Die Heldinnen der Revolution von 1848

George Sand, Jeanne Deroin, Pauline Roland und Suzanne Voilquin

Die Veränderung einer geschichtlichen Epoche läßt
sich immer aus dem Verhältnis des Fortschritts
der Frauen zur Freiheit bestimmen, weil hier
im Verhältnis des Weibes zum Mann,
des Schwachen zum Starken,
der Sieg der menschlichen Natur über die
Brutalität am evidentesten erscheint.
Der Grad der weiblichen Emanzipation ist
das natürliche Maß der allgemeinen Emanzipation.
Charles Fourier

George Sand, umstrittene Schriftstellerin

Amandine-Lucie-Aurore Dupin, bekannt geworden unter ihrem Künstlernamen George Sand,[1] war wohl neben Madame de Stael im 19. Jahrhundert die berühmteste Frau in Frankreich, und dies dank ihrer Romane, ihrer Liebschaften und ihrer Rolle als für die Rechte der Frauen, die Demokratie und den Sozialismus engagierte Persönlichkeit. Nachdem ihr Werk lange Zeit in Vergessenheit geraten war (in den meisten Handbüchern wurde es mit ein paar Zeilen abgetan), wird es zunehmend wiederveröffentlicht und auch anerkannt.[2] Ihre Bedeutung als Romanschriftstellerin war und bleibt jedoch Anlaß ständiger Kontroversen. Besonders brutal schmähte sie ihr Zeitgenosse Charles Baudelaire, der über sie schrieb:

  • "Diese Frau Sand ist der Proudhon der Unmoral. Sie war immer eine Moralistin, nur daß sie vorher antimoralisch handelte. Deshalb war sie nie eine Künstlerin. Sie hat den berühmten glatten Stil, den die Bourgeois so mögen. Sie ist albern, schwerfällig, geschwätzig; in ihren moralischen Vorstellungen hat sie die gleiche Tiefe des Urteils und die gleiche Feinheit des Gefühls wie die Hausmeister und die ausgehaltenen Frauen. Was sie über ihre Mutter sagt... Was sie über die Poesie sagt... Ihre Liebe zu den Arbeitern... Daß sich einige Männer kopflos in diese Latrine verlieben konnten, ist ein guter Beweis für die Verkommenheit der Männer dieses Jahrhunderts."[3]

Ganz anders sprachen Balzac ("Sie ist großzügig, gütig... Sie hat ein großartiges Herz und eine schöne Seele, aber dies ist die Seele einer Frau, nicht die eines Mannes, wie sie es zu glauben versucht..."), Dostojewski, Proust und ihre Prosa atmet immer Güte und moralische Bestimmtheit") über sie, und auch der große Gustave Flaubert, der sagte: "Sie wird immer ein Ruhmesblatt Frankreichs sein, und ihre Herrlichkeit wird niemals ihresgleichen finden." Mit mehr Ausgewogenheit und Vorsicht spricht ihr Blograph, der Konservative André Maurois über sie und über einige ihrer Romane, die sie geschrieben hat, "um die Rechnungen ihres Bäckers zu bezahlen" und die nur von geringem Wert sind. Doch "öffnet die Histoire de ma vie (Geschichte meines Lebens), die Correspondence, die Lettres dun Voyageur (Briefe eines Reisenden), das journal intime. Dort kommt sie den Besten gleich."
Wenn es darum geht, ihren Beitrag zum Feminismus und Sozialismus zu bewerten, fällt die Diskussion nicht so kontrovers aus. Als engagierte Frau war George Sand das, was man später im besten Sinne eine "Weggefährtin" nennen sollte. Ihr Feminismus war ziemlich moderat vergleichen wir ihn etwa mit den Haltungen einer Flora Tristan oder eines Fourier, denen sie rundheraus ihre Unterstützung verweigerte - obgleich sie einen weit größeren Einfluß ausüben konnte als andere Feministinnen ihrer Zeit,[4] so daß sie sogar so etwas wie die Personifizierung der emanzipierten Frau wurde. Auf politischem Gebiet beeinflußte sie die Ereignisse von 1848, in denen sie einen ziemlich bedeutsame Rolle spielte.

Christin und Jakobinerin

George Sand wurde 1804 in Paris geboren, doch zeitlebens stand sie in enger Beziehung zum Gut ihrer Familie in Nohant (Berry). Ihr Vater war ein Adliger und konnte in seinem Stammbaum nicht nur auf Ludwig XVIII. und Karl X., sondern auch die Sachsen-Dynastie als entfernte Verwandte verweisen. Aber trotz seiner Abstammung sympathisierte Herr Dupin mit der Großen Revolution. Ihre Mutter Antoinette-Sophie Victoire Delaborde war eine Bürgerliche aus Paris, die an den revolutionären Ereignissen teilgenommen hatte. "Das Blut der Könige war also in meinen Adern mit dem Blut der Armen und Geringen vermischt." (Histoire de ma vie). Nachdem der Vater schon 1808 verstorben war, stimmte ihre Mutter zu, daß das Mädchen von der Großmutter erzogen wurde. Mit dreizehn Jahren trat sie in das Kloster der Englischen Augustinerinnen in Paris ein. Sie verließ das Ordenshaus gut zwei Jahre später als überzeugte Christin, ohne daß dies allerdings ihren jakobinischen Neigungen Abbruch getan hätte. Im Gegensatz zu vielen anderen konnte sie darin keinerlei Ungereimtheit sehen, denn für sie war "Christus der erste Kommunist" gewesen.
1820 kehrte sie nach Nohant zurück und wurde dort aufgrund ihrer Lebensweise bald bekannt und berüchtigt. Sie trat in Männerkleidern auf, ritt zu Pferde und rauchte Havanna Zigarren usw. Oft wurde von ihr ein verzerrtes und ins Lächerliche gezogenes Bild verbreitet, welches sie ihr ganzes Leben begleitete und die gute Gesellschaft und auch einige ihrer konservativen Freunde wie Balzac nach Kräften sich entrüsten ließ. Ihre freche Aufsässigkeit, ihre Art, die berühmtesten Männer ihrer Zeit zu duzen, gebar den "Georgesandismus", ein Begriff, unter den lange Zeit die Frauen der Avantgarde subsumiert wurden.[5] Zwei Jahre nach ihrer Rückkehr, mit achtzehn Jahren, ging sie eine Ehe mit dem Adligen und Offizier Dudevant ein, von dem sie sich 1831 trennte. Aurore konnte es nicht ertragen, sich einem mittelmäßigen Mann, einem Trinker und Schürzenjäger unterordnen zu müssen, genausowenig wie sie die Konventionen ihrer Zeit akzeptierte. Sie zögerte nicht, sich ihrerseits einen Liebhaber zu erobern und ein aktives Leben als freie Frau ohne Vorurteile zu beginnen. Sie war nicht damit einverstanden, daß zwei verschiedene Maßstäbe gelten sollten, einer für den Mann, den Ehegatten, der ungestraft alles tun konnte, was ihm beliebte und ein anderer für die Frau, die dies alles zu ertragen hatte. Einige Jahre später sagte sie über die Frauen:

