3. Kapitel

Rousseaus ungereimte chimären

Körperliche stärke, die sonst vorzug der helden war, ist gegenwärtig zu einem solchen grad unverdienter verachtung herabgesunken, dass männer so gut als weiber sie entbehrlich zu finden scheinen. Die letzten deswegen, weil diese eigenschaft ihrer grazie abbruch tun und ihnen viel von jener reizenden schwäche rauben würde, der sie eben ihre zur ungebühr erweiterte gewalt verdanken. Die ersten, weil sie glauben, dass sie sich mit dem charakter eines mannes von erziehung nicht vertragen.
Es lässt sich leicht beweisen, dass beide geschlechter dadurch, dass sie sich von dem einen extrem entfernen wollten, auf das andere verfallen sind. Ein ganz gemeiner irrtum hat einen so hohen grad von ansehen erhalten, dass er einer falschen schlussfolge, in der man die wirkung mit der ursache verwechselte, zur stütze ward.
Man sieht sehr oft, dass leute von genie, durch anhaltendes studieren oder durch gänzlichen mangel an achtsamkeit auf körperliches wohlbefinden, ihre gesundheit geschwächt haben. Ihre leidenschaften sind immer in dem grad heftig, in welchem ihre erkenntniskräfte feurig sind. Daher ist es ihnen fast zum sprichwort geworden, dass das schwert die scheide aufreibe. Flüchtige beobachter haben daraus sogleich den schluss gezogen, dass leuten von genie eine schwache oder, einen modischen ausdruck zu gebrauchen, eine delikate konstitution zuteil geworden sei. Gleichwohl bin ich, aller erfahrung nach, vom gegenteil überzeugt. Bei einer genauen Untersuchung finde ich, dass stärke der seele in den meisten fällen auch von einem vorzüglichen anteil an körperlicher stärke begleitet war. Ich meine damit weiter nichts als einen gesunden, unverdorbenen zustand der konstitution, wie ihn die natur gibt. Nicht jenen festen nerventon und jene baumstarke muskelkraft, zu denen der körper nur durch anhaltende schwere arbeit gelangen kann, bei welcher die seele entweder gar nichts zu tun oder nur die hände zu regieren hat.
Dr. Priestley bemerkt in seiner vorrede seiner biographie,[10] dass die meisten grossen männer über fünfundvierzig jahre gelebt haben. Bringt man hierbei noch die sorglosigkeit in anschlag, mit der so mancher unter ihnen seine kräfte da verschwendete, wo er einer lieblingswissenschaft nachhing und, ohne sich um die die stunde der mitternacht zu kümmern, die lebenslampe leichtsinnig dahinbrennen liess; bedenkt man noch dazu, wie ihre fantasie so häufig, wann sie sich in dichterische träume verloren hatten, für ihre bühne handelnde personen schuf, wie sehr durch starke, damit verbundene, und im gedankenschwung zu einer ungemeinen höhe getriebene gemütsbewegungen ihre seele ausser fassung kommen und wie sie sich selbst erschüttert fühlen mussten, sobald jene gespinste der einbildung vor ihren ermatteten augen dahin schwanden - so sollte man denken, ihre körper müssten von stahl und eisen gewesen sein. Nie fasste Shakespeare den »dolch« mit kraftloser hand, auch zitterte Milton nicht, als er »Satan weit über die Grenzen seines düstern Kerkers führte«. Das waren nicht aberwitzige verirrungen von schwäche, nicht kränkliche ergüsse eines zerrütteten gehirns. Nein, es war der ausbruch einer überströmend reichen fantasie, die, im »holden Wahnsinn« auf unbetretenen bahnen wandernd, nicht stets an ihre körperlichen fesseln erinnert wurde.
Ich merke, dass ich hier leicht weiter geführt werden könnte, als ich gehen will. So will ich denn, meinem grundsatz getreu, zugestehen, dass in hinsicht, auf körperliche stärke der mann einen natürlichen vorzug vor dem weib zu haben scheint. Meiner überzeugung nach, ist gerade dies die einzige grundlage, auf welche sich der beweis für die überlegenheit des männlichen geschlechts bauen lässt. Dagegen bestehe ich noch immer auf meiner behauptung, dass nicht allein die tugend, sondern auch die kenntnisse beider geschlechter, wenn auch eben nicht dem grade doch der art nach dieselben sein müssen; dass die weiber, wenn man sie als moralische und vernünftige geschöpfe betrachtet, ernstlich dahin streben sollten, sich menschliche tugenden (oder vollkommenheiten) durch dieselben mittel, wie die männer, zu erwerben und dass sie durchaus nicht als eine erträumte art von mitteldingen, wozu sie eine von Rousseaus ungereimten chimären herabgewürdigt, erzogen werden.[11]
Wenn die körperliche stärke, nicht ohne allen schein von wahrheit, der stolz der männer ist, warum sind die weiber so töricht, sich auf einen mangel so viel einzubilden?
Rousseau gibt ihnen darüber eine scheinbare entschuldigung. Eine entschuldigung, die nur einem mann einfallen konnte, der seiner einbildungskraft den zügel schiessen und sie über eindrücken der ausgesuchtesten sinnlichlichkeit brüten liess. Sie müssen ja, so meint er, eine ausrede in bereitschaft haben, wenn sie gewissen wünschen nachgeben, und wenn bei deren befriedigung doch jene romantische art weiblicher sittsamkeit, die dem stolz und der sinnenlust des mannes so sehr schmeichelt, nicht beleidigt werden soll.
Durch solche sentiments getäuscht, pflegen manche weiber sich wohl ihrer schwäche zu rühmen, weil sie vermittelst derselben die schwäche der männer auf eine so schlaue art, anzugreifen wissen, daß der sieg auf ihre seite fällt. Immer möchten sie sich denn mit dieser erschlichenen herrschaft brüsten, da sie wirklich, gleich türkischen bassen,[12] mehr wahre gewalt als ihre herren in händen haben; wenn nur dabei die tugend nicht vorübergehenden befriedigungen der eitelkeit und die würde eines ganzen lebens nicht dem triumf einer stunde aufgeopfert würde!

