Ted und Sara haben heute geheiratet. Ich war Trauzeuge — wahrscheinlich, weil ich so lange ihr Vermieter gewesen bin. (»Wenn wir noch im Mittelalter lebten, hättest du das >Recht der ersten Nacht<«, scherzte Sara.)
Aus den verschiedensten Gründen war es eine schlichte Hochzeit. Erst einmal, Sara ist evangelisch, Ted natürlich griechisch-orthodox. Nicht, daß die Familie Lambros irgendwelche religiösen Ansprüche gestellt hätte. Aber Daisy Harrison hielt es wohl für die beste Lösung, die Feier auf mehr oder weniger neutralem Boden stattfinden zu lassen, nämlich in der Appleton Chapel hinter der Memorial Church, unter der Ägide des ehrenwerten George Lyman Buttrick, des Universitätspredigers. Das löste eine Menge Probleme und verlieh dem Ganzen dennoch ein wenig gesellschaftlichen Glanz — so jedenfalls verstand ich Daisys Strategie.
Natürlich hatte sie immer davon geträumt, ihre einzige Tochter in der Christ Church in Greenwich zu verheiraten — diesem besonders eindrucksvollen Heiligtum, errichtet zur Ehre Gottes und mit finanzieller Unterstützung einiger örtlicher Anbeter des Mammons. Aber aus zwei Gründen war dieser festliche Aufwand nicht möglich gewesen. Zum einen wollte sie die Familie ihres Schwiegersohnes nicht ganz Greenwich vorführen müssen, zum zweiten hatte Sara erklärt, nur über ihre Leiche würde die Trauung dort stattfinden — und dann wäre diese Veranstaltung sicher weniger fröhlich gewesen. So entschloß man sich dann zu der Harvard-Kapelle mit ihrer unverwechselbaren Atmosphäre und Patina, mit dem vorzüglichen Gesang des Universitätschors und — das war das Wichtigste — mit einer kurzen Gästeliste, fast nur Studenten.
Der Nachwelt sei gesagt, ich habe den Ring nicht vergessen. Die vierundzwanzig Stunden, die er in meinem Besitz war, hütete ich ihn wie meinen Augapfel, da er ein Erbstück der Familie Lambros »noch aus der alten Heimat« ist.
Durch meine Funktion hatte ich die einzigartige Gelegenheit, das betroffene Paar wie auch die anwesende Gemeinde zu beobachten, und so konnte ich auch erkennen, wer vom Gefühl übermannt wurde. Es war nicht verwunderlich, daß Mrs. Lambros am meisten weinte. Und von Saras gesamter Familie hatte nur ein Mensch Schwierigkeiten, die Tränen zurückzuhalten, Phil Harrison selbst.
Es war kaum zu erwarten gewesen, daß Saras Mutter sentimental sein würde. Sie war es auch nicht. Eigentlich behandelte sie Teds Familie so, als seien sie nur arme Verwandte, die man hatte einladen müssen. Ich hörte sie zu Mrs. Lambros sagen: »Sie müssen wissen, daß Ihr Sohn in eine der ältesten Familien Amerikas einheiratet.«
Daphne übersetzte ihrer Mutter das und übermittelte Mrs. Harrison dann die Antwort: »Mama sagt, man sieht Ihnen Ihr Alter nicht an.« Irgendwas mußte da bei der Übersetzung unter den Tisch gefallen sein, jedenfalls bestimmt nicht die Liebe.
Für den Empfang hatte Daisy eine riesige Suite im Ritz gemietet. Der ökumenischen Situation wegen wählte sie Dom Perigon, als eine Art Ehrung des katholischen Erfinders von Champagner. Die Domsche Entdeckung perlte in allen Gläsern und wenig später auch in allen Köpfen.
Ich glaube, Mrs. Harrison war an diesem Nachmittag über einiges recht erstaunt.
Einmal muß sie erstaunt haben, daß die ganze FamilieLambros ganz offensichtlich festliche Kleidung trug (meist Brooks Brothers über Joe Keezers). Wie Sara anmerkte, hatte ihre Mutter erwartet, die Lambros würden in Babuschkas erscheinen — oder was immer griechische Bauern so tragen.
Zweitens: Bei weitem am schlechtesten benahmen sich ihre beiden ältesten Söhne. Denn Phippie und Ev dachten wohl leichtsinnigerweise, sie könnten sich mit den Großen des Eliot-Hauses in einer Sportart messen, in der wir wirklich Meister sind. Bis zum Rand voll und zweifellos dann später durch die Kopfschmerzen erfuhren sie, daß es weder in Frankreich noch in Boston genügend Champagner gab, einen so hohlräumigen Trinker wie Newall auf die Knie zu zwingen. Sogar Jason Gilbert, obwohl stets im Training, entwickelt die Qualitäten eines Schwammes, wenn es um Schampus geht.
