7.2 Andrew Eliots Tagebuch 17. Oktober 1954

Tch habe mich nie für einen guten Studenten gehalten, und es hat mir nichts ausgemacht, nur Dreier für die schriftlichen Examensarbeiten zu bekommen. Aber für einen ziemlich guten Fußballspieler habe ich mich doch gehalten.
Und diese Illusion ist mir gerade genommen worden.
Dieses verdammte Erstsemesterteam ist so voll mit allen möglichen internationalen Kanonen, daß ich kaum eine Gelegenheit bekam, den Fuß dazwischen zu kriegen.
Aber einen Trost gibt es bei dieser wahrhaft demütigenden Harvard-Lektion. Während ich hier auf der Bank sitze und darauf warte, daß mir (wenn wir klar genug führen) die letzten drei oder vier Minuten des Spiels erspart bleiben, kann ich mich mit dem Gedanken trösten, daß der vor mir auf der Liste stehende Kerl kein gewöhnlicher Fußballspieler ist. Vielleicht kommen seine Eckstöße deshalb so hoch herein, weil er von Gott, dem Allmächtigen, abstammt. Daß ich nur zweiter Ersatzmann bin. liegt an niemand geringerem als Karim Aga Khan, der - nach Professor Finley - »ein Ur-, Ur-, Ur-, und bis ins Unendliche, Enkel Gottes« ist.
Und er ist nicht der einzige Würdenträger, der mich praktisch zum Zuschauer degradiert. Auch unser Mittelstürmer ist so eine Gottheit - ein echter persischer Prinz. Dazu haben wir Stars aus so exotischen Gegenden wie Südamerika, den Philippinen - und sogar von öffentlichen High Schools. Sie alle haben zu meiner >Seßhaftigkeit< beigetragen.
Aber wenigstens sind wir ungeschlagen. Das kann einen schon trösten. Und falls ich nochmals sieben Minuten spielen darf, habe ich einen festen Platz in der Mannschaft.
Als ob die Blume meines Selbstbewußtseins nicht schon genügend welk geworden ist in der Hitze dieser ganzen hochtalentierten Spieler auf dem Platz — mit knirschenden Zähnen muß ich außerdem von Bruce Macdonald berichten, bester Spieler und wahrscheinlich das größte Genie unseres gesamten Jahrgangs. Er war Bester in Exeter, war dort Mannschaftskapitän und gleichzeitig Torschützenkönig —und dasselbe in Lacrosse. Und um sich abends nicht zu langweilen, spielt er so fantastisch Geige, daß er — als Erstsemester! — Konzertmeister des Harvard-Radcliffe-Orchesters geworden ist.
Gott sei Dank bin ich schon mit einem gut entwickelten Minderwertigkeitsgefühl hier angekommen. Wäre ich anfangs so großspurig gewesen, wie es die meisten hier beim Warmspielen am ersten Tag waren, hätte ich mich schon längst im Charles River ersäuft.

Der Rabbi stand auf dem Podium und gab bekannt: »Nach dem Schlußlied ist die Gemeinde herzlich in die Sakristei eingeladen, zu Wein, Früchten und Honigkuchen. Wir schlagen die Seite 102 auf und singen die Hymne: >JiruEnejnu<.« Auf der Orgelempore griff Danny Rossi zum Entzücken der Gläubigen mit Elan in die Tasten:

Gelobt seist Du, Ewiger, König,
In Deiner Herrlichkeit wirst Du
Beständig über uns regieren.
Immer und ewig und über alle
Deine Werke.