  • "...man mißhandelt sie; man wirft ihnen die Idiotie vor, zu der man sie verurteilt; man verachtet ihre Ungebildetheit, in der ehelichen Beziehung ebenso wie gegenüber Bediensteten. Man liebt sie nicht, man benützt sie, man beutet sie aus und man hofft, sie so dem Gesetz der Treue zu unterwerfen."

Denjenigen, die sich auf die christlichen Gebote beriefen, um sie zu kritisieren, trat sie entgegen, indem sie die Kriterien der Kirche umdrehte: Für sie bestand die wirkliche Sünde im Mangel an Liebe und Aufrichtigkeit und sie war fest davon überzeugt, daß sich ihr Herz nicht irren konnte.
Ihre überaus produktive literarische Karriere begann Aurore Dupin in den ersten Jahren ihrer Ehe, aus ihrem Charakter eigenen Bedürfnissen heraus. Ende 1829 schrieb sie La marraine (Die Patin), doch dieses Buch wurde erst posthum veröffentlicht. Dann begann sie die Arbeit an Le Figaro und veröffentlichte in Zusammenarbeit mit ihrem Geliebten Jules Sandeau eine Erzählung und einen Roman (Rose et Blanche). Berühmt wurde sie mit dem 1832 veröffentlichten Roman Indiana, der ihr zahlreiche positive Kritiken eintrug. Ein Jahr später erschien Lélia, der einen Skandal auslöste, weil er eine Frau darstellte, deren "Leidenschaften verdrängt, oder, wenn man so will, von den Gesetzen unterdrückt" wurden. George Sand wurde wegen ihrer "Exzesse" und ihrer "unbesonnenen Angriffe auf die Institution der Ehe" gescholten, denn in ihrem Roman erscheinen die Liebe und die Normen der Zivilisation als sich ausschließende Elemente. Einige Jahre nach seiner Erstveröffentlichung schrieb sie in einem neuen Vorwort, welches die Angriffe gegen den Roman abbiegen sollte, bei der Abfassung des Romans habe folgendes aus ihr gesprochen:

  • "... ein Instinkt von starker Unzufriedenheit und von Vorwürfen, den Gott mir eingegeben hatte. Gott schafft niemals etwas Nutzloses, nicht einmal die unbedeutendsten Wesen, und er mischt sich ebenso in die kleinsten wie in die größten Streitfragen ein. Aber war denn die Sache, die ich vertrat, wirklich so unbedeutend? Es ist die Sache der Hälfte des Menschengeschlechts, ja eigentlich des ganzen Menschengeschlechts, denn das Unglück der Frau ist auch das des Mannes, denn das des Sklaven ist auch das des Herrn, wie ich in Lélia zu zeigen versucht habe. (...) Wer ohne falsche Hintergedanken gelesen hat, wird verstehen, daß ich Lélia mit einem in der Tat nicht vom Verstand bestimmten, aber tiefen und legitimen Gefühl für die Ungerechtigkeit und die Barbarei der Gesetze, die immer noch die Existenz der Frau in der Ehe, in der Familie und in der Gesellschaft beherrschen, geschrieben habe. Ich beanspruchte nicht, eine rechtswissenschaftliche Abhandlung zu schreiben, sondern gegen die entsprechenden Vorurteile zu kämpfen, denn diese Vorurteile sind es, die den sozialen Fortschritt verzögern. Der Krieg wird lang und hart sein, aber ich bin weder die erste noch die letzte Kämpferin für eine gute Sache und ich werde sie bis zum letzten Atemzug verteidigen."

Die Geschichte Lélias ist die einer immer unbefriedigten Frau, die kein Liebhaber zufriedenstellen kann. Zu Beginn des Buches fragt sich die Protagonistin: "Wer bist du? Und warum richtet deine Liebe soviel Schaden an? Muß es in dir irgendein den Menschen unbekanntes Geheimnis geben? Es handelt sich darum, daß ich die seelische Liebe anregen und schenken kann, aber die andere (die körperliche) ist nicht für mich geschaffen worden; oder besser, ich bin nicht geschaffen, um sie zu erfahren." Sie vergleicht sich mit einem Stein und leidet unter dem Umstand, der es ihr nicht erlaubt, sich wohl zu fühlen. Einige Literaturhistoriker - Maurois etwa sieht in Lélia eine Parallele zum "Leben der George Sand" - haben in diesem Werk den Schlüssel zum überreichen Liebesleben seiner Autorin zu finden geglaubt, obwohl die Ansichten ihrer Liebhaber durchaus widerspruchsvoll sind: Für die einen war sie eine kalte, für die anderen eine feurige Frau. Manche wollten in George Sand die Nymphomanin, andere die Lesbierin erkennen.

