Die göttliche Erkenntnis

Die Mimesis, die Nachahmung erhebt sich und entschwindet; aber sie bleibt, zwangsläufig, in der Szenographie des Selben. Ebenso wie die Magier, die Pädagogen und Philosophielehrer, der Demiurg oder Gottvater immer eine zurückgezogene Position einnehmen. Sie sind die einzigen, die eine Ansicht von der Hinterseite der Dinge haben. Das wird in der Eindeutigkeit des »Augenscheins«, der Evidenz, an der sie angeblich ausschließlich teilhaben und für die sie sich angeblich ausschließlich interessieren, geleugnet. Denn sie projizieren sie auf die Vorderseite der Höhle, des Bildes, der Seele, dieser Projektionsschirme für Vorstellungen, für Repräsentationen, die man vor allem nicht umdrehen darf. Die Rückwendung ist im Schauspiel verboten, sie wird in der Kreisförmigkeit des Fortgangs, des Prozesses maskiert, von dem man glauben wird, daß er die Rückseite nach vorn, auf die Vorderseite geführt hat und daß er sie so der Betrachtung in der richtigen, der vernünftigen Richtung darbietet. Es ist eine kaleidoskopische Augentäuschung, aus der Gott, auf ewig unsichtbar, sich entfernt. Er ist hinter allem verborgen, was ein Seiender zu seinen Lebzeiten jemals erblicken kann. Er ist die Grundlage, die sich jeder Sicht entwindet, bietet sich aber unendlich weit weg, vorn und in der Höhe der Anschauung dar, in seiner teleologischen Schönheit, seiner Güte, deren Wirklichkeit und Wahrheit für einen Sterblichen sehr schwer zu begreifen und schwer zu beweisen sind, obgleich sie die Gewalt von Gesetzen haben. Sie regeln die gerechte Ordnung des Universums, das zudem nach seinem Bild geformt ist. Alles, was wirklich existiert, gleicht Ihm. Wer sich von dieser Ähnlichkeit entfernt, wird — wenigstens eine Zeitlang - den Tiefen der Erde oder des Meeres ausgeliefert. Auch ist er in seinen einzelnen Ideen gegenwärtig, was nicht heißt, daß er sich in jedem Einzelnen und jeder Einzelnen in gleicher Weise wiedererkennt. Daß Jeder und Jede in irgendeiner Weise sein Reflex sind, schließt eine Hierarchie der Grade seines Wirklichwerdens, der Grade der Filiation und Deszendenz nicht aus. Ein komplexes Geflecht von Relationen, in dem sich die Generationen kreuzen, um die genaue Form eines und einer jeden zu bestimmen. Ein Stein in einem »Brettspiel«, das vom »Herrscher« eingesetzt wurde, damit das Spiel seinen guten Fortgang nehmen kann, eingesetzt an der einzigen Stelle, die ihm zukommt, ein für allemal bestimmt, da Gott sich niemals von der Stelle bewegt, von der aus Er sie betrachtet.[49] Eine Erhebung, die nichts mehr wird bewegen können, denn sie umfaßt das Ganze seit Ewigkeit.

Aber muß man nicht noch betonen, daß diese Seine Nachbildungen, da sie immer am selben Platz sind - wenigstens solange sie leben -, gleichzeitig auch im Plan des Universums auf der Vorderseite sind? Und zwar ohne eine mögliche Rückseite? Damit die Projekte des Demiurgen sich nicht umkehren können? Es sei denn, er würde es riskieren, daß das, was er nach seinem Bild geschaffen hat, ihm mit einem anderen Gesicht erscheint. Einer Hinterseite vielleicht? Dies muß das Geheimnis Gottes bleiben. Der, damit man nur wenig davon erfährt, sich immer nur nach vorne (re-)produziert und (sich) projiziert und der im übrigen in seiner Sorge um das Maß fordert, daß seine »Reflexe« sich nicht drüber und drunter wenden sollen.[50] Es wäre die äußerste Konfusion, wenn Gott sich von der Rückseite wahrnehmen würde, er würde dabei das unveränderliche Wissen in bezug auf die Stellung von rechts und links verlieren. Er würde in seinen, den geometrischen Anhaltspunkten verwirrt, die unabdingbar sind für den guten Lauf der Welt, für die Differenzierung und Zuordnung des Selben und des Anderen »zum Beispiel«. Wobei es überflüssig ist, daran zu erinnern, daß das eine sich immer in einer identischen und darum richtigen Richtung bewegt, während das andere dieser Genauigkeit zuwiderläuft und dabei Schatten auf sie wirft. Nun ist diese »gute« oder diese »schlechte« Richtung aber (vor allem) abhängig von der Rechten oder der Linken des Demiurgen. Und wenn diese sich vermischen, ja sogar umkehren würden...