Nach dem Segen des Rabbis gingen die Gläubigen langsam hinaus, während Danny den Schlußchoral spielte. Kaum war er fertig, griff er sich seine Jacke und eilte hinunter. Unauffällig betrat er die Sakristei und näherte sich den üppig beladenen Tischen. Als er einen Pappteller mit Kuchenstücken füllte, hörte er die Stimme des Rabbi: »Wie schön, daß du noch bleibst, Danny. Länger als du müßtest. Ich weiß, wie schrecklich viel du zu tun hast.«
»Ich mache das hier wirklich gern, Rabbi«, antwortete er. »Ich meine, es interessiert mich sehr.«
Danny meinte das schon ernst, obwohl er verschwieg, daß er an den jüdischen Festen besonders das Essen schätzte, von dem es immer reichlich gab, weil er dann, in der Regel, das Mittagessen auslassen konnte.
Dieser Samstag war für ihn besonders hektisch, weil die Jugendgruppe der Kongregationskirche in Quincy, wo er auch zu spielen hatte, ihre Herbstparty veranstaltete. Und er hatte den Pfarrer überredet, »sein« Trio zu engagieren. Erst dann hatte er die Gewerkschaft angerufen und einen jungen Schlagzeuger und einen Bassisten angefordert. Es würde zwar anstrengend werden, aber die fünfzig Dollar Honorar waren schon ein großer Trost.
Es hatte keinen Sinn, für die Zeit zwischen seinem kirchlichen und seinem mehr weltlichen Engagement zurück nach Cambridge zu fahren, schon deshalb nicht, weil Harvard von der samstäglichen Footballmanie befallen und es sowieso zum Arbeiten zu laut war. Deshalb nahm Danny die Bahn nach Boston und verbrachte den Nachmittag mit Lesen in der Städtischen Bibliothek.
Am anderen Ende des Tisches saß eine füllige Brünette mit einigen Kollegheften, auf denen überdeutlich Boston University stand. Das gab dem furchtsamen Casanova das Stichwort sie anzusprechen.
»Gehen Sie auf die Boston University?«
»Hmm.«
»Ich bin in Harvard.«
»Das denk' ich mir«, sagte sie abweisend.
Mit einem Seufzer über die schon erwartete Niederlage vertiefte sich Danny wieder in Hindemiths Kompositionslehre. Als er aus der Bibliothek kam, hatte sich kühle Dunkelheit über die Stadt gesenkt. Er ging langsam über die Bostoner Ausgabe der venezianischen Piazza San Marco und dachte über ein lebenswichtiges theologisches Problem nach: Würde es auf der Herbstparty etwas zu essen geben? Man sollte den Glauben nicht überfordern, sagte er sich, besser ist besser. Und er kaufte sich ein Thunfisch-Sandwich, bevor er die Reise ins südliche Quincy antrat.
Das beste an dem Fest war, daß der Schlagzeuger und der Bassist junge College-Studenten wie er waren. Das schlimmste war, daß er den ganzen Abend am Klavier verbringen und versuchen mußte, nicht ständig mit den gut entwickelten High-School-Schönheiten zu liebäugeln, die in ihren engen Pullovern zu dem Beat, den seine hungrigen Finger auf der Tastatur anstimmten, herumwirbelten.
Als endlich die letzten Paare die Tanzfläche geräumt hatten, sah Danny erschöpft auf die Uhr. Mein Gott, schon halb zwölf und noch mindestens eine Stunde Fahrt zurück nach Harvard. Und morgen früh muß ich schon wieder vor neun Uhr hier sein. Einen Augenblick lang erwog er, oben auf einer gepolsterten Kirchenbank zu schlafen. Aber nein, besser den Job nicht aufs Spiel setzen. Zurück ins College.

Als er zurück nach Harvard kam, waren fast alle Fenster dunkel. Er ging zum Holworthy-Haus und war verblüfft, Kingman Wu auf den Stufen des Eingangs sitzen zu sehen.
»Hallo, Danny.« »Was zum Teufel machst du denn hier draußen, King? Es ist doch eiskalt.«
»Bernie hat mich rausgeschmissen. Er macht Fechttraining und behauptet, er müsse allein sein, um sich konzentrieren zu können.«
»Mitten in der Nacht? Der Kerl ist ja wahnsinnig.«
»Ich weiß«, sagte King unglücklich. »Aber er hat einen Säbel, und was soll ich da schon machen?«
Vielleicht hatte seine tiefe Erschöpfung alle Angst vertrieben, denn Danny fühlte sich eigenartigerweise stark genug, diese Notlage zu meistern.
»Los, komm, King, vielleicht können wir ihn zu zweit zur Vernunft bringen.«
Beim Hinaufgehen murmelte Wu: »Du bist prima, Danny, aber wenn du doch nur einsachtzig groß wärest.«
»Das wäre ich auch gerne.«
Glücklicherweise war der verrückte Musketier schlafen gegangen. Und der erschöpfte Danny tat sogleich dasselbe.

»Mensch, da gibt es einen unglaublich guten Judenbengel, der ins Squashteam will.« Dickie Newall berichtete seinen Mitbewohnern detailliert von den Testspielen in dem Sport, in dem er schon zur Spitze gehört hatte, als er noch kaum den Schläger hatte halten können.
»Wird er dir die Nummer eins abjagen?« fragte Wig. »Sei nicht komisch«, stöhnte Newall. »Der erledigt die halbe Universität. Seine Dropshots sind einfach Klasse. Und was mich wirklich ärgert, der Kerl ist einfach gut, nicht nur als Jude, sondern als Mensch überhaupt.«
Da hakte Andrew ein: »Wieso sind denn Juden für dich keine normalen Menschen?«
»Mensch, Eliot, du weißt doch genau, was ich meine. Meistens sind das so dunkelhaarige, superkluge, aggressive Kerle. Aber der da trägt nicht mal 'ne Brille.«
»Mein Vater hat die Juden immer besonders bewundert. Er geht zum Beispiel nur zu jüdischen Ärzten, wenn er was hat.«
»Aber mit wieviel Juden verkehrt er denn sonst?« gab Newall zurück.
»Das ist etwas anderes. Aber, daß er sie absichtlich meidet, glaube ich nicht. Wir leben einfach unter anderen Leuten.«
»Du hältst es also für puren Zufall, daß keiner dieser fabelhaften Ärzte in einem der vielen Clubs deines Vaters ist?«
»Na schön«, räumte Andrew ein, »aber ich habe nie gehört, daß er sich irgendwie abfällig über Juden geäußert hätte. Übrigens auch nicht über Katholiken.«
»Aber mit denen verkehrt er auch nicht, oder?«
»Hör mal, ich habe nicht behauptet, daß mein Vater ein Heiliger ist. Aber zumindest hat er mir beigebracht, nicht derartig abfällig zu reden, wie das Newall so gerne tut antwortete Andy.
»Aber meine blumigen Sprüche kennst du doch nun wlrklich lange genug.« »So ist es«, stimmte Wig zu. »Warum bist du eigentlich plötzlich so ein Moralprediger?« »Jetzt hört mal Freundchen«, antwortete Andrew, «in der Schule gab es weder Juden noch Neger. Da war es auch egal, wenn sich jemand abfällig über zweitklassige Menschen äußerte. Aber hier in Harvard sind alle möglichen Typen und ich finde, wir müssen lernen, mit ihnen zu leben.«          
Seine Mitbewohner sahen sich fragend an.
Dann schimpfte Nerwall: »Mensch, hör gefälligst mit dem Predigen auf. Wenn ich gesagt hätte, der Kerl ist klein oder fett dann wär dir das egal gewesen. Wenn ich jemanden Hebräer oder Bananenfresser nenne, ist das eine freundliche Charakterisierung, einfach so 'ne Art Kürzel. Und damit du's weißt, ich habe diesen Jason Gilbert zu unserem Besäufnis nach dem Footballspiel am Samstag eingeladen «
Dann sah er Andrew hinterhältig an und fügte hinzu: »Nur für den Fall daß es dir wirklich nichts ausmacht, mit einem Judenbengel zu verkehren.«

