Der blinde Fleck ... I

Die Unbekannte der Wissenschaft

  • Ein zu unmittelbares Wiedererkennen. — Das anatomische Modell. — Eine dennoch unschlüssige Wissenschaft. — Eine Frage der Methode. - Die Bedeutung der (Re-)Produktion und die phallische Ordnung. - Eine Differenz, die unbeachtet bleibt. — Die Arbeit des »Frauwerdens«.

»Meine Damen, meine Herren! [...] Über das Rätsel der Weiblichkeit haben die Menschen zu allen Zeiten gegrübelt. [...] Auch Sie werden sich von diesem Grübeln nicht ausgeschlossen haben, insofern Sie Männer sind; von den Frauen unter Ihnen erwartet man es nicht, sie sind selbst dieses Rätsel.«[1]
Für Sie, meine Herren, handelt es sich also darum, daß Sie untereinander, unter Männern, über die Frau sprechen, die ihrerseits nicht daran interessiert sein kann, einen Diskurs zu hören oder herzustellen, der das Rätsel betrifft, den Logogriph, den sie für Sie darstellt. Das Mysterium also, das die Frau ist, wird das Ziel, das Objekt und den Spieleinsatz eines männlichen Diskurses begründen, einer Debatte unter Männern, die die Frau nicht interessieren, nichts angehen kann. Von der sie notfalls gar nichts zu wissen brauchte.
»Männlich oder weiblich« - so behauptet er, behaupten sie zunächst einmal - »ist die erste Unterscheidung, die Sie machen, wenn Sie mit einem anderen menschlichen Wesen zusammentreffen, und Sie sind gewöhnt, diese Unterscheidung mit unbedenklicher Sicherheit zu machen.« Aber wie? Das bleibt unausgesprochen, und es scheint Ihnen auch nicht der Mühe wert, dem nachzugehen. Schweigen also über diese unbedenkliche Sicherheit, die Sie davor bewahrt, sich bereits beim ersten Blick in dem Geschlecht der Person zu täuschen, der Sie begegnen könnten. Die Hauptsache ist, so scheint es, daß Sie ohne Zögern fest davon überzeugt sind, sich nicht irren zu können. Daß die Kultur (?) Sie darin versichert, Sie absichert - oder Sie versichert hat? Sie abgesichert hat? -, daß die Unterscheidung unfehlbar ist.
»Die anatomische Wissenschaft teilt Ihre Sicherheit in einem Punkt und nicht weit darüber hinaus. Männlich ist das männliche Geschlechtsprodukt, das Spermatozoon und sein Träger, weiblich das Ei und der Organismus, der es beherbergt. Bei den Geschlechtern haben sich Organe gebildet, die ausschließlich den Geschlechtsfunktionen dienen, wahrscheinlich aus der nämlichen Anlage zu zwei verschiedenen Gestaltungen entwickelt.« Was für eine Anlage? Bis hierher kann man daraus nur folgern, daß das, was als Spezifizität und als gemeinsame Anlage beider Geschlechter bestimmt wird, lediglich einen Prozeß der Produktion und Reproduktion meint. Und daß je nach Art der Teilnahme an dieser Ökonomie mit jener Sicherheit entschieden wird, wer männlich und wer weiblich ist. Die sogenannte wissenschaftliche Objektivität äußert sich zu dieser Frage nur aufgrund des offensichtlichen - mikroskopischen — Unterschieds zwischen den Keimzellen. Es sei denn, sie erkennt auch die (anatomisch-physiologische) Evidenz des Produkts der Kopulation an. Der Rest erscheint ihr in Wahrheit zu unentscheidbar, als daß sie - wie Sie es tun - das Risiko eines Urteils, einer differenzierten Entscheidung auf sich nehmen würde.
Sicher, »bei beiden zeigen außerdem die anderen Organe, die Körperformen und Gewebe eine Beeinflussung durch das Geschlecht, aber diese ist inkonstant und ihr Ausmaß wechselnd, die sogenannten sekundären Geschlechtscharaktere«. Und sollten Sie hier - allzu leichtfertig - vertrauen, so wird die Wissenschaft Sie zur Vorsicht mahnen. »Und dann sagt Ihnen die Wissenschaft etwas, was Ihren Erwartungen zuwiderläuft und wahrscheinlich geeignet ist, Ihre [und seine?] Gefühle zu verwirren. Sie macht Sie darauf aufmerksam, daß Teile des männlichen Geschlechtsapparates sich auch am Körper des Weibes finden, wenngleich in verkümmertem Zustand, und das gleiche im anderen Falle.« Sie läßt Sie also in dieser objektiven Tatsache »das Anzeichen einer Zwiegeschlechtigkeit, Bisexualität«[2] wahrnehmen, »als ob das Individuum nicht Mann oder Weib wäre, sondern jedesmal beides«. Sie sind also Mann und Frau. Mann oder Frau? Aber - Sie können beruhigt, sicher sein — der eine der Charaktere überwiegt stets den anderen. Und trotzdem, machen Sie sich »mit der Idee vertraut, [...] daß das Verhältnis, nach dem sich Männliches und Weibliches im Einzelwesen vermengt, ganz erheblichen Schwankungen unterliegt«. Es ist daher eine gewisse Vorsicht geboten, ehe man Anspruch auf Zugehörigkeit zu dem einen oder dem anderen Geschlecht erhebt. Doch seien wir ernsthaft und kehren wir zu den wissenschaftlich geprüften Wahrheiten zurück, es sind »bei einer Person nur einerlei Geschlechtsprodukte - Eier oder Samenzellen - vorhanden«. Nun, Gott sei Dank, »[...] von allerseltensten Fällen abgesehen«.
Sie müssen »an der entscheidenden Bedeutung dieser Elemente irre werden und den Schluß ziehen, das, was die Männlichkeit oder die Weiblichkeit ausmache, sei ein unbekannter Charakter, den die Anatomie nicht erfassen kann«. Es ist also die Erwartung der Entdeckung einer Unbekannten, bei der die Objektivität des wissenschaftlichen, zumindest des anatomischen Diskurses über die Differenz der Geschlechter haltmacht und ins Straucheln kommt.
»Kann vielleicht die Psychologie« dieses Problem lösen? Kann sie ihrer,  ihren  Unbekannten irgendeinen  Wert zuschreiben?  Es scheint, Sie sind es »gewohnt, männlich und weiblich auch als seelische Qualitäten zu gebrauchen«, weshalb Sie nun vom eher männlichen oder eher weiblichen »Verhalten« einer bestimmten Person sprechen. Aber damit belegt Ihr angeblich psychologischer Diskurs »bloß die Gefügigkeit gegen die Anatomie und die Konvention«.   Anders  ausgedrückt,   diese   Unterscheidung  ist keine psychologische. Im übrigen verbinden Sie im allgemeinen den Terminus männlich mit dem Aktiven, den Terminus weiblich mit dem Passiven, und es ist »richtig, daß eine solche Beziehung besteht«. Denn »die männliche Geschlechtszelle ist aktiv beweglich, sucht die weibliche auf und diese, das Ei, ist unbeweglich passiv erwartend«. Und ich, Freud, sage Ihnen, daß »dies Verhalten der geschlechtlichen Elementarorgasmen [...] sogar vorbildlich [ist] für das Benehmen der Geschlechtsindividuen beim Sexualverkehr«. Meine Art, die Dinge, diese »Dinge« ins Auge zu fassen, folgt daher einer Bestimmung, die dem Psychischen von der Anatomie, entsprechend der Struktur der Mimesis, vorgegeben ist auf diese Weise zwingt die anatomische Wissenschaft den »psychologischen Verhaltensweisen« die Wahrheit ihres Modells auf. Im Koitus mimen Mann und Frau die Art der Beziehung, die zwischen Spermatozoon und Eizelle besteht: »Das Männchen verfolgt das Weibchen zum Zweck der sexuellen Vereinigung, greift es an, dringt in dasselbe ein.« Aber »damit haben Sie eben für die Psychologie den Charakter des Männlichen auf das Moment der Aggression reduziert«. Was den Charakter der Weiblichkeit angeht, ich, Sie, wir... sprechen wir nicht davon. In dieser Beweisführung, dieser Begutachtung waren es jedenfalls Sie, die dem Spermatozoon bei seiner Jagd nach der Eizelle »Begehren« zugeschrieben haben.
Doch kommen wir auf diese ein wenig ungünstige Bestimmung des psychischen Charakters des Männlichen zurück. Es ist - mittlerweile — die Zoologie, die Sie zu mehr Vorsicht mahnt, die Aggressivität eindeutig und allein dem Männlichen zuzuordnen. Sie erinnert Sie daran, daß »in manchen Tierklassen« in der Tat »die Weibchen die stärkeren und aggressiveren sind«. Denken Sie zum Beispiel an das sexuelle Verhalten der Spinne.
Die Zoologie stellt außerdem die Tatsache, daß »die Funktionen der Brutpflege und Aufzucht« spezifisch weibliche Funktionen seien, in Frage. »Bei recht hochstehenden Arten beobachtet man, daß die Geschlechter sich in die Aufgabe der Brutpflege teilen oder selbst, daß das Männchen sich allein ihr widmet.« Muß man daraus schließen, daß diese Tierarten die Frage der sexuellen Differenz besser als Sie, als wir von der elterlichen Funktion trennen? Und, vor allem, daß sie eine Unterscheidung zwischen weiblicher Sexualität und Mutterschaft treffen, eine Unterscheidung, die die »Kultur« ausgelöscht hat?
Aber der Hinweis oder die Berufung auf das Zoologische als Beispiel bleibt unverstanden oder führt nur zu einem Mißverständnis. Denn in der Debatte um die Koppelung der Begriffspaare männlich/weiblich und aktiv/passiv ist es gerade die Mutter, die nun als Paradigma des Weiblichen »auf dem Gebiet des menschlichen Sexuallebens« dient. Tatsächlich, fährt Freud fort, ist es »unzureichend [...], das männliche Benehmen durch Aktivität, das weibliche durch Passivität zu decken. Die Mutter ist in jedem Sinn aktiv gegen das Kind«. Das als Beweis angeführte Beispiel des Stillens wirft sogleich Probleme auf, denn es ist schwer zu begreifen, wie sich »stillen« schlicht auf eine Aktivität reduzieren kann außer nach linguistischen Kriterien (verbum transitivum, activum etc.), die im übrigen durch das Wort »säugen« sofort wieder in Frage gestellt werden (wobei sich die Mutter diesmal in der Position des Objekts der »Aktivität« des Säuglings befindet, ob er nun an ihr saugt oder ob sie sich von ihm säugen läßt*).* Dieser für uns ungewöhnliche Sprachgebrauch (»Sie läßt sich vom Kind säugen«) findet sich bei Freud selbst. Vgl. Die Weiblichkeit, a.a.O., S. 122. (Anm. d. Ü.)
Oder soll das als schlichte Aktivität begriffene Stillen - wir kommen darauf zurück - der erzwungenen (?) Fabrikation eines Produkts gleichgestellt werden? Die Milch wäre die einzige Produktion, die man der Frau - der Mutter — nicht streitig machen kann und die sie im übrigen allein realisiert.
Jeder Gedanke an Genuß beim Stillen scheint hier ausgeschlossen, geleugnet, untersagt - was derlei Aussagen sicher manche Nuancen hinzufügen würde. Aber hier scheint das Monopol der Erzeuger-»Aktivität« auf dem Spiel zu stehen, die Teilhabe an einer »phallischen« Macht. Ohne Frage ist die Art und Weise, wie Freud vom Stillen spricht, problematisch, aber noch problematischer ist wohl die Identifizierung des Weiblichen mit dem Mütterlichen, deren Auswirkung, deren Eingleisigkeit und deren Einengung noch gar nicht ermessen sind. Doch hält der Freudsche Diskurs sich dabei nicht lange auf, er folgt seiner seltsamen Gynäkologie, freilich nicht ohne ein bestimmtes Bild zu hinterlassen: eine (Frau) Mutter, die aktiv ihr Kind stillt.
Und die Zuhörer bleiben ratlos über die Kriterien der sexuellen Differenz zurück. Aber er fährt fort, scheinbar problemlos, ohne Bruch. Dennoch ist insgeheim, hier wie auch an anderen Stellen -vor allem wenn von der Frau die Rede ist - der Faden der Argumentation, der Logik zerrissen. Ein Umweg wird eingeschlagen, der ohne Zweifel das Vorangegangene kreuzen, es verknüpfen wird, aber das dabei entstehende Flechtwerk trotzt der Auflösung in einen linearen Diskurs und in eine Form, die nach der Logik der Widerspruchslosigkeit für unerläßlich erachtet wird. Es ist das Unbewußte, das hier spricht. Wie könnte es auch anders sein? Vor allem dann, wenn es die sexuelle Differenz ist, von der er spricht.
jetzt werden Sie verstehen, daß »je weiter Sie sich vom engeren sexuellen Gebiet entfernen« - gründet es sich also auf eine örtlich begrenzte Aktivität? auf eine sektorialisierte? spezialisierte? aber bezogen auf welche Allgemeinheit? auf welche  Totalität? auf welche Kapitale? -, »desto deutlicher wird jener >Überdeckungsfehler«<* - (* In der französischen Übersetzung: »erreur de raisonnement analogique«. (Anm. d.Ü. - auf den er indessen immer wieder rekurriert und weiterhin rekurrieren wird, und zwar gerade indem er ihn als Fehler hinstellt und versucht, auch Sie davon abzubringen, von ihm Gebrauch zu machen). »Frauen können große Aktivität nach verschiedenen Richtungen entfalten, Männer können nicht mit ihresgleichen zusammenleben (?), wenn sie nicht ein hohes Maß von passiver Gefügigkeit entwickeln.« Das Wesentliche steckt hier darin, wie bestimmte Ausdrücke dem Satz einen Sinn geben, der suggeriert, es könne sich bei den Handlungen dieser Frauen nur um einen Aktivismus handeln, der einzig dank einer unterwürfigen Gefügigkeit des Mannes ausgeübt werden kann. Eigenartige Wahl eines Beispiels für Bisexualität... Wie dem auch sei, für das Wesentliche bleibt dem Mann die »Aktivität« überlassen: beim Koitus. Sie werden sich auch daran erinnern, wie das bei bestimmten Tieren ist: »[...] daß in manchen Tierklassen die Weibchen die stärkeren und aggressiven sind, die Männchen nur aktiv bei einem Akt der geschlechtlichen Vereinigung.« Und dennoch, wenn Sie davon überzeugt sein sollten, daß die Passivität mit der Weiblichkeit und die Aktivität mit der Männlichkeit zusammengehen, so »rate ich Ihnen davon ab«, denn »es erscheint unzweckmäßig, und es bringt keine neue Erkenntnis«. Also, wie denn nun?
Doch hören wir wieder oder, besser, hören wir weiter zu, ohne Ungeduld. »Man könnte daran denken, die Weiblichkeit psychologisch durch die Bevorzugung passiver Ziele zu charakterisieren. Das ist natürlich nicht dasselbe wie die Passivität; es mag ein großes Stück Aktivität notwendig sein, um ein passives Ziel durchzusetzen. Vielleicht geht es so zu, daß sich beim Weib von ihrem Anteil an der Sexualfunktion her eine Bevorzugung passiven Verhaltens und passiver Zielstrebungen ein Stück weit ins Leben hinein erstreckt, mehr oder weniger weit, je nachdem sich diese Vorbildlichkeit des Sexuallebens begrenzt oder ausbreitet.« Nachdem die Ungereimtheit der Entgegensetzung aktiv/passiv für die Charakterisierung der Differenz männlich/weiblich herausgestellt wurde, wird jetzt der Versuch gemacht, das Spiel durch die Einführung des schwer zu interpretierenden Begriffs der »passiven Ziele« zu retten. Das heißt nicht, daß dieser Begriff nicht von Interesse wäre und daß er nicht lange Kommentare verdiente. Doch worum handelt es sich hier, wenn nicht darum, die Ökonomie des Verhältnisses von Aktivität und Passivität zu komplizieren? Indem ihr Funktionieren in jedem der beiden Pole männlich/ weiblich gestattet wird, aber zu verschiedenen »Zeiten« und in gewisser Weise komplementär zueinander. Eine Aufteilung der »Rollen«, bei der noch einmal — und gleichgültig, -was es damit auf sich hat — von der Frau im Augenblick des Koitus die Passivität verlangt wird, wobei ihr, wegen deren Brauchbarkeit in der Sexualfunktion, eine gewisse Neigung zur Aktivität zugestanden wird, eine Aktivität, die sie dabei braucht und die streng nach den mehr oder minder großen Implikationen der Vorbildlichkeit des Sexuallebens geregelt ist.
Die Funktion der Reproduktion wird nicht explizit benannt aber das, was vorausgegangen ist oder was folgt, ebenso wie der Hinweis auf andere Texte[3] lassen erkennen, daß das Allgemeine der Sexualfunktion und ihre Vorbildlichkeit sich ausschließlich auf diese beziehen. Gerettet werden soll daher, daß der Mann der Erzeuger ist, daß die sexuelle Produktion und Reproduktion allein auf seine »Aktivität«, allein auf seinen »Entwurf« zurückzuführen ist wobei die Frau nur das Receptaculum ist, das passiv sein Produkt aufnimmt, wenngleich sie manchmal - durch Mobilisierung ihrer passiven Triebziele - selbst darum gebeten, sich darum bemüht, ja sogar verlangt hat, daß dieses Produkt ihr eingepflanzt wird. Matrix - Erde, Fabrik, Bank —, der das Saat-Gut anvertraut wird damit es dort keimt, produziert wird, Früchte trägt, ohne daß die Frau das Eigentum daran oder auch nur dessen Nutznießung für sich beanspruchen könnte; schließlich ist sie lediglich »passiv« der Reproduktion unterworfen. Sie selbst wird als (Re-)Produktions-mittel besessen.[4]
Man versteht, wie schwierig es ist, die Anteile von Aktivität und Passivität in der Ökonomie der sexuellen Reproduktion voneinander zu trennen, was übrigens nicht ausschließt, daß man den Ruf nach einer (wenn man so sagen kann) anderen Ökonomie aufnimmt:

