielt. Es bringt die objektive Tendenz des Austausches der Waren gegeneinander, im Verhältnis zum Maß der für ihre Produktion gesellschaftlich notwendigen Arbeit, zum Ausdruck, so daß ihre relativen Preise sich dementsprechend bewegen.« (Friss 1971, 28)
Marx lenkt die Aufmerksamkeit auf das Bedürfnis in jeder Gesellschaft, daß die gesellschaftliche Arbeit in bestimmten Proportionen verteilt werden soll, aber er fügt schnell hinzu, daß die Weise, wie dies geschieht, von der Gesellschaftsformation abhängt. Folglich regelt das Wertgesetz die Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit und ihrer Reproduktion, wenn die Produktionsmittel in Privatbesitz sind und die Verknüpfung mit der gesellschaftlichen Arbeit durch privaten Austausch der Arbeitsprodukte erzielt wird. Am wichtigsten dabei ist, daß das Gesetz nicht als eine objektive Tendenz operiert, etwa weil es ein Naturgesetz wäre, sondern wegen der Disziplin des Marktes. Wenn letztere nicht mehr herrscht, verliert das Wertgesetz seine Relevanz. Zum Beispiel, wenn die Waren weiterhin gemäß der in ihnen enthaltenen gesellschaftlich notwendigen Arbeit ausgetauscht werden, woher weiß man dann, wieviel Arbeit gesellschaftlich notwendig ist und wieviel unnötig? Im Kapitalismus wird dies durch die Marktkonkurrenz bestimmt. Aber kein solcher Mechanismus oder ein sinnvoller Ersatz dafür ist in einer geplanten Gesellschaft verfügbar. Mehr noch, wenn gesellschaftliche Ziele wirtschaftliches Verhalten dominieren sollen, muß (oder sollte) der Gebrauchswert in einer Weise in die Austauschbeziehungen eintreten, die deutlich von den Operationen der privaten Austauschwirtschaft unterschieden ist.
Es gibt sicher eine Menge praktischer Probleme bei der Preisbildung in einer geplanten Ökonomie. Es ist klar, daß der Plan nicht jeden Aspekt der Ökonomie regeln kann. Die Erfahrung mit der arbiträren Preisbildung hat gezeigt, daß sie zu Verschwendung, Engpässen und anderen Hindernissen für eine effektive Nutzung der Ressourcen führt. Gleichzeitig gibt es keine einfache Vorkehrung, die automatisch eine geeignete Serie relationaler Preise liefert. Das Wertgesetz wird dieses Kunststück bei Abwesenheit der Marktdisziplin nicht vollführen. Andererseits endet die Zuflucht zur Marktdisziplin mit dem Aufgeben oder der Kürzung solcher sozialer Ziele wie Vollbeschäftigung und Befriedigung der Grundbedürfnisse des Volkes. Alles, was die Etablierung des Wertgesetzes als objektive Determinante der Warenpreise im Sozialismus erreicht, ist, die wesentlichen und praktischen Fragen unter den Tisch zu kehren, was im Endeffekt die Tilgung von Widersprüchen in der Preispolitik impliziert.
Man kann sagen, daß die Akademiker, die die Bücher schreiben, weit von den konkreten Operationen der Ökonomie entfernt sind und daß die für die reale Welt Verantwortlichen es besser wissen. Trotzdem sind die offiziellen Doktrinen, für die in Lehrbüchern und Planungsstudien endlos Partei ergriffen wird, nicht weniger bedeutend, insofern sie die herrschende Ideologie repräsentieren. Ironischerweise zeigen zwei zusammenhängende Merkmale im Herzen der offiziellen Ideologie eine erstaunliche Ähnlichkeit zu denen der modernen bürgerlichen Ökonomie: Die Trennung der Ökonomie von der Politik und die Annahme einer fundamentalen Harmonie der Interessen zwischen allen Klassen und Bereichen der Gesellschaft.[3]
Wenn die Ökonomen in den sozialistischen Ländern das Banner der objektiven Gesetze, die unabhängig vom Willen der Individuen sind, erheben, sagen sie im Endeffekt, was in der Ökonomie passiere, sei im Grunde das, was sein muß. Da die ökonomischen Gesetze keiner Veränderung unterliegen, befinden sie sich außerhalb des Bereichs der Politik. Die politische Komponente der politischen Ökonomie wird damit zu der Aufgabe degradiert, das Volk dazu zu mobilisieren, die Pläne auszuführen, die in Übereinstimmung mit den objektiven ökonomischen Gesetzen entworfen wurden.
Die Politik würde natürlich weniger wichtig werden, wenn es wirklich eine Harmonie der Interessen zwischen allen Gruppen der Bevölkerung gäbe. Aber eine solche Harmonie ist sicherlich eine Illusion, wenn die Produktionskapazität nicht hinreicht, um auch nur annähernd eine gleiche Distribution der Güter und Dienstleistungen zu ermöglichen. Solange dies der Fall ist, muß die Politik, die entscheidet, was wer bekommt, ein essentieller Faktor beim Entwurf des Plans sein. Entscheidungen über die Trennungslinie zwischen Investition und Konsum, individuellem und gemeinsamem Konsum, die Arten von Konsumgütern, denen Priorität gegeben wird, der Standort von Produktions- und Transporteinrichtungen und viele andere ökonomische Angelegenheiten — sie alle werden auf die eine oder andere Weise eine Gruppe mehr als andere bevorteilen. Die Annahme einer Harmonie der Interessen unter der Leitung von objektiven ökonomischen Gesetzen des Sozialismus kommt einer Verleugnung dieser Realität gleich. Es ist gleichzeitig eine Verleugnung realer Politik und sub-stanzieller Demokratie — einer Demokratie, die basiert auf der Wahrnehmung realer und potentieller Interessenskonflikte, offener Debatte und einer Praxis, die eine aktive Beteiligung der Massen an größeren politischen Entscheidungen sicherstellt.
Aus dem Amerikanischen von Anke Bartels