Die Luft war um sechs Uhr nachmittags eisig und so dunkel wie sonst nur an Winterabenden, obwohl es erst Anfang November war. Als Jason sich nach dem Squash-Training anzog, bemerkte er zu seinem Ärger, daß er vergessen hatte, einen Schlips mitzunehmen. Also mußte er noch einmal zum Straus-Haus zurück. Sonst würde ihn der irische Boxertyp, der am Eingang der Union die Hälse auf Schlipse überprüfte, hämisch abweisen. Verdammt noch mal! Er trottete widerwillig über den kalten, gekehrten Yard lief die Treppe zu A-32 hinauf und suchte nach seinem Schlüssel. Als er die Tür aufstieß, merkte er, daß etwas nicht in Ordnung war. Es war finster. Auch aus D. D 's Zimmer kam kein Licht. Vielleicht war er krank. Er klopfte vorsichtig und fragte: »Davidson, ist alles okay?« Keine Antwort.
Dann brach Jason eine eiserne Hausregel: er machte die Tür auf. Zuerst sah er, daß die elektrischen Leitungen an der Decke herausgerissen waren. Dann entdeckte er auf dem   Boden   seinen   zusammengesunkenen   Mitbewohner bewegungslos - mit einem Gürtel um den Hals.
Jason wurde es schwindelig vor Angst. Mein Gott der Idiot hat sich umgebracht. Er kniete sich hin und drehte D. D. um. Dabei vernahm er etwas, das ganz entfernt einem Stöhnen glich. Schnell, die Polizei rufen, dachte er nur nicht durchdrehen. Nein. Die kommt nicht schnell genug. Er machte schnell den Gürtel von D.D.'s Hals los, hob ihn wie ein Feuerwehrmann auf die Schultern und
schleppte ihn, so schnell er konnte, zum Harvard Square wo er ein Taxi rief und dem Fahrer befahl, möglichst schnell zum Krankenhaus zu fahren.
»Der wird schon wieder«, sagte der diensthabende Arzt zu Jason. »Ich glaube nicht, daß die elektrischen Leitungen in Harvard für einen Selbstmord fest genug montiert sind. Obwohl es ein paar auf ihre spezielle Art und Weise schon geschafft haben. Was glauben Sie, warum hat er es gemacht?« »Ich weiß es nicht«, sagte Jason, vom Schock immer noch wie gelähmt.
»Der junge Mann hat etwas zu viel Kraft in seine Noten investiert«, erklärte Dennis Linden. Er war rechtzeitig aufgetaucht, um eine professionelle Analyse der Verzweiflungstat zu liefern.
»Gab es in seinem Verhalten irgendwelche Hinweise, daß so etwas passieren könnte?« fragte der Arzt. Jason blickte Linden an, der weiterdozierte. »Nein, nicht eigentlich. Man weiß nie genau, welches Ei einen Sprung hat und platzt. Ich meine, im ersten Studienjahr
stehen alle ziemlich unter Druck.«
Während die beiden Ärzte sich weiter unterhielten, hielt Jason betreten seinen Blick gesenkt. Zehn Minuten später verließen Jason und der Proktor das Krankenhaus. Erst da merkte er, daß er keinen Mantel anhatte, keine Handschuhe, nichts. Der Schrecken hatte ihn die Kälte nicht spüren lassen. Jetzt zitterte er. »Willst du mitfahren?« fragte Linden. »Nein, danke«, sagte er mürrisch. »Komm, steig ein, Gilbert. Du holst dir ja den Tod, wenn du in diesem Aufzug zurückläufst.« »Na schön«, gab er nach.
Auf der kurzen Fahrt die Mount Auburn Street entlang versuchte der Proktor sich zu rechtfertigen. »Eben darum geht es doch in Harvard«, erklärte er. »Entweder schaffst du es, schwimmst oben, oder du säufst ab.«
»Ganz richtig«, murmelte Jason halblaut, »aber du solltest die Wasserwacht sein.«
Beim nächsten Rotlicht stieg er aus und warf die Tür zu. Jetzt ließ ihn die Wut die Kälte nicht mehr spüren. Er ging weiter in Richtung Square. In >Elsie's Restaurant< aß er zwei Roastbeefsandwiches anstelle des ausgefallenen Abendessens, dann ging er zu >Cronin's< und schlenderte an den holzverkleideten Nischen des Lokals vorbei, auf der Suche nach einem freundlichen Gesicht, zu dem er sich setzen und mit dem er sich betrinken konnte.