Eine moderate Feministin

Während George Sand in ihren sozialistischen Anschauungen ziemlich stark von den verschiedenen Männern, mit denen sie verkehrte und den Strömungen der Linken ihrer Zeit beeinflußt war, erscheint ihr Feminismus als eine viel persönlichere Angelegenheit, als eine Einstellung, die sich mehr aus ihrer besonderen Erfahrung ergab, obwohl zweifelsfrei feststeht, daß sie von den feministischen Ideen der Anhänger Saint-Simons und Fouriers nicht unberührt geblieben war. Mit letzteren insbesondere war sie über Pierre Leroux recht eng verbunden.
Obwohl sie hinsichtlich der Rechte des Individuums - die man ihr mehr streitig machte - unnachgiebig war, ist ihre gemäßigte Einstellung offensichtlich, wenn sie behauptet, öffentliche Ämter seien unvereinbar mit Mutterschaft. Sie glaubte, daß die Frauen eine ähnliche Erziehung wie die Männer bekommen sollten, aber sie vertraute darauf, daß das "weibliche Herz weiterhin die Heimstatt der Liebe, der Selbstlosigkeit, der Geduld und der Barmherzigkeit" sein würde. Ihr christlicher Traditionalismus führte sie zur Aussage, es sei die Frau, die "inmitten von schweren Leiden den christlichen Geist der Nächstenliebe retten muß. Sehr unglücklich wäre eine Welt, in der die Frau diese Rolle nicht mehr spielte." Mary Wollstonecraft dachte schon zu ihrer Zeit, es ginge in der Frauenfrage um Gerechtigkeit und nicht um Nächstenliebe. George Sands Positionen sind erheblich glanzvoller, wenn es um Liebe und Ehe geht, für die sie keinen anderen Ausweg sieht, als "die ganze Gesellschaft umzustürzen, um sie wieder ganz neu zu gestalten. Diese Gesellschaft, die sie umwandeln will, steckt voller Ungerechtigkeiten und die größte unter ihnen ist ihrer Ansicht nach die Knechtung der Frau:

  • "Ich kann niemandem raten, eine Ehe zu schließen, die nach dem bürgerlichen Recht sanktioniert wird, das weiterhin Abhängigkeit, Minderwertigkeit und gesellschaftliche Nichtigkeit der Frauen verfügt. Seit zehn Jahren habe ich über diese Sache nachgedacht und nachdem ich mich gefragt hatte, warum alle Liebesbeziehungen dieser Welt, ob sie von der Gesellschaft legitimiert waren oder nicht, mehr oder weniger unglücklich endeten, welche Qualitäten und Tugenden die Seelen auch immer hatten, kam ich zu der Überzeugung, daß die perfekte Treue oder die ideale Liebe der Ungleichheit, Unterordnung und Abhängigkeit eines Geschlechts vom anderen unterworfen waren. Sei es nun durch das Gesetz oder die allgemein anerkannte Moral oder wegen der Meinungen oder Vorurteile - Tatsache ist, die Frau wird, sobald sie sich einem Mann hingibt, entweder versklavt oder schuldig." (Brief an Marie-Sophie Leroyer de Chantepie, 1842)

Auf ihre Art und mit den Möglichkeiten, die der wachsende Ruhm ihr bot, führte George Sand einen individuellen Kampf für die Abschaffung aller Gesetze, die einseitig die Frau als Ehebrecherin straften, und plädierte für völlige Freiheit in den Beziehungen zwischen den Geschlechtern. Diese Freiheit realisierte sie mit einer für ihre Epoche absolut unüblichen Kühnheit. "Sie gebraucht ihre Geliebten, als ob es Kreidestücke wären, (...) kritzelt auf der Tafel ihres Lebens, und wenn sie von ihnen genug hat, zermahlt sie die Kreide unter ihren Füßen", sagte bei gegebenem Anlaß grollend ihre scharfzüngige Freundin, die Gräfin Marie d'Agoult, auch sie eine Geliebte von Liszt und Chopin.[6]
Einer ihrer weniger bekannten Liebhaber, der brillante und radikale Rechtsanwalt Michel de Bourges, trug wohl am meisten dazu bei, ihr die Notwendigkeit sozialen Engagementes zu verdeutlichen. In ihren Memoiren schrieb sie, er habe sie gelehrt, daß "die metaphysische Wahrheit und die soziale Wahrheit zwei untrennbare Wahrheiten sind und sich gegenseitig ergänzen müssen... Vom ersten Tag an gehörten wir einander in unserer Gedankenwelt." Doch auch schon zuvor war Aurore Dupin politisch nicht abstinent gewesen. Sie gehörte nicht zu den Personen, die "die Ungerechtigkeit mit heiterem Gesicht hinnehmen". Nach dem Ende ihrer Beziehung zu Michel freundete sie sich mit Pierre Leroux an, einem Mann von ziemlich einzigartiger Persönlichkeit - für Engels ein Dummkopf, für Heine ein Genie, die Wahrheit dürfte irgendwo in der Mitte liegen - dem es unter anderem gelang, einige der wichtigsten Persönlichkeiten der französischen Kultur jener Zeit, etwa Sainte-Beuve, Victor Hugo, Eugéne Sue und eben George Sand an die sozialistischen Ideen heranzuführen. In ihren Memoiren sollte sie sich mit Zuneigung an ihn erinnern:

  • "Wenn ich einen Tropfen Tugend in den Adern habe, verdanke ich es ihm, nachdem ich ihn und sein Werk studieren konnte... Die Philosophie von Leroux ist das einzige, was klar ist wie der Tag und von Herzen spricht wie das Evangelium. Ich versenkte mich in sie und sie verwandelte mich. In ihr fand ich die Ruhe, die Kraft, den Glauben und die Hoffnung."

Auch der christliche Sozialist Lamennais, der berühmte Autor der Worte eines Gläubigen (Paroles dun croyant, 1834), eines Werkes, in dem eine Art Heiligsprechung der Revolution erfolgt, übte starken Einfluß auf sie aus. Obwohl sie mit ihm in der Frauenfrage grundlegende Meinungsverschiedenheiten hatte - denn der glühende Reformator war ein ziemlicher Frauenhasser - konnte sie ihn schließlich soweit überzeugen, daß er eines ihrer Werke, die Briefe an Marcie, in seiner Zeitung Le Monde abdruckte (1837). Ihre Beziehungen zu sozialistischen und Arbeiter-Führern entwickelten sich vor allem seit Beginn der vierziger Jahre.