Aber wer weiß, ob sie es nicht von jeher sind? Ob Gott nicht verkennt, was Spekulation und Spiegelung der Inversion verdanken? Weil er noch nichts von der projektiven Mechanismen seiner Vorstellungen weiß. Gefangener im Feld seines einzigartigen Blicks, ohne die Möglichkeit der Analyse seiner Perspektive, die, so frei und luftig sie auch sein mag, deshalb doch nicht weniger Auswirkungen von Planung unterstellt ist, die durch den kugelförmigen Charakter der in Frage stehenden Oberflächen nicht aufgehoben sind. Und wenn es auch immer und seit jeher Er ist, der sich auf ihnen abbildet, so ist es gleichwohl nötig, daß sie ihn reflektieren, daß irgendwo ein Spiegel eingeschoben wird, in dem sich sein Bild formt. Was Gott nicht will. Weil er eine Umkehrung seiner Macht fürchtet? Eine Veränderung durch einen und in einem anderen Blick? Unvorhersehbare, unzählige Transformationen seines Wesens, das den Veränderungen eines Spiels von Spiegeln unterworfen ist?

Um sich mit sich selbst identisch zu erhalten, bleibt ihm die Möglichkeit, auf einen doppelten Spiegel zu rekurrieren, der zweite korrigiert das Bild, das der erste zurückwirft, das Substitut für die Information des Auges des anderen ist damit angeglichen. Die göttliche Repräsentation würde also durch eine doppelte Spiegelung, eine Verdopplung der Spekulation hindurchgehen? Die Kopie der Kopie wäre dann in und durch die Permanenz Gottes in seiner Einheit und Einfachheit impliziert. In seiner Selbst-Genügsamkeit. Ungeteilt. Kein Einspruch vermag das zu widerrufen, da die - ideale - Optik des anderen bereits in die Definition des Selben eingegangen ist. Gott würde sich selbst (als Selbst) zweimal fingieren, um die Unwandelbarkeit seiner Reflexion zu sichern. Seine, die Wirklichkeit wäre das Trugbild des Trugbildes? Dabei »ist« die erste Nachbildung schon »im Spiegel«. Doch im Gegensatz zum Maler und zum Dichter, die aus diesem per-vertierenden Spiel Lust und Ruhm gewinnen, will die göttliche Ordnung, daß die Dinge an den richtigen Platz, nach vorn zurückgestellt werden, indem sie das Spiegelbild wiederholt und die Operation noch einmal vollzieht, die das Bild umkehrt. So wird die Hypothek des Spiegels aufgehoben, zumindest im Absoluten. Er behält den Schlüssel zu diesem Mysterium für sich: zu seiner von Spiegeln vereisten hystéra, in der er sich selbst erzeugt, wirklich identisch mit sich, indem er sich zweimal reproduziert, mindestens: Ekstase einer Urszene, in der zwei Reflexe des Selben sich verbunden haben und mit dem Wesen selbst niedergekommen sind. Endlich eine ideale Kopula, die den Metamorphosen des Werdens nicht unterliegt und dennoch unendlich und unbegrenzt vielfältig ist. Denn wenn einmal der Einfallswinkel der beiden Foci gefunden ist, die Konvergenzpunkte, wo die leuchtenden Strahlen zusammentreffen, wenn einmal das Spiegel-Hymen wirklich geworden ist, worin er die beiden Gesichter seines Seins - bald das selbe, bald das andere (des selben) - zusammenfaßt und vereint, kann er die Erzeugung seiner selbst endlos wiederholen. Er kann sich in allen seinen Aspekten wahrnehmen, ohne daß ein einzelner vom Ganzen abgetrennt werden würde: verschiedene Gesichtspunkte des Selben, der, um sich durch und durch auch in allen seinen Attributen zu erkennen, keinerlei Veränderung ausgesetzt ist und sich niemals von der Stelle bewegen muß. Es wird ausgereicht haben, daß er das klug berechnete Dispositiv um sich herumgeführt hat, damit er mit sich selbst identisch bleibe, im Mittelpunkt der Sphäre, die er auf diese Weise entwirft: seinen geschlossenen Raum aus spiegelndem Eis.