Jason erwachte am nächsten Morgen unsanft von einem Klopfen an der Tür, das seine Kopfschmerzen noch verstärkte. Erst als er verkatert zur Tür sah, merkte er, daß er noch die Sachen vom Abend vorher trug. Das paßte ganz gut zum zerknitterten Zustand seiner Seele.
Er öffnete die Tür. Eine pummelige mittelalte Frau mit einem grünen lappigen Hut hatte sich davor aufgebaut. »Was haben Sie ihm angetan?« fragte sie. »Sie sind sicher Davids Mutter«, sagte Jason ruhig. »Sie sind wirklich ein Genie«, murmelte sie. »Oh, bitte, kommen Sie herein«, sagte Jason. »Es ist eiskalt da draußen auf der Treppe, falls Sie es interessiert«, bemerkte sie beim Eintreten und untersuchte mit Habichtsaugen jede Ecke. »Pfui Teufel, das ist ja der reinste Schweinestall. Wer macht denn hier sauber?« »Ein Student kommt einmal die Woche zum Staubsaugen und putzt das Klo«, sagte Jason.
»Kein Wunder, daß mein armer Junge krank ist. Wem gehören denn die ganzen schmutzigen Sachen da? Das sind die reinsten Bazillenträger, wissen Sie?« »Die gehören David«, sagte Jason leise. »Und warum haben Sie die Sachen meines Jungen hier herumgeschmissen? Als Sohn reicher Eltern findet man das wohl komisch.«
»Mrs. Davidson«, sagte Jason geduldig, »er hat sie selbst dahingeworfen«, und er fügte schnell hinzu: »Wollen Sie sich nicht setzen, Sie sind sicher sehr müde.« »Müde? Ich bin total erschöpft. Sie haben ja keine Ahnung, wie das ist mit dem Nachtzug, und in meinem Alter. Ist egal. Ich bleibe stehen, und Sie erklären mir, warum Sie nicht daran schuld sind.« Jason seufzte. »Mrs. Davidson, was hat man Ihnen denn im Krankenhaus gesagt?« »Man hat mir gesagt, er sei sehr krank und müsse in irgendeine andere gräßliche - Klinik.« Sie schwieg, und dann stöhnte sie: » - in die psychiatrische Klinik.« »Das tut mir wirklich leid«, antwortete Jason freundlich,
»aber der Druck kann hier ungeheuer stark werden - mit den Noten, meine ich.«
»Mein David hat immer gute Noten gehabt. Er hat Tag und Nacht gelernt. Und jetzt auf einmal, er verläßt mein Haus, kommt hierher und fällt in sich zusammen wie ein Kuchen ohne Hefe. Warum haben Sie ihn durcheinandergebracht?«
»Bitte glauben Sie mir, Mrs. Davidson«, bestand Jason, »ich habe nichts dergleichen getan. Er ist daran...« Jason nahm allen Mut zusammen, den Satz zu beenden, »irgendwie selbst schuld.«
Mrs. Davidson begriff nur langsam, was er da behauptet hatte. »Wie denn?« fragte sie. »Es ist mir ein Rätsel, warum das so war, aber er hat sich einfach eingebildet, er müßte der Beste von allen sein, der Beste des ganzen Jahrgangs, meine ich.«
»Und was soll daran falsch sein? Ich habe ihn dazu erzogen.«
Jason hatte plötzlich nachträglich großes Mitleid mit seinem vormaligen Mitbewohner. Offensichtlich trieb ihn seine Mutter wie ein Rennpferd in einer unendlich langen letzten Runde an. Um daran kaputtzugehen, brauchte man wirklich kein Rumpelstilzchen zu sein.
Plötzlich ließ sie sich auf die Couch sinken und begann zu schluchzen. »Was habe ich nur getan? Mein Leben habe ich ihm geopfert. Es ist so ungerecht.«
Jason berührte vorsichtig ihre Schulter. »Mrs. Davidson, wenn David in eine Klinik verlegt wird, braucht er seine Sachen. Ich kann Ihnen mit Packen helfen.« Sie starrte ihn hilflos an. »Ich danke Ihnen, junger Mann. Entschuldigen Sie, daß ich so gebrüllt habe, aber ich bin ein bißchen durcheinander und habe diese Nachtfahrt hinter mir.«
Sie machte die Handtasche auf, nahm ein schon feuchtes Taschentuch heraus und wischte sich die Augen.
»Wissen Sie was«, sagte Jason leise, »Sie ruhen sich jetzt erst einmal aus, ich mache Kaffee, dann packe ich die Sachen zusammen, hole meinen Wagen und fahre Sie zur... na ja, wo immer David auch ist.«
»Es ist die Massachusetts Nervenklinik in Waltham«, antwortete sie und schluckte bei fast jedem Wort.
Jason griff sich in Davids Zimmer einen Koffer und warf alle Sachen hinein, die ihm nützlich schienen. Jacken und Schlipse braucht man in der Klinik wohl nicht. »Und seine Bücher?« rief Davids Mutter. »Ich glaube nicht, daß er seine Sludiensachen jetzt schon braucht, ich leg' sie zusammen und bring' ihm später, was er davon haben möchte.« »Sie sind sehr freundlich«, sagte sie wieder und putzte sich die Nase.
Ein Koffer war voll, und Jason sah sich im Zimmer um, ob er irgend etwas Wichtiges vergessen hatte. Dabei entdeckte er, daß da etwas auf dem Tisch lag, und noch bevor er es ansah, ahnte er schon, was es war. Es war das Heft mit den schriftlichen Prüfungsfragen von D.D.'s Kurs >Chemie 20<.
Der   frühere   Alptraum   seines   Mitbewohners   hatte   sich bewahrheitet. Er hatte nur eine Zwei minus dafür bekommen. So unauffällig wie möglich faltete er das Heft zusammen und steckte es in die Rücktasche der Hose.
»Warten Sie bitte hier, Mrs. Davidson. Mein Auto steht ein paar Ecken weg, ich hole es schnell.« »Sie versäumen bestimmt Ihre Vorlesungen meinetwegen«, sagte sie demütig. »Das macht nichts«, antwortete er. »Ich bin froh, daß ich für David etwas tun kann. Er ist schon ein netter Kerl.« Mrs. Davidson sah Jason in die Augen und murmelte: »Ihre Eltern können sehr stolz auf Sie sein.« »Danke«, flüsterte Jason und hatte tiefes Mitleid.

