In den letzten Tagen haben alle diese kriegerischen
Mannweiber hinter den Barrikaden mehr ausgehalten
als ihre Männer. Viele wurden mit vom Pulver
geschwärzten Händen und von den Kolbenstößen
ihrer Flinten dunkelvioletten Schultern verhaftet,
noch zuckend vor Überreizung durch die Schlacht.
Maxime du Camp
1. Eine heilige Laiin
Obwohl Louise Michel wegen ihrer revolutionären Streitlust nicht auf der merkwürdigen Liste "heiliger Laien" erscheinen durfte, die der Vater der positivistischen Soziologie, Auguste Comte, zusammenstellte - ihr Genosse in der libertären Bewegung, Elie Reclus tauchte darauf auf - besteht wohl kein Zweifel daran, daß sie eine derartige Erwähnung verdient hätte, denn in ihrem ganzen Leben gibt es einen starken "Geruch von Heiligkeit" (wenn man ohne Gott heilig werden kann). Dem steht nicht entgegen, daß die politische Rechte eine "schwarze Legende" über sie verbreitete, in der sie als blutrünstiges Ungeheuer beschrieben wird, ein Bild, das im Lauf der Zeit gebührend der Lächerlichkeit anheimgegeben worden ist.
Ihre "Heiligkeit" war natürlich eine ganz andere als die traditionelle, nämlich die der Revolution. Von diesem Standpunkt aus überließ Louise die Befreiung der Ausgebeuteten und Unterdrückten keinem jenseitigen Utopia. Sie glaubte an kein allmächtiges Wesen, sondern an das arbeitende Volk. Sie vertraute nicht auf Gebete und Bittprozessionen, sondern auf die bewußte Massenaktion. Und sie predigte nicht Unterordnung unter die etablierten Mächte, sondern freie Entfaltung von Kritik, die persönliche Autonomie... Von frühester Jugend an widmete sie ihr Leben diesen Idealen. In ihrem Leben erlitt sie jede Art von Not, Verleumdung, Verfolgung, Gefängnis und Verbannung. Nur knapp überlebte sie ein auf sie gerichtetes Attentat. Von den einfachen und kleinen Leuten wurde dieser weibliche Blanqui, der einen Großteil seines Lebens in Gefängnis und Verbannung verbringen mußte, die "rote Jungfrau" genannt.
Sich selbst treu bleibend, durchlebte Louise Michel verschiedene historische Epochen, obwohl ihr Ruhm natürlich hauptsächlich mit ihren Aktivitäten während der Pariser Kommune verknüpft ist. Sie widmete sich auch der Poesie; vielleicht waren ihre Gedichte aber nicht so großartig wie ihr revolutionärer Elan. Victor Hugo und Paul Verlaine besangen die Rebellin.[1] Sie war keine Intellektuelle, sondern eine Kämpferin, deren Beispiel, Aufrichtigkeit und Befähigung als Rednerin in der französischen Arbeiterbewegung n ach der Kommune epochemachend waren. Sie war auch keine Feministin im strengen Sinne des Wortes, aber die Emanzipation der Frau war Teil ihres kämpferischen Engagements. Wie viele andere revolutionäre Frauen geriet auch ihr Name für viele lange Jahre in Vergessenheit - selbst als eine nach ihr benannte französische anarchistische Gruppe jahrelang politische Agitation betrieb - bis sie nach dem Mal 1968 in Frankreich wiederentdeckt wurde und inzwischen als eine herausragende Gestalt in der Geschichte des Sozialismus allgemein anerkannt ist.
2. Eine Tradition weiterführen
Die familiäre Herkunft von Louise Michel hat eine gewisse Ähnlichkeit mit der von George Sand, wiewohl sie im Gegensatz zu jener niemals reich war. Viel eher läßt sich das Gegenteil behaupten. Sie wurde am 29. Mai 1830 [2] auf einem Schloß in Vroncourt, einem kleinen Dorf in der Champagne an der Grenze zu Lothringen, als uneheliches Kind geboren. ("Wer wird nicht zum Dichter in diesem Land der Champagne und Lothringens, wo die Winde kriegerische Lieder von Rebellion und Liebe singen?", schrieb sie später in einem ihrer Gedichte.) Ihr Großvater war Bürgermeister des Ortes, während ihre Mutter eine Bedienstete war.[3] Der Vater, von dem wir kaum mehr kennen als seinen Namen Laurent, kümmerte sich offensichtlich nicht um das Kind, und so blieb es in der Obhut der Großmutter und des Großvaters Etienne Demaris, eines adligen Epikuräers, Voltairianers, Jakobiners und Sympathisanten des Geheimbundes der Carbonari. Sein Idol war Saint-Just, ein Symbol revolutionärer Unnachgiebigkeit.