Die Realisierung dieses Speculums, das als Eigentümlichkeit des Vaters bestimmt werden kann, stellt nur ein »Seiendes« vor Probleme, das noch materiell ist und einen Ort einnimmt, das in einer chora* (*chora: Raum, Ort, Aufenthaltsort. (Anm. d.Ü.)) lebt. Was bei Gott nicht der Fall ist, denn er ist überall gegenwärtig und verharrt nirgendwo. Allgegenwart des göttlichen Lichtes, das sich dort, wo normalerweise Schatten ist, in einem zweiten Spiegel reflektiert, der auf den ersten zurückverweist. Und so fort, unendlich. Sie beschreiben einen Globus (einen Augapfel), in dem sich die Strahlen vervielfachen und sich ohne Einbuße sammeln, ohne einen Brand zu verursachen, da sie sich nicht im Brennpunkt einer einzigen Linse konzentrieren, sondern nur gezählt und einzeln im göttlichen Blick. Das ist die Ökonomie einer Klarsicht, die sich niemals einer einzelnen Reflexion überläßt und die die Gesichtspunkte durch Multiplikation im gesamten Zusammenhang ihrer Allwissenheit herausbildet; die stark ausgeprägte Kontur jedes einzelnen Moments führt im Gleichgewicht und in der Harmonie des Ganzen nicht zu Unklarheiten.
So bevorzugt Gott kein einzelnes seiner Gesichter, er würde sich andernfalls in einer Erscheinung verkörpern, würde einen Körper als Erscheinung annehmen. Er weist es ab, eine unter Ausschluß einer anderen auszuwählen, einem Teil, einem Bruchteil, einer Existenz die Priorität einzuräumen; er ist seit aller Zeit und im Augenblick die Einheit alles Kompossiblen. Und ohne ein vorstellbares Anderswerdern ist das Prinzip des Anderen hier in der Definition der Identität mit sich selbst einbeschlossen, ist der einzigen Ursache des Selben verpflichtet dadurch, daß da, wo der Schatten (eines Doppels), aber auch der Schein, das Phantasma, die Meinung oder auch nur die Ungewißheit darüber, was wirklich ist, auftreten könnten, eine zweite Spiegelung den Reflexionswinkel korrigiert und geraderichtet. Dabei werden als Repräsentationen nur Ähnlichkeiten, etwas, das Ihm ähnlich ist, herauskommen, allerdings unter Berücksichtigung aller Winkelzüge, die durch eine genaue Bestimmung der Proportionen auf ihre Totalität bezogen und unter dieser betrachtet werden können. Eine Progression, die geometrisch ist und schnell auf das Unendliche zustrebt. Gottes Auge, das Vorbild der Intelligibilität, der erschöpfenden Erkenntnis von sich selbst, kann in dieser Vollendung des Wissens (und des Erkennens) kein Sterblicher einholen.

Indessen werden den Sterblichen doch einige verhältnismäßig sinnliche Hinweise gegeben, um die Relationen zu interpretieren, die in dieser göttlichen Wissenschaft am Werk sind.[51] So erschafft der Demiurg das Universum nur, indem er auf das »absolut Lebende« sieht, er achtet also auf eine Verdopplung der Spiegel. Und außerdem beschreiben in jener sich drehenden Sphäre der Welt - genauso wie im höheren Teil der Seele des Menschen, der in seinem (runden) Kopf untergebracht ist - zwei Kreise den Kreislauf des Selben und des Anderen, zwei Kreise, von denen der zweite einen spitzen Winkel mit dem ersten bildet. Diese Duplizität ist notwendig als Meßinstrument, dessen Paradigma - zumindest ist es so gedacht - die Zeit ist, die gegliedert wird durch die Beziehung des Lichtes zum »Schatten«. Auch wird behauptet, daß alles, was wesentlich ist, am Bilde Gottes teilhat, denn jene mehr oder weniger adäquaten »Kopien« sind vom Vater in einem harmonischen Ganzen organisiert, das heißt, sie unterstehen Gesetzen geometrischer Proportionen, deren Aufzählung die Summe Und die Relationen alles dessen einschließt, was existiert. So umhüllt das Universum alle Lebenden, ohne Ausnahme, und bewegt sich um sich selbst, indem es sich um die eigene Achse dreht, die durch sein unbewegliches Zentrum hindurchgeht: das »sinnliche« Abbild des »intelligiblen« Vorbildes, für das das Auge das kostbarste Organ der Einsicht ist. Wohlgemerkt nur dann, wenn es in eine richtige Richtung gewendet wird, bis es sich in den Blick der Seele verwandelt, die von allen Punkten ihrer kreisförmigen Oberfläche aus schauen kann. Das ist die privilegierte optische Struktur, deren Konfiguration man auf jeder Stufe des Diskurses, in jeder Etappe der Argumentation wiederfindet.