Andrew Eliots Tagebuch
3. November 1954

Einer der großen Vorzüge, nicht mehr zu Hause und nicht mehr im Internat zu sein, ist es, daß man die ganze Nacht aufbleiben kann. Dann und wann gibt es dafür einen wirklich wichtigen Grund, zum Beispiel, wenn ein Paper fertiggemacht werden muß, das am nächsten Tag fällig ist.
Mike Wigglesworth hat dafür eine ganz eigene Technik entwickelt. Um sieben Uhr abends setzt er sich an die Schreibmaschine mit ein paar Notizen und etwa sechs Büchsen Bier. Bis Mitternacht hackt er den ersten Entwurf herunter, und in den frühen Morgenstunden rührt er dann noch die entsprechende Menge Bullshit dazu. Dabei putscht er sich mit Kaffee auf. Dann geht er frühstücken, ißt ein Dutzend Eier mit Speck (schließlich ist er Mitglied der Footballmannschaft) und gibt sein Paper ab. Dann schläft er bis in den Nachmittag hinein, steht auf und geht zum Rudern.
Gestern abend gab es für uns drei einen seriösen Anlaß aufzubleiben. Das Wahlergebnis. Eigentlich ist uns allen die Politik ziemlich egal. Aber es war ein willkommener Grund, sich langsam einen anzutrinken. Die heutige Ausgabe von >Crimson< — und das ist typisch für dieses Provinzblättchen - zählt auf, wie viele Ehemalige von Harvard gewählt worden sind. Nicht weniger als fünfunddreißig der neugewählten Kongreßabgeordneten sind auf unsere bescheidene Universität gegangen, ganz abgesehen von vier neuen Senatoren. Wenn die mit den Problemen des Landes nicht mehr fertig werden, können sie sich alle mit Jack Kennedy im Klo des Senats treffen und die Footballsongs von Harvard singen.
Als ich heute beim Frühstück den >Crimson< durchlas, kam mir plötzlich der Gedanke, der nicht besonders anziehende Corn Flakes essende Kerl am nächsten Tisch könnte eines Tages Senator sein. Oder sogar Präsident. Das Verrückte ist, man weiß nie, wer es schaffen wird. Vater hat mir mal erzählt, daß Roosevelt ganz schön blöde war im College. Der >Final Club< stimmte sogar gegen seine Aufnahme und akzeptierte statt seiner seinen Vetter Teddy.
Die Harvard-Erstsemester sind noch eine Art von form-und farblosen Raupen. Es braucht eine gewisse Zeit, bis sich herausstellt, wer der seltenste Schmetterling wird. Ich jedenfalls weiß genau, daß ich lebenslang eine Raupe bleiben werde.

Aus dem >Harvard-Crimson< vom 12. Januar 1955:

Gilbert an der Spitze des Freshman-Squash-Teams —
Jason Gilbert, '58. Straus-Haus, aus Syosset, Long Island,
ist zum Kapitän des Squashteams gewählt worden. Gilbert,
der von der Hawkins-Atwell-High-School kommt, hält
Platz 1 der Rangliste und ist bisher ungeschlagen. Er hält
außerdem Platz 7 der Easlern-States-Junior-Tennis-
Rangliste.