Im Strudel der Revolution

Ein anderes wichtiges Kapitel der Beziehungen von George Sand zur aufkeimenden sozialistischen Bewegung war ihre unterstützende und bemutternde Hilfe für die sogenannten Arbeiterdichter, in erster Linie für Magu, ein Weber, Reboul, ein Bäcker, Gilland, ein Schmied, Jasmin, ein Friseur und besonders für Charles Poncy, ein Maurer aus Toulon. Sie widmete ihnen die Dialogues familiers sur la poiste des prolétaires, die sie 1842 in der von ihr mitbegründeten Zeitschrift Revue indépendente veröffentlichte. Keiner von ihnen überschritt ein mittelmäßiges Niveau und unter ihnen befanden sich keine
Führer der Bewegung, aber auf ihre Art drückten sie das tiefe Streben einer aufstrebenden Arbeiterklasse nach kultureller Entwicklung und Identität aus. Ihre Kraft sollte sich schon binnen weniger Jahre zeigen.
Einige dieser Dichter dienten Sand als Vorbild für Figuren einiger ihrer Gesellschaftsromane, von La mare au diable (Das Teufelsmoor) bis Les maitres sonneurs, in denen sie die Würde der Handwerker dem Müßiggang und der Niedertracht der herrschenden Klasse gegenüberstellte. (Hier nicht unähnlich den Werken ihres Freundes Balzac, wenn auch mit anderer Grundhaltung.) Über den Schreiner Pierre Huguenin, den Helden von Le Compagnon du Tour de France (1840) sagte sie, er sei von der "gleichen Art wie der Zimmermann von Nazareth." Alle diese Romane wurden in den Gesellenvereinen der Handwerker und in Arbeiterzirkeln sehr geschätzt. Sie sahen in ihnen literarische Unterstützung für ihren Kampf um die Verbesserung der sozialen Lage, obwohl keiner dieser Romane den besten Leistungen ihrer Autorin zugerechnet werden kann. Im übrigen entfernten sich fast alle diese Dichter - schon Flora Tristan erlebte einige Enttäuschungen mit ihnen von ihren sozialen Ursprüngen und einigen gelang es sogar, in den Schoß der Bourgeoisie zu schlüpfen. Der bekannteste Fall ist jener von Charles Poncy, der teilweise mit Unterstützung von George zum Unternehmer, Spekulanten und Sekretär der Handelskammer von Toulon aufstieg.
Als im Februar 1848 in Paris die Revolution ausbrach, befand sich George etwas abseits der Kreise der Linken. Doch schon bald widmete sie sich gleich ihrem Sohn, der Bürgermeister von Nohant-Vicq geworden war, voll und ganz der revolutionären Tätigkeit. George haßte den "Bürgerkönig", denn als Demokratin war ihr die Monarchie, für sie die Negation der Freiheit des Volkes, zuwider. Sie verabscheute aber auch die Bourgeois, die sie für verkommen hielt und sie machte sich auch keine Illusionen über die Vertreter der politischen Mitte, obwohl sie zwischen ihnen und den Vertretern der radikalen Linken schwankte, die wie Blanqui der herrschenden Unzufriedenheit durch Aufrufe zur Vollendung der Revolution und Entmachtung der Bourgeoisie Ausdruck gaben. Ihre Radikalisierung entwickelte sich mit der Zeit; im ersten Augenblick war sie ziemlich begeistert vom anfänglich herrschenden Klima der Versöhnung:

  • "Es war schön, einfach und bewegend, vierhunderttausend Personen versammelt von der Madeleine bis zu den Julius-Säulen; nicht ein Gendarm, nicht ein Wachmann, und dennoch soviel Ordnung, Anstand, innere Sammlung und gegenseitige Höflichkeit, so daß es keinen gequetschten Fuß und keinen verbeulten Hut gab. Es war wundervoll. Das Volk von Paris ist das erste Volk der Welt."

Im Verlauf des Klassenkampfes entdeckte die Bourgeoisie zwei entscheidende Dinge: daß die Revolution über den Rahmen ihrer Interessen hinausgehen konnte und daß bestimmte Forderungen (vor allem die wirtschaftlichen und die ihre Macht gefährdenden politischen) zu einem Bruch führen konnten, der dann auch nicht lange auf sich warten ließ. Die Arbeiterklasse wollte das Recht auf Arbeit nur im Prinzip festgehalten wissen und als die provisorische Regierung um ihr Vertrauen anhielt, sagte ein gewisser Marché in ihrem Namen: "Wir werden (der Republik) bei der Verteidigung gegen ihre Feinde helfen. Das Volk wird warten. Es stellt drei Hungermonate in den Dienst der Republik." Dieses Vertrauen sollte bitter enttäuscht werden.
Die Entwicklung der Organisationen der Arbeiterbewegung, das "Gespenst des Kommunismus", schufen in den wohlhabenden Klassen eine ungeheure Panik. George Sand rechnete sich in dieser Zeit unter die kommunistischen Gespenster. In etwas naiver Weise charakterisierte sie sich damals so:

  • " Ich bin Kommunistin, wie man im Jahre 50 unserer Zeitrechnung Christ war. Der Kommunismus ist für mich das Ideal der im Fortschritt begriffenen Gesellschaften, Die Religion, die für einige Jahrhunderte Bestand haben wird. Gerade deswegen kann ich mich keiner der gegenwärtigen Formen des Kommunismus anschließen, da diese alle ziemlich diktatorisch sind und glauben, sich ohne die Hilfe der Gebräuche, der Gewohnheiten und der Überzeugungen etablieren zu können. Aber keine Religion setzt sich mit Gewalt durch."