  1. um zu behaupten, daß man die Unentschiedenheit beseitige oder das Unentscheidbare, das eine solche Frage aufwirft, suspendiere,
  2. um eben diese Frage dadurch zu beantworten, daß man dem Mann die »Aktivität« im Prozeß der Fortpflanzung zuschreibt oder, anders ausgedrückt, um sie durch die gegensätzlichen Begriffe aktiv/passiv klar zu entscheiden.

Der Rekurs auf eine »andere« Ordnung taucht übrigens an diesem Punkt in dem Text Freuds in unvorhersehbarer und fragmentarischer Gestalt auf - wie in Parenthese und doch in kurioser Befehlsform: »Dabei müssen wir aber achthaben, den Einfluß der sozialen Ordnung nicht zu unterschätzen, die das Weib gleichfalls in passive Situationen drängen.« Bei welcher sozialen Ordnung soll man »achthaben«, ihre Macht nicht zu unterschätzen, die die Frau gleichfalls in ihren »passiven Situationen« festhält? Was heißt hier gleichfalls? Eine Aufzählung konkurrierender Faktoren? Könnte man nicht die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß der eine den »anderen« vorschreibt, indem er den Diskurs, die Ideologie legitimiert, sogar produziert, die ihn als solchen erst bestimmen. Eine ohne Zweifel unumgängliche Frage, wenn die »soziale Ordnung« nicht in der Vagheit einer so allgemeinen Erwähnung bliebe, die gänzlich ungetrübt ist von jeder Parteinahme, so daß sie jede Wirksamkeit verliert. Ihre einzige Bedeutung, so scheint es, liegt in dem quasi erzwungenen Hinweis auf ein Problem, das sich aufdrängt, das beharrt, wiederkehrt, dessen Voraussetzungen aber dem »Redner« zu entgehen scheinen, der freilich erkennt, daß dies »alles noch sehr ungeklärt ist«. Vielleicht ebenso ungeklärt und dunkel wie der »dark continent«* (* Vgl. S. Freud, G. W., Bd. XIV, S. 241. (Anm.. d. Ü.) der Weiblichkeit?
Dennoch fährt er fort: »Eine besonders konstante Beziehung zwischen Weiblichkeit und Triebleben wollen wir nicht übersehen. Die dem Weib konstitutionell vorgeschriebene [was heißt das?] und sozial auferlegte Unterdrückung** (welche?)  (In der französischen Übersetzung: »les regles sociales et sa Constitution propre contraignent la femme.« (Anm. d. 0.) [-welche?] seiner Aggression begünstigt die Ausbildung starker masochistischer Regungen, denen es ja gelingt, die nach innen gewendeten destruktiven Tendenzen erotisch zu binden [zu binden oder zu zensieren?].« In gewisser Weise gibt es also überhaupt keine Aggressivität, die der Frau erlaubt wäre. Aber, um es noch einmal zu wiederholen, die Mobilisierung so heterogener Argumente wie »die sozialen Regeln« und »die ihr eigene Konstitution« reizt dazu sich die Frage nach den Imperativen jener »Regeln« für die Repräsentation dieser »Konstitution« zu stellen, nach dem Interesse das jene daran haben, sich zur Stütze, zu Komplizen einer solchen Einschätzung der weiblichen »Konstitution« zu machen. Muß man darin den Beweis sehen, daß die »soziale Ordnung« — und auch der Text von Freud, der durch sie gewissermaßen gestützt wird — jede Aggressivität nach Maßgabe jener Aggressivität bewertet, die in der männlichen Homosexualität im Spiel ist? Denn die Konkurrenz und Rivalität im Handel, vor allem im sexuellen Handel, kann nur unter Männern ausagiert werden. Rühren daher die doppelten Verbote, die über die weibliche Aggressivität verhängt sind? Es kommt von nun an bei der Frau, sofern sie nicht den »sozialen Regeln« und ihrer »Konstitution« zuwiderhandelt zur Ausbildung starker masochistischer Regungen, denen es gelingt, die nach »innen« gewendeten destruktiven Tendenzen erotisch zu binden. Man muß ihr ja auch irgendeine Rolle in dem Funktionieren des Begriffspaares innen/außen zuweisen, das in gewisser Weise die Opposition aktiv/passiv durchdringt und unterstützt. Was das »Innen« betrifft — ihres natürlich —, so wird die Frau zur Zerstörerin gemacht, denn nichts berechtigt sie   die Aggression oder die Aktivität gegen ein anderes oder nach außen zu wenden (man könnte die »Aktivität« des Stillens dagegen anführen, aber das ist ziemlich unentschieden geblieben). Wenn sich bei der Frau Aktivität oder Aggression zeigt, dann wird sie als »viril« oder »zerstörerisch« bezeichnet. »Der Masochismus ist also, wie man sagt, echt weiblich.« Und wie ich (Freud) es Ihnen noch einmal sage: »Wenn Sie aber dem Masochismus   wie so häufig, bei Männern begegnen, was bleibt Ihnen übrig, als zu sagen diese Männer zeigen sehr deutliche weibliche Züge?« Dies scheint allerdings ärgerlich genug, um den Gedankengang zu unterbrechen, einen Absatz zu machen und folgenden Schluß zu ziehen:
»Nun sind Sie bereits vorbereitet darauf, daß auch die Psychologie das Rätsel der Weiblichkeit nicht losen wird.« Wer hat die Entwicklung dieser Argumentationskette verstanden, außer demjenigen, der einen zusätzlichen Lustgewinn daraus zieht? Daraus gewinnt sie ihre Stärke, die man freilich nicht einfach hinnehmen kann. Denn wenn in der Tat die Bisexualität einmal zugestanden wurde, warum werden dann ihre Implikationen so rasch beschnitten, besonders was den männlichen Masochismus angeht? Das Mysterium - Hysterium?* - betrifft vielleicht nicht nur »die Weiblichkeit«, auch nicht in dieser Vorlesung, die nur ihr und ihrer Bedeutung gewidmet ist. Warum also will man dieses Rätsel ausschließlich ihr vorbehalten? Es scheint, als wäre dies notwendig, um die Argumentation überhaupt möglich zu machen, um von der »männlichen Sexualität« als einer klar definierten, definierbaren, sogar praktikablen allererst sprechen zu können.
Also, die Psychologie liefert uns nicht den Schlüssel zum Rätsel der Weiblichkeit, dem dunklen Raum, dem geheimnisvollen Tresor, dem abgründigen Boden, der sich ihren Untersuchungen entzieht. »Diese Aufklärung * muß wohl anderswoher kommen.« (Man verzichtet nicht so rasch auf sie, wenn man bisher und gerade in diesem Punkt eine vom Licht, vom Photologischen bestimmte Metaphorik gebraucht hat.) Doch wird das Licht der Aufklärung nicht leuchten, »ehe wir erfahren haben, wie die Differenzierung der lebenden Wesen in zwei Geschlechter überhaupt entstanden ist. Nichts wissen wir darüber«. Seien Sie also sicher, daß dies nicht schon morgen auf der Tagesordnung steht. Begreifen Sie aber auch, daß Sie, um das »Rätsel der Weiblichkeit« zu ergründen, weiterhin auf die Wissenschaft verwiesen sind.
Wenn Sie jedoch die Aussage nur als Kennzeichen der Differenzierung in zwei Geschlechter interpretieren, dann werden Sie erkennen, daß einer der beiden Differenzbegriffe lediglich als variabler Faktor einer Re-Markierung der Sexualität - aber welcher? - durch ihren eigenen Verlauf fungiert. Anders gesagt, damit Licht auf die (sogenannte) weibliche Sexualität fallen kann und Erkenntnisse über sie zur Sprache kommen können, hätte schon immer eine Differenz wirksam sein müssen, die man allerdings - wegen ihres nur schwer repräsentierbaren Charakters? -nicht beachtet, eine Differenz, aus der man einen der beiden Begriffe — doch in Beziehung auf was wird er bestimmt? — herausnimmt, ihn im »Ursprung« begründet, und dessen Differenzierung dann den anderen erzeugen und ans Licht bringen wird. Indem das Selbe sich immer wieder - einmal mehr, einmal weniger — neu bezeichnet, produziert es den anderen, dessen Funktion in dem Differenzierungsprozeß vernachlässigt, vergessen wird. Oder er wird in irgendeiner Extrapolation dargestellt, in der unbestimmten Allgemeinheit irgendwelcher großgeschriebener Begriffe: die Sexualität, die Differenz, der Phallus, etc. Im Hinblick auf die Sexualität überhaupt ließe sich daher bis jetzt nur die Geschichte der Praxis der »männlichen Sexualität« oder die Geschichte als Praxis »männlicher Sexualität« klar artikulieren.