»Gilbert, du hast dir eine Medaille verdient«, bemerkte Dennis Linden. »Hättest du nicht gleich etwas getan, hätte sich der kleine bescheuerte D.D. tatsächlich noch umgebracht.«
Der Proktor hatte Jason nicht nur kommen lassen, um ihn für sein laienmedizinisches Heldentum zu belobigen, sondern um mit ihm ein neues Problem zu besprechen, also eigentlich, um ihm etwas Unerfreuliches mitzuteilen. »Wir haben für dich einen neuen Mitbewohner«, verkündete er. »Ich habe ihn bei der letzten Proktorenbesprechung selbst ausgesucht, weil ich davon überzeugt bin, du wirst auf ihn eine beruhigende Wirkung haben.«
»Das ist unfair«, protestierte Jason, »muß ich schon wieder Kindermädchen spielen? Kann ich nicht zur Abwechslung einmal jemand kriegen, der normal ist?« »In Harvard gibt es niemanden, der normal ist«, antwortete Linden weise.
»Also schön, Dennis«, antwortete Jason und stöhnte ergeben. »Und was hat dieser Kerl für Probleme?«
»Na ja«, sagte der Proktor leichthin, »er ist ein bißchen ... aggressiv.« »Das macht nichts. Ich kann boxen.« Linden hüstelte. »Die Sache ist nur die - er hat's mit Säbeln.«
»Irgendein Ausländer aus dem Mittelalter?« »Sehr witzig«, Linden lächelte. »Nein, er ist Mitglied des Fechtteams, stand auch schon ein paar Mal im >Crimson< - Bernie Ackerman. Er ist sehr gut mit dem Säbel.« »Großartig— und wie viele Mordversuche?« »Na ja, nicht gerade Mord. Er wohnt im Holworthy mit einem sensiblen Chinesen zusammen. Bei der geringsten Auseinandersetzung holt dieser Ackerman den Säbel heraus und droht dem kleinen Kerl damit. Der Kleine ist inzwischen so verängstigt, daß unsere Ambulanz ihm Schlafmittel geben mußte. Die beiden müssen also auseinander.« »Warum zum Teufel krieg' ich nicht den Chinesen?« beschwerte sich Jason. »Der scheint doch ein netter Kerl zu sein.«
»Mit dem dritten da kommt er gut zurecht - das ist ein Musiker. Deshalb haben die Proktoren beschlossen, sie zusammenzulassen. Außerdem dachte ich, daß du den Typen schon in Schach hältst.«
»Ich bin hier, um zu studieren, Dennis, und nicht, um solchen Rowdys die feine College-Art beizubringen.« »Laß mal, Jason«, schmeichelte der Proktor, »du wirst den Kerl schon zur Schnecke machen. Außerdem wird das in deiner Personalakte lobend erwähnt werden.« »Dennis, du bist ein Schatz«, sagte Jason zum Abschied.

Andrew Eliots Tagebuch
16.Januar 1955

Gestern abend bei unserer Vorfeier des Semesterendes konnten wir alle nicht mehr vor Lachen, wegen Jason Gilbert. Wir besorgten einige sorgfältig ausgesuchte Schönheiten von den Junior Colleges am Ort, die in dem Ruf stehen, die willfährigsten Schülerinnen zu haben. (Newman behauptet, er habe auf der Rückfahrt zum Pine Manor eine von ihnen vernascht, aber es gibt nur seine Aussage. Wirklich kluge Kerle bringen ein Beweisstück bei.)
Freund Gilbert hat es so an sich, bei Parties die erste Geige zu spielen. Erst einmal sieht er so verdammt gut aus daß man Mühe hat, die eigene Puppe von ihm abzulenken. Und wenn er dann anfängt, Geschichten zu erzählen dann liegt man nur noch am Boden vor Lachen. Anscheinend hat er gerade einen Mitbewohner bekommen (was mit dem vorigen passiert ist, sagt er nicht), und dieser Kerl ist ein Verrückter.
Wenn Jason schlafen geht, zieht der andere seinen Säbel und rast wie Errol Flynn im Wohnzimmer herum.
Am Ende der ersten Woche jedenfalls hatte der Kerl das Sofa fast schon in Stücke gehauen. Aber das schlimmste war der Krach, den er dabei machte. Jedesmal, wenn er einen Treffer erzielte — und das war kein großes Problem, denn das Sofa war ein sehr passiver Gegner—, schrie er »Treffer« und das machte Jason fast wahnsinnig.
Neulich abends hatten sie eine Auseinandersetzung. Nur mit einem Tennisschläger bewaffnet, stellte sich Gilbert dem Typen entgegen und fragte, so ruhig er konnte, ob er den Unfug nicht mal  lassen könnte. Dessen Antwort war, er brauche extra Training für das Turnier gegen Yale.
Darauf sagte Jason, wenn er so dringend trainieren müsse stünde er gerne zur Verfügung. Unter der Bedingung allerdings, daß so lange gekämpft würde, bis einer von ihnen tot sei. Zuerst dachte der Kerl natürlich, Jason würde nur bluffen. Aber um seiner Herausforderung etwas Nachdruck zu verleihen, machte Jason mit dem Tennisschläger aus den Resten der Couch Kleinholz. Dann wandte er sich seinem Gegner zu und erklärte, wenn er den Kampf verlöre, erginge es ihm ebenso.
Der Fechter ließ, so unglaublich das klingt, den Säbel sinken und verzog sich in sein Schlafzimmer. Damit war nicht nur Ruhe, sondern der Schaumschläger kaufte am nächsten Tag sogar eine neue Couch. In Gilberts Wohnung war es von da an recht ruhig, genauer gesagt vollkommen ruhig. Anscheinend hat der Kerl jetzt sogar Angst, auch nur mit Jason zu reden.