Alle Abstufungen der Generation, der Deszendenz bezeichnen also das Funktionieren des göttlichen Verstandes. Den Sterblichen bleibt es überlassen, ihn nachzuahmen, um in der Hierarchie der Wesen aufzusteigen und wenn schon nicht die Ewigkeit, so doch immerhin die glückselige Unsterblichkeit zu erreichen. Das Problem ist, daß ihre materielle Geburt sie opak macht, undurchdringlich für die leuchtenden Strahlen und untauglich für die totale Transparenz, für eine vollständige Durchleuchtung. Immer bringen sie Schatten im Schauspiel hervor, auch wenn es nur durch das Hindernis ihrer Silhouette geschieht. Außerdem zwingt sie ihr Rück-Fall in eine chora, wenigstens in diesem Leben, an irgendeinem Ort, in irgendeinem Körper zu bleiben. Sie sind nicht auf den Mittelpunkt eines idealen spiegelnden Dispositivs zurückzuführen. Deshalb gibt es in der »Materie«, in ihrer (ihren) Materie(n) eine undeutliche Bewegung, die sie wegzieht aus der vollkommenen Umdrehung des eigenen Bildes um sich selbst. Sie haben noch keine unbefleckte Empfängnis und Konzeption.
Das ist nicht alles. Die Seele des Menschen selber wird die Unterweisung vergessen, die sie von dem Schöpfer empfangen hat, der ihr Vater war. Als Ausdruck einer Allianz - des Unsterblichen und des Sterblichen - hat sie zudem das Unterscheidungsvermögen dafür verloren, was sie zur Einheit zurückbringen könnte. Sie ist im Ungewissen über das Wahre und das Falsche, über die Wirklichkeit und den Schein, das heißt, über das Selbe und das Andere. So wird sie in gegensätzliche Richtungen getrieben, nicht wissend, wem oder was sie ihr Sein zurechnen und widmen soll. Abstand und Verbindung zwischen (den) Zweien, Zwischenraum, metaxie*, (*metaxie: inzwischen, inmitten. (Anm. d.Ü.)) in dem das Positive und das Negative sich gegenüberstehen, sich gegeneinander stellen und sich manchmal mischen, die, je nach dem Anlaß, abwechselnd oder von Zeit zu Zeit auch zusammen eine Kopula mobilisieren, die ihre olympische Klarheit eingebüßt hat. Und am Wesen, das schließlich von der Prädikation ausgenommen ist, können die »Söhne der Erde«, der Mutter, nicht partizipieren. Sie sind dem Wachstum unterworfen, das ihre Attribute so gründlich verändert, daß sie niemals genau wissen, was sie sind (und woran sie sind). Sie sind dem Werden unterworfen, sind Subjekte im Werden. Sie sind bereits dem Vater (dem Logos des Vaters) angegliedert und sind ihm schon ähnlich, doch noch vermischen sie sich untereinander und leben »in Gemeinschaft«, was einige Unreinheiten vermuten läßt. Ein Pluralismus, für den sie in der vollkommenen göttlichen Autarkie keinen Prototyp haben.