»[...] und die Zweigeschlechtlichkeit ist doch ein so auffälliger Charakter des organischen Lebens, durch den es sich scharf von der unbelebten Natur scheidet.« Könnte das nicht eine deutlich auf die Bedürfnisse der Argumentation zugeschnittene Unterscheidung sein? Wenn das Heterogene in der sexuellen Praxis erst einmal eine Reduktion erfahren hat, begünstigt man nicht gerade dann das Fortwuchern von Differenzen, einen Zwang zu differenzieren, damit die Lust — oder ist es Angst vor der Indifferenz? -zumindest in der Kunst oder in der Wissenschaft von der Dialektik fortbesteht?
»Unterdes finden wir an jenen menschlichen  Individuen   die durch den Besitz von weiblichen Genitalien als manifest oder vorwiegend weiblich charakterisiert sind, genug zu studieren [wir Männer, Analytiker]. Der Eigenart der Psychoanalyse entspricht es dann, daß sie nicht beschreiben will, was das Weib ist, das wäre eine für sie kaum lösbare Aufgabe, sondern untersucht  wie es wird, wie sich das Weib aus dem bisexuell veranlagten Kind entwickelt.« Man kann diesen Sätzen über die  Unmöglichkeit (sich) erschöpfend vorzustellen, was das Weib ist, nur zustimmen solange eine bestimmte Ökonomie der Repräsentation, von der die Psychoanalyse jedenfalls in ihrem »wissenschaftlichen Diskurs« nicht viel ahnt, aufgrund eines Tributs funktioniert, der der Frau niemals gezahlt wird und der auch niemals berechnet wurde - eine Anleihe, dank der die Problematik des Seins zutage getreten ist. Es ist strenggenommen nicht möglich, das Sein der Frau zu beschreiben. Was die Untersuchung angeht, »wie es wird, wie sich das Weib aus dem bisexuell veranlagten Kind entwickelt« so kann man sich darüber wundern oder aber es verdächtig finden daß sie eine Frau werden muß - die außerdem »normal« sein soll - und daß diese »Entwicklung des kleinen Mädchens zum normalen Weib« verglichen mit der, ein Mann zu werden, »die schwierigere und kompliziertere ist«. Eine Frage, die ebenfalls abhängig ist von einer Ökonomie - der Repräsentation —, auf die Freud rekurriert, ohne sie zu kritisieren, ohne sie genügend zu problematisieren; von einer Systematik, deren Sinn sich über Paradigmata, über Werteinheiten regelt, die von männlichen Subjekten bestimmt werden. Das Weibliche muß von nun an als »interdit«* (* Eigentlich: Verbot (interdit). (Anm. d. Ü.) dechiffriert werden: in den Zeichen oder zwischen ihnen, zwischen realisierten Bedeutungen, zwischen den Zeilen und in Funktion zu den Notwendigkeiten der (Re-)Produktion einer der Vernunft des Phallus gehorchenden Währung, von der man unmittelbar schließen kann, daß sie in Ermanglung eines oder einer konkurrierenden anderen ihren eigenen anderen braucht: eine Art umgekehrtes alter ego oder Negativ — durchaus photographisch, »schwarz« also. Kehrseite, Gegenteil, selbst Widerspruch, erforderlich, um einen Prozeß der Spekula(risa)tion** (** specularisation: Spekulation und Spiegelung. (Anm. d. Ü.) des männlichen Subjekts in Gang zu setzen und in ihm für eine ständige Ablösung und Veränderung zu sorgen. Notwendig treten eben diese Wirkungen des Negativs ein; sie resultieren aus einer Zensur (und sind dann mobilisierbar), die über das Weibliche verhängt ist, dessen Wiedererscheinen nun etwa in folgenden Formen zugelassen und vorgeschrieben wird: sein/werden, Geschlecht haben/kein Geschlecht haben, phallisch/nicht phallisch — Penis/Klitoris, aber auch Penis/Vagina -, mehr [weniger, klar repräsentierbar/dark continent, Logos/Schweigen oder haltlose Geschwätzigkeit, Wunsch nach der Mutter/Wunsch, Mutter zu sein etc. Es sind dies allesamt Interpretationsmodi der Funktion der Frau, die rigoros vom Fortgang eines bestimmten Spiels gefordert werden, in dem sie allemal eingesetzt wird, ohne daß sie selbst angefangen hätte zu spielen. Plaziert zwischen — mindestens — zwei oder zwei halben Männern; ein Scharnier, das sich ihren Tauschakten entsprechend bewegt; Reserve - (an) Negativität zur Abstützung des Ausdrucks ihrer Schritte*** (*** Frz.: pas: Schritt, aber auch: nicht. (Anm. d. Ü.) auf einem — zum Teil sicherlich fiktiven - Vormarsch zur Kontrolle der Macht. Des Wissens. Woran sie nicht teilhat. Außerhalb des Schauplatzes, außerhalb der Repräsentation, außerhalb des Spiels, außerhalb des Ich. Kraftreservoir für die zukünftigen dialektischen Operationen. Wir kommen darauf zurück.
Was übrigens dieses »Frau-Werden« angeht — das hauptsächlich im Anerkennen und Akzeptieren ihrer eigenen phallischen Verkümmerung besteht —, so könnte man, nebenbei, hervorheben, daß in der Ausarbeitung der analytischen Theorie wenig von der Reduktion bisexueller Tendenzen beim Mann die Rede sein wird. Das Problem ist hier offensichtlich subtiler als bei der weiblichen Sexualität. Denn welches männliche »Organ« wird man ähnlichem Spott aussetzen wie die Klitoris? Ein Penis, zu winzig, als daß der Vergleich nicht eine totale Entwertung, eine völlige Fehlbesetzung nach sich zöge. Gut, da sind noch die Brüste. Doch sie sind zu den sekundären, sprich: zweitrangigen Geschlechtsmerkmalen zu rechnen. Das rechtfertigt offenbar, daß man sich über die möglichen Auswirkungen ihrer Verkümmerung beim Mann wenig Gedanken macht. Fraglos zu Unrecht, wenn man sich an die Ratlosigkeit über die Kriterien der sexuellen Differenz erinnert, die sich im Zusammenhang mit dem Stillen bekundet hat. Daß der Mann keine Gebärmutter hat, läßt sich als einen ihm unerträglichen Mangel interpretieren, da sein Beitrag zur Schwangerschaft -seine Funktion, was den Ursprung der Reproduktion angeht -deswegen relativ wenig Evidenz besitzt, ja, sogar in Zweifel gezogen werden kann. Eine Unsicherheit, die sowohl durch die »aktive« Rolle des Mannes beim Koitus wie auch durch die Tatsache, daß er das Produkt der Koproduktion mit seinem eigenen Namen markiert, gemildert werden soll. Die Frau, deren Beteiligung an der Arbeit der Erzeugung des Kindes unmöglich zu bezweifeln ist, wird so zur anonymen Arbeitskraft, zur Maschine im Dienst eines Herrn und Besitzers, der das fertige Produkt abstempeln wird. Es ist nicht übertrieben, wenn man einen guten Teil besonders der kulturellen Produktionen als Konterpartie oder als Suche nach Äquivalenten zur Funktion der Frau in der Mutterschaft deutet. Und der Wunsch, den der Mann dabei zur Schau stellt, sich selbst als das zu bestimmen, was in ihnen als »Ursprung« gilt, sein Wunsch, sich selbst (als Selbst), jetzt und für immer, in ihnen zu (re-)produzieren, sind nicht zu verleugnende Indizien dafür.
Für den Mann also sind die Substitute, die es ihm erlauben, bisexuellen Neigungen nachzugeben, keineswegs verboten, vorausgesetzt, sie sind historisch valorisiert. (Wie Sie sich erinnern, ist dies beim Masochismus nicht der Fall. Auch nicht, so könnte man hinzusetzen, bei der passiven Homosexualität, die offensichtlich der Vorstellung von der Funktion, die der Frau beim Koitus abverlangt wird, zu nahe steht.) Die Frau dagegen hält allein die Unterdrückung von Wünschen, die als phallische bezeichnet werden, von einer eventuellen Beteiligung an der Ausarbeitung des Symbolischen ab. Und wenn sie sich beteiligt, so ruft dies den Argwohn und die Ironie der Psychoanalytiker auf den Plan. So zum Beispiel:

»Wir haben darüber einiges in letzter Zeit erfahren, dank dem Umstände, daß mehrere unserer trefflichen [?] Kolleginnen in der Analyse begonnen haben, diese Frage [vom Werden der Sexualität der Frau] zu bearbeiten.«

Wobei ihre Praxis uns einige erhellende Aufschlüsse über bestimmte Punkte unserer Theorie gebracht hat.

»Die Diskussion darüber hat aus dem Unterschied der Geschlechter einen besonderen Reiz bezogen, denn jedesmal, wenn eine Vergleichung zu Ungunsten ihres Geschlechts auszufallen schien, konnten unsere Damen den Verdacht äußern, daß wir, die männlichen Analytiker, gewisse tief eingewurzelte Vorurteile gegen die Weiblichkeit nicht überwunden hätten, was sich nun durch die Parteilichkeit unserer Forschung strafte. Wir hatten es dagegen auf dem Boden der Bisexualität leicht, jede Unhöflichkeit [?] zu vermeiden. Wir brauchten nur zu sagen: Das gilt nicht für Sie. Sie sind eine Ausnahme, in diesem Punkt mehr männlich als weiblich.«

Schließlich also, um alle Unhöflichkeit gegenüber unseren trefflichen »Kolleginnen«, die imstande sind, einiges Licht in die fragmentarischen Momente unserer Theorie zu bringen, zu vermeiden, reicht(e) es für uns aus, sie explizit als Kollegen zu behandeln, um so jedem Parallelismus vorzubeugen, der ja dem Anschein nach für ihr Geschlecht ungünstig ist. Sic!

»Mit zwei Erwartungen treten wir auch an die Untersuchung der weiblichen Sexualentwicklung heran: Die erste, daß auch hier die Konstitution sich nicht ohne Sträuben in die Funktion fügen wird.« Eine schon für sich einigermaßen rätselhafte These, erst recht, weil kurz vorher behauptet wurde, die der Frau eigene »Konstitution« gebiete, daß sie jede Manifestation von Aggressivität verdrängt, eine Verdrängung, die durch die »soziale Ordnung« gefördert werde und sicher auch durch die »Sexualfunktion«, die wir bei ihr erkennen und ihr zuerkennen. Wie soll man diese These nun verstehen? Sollen wir von dem ausgehen, was erst folgen wird? Von dem Wissen zum Beispiel, daß eine bestimmte Frühreife, die beim Mädchen zu beobachten ist - schnellere Beherrschung der Exkretionen, lebhaftere Intelligenz, bessere Disposition bezüglich der Außenwelt etc. —, sich nicht ohne Widerstand der sexuellen Funktion beugen wird, die es zukünftig zu übernehmen hat? Das ist eine mögliche Lesart, auch wenn man zögert, ihr zu folgen. Im übrigen werden diese dem kleinen Mädchen zuerkannten Prioritäten sogleich als »größere Abhängigkeit«, »Gefügigkeit«, »Bedürfnis nach Zärtlichkeit« interpretiert, oder man sagt, sie fänden ihren Ausgleich darin, daß das kleine Mädchen »zur gleichen Zeit stärkere Objektbesetzungen macht«. Seine Frühreife in der Beherrschung der Produktion der Exkremente, der Sprache, des sozialen Austauschs - worin Sie sicher die Beziehung zur Produktion und Zirkulation des Geldes erkennen - würde also gedeutet, als sei sie lediglich der Reflex seines Wunsches, selbst als »Ware« zu funktionieren. Seine kindliche Überlegenheit hätte nur einen Beweggrund: sich als besonders verführerischen Gebrauchs- und Tauschwert erscheinen zu lassen.

Jedenfalls, selbst wenn die bisherigen Beobachtungen über die Vorsprünge des kleinen Mädchens nicht »durch exakte Feststellungen erhärtet worden sind«, bleibt übrig, »daß das Mädchen nicht intellektuell rückständig genannt werden kann«. Aber - so fährt er fort — »diese Geschlechtsunterschiede kommen nicht sehr in Betracht, sie können durch individuelle Variationen aufgewogen werden. Für die Absichten, die wir zunächst verfolgen, können wir sie vernachlässigen«. Vergessen wir also die peinliche Frage, die diese nebensächliche Frühreife des kleinen Mädchens aufwerfen könnte, ebenso wie das Problem ihres Werdens, und halten wir uns an das Wesentliche, an die Hauptsache.