Wie auch sein berühmter Namensvetter im Altertum machte Sokrates Lambros in seinem Leben keine Kompromisse. Das heißt, für seinen Sohn Ted gab es keine Entschuldigung, um vom abendlichen Dienst im >Marathon< befreit zu werden. Also war es Ted auch nicht erlaubt worden, an jenem Septemberabend mit seinem Jahrgang zusammen Präsident Pusey zuzuhören, der so entschieden von der akademischen Freiheit predigte.
Und da er täglich nach den Vorlesungen ins >Marathon< mußte, sah Ted auch kein einziges Footballspiel auf dem Soldier's Field zusammen mit seinen Kommilitonen, die sich dabei heiser schrien und bis zum Kotzen betranken.
Das war einer der unendlichen Gründe, warum er sich nicht als volles Mitglied seines Jahrgangs fühlte und sich danach sehnte, einer der Ihren zu werden. Als dann das Freshman-Smoker-Besäufnis angekündigt wurde, bat er seinen Vater, ihm ausnahmsweise freizugeben, damit er an dieser für Harvard-Studenten einzigen Veranstaltung, die erklärtermaßen der Frivolität diente, teilnehmen könne.
Sokrates blieb unerschütterlich, aber Thalassa ergriff für ihren Sohn Partei.
»Der Junge arbeitet die ganze Zeit. Laß ihm einen freien Abend.«
»Also gut, meinetwegen«, gab der Patriarch schließlich nach. Und Demosthenes hätte einen Heerführer kaum mit größerer Beredsamkeit gepriesen, als der junge Ted Lambros seinen Vater.
Am 17. Februar also rasierte sich Ted Lambros, zog ein frisches Hemd und seine beste Tweed-Jacke an (gebraucht gekauft aber wie neu) und schlenderte zum Sanders Theater.
Er entrichtete einen Dollar, was ihm nicht nur den Eintritt verschaffte und soviel Bier, wie er wollte, sondern auch kleine Werbegeschenke, die am Eingang verteilt wurden. Es gab Dinge wie Maispfeifen und Pall-Mall-Zigaretten.
Dem Himmel sei Dank, endlich gehörte er dazu.
Halb neun betrat ein stark geschminkter Zeremonienmeister die Bühne, um die Nummern des Abends anzusagen. Er wurde von den feinsinnigen Harvard-Studenten mit einer Flut von   Grunzen,   Stöhnen   und   unvorstellbaren Schweinereien begrüßt.
Die ersten Attraktion waren die Wellesley-Witwen, ein Dutzend sich zierende junge Sängerinnen aus dem nahen Mädchen-College. Kaum hatten sie den ersten Ton angestimmt, ging aus allen Ecken des Theaters ein Hagel von Plenningstücken nieder, und man schrie: »Nackt ausziehen!«
Der Ansager empfahl den Damen, sich schnell zuruckzuziehen. Die    folgenden    Darsteller   erlitten  ein  ähnliches Schicksal.
Was sich auf der Bühne abspielte, war nur eine Art Tischgebet vor dem eigentlichen Essen. Der Hauptteil des Festes fand jenseits des Korridors in der Memorial Hall statt, wohin man dreihundert Faß Bier geschafft hatte, um den Durst der Erstsemester zu löschen.
Die Studenten wurden natürlich beaufsichtigt. Vier Dekane waren anwesend, alle Proktoren und zehn Universitätspolizisten, die immerhin so klug waren, Regenmäntel anzuziehen, denn das war auch notwendig.
In  kürzester Zeit stand in der Memorial Hall - Ort so vieler erhabener Ereignisse - das Bier knöcheltief. Schlägereien brachen aus. Proktoren, die versuchten, die Streitigkeiten zu schlichten, wurden rüde geprügelt und auf den überschwemmten Boden gestoßen
Ted Lambros traute seinen Augen nicht, als er das Drunter und Drüber sah. Das sollten die künftigen Führer der Welt sein? In diesem Augenblick pöbelte ihn jemand an. He, Lambro du bist ja nicht mal besoffen. Es war Ken O’Brien, naß und volltrunken, der mit ihm zusammen aufs Cambridge Latin gegangen war.
Bevor Ted reagieren konnte, bekam er etwas über den Kopf geschüttet. Biertaufe. Die Flüssigkeit lief langsam auf seine beste Tweed Jacke. Wütend schlug Ted nach Ken, erwischte ihn am Kinn, verlor aber dabei das Gleichgewicht und fiel zu Boden oder besser in den Biersee. 
Er konnte es nicht mehr ertragen. O’Brien. der auf die Knie gegangen war, flehte ihn fast an, weiterzuprügeln, aber ohne sich noch einmal umzudrehen patschte Ted deprimiert aus der Memorial Hall.