In dieser Zeit handelte sie wie ein "Staatsmann" und verfasste zahlreiche Regierungserlasse. Mit radikaler Vehemenz wurde sie gleichsam zur Seele des Bulletin de la République der provisorischen Regierung, welches von Teilen der Rechten als das Hauptorgan des Kommunismus angesehen wurde. Die provisorische Regierung hatte Verordnungen zur Wiederherstellung demokratischer Rechte erlassen und das allgemeine Wahlrecht für Männer eingeführt. Eugénie Niboyet, die Chefredakteurin der Frauenzeitung La Voix des femmes (Die Stimme der Frauen), brachte den Vorschlag auf, George Sand als Kandidatin für die Wahl zur Konstituierenden Nationalversammlung aufzustellen. ("Die Frau geht noch kraftlos voran zur Freiheit; Sand ist mächtig, ohne jemanden zu schrecken, sie muß nach dem Wunsche aller Frauen zur Wahl durch alle Männer aufgerufen werden.") George Sand war von der Nominierung nicht unterrichtet worden und distanzierte sich in einem Offenen Brief. Ihr Name sollte nicht als Symbol für "einen Frauenzirkel benutzt werden, mit dem ich niemals eine wie auch immer geartete Verbindung gehabt habe". Vielleicht wollte sie auch den Hohn und Spott nicht auf sich ziehen, mit dem damals die Frauengruppen überschüttet wurden. (vgl. die Karikaturen von Daumier). Ihr gemäßigter Feminismus spricht auch aus der einzigen bekannten Erklärung zur Frauenfrage während der Zweiten Republik:

  • "Die Frauenfrage hat in dieser Woche etwas Fröhliches in den Ernst der Ereignisse und Meinungen gebracht. Manche Clubs wurden von den sozialistischen Damen besetzt oder wurden von Besetzung bedroht. Diese Damen haben recht, wenn sie sich um den Fortschritt kümmern, den die Republik in den Sitten, in der Gesetzgebung, in der geistigen und materiellen Lage der Frauen aus dem Volk und in der Bildung beider Geschlechter zu fördern versprochen hat. Doch diese Damen haben Unrecht, wenn sie sich in eigener Person in die Bewegung stürzen. Man bestreitet ihnen nicht das Recht zu lesen, zu denken, zu überlegen und zu schreiben, aber wie auch immer die Zukunft aussehen mag, unsere Sitten und Gebräuche lassen es nicht zu, daß die Frauen vor Männern Reden halten und ihre Kinder verlassen, um sich in den Clubs aufzureiben."

In den Märzwahlen kam es zu dem auch von George Sand befürchteten Rechtsruck.[7] Die neue Regierung ordnete unter dem Druck der Reaktion die Schließung der Nationalwerkstätten für den 23. Juni an, deren Gründung Louis Blanc und der Arbeiter Albert durchgesetzt hatten. Als in den folgenden Tagen zögernd ein schlecht organisierter Aufstand der Pariser Arbeiter losbrach, wurde er vom Militär im Blut erstickt. Viele Vertreter der Rechten machten George Sand wegen ihrer "aufrührerischen Texte", die im Bulletin und in der Zeitung La Cause du Peuple (Die Sache des Volkes), die sie während der Revolution gegründet hatte und von der sie aus finanziellen Gründen nur drei Ausgaben publizieren konnte, veröffentlicht worden waren, moralisch für die Revolte verantwortlich. Ohne Umschweife verurteilte sie in La Cause du Peuple eine Republik, "die gleich zu Beginn ihre Proletarier mordet." Der Abstand zu ihren Freunden auf der reformistischen Linken wurde immer größer, vor allem nach den Ereignissen vom 15. Mai, als die Menge nach einer Solidaritätsdemonstration für den polnischen Freiheitskampf (Sand nannte Polen einmal "den Christus unter den Nationen") die Nationalversammlung stürmte, aber von der Nationalgarde auseinandergetrieben wurde. Zahlreiche Führer der Linken wurden verhaftet. Als George Sand von den Rechten immer heftiger angegriffen wurde, das Vertrauen in die Reformisten verloren hatte und auch von den Revolutionären angeekelt war, gab sie die politische Bühne in Paris auf und kehrte nach Nohant zurück. Dort führte sie ein erheblich zurückgezogeneres Leben als die beiden Jahrzehnte zuvor. Am 16. Mai schrieb sie an Etienne Arago:

  • "Ich reise für etliche Tage ab, ich brauche Ruhe und Luft, denn das Schauspiel der bürgerlichen Reaktion macht mich trübsinnig bis zum Überdruß. Der gestrige Tag wirft uns zehn Jahre zurück. Was für ein elender Wahnsinn!"[8]

Fern vom Lärm der Welt

Der Lebensweg von George Sand nach der Revolution von 1848 ist weit weniger interessant als der vorherige Abschnitt. Obwohl sie keine der früher vertretenen Ideen aufgab, unternahm sie kaum mehr ernsthaften Anstrengungen, sie in die Praxis umzusetzen. Wenn sie, besonders in der Zeit der Diktatur des "kleinen Napoleon" - wie Napoleon III. von Victor Hugo genannt wurde - aktiv wurde, dann vor allem als Verfasserin von Petitionen und Bittschriften, der es gelang, viele Verhaftete und Gefolterte den Klauen der Henker zu entreißen, wodurch sie sich die Anerkennung der Opposition erhielt, selbst als sie in den Zentren der Macht gerne gesehen war.
Von diesem langen Lebensabschnitt gibt André Maurois folgende Zusammenfassung:

  • "sie lernte, ihr Prestige zu bewahren, ohne ihren Ideen abzuschwören; sie gewann, nachdem sie alle Konventionen verletzt hatte, in ihrem privaten Leben ebenso wie in ihrem öffentlichen, trotzdem den Respekt aller für ihr Genie, ihre Arbeit und ihren Mut; es gelang ihr, als alle Leidenschaften ausgelöscht waren, im Haus ihrer Kindheit das verlorene Paradies wiederherzustellen und sie fand schließlich in einem heiteren, aktiven und matriarchalischen Alter jenes Glück, das sie in der Leidenschaft vergeblich gesucht hatte."