Man muß auch sagen, daß der Spiegel, in dem sie allein (als einzelne) ihren Maßstab finden sollen - Gott -, für sie ins Unendliche extrapoliert ist, was die Reflexion schwierig macht. Sie können dessen Forderungen nur erahnen - und zwar ohne die Hilfe irgendeiner Hypothese. Sie sind niemals sicher, ob das letzte Gericht den Wert ihrer Richtigkeit, ihrer Gerechtigkeit bestätigen wird, was das Zeichen eines unaufhaltsamen Aufstiegs wäre. Bei diesem immerwährenden Fortschreiten bleiben sie in der Anglei-chung an die phallische Allmacht selbst (des Selbst) immer im Rückstand. Sie strengen sich an, einem Blick zu folgen oder ihn gar zufriedenzustellen, dem sein Abstand alle Dimensionen eröffnet, indem er sie alle, auch in ihrer Maßlosigkeit umfaßt. In der Pupille des Anderen verliert sich eine noch nicht reflektierte Prätention. Wie kann man sie also verdoppeln? Wie kann man sie »in Wirklichkeit« messen und beherrschen? Da sie ja niemals ein für alle Mal determiniert ist. Da sie der Definition ihrer idealen Form entgeht. Muß man sie also mit den anderen des Selben vergleichen? Aber aufweichen Schiedsspruch soll man sich bei dieser Spekulation und Spiegelung verlassen, wenn nicht wiederum auf den des »Vaters«? Durch ihn wird die Beziehung des Größeren zum Kleineren, des Älteren zum Jüngeren, des Weisen zu seinem Liebling am besten reproduziert. Aber die Proportion wird von nun an auch in ihren Variationen gesehen.
Was die Relation zu den anderen der anderen, %um anderen des anderen angeht, so bedroht sie den mit dem Verlust seiner selbst (als Selbst), der es wagt, sich unter sie zu mischen, denn sie schließt die Möglichkeit einer Umkehrung nicht aus. Das Andere ist letzten Endes die Kehrseite, das Negativ der Eigenschaften des Selben, das über die Einheit der Identität mit sich hinausgeht, deren Grenzen bedroht; es ist das, was die Identität außerhalb des Bereichs ihrer Selbst-Behauptung läßt. Außerhalb, hinten, umgekehrt, es kann nicht ein für alle Mal eingegrenzt werden, da »es selbst« nicht zu einer vollkommenen Konzeption von Ihm als Selbem gelangt. Es ist also eine unbegrenzte, unbestimmte Andersheit, die Vielfalt des Noch-nicht-Seienden, aus der er das schöpft, womit er den Aufbau seiner sublimen Form nährt: die noch dunkle Reserve, undurchdringlich für einen scharfsinnigen Blick; die Materie, die in keine besondere Richtung passt, die sich keinem eigenen Sinn fügt, über die man (sich) ständig weiter spekulieren (spiegeln) läßt, aber indem man die Proportionen, die im Spiel sind, über ein anderes Selbst oder über das Vorbild selbst berechnet, denn sonst würde man unendlich und unbestimmt groß oder klein werden. Formlos, ungeformt. Maßlos. Denn jenem anderen fehlt es an Prinzip, es bewegt sich ohne Grundlage. Es ist von Natur ohne Konstanz und ohne Konsistenz. Und obschon es möglich ist, es nach und nach einigen Gesetzen zu unterstellen, es einigen Grundsätzen zu unterwerfen, darf man doch nicht verlangen, daß es für sich selbst die Regeln festlegt, noch darf man hoffen, daß es sich in Bewegungen, Größen, Geschwindigkeiten, Zahlen auflöst, die in definitiver Weise festgelegt werden können. Es verfügt über kein Gedächtnis und keine Rede, denn es ist ohne Worte. Es ist unfähig zur geringsten Überlegung. Unlogisch, wie man weiß. Es ist vielleicht geräuschvoll, aber ohne übereinstimmende Artikulation, ohne zusammenhängende Verbindungen unter den Tönen, und diese werden auch nicht in einer stetigen Folge ausgesendet (es ist unnötig, hier von »Ideen« zu sprechen, geschweige denn von »Meinungen«). So (re-)produziert es nichts als auditive »Empfindungen«, die bestenfalls in einen Rhythmus, eine Harmonie gezwungen werden, also musikalisch sind, was natürlich keineswegs sinnvoll und vernünftig bedeutet. Und auch dieser Gleichklang kommt nur unter der Bedingung zustande, daß sich das Andere zuvor der Arithmetik des Selben unterworfen hat. Des Selben, das wahrhaft nur in jenem Bild Gottes wirklich wird, welches das Universum ist. Der Rest ist Gelall, Geschwätz, mißtönendes Gegacker, die schwer erträglich sind und dem Menschen keinen Nutzen bringen.