  • zu Anmerkung 11

  • Rousseau, >Emil<, Buch 5: - »Untersuchungen über abstrakte und spekulative Wahrheiten, über Prinzipien und Axiomen in den Wissenschaften, mit einem Worte, alles, was darauf abzielt, die Ideen zu verallgemeinern, liegt ausserhalb des Kreises weiblicher Bestimmung.
    Das ganze Studium der Frauenzimmer muss sich auf das Praktische beziehen: sie müssen die Grundsätze anwenden, die der Mann gefunden hat; dagegen müssen sie wiederum erst die Beobachtungen liefern, die den Mann zur Feststellung jener Grundsätze leiten. Bei ihnen sollten alle Reflexionen, die keine unmittelbare Beziehung zu ihren Pflichten haben, auf das Studium des männlichen Charakters oder auf andere angenehme Kenntnisse, die nur Gegenstände des Geschmacks betreffen, gerichtet sein. Werke des Genies gehn über ihren Horizont: ebenso wenig besitzen sie den erforderlichen Grad von Genauigkeit und Aufmerksamkeit, um in den strengen Wissenschaften fortzukommen. Selbst die physischen Kenntnisse gehören nur dem von beiden Geschlechtern zu, das vorzüglich tätig sein, häufig sich bewegen und die meisten Gegenstände sehen kann: nur dem Geschlechte, das am meisten Stärke hat und die Stärke am meisten übt, kommt es zu, über die Verhältnisse der Gegenstände, die in die Sinne fallen, und über Naturgesetze zu urteilen. Das Weib ist schwach und wird von dem, was auswärts vorgeht, wenig oder nichts gewahr: Sie schätzt und beurteilt nur die Werkzeuge, die Sie in den Gang zu setzen weiss, um ihrer Schwäche nachzuhelfen; und diese Werkzeuge sind - die Leidenschaften des Mannes. Ihre Mechanik ist verhältnismässig weit mächtiger, als die unsrige: alle ihre Hebel vermögen das menschliche Herz in seinem Innersten zu erschüttern. So wie Etwas vorkommt, was ihr Geschlecht durch sich selbst auszurichten nicht im Stande ist, was sie aber dennoch ausrichten will, weil sie es bedarf, oder weil es ihr Vergnügen macht; so muss sie die Kunst verstehen, uns dieses Etwas wollen zu machen. Zu diesem Ende muss sie den männlichen Charakter, von Grund aus studieren; nicht durch Abstraktionen den Charakter im Allgemeinen, sondern den Charakter der Männer, die um sie sind, den Charakter der Männer, denen sie nun einmal durch das Gesetz, oder durch die Meinung, unterworfen ist. Ja, das Weib muss es durchaus so weit bringen, dass sie die wahre Gesinnung des Mannes in seinen Reden und in seinen Blicken, in seinen Handlungen und in seinen Gebärden durchschauen kann. Dagegen muss sie ihn wieder durch ihre Reden und durch ihre Blicke, durch ihre Handlungen und durch ihre Gebärden, gerade in die Stimmung zu versetzen wissen, in der sie ihn zu sehen wünscht; das alles muss sie tun, ohne selbst den Schein zu haben, dass sie sich darum kümmere. Er wird besser, als sie, über das menschliche Herz philisophieren... usw. …«