Die zweite »Erwartung«, die wir in unserer Studie über die Sexualität zu untersuchen haben, beruht darauf, »daß die entscheidenden Wendungen [ihrer Geschichte] bereits vor der Pubertät angebahnt oder vollzogen sein werden«. Für diese zweite Beobachtung und Feststellung werden nicht mehr Argumente angeführt als für die erste, jedenfalls nicht bei ihrer Darstellung. Man kann offensichtlich den restlichen Text — übrigens jeden Text von Freud - als Demonstration dafür auffassen, daß der Kastrationskomplex lange vor der Pubertät in das »Frau-Werden« (oder in das Werden der Frau) eingreift. Dennoch ist es wohl nicht unsinnig, sich darüber zu wundern, daß dieses Spiel bereits gespielt oder zumindest geregelt sein soll, bevor die Reproduktion — deren impliziten oder expliziten Vorrang man in dieser Theorie der Sexualität schon geahnt hat - effektiv möglich, materiell realisierbar ist. Man muß daher abermals den Schluß ziehen, daß dieser Vorrang anderswo oder auf andere Weise seine Rationalität erlangt. Denn zugleich korrelieren ja die weiblichen Charakteristika, die kulturell, sozial und ökonomisch anerkannt sind, mit der Mutterschaft und mit Mütterlichkeit: Stillen des Kindes, Wiederherstellung des Mannes. Vor der Pubertät hat das Mädchen nach der herrschenden Ideologie keinerlei Wert. Außerdem ist, entsprechend der Behauptung Freuds, in dem Alter, in dem der Kastrationskomplex für das kleine Mädchen wichtig wird, »die eigentlich weibliche Vagina noch [...] unentdeckt«. Das bedeutet, daß über die der Frau zugeteilte Rolle und erst recht über die Repräsentationen, die man ihr anbietet und zubilligt, schon entschieden ist, bevor die gesellschaftlich anerkannte Besonderheit ihrer Intervention in die Sexualökonomie praktizierbar ist und bevor sie Zugang zu einem besonderen, »echt weiblichen« Lusterleben hat. Man versteht, daß sie dann nur erscheinen kann als »beraubt von«, »mit dem Mangel an«, »neidisch auf«, »eifersüchtig auf« — freilich auf was?

Das kleine Mädchen ist (nichts als) ein kleiner Junge

  • Ein kleiner Mann, nur weniger gut. - Das Spiel mit verdeckten Karten. - Der Traum der Traumdeuter. — Die Masturbation des Penis: ein Autoerotismus, der zwangsläufig phallisch ist. — Der »Objekt«~Wechsel oder die Krise einer Entwertung. - Das Gesetz selbst (des Selbst).

Die frühen Phasen der Libidoentwicklung scheinen beide Geschlechter in gleicher Weise zu durchlaufen. Man hätte erwarten können, daß sich beim Mädchen bereits in der sadistisch-analen Phase ein Zurückbleiben der Aggression äußert, aber das trifft nicht zu; daß die aggressiven Impulse der kleinen Mädchen an Reichlichkeit und Heftigkeit nichts zu wünschen übriglassen... Mit dem Eintritt in die phallische Phase treten die Unterschiede der Geschlechter vollends gegen die Übereinstimmungen zurück... Wir müssen nun anerkennen, das kleine Mädchen sei ein kleiner Mann... Das Nämliche (wie der kleine Junge) tut das Mädchen mit ihrer noch kleineren Klitoris... Penisäquivalent... der glücklichere Mann... aus ihrer männlichen in die ihr biologisch bestimmte weibliche Phase... Fast alles, was wir später in der Vaterbeziehung finden, war schon in ihr (der präödipalen, »männlichen« (?) Phase) vorhanden und ist nachher auf den Vater (?!) übertragen worden... die später auftretende Differenzierung der Geschlechter... es (das kleine Mädchen) merkt sofort den Unterschied und... fühlt sich schwer beeinträchtigt... das kleine Mädchen, welches bisher männlich gelebt hatte... der Vergleich mit dem so viel besser ausgestatteten Knaben... Ausmaß von Aktivität, wie es sonst für das Männchen charakteristisch ist... Regression auf ihren frühen Männlichkeitskomplex... Resterscheinungen der männlichen Vorzeit... daß der Libido mehr Zwang angetan wurde... die Natur ihren Ansprüchen weniger sorgfältig Rechnung trägt als im Falle der Männlichkeit... höheres Maß von Narzißmus... Überwiegen des Neides... wir sagen auch von den Frauen aus, daß ihre sozialen Interessen schwächer und ihre Fähigkeit zur Triebsublimierung geringer sind als die der Männer... sagt uns der Vergleich mit den Verhältnissen beim Knaben, daß die Entwicklung des kleinen Mädchens zum normalen (?) Weib die schwierigere und kompliziertere ist, denn sie umfaßt zwei Aufgaben mehr, zu denen die Entwicklung des Mannes kein Gegenstück zeigt.[5]
Wir müssen nun zugeben: Das kleine Mädchen ist also ein kleiner Mann, ein kleiner Mann, der eine schwierigere und kompliziertere Entwicklung als der Knabe durchlaufen wird, um eine normale Frau zu werden... Ein kleiner Mann mit einem zu kleinen Penis. Ein benachteiligter kleiner Mann. Ein kleiner Mann, dessen Libido ein größerer Zwang angetan wird und dessen Fähigkeit zur Triebsublimierung dennoch geringer bleibt. Dessen Ansprüchen die Natur weniger sorgfältig Rechnung getragen hat und der gleichwohl nicht teilhat an der Kultur. Ein kleiner Mann, der narzißtischer ist aufgrund der Minderwertigkeit seiner Genitalorgane (?). Keuscher, weil er sich des ungünstigen Vergleichs schämt. Neidischer und eifersüchtiger, weil er weniger gut ausgestattet ist. Ohne Interesse für die sozialen Angelegenheiten, an denen die Männer teilnehmen. Ein kleiner Mann, der keinen anderen Wunsch haben kann, als ein Mann zu sein oder zu bleiben.
So deckt Freud - in einer Art von blinder Wiederkehr des Verdrängten — bestimmte Karten auf, die, auf verschiedene Weise kaschiert, als Trumpf oder verdeckt, den Einsatz, den Wert, die Hierarchie der Werte des Spiels, ja aller Spiele bestimmen: das Begehren nach dem Selben, nach dem mit sich Identischen, nach sich selbst (als Selbst) und auch nach dem Ähnlichen, nach dem alter ego, um es kurz zu sagen, nach dem auto... und dem homo... des Mannes — das ist es, was die Ökonomie der Repräsentation beherrscht. Die »sexuelle Differenz« verdankt sich einer Problematik des Selben; sie wird jetzt und für immer im Innern des Projekts, der Projektion, des Bereichs der Repräsentation des Selben festgelegt. Die »Differenzierung« in zwei Geschlechter geht aus dem Apriori des Selben hervor: Der kleine Mann, der das kleine Mädchen ist, muß ein Mann werden, dem bestimmte -einem morphologischen Paradigma folgende — Attribute fehlen, Attribute, die geeignet sind, die Reproduktion, Spekulation und Spiegelung des Selben zu bestimmen und abzusichern. Ein Mann minus der Möglichkeit, sich als Mann zu (re-)präsentieren = eine normale Frau. In dem sich fortzeugenden Begehren nach dem Selben wird der Tod zum einzigen Repräsentanten des Außerhalb, des Heterogenen, eines anderen: Die Frau übernimmt die Funktion des Repräsentanten des Todes (des Geschlechts), der Kastrierung, über die der Mann sich, sofern es sich machen läßt, die Herrschaft, die Unterwerfung gewährleisten wird, indem er im Koitus über die (Todes-)Furcht triumphiert, indem er sich die Lust erhält, trotz oder dank dem Schrecken vor der Berührung mit dieser Abwesenheit, dieser Abtötung des Geschlechts, die die Frau heraufbeschwört. Die Probe des Koitus wird darüber hinaus, als teleologische Perspektive, in der Zeugung des Sohnes die Bürgschaft einer unendlichen Regeneration und Reproduktion des dem Tode trotzenden Selben haben. Der Sohn, der das Selbe wie der Vater, der Erzeuger ist — für sich und für die anderen Zeugnis der Unvergänglichkeit des männlichen Samens und Garant der Überlieferung von dessen Identität mit sich.