Auf diese Weise muß der Mann sich als derjenige wiedererkennen, der zwischen dem Spiegel steht, der so weit entfernt ist, daß er sich dem Blick entzieht, zwischen Gott also, und dem auf andere Weise grenzenlosen Abgrund (des anderen), dem anderen. Disjunktion und Dislokation, die nicht vergleichbar sind, außer in den Zielpunkten, die noch blind sind , deren Einfallswinkel, Konvergenzen, gemeinsame Brennpunkte, deren genaue Existenzgrundlagen man noch ignoriert oder verkennt, was den Menschen in grober Verwirrung beläßt. Er versucht von rechts und von links, nach oben und nach unten, vorne und...? sein Sein wiederzufinden, beunruhigt durch die Wirklichkeit dessen, was er sieht, worin er sich sieht, überall nach dem Spiegelbild suchend, das ihm zu seiner Vollendung fehlt, und er endet nach vielem Umherirren damit, daß er sich in seine Seele zurückzieht, um das ihm Ähnliche %u spiegeln, über das ihm Ähnliche zu spekulieren. Fortan figuriert das andere als dasjenige, das Schatten auf diese verliebte Aneignung seiner selbst wirft, das periodisch die Unwandelbarkeit der abgesonderten Form verbirgt. Das sind Verführungen, Ablenkungen, die anarchisch bleiben und die man schon immer und auch jetzt erst bilden muß, in Wahrheit. Man muß jene »Ströme«, die verkehrt herum laufen und dadurch alle Arten von Transformationen, Verschiebungen und Übertragungen bewirken, dazu bringen, daß sie den Weg des Selben wiederholen. Ihre Übergriffe haben andernfalls zur Folge, daß man nicht mehr weiß, woran man ist. Daher handelt es sich einfach darum, sich an die Wiederholung selbst (des Selbst) zu halten, die sich auf das Bild des Ähnlichen als Vorstellungsträger beziehen kann und auf Gott als spekulatives Vorbild: Gott, der in aller Ewigkeit nicht die geringste Veränderung erfahren hat und niemals eine solche erfahren wird.

Die Regel, die man befolgen muß, um wieder zu den Ideen aufzusteigen, ist also, sich nach dem Selben zu richten, ob es nun im Ähnlichen Gestalt annimmt oder ob es, nicht repräsentierbar, im Kreis des Identischen immer wieder erscheint. Aber diese zwei Bewegungen, die in Gott unauflöslich miteinander verbunden sind, wo die Kreisdrehung um sein unbewegliches Zentrum nicht von der ausgiebigen Erzeugung des Bildes von sich selbst (als Selbst) - der Matrix aller Vorstellungen - zu unterscheiden ist, diese Bewegungen sind für den, der in einen Körper geraten ist, voneinander verschiedene, ja sogar voneinander abweichende. So wie der Mann von dem, was er im Spiegel, der das Auge des Mannes ist, sieht, auch nicht die Rückseite kennt: den Gesichtspunkt des anderen des Selben, der sich der Gewißheit entzieht, ebenso und anders (wie) seine Rückseite. Und wenn dieses Bild von sich selbst sich umdrehen und sich sogar widersprechend, umgekehrt zu dem Doppel von sich selbst verhalten kann, das der Mensch in seiner Seele erkennt, dann deshalb, weil dieses andere von Gott immer eine mehr oder weniger gute Kopie ist, obgleich die in die psyche eingeprägten Formen, wenn man genau darüber nachdenkt, sich gut in ihnen reflektieren, reine göttliche Wahrheit sind. Die Rückwendung und Umkehrung des Doppels, das die Seele darstellt, ist daher von der richtigen Sicht des Vaters vorherbestimmt. Und außerdem kann diese Verdopplung, wenn sie seinem Wort folgt, die Identität mit sich erreichen. Der Wiederholungsmechanismus, der in der Sprache wirksam ist, festigt und garantiert das Andauern der (guten) Mimikry, damit diese sich nicht unbestimmt in Abhängigkeit von allzu sinnlichen Wahrnehmungen bewegt - einer Mimikry, von der man annehmen kann, daß sie sich - selbst im Intelligiblen - einmal auf der Vorderseite und einmal auf der Rückseite herausbilden würde, indem sie den retroaktiven Auswirkungen im Diskurs folgt, wenn da nicht Gott wäre, der seit Ewigkeit die Nachträglichkeit jeder Aussage kennt und umfaßt, deren Ursache er außerdem ist: telos und/oder arche, die bewirken, daß aus jedem »in Wahrheit« Sprechenden ein »Subjekt« seines einzigartigen Logos wird.