Die macht, welche gegenwärtig weiber und despoten besitzen, ist vielleicht weit grösser, als sie sein könnte, wenn einmal die welt, sowie sie in reiche und familien abgeteilt ist, nach gesetzen einer richtig geübten vernunft regiert werden sollte. Allein die art, wie beide zu dieser macht gelangen, kann nicht anders als ihren charakter erniedrigen und die zügellosigkeit durch die ganze masse der gesellschaft verbreiten. Allemal muss der grosse haufe die steigbügel für wenige werden. Ich wage es daher dreist zu behaupten, dass, so lange wir die weiber nicht vernünftiger erziehen, die veredlung der menschheit durch tugend und Wahrheit in ihrem fortschritt unaufhörlich gehindert werden wird. Darf man ferner annehmen, dass das weib weder bloss dazu geschaffen ist, die sinnlichen wünsche des mannes zu befriedigen, noch auch bloss dazu, die erste magd im hause zu sein, die nur für seine mahlzeiten sorgen und seine wäsche in ordnung halten muss; so folgt daraus, dass mütter, oder auch väter, denen die erziehung ihrer töchter wirklich am herzen liegt, ihr augenmerk darauf richten sollten, den körper derselben zu stärken, oder wenigstens ihre gesundheit nicht durch ein verfahren, wobei nur falsche begriffe von Schönheit und andern weiblichen vorzügen zugrunde liegen, zu zerstören. Auch müsste man mädchen schon früh gegen die verderbliche meinung, als ob ein fehler, durch irgend einen chemischen prozess des räsonements zu einem vorzug werden könne, zu verwahren suchen. Es freut mich ungemein, zu sehen, dass ich über diesen punkt mit dem verfasser einer der belehrendsten Schriften, die je in unserm land für kinder erschienen sind, völlig übereinstimme.[13]
Doch lasst uns einmal als erwiesen annehmen, die weiber wären von natur wirklich schwächer als der mann; würde daraus schon folgen, dass auch ein bemühen, sich noch schwächer zu machen, als sie die natur gemacht hat, ebenfalls natürlich sei? Schlüsse dieser art beschimpfen den menschenverstand und zeugen nur von leidenschaft. In unserer erleuchteten zeit lässt sich hoffen, dass man nun auch das göttliche recht der männer , sowie das göttliche recht der könige ohne gefahr wird in zweifel ziehen dürfen.[14] Und wenn man gleich selbst durch die besten gründe, das heer lärmender zänker von einem vorurteil nicht abbringen wird, so nimmt sie doch gewiss der verständige in überlegung und lässt sich durch das geschrei des blinden haufens über neuerung nicht irre machen.
Nein, eine mutter, die ihrer tochter wahre würde des charakters geben will, die muss, ohne das hohngelächter des unverstandes zu achten, einen erziehungsplan befolgen, der jenem ganz entgegengesetzt ist, zu dessen empfehlung Rousseau seine ganze täuschende beredsamkeit und filosofische sofismen aufgeboten hat. Die rednerischen künste dieses mannes vermögen selbst ungereimtheiten den schein der wahrheit zu leihen und der zuversichtliche ton seiner behauptungen muss, wenn er auch nicht überzeugt, doch jeden, der sie zu widerlegen nicht imstande ist, verwirren.

Bei den tieren ist jeder jungen kreatur fast ununterbrochene bewegung des körpers bedürfnis. Diesem naturwink gemäss, sollten unsere kinder ihre frühen jahre mit solchen unschädlichen leibesübungen hinbringen, die, ohne den kopf anzugreifen oder eine beständige aufsicht notwendig zu machen, ihre hände und füsse immer in tätigkeit erhalten. Die aufmerksamkeit, die das kind zu seiner selbsterhaltung anwenden muss, ist zugleich die erste natürliche Übung seines noch schwachen verstandes, so wie die erfindungen, sich die zeit zu vertreiben, seine fantasie zu entwickeln. Schade nur, dass man diesen weisen absichten der natur durch eine verkehrte verzärtelung unaufhörlich entgegenwirkt. Die kleinen geschöpfe, besonders wenn es mädchen sind, werden nicht einen augenblick ihrer eigenen leitung überlassen. Und diese sklavische abhängigkeit, in welche man sie versetzt, scheut man sich nicht, eine natürliche zu nennen.
Körperliche schönheit - den stolz des weibes! - zu bewahren, dazu engt man ihre gliedmassen und seelenkräfte mit mehr als chinesischer grausamkeit ein, und das sitzende leben, zu welchem sie verurteilt sind, während die knaben im freien herumspringen dürfen, muss notwendig ihre muskeln schwächen und ihre nerven erschlaffen.