Nach diesen Prinzipien gestaltete sich auch ihre Erziehung. In ihren Erinnerungen schreibt sie hierüber:
- "Was für einen merkwürdigen Eindruck ich immer noch davon habe! Ich hörte zugleich auf meine katholische Tante und auf meine Großeltern, die Anhänger von Voltaire waren. Ich suchte, verwirrt von seltsamen Träumen, wie eine Kompaßnadel, die durch Wirbelstürme durcheinandergebracht wird, ihren Nordpol sucht. Mein Nordpol war die Revolution."[4]
Offenbar war sie ein fröhliches und offenes Mädchen, zutiefst altruistisch, ihr Geld bot sie immer wieder den Armen des Dorfes an. Von Jugend an schrieb sie Gedichte, Ihr ganzes Leben lang. Ihre Dichtung entwickelte sich auch durch den langen Briefwechsel mit Victor Hugo. Sie begann damit, daß sie die Natur, die Landschaft ihrer Region, die Liebe besang, bis sie schließlich zur kämpferischen Poesie überging, in der sie das Regime Napoleons III. heftig angriff, die Kommune hymnisch lobte, die auch im Gefängnis und Exil erklang und in der die revolutionären Taten des Anarchosyndikalismus gerühmt wurden.[5]
Schon als kleines Mädchen war sie auch eine große Liebhaberin der Literatur, besonders der der revolutionären Richtung. Später konnte sie in Chaumont auf eine höhere Schule gehen und einen Abschluß erreichen, der dem einer Volksschullehrerin entspricht, ein Beruf, in dem es viele Frauen gab. Als sie eine Tätigkeit als Lehrerin beginnen wollte, verlangte man von ihr den Eid auf den Kaiser, den Louise rundheraus verweigerte. Sie eröffnete ohne eigene Mittel 1852 eine freie Schule in Audeloncourt (Haute-Marne) und zwei Jahre später in derselben Region eine zweite. Ihre Lehrmethoden und der oppositionelle Inhalt ihres Unterrichts brachten ihr zunehmend Probleme mit den Behörden. Ihr Name wurde langsam bekannt und berüchtigt.
Ende der fünfziger Jahre begann sie mit der Veröffentlichung von Artikeln und Feuilletons in Zeitungen aus Chaumont, in denen sie mittels geschickt gewählter Anspielungen der Zensur ein Schnippchen schlug. So schrieb sie über Rom und meinte Paris:
- "Es herrschte Domitian, er hatte die Philosophen und kapitolinischen Weisen aus Rom vertrieben, den Sold der Prätorianer erhöht, die Spiele auf dem Kapitol wiedereingeführt, und die Leute verehrten den gnädigen Kaiser in der Hoffnung, einer möge kommen und ihn niederstechen..
In der ganzen Zeit legte sie sich eine ziemlich strenge Lebensform auf und einige ihrer Handlungen bewegten die öffentliche Meinung, etwa als sie bei einer Gelegenheit ihre Erbschaft von vierzigtausend Francs einfach unter die Armen verteilte. Aus Unzufriedenheit mit der stickigen Enge der Provinz zog sie in die französische Hauptstadt, wo sie eine Stelle an einer Lehreinrichtung für Mädchen fand. Sie begann eine enge Freundschaft mit der Direktorin, Madame Vollier, einer großzügigen und fortschrittlichen Frau, mit der sie lange Zeit eine Art Mutter-Tochterbeziehung verbinden wird. Ohne zu zögern schloß sie sich der republikanischen Opposition an und besuchte die Clubs der Linken und die öffentlichen Versammlungen. Aufgrund ihres militanten Eifers wurde man auf sie aufmerksam. Sie lernte Menschen wie Jules Vallès, Eugène Varlin, Emile Eudes, Théophile Ferré usw. kennen, die in der Kommune eine bedeutsame Rolle spielen werden, und begründete eine Freundschaft mit ihnen.
