32. Andrew Eliots Tagebuch 17. November 1982

Ein Jubiläumstreffen zu organisieren und Spenden einzutreiben, hat den Vorteil, daß ich an eine Menge interessanter Orte komme, zu denen ich normalerweise sonst nie Zugang hätte. Zum Beispiel das Weiße Haus.
Natürlich wollte das Komitee für die Organisation unseres 25jährigen Jubiläums neben anderen Veranstaltungen George Keller dafür gewinnen, in der Festwoche einen Vortrag zu halten. Da ich sein ältester Freund aus Harvard bin, wurde es mir übertragen, ihn zu rekrutieren.
Die erste Überraschung war, daß ich, als ich im State Department anrief, gleich zu ihm durchgestellt wurde. Die zweite war, daß er mich nach Washington zum Mittagessen einlud. Die dritte Überraschung war, daß wir nicht in irgendeinem schicken Bistro in Washington speisten, sondern in der Kantine des Weißen Hauses, von wo aus er mit mir einen kurzen Rundgang durch die Besidenz des Präsidenten machen konnte.
Es war faszinierend. Ich sah sogar den berühmten Situation Room<, was deshalb so aufregend war, weil er so enttäuschte. Er bestand nur aus einem fensterlosen Geviert mit einem Tisch und ein paar Stühlen. Man stelle sich vor, daß viele der gewichtigsten Entscheidungen der jüngsten Geschichte in dieser glorifizierten Telefonzelle getroffen worden sind!
Und ausgerechnet dort forderte George mich zum Sitzen auf und fragte, was mich denn nach Washington geführt habe.
Ich fragte ihn, wie er über Harvard denke. Er antwortete mit der Gegenfrage, wie man denn dort über ihn denke. Und, um noch genauer zu sein, ob der Lehrkörper dort ihn immer noch für einen der Mithenker Kissingers halte?
Ich erwiderte so diplomatisch wie möglich, man habe Henry und ihn während des Vietnamkrieges zwar ganz schön angegriffen, aber das sei jetzt fast zehn Jahre her. Außerdem wollten wir unbedingt, daß er zu unserem Jahrgang spräche. Er wisse schon, er solle einmal davon erzählen, wie es eigentlich ist, mit Breschnew und solchen Leuten die Klingen zu kreuzen. »Für uns bist du der Größte«, sagte ich zu ihm, »daran gibt es nichts zu rütteln.«
Er lächelte.
Dann fragte ich ihn, ob er denn überhaupt geplant habe, zum Jubiläumstreffen zu kommen. Er gestand, er habe gezögert, weil er fürchtete, kaum jemanden zu kennen. Ich hielt dem entgegen, ihn würden mittlerweile aber alle kennen. Außerdem hätten sich die meisten von denen, die ich wiedergesehen hätte, äußerlich derartig verändert, daß es für manche bestimmt äußerst schwer sein werde, selbst die eigenen Mitbewohner aus ihrer Zeit in Harvard wiederzuerkennen. Newall zum Beispiel sei kahl geworden und habe zwanzig Pfund zugelegt.
Ich erzählte ihm nicht, daß Dickie ein bißchen Probleme mit dem Alkohol hat (er ertränkt gewissermaßen seinen Kummer, nicht mehr jung zu sein). Jedenfalls hörte ich nicht auf, ihn auftragsmäßig zu drängen, er solle doch sprechen.
Und nach ein paar weiteren Schmeicheleien sagte er schließlich lächelnd zu.
Er machte mir sogar ein Kompliment, wie gut ich verhandle, und sagte, ich könne jederzeit bei ihm einen Job haben.
Später brachte er mich dann zum Tor des Weißen Hauses, von wo aus ich mit einem Taxi, das dort bereits wartete, zum Flughaien fuhr. Auf dem Flug zurück nach Boston grinste ich über das ganze Gesicht. Ich, Andrew Eliot, hatte bei einem der größten Diplomaten der Welt diplomatischen Erfolg gehabt.

Als er in sein Büro zurückkam, fand George Keller dort unerwarteten Besuch vor - seine Frau. Sie saß auf der Couch und hielt Druckfahnen in den Händen.
»Was für eine angenehme Überraschung.« Sie wartete mit ihrer Antwort, bis er die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Du beschissener, widerlicher Verräter.« »Was ist denn los?« fragte er ruhig. »Warum zum Teufel hast du dich mit dieser Dreckschleuder Tom Leighton zusammengetan?« »Catherine, ich weiß wirklich nicht, was du willst. Der Mann ist ein bedeutender Journalist der >New York Times<, und ich habe mit ihm zu Mittag gegessen - einmal.« »Hör mit dem Quatsch auf, Keller. Ein Freund von mir, der bei >Newsweek< arbeitet, hat mir gerade diese Auszüge geschickt, die sie vorab drucken. Der Kerl ist wirklich bösartig. Und für mich ist es klar, daß >die Quelle aus der nächsten Umgebung Kissingers<, die er zitiert, nur du sein kannst.« »Cathy, ich schwöre dir...« »George, ich habe genug von deinen Lügen. Du weißt, ich habe Henry nie besonders gemocht, aber zu dir war er wie ein Vater. Und dieses Buch ist eine reine Verunglimpfung. Hast du eigentlich überhaupt keinen Anstand?« »Catherine, du ziehst deine Schlüsse, die auf keinerlei Tatsachen basieren, etwas zu schnell. Können wir darüber zu Hause weiterreden?« »Nein, George, weil ich nämlich nicht mehr da sein werde. Ich verlasse dich.«
»Nur weil du meinst, ich hätte mit einem ehrgeizigen Reporter gesprochen?« »Nein, George. Aber die Sache beweist mir, wie dumm ich war, jemals zu glauben, ich könnte dich ändern. Du bist ein egoistischer Scheißkerl, der nicht lieben kann und sogar zu mißtrauisch ist, Liebe anzunehmen. Reicht dir das jetzt als Begründung?« »Bitte, Cathv, würdest du mir Gelegenheit geben, dir meine Sicht der Dinge zu erläutern?« »Unter einer Bedingung.« »Und die wäre?« »Du hast eine Stunde, deine Sache vorzutragen. Wenn du mich nicht überzeugst, wirst du in Mexiko die Scheidung unterschreiben.« »Soli das heißen, du warst schon bei einem Anwalt?« »Nein, mein Süßer«, antwortete sie. »Du bist so sehr mit dir selbst beschäftigt, daß du etwas vergessen hast: Ich bin selbst Anwalt.«