Was die bemerkungen Rousseaus betrifft, die ihm von verschiedenen schriftstellern nachgebetet worden sind, nämlich, dass frauenzimmer von natur, das heisst gleich von der wiege an, auch ohne alle einwirkung der erziehung, schon einen hang zu puppen, zum putz und zum plaudern hätten - so sind sie wirklich zu kindisch, als dass sie im ernste einer widerlegung wert wären. Dass ein mädchen, dazu verurteilt, stundenlang das geschwätz einer albernen wärterin anzuhören oder bei der toilette ihrer mutter zu sitzen, endlich auch einmal ein wort mitsprechen will, ist doch natürlich. Und auch, dass sie zur nachahmung ihrer mutter oder ihrer tanten und zum zeitvertreib ihre puppe gerade so aufputzt, wie es jene mit ihr, dem armen unschuldigen geschöpfchen, machen, ist eine ebenso natürliche folge. Hatten doch sogar männer von den grössten talenten selten stärke genug, sich über den entschluss zu äussern, sie ungebundenen umständen zu erheben, wie sollte man denn da, wo selbst die werke des genies von den vorurteilen des zeitalters etwas entstellt worden, einem geschlecht nicht etwas zugut halten, dem so gut wie den königen die gegenstände immer nur in einem täuschenden licht erschienen?
Auf diese weise kann man den hang zum putz, der an den weibern sichtbar ist, leicht erklären, ohne ihn aus dem verlangen, dem geschlechte, von welchem sie abhängig sind, zu gefallen, herzuleiten. Kurz, die sonderbare behauptung, ein mädchen sei von natur eine kokette, und jedes streben, das mit dem geschlechtstrieb in verbindung steht, könnte sich in ihr auch dann schon zeigen, wenn eine fehlerhafte erziehung noch nicht ihre fantasie erhitzt und diesen trieb vor der zeit geweckt habe - ist so höchst unfilosofisch, dass ein scharfsichtiger beobachter, als Rousseau war, sie gewiss nicht würde zu der seinigen gemacht haben, wäre er überhaupt nicht gewohnt gewesen, die vernunft seinem hange zum auszeichnenden und die wahrheit paradoxen lieblingssätzen aufzuopfern.
Kaum wird man es möglich finden, solche äusserungen, die der menschlichen seele gleichsam ein doppeltes geschlecht leihen, mit den grundsätzen eines mannes zu vereinigen, der ihre unsterblichkeit so verteidigt hat. Aber, was für ein schwacher damm ist die wahrheit, wenn sie dem strome einer hypothese entgegensteht; Rousseau verehrte die tugend - betete sie fast als gottheit an - und doch erlaubte er sich die leidenschaftliche sinnenliebe. Unaufhörlich bereitete seine fantasie feuerfangenden stoff für seine entzündbaren sinne: um jedoch dabei seine achtung für selbstverleugnung, seelenstärke und jene heroischen tugenden, die ein geist wie der seinige nicht kalt anstaunen konnte, mit seiner sinnlichkeit auszusöhnen, sucht er nun selbst naturgesetze umzukehren und trägt eine lehre vor, die den charakter der höchsten weisheit herabwürdigen muss und nur unheil in der menschlichen gesellschaft verbreiten kann.
Die ungereimten geschichten, die er erzählt, um zu beweisen, dass es den mädchen natürlich sei, ein ganz besonderes augenmerk auf ihre person zu richten, wobei er im mindesten nichts auf rechnung des täglichen beispiels bringt, verdienen mehr als verachtung. Eine dieser erzählungen, in der er uns mit einer kleinen demoiselle bekannt macht, die bereits einen so gebildeten geschmack hatte, dass sie auf den angenehmen zeitvertreib, lauter O zu machen, bloss deswegen verzichtet hat, weil sie sich dabei in einer unvorteilhaften Stellung erblickte, ist zu lächerlich![15]
Ich darf mit aller wahrscheinlichkeit behaupten, dass ich gelegenheit gehabt habe, mehr mädchen in ihrer kindheit zu beobachten als J.J. Rousseau. Ich darf sagen, dass ich dergleichen beobachtungen wirklich ebenso anhaltend an andern gemacht habe, wie ich meine eigenen empfindungen in erinnerung habe. Mein urteil über die erste entwicklung des weiblichen charakters trifft so wenig mit dem seinigen zusammen, dass ich mit sicherheit dafür einstehe, ein kleines mädchen, dessen lebhaftigkeit noch nicht durch Untätigkeit erstickt oder dessen unschuld noch nicht durch falsche scham befleckt worden ist, würde immer ein wildfang sein und nie eine puppe ihre ganze aufmerksamkeit beschäftigen, wenn das stubenhüten ihr eine andere wahl übrig liesse. Kurz, mädchen und knaben würden in aller Unschuld miteinander spielen, wäre man nur nicht so bemüht, sie mit ihrer geschlechtsverschiedenheit lange vorher bekanntzumachen, ehe die natur wirklich einen unterschied zwischen ihnen macht. - Ja ich gehe noch weiter, und behaupte, dass, soweit meine erfahrung reicht, diejenigen weiber, die sich noch wie vernünftige geschöpfe betragen oder kraftvolle tätigkeit des verstandes bewiesen haben, dass diese meistens - in der sprache einiger eleganter bildner des schönen geschlechts zu reden - so aufs geratewohl in der wildnis aufgewachsen sind.