Ein Polizeibericht aus jener Zeit gibt an, daß Louise "in den ersten Tagen des Jahres 1869 damit beginnt, an der politischen Bewegung teilzunehmen" und bezichtigt sie gleich "großer Gefährlichkeit". Bald darauf tat sie sich in der demokratischen Presse hervor, besonders in der von Henri Rochefort herausgegebenen La Marseillaise. Ihr Name tauchte auch in der "Demokratischen Gesellschaft für sittliche Verbesserung" auf, deren Ziel es war, Arbeiterinnen von der Prostitution wegzuführen und ihnen Arbeit zu verschaffen. Es steht nicht fest, ob sie sich der Internationalen Arbeiterassoziation (I. Internationale)[6] angeschlossen hat, aber sicherlich sympathisierte sie stark mit ihr. Man weiß aber mit Sicherheit, daß sie bis zum Ende ihrer Tage einer Freimaurerloge angehörte, die Das Menschenrecht hieß. Über ihre heimlichen Aktivitäten aus dieser Zeit ist kaum etwas bekannt.[7]
Am 12. Januar 1870 nahm sie, als Mann verkleidet und mit einem Dolch zur Selbstverteidigung bewaffnet, an der Totenfeier für den demokratischen Journalisten Victor Noir teil, welcher von Pierre Bonaparte, einem Neffen des Kaisers, ermordet worden war. Nach Ausbruch des Krieges reihte sie sich in die Gruppe derjenigen ein, die im Namen des proletarischen Internationalismus gegen den Krieg mobilisierten und zur Verbrüderung der Arbeitenden aufriefen.
3. Im Dienst der Kommune
In den langen Jahren des Widerstandes gegen Napoleon III. bildete die linke Opposition einen ziemlich kompakten Block, aber später zeigten sich beträchtliche Differenzen zwischen den verschiedenen republikanischen Fraktionen. Louise brachte diese Differenzierung folgendermaßen auf den Punkt: "Ach, wie schön war die Republik im Kaiserreich!"
Der deutsch-französische Krieg 1870/71 läutete den Sturz des Kaisertums ein. Während der Belagerung von Paris tat sich Louise als eine der bekanntesten Agitatorinnen hervor. Sie spielte auch in der Gesellschaft von Frauen für die Opfer des Krieges eine führende Rolle. Diese hatte die traditionellen Aufgaben von Frauen im Krieg übernommen, nämlich den Verwundeten zu helfen, die Ambulanzen zu organisieren, Volksküchen einzurichten etc. Doch sie arbeitete mit einem anderen Hintergrund und Ziel, ihr ging es darum, die Arbeiterfrauen für sozialistische Ziele zu agitieren und zu organisieren. Diese Frauen - Louise immer in "vorderster Front" - gehörten zu den aufständischen Abteilungen, die versuchten, die "Regierung des nationalen Verrats" zu stürzen.
Als die Kommune ausgerufen worden war, entfaltete Louise all ihren kämpferischen Elan. Sie stand dem Club für Frieden und Gerechtigkeit auf dem Montmartre und dem Club der Revolution in der Kirche St. Bernard vor und war außerdem Mitglied des Wachsamkeitskomitees der Frauen des 18. Arrondissements. Louise war in früheren Jahren stark mit Erziehungsproblemen beschäftigt gewesen, hatte eine lebendige Pädagogik entwickelt und forderte die Schaffung von Berufsschulen und staatlichen Waisenhäusern. Nun befand sie sich in einem der Nervenzentren der Kommune, dem Wachsamkeitskomitee vom Montmartre, das sie wie folgt beschrieb:
Die Wachsamkeitskomitees vom Montmartre ließen niemanden ohne Zufluchtsort, niemanden ohne Brot. Zum Abendessen teilten wir uns zu viert oder fünft einen Hering, doch wenn es um die Bedürftigen ging, wurde weder an öffentlichen Mitteln gespart noch an den Möglichkeiten, revolutionäre Requisitionen zu verfügen. Das 18. Arrondissement war der Schrecken der Schieber und ähnlicher Leute. Wenn der Ruf ,der Montmartre kommt!' erscholl, verkrochen sich die Reaktionäre in ihre Löcher und ließen ihre Verstecke zurück, wo die Lebensmittel verfaulten, während Paris vor Hunger umkam."