Ich fand, daß meine Pflicht als Trauzeuge höher anzusetzen war als die seltene Gelegenheit, unbeschränkt zu schlucken. Weshalb ich einigermaßen nüchtern blieb, um meine Aufgaben bis zum bitteren Ende wahrnehmen zu können.
Das verschaffte mir die Gelegenheit, mich mit dem alten Harrison zu unterhalten, der, welch glücklicher Zufall, zusammen mit unserem Abschluß in diesem Jahr sein 25jähriges Jubiläumstreffen feierte. Er sagte, die ganze Sache hätte ihn doch sehr bewegt.
Ich selbst kann es mir offengestanden nicht einmal vorstellen, wo ich in fünfundzwanzig Jahren sein werde. Immer noch weiß ich von einem Tag zum anderen nicht, was ich mit meinem Leben anfangen soll.
Keiner wußte, wo Ted und Sara die Flitterwochen verbringen würden. Außer mir natürlich. Denn obwohl sie sich dagegen wehrten, hatte ich darauf bestanden, daß die Neuvermählten sich des Sommerhauses unserer Familie in Maine bedienten. Die Vorstellung, das Haus würde endlich mal für eine so lohnende Sache benutzt werden, bereitete mir Vergnügen. Es wäre falsch anzunehmen, ich wäre bei Lambros nur immer der Gebende. Als Saras Kusine Kit aus Chicago den Brautstrauß auffing, rief Sara mir zu. ich solle mich um sie
kümmern. Ich begriff und unterhielt sie fröhlich in den nächsten Tagen. Und Nächten.
Machmal haben Hochzeiten eine solche Wirkung.
Danny Rossi hätte sich nie vorstellen können, daß die Asthmaanfälle seiner Kindheit ihm in seiner musikalischen Karriere einmal nützlich sein würden. Denn während die meisten seiner Mitstudenten marschierend und salutierend ihren militärischen Verpflichtungen nachkamen, war er untauglich geschrieben worden. Er war also frei, durch die Welt zu ziehen und sich als Star Salut schießen zu lassen.
Auf den ersten Blick mochte es scheinen, als habe Hurok seine Neuentdeckung wahllos an jedes erreichbare Orchester vermittelt. Aber der erfahrene alte Konzertagent verfolgte eine wohlüberlegte Strategie. Er wollte Danny anspruchsvollen Dirigenten und einem verwöhnten Publikum aussetzen und ihn so an harte, kritische Situationen gewöhnen. Kurz: seine Technik sollte perfektioniert und seine Psyche widerstandsfähiger werden.
Wovon der alte Herr nichts wissen konnte, war Dannys virtuoser Umgang mit der Presse. Seine Kritiken waren einhellig positiv.
Mit Brahms und mit Beecham und dem Royal Philharmonie Orchestra eroberte er London, dann flog er nach Amsterdam, wo er mit Haitink und dem Concertgebouw Mozart spielte. Dann kam Paris mit einem Klavierabend im Salle Pleyel: Bach, Chopin, Couperin und Debussy. Nach Meinung des >Figaro< war Rossi »un nouveau Liszt en miniature — ein neuer Liszt im Kleinformat« (noch), und >Le Monde< fällte ein ähnliches Urteil, aber in ein anderes Bild gekleidet: »pas seulement un geant pour son age mais un geant de son age — nicht nur ein Riese für sein Alter, sondern seines (Zeit-)Alters.«
Am Abend nach Dannys letztem Konzert in Berlin arrangierte Karajan ein Mitternachtsessen mit dem Generaldirektor der Deutschen Grammophon. Am nächsten Morgen hatte Danny einen Vertrag über fünf Platten.