Die traurigen folgen der vernachlässigung der gesundheit in der kindheit und im jugendlichen alter reichen weiter, als man glaubt. Abhängigkeit des körpers erzeugt notwendig auch abhängigkeit der seele. Wie könnte wohl ein weibliches geschöpf, das den grössten teil seiner zeit im kampf, oder wenigstens mit vorsichtsmassnahmen gegen krankheiten verbringen muss, die pflichten einer guten gattin und mutter gehörig erfüllen? Oder wie dürfte man von einem frauenzimmer die mutige entschliessung, ihre gesundheit zu stärken und auf jede entkräftende weichlichkeit verzicht zu tun, erwarten, wenn erkünstelte begriffe von schönheit und falsche vorstellungen von empfindsamkeit sich schon früh mit den triebfedern ihrer handlungen verbunden haben? - Die männer sind genötigt, hie und da einmal eine körperliche unannehmlichkeit zu ertragen, und sich, bei manchen gelegenheiten, dem widrigen einfluss der elemente auszusetzen. Frauenzimmer hingegen, die für artig gelten wollen, sind im buchstäblichen sinn des Wortes, sklavinnen ihres körpers und dürfen sich dieser sklaverei obendrein noch rühmen! - Ich kannte eine modedame, die sich viel auf delikatesse und empfindsamkeit einbildete. Ein fein unterscheidender geschmack und ein schwacher appetit war ihr der gipfel aller menschlichen vollkommenheit. Dieser grundsatz leitete auch ihr betragen. - Dieses schwache verkünstelte wesen versäumte jede pflicht des lebens, um sich mit selbstgefälligkeit auf einem sofa hinzulehnen und sich ihres mangels an appetit als eines beweises der delikatesse zu rühmen, welche die ursache oder vielleicht - denn wer kann ein so lächerliches geschwätz verständlich machen? - die folge ihrer ungemeinen empfindsamkeit sei.[16] Und doch sah ich - wer sollte es glauben - dasselbe weib zu derselben zeit eine alte ehrwürdige matrone, die unerwartete unglücksfälle von ihrer prahlerischen gnade abhängig gemacht hatten, die aber von glücklicheren tagen her noch ansprüche auf ihre dankbarkeit hatte, auf das schimpflichste behandeln. Wie war's wohl möglich, dass ein menschliches geschöpf sich zu einem so elenden und verworfenen betragen erniedrigen konnte, wenn nicht in ihr sowie in den durch schwelgerei weichlich gewordenen sybariten[17] schon alles, was nur der tugend ähnlich sieht, verschwunden war?...

Ein solches weib ist nun freilich kein widersinnigeres ungeheuer, als manche von den römischen kaisern waren, die durch gesetzlose übermacht ebenso tief herabsanken. Seit man nun die könige durch gesetze und durch das freilich immer schwache band der ehre gebunden hat, sind die jahrbücher der geschichte nicht mehr mit so empörenden belegen unnatürlicher torheit und grausamkeit angefüllt, und der despotismus, der tugend und genie im keim erstickt, weht nicht mehr mit dem zerstörenden hauch, der die Türkei zur wüstenei macht und dem bodden so gut wie den bewohnern mit unfruchtbarkeit flucht, durch das übrige Europa.[18]
Dagegen sind die weiber allenthalben in derselben traurigen lage. Denn um ihre unschuld (unwissenheit ist es, der man diesen schönklingenden namen gibt) aufrecht zu erhalten, sucht man ihnen die wahrheit zu verbergen, und sie müssen, noch ehe ihre seelenkräfte zu einiger stärke gedeihen können, sich schon einen erkünstelten charakter eigen machen. Von kindheit auf gelehrt, schönheit als zepter des weibes zu betrachten, bildet sich die seele selbst nach dem körper, flattert um ihren goldenen käfig und kennt kein anderes ziel, als ihren kerker aufzuputzen. Die männer haben mancherlei verrichtungen zu besorgen, sie müssen manchen plan entwerfen und betreiben, der ihr nachdenken zu beschäftigen und ihrem sich entwickelnden geist einen charakter zu geben imstande ist. Allein die weiber fesselt man auf einen einzigen gegenstand, ihre gedanken sind beständig auf ihren körper gerichtet, und selten reicht daher ihr blick über das ziel eines augenblicklichen triumfes hinaus. Wäre nur erst ihr verstand aus jener sklaverei erlöst, in die sie der stolz und die sinnlichkeit des mannes und ihr eigenes kurzsichtiges, der herrschsucht von tyrannen ähnliches streben nach augenblicklicher gewalt gestürzt haben. Dann würden wir von solchen torheiten, die wir jetzt alle tage an ihnen sehen, nur noch mit befremden lesen. Man erlaube mir, das noch weiter zu verfolgen.