Auch als alte Frau verschmähte sie den Becher der Liebe nicht, sondern unterhielt eine enge Beziehung mit einem um die Hälfte jüngeren Mann. Unbestreitbar entwickelte sie im Alter einen gewissen Konservativismus, denn anläßlich der Ereignisse der Pariser Kommune sprach sie von "diesen Leuten, die sich gegenseitig verschlingen, wie es kommen mußte, da sie in der Stadt, die den wilden Bestien ausgeliefert ist" ja nichts anderes tun könnten. Aus den "geöffneten Käfigen entkommen die Hyänen von 1793 und die Gorillas der Kommune." Es sind dies zweifellos erschütternde Kommentare, voller Mißtrauen den Massen gegenüber, die sich ganz anders ausnehmen als jene, die sie in den vierziger Jahren schrieb - und auch anders als die Kommentare des alten Victor Hugo, mit dem sie so viele Gemeinsamkeiten gehabt hatte und der nun, im Jahre 1871, die Kommunarden verteidigte.
George Sand hinterließ ein sehr umfangreiches Werk, als sie 1876 starb. In ihrem letzten Artikel, einer Besprechung eines philosophischen Traktats von Ernest Renan, kritisiert sie in Worten, die beinahe aus unserer Zeit stammen könnten, seine Wissenschaftsgläubigkeit und seinen naiven Fortschrittsoptimismus:

"Ihr sagt, daß die Zukunft der Welt den Wissenschaftlern gehören wird, daß sie alles sind, und wir anderen Dummköpfe nichts wert. Ihr behauptet, die Demokratie vermöge nichts für den Fortschritt zu leisten und müsse ihn hinnehmen, wolle sie nicht von ihm beseitigt werden, wenn sie ihn, weil sie ihn nicht begreift, im Wege stehe. (...) Wenn also die Demokratie gewisse Forschungen bekämpft und deren Anwendung stört, wird sie von jenen Maschinen ausgelöscht werden, die nur in den Händen der Wissenschaftler wirksame Geräte sind. (...) Wir werden also in grausame Kriege gestürzt werden, wo ihr herrschen werdet durch den Schrecken, und eure Kunst der Vernichtung wird sich mit jedem Tag steigern, so daß jeder neue Krieg noch mörderischer sein wird als die früheren, bis ihr allein vor euren grauenhaften Instrumenten zurückbleiben und keine andere Möglichkeit mehr haben werdet, als den Planeten in die Luft zu sprengen, um allem ein Ende zu machen."[9]

Jeanne Deroin

Unter den bedeutsamen Schulen des utopischen Sozialismus gelang es zweifellos besonders dem Saint-Simonismus, unter Frauen einen größeren Anhang zu gewinnen. Ein Großteil der Frauen, die in der Revolution von 1848 eine führende Rolle spielen sollten, kamen aus dieser Schule. Unter ihnen ragen besonders Jeanne Deroin, Pauline Roland, Suzanne Voilquin, Désirée Véret-Gay und Anais Ségalas heraus (die natürlich allesamt viel weniger bekannt sind als George Sand).
Jeanne Deroin war eine Frau von kleinem Wuchs, von ihrem Aussehen her kränkelnd und gebrechlich, sie wurde aber trotz allem neunundachtzig Jahre alt. Besonders ragte sie durch ihren kämpferischen Eifer heraus, der einer Flora Tristan würdig war. Im Alter von siebenundzwanzig Jahren heiratete sie 1832 den Verwalter eines Altersheimes, Desroches, nur standesamtlich und löste dadurch einen handfesten Skandal aus. Gleich vielen Saint-Simonisten stand sie zwar der Kirche feindlich gegenüber, war aber davon überzeugt, Jesus wäre ein großer Philosoph und gewaltloser Revolutionär gewesen, Gott und Mensch, arm und nicht Herr der Armen, so wie dies ja schon von Saint-Simon selbst in seiner letzten Schrift Das neue Christentum skizziert worden war. In ihren politischen Vorstellungen entwickelte sich Jeanne vor allem dank der Auseinandersetzungen mit anderen berühmten Sozialisten wie Blanqui - von dem sie sich im Juni 1848 entfremdete - und Proudhon,[10]  von dem sie syndikalistische und mutualistische Konzeptionen übernahm.
Die dreifache Mutter wurde zu einer aktiven Erzieherin von Arbeiterkindern. Gleich Flora Tristan unterstützte sie das Konzept der "Arbeiterunion", an der sich auch Frauen ohne Einschränkungen beteiligen können sollten. Beim Ausbruch der Revolution stürzte sie sich mit 43 Jahren voller Energie auf die Barrikaden und in die soziale Bewegung. In Umkehrung dessen, was die Männer zu tun pflegten (und weiterhin tun), ließ sie ihre Kinder unter der Aufsicht ihres Ehegatten zurück, um ins Geschehen eingreifen zu können. Inmitten der großen Ereignisse, die Frankreich erschütterten, verband Jeanne ihr sozialistisches Engagement mit der Teilnahme an den Debatten der Frauenclubs - die sich wie 1789 aus dem einfachen Grund bildeten, daß die Männer zumeist keine Frauen in "ihre" Clubs aufnehmen wollten und begründete zwei Frauenzeitungen, La Politique des femmes (erschien vom 18.6.1848 bis 5.8.1848) und L'Opinion des femmes (erschien vom 28.1.1849 bis 10.8.1849), erstere zusammen mit der früheren Saint-Simonistin Eugénie Niboyet.
Jeanne war eine überzeugte Vorkämpferin für das Recht der Frauen, sich am politischen Geschehen zu beteiligen. Daher ließ sie sich für die Wahlen zur gesetzgebenden Versammlung von 1849 als Kandidatin aufstellen und entfaltete mithilfe ihrer Zeitung eine intensive Kampagne, in deren Mittelpunkt der Kampf um die Rechte der Frauen stand. An den Mauern von Paris ließ sie folgende Proklamation anschlagen:
"An die Wähler des Departementes Seine,