Wie schon in der Großen Revolution hatten die Frauen außer ihren täglichen Sorgen auch den festen Willen, den Krieg zu beenden und eine neue Gesellschaft zu schaffen. Hierin übernahmen sie wiederum eine führende Rolle. Ein Beispiel für ihre entschlossene Haltung ist ein Manifest, das Louise verfaßt hat und von folgenden Frauen unterschrieben ist: Louise Noel, Pförtnerin; Jeanne Laymet, Herstellerin von Sonnenschirmen; Eugenie Lilly, Köchin; Eulalie Papavoine, Näherin; Elisabeth Retiffe, Handwerkerin; Marie Wolff, Tapeziererin... Darin wird ein anderer Aufruf hart kritisiert, weil er die Frauen von Paris dazu anhalte, "an die Großzügigkeit der Versailler zu appellieren und um Frieden um jeden Preis zu bitten". Im Gegensatz dazu fordern Louise und ihre Genossinen[8] nicht den Frieden, sondern "den Krieg bis zum Tod", denn:
- "Versöhnung wäre heute Verrat. Sie würde darauf hinauslaufen, allen Bestrebungen der Arbeiter abzuschwören, eine entschiedene soziale Umgestaltung durchzuführen, alle gesetzlichen und sozialen Beziehungen, die jetzt herrschen, aufzuheben, alle Privilegien abzuschaffen, jede Art von Ausbeutung, die Macht des Kapitals durch die der Arbeit zu ersetzen, mit einem Wort: die Befreiung des Arbeiters durch sich selbst zu verwirklichen."
An einer anderen Stelle findet sich folgender heroische Aufruf:
- "Wir alle, vereint und entschlossen, gewachsen und aufgeklärt durch die Leiden, die die sozialen Krisen nach sich ziehen, zutiefst überzeugt, daß die Kommune, die die internationalen und revolutionären Bestrebungen der Völker repräsentiert, die Keime der sozialen Revolution in sich trägt, wir - die Frauen von Paris, werden Frankreich und der Welt zeigen, daß sie es im Augenblick der höchsten Gefahr verstehen, auf den Barrikaden, auf den Mauern von Paris, wenn die Reaktion die Türen aufbricht, wie ihre Brüder ihr Blut und ihr Leben für die Verteidigung und den Triumph der Kommune, das heißt des Volkes zu geben! Siegreich also, wenn ihr euch vereinigt, euch über die gemeinsamen Interessen verständigt, Arbeiter und Arbeiterinnen, alle solidarisch für eine letzte Anstrengung... (Dieser letzte Satz blieb unvollendet.) Es lebe die Weltrepublik! Es lebe die Kommune!"
Louise handelte so, wie sie sich in ihren Aufrufen, die in der von Jules Vallés herausgegebenen Zeitung Le cri du peuple (Der Schrei des Volkes) abgedruckt wurden, ausdrückte, mit letzter Konsequenz. Eine ihrer Biographinnen, Edith Thomas, schreibt über sie, sie habe bei Moulinex so tapfer gekämpft, daß sie sich bis zur letzten Minute hielt und umgehend zur Festung Issy ging, wo sie verwundet wurde.[9] Später zeichnete sie sich auf den Barrikaden der Chaussée Clignancourt aus. Als eine der "gefährlichsten Kommunardinnen" verfolgt, gelang es ihr, den Versaillern zu entkommen, die gnadenlos alte Leute, Frauen und Kinder niedermachten.[10] Als die Repression allmählich nachließ, mußte Louise sich stellen, um ihre Mutter zu befreien, die sie sehr liebte und die man als Geißel genommen hatte.[11]
Louise war zweifelsohne die herausragendste der Frauen, die ihr Leben der Verteidigung der Kommune und der Republik widmeten, als einem erahnten Ideal der Existenz einer besseren Lebensform, die ihnen von der gesellschaftlichen und politischen Unterdrückung [12] verunmöglicht wurde. Sie eilten auf die Barrikaden, teilten das Schicksal ihrer Männer und erlitten ihr Geschick oft noch auf viel brutalere Weise.