Dürfte man die existenz eines bösen wesens annehmen, welches, in der allegorischen sprache der schritt zu reden, herumgeht und sucht, welchen es verschlinge, so könnte vielleicht dieses wesen nicht sicherer zu seinem zweck, den menschlichen charakter recht tief herabzuwürdigen, gelangen, als wenn es dem menschen unumschränkte macht erteilte.

Diese materie teilt sich in mehrere zweige. Geburt, reichtum und jeder äussere vorzug, der einen menschen ohne einwirkung seiner geisteskräfte über andere seinesgleichen erhebt, setzt ihn in der tat immer unter diese herab. Schlaue köpfe machen sich seine schwäche soviel wie möglich zunutze und blähen ihn durch ihre schmeicheleien so sehr auf, dass man zuletzt keinen menschlichen zug mehr an ihm findet. Dass aber ganze scharen von menschen, wie herdenschafe, solchen führern so gutwillig folgen - das ist ein rätsel, welches sich nur aus dem blinden hang zu gegenwärtigem genuss und aus der beschränktheit des verstandes erklären lässt. In sklavischer abhängigkeit erzogen, durch üppigkeit und müssiggang entkräftet - wo dürfen wir noch männer suchen, die mut genug hätten, die rechte der menschheit zu behaupten, und die ansprüche moralischer wesen, für die es nur einen weg zur vollkommenheit geben kann, wieder geltend zu machen?
Sklavische unterwürfigkeit unter despoten und ihre diener ist eine fessel, deren drückende last die fortschritte des menschlichen geistes hemmt und die die welt noch lange tragen wird.
Gestattet also den männern nicht weiter, im stolz auf ihre gewalt, sich auf gründe zu berufen, zu denen auch tyrannische könige und feile minister ihre zuflucht nahmen, und den trugschluss aufzustellen: das weib müsse in der unterwürfigkeit erhalten werden, weil es immer so gewesen sei!
Wenn einmal der mann, unter der herrschaft vernünftiger gesetze, seine natürliche freiheit gemessen wird, dann mag er auch das weib verachten, wenn sie diese freiheit nicht mit ihm teilt; Nur bis zu diesem Zeitpunkt, lasst ihn bei der rüge der torheit des weiblichen geschlechts seine eigene nicht übersehen!

Die weiber verlieren da, wo sie durch ungerechte mittel zur gewalt gelangen, wo sie das laster üben oder in sich nähren, offenbar jenen rang, den ihnen ausserdem die vernunft anweist, und werden so entweder zu verworfenen sklaven oder zu eigensinnigen tyrannen. Mit dem besitz einer solchen macht schwindet alle einfalt und alle würde des charakters dahin, und sie handeln nun gerade so, wie man männer handeln sieht, die sich auf dieselbe weise emporgeschwungen haben.
Endlich ist es zeit, eine revolution in den sitten der weiber zu bewirken - zeit, ihnen ihre verlorene würde wieder zu geben und sie als einen teil der menschengattung durch eigene umbildung zur umbildung der welt wirken zu lassen. Es ist zeit, die ewigen und unveränderlichen grundsätze der sittlichkeit von gegebräuchen und gewohnheiten, die nach verschiedenheit der orte verschieden sein können, zu unterscheiden. - Sind die männer halbgötter, gut, so wollen wir ihnen dienen! Darf man den weibern die vorzüge der seele so wie den tieren streitig machen, gibt ihnen ihre vernunft auf der einen seite nicht licht genug, ihre bahn zu wandeln, während ihnen auf der andern ein untrügerischer instinkt versagt ist - dann sind sie wahrhaftig unter allen geschöpfen die unglücklichsten und müssen, gebeugt unter das joch des schicksals, sich gefallen lassen, ein schöner fehler in der schöpfung zu sein;
Nur, wie sich die vorsehung auf eine befriedigende art rechtfertigen lassen möchte, dass sie einen so grossen teil des menschengeschlechts der zurechnung fähig machen konnte - dies dürfte auch den feinsten kasuisten in verlegenheit setzen.... Eines von beiden muss man wählen: entweder man sperre die weiber von kindheit an wie morgenländische fürsten ein, oder erziehe sie so, dass sie für sich selbst denken und handeln lernen.