  • Bürger,
    Ich stelle mich eurer Wahl aufgrund meines Eintretens für die Heiligung eines großen Prinzips, der bürgerlichen und politischen Gleichheit der beiden Geschlechter.
    Im Namen der Gerechtigkeit appelliere ich an das souveräne Volk, der Verneinung der Prinzipien, die die Grundlage unserer gesellschaftlichen Zukunft sind, entgegenzutreten.
    Wenn ihr von eurem Recht Gebrauch macht und die Frauen aufruft, an den Arbeiten der gesetzgebenden Versammlung teilzunehmen, heiligt ihr damit unsere republikanischen Grundsätze Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit für jeden und jede in ihrer Integrität.
    Eine nur aus Männern bestehende gesetzgebende Versammlung wäre ebenso inkompetent, Gesetze zu erlassen, die eine Gesellschaft regieren, die aus Männern und Frauen besteht, wie es eine aus Privilegierten zusammengesetzte Versammlung wäre, die Interessen der Arbeiter zu diskutieren, oder eine Versammlung von Kapitalisten, die Ehre des Landes aufrechtzuerhalten."
    Jeanne Deroin [11]

Im gleichen Jahr, als der Höhepunkt der Revolution längst überschritten und ihr Zurückfluten eingesetzt hatte, veröffentlichte Jeanne ein Projekt für einen brüderlichen und solidarischen Zusammenschluß aller Vereinigungen, in Wirklichkeit eine Art Neuauflage von Flora Tristans Idee der "Arbeiterunion", die sich zum ersten Ansatzpunkt einer Gewerkschaftskonföderation entwickelte, der ersten in der Geschichte der französischen Arbeiterbewegung. Ihr Programm enthielt die Verteidigung des Rechtes auf Arbeit und auf Konsum, für sie die sogenannten "Souveränitätsrechte" der Arbeiter. Letztlich war die Verteilung der Arbeitsprodukte nach den Bedürfnissen das Ziel. Die Konföderation organisierte die Arbeiter gleichzeitig als Individuen und nach Berufssparten. Jeanne vertrat die Meinung, die Frauen müßten die Mittel erlangen, um wirtschaftlich vom Mann unabhängig zu werden. Von daher ergab sich für sie eine enge Verbindung von Frauen- und Arbeiterrechten.
Als die "Union der Arbeiterassoziationen" im Mal 1850 von den Behörden verboten und unterdrückt wurde und man Jeanne als eine Anführerin verhaftete, konnte sie ihre Rolle als Gründerin und Leiterin vor Gericht ohne weiteres verbergen, da die Richter einer Frau solches nicht zutrauen mochten. Sie saß bis Juni 1851 im Gefängnis und versuchte nach ihrer Freilassung, eine Schule für Arbeiterkinder zu gründen, bis die Repression sie zwang, nach England ins Exil zu flüchten. (Sie sollte nie mehr nach Frankreich zurückkehren.) Sie nahm ihre Kinder mit, darunter auch ein pflegebedürftiges. In England setzte Jeanne ihre feministischen und sozialistischen Aktivitäten fort. In London veröffentlichte sie mehrere Ausgaben eines Frauenalmanach, an dem auch Pauline Roland und andere Feministinnen mitarbeiteten. Die beiden von ihr verfassten Bücher Brief an die Arbeiter (1856) und Erinnerungen an 1848 fassen ihre Theorien und Erfahrungen zusammen.

Pauline Roland

Freundin und Genossin von Jeanne war Pauline Roland, deren Leben dramatischer verlief als das fast aller Frauen ihrer Epoche und an dem sich aufzeigen läßt, "mit welchen Widersprüchen sich die Feministinnen, die sozialistischen Frauen jener Zeit herumschlugen, die ohne irgendwelche Vorbilder zu einem angemessenen politischen Verhalten und zugleich zu einem persönlichen Verhalten finden mußten".[12]
Pauline stammte aus einer "geordneten" Familie der Mittelklasse (ihr Vater war Postbeamter in Falaise in der Normandie, verstarb aber bereits ein Jahr nach ihrer Geburt) und schloß sich im Alter von 26 Jahren 1831 der saint-simonistischen Bewegung an. Sie war von großer und schöner Gestalt und besaß eine außerordentliche Intelligenz und Arbeitsfähigkeit. Bei einem Professor Desprez, der heftig in sie verliebt war und sie in die Ideenwelt des Saint-Simonismus einführte, hatte sie zusammen mit ihrer Schwester eine solide kulturelle Bildung bekommen. Scheinbar war die Beziehung so platonisch, daß sich der einzige körperliche Kontakt zwischen ihnen auf einen scheuen Handkuß beschränkte. Pauline war absolut davon überzeugt, sich sexuell enthalten zu müssen, damit sie sich voll ihren Verpflichtungen widmen konnte.
Diese Vorstellungen sollten sich aber aufgrund der Anziehung, die der Saint-Simonist Enfantin und seine Idee der "neuen Frau" auf sie ausübte, allmählich verändern. Ihre Anhänglichkeit an den pére (Vater) war so groß, daß sie ihn unterstützte, als er sein mit Adèle-Morlane Riffé gezeugtes Kind anerkannte, aber jede Verpflichtung der Mutter gegenüber ablehnte. Für Pauline mußte die Frau von Enfantin die "Mutter der Menschheit" sein. Streng unterschied sie zwischen Mutterschaft und Ehe, die sie als eine verdeckte Form der Prostitution ansah. Daher dachte sie, daß sie in einer Gesellschaft, in der zu heiraten bedeutete, auf die völlige Gleichheit zu verzichten und sich einem Manne zu verkaufen, keine Ehe eingehen dürfe.
Im Frühjahr 1832 zog sie mit den Saint-Simonisten vor die Tore der Stadt nach Ménilmontant und beendete dort ihre "klösterliche" Zeit. Nunmehr faszinierte sie die Sexualität, über die sie in ihren Briefen so aufrichtig schreibt, als wäre sie eine fortgeschrittene Frau des späten 20. Jahrhunderts. Niemals gab sie den Konventionen nach und blieb auch als Mutter ledig (von dem Dichter Jean Aicard hatte sie ein Kind bekommen), was auch unter den saint-simonistischen Frauen heftige Kontroversen auslöste. Sie lebte vor allem von Nachhilfestunden und Artikeln für die von Pierre Leroux und Jean Reynaud herausgegebene Encyclopédie nouvelle. Anfang der vierziger Jahre arbeitete sie an den beiden von Leroux und George Sand herausgegebenen Zeitungen Le Globe und Revue Indipendente mit. Mit beiden beteiligte sie sich auch am Aufbau einer sozialistischen Gemeinschaft in Boussac. Als die Revolution ausbrach, versuchte sie sich dort ins Wählerregister eintragen zu lassen, und als man sie zurückwies, bestand sie darauf, daß von der ganzen Angelegenheit ein Protokoll gefertigt würde. In der Revolution leitete sie einen bedeutenden sozialistischen Frauenclub und war Führerin der republikanischen und sozialistischen Lehrer.
Wegen ihrer Aktivitäten in der "Union der Arbeiterassoziationen" wurde sie 1851 verhaftet und mit Jeanne Deroin für sechs Monate ins Gefängnis gesteckt. Nach ihrer Entlassung verhaftete man sie am 6. Februar 1852 erneut, diesmal unter der abenteuerlichen Anschuldigung, sie habe "einen Aufstand vorbereitet". In Wirklichkeit war sie gegen die Diktatur Louis Napoléons aufgetreten. Die "Justiz" ließ sie nach Algerien deportieren, wo sie unter menschenunwürdigen Bedingungen leben mußte. Als der Dichter und Sänger Bérenger ihre Begnadigung erwirken konnte, war sie bereits so geschwächt, daß sie auf der Heimreise von Marseille nach Paris im Alter von 47 Jahren verstarb.[13]