4. Prozeß und Verbannung
Vor dem IV. Kriegsgericht, das sie im Dezember 1871 aburteilte, wurde Louise Michel als eine echte béte noire dargestellt. Im offiziellen Prozeßbericht bezeichnet man sie als eine der Hauptanstifterinnen der Revolution und schreibt, sie habe "zum Regime des Aufstandes eine dauerhafte und grenzenlose Treue entwickelt." Zu ihrer Person heißt es im Bericht
- "Louise Michel ist sechunddreißig Jahre alt (sic), klein, brünett, sie hat eine stark ausgeprägte, ziemlich hohe Stirn, die steil abfällt, die Nase und der untere Teil des Gesichts stehen stark hervor, ihre Gesichtszüge zeigen Härte. Sie kleidet sich völlig in schwarz. Seit den ersten Tagen ihrer Gefangenschaft hält ihre Erregung unverändert an, und wenn man sie vor das Gericht bringt, hebt sie brüsk den Schleier und betrachtet ihre Richter."
In der Anklageschrift stand, sie und ihre Genossinnen hätten "den gemeinsamen Ehrgeiz gehabt, durch Übersteigerung seiner Laster sich über das Niveau des Mannes zu erheben". Es handle sich in ihrem Falle um ein "verderbtes" Mitglied der Gesellschaft", dem es nicht genügt habe, im Verlauf der gemeinschaftlichen Aktion "den Pöbel aufzuwiegeln, dem Morden zu applaudieren, die Kinder zu verderben, den Bruderkrieg zu predigen, mit einem Wort, zu allen nur denkbaren Verbrechen aufzurufen.
Sie ging noch weiter, indem sie ein Beispiel gab und sogar die eigene Person auf's Spiel setzte". Der reaktionäre Historiker Maxime du Camp - Autor eines Klassikers über die Kommune 13 - geht über die ganze aus der Zeit des Kaiserreiches ererbte Situation hinweg, er verschweigt das Programm und die Taten der Kommune, ihr äußerst menschliches Verhalten gegenüber dem Feind, der vor nichts zurückschreckte. Ihm ging es offensichtlich darum, die Angeklagten zu verunglimpfen, wohl im Bewußtsein - wie es ein englisches Sprichwort treffend formuliert - daß die Justiz zu neunzig Prozent aus Gewalt besteht, vor allem wenn der Gegner die Gewalt der Waffen erleiden mußte. Als "Versailler" tut er sein Bestes, die tieferen Gründe zu ignorieren, die die Kommunardinnen bewegt hatten. Er blendet die Hintergründe ihres Hasses auf die bestehende Gesellschaftsordnung, ihren Zorn auf die Verantwortlichen für das unendliche Elend, das sie erdulden mußten, obwohl sie von morgens bis abends harte Arbeit verrichteten, einfach aus.
Außer ihrer Verantwortung als Revolutionärin lasten zahlreiche Anklagen auf Louise: versuchter Sturz der Regierung, Anstiftung zum Bürgerkrieg, Besitz und Benützung von Waffen und Militäruniformen, Fälschung von Dukumenten, Komplizenschaft bei der Exekution von Geiseln. Sie fordert das Gericht heraus:
- "Ich will mich nicht verteidigen", erklärt sie stolz",ich will nicht, daß man mich verteidigt, ich bin eine uneingeschränkte Befürworterin der sozialen Revolution und erkläre, daß ich für alle meine Handlungen die Verantwortung übernehme ... Da anscheinend jedes Herz, das für die Freiheit schlägt, nur ein Recht auf ein Stück Blei hat, fordere ich meinen Teil! Wenn ihr mich leben laßt, werde ich unaufhörlich nach Rache schreien, und um meine Brüder zu rächen, werde ich die Mörder von der Kommission des Innern anprangern." (Als der Vorsitzende sie unterbrechen will, schleudert sie ihm ins Gesicht: "Ich komme schon zum Ende. Wenn ihr keine Feiglinge seid, tötet mich!")