Wie können doch die männer unentschlossen zwischen zwei systemen schwanken und unmöglichkeiten erwarten? Wie können sie fügend von einer Sklavin, von einem wesen erwarten, das die bürgerliche einrichtung der gesellschaft schwach, wo nicht gar lasterhaft macht?

Ich weiss gut genug, dass man so bald noch nicht hoffen darf, jene tief verwurzelten vorurteile, wozu sinnenmenschen den samen ausgestreut haben, ausgerottet zu sehen. Auch mag noch viel zeit verstreichen, bis man die weiber überzeugen wird, dass sie, sobald man die sache aus einem höhern gesichtspunkt betrachtet, sehr gern ihren vorteil handeln, wenn sie schwäche unter dem namen von delikatesse in sich nähren oder affektieren, bis man die welt überzeugen wird, dass die quelle weiblicher laster und torheiten in der bloss sinnlichen huldigung liegt, die man der schönheit leistet. Es versteht sich, dass hier nur von körperlicher schönheit die rede ist.
Ein deutscher schriftsteller macht die bemerkung, dass ein niedliches weib, als gegenstand sinnlicher wünsche betrachtet, allgemein von männern dafür anerkannt wird; während eine feine frau, die durch ihre geistige schönheit erhabenere empfindungen einflösst, von solchen männern, die ihr höchstes glück in der befriedigung ihrer begierden suchen, mit gleichgültigkeit betrachtet, ja wohl gar übersehen wird. Darauf wird man antworten: Solange der mensch ein so unvollkommenes geschöpf bleibt, als er bisher gewesen zu sein scheint, solange wird er auch mehr oder weniger sklave seiner begierden bleiben. Wenn nun solche weiber am meisten auf den einfluss rechnen dürfen, so muss das ganze geschlecht, wenn auch nicht durch eine moralische, doch schon durch eine fysische notwendigkeit von seiner würde herabsinken.
Ich gebe zu, dass diese einwendung nicht ohne alles gewicht ist. Allein das dasein einer so erhabenen vorschrift wie diese: »Seid rein, wie euer himmlischer vater rein ist«, gibt deutlich zu erkennen, dass die tugend des menschen selbst nicht durch das wesen beschränkt wird, das sie doch allein beschränken könnte, und dass der mensch in diesem felde seiner kraft den freiesten lauf lassen darf, ohne zu befürchten, er werde in befriedigung eines so edlen stolzes seine grenzen überschreiten. Zur stürmischen see ist gesagt: »Bis hierher sollst du kommen und nicht weiter, da sollen sich deine stolzen wogen legen.« Umsonst ist ihr brausen und schäumen, sie bändigt dieselbe macht, die auch die rollenden planeten in ihren geleisen hält. Die materie weicht dem sie beherrschenden geist. Aber eine unsterbliche seele, die nicht an mechanische gesetze gebunden ist und die sich von den fesseln der materie zu befreien strebt, die stört nicht, nein, sie fördert die ordnung des grossen ganzen, wenn sie mitwirkend mit dem vater der geister, geschäftig ist, sich selbst nach der regel zu regieren, nach welcher, freilich in einem grad, der unsere fassung übersteigt, das universum geleitet werden muss.

Wenn ferner die weiber durchaus zur abhängigkeit, das heisst, so erzogen werden sollen, dass sie all ihre handlungen nach dem willen eines andern, auch der verirrung fähigen wesens einrichten und sich jedesmal der gewalt, sei's nun recht oder unrecht, blindlings unterwerfen, wohin führt uns das? Soll man sie als Stellvertreter betrachten, die eine kleine besitzung beherrschen dürfen, für deren verwaltung sie einen höhern richtstuhl, der selbst dem irrtum unterworfen ist, rechenschaft zu geben gehalten sind?
Es lässt sich beweisen, dass solche bevollmächtigte ungefähr ebenso verfahren werden, wie wir die männer, die man auch durch furcht in gehorsam erhält, verfahren sehen. Das heisst, wenn von weibern die rede ist, dass sie ihre kinder und ihr gesinde tyrannisch behandeln werden. Da ihre eigene unterwerfung niemals durch gründe geleitet wird, so werden sie sich auch in der behandlung ihrer untergebenen an keine festen regeln binden. Blinde einfälle und augenblickliche launen werden sie zum wohltun so gut als zur grausamkeit bestimmen, und man darf sich gar nicht wundern, dass sie zuweilen, ihres joches müde, ein schadenfrohes vergnügen darin finden, daselbe schwächern schultern aufzulegen.
Angenommen: eine solche zu dieser art von gehorsam erzogene frau sei mit einem vernünftigen mann verbunden, der ihre entschliessungen leitet, ohne sie ihre sklavische abhängigkeit fühlen zu lassen - sie mag ihre geschäfte so gut ausrichten, als man von einer person, die die vernunft erst aus der zweiten hand bekommt, erwarten kann. Allein wer will ihr für das leben ihres schutzherrn stehen? Er kann sterben und ihr eine familie hinterlassen.
Jetzt übernimmt sie pflichten von zwiefacher art. Sie soll bei der erziehung ihrer kinder vater- und muttersteile vertreten. Sie soll ihnen gute grundsätze einprägen und ihr eigentum bewahren. Aber ach: Sie war noch nie in dem fall, für sich selbst denken, viel weniger für sich allein handeln zu müssen. Den männern zu gefallen,[19] ihnen mit anstand und grazie zu dienen war bisher ihre ganze wissenschaft. Wie sie aber jetzt, da eine menge kinder sie umringen, zu einem andern schutzherrn - wie sie wieder zu einem gatten, der ihr die stelle der vernunft vertrete, kommen soll, ist nicht so leicht.