Man hat immer wieder die Gesichter, die Formen, die Morphologien, die dieser alte Traum vom »Selben« annehmen kann, aufgezählt und natürlich auch interpretiert. Er hat die hellsichtigsten Prognostiker und Traumdeuter herausgefordert, wobei sie den Kredit, den die Methode ihrer Deutungen diesem alten Traum von Anfang an eingeräumt hat, niemals geprüft haben. Die Traumdeuter selbst haben kein anderes Begehren als das, das Selbe wiederzufinden. Überall. Und beharrlich. Aber die Interpretation - wäre dann nicht auch sie gefangen in diesem Traum von Identität, von Äquivalenz, Analogie, Homologie, Symmetrie, Vergleich, Imitation etc., die nur mehr oder weniger adäquat und das heißt mehr oder weniger £»/ sind? Und wären dann die fähigsten Interpreten nicht letzten Endes die begabtesten, erfindungsreichsten Träumer, eben diejenigen, die am nachhaltigsten inspiriert sind von dem, was das Begehren nach dem Selben perpetuieren, ja sogar steigern könnte?
Doch wenn dieses Begehren beginnt, sich sogar im Namen und anstelle der Beziehung zwischen den Geschlechtern und der sexuellen Differenz zu denken, zu theoretisieren, zu bestimmen, dann scheint es, daß der Paroxysmus dieser Demonstration, dieser Zurschaustellung, dazu führen muß, daß sein eigenes Postulat in Frage gestellt wird. Das von allen Denkfiguren der Ontologie geforderte Apriori des Selben indes erhält sich um den Preis einer gewissermaßen theologischen Expatriierung, Extrapolation, Expropriation. Durch den Mann inszeniert, aber nicht unmittelbar auf ihn zurückgeführt. Verwiesen an irgendeine Transzendenz, von der angenommen wird, daß sie den Nutzen des Unternehmens kapitalisiert. Wenn jedoch der Mann explizit als das Maß, das Eichmaß des Selben dargestellt würde, wenn man das, was,
wie auch immer maskiert, die Grund-Lage des Begehrens nach dem Selben bildet, auf diese Weise interpretiert - nämlich als die Autoerotik, die sich, mehr oder weniger, in autologische oder homologe Repräsentationen eines (männlichen) »Subjekts« verschiebt und differenziert -, dann verwirrt sich das Projekt der Repräsentationen auf Umwegen und in erdachten Rechtfertigungen. Der Genuß, den der Mann daraus zu ziehen vermag, tritt in Erscheinung. Und gleichzeitig drängt sich die Frage auf: Warum soll dieser Genuß ihm vorbehalten sein?
Freud führt zumindest zwei entscheidende Neuerungen auf dem Schauplatz der Repräsentation ein. Mit der ersten setzt er, ziemlich direkt, eine bestimmte Konzeption des Gegenwärtigen, der Präsenz außer Kraft, indem er den Akzent auf die Nachträglichkeit, die Überdeterminierung, den Wiederholungszwang, den Todestrieb etc. legt, oder indem er in seiner Praxis die Auswirkung der unbewußt genannten Mechanismen auf den Diskurs des »Subjekts« aufzeigt. Die andere, blinder und indirekter, wenn er -selbst Gefangener einer bestimmten Ökonomie des Logos, einer bestimmten Logik vor allem des Begehrens, deren Bindung an die klassische Philosophie er verkannte - die sexuelle Differenz als Funktion des Apriori des Selben bestimmt, wobei er sich, um seine Beweisführung zu stützen, der überkommenen Verfahren bedient: Analogie, Vergleich, Symmetrie, dichotomische Oppositionen etc. Wenn er - und er übernimmt dabei eine »Ideologie«, die er nicht in Frage stellt - behauptet, daß die angeblich männliche Lust das Paradigma aller Lust sei, daß jede Vorstellung von Genuß sich nur auf sie beziehen, sich einzig an ihr messen, sich ihr lediglich unterwerfen könne.  Freilich gerade indem er dieses »Symptom« anzeigt, den Krisenpunkt der Metaphysik, in dem die sexuelle »Indifferenz« zum Vorschein kommt, die die Kohärenz und  die  »Geschlossenheit«  des  Ganzen  gewährleistet,  macht Freud es der Analyse zugänglich. So bietet sich sein Text an, als die bündige Reformulierung eines alten Traums vom auto verstanden und gelesen zu werden, eines alten Traums, der niemals interpretiert wurde.
Nun, für Freud scheinen beide Geschlechter die frühen Phasen der Libidoentwicklung in gleicher Weise zu durchlaufen. Die Aggressivität des Mädchens in der sadistisch-analen Phase ist ebenso heftig (noch nicht durch seine »Konstitution« untersagt?) wie die des Jungen. Und mit Beginn der phallischen Phase ist das kleine Mädchen ein kleiner Mann. Wie könnte es auch anders sein? Der Eintritt in die phallische Phase bedeutet den Zugang zur Lust, die der Phallus verschafft, der, auch in seiner Einwirkung auf das Signifikante, das »männliche Geschlecht« bezeichnet. Freud hat also Grund zu sagen, daß in der phallischen Phase das kleine Mädchen ein kleiner Junge ist. Aber warum beschreibt er diese »Phase« als notwendige Etappe auf dem Weg, eine »normale Frau zu werden«? Und mehr noch: Wenn es schon Phasen gibt, warum spricht er anläßlich der weiblichen Sexualität nicht auch beispielsweise von einer Phase der Vulva, einer vaginalen Phase, einer uterinen Phase?
In der phallischen Phase also ist das Mädchen auf der Suche nach einem möglichen Penisäquivalent, das ihm »lustvolle Sensationen zu verschaffen weiß«. Es findet dieses in der Klitoris, einem noch kleineren Penis, als es der kleine Penis des kleinen J ungen ist. Alle seine onanistischen Akte scheinen sich an diesem, einem ganz kleinen Penis vergleichbaren Organ abzuspielen. Um so mehr, als »die eigentlich weibliche Vagina noch für beide Geschlechter unentdeckt ist«.[6] Übrigens auch die Schamlippen, beide Schamlippen und die Vulva, die doch durchaus zugänglich ist und deren Sensibilität dem kleinen Mädchen unmöglich verborgen geblieben sein kann - bei den Pflegehandlungen der Mutter, dem Reiben der Windeln oder der Höschen, bei der Suche der Hand nach dem »kleinen Penis«. Die durch das Berühren, Liebkosen, Offnen der Schamlippen, der Vulva erlebte Lust existiert für Freud nicht. Er ignoriert sie oder will nichts von ihr wissen, nicht in dieser »Phase«, nicht später. Und noch weniger wird er die Sensibilität wahrnehmen, die sich mit der hinteren Wand der Vagina, mit den Brüsten, mit dem Gebärmutterhals verbindet, Organen, denen männliche Parameter fehlen. Jedenfalls behauptet er: »Wir dürfen daran festhalten, daß in der phallischen Phase des Mädchens die Klitoris die leitende erogene Zone ist« und daß, wenn »vereinzelte Stimmen«[7] von frühzeitigen vaginalen Sensationen berichten, es nicht leicht ist, »solche von analen oder Vorhofssensationen zu unterscheiden« —, die offenbar kein Interesse verdienen und die auf keinen Fall eine beachtenswerte Rolle spielen können. Nun, das sind Behauptungen, deren endgültiger, schneidender Ton leicht an Verleugnung, an Bannung denken läßt. Warum will Freud, entgegen jeder Wahrscheinlichkeit, daß nur die Klitoris betroffen sein soll? Und warum soll in der phallischen Phase einzig die Klitoris als erogene Zone anerkannt sein? Warum wird beim kleinen Mädchen ein Zeitpunkt »phallische« Phase genannt, in dem die Entdeckung seiner eigenen erogenen Sensibilität so partiell, so armselig ist oder vielmehr sein soll? Warum die weiblichen Geschlechtsorgane um Teile beschneiden, die nicht notwendig weniger erotisierbar sind, und nur die übriglassen, die ihre Entsprechung, ihre Daseinsberechtigung im männlichen Geschlecht haben oder haben sollen? Oder eben nur jene, die der Vorstellung, die der Mann vom sexuellen Begehren haben kann, angemessen sind?
Nun, in der phallischen Phase gibt sich der kleine Junge der Masturbation hin. »Das nämliche tut das Mädchen« mit dem angeblichen Äquivalent des Penis, der Klitoris. Sie machen beide dasselbe, mehr oder weniger gut. »Aber so soll es ja nicht bleiben, mit der Wendung [?] zur Weiblichkeit soll die Klitoris ihre Empfindlichkeit und damit ihre Bedeutung ganz oder teilweise an die Vagina abtreten, und dies wäre die eine der beiden Aufgaben, die von der Entwicklung des Weibes zu lösen sind, während der glücklichere Mann zur Zeit der Geschlechtsreife nur fortzusetzen braucht, was er in der Periode der sexuellen Frühblüte vorgeübt hatte.« Begreifen Sie also, wenn Sie können, daß das kleine Mädchen nur so lange Onanie nach seinen eigenen Maßstäben praktizieren wird, wie diese dem kleinen Jungen nicht verboten ist, solange er sich nicht der Kastrationsangst aussetzt, wenn er in dieser Aktivität verharrt. Dann kommt der Augenblick der »Wendung« zur Weiblichkeit, in dem die Vagina zum unerläßlichen Instrument der männlichen Lust wird. Das ist eine mögliche Interpretation. Was den Rest betrifft, nun, wenn es schon schwer verständlich ist - es sei denn, es handelt sich lediglich um Erfordernisse der Argumentation —, warum das Mädchen sich bei der Onanie ausschließlich für die Klitoris interessieren soll, so leuchtet es ebensowenig ein, daß diese ihre »Empfindlichkeit und damit ihre Bedeutung« an die Vagina abtreten muß. Diese beiden Organe ersetzen einander nicht, sondern sie partizipieren mit anderen und mit ihrer spezifischen Sensibilität an dem Lusterleben der Frau.[8] Man könnte daraus schließen, daß das kleine Mädchen nicht »sich« masturbiert, sondern ein Äquivalent des Penis,[9] und ebenso, daß die Frau keinen Zugang zu einer weiblichen, ihren Geschlechtsorganen entsprechend differenzierten Lust hat, sondern daß ihre Vagina zu gegebener Zeit die verpönte Hand des kleinen Jungen ablösen wird, so daß der Wechsel der erogenen Zone für sie durch die unangenehmen Erlebnisse bei der Masturbation des Penis bestimmt wird, während der glücklichere Mann zur Zeit der Geschlechtsreife nur fortzusetzen braucht, was er in der Periode der sexuellen Frühblüte vorgeübt hatte.
Die zweite Schwierigkeit, die das Mädchen zu überwinden hat, um Frau zu werden, ist das, was Freud den Objektwechsel nennt. »Das erste Liebesobjekt des Knaben ist die Mutter, sie bleibt es auch in der Formation des Ödipuskomplexes, im Grunde genommen durchs ganze Leben hindurch. Auch fürs Mädchen muß die Mutter — und die mit ihr verschmelzenden Gestalten der Amme, Pflegerin - das erste Objekt sein; die ersten Objektbesetzungen erfolgen ja in Anlehnung an die Befriedigung der großen und einfachen Lebensbedürfnisse, und die Verhältnisse der Kinderpflege sind für beide Geschlechter die gleichen. In der Ödipussituation ist aber für das Mädchen der Vater das Liebesobjekt geworden, und wir erwarten, daß sie bei normalem Ablauf der Entwicklung vom Vaterobjekt aus den Weg zur endgültigen Objektwahl finden wird. Das Mädchen soll also im Wandel der Zeiten erogene Zone und Objekt tauschen. [... ] Es entsteht dann die Frage [immer unter Männern], wie geht das vor sich, im besonderen: Wie kommt das Mädchen von der Mutter zur Bindung an den Vater, oder mit anderen Worten: aus ihrer männlichen in die ihr biologisch bestimmte weibliche Phase?«
Wir brauchen die Ratlosigkeit nicht zu erörtern, die solche Sätze, auch durch ihren herrischen, normativen Ton, auslösen (wir erwarten, daß sie bei normalem Ablauf der Entwicklung... das Mädchen soll also...  in die ihr  biologisch bestimmte weibliche Phase...). Wir wollen nur einige Fragen riskieren, die sofort verdrängt werden können, sollten sie angesichts eines so unerbittlich festgelegten Schicksals impertinent und unnütz erscheinen.

  1. Wenn der Mann während seines ganzen Lebens an sein erstes Liebesobjekt, seine Mutter, fixiert bleibt, was wird dann die Funktion der Frau in seiner Sexualökonomie sein? Wird es jemals irgendeine Beziehung zwischen den Geschlechtern geben? Oder auch, wird sich das Begehren jemals von einem reinen, einfachen Wiederholungszwang ablösen?[10]
  2. Wenn die Frau, um dem Begehren des Mannes zu genügen, die Rolle seiner Mutter spielen, sich mit ihr identifizieren muß, wird er dann nicht unter einem bestimmten Aspekt der Bruder seiner Kinder, da er dasselbe - mütterliche - Liebesobjekt (oder einen Typus davon) hat? Wie stellt sich, wie löst sich dann das Problem des Ödipuskomplexes, für Freud der Angelpunkt in der Strukturierung der sexuellen Differenz?[11]
  3. Warum kommt die Arbeit des Werdens der Sexualität nur der Frau zu?[12] Und was ist schließlich das Ziel dieser Arbeit: daß sie wird wie ihre Schwiegermutter[13] Wer profitiert von dieser Arbeit?
  4. Es ginge also für die Frau darum, auf ihr erstes Liebesobjekt zu verzichten, um sich dem des Mannes anzugleichen, keinen anderen Wunsch zu haben als jenen, dem nie aufgegebenen Liebesobjekt des Mannes so ähnlich wie möglich zu sein, da seine Lust an den erfolgreichen Verlauf dieser Operation gebunden ist. Es wäre also nur ein Tropismus, nur ein Liebes- oder Lustobjekt im Spiel, keine wechselseitige Beziehung, kein Spielen zwischen zwei Begehren. Das erklärt übrigens, warum Freud von einem »Objekt« der Lust sprechen kann.
  5. Warum nennt Freud die Phase, in der das kleine Mädchen seine Mutter liebt, begehrt, die männliche Phase? Weicht er damit nicht der Eigentümlichkeit der Beziehung des weiblichen Kindes zu seiner Mutter und zur Mutterschaft aus? So wie er sich auf andere Weise blind stellt gegenüber der Besonderheit eines Begehrens zwischen Frauen?[14] Es scheint, er subsumiert alle diese spezifischen Modalitäten der Libido dem Begehren des Mannes nach seiner Frau-Mutter oder dem Begehren des Mannes — kleines Mädchen in der »männlichen Phase«, kleines Mädchen = kleiner Junge etc. - nach dem Phallus (hier repräsentiert durch die »phallische« Mutter), des Mannes nach dem Mann? Genauer, des Phallus nach dem Phallus.
  6. Bei der Entwicklung zur »weiblichen Phase« bezieht sich Freud auf das »biologische Schicksal«, ein Ausdruck, von dem man ihn kaum Gebrauch machen sieht, wenn er von der männlichen Sexualität handelt, und der einmal mehr auf das »Mutterschicksal« der Frau verweist.[15] Gibt es eine eklatantere Verleugnung, eine ausdrücklichere Bannung des auto-erotischen, homosexuellen Charakters der Beziehung des Mannes zur Frau als dieses Hervorkehren der Kindererzeugung? Der Rekurs auf den biologischen Naturalismus, auf die Objektivität des Physiologischen, soll er hier etwa nicht das Phantasmatische verdecken, das die Sexualökonomie des Paares beherrscht? Es sei denn, man soll darin eine Reduktion der mütterlichen Allmacht durch das »Schicksal« sehen. Diese beiden imaginären Symptomatiken schließen einander, wie man weiß, keineswegs aus.

»Nun wäre es eine Lösung von idealer Einfachheit, wenn wir annehmen dürften, von einem bestimmten Alter an mache sich der elementare Einfluß der gegengeschlechtlichen Anziehung geltend und dränge das kleine Weib zum Mann, während dasselbe Gesetz dem Knaben das Beharren bei der Mutter gestatte.«
Wie einfach wäre es in der Tat, wenn ein gleiches Gesetz so unterschiedliche Beziehungen wie die zwischen dem kleinen Mädchen und dem Mann und die zwischen dem kleinen Jungen und seiner Mutter sanktionieren könnte. Aber wie dieses Gesetz formulieren? Wenn es offenkundig nicht so ist, daß »von einem bestimmten Alter an, [...] sich der elementare Einfluß der gegengeschlechtlichen Anziehung geltend« macht. Es sei denn, es gälte, in diesen Begriffen ausgedrückt, für das »Frau gewordene« kleine Mädchen. Um das zu erreichen, müßte es allerdings das Problem seiner Beziehung zum Ursprünglichen gelöst haben    ebenso wie das seines ursprünglichen Begehrens oder des Ursprungs seines Begehrens, seines Urbegehrens —, es müßte auch sein autoerotisches, homosexuelles Genießen verschoben-überwunden, seine Partialtriebe »sublimiert« haben etc. Der Mann jedenfalls bliebe polarisiert durch seine Beziehung zum Ursprung, sowohl auf dem Schauplatz der Repräsentation, wo man das jahrhundertealte Insistieren dieses prinzipiellen Problems ebenso kennt wie den immer wieder unternommenen Versuch, es zu »entschleiern«, als auch in seiner sexuellen Praxis, in der es sein heftigstes und zugleich rückläufigstes Begehren ist, die Frau/seine Mutter zu deflorieren. (Die Relation der beiden Schauplätze ist zwar unmittelbar evident, ihre Interpretation erfordert jedoch einen Umweg über das Ideal; wir kommen darauf zurück.) Es wäre daher die Virginität, repräsentiert durch das Hymen, die als Figuration des Unmöglichen, in ihrer Rolle der scheinbaren Leugnung, den Inzest erlaubt (sie ist nicht meine Mutter, weil sie noch nicht Mutter ist).***415.1,16***
Kein Zweifel, der für die beiden Geschlechter vorgeschlagene »Verlauf« ist nicht der selbe und kann nicht dem selben Gesetz gehorchen, wie Freud es wünscht, allenfalls dem Gesetz selbst, dem Gesetz des Selben, das verlangt,  daß das Mädchen seine Beziehung zum  Ursprung und  seine   Urphantasien  (vom  Ursprünglichen) aufgibt, um sich in jene des Mannes einzufügen die für  es  nun  der  »Ursprung«  des   Begehrens   werden.   Anders gesagt, die Frau wird fortan keine andere Beziehung zum Ursprung haben als die vom Mann diktierte. Sie ist verloren, verirrt verwirrt, wenn es ihr nicht gelingt, sich diesem ersten, männlichen Begehren anzuschließen. Das drückt sich insbesondere darin aus daß sie die Kennzeichen ihrer Herkunft ablegen muß, um sich in das Monogramm der Linie des Mannes einzutragen. Sie gibt ihre Familie, ihr »Haus«, ihren Namen, ihren Stammbaum auf - die natürlich schon patronymisch sind — für die ihres Ehemanns  Es wäre zweifellos aufschlußreich, die Frage nach dem »Phallus« und seiner Macht innerhalb dieses Bezugsrahmens zu stellen: Er wäre der privilegierte Signifikant weder des Penis noch der Macht oder der Lust, wenn er nicht als Aneignung der Beziehung %um Ursprung des Ur-Begehrens (nach dem Ursprung) zu interpretieren wäre. Der Tropismus und auch die Konkurrenz werden daher zwischen dem Mann und der/seiner Mutter wirksam werden, während die Frau angesichts einer solchen Ökonomie tatsächlich kastriert ist.
Doch auch die sexuelle Differenz wird reduziert. Und selbst wenn Freud im folgenden seine Enttäuschung darüber bekennt daß die Kinder nicht eindeutig dem Wink folgen, den ihnen die geschlechtliche Bevorzugung der Eltern gibt - was ihn dazu führt »jene geheimnisvolle, analytisch nicht weiter »ersetzbare Macht von der die Dichter soviel schwärmen«, zu bezweifeln — kann man ihm entgegenhalten, daß die Neigung des Jungen zu seiner Mutter und die des Mädchens zum Mann und selbst zu seinem Vater sich nicht einfach auf das, was er »gegengeschlechtliche Anziehung« nennt, zurückführen lassen. Denn während diese zwar - immer in Übereinstimmung mit Freud - dem Knaben seine ursprüngliche Liebe beläßt, fordert sie von dem kleinen Mädchen, daß es sich von ihr abwendet. An diesem Punkt folgt ein langes Räsonnement, in dessen Freud sich gezwungen sieht zu beweisen  wie warum das Mädchen, was seine Mutter angeht, von der Liebe zum Haß gelangt...