Der »VATER« ist es also, der die Rückseite des Bildes von sich selbst, das für einen Sterblichen erreichbar ist, monopolisiert und andererseits mobilisiert, die Rückseite, die für ihn schließlich das wirkliche Gesicht ist. Diese Drehung der (seiner) Repräsentation (um sich selbst) entgeht dem Menschen. Was er zum Beispiel damit ausdrückt, daß die Entscheidung darüber, was für ihn gut ist, ihm nicht zusteht, daß dessen Finalität ihm unsichtbar und undurchdringlich bleibt. Und daß die Propädeutik ihn zu vielen Kehrtwendungen gebracht hat, hat doch niemals zum Ergebnis, daß er die Vorderseite und die Hinterseite der Dinge zusammenhängend sieht. Allenfalls wird man ihm bescheinigen, daß das, dem er sich jetzt zugewendet hat, »mehr« Wahrheit, »mehr« Sein habe als das, was er vorher betrachtete, und daß er eine »viel größere« Richtigkeit in seinem Blick habe - orthoteron* (*orthoteron: richtiger. (Anm. d.Ü.)) Aber das Vordere und das
Hintere sind niemals zusammen zu einem Vergleich erschienen. Dieser Vergleich wird durch die Argumentation, ja durch den peremptorischen Urteilsspruch eines Meisters ersetzt, denn »das Kind« stellt durch seinen zwischen beide gestellten Körper - ein sich drehendes, jedoch undurchdringliches Paraphragma — für die Sicht nach vorne und hinten immer ein Hindernis dar, Disjunktion, Dislokation, Aufhebung der Verbindung zwischen dem Sensibelsten und dem Intelligibelsten, die sich niemals gemeinsam dem Blick präsentieren. Man muß den Bereich der Optik umkehren und ihn gleichwohl als den selben erhalten, um den Wert simultan bemessen zu können, der im Spiel, (wenn nicht) im Feuer ist. Aber das wird für den, der im Körper eines Mannes verharrt, nicht möglich sein. Was die »anderen« angeht, sie haben nicht einmal Augen. Dunkle Nacht der Materie. Der göttlichen Klarsicht allerdings ist jeder Schatten fremd, auch jeder Schirm, außer dem der (ihrer) Reflexion. Da sie indes durch und durch intelligibel ist, hat sie zur Sinnlichkeit nur eine ideale oder spekulative Beziehung. Sie ist klar in der erleuchtenden Anschauung des Guten und noch viel deutlicher zweifellos in der Beurteilung der harmonischen Proportionen, die die Bewegungen des Universums regulieren, sie wird sich niemals anderswo offenbaren als in dem, was sie am besten reflektiert, da es ihr am ähnlichsten ist: im Blick der höheren Seele. Und auch das geht nicht ohne Umweg, ohne das »Böse« vor sich, denn die Seele kann immer noch durch Empfindungen, Meinungen, Phantasmen verwirrt werden, die die Permanenz des göttlichen Spiegelbildes verändern.
Wie erkennt der Gott also die sinnliche Seite der Dinge, wenn sein Verhältnis zu ihnen vollkommen theoretisch ist? Er hat nur als Prinzip eine Entsprechung in der Existenz, deren logische und geometrische Ordnung sein Wort unterstützt, ohne daß er am Leben dieses Universums partizipiert. Alles (das Ganze) ähnelt ihm, ohne irgendeine Reziprozität. Alles ahmt ihn nach, ihn, der nichts imitieren würde. Er ist reine Wahrheit, ein für alle Mal durch seine fixen Ideen bestimmt, die durch nichts und niemanden jemals bewegt oder modifiziert, gebrochen werden kann. Unwandelbarkeit seiner Reflexion, die im voraus alle Einwände beantwortet hat, die erhoben werden könnten, ohne irgend jemanden etwas gefragt zu haben. Denn er hat seit ewigen Zeiten auf alles ein Recht (hat in allem recht). Das läßt sich nicht teilen oder verdoppeln (außer in ihm), da man sonst nicht mehr unfehlbar wissen würde, wo Wissenschaft, wo Fiktion, wo Unwissenheit sind,[52] wo Weisheit, wo Wahnsinn, wo Dummheit. Denn darin muß man unterscheiden. Allein der Vater weiß absolut alles. Dieses Wissen freilich ist abhängig von der Tatsache, daß alles (das Ganze) nach seinem Bild entstanden ist. Und er wird schließlich nur sich selbst (wieder-)erkennen: das heißt, auch den Zusammenhang seines Projektionsfeldes. Und die »anderen« müssen dessen »eigentümliche« Merkmale introjizieren und sich damit identifizieren, damit »die Welt« sich weiter in der richtigen, vernünftigen Richtung dreht. Das macht sie zum Selbst, indem es sie von sich selbst abschneidet, jedenfalls von den Teilen ihrer »Seelen«, die reizbar und leidenschaftlich sind und die sich nun Schritt für Schritt der (guten) Mimikry anpassen müssen. Nicht daß sie die Mimikry abreagieren, die ja ihrer Zugehörigkeit zur Materie, zur Matrix entspricht, die also eine hysterische ist, nein, sie krümmen sich und winden sich, damit sie ihre endlich glatten Oberflächen dem Begehren des Vaters darbieten können. Um sich (an) ihn zu assimilieren, sich (in) ihn zu inkorporieren.