Man verurteilte sie zu lebenslanger Deportation und brachte sie zunächst ins Zentralgefängnis von Auberive im Departement Haute-Marne, unweit ihres Geburtsortes. Am 28. August bestieg sie das Schiff, das sie in die Häftlingskolonie auf Neu-Kaledonien bringen sollte, wo sie nach einer viermonatigen Reise anlangte. Auf der Überfahrt beeindruckten sie besonders die Kanarischen Inseln und das Meer am Kap der Guten Hoffnung. Wie immer dachte sie an die übrigen Gefangenen und weigerte sich, anders behandelt zu werden als die Männer, mit denen sie schreckliche Lebens- und Arbeitsbedingungen teilen mußte. Sie trat auch als Fürsprecherin der schwächeren Genossinen und Genossen auf. Besonders fühlte sie sich zu den Eingeborenen hingezogen, die ein einfaches und gemeinschaftliches Leben führten und gegen die französische Kolonialmacht rebellierten. Bei einer diese Rebellionen ergriff sie für die Eingeborenen Partei, während ein Teil der Gefangenen bei ihrer Unterdrückung durch ihre Wächter mitwirkte. Als sie die Insel nach Verbüßung ihrer Strafe verlassen wollte, verabschiedete sich eine große Menge von Eingeborenen von ihr. Sie mußte versprechen zurückzukommen, ansonsten hätten sie die Eingeborenen nicht abreisen lassen.
5. Ihre feministischen Ideen
Der Feminismus der Louise Michel ist, wie so viele andere ihrer politischen Prinzipien, ein Erbe einer langen demokratisch-sozialistischen Tradition in Frankreich. Anfang der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hatte sie sich in den Querelles des femmes engagiert, in der Antifeministen wie Proudhon und Girardin, für die die Frauen "Hausfrauen oder Mätressen" waren und Feministinnen Genny d'Héricourt, Juliette Lamber, André Léo u.a.) ihren Streit austrugen. In ihrer Konzeption ist die Frauenfrage keine besondere Angelegenheit, sondern ein weiteres Glied in einer langen Kette von Unterdrückungen, in der der sozialen Frage, folglich dem Kampf zwischen Unternehmern und Arbeitern, die größte Bedeutung zukommt. Teilweise setzt sie die Frauenunterdrückung mit der Unterdrückung des Proletariates gleich. Sie beschäftigte sich intensiv mit der bürgerlichen Erziehung, die die weibliche Intelligenz verkümmern läßt:
- "Die jungen Mädchen, die zur Albernheit erzogen werden, werden absichtsvoll ungebildet gehalten, damit man sie besser betrügen kann: darauf läuft alles hinaus. Es ist, als ob man jemandem versprochen hat, ihm Schwimmen beizubringen und ihn dann einfach ins Wasser wirft, ja sogar mit gebundenen Gliedern ins Wasser wirft."
Sie klagte auch die "doppelte Prostitution" an, die der Straße und die der Ehe: "Die eine nimmt, wer immer sie will; die andere ist dem ausgeliefert, der sie will. Jedesmal dieselbe Prostitution. Unter uns praktiziert man weitgehend die Moral, die sonst im Meer anzutreffen ist." Gleichermaßen greift sie alle diejenigen an, die sich über ihre persönlichen Eigenarten verwundern oder empören:
- "In diesem schönen Frankreich scheint sich die Sitte fest eingebürgert zu haben, jede Frau, die ein bißchen einen männlichen Charakter zeigt, als pathologischen Fall einzustufen. Wünschenswert wäre, solche pathologischen Fälle breiteten sich auch unter den zögerlichen Männchen und anderen Arten des starken Geschlechtes aus."
Louise zeigt sich recht schroff jenen Männern in ihrer Umgebung gegenüber, die sich wie "Kavaliere" verhalten wollen. Sie verlangt von den Männern, wie gleich und gleich behandelt zu werden. In ihre Schriften nimmt sie die Einsicht von Flora Tristan wieder auf, daß der Proletarier ein Sklave ist, am meisten Sklavin aber unter allen Sklaven die Frau des Proletariers. Dennoch vertritt sie nicht mit der gleichen Konsequenz wie Flora Tristan oder Jeanne Deroin die Idee, die Frau in die soziale Bewegung miteinzubeziehen. Die Frau muß ihren Platz in der Gesellschaft ohne Bettelei erobern, ein Ziel, das sie nur mit dem Manne zusammen erreichen wird, denn:
- "Wir haben unsere Rechte. Kämpfen wir nicht an Eurer Seite in dem großen Gefecht, in dem höchsten Kampf? Werdet ihr etwa darangehen wollen, einen eigenen Beschluß zugunsten der Rechte der Frauen zu fassen, wenn Männer und Frauen die Rechte der Menschheit erobert haben?"