Der junge Pianist saß stolz in Hurkos photoübersätem Büro und sah zu, wie der Agent die Kritiken durchging: »Was sagen Sie jetzt?«
Der alte Herr hob den Blick und lächelte: »Was ich jetzt sage? Mein Junge, Sie haben es gerade bis New Haven geschafft.«
»Wie bitte?«
»Kennen Sie den Spruch der Theaterleute nicht? Wenn ein Produzent ein Stück in New York aufführen will, dann pro-biert er es immer erst in einem kleinen Ort wie New Haven aus.« »Wollen Sie damit sagen, daß London, Amsterdam und
Paris auch solche Probeorte sind?« »In der Tat«, sagte Hurok, ohne mit der Wimper zu zucken. »Für New York ist jede andere Stadt nur New Haven. Erst wenn man es hier geschafft hat, hat man es wirklich geschafft.« »Und wann glauben Sie, kommt für mich endlich der große Moment?« »Das kann ich Ihnen gerne ganz genau sagen«, sagte der Konzertagent und griff nach einem Papier auf seinem antiken Schreibtisch. »Am 16. Februar 1961, mit Bernstein und den New Yorker Philharmonikern. Er schlägt vor, Sie spielen ein
Beethoven-Konzert.«
»Aber das ist ja erst in einem Jahr. Was mache ich bis dahin? An den Fingernägeln kauen?« »Danny«, sagte der Impresario väterlich, »bin ich ein Agent oder ein Kindermädchen? Sie werden weiter in New Haven spielen.«
Die Pressekampagne vor dem Konzert war so erfolgreich gewesen, daß das Publikum in der Carnegie Hall am Abend von Dannys New Yorker Debüt mehr darauf vorbereitet war, ihn anzubeten als ihn zu beurteilen.
Während des langen Applauses am Ende des Konzertes zog Bernstein Danny auf das Podium und hielt seinen Arm hoch, als wäre er ein siegreicher Boxer. Danny war tatsächlich neuer Weltmeister. Er hatte da gesiegt, wo es am meisten zählte.
Der Empfang fand in dem üppigen Penthouse eines der Förderer der New Yorker Philharmoniker statt. Obwohl Danny unbestritten jetzt ein großer Star war, hätte er nie gewagt, so weit zu gehen, sich hier für den Bedeutendsten zu halten. Da gab es berühmte Schauspieler, die er noch vor ein paar Jahren nur scheu um ein Autogramm gebeten hätte. Da waren weltbekannte Musiker und hohe Persönlichkeiten aus der Politik. Die Mädchen, die auf den Titelseiten erschienen, waren so zahlreich wie die Kellnerinnen, die den Kaviar servierten. Und dennoch — es war unglaublich — umlagerten sie alle ihn und wollten ihn kennenlernen.
Wie erwartet, bat man ihn zu spielen. Ein Steinway wurde in die Mitte des Raumes geschoben. Danny hatte schon vorher gewußt, daß er in dieser späten Stunde und nach einem derart anstrengenden Konzert klassischer Musik nicht mehr gut genug sein würde. Deshalb hatte er sich einen Spaß ausgedacht. Bevor er sich an den Flügel setzte, hielt er eine kurze Rede. »Meine Damen und Herren«, begann er, »mein Dank für Sie könnte ewig andauern. Darum vergeben Sie mir, wenn ich hier nur zwei Menschen nenne: zuerst Mr.
Hurok, dem ich für sein Vertrauen und für seine unermüdliche Unterstützung zu danken habe ...«
»Verzeihen Sie, mein Lieber«, scherzte der Impresario, »Sie haben mich doch unterstützt.« »Und wenn Lenny erlaubt, so möchte ich meinen Dank an ihn mit Musik Ausdruck geben.«
Danny begann mit einer lautstarken Wiederholung des ersten Klaviereinsatzes aus dem Konzert dieses Abends. Dann wechselte er schnell zu einem Jazz-Potpourri aus Bernsteins >Westside Story<. Die Zuhörer waren verzaubert und wollten, daß er weiterspielte.
»Was jetzt?« fragte Danny geschickt, »ich weiß nicht mehr, was ich spielen soll.« Bernstein lächelte und schlug vor: »Warum tun Sie nicht mit anderen das, was Sie gerade mir angetan haben?« Danny nickte und spielte fast eine halbe Stunde lang Melodien aus >My Fair Lady< und die alten Klassiker von Cole Porter, Rodgers und Hart, und von Irving Berlin. Dann bat er, man möge ihm seine Müdigkeit nachsehen.
Später an diesem Abend wedelte ein adretter Industriellentyp mit einer Visitenkarte vor seiner Nase herum und murmelte etwas von einer Schallplatte mit Improvisationen, so ähnlich wie heute abend. Als dieser Mann verschwunden war, kam eine außerordentlich elegante Dame mit brünettem Haar auf Danny zu und sagte in süßem Ton: »Mr. Rossi, ich habe Ihr Konzert heute abend sehr genossen. Ich hoffe, Jack und ich können Sie bezirzen, bald einmal vor einem ausgesuchten Publikum im Weißen Haus zu spielen.« Kampfesmüde und ein wenig überdreht hatte Danny nur höflich genickt und gesagt: »Das ist sehr freundlich von Ihnen. Vielen Dank.« Erst als sie sich elegant umwandte und fortging, begriff er, daß er gerade mit der Frau des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gesprochen hatte.