   Zeichen der Unsterblichkeit. Sie vergessen (sich), um sich zu erinnern, was vor ihrer Empfängnis war. Was natürlich niemals einfach sinnfällig ist (und nicht in den Bereich der Sinne gehört). Abwesenheit der »Re-präsentation«/Präsenz des Seins. Eine Blendung streicht die Linie durch, die vom Anfang bis zum Ende verlaufen würde. In dieser Verwirrung wird sie anfangen, zu sich selbst zurückzukehren: das Davor und das Danach werden sich dabei mit dem Zurückliegenden, dem Früheren vermischen, als ob niemals etwas anderes gewesen wäre als das Drängen, die Insistenz ihrer, jener Umdrehungen, und als ob der Umweg, das Aus-dem-Gleichgewicht-Geraten und die Ekstase aus dem Blickwinkel Gottes niemals geschehen wären, der das unwahrnehmbar in die Seele projizierte und introjizierte Zentrum ist, um das man nun kreisen muß. Aber die denkbaren Orte der Überschneidung dieser beiden Bahnen sind der Gegenstand einer totalen Blindheit. Man würde darüber noch nicht einmal eine Hypothese wagen können.

Auf diese Weise ist das »Angesicht« des Vaters dem Sohn niemals offenbar, der Glanz des Guten wird niemals vollständig dargestellt werden können. Es befindet sich auch an keinem Ort, zumindest nicht an einem vorstellbaren, auch nicht auf einer Ebene, die der Mann begreifen könnte. Er bleibt immer unterhalb des Entwurfs, den Gott von ihm hat, wenigstens in diesem Leben, dem niederen, das von »dem anderen« durch das undurchdringliche Paraphragma des Todes getrennt ist, das gewiß kein Sterblicher in dem Moment erblicken wird, in dem er es durchquert, in dem Augenblick, in dem er es überschreitet. Er bleibt weiterhin unwissend, wenn »der Eintritt in eine andere Existenz« nicht dem Begehren entspricht, sich die Rückseite der Vorstellung anzueignen, die sein »Inneres« ausmacht, die aber außerhalb der Reichweite seiner Voraussicht bleibt. Vorstoß in das, was das Geheimnis Gottes bleibt; der die Wiederholung der selben Geschichte sicherstellt. Einer Geschichte ohne Umstürze, ohne umwälzende Revolution, wodurch das, was von jeher war, als die Rückseite dessen erscheinen würde, was sein könnte, der als solcher verborgene Schatten dessen, was wäre, oder auch die Möglichkeit einer Perspektive auf die Dinge, eine mögliche Interpretation der Wirklichkeit, die endlich der Evidenz entzogen ist, die immer hinten ist und die jedem Vergleich widerstrebt. Dieser Gesichtspunkt, der den Blick des anderen, der anderen ausschließt, organisiert und projiziert (sich) die Welt als erstarrtes Imperium noch in ihrer Bewegung. Formalisierungen, die in unwandelbarer Weise verordnet werden, Logos des Vaters. Der niemals das Es vernimmt (das ihn begründet), und der eindeutig danach strebt, die Grundlage alles dessen zu sein, was ist, durch seine absolute Wissenschaft. Er umfaßt vom Ursprung an alle Aufzählungen von »Seienden«, ihre Proportionen und Beziehungen, alle Zahlenoperationen, die zwischen jenen und dem Werden dieser Relationen selbst stattfinden können, die »wesentlich« kopulative sind. Ihre Ursachen, Zwecke und ihre nachträglichen Wirkungen. Ihre Modalitäten?