Ihre Geschichte wäre also schon am Anfang stillgestellt

  • Eine ganz unverdächtige Liebe. - Der Wunsch, ein Kind von der Mutter zu haben. - Die Verführung des Vaters: das Gesetz, nicht das Geschlecht. - Die »Gründe« des kleinen Mädchens, seine Mutter zu hassen, und das Andauern der Liebe beim kleinen Jungen. - Das Urbegehren, ohne Möglichkeit der Repräsentation.- Ein weiteres Kind.

»Sie müssen nämlich wissen, daß die Zahl der Frauen, die bis in späte Zeiten in der zärtlichen Abhängigkeit vom Vaterobjekt, ja vom realen Vater verbleiben, eine sehr große ist.« Untersucht man diese intensive und langdauernde Bindung, so kommt man zu »überraschenden Feststellungen«: daß es nämlich ein Vorstadium der Mutterbindung des Mädchens gibt, das überaus inhaltsreich, lang anhaltend ist, viele Anlässe zu Fixierungen und Dispositionen hinterlassen kann. Das sind Dinge, die mir nicht wußten. Wir, Freud. Diese »Phase« kann sich bis über das vierte Lebensjahr hinaus erstrecken, und »fast alles, was wir später in der Vaterbeziehung finden, war schon in ihr vorhanden und ist nachher auf den Vater übertragen worden«. Liebe und Begehren, die sich auf den Vater richten, repetieren, re-präsentieren sie also das, was für die Mutter empfunden wurde, minus irgend etwas, das diese Übertragung, diese Verschiebung ermöglichte? Der Ursprung der Liebe, das Begehren bliebe somit, implizit, an die Mutter gebunden. Jedenfalls scheint, Freud zufolge, die primäre Metaphorisierung des Begehrens mit dem zu korrelieren, was er »Mutterobjekt« nennt, und nicht mit dem Vater als solchem, der allenfalls Träger einer Verschiebung der Libido ist. Auch nicht mit der Beziehung zwischen dem Vater und der Mutter, einem Mann und einer Frau, also nicht mit der sexuellen Differenz.

Wenn man nun wissen will, welches die libidinösen Beziehungen des Mädchens zur Mutter sind, stellt man fest: »Sie sind sehr mannigfaltig. Da sie durch alle drei Phasen der kindlichen Sexualität gehen, nehmen sie auch die Charaktere der einzelnen Phasen an, drücken sich durch orale, sadistisch-anale und phallische Wünsche aus. Diese Wünsche vertreten sowohl aktive wie passive Regungen; wenn man sie auf die später auftretende Differenzierung der Geschlechter [?] bezieht (was man übrigens möglichst vermeiden sollte), kann man sie männlich und weiblich heißen. [...] Es ist nicht immer leicht, die Formulierung dieser frühen Sexualwünsche aufzuzeigen; am deutlichsten drückt sich der Wunsch aus, der Mutter ein Kind zu machen, wie der ihm entsprechende, ihr ein Kind zu gebären, beide der phallischen Zeit angehörig, befremdend genug, aber durch die analytische Beobachtung über jeden Zweifel festgestellt.«
Der eine der beiden Wünsche kann so interpretiert werden, daß in dieser phallischen Phase das kleine Mädchen ein kleiner Junge ist und daher wünschen kann, mit seinem kleinen Penis der Mutter ein Kind zu machen (was übrigens impliziert, daß man in ein und demselben Begriff des Phallischen Erektion, Eindringen in die Mutter und Befruchtung der Mutter zusammenzieht). Der Wunsch, von der Mutter schwanger zu sein, ist in der imaginären Konfiguration dieses »Stadiums«, wie es von Freud beschrieben wird, noch problematischer. Denn damit würde unterstellt, daß das kleine Mädchen nicht einfach ein kleiner Junge ist, daß in seiner Libido-Ökonomie bereits die Bisexualität am Werk ist, daß es als Mädchen von seiner phallischen Mutter ein Kind begehren kann und gleichzeitig als Trägerin eines kleinen Penis wünscht, dessen Macht unter Beweis zu stellen, indem es seiner Mutter ein Kind macht. Auf alle Fälle zeigt dies, daß es bereits einen gleichzeitig zentripetalen und zentrifugalen Tropismus kennt und daß es nicht einfach nur die Klitoris ist, auf die es bezieht.
Es ist übrigens bedauerlich, daß Freud über das Geschlecht des Kindes, um das es zwischen Mutter und Tochter geht, keine Vermutungen angestellt hat, wie er dies bei anderen Gelegenheiten tat (»Das Glück ist groß, wenn dieser Kinderwunsch [ein Kind vom Vater zu haben] später einmal reale Erfüllung findet, ganz besonders aber, wenn das Kind ein Knäblein ist, das den ersehnten Penis mitbringt«).[17] Man könnte die Hypothese vertreten, daß das in der Beziehung zur Mutter gewünschte Kind eher eine Tochter wäre, wenn das kleine Mädchen, sei es auch noch so wenig, in seiner Weiblichkeit anerkannt würde. Das Verlangen nach dieser mit der Mutter gezeugten Tochter würde bei dem Mädchen den Wunsch bezeichnen, die eigene Geburt zu wiederholen und (auch der Mutter) vorzustellen, also die Trennung des eigenen »Körpers« von dem der Mutter. Das Zeugen einer Tochter, das Ins-Spiel-Bringen eines dritten weiblichen Körpers, würde es ihm erlauben, sich selbst und seine Mutter als weiblich-geschlechtliche Körper (von zwei Frauen) zu identifizieren: als zwei Frauen, die sich als ähnliche und verschiedene bestimmen, dank einem dritten »Körper«, der von ihnen, von einander, als »weiblicher« begehrt wird.[18] Dieser Körper mindert, behebt die Undifferenziertheit der Tochter gegenüber der Mutter, gegenüber der mütterlichen Funktion, die ganz unvermeidlich ist, wenn sich das Urbegehren (nach dem Ursprung) nicht auf eine Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau richten kann, auf eine Beziehung also, die eine anerkannte Repräsentation der Weiblichkeit - und nicht nur der Mutterschaft - einschließt, in die sich das Frau-Werden des kleinen Mädchens einschreiben kann. Und das eben deshalb nicht »phallisch« genannt werden dürfte. Aber dies setzte voraus, die Mutterfunktion, so wie sie vom Mann besetzt ist, in der Wiederholung zu verschieben.
Wenn das von dem kleinen Mädchen gewünschte Kind ein Junge ist, kann man vermuten, daß es sich als Junge produzieren repräsentieren will, oder auch, daß es sich zusammen mit seiner Mutter - wie seine Mutter? - auch die Rolle des Vaters bei der Zeugung aneignen will: Zwei Frauen genügen, um zu zeugen und um einen Repräsentanten des Vaters zu erzeugen, dessen Macht auf diese Weise, im Imaginären, bezwungen wäre.
Bevor man die Phantasie des mit der Mutter gezeugten Kindes verläßt, mag man sich fragen, warum Freud sie nur in der phallischen Phase auftreten läßt und nicht auch in der oralen und analen Phase, obgleich er andererseits auf der Gleichsetzung, in der kindlichen Phantasie, von »Kind machen« und »Kot machen« insistiert. »Man ißt etwas Bestimmtes, und davon bekommt man ein Kind.«[19] Man trinkt die Milch der Mutter, und man macht ihr, sie macht dir ein Kind.

Eine andere Variante der präödipalen Mutterbindung: »die Angst, umgebracht oder vergiftet zu werden, die später den Kern einer paranoischen Erkrankung bilden kann«. Auch hier wird deutlich, daß die verwendete Metaphorik speziell den »Körper« - »umgebracht«, »vergiftet« - betrifft, und man wünschte, daß Freud den Zusammenhang Körper/Geschlecht genau gefaßt hätte, besonders in dem archaischen Verhältnis des Kindes zu seiner Mutter, aber auch sonst in seiner »Theorie«, in der,  so scheint es, ein bestimmter Sexualismus die Materialität des »geschlechtlichen Körpers« unkenntlich werden läßt.[20] Die Idee — die Idee - des Geschlechts oder jedenfalls der Sexualfunktion scheint, zumindest zu einem Teil, den Freudschen »Diskurs« zu bestimmen. Das geschieht sicher nicht, ohne daß die Ökonomie der Idee modifiziert wird. Aber auch das Geschlecht gerät in die Fallstricke eines Logos, einer Logik, die sich noch dem eidos (und dessen Metamorphosen) verdankt. Und es ist fraglos kein Zufall, daß sich dieser Hinweis auf den Körper im Zusammenhang mit der Paranoia oder mit der Angst, von der Mutter umgebracht, vergiftet zu werden, aufdrängt. Die Systematizität der Paranoia - der Theorie? — erscheint als ein Ausweg, um den gefährlichen Mutter-Körper (zusammen mit der Mutter) zu beherrschen: in einem organisierten Zusammenspiel von Signifikanten wird er eingekreist, umzingelt, zerstückelt, verdreht und entstellt. Vergangenheit, die schon immer und noch heute in der Sprache und durch die Sprache gegenwärtig ist. Mündlich, oral. Die Sprache, die ebenso und doch auf andere Weise als die Brust, die Milch der Mutter, den geschlechtlichen Körper des Kindes zu ernähren vermag, jedoch auch imstande ist, ihn zu töten, zu verletzen, zu vergiften.
Der Wunsch des kleinen Mädchens in der präödipalen Mutterbindung, ein Kind von seiner Mutter zu bekommen oder ihr eins zu machen, oder die Angst, umgebracht, vergiftet zu werden, sind »überraschende Einzelfunde«, die »den Reitz der analytischen Untersuchungspraxis ausmachen.
Fügen wir jene andere Enthüllung hinzu, die Freud »viele peinliche Stunden verursacht hat«. »In der Zeit, da das Hauptinteresse auf die Aufdeckung sexueller Kindheitstraumen gerichtet war, erzählten mir fast alle meine weiblichen Patienten, daß sie vom Vater verführt worden waren. Ich mußte endlich zur Einsicht kommen, daß diese Berichte unwahr seien, und lernte so verstehen, daß die hysterischen Symptome sich von Phantasien, nicht von realen Begebenheiten ableiten.« Stellen Sie sich vor, eine Person X, männlichen Geschlechts, von, wie man sagt, reifem Alter würde sich in dieser Sprache an Sie wenden, wie würden Sie das interpretieren: hat mir viele peinliche Stunden verursacht, erzählten mir fast alle meine weiblichen Patienten, daß sie vom Water verführt worden waren, ich mußte endlich zur Einsicht kommen, daß diese Berichte unwahr seien, (ich) lernte so verstehen, daß die hysterischen Symptome sich von Phantasien, nicht von realen Begebenheiten ableiten. Überlassen wir die Interpretation der Diskretion eines Analytikers, und wäre er nur für diese Gelegenheit erfunden. Er sollte sogar nur erfunden sein, denn andernfalls ginge er das Risiko ein - gleichgültig, welchen Geschlechts er wäre oder welcher Schule er angehörte -, vom Vater der Psychoanalyse bereits verführt worden zu sein.
Diese Verführung verbirgt sich in der Praxis oder in der Theorie unter einer normativen Aussage, unter einem Gesetz, das sie leugnet. Und zwar so: »Später erst konnte ich in dieser Phantasie von der Verführung durch den Vater den Ausdruck des typischen Ödipuskomplexes beim Weibe erkennen.« Es wäre anscheinend zu gewagt, gelten zu lassen, daß der Vater Verführer sein kann, oder vielleicht gar, daß er sich wünscht, eine Tochter zu haben, um sie zu verführen. Daß er zuweilen sogar Analytiker werden will, um durch Hypnose, Suggestion, Übertragung und Interpretation, die er auf die Sexualökonomie, auf die verpönten, verbotenen sexuellen Vorstellungen anwendet, eine dauernde Verführung auf die Hysterikerin auszuüben.[21] Er muß dabei durch das Gesetz hindurchgehen, das die Operation sanktioniert. Doch wenn sich die Verführung jetzt in aller Ruhe unter dem Deckmantel des Gesetzes vollziehen kann, dann erscheint es um so wichtiger, nach der verführenden Funktion des Gesetzes selbst zu fragen. Und nach seiner Rolle bei der Produktion von Phantasien. Wenn das Gesetz die Realisierung eines Begehrens suspendiert, dann verführt, organisiert und ordnet es die Phantasien ebenso, wie es sie untersagt, interpretiert, symbolisiert.
Es ist daher nicht ganz richtig, aber auch nicht ganz falsch, zu behaupten, das Mädchen phantasiere, von seinem Vater verführt worden zu sein, denn es ist nicht minder legitim anzunehmen, daß tatsächlich der Vater seine Tochter verführt, daß er aber, da er sich weigert - was nicht immer zutrifft -, sein Begehren anzuerkennen und zu realisieren, Gesetze macht, um sich davor %u schätzen. Dies bedeutet, daß sein Begehren in jedem Fall die Härte, die Form, die Modalitäten etc. des von ihm erlassenen oder übernommenen Gesetzes vorschreiben wird, eines Gesetzes, das das verführte und zurückgewiesene Begehren des kleinen Mädchens auf den Status von »Phantasien« reduziert: ein noch stammelndes, schwierig in Sprache zu übersetzendes Begehren, vielleicht stumm, gestisch-körperlich, kurz, ein Begehren, das zu dem Diskurs, dem Gesetz des Vaters »verführt« werden soll. Anstelle des Begehrens nach dem geschlechtlichen Körper des Vaters — ein Begehren, das als »Verführungsphantasie« bezeichnet wird, die es zu verbalisieren und der Interpretation zu unterwerfen gilt — wird sich also sein Gesetz anbieten, aufdrängen, das heißt, ein sich institutionalisierender und schon institutionalisierter Diskurs, der zum Teil defensiv ist. (Denken Sie an die »peinlichen Stunden«...)