6. Ihre Tätigkeiten als Anarchistin
Im November 1880 kehrte Louise über London nach Frankreich zurück, nachdem eine endgültige und umfassende Amnestie für die Kommunarden verkündet worden war. Sie hatte mehrfach jede persönliche Begnadigung, die nicht auch ihren Genossinen und Genossen die Freiheit gebracht hätte, abgelehnt. Auch bei anderen Anlässen sollte dies ihre Haltung bleiben.
Auf ihrer Reise nach Neu-Kaledonien mußte sie beobachten, daß selbst die Besten zu autoritärem Verhalten neigten. Sie wurde deswegen zu einer "gefühlsmäßigen" Anarchistin, ohne sich aber an den verschiedenen Auseinandersetzungen im libertären Lager zu beteiligen oder sich einer Strömung zuzurechnen. Es war ihr auch kein Problem, an vielen von Marxisten organisierten Aktionen teilzunehmen. In der Überzeugung, daß "die Macht eine verfluchte Sache ist", war sie während eines Vierteljahrhunderts die "rote Jungfrau", die "gute Louise", die in einer Gegend Frankreichs nach der anderen - immer begleitet von den argwöhnischen Augen der Staatssicherheit die frohe Botschaft der sozialen Revolution verkündete. Ihr Edelmut wurde zur Legende, was selbst die Polizei in ihren internen Bulletins zugeben mußte. (Öffentlich tat sie es selbstredend nicht, um nicht die Hetzkampagnen der reaktionären Presse gegen Louise zu desavouieren.) Ein Beispiel für ihre Güte finden wir in ihrer Reaktion auf einen Mordversuch, dessen Opfer sie im Januar 1888 geworden war. Dabei wurde sie schwer verletzt. Die Genesende schrieb der Frau des Täters einen Brief, in dem es heißt:
- "Ich habe von Ihrer Verzweiflung erfahren und möchte Sie beruhigen. Machen Sie sich keine Sorgen. Da man nicht behaupten kann, daß Ihr Mann sich der Tragweite seiner Handlung bewußt war, kann er unmöglich nicht freigelassen werden. Meine Freunde, meine Ärzte, die Presse von Paris und auch die von Le Havre werden unaufhörlich seine Freilassung verlangen. Und wenn sie sich zu lange verzögert, werde ich nach Le Havre zurückkommen und dann wird mein Vortrag kein anderes Thema haben, als diese Maßnahme der Gerechtigkeit zu fordern. Und die ganze Stadt wird dabeisein."
Als aktive Anarchistin war sie an zahllosen politischen Kampagnen beteiligt und nahm an mehreren Kongressen der libertären Internationale teil, unter anderem an dem von London im Juli 1881 unter Vorsitz von Pjotr Kropotkin und Edwin Dun, auf dem sich die politische Ausrichtung der "Propaganda durch die Tat" durchsetzte. Mit dieser Linie hatte Louise ihre Schwierigkeiten, denn sie stand eher im Einklang mit dem revolutionären Syndikalismus, den die Allgemeine Arbeiterkonföderation vertrat, für die sie sich seit ihrer Gründung bis zu ihrem Tod einsetzte. In den achtziger Jahren trat sie einige Male zusammen mit Jules Guesde, Paul Lafargue und Edouard Vaillant - drei der wichtigsten historischen Führer der klassischen französischen Sozialdemokratie - auf und unternahm mit ihnen Vortragstourneen durch Frankreich. Von 1890 bis 1895 lebte sie in London im Exil, denn die Polizei neigte dazu, ihr die Verantwortung für alle gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und insbesondere die Attentate der Anarchisten in die Schuhe zu schieben, selbst wenn sie zum fraglichen Zeitpunkt gar nicht anwesend war.
Sie starb am 9. Januar 1905 in Marseille, als in Rußland sich das Wetterleuchten der kommenden Revolution bereits ankündigte, der sozialen Revolution, für die sie seit der Kommune gelebt und die sie auf ihren zahlreichen Vorträgen verkündet hatte. Nach diversen Streitigkeiten unter den verschiedenen anarchistischen Strömungen wurden ihre sterblichen Überreste nach Paris überführt. Ihrem Sarg folgten wohl hunderttausend Menschen, unter denen sich Sozialisten und Sozialistinnen aller Tendenzen befanden. Seit dem Tode von Victor Hugo hatte Paris solches nicht mehr erlebt.