Suzanne Voilquin

Suzanne Voilquin stammte aus ärmlichen Verhältnissen. Ihre Mutter war strenggläubige Katholikin, eine "christliche Ehefrau des Mittelalters." Der Vater hatte an der Revolution von 1789 aktiv teilgenommen und hielt nichts von Religion. Als Suzanne neun Jahre alt war, vertraute ihr ihre Mutter die neugeborene Schwester als "Tochter" an. Die Liebe zu und Verantwortung für ihre Schwester, für die sie zu sorgen hatte, sollte ihr über die schwierigsten Zeiten nach dem Tod der Mutter, in denen sie sogar an Selbstmord dachte, hinweghelfen. Der Ruin des Vaters zwang sie schon in jungen Jahren, Arbeit zu suchen und sich selbst zu ernähren. Sie fand eine Anstellung in einer Stickerei. 1825 heiratete sie den Bauarbeiter Voilquin, weil sie Kinder haben wollte und sie nur in der Ehe bekommen zu können glaubte.
1830 hörte sie und ihre Schwester erstmals von den Vorlesungen der Saint-Simonisten. Schon bald wurden beide Mitglieder der saint-simonistischen "Familie", was bedeutete, Arbeit, Wohnung und bisherige Beziehungen aufzugeben. Über ihre "Bekehrung" sagte sie später: "Ich war mit allen möglichen Bindungen im Volke verwurzelt und ohne festen Plan, aber geradezu gegen meinen Willen enthielten meine Ideen revolutionäre Keime." Sie lebte die neuen Normen der Religion und Sexualität des Saint-Simonismus sehr intensiv und hatte mehrere Liebhaber - unter ihnen Charles Lambert, der auch Liebhaber Pauline Rolands war. Besonders aber faszinierte sie Enfantin: "Wenn ich ihn sehe und höre, geben mein Herz und mein weiblicher Stolz ihm, aber nur ihm, mit Freuden den zärtlichen und erhabenen Namen Vater".
Zum Ritual des Saint-Simonismus gehörte auch die Beichte. Nach langem Zögern entschloß sich Suzanne, dem Pére und der "Familie" eine voreheliche Liebschaft zu offenbaren. Als die Gruppe sehr empört reagierte, beschloß sie, sich nurmehr vor ihrem Gewissen zu verantworten.
Mitte 1832 begann sie auf Bitten der ebenfalls aus der "Familie" kommenden Frauen Désirée Véret und Reine Guindorf ihre Mitarbeit an einer der ersten Frauenzeitungen überhaupt, La femme libre, deren Leitung sie schon bald darauf übernahm. Dadurch wurde sie zur führenden Gestalt der saintsimonistischen Frauenbewegung. Mit ihren Arbeiten als Näherin verschaffte sie sich nicht nur ihren Lebensunterhalt, sondern zweigte von ihrem kargen Lohn auch noch Gelder zur Finanzierung ihrer Zeitung ab.
1833 reist ihr Ehemann zusammen mit seiner neuen Gefährtin nach Nordamerika, um dort am Aufbau einer Kolonie mitzuwirken. Sie unternahm ein Jahr später zusammen mit einer Mitarbeiterin eine "Tour de France", um die saint-simonistischen Emanzipationsideen im Lande zu verbreiten. Ende des Jahres brach sie mit Enfantin nach Ägypten auf und begann in Kairo (in Männerkleidern) als Hebamme und Krankenschwester tätig zu werden. Als eine Pestepidemie ausbrach, pflegte sie die Erkrankten bis zur Erschöpfung. Die meisten ihrer Freunde und Bekannten fielen der Pest zum Opfer, während sie die Krankheit überlebte. Ende 1836 kehrte sie nach Frankreich zurück und arbeitete in den Pariser Arbeitervierteln. Drei Jahre später brach sie nach Rußland auf, wo sich einige Saint-Simonisten niedergelassen hatten.
Ende 1846 sieht man sie zurück in Paris ihre soziale Tätigkeit weiterführen. Als die Revolution ausbricht, schreibt sie für die Frauenzeitung La voix des femmes und gründet eine Hebammenassoziation. Aber schon im September 1848 reist sie mit ihrem Vater nach Amerika zu ihrer erkrankten Schwester und läßt sich dort endgültig in einer kommunitären Gemeinschaft nieder. Ein Zeugnis ihrer Hingabe und Einfachheit voller interessanter Beobachtungen über ihre Zeit sind die Souvenirs d'une fille du peuple,[14] die 1865 veröffentlicht wurden und ihr Leben bis zur Abreise nach Rußland schildern.