Wie sollte sich das Mädchen künftig in seinem Begehren, besonders nach dem Vater, zurechtfinden können, ohne es in Begierden aufgehen zu lassen, die aus dem (den) Signifikanten abgeleitet oder abgeglitten sind? Begierden, die in ihrer Autorität vergewaltigend und gleichzeitig unbedeutend, lächerlich sind, weil sie sich an die Stelle eines Begehrens setzen, das sich verschanzt und verleugnet? Das heißt nicht, daß der Vater mit seiner Tochter schlafen soll — zuweilen ist es besser, die Dinge beim Namen zu nennen —, es heißt lediglich, daß es gut wäre, diesen Mantel des Gesetzes, den er über sein Begehren und sein Geschlecht breitet, zu lüften. Wenn das Gesetz für ihn der Garant eines Mehr-Werts an Genuß, an Macht ist, dann sollte offengelegt werden, was das impliziert: für sein Begehren - vielleicht fände er mehr Genuß daran, Gesetze zu machen als Liebe — und für die »Libido« des kleinen Mädchens, der zukünftigen Hysterikerin, über die sich, in einer unaufhörlich abtreibenden, einschränkenden, in die Irre führenden Operation, dieses Mehr an Genuß des Vaters, in der Vaterfunktion realisiert. Es ist in Wirklichkeit das geschlechtsspezifische Begehren des Mädchens, das zum Phantasma erklärt wird; und Nicht-Phantasma ist es von nun an, einen Diskurs zu begehren, der die Sexualität des Vaters verleugnet, verbannt, ja bis zur Impotenz reduziert. Sie müßte also mit ihrem Begehren den Betrug eines gesetzgebenden Diskurses, einer Satzung unterstützen, die, unter anderem, das Nicht-Begehren des Vaters ihr gegenüber kodifizieren.

Im Bereich der eher alltäglichen Realität wird sie an die Mutter als Verführerin verwiesen. Hier in der Tat, wenn es sich um die Verführung durch die Mutter handelt, »berührt die Phantasie« -wie Freud uns wissen läßt - »den Boden der Wirklichkeit«. »Denn es war wirklich die Mutter, die bei den Verrichtungen der Körperpflege Lustempfindungen am Genitale hervorrufen, vielleicht sogar zuerst erwecken mußte.«[22] Da ist also unser kleines Mädchen, verführt von der Mutter, zwar wirklich verführt, aber nicht mehr, als es die unvermeidliche Reinlichkeitspflege mit sich bringt, und vom Vater abgewiesen: im Namen des Gesetzes. Das Frau-Werden scheint tatsächlich keine geruhsame Entwicklung zu sein, jedenfalls nicht auf diesem Schauplatz, der den Phantasmen, den Phobien und den Tabus des Mannes - hier Freuds - über die Sexualität der Frau unterworfen ist.[23]
»Ich erwarte, daß Sie zu dem Verdacht bereit seien, die Schilderung von der Reinlichkeit und der Stärke der sexuellen Beziehung des kleinen Mädchens zu seiner Mutter sei sehr überzeichnet.« Doch wir könnten im Gegenteil erstaunt sein über Ihre Erwartung, daß wir von so offensichtlichen Dingen überrascht sein sollen, über Ihre Beharrlichkeit, beweisen und vorführen zu wollen, was auf der Hand liegt. Nicht die »Reichhaltigkeit« und »Stärke« der Beziehungen des kleinen Mädchens zur Mutter erstaunten uns, sondern vielmehr, daß sie »zu Grunde gehen« müssen und daß »die Mutterbindung in Haß« umschlagen soll. Stärke und lange Dauer sind die Charakteristika dieses Hasses: »Ein solcher Haß kann [...j durchs ganze Leben anhalten.« Und zugleich muß betont werden, daß »in der Regel [...] ein Teil von ihm überwunden, ein anderer Teil [...] bestehen« bleibt, und daß er in bestimmten Fällen »sorgfältig überkompensiert werden« kann.
Die Frage, um die es hier geht, betrifft den impliziten Parallelismus zwischen der Feindschaft des Mädchens gegenüber der Mutter und der Liebe des Knaben zur Mutter, die beide das ganze Leben andauern. Was bedeutet diese verschränkte Zwangsläufigkeit? Man muß hier noch einmal die Notwendigkeit des Umschlagens der Mutterbindung in Haß bedenken, aus der sich die Wendung zum Vater ergeben soll. Den Vater zu begehren impliziert, die Mutter zu hassen. Einen Repräsentanten des »entgegengesetzten« Geschlechts zu begehren, bedeutet für das kleine Mädchen jedenfalls, den Repräsentanten des eigenen Geschlechts und, wie man sehen wird, die Repräsentation des eigenen Geschlechts zurückzuweisen. Es ist also keine Besetzung der Beziehung zwischen den Geschlechtern möglich? Wenn man das eine liebt und begehrt, verleumdet und verabscheut man zwangsläufig das andere? Mehr noch, da nur ein einziges Geschlecht begehrenswert ist, wird es notwendig nachzuweisen, wie das kleine Mädchen dazu kommt, das seine zu entwerten, indem es seine Mutter (das Geschlecht der Mutter) entwertet. Man beruft sich zu diesem Zweck auf die Beschwerden, Klagen, Anschuldigungen und Vorwürfe, die von (hysterischen) Patientinnen vor dem Vater der Psychoanalyse gegen die Mutter erhoben wurden. Die Bedingungen der Übertragung und Gegenübertragung aber, die bei diesen Klagen wirksam sind, werden nicht interpretiert.

»Der Vorwurf gegen die Mutter, der am weitesten zurückgreift, lautet, daß sie dem Kind zu wenig Milch gespendet hat, was ihr als Mangel an Liebe ausgelegt wird.«