Das Harvard-Radcliffe-Orchester hält jährlich einmal einen Wettbewerb ab, um den begabtesten Solisten der beiden Colleges zu bestimmen. Dieser Wettbewerb findet normalerweise im Winter statt, damit der Sieger- meistens ein Student im vierten Jahr oder ein Doktorand - dann im Frühjahrskonzert auftreten kann.
Fast immer aber gibt es übereifrige Bewerber, die sich, so früh es geht, für den Wettbewerb qualifizieren möchten. Und der Intendant des Orchesters, Don Lowenstein, muß sie taktvoll und diplomatisch davon abbringen, im öffentlichen Konzert dann zu versagen.
Aber der Besucher am heutigen Nachmittag, ein Erstsemester unscheinbar, mit Brille und rothaarig, war nicht abzuwimmeln. »Sie müssen verstehen«, erklärte Lowenstein ein wenig herablassend, »unsere Solisten werden meistens Berufsmusiker. Ich glaube Ihnen ja, daß Sie auf der High School hervorragend waren, aber...«
»Ich bin Künstler«, unterbrach ihn Danny Rossi, '58.
»Ist ja gut, regen Sie sich bitte nicht auf. Es ist ja nur, weil der Wettbewerb ganz schön hart ist.«
»Das weiß ich«, antwortete Danny. »Wenn ich nicht gut genug bin, dann ist das mein Problem.«
»Das werden wir gleich haben. Kommen Sie mit nach unten, und ich höre Sie mir an.«
Als Donald Lowenstein eine knappe Stunde später zurückkam stand er unter einem leichten Schock. Sukie Wadsworth, zweiter Intendant, war gerade im Büro und sah auf, als Lowenstein hereinkam und sich in seinen Stuhl lallen ließ.
»Sukie, ich habe mir gerade den Gewinner des diesjährigen Wettbwerbs angehört. Dieser Rossi, ein Erstsemester, ist ein Genie, kann ich dir sagen.« Der Gepriesene kam herein. »Danke, daß Sie sich die Zeit genommen haben«, sagte Danny, »hoffentlich reicht es bei mir, zum Wettbewerb zugelassen zu werden.« »Guten Tag«, sagte Sukie Wadsworth, die Radcliffe-Studentin war, »ich bin Sukie Wadsworth, zweiter Intendant des Orchesters.«
»Ach, sehr erfreut«, sagte er und hoffte, sie würde nicht merken, wie er sie durch seine Brillengläser anstarrte.
»Ich finde es ganz schön aufregend, daß wir in diesem Jahr ein Erstsemester im Wettbewerb haben«, fügte sie strahlend hinzu.
Danny sagte scheu: »Hoffentlich blamiere ich mich nicht.« »Das glaube ich nicht«, lächelte Sukie und verwirrte ihn noch mehr, »Don sagt, Sie wären sehr gut.« »Na ja, hoffentlich sagt er das nicht nur aus Höflichkeit.« Es entstand eine peinliche Pause, und in diesem kurzen Moment entschloß sich Danny zu dem heroischen Versuch, dieses liebliche Geschöpf zu beeindrucken. Sicher würde es wieder schiefgehen, aber die Wahrscheinlichkeitsrechnung könnte ja auch einmal zu seinen Gunsten aufgehen.
»Sukie. soll ich Ihnen etwas vorspielen?«
»O ja, sehr gern«, erwiderte sie begeistert, nahm Dannys Hand, und sie gingen einen Übungsraum suchen.
Er spielte eine Suite von Bach und einen irrsinnig schnellen Rachmaninoff. Durch die weibliche Nähe inspiriert, war er technisch sogar noch besser als zuvor, aber aus Angst, sich nicht mehr konzentrieren zu können, sah er sie nicht an, spürte aber ihre Anwesenheit - und wie er sie spürte. Schließlich sah er auf. Sie lehnte sich über den Flügel, und ihre tiefausgeschnittene Bluse bot einen Anblick, der größtes ästhetisches Interesse weckte.
»War es gut?« fragte er ein wenig atemlos.
Sie lachte strahlend. »Ich will dir mal was sagen, Rossi«, sie kam näher und legte ihm die Hände auf die Schultern. »Du
bist ohne Zweifel der phantastischste Kerl, mit dem ich jemals in einem Raum war.«
»Ach«, sagte Danny Rossi und sah zu ihr auf, während sich nervöse Schweißtropfen auf seinen Augenbrauen bildeten.
»Sag mal, willst du vielleicht mal mit mir einen Kaffee trinken gehen?«
Sie lachte. »Danny, willst du mich jetzt sofort haben?« »Hier?«
Sie begann, ihm das Hemd aufzuknöpfen.
Danny hatte immer gehofft, die Frauen fänden schließlich heraus, daß sein brillantes Klavierspiel mindestens genauso aufregend sein konnte wie ein weiter Footballpaß. Endlich war es passiert.
Und Footballspieler geben niemals Zugaben.