Freud präzisiert, dieser Vorwurf habe in unseren Gesellschaften eine gewisse Berechtigung, doch kehre er mit einer solchen Hartnäckigkeit wieder, daß man seinen wahren Sachverhalt bezweifeln müsse. »Es scheint vielmehr, daß die Gier des Kindes nach seiner ersten Nahrung überhaupt unstillbar ist, daß es den Verlust der Mutterbrust niemals verschmerzt.« Und ein Kind primitiver Völker, das bis zu zwei Jahren gestillt wird, würde die gleichen Vorwürfe formulieren. Akzeptieren wir das als Hypothese. Man kann jetzt diese Zeichen von Unduldsamkeit gegenüber der Entwöhnung als Symptom des Traumas verstehen, das dieser letzte Abbruch der materiellen Kontinuität mit dem Innern des Körpers der Mutter hervorruft: Trennung von den »Hüllen«, die den Foetus umgeben, Durchtrennung der Nabelschnur, Trennung von der Mutterbrust, Trennungen von dem, was sich als materielle Substanz des Körpers des Kindes re-präsentiert. Bedeutet seine »unstillbare Gier« vielleicht, daß es diese materielle Substanz wieder in sich aufsaugen will? Dann handelte es sich um eine uneingestandene Gier, die Mutter zu verschlingen, diesen ursprünglichen Natur-Körper verschwinden zu lassen, von dem man jetzt und immer wieder getrennt wird, sich trennen muß, und auf den man jetzt und immer wieder zurückkommen und auf den man sich beziehen muß. Aber wenn man sie verzehrt, dann wird sie nicht mehr dasein, um für die Bedürfnisse und Wünsche zu sorgen, auch nicht, um eine bestimmte Repräsentation des Ursprungs-Ortes und der Ursprungs-Bindung zu garantieren. Diese Gier ist also tatsächlich unstillbar, und keine Nahrung wird sie jemals sättigen können. Im übrigen geht es gar nicht um das Problem der Sättigung. Ja, es kann sogar sein, daß die Nahrung krank macht, vergiftet, wenn sie zu fehlen beginnt, wie Freud sagt; aber erst recht, wenn sie ihre Funktion verfehlt, die Kontiguität mit der Mutter so lange zu repetieren-repräsentieren, bis das Urbegehren (nach dem Ursprung) eine »andere« Ökonomie gefunden hat. Also Kinder machen. Aber die Faeces-Kinder, die ersten, die man »machen« kann, sind nicht zuletzt das Resultat der Absorption der Mutter-Materie. Und obwohl sie den Triumph ihrer Verdauung bedeuten,[24] so kennzeichnen sie doch auch den partiellen Charakter dieses Vorgangs. Zudem werden sie dem Kind, sobald sie produziert sind, weggenommen: ein weiterer Abbruch der materiellen Kontiguität, die es gerade zu meistern versucht hat. Allerdings wird es sich diese »Kinder der Mutter« niemals einfach aneignen können. Sobald sie gemacht sind, nimmt die Gesellschaft sie ihm fort, im Namen der Reinlichkeit. Das Problem ist also nicht gelöst. Als Knabe möchte man, von Beginn der phallischen Phase an, zum Ursprung zurückkehren, sich zum Ursprung wenden. Und das heißt: die Mutter besitzen, in die Mutter, den Ursprungsort eindringen, um hier den Zusammenhang mit ihr wiederherzustellen, um zu sehen, zu erkunden, was hier geschieht. Und auch, um sich hier zu reproduzieren. Ist man als Mädchen zur Welt gekommen, sieht das Problem anders aus. Für sie, die keinen Penis hat, bleibt der Ursprungsort unerreichbar: es ist keine Rückkehr in ihn, keine Hinwendung zu ihm möglich. Das Mädchen, die Frau wird auf andere Weise eine Ökonomie des Urbegehrens (nach dem Ursprung) finden: sie wird der Ort der Erneuerung des Ursprungs, seiner Re-Produktion, der Reproduktion. Sicher, auf diese Weise erneuert sie nicht »ihren« Ursprungsort, »ihren« Ursprung. Im Gegenteil, es ist notwendig, daß sie jede Kontiguität mit ihm zerreißt, daß sie, die schon eine Wendung mehr gemacht hat, durch eine weitere Drehung - in der Aufzählung der Genealogie — an den Ort gelangt, an dem der Ursprung sich in numerischer Abfolge erneuern kann.
Diese zusätzliche Wendung, diese weitere Drehung - die versetzt und festgesetzt ist, da sie eine chiffrierte Abfolge kennzeichnet -wird für sie im Hinblick auf die Repräsentation des Ursprungs nie auflösbar sein. Auch nicht für dessen Re-Präsentation. Für kein Projekt von Rückkehr, von Umkehr. Es zählt, reproduziert sich in Nummernfolgen, ohne daß sie (sich) davon Rechenschaft geben, ohne daß sie dabei (sich) die Zeichen setzen könnte, jedenfalls nicht in dieser, immer noch herrschenden Ökonomie der Repräsentation, der auch Freud nicht genügend mißtraut. Er, der befangen ist in einem bestimmten Logos und damit in einer bestimmten Struktur der »Präsenz«, kann sich das »Weibwerden« des Mädchens einzig in Begriffen des Fehlens von, der Abwesenheit von, des Mangels an etc. vorstellen. Und was zum Beispiel - und es ist ein paradigmatisches Beispiel - das »Werden« seiner Beziehung zu seinem ursprünglichen Ort angeht, so kann Freud es nur als eine Verabschiedung, eine Entlassung der Mutter wahrnehmen: als Abweisung, als Haß auf die Mutter, kurz, als einen Bruch in der Re-Präsentation des Ursprungs. Um ihr als einzig mögliche und begehrenswerte Perspektive den Penis vorzuhalten oder vielmehr aufzuzwingen. Besser noch den Phallus! Oder das Wahrzeichen der Aneignung in der Beziehung des Mannes %um Ursprung. So daß sie zweifellos kein eigenes, besonderes Verhältnis %um Gegenüber hat, noch haben kann: Sie hat auch nicht die Möglichkeit, etwas, was es auch immer sei, zu begehren, da sie ja ihre Mutter weder einfach lieben noch einfach verabscheuen darf, sondern in Beziehung auf sie, ihren vermuteten Ursprungsort, ihr Ursprungsband, eine Drehung mehr in der Rechnung oder Berechnung der Enumeration des Ursprungs ausführen mußte.
Um auf die Entwöhnung zurückzukommen: Es scheint berechtigt, festzuhalten, daß das kleine Mädchen sie traumatischer erlebt als der kleine Junge. Sie, die nichts hat - jedenfalls nicht beim augenblicklichen Stand der Dinge —, um diesen letzten Abbruch der materiellen Kontiguität mit ihrer Mutter aufzuschieben, zu ersetzen oder sich zu ersetzen, sie kann weder zu ihrer Mutter zurückkehren noch behaupten, zu sehen oder zu wissen, was dieser Ursprungsort ist; sie wird sich »ihre« Beziehung zu »ihrem« Ursprung weder vorstellen noch sie repräsentieren können; sie wird niemals wieder in die Mutter eindringen, niemals wird sie ihr, in einer Umkehrung oder Substitution der verloren gegangenen Mutterbrust und Muttermilch, Samen mit ihrem Geschlecht zu trinken geben;[25] sie wird ihr niemals ein Kind machen; sie wird sich niemals als selbe in ihrer/der Mutter reproduzieren etc. Sie bleibt der Leere, dem Mangel jeder Repräsentation und jeder Repräsentation, genau genommen auch dem Mangel jeder Mimesis[26] ihres Urbegehrens (nach dem Ursprung) überlassen. Es wird von nun an das Wunsch-Diskurs-Gesetz des männlichen Begehrens durchlaufen: Du wirst meine Frau-Mutter, meine Frau, wenn du (wie) meine Mutter sein willst, sein kannst[27] = du wirst für mich die Möglichkeit sein, die (meine) Beziehung zum Ursprung immer wieder zu erneuern, zu repräsentieren, zu reproduzieren, mir anzueignen. Aber diese Operation - und man könnte dabei gegen Freud die Freudschen Begriffe selbst aufbieten — begründet keineswegs eine Verschiebung des Begehrens-Ursprungs des kleinen Mädchens, der Frau, sondern, wenn man so will, ein Exil, eine Auslieferung, eine Ausbürgerung aus dieser (seiner) Wunschökonomie— wofür man übrigens sie selbst verantwortlich macht, haßt sie doch ihre Mutter. Es geht also für die Frau um die Abschaffung der Repräsentation und des Signifikanten einer bestimmten Zeit in ihrer Libidoökonomie, und zwar nicht der unwichtigsten, denn in ihr werden die Spuren ihrer Frühzeh durch ihre Neuprägung gelöscht.[28] Sagen wir daher genauer, daß ihre Geschichte von Anbeginn stillgestellt wird,[29] um sich von der eines anderen bestimmen zu lassen: von der des Mann-Vaters.
Es gibt also für die Frau keine mögliche Repräsentation, keine Geschichte ihrer Libido-Ökonomie, so wie es für den Mann keine wirkliche Bedeutung der weiblichen Libido gibt. Die Libido ist männlich oder bestenfalls ein Neutrum... »Immerhin, die Zusammensetzung >weibliche Libido< läßt jede Rechtfertigung vermissen.«[30] Das muß man sicherlich so übersetzen: In einer bestimmten Ökonomie des Bedeutens - und wir wissen, in welchem Verhältnis sie zum Begehren nach dem Selben, nach seiner Repetition-Repräsentation-Reproduktion steht — besagen die Worte »weibliche Libido« nichts, können sie nichts besagen, denn die Möglichkeit, sie könnten irgend etwas bedeuten, würde das Projekt, die Projektionen eben dieses Bedeutens, in Frage stellen. Der »ungerechtfertigte«, unerträgliche Charakter der Worte »weibliche Libido« wäre also eines der Symptome für ein Außen, das in den Augen des (männlichen) »Subjekts« der Geschichte eine Bedrohung darstellt, für die Wörter, die Zeichen, den Sinn, die Syntax, die Systeme von Repräsentationen, durch die das Selbe möglichst angemessen »bedeutet« und hervorgebracht werden soll. Gleichzeitig jedoch verweist die »vermißte Rechtfertigung« des Ausdrucks »weibliche Libido« darauf, daß die Frau in der Triebenergie ihres Sexuallebens reduziert ist. Freud gibt sich alle Mühe, dies nachzuweisen, wobei er die Hauptverantwortung der Natur aufbürdet.[31] Nun, das Apriori des Selben und das Begehren nach ihm erhalten sich allein durch die Herrschaft eines einzigen Begehrens.
Es ist eine Folge davon, daß man sich unter den Praktikern der Psychoanalyse darüber beklagt oder ironisch bemerkt, die Frauen seien nicht analysierbar.[32] Was durchaus stimmt, solange man innerhalb des Diskurses von Freud bleibt, innerhalb des geschlossenen Systems der Repräsentation, in dem er gefangen ist. Die »weibliche Libido« und, strenggenommen, auch die sexuelle Differenz, deren hervorstechendes Merkmal jetzt das »Kastriertsein« der Frau ist, sind tatsächlich daraus ausgeschlossen. Es ist genau im Gegenteil der Phallus, der hier allzu oft als der Garant des Sinns, als der Sinn des Sinns und der Sinne fungiert, als »Gleichnis«, »Form« und höchster »Signifikant«, in dem die alten Denk-figuren der Onto-Theologie in aller Durchtriebenheit wiederkehren und dabei ihre Masken fallen lassen. Der Verdacht drängt sich auf, daß es auch in dieser »neuen« Ökonomie der Bedeutung, die von dem besagten Phallus organisiert und beherrscht wird, noch einmal und immer wieder darum geht, das Selbe zu postulieren.
»Die nächste Anklage«, die das kleine Mädchen - und ebenso der kleine Junge — an die Mutter richten können, »flammt auf, wenn das nächste Kind in der Kinderstube erscheint. Wenn möglich, hält sie den Zusammenhang mit der oralen Versagung fest. Die Mutter könnte oder wollte dem Kind nicht mehr Milch geben, weil sie die Nahrung für das neu Angekommene brauchte. Im Falle, daß die beiden Kinder so nahe beisammen sind, daß die Laktation durch die zweite Gravidität geschädigt wird, erwirbt ja dieser Vorwurf eine reale Begründung, und merkwürdigerweise ist das Kind auch bei einer Altersdifferenz von nur 11 Monaten nicht zu jung, um den Sachverhalt zur Kenntnis zu nehmen. Aber nicht allein die Milchnahrung mißgönnt das Kind dem unerwünschten Eindringling und Rivalen, sondern ebenso alle anderen Zeichen der mütterlichen Fürsorge. Es fühlt sich entthront, beraubt, in seinen Rechten geschädigt, wirft einen eifersüchtigen Haß auf das Geschwisterchen und entwickelt einen Groll auf die ungetreue Mutter, der sich sehr oft in einer unliebsamen Veränderung seines Benehmens Ausdruck schafft. Es wird etwa schlimm, reizbar, unfolgsam und macht seine Erwerbungen in der Beherrschung der Ausscheidungen rückgängig. Das ist alles längst bekannt und wird als selbstverständlich hingenommen, aber wir machen uns selten die richtige Vorstellung von der Stärke dieser eifersüchtigen Regungen, von der Zähigkeit, mit der sie haften bleiben, sowie von der Größe ihres Einflusses auf die spätere Entwicklung. Besonders, da dieser Eifersucht in den späteren Kinderjahren immer neue Nahrung zugeführt wird und die ganze Erschütterung sich bei jedem neuen Geschwisterchen wiederholt. Es ändert auch nicht viel daran, wenn das Kind etwa der bevorzugte Liebling der Mutter bleibt; die Liebesansprüche des Kindes sind unmäßig, fordern[33] Ausschließlichkeit, lassen keine Teilung zu.«
Man kann einige Zweifel daran haben, daß die Reaktion des Kindes, selbst wenn es der Liebling der Mutter bleibt, wirklich die gleiche ist, wenn das Neugeborene vom gleichen Geschlecht ist wie das Ältere oder wenn es vom anderen Geschlecht ist, wenn ein Mädchen auf einen Jungen folgt oder wenn ein Junge auf ein Mädchen folgt... Und genügt es tatsächlich, das Nicht-Beherrschen der Ausscheidungen hier einfach als Regression zu interpretieren? Ist es nicht auch ein Versuch, es wie die Mutter zu machen und niederzukommen? Das Kind kann aufgrund seiner Unkenntnis der weiblichen Geschlechtsorgane und angesichts des »Stadiums«, in dem es ist, eine Niederkunft nur über den Modus der Ausscheidung imitieren. Es handelt sich also um ein Symptom, eine spezifische Weise, sich abzureagieren und sich gegen das, was ihm verschwiegen wird,  aufzulehnen,  seine besondere Art,  seinen Mangel an Vorstellungen von Empfängnis, Schwangerschaft und Niederkunft zu somatisieren.
Nach den oben zitierten Bemerkungen zu schließen, stellt die Geburt eines Geschwisterchens für das Kind fraglos eine beträchtliche Störung dar. Aber gegen die Bemerkungen Freuds, der den Akzent auf die orale Frustration setzt, könnte man wohl einwenden, daß diese Frustration lediglich eine Reaktivierung, ein gewiß sehr offensichtliches Kennzeichen einer anderen Erschütterung, einer anderen »Krise« ist. Eine neuerliche, eine »zweite«, eine »dritte« Geburt desorientieren das Kind völlig in den Anhaltspunkten, die es von »seiner« Empfängnis und Geburt haben kann oder die man ihm davon vermitteln könnte. Sein Wunsch nach einer Beziehung zu einem Ursprung, zu einem Ursprung wird dadurch gründlich erschüttert. Er oder sie werden hier noch einmal mit dem Problem der Bezifferung des Ursprünglichen konfrontiert, das sie nun unablässig zählen und berechnen müssen. Es sind diese Begriffe des Zählens und Teilens, in denen die theoretische Konzeption und auch die Praxis der »Kastration« gedacht werden müssen, gedacht werden müßten, wenn man an dieser Konzeption festhalten, ihre Wirksamkeit aufrechterhalten will. Jedesmal, wenn eine ausschließliche Beziehung zum Ursprung, wenn die Phantasie von der einfachen  Unteilbarkeit des Ursprünglichen sich als teilbar erweisen und wenn gezählt und gerechnet werden muß, dann ist die Kastration im Spiel. Also zum Beispiel auch dann, wenn sich eine Empfängnis, eine Geburt wiederholt - es ist keine einfache Wiederholung; das Resultat der Operation ist eins mehr — bei der Aufzählung der Geschwister. Selbst wenn das Kind die sexuelle Differenz beim Akt der Befruchtung noch nicht kennt oder sie verkennt, wird durch eine weitere Geburt - durch dieses eins mehr — das Funktionieren der Kastration heraufbeschworen oder erinnert. Und die regressiven Verhaltensweisen des kleinen Kindes bei dieser Gelegenheit sind unzweifelhaft als Zeichen seiner Angst (vor der Kastration) zu verstehen, doch vielleicht nicht minder als aggressive Antwort auf die Phantasien von der Allmacht der Mutter, der Eltern bisweilen, die dem Kind gegenüber das Trugbild eines Monopols des Ursprungs, gar eine Komplizenschaft mit ihm, aufrechterhalten wollen. In dieser Hinsicht fordert das Kind ebenso wie die Mutter oder der Vater, oder die Eltern als familiale Institution »Ausschließlichkeit, lassen keine Teilung zu«. Jedes Kind hat (nur) ein Recht auf eine alleinige Beziehung zu ihr, zu ihm, zu ihnen. Eins, eins, eins... so viele man davon will - und ebenso eins + eins + eins... - sie werden immer zählen, immer das Verhältnis, das zwischen Kindern ein und derselben Mutter, ein und desselben Vaters, derselben Eltern besteht, berechnen. Die Psychoanalytiker wissen übrigens inzwischen, daß die Rechenschwäche der heranwachsenden und der kleineren Kinder auf ihre Schwierigkeit hinweist, sich innerhalb der Zahl der Geschwister zu situieren, einmal ganz abgesehen von ihrer Ängstlichkeit oder ihrem Horror vor der Mathematik...