  • zu Anmerkung 19

  • Rousseau, >Emil<: »Um beide Geschlechter recht enge zu verbinden, muss jedes derselben zum gemeinschaftlichen Zwecke seinen eigenen Beitrag, aber auf eine sehr verschiedene Weise liefern... Das eine muss tätig und stark, das andere leidend und schwach sein: dem einen ist's notwendig, Mut zum Entschlusse und Kraft zur Ausführung zu besitzen; für das andere reicht es hin, wenn es nur einen schwachen Widerstand zu leisten weiss. Aus diesem Grundsatze folgt, dass das Weib vorzüglich dazu gemacht ist, dem Manne zu gefallen. Wenn der Mann dagegen auch ihr wieder gefallen muss, so ist diese Notwendigkeit nicht so unbedingt: sein verdienst liegt in seiner Kraft, und er gefällt bloss dadurch, dass er stark ist. Ich gebe gern zu, dass diess kein Gesetz verfeinerter Liebe ist; aber es ist Gesetz der Natur und geht als solches noch der Liebe selbst voran. (R.) - Ist das Weib dazu gemacht, dem Manne zu gefallen und sein Joch zu tragen; so ist es ihre Pflicht, sich demselben so angenehm als möglich zu machen und nicht durch trotziges Wider- streben seinen Unwillen zu erregen. Ihre ganze Gewalt liegt in ihren Reizen: nur durch diese muss sie ihn zwingen, seine Kraft zu fühlen und Gebrauch davon zu machen. Der sicherste Kunstgriff, diese Kraft zu beleben ist der: sie durch Widerstand notwendig zu machen. Die Eigenliebe gesellt sich dann noch zur sinnlichen Begierde, und der eine Teil sieht nun einen Triumph in dem Siege, den ihn der andere davon tragen lässt...« Zusatz von M.W.: »Statt aller erklärung über diese sinnreiche stelle bemerke ich nur, dass ich darin die filosofie der ausschweifendsten Sinnlichkeit erkenne.«

Ein vernünftiger mann - wir leben ja nicht in einem roman - mag sie als angenehmes, gelehriges wesen betrachten. Aber er wird sich nicht entschliessen, aus blosser neigung, eine ganze familie zu heiraten, so lange er noch unter vielen andern niedlichen geschöpfen wählen kann. Was muss nun aus ihr werden? Entweder wirft sie sich einem niedrigen glücksjäger in die arme, der sie unglücklich macht und ihre kinder um ihr väterliches erbteil bringt. Oder sie wird ein opfer von unmut und blinder zärtlichkeit. Im gefühl ihrer unfähigkeit auf die bildung ihrer söhne durch den eindruck einer achtung zu verwirken, die sie auch wirklich verdienen müsste, um ihnen dieselbe einzuflössen - es ist mehr als ein Wortspiel, wenn man sagt, dass menschen, selbst auf sehr bedeutenden posten, doch nie geachtet werden, wenn sie nicht wirklich achtungswürdig sind - dann schmachtet sie in fruchtloser ängstlichkeit und vergeblicher reue dahin. Ein wurm nagt an ihrem herzen, und die torheiten einer sorglos verbrachten jugend bringen sie mit kummer, und leider oft auch mit dürftigkeit ins grab.

Dieses beispiel ist nicht übertrieben. Ich bin überzeugt, jedem aufmerksamen beobachter werden dazu belege einfallen.

Dabei nahm ich erst noch an, dass es einem solchen weiblichen geschöpf nicht an gutem willen fehle. Der erfahrung nach kann der zufall einen blinden ebenso leicht in einen graben als auf die heerstrasse führen. Allein, wenn ein wesen, das man nur lehret, wie es gefallen sollte, auch jetzt noch seine höchste glückseligkeit im gefallen finden muss - welch ein beispiel von torheit, ich will nicht sagen laster, wird eine solche mutter nicht ihren töchtern sein! Sie ist ja gar nicht mutter - sie ist ja bloss kokette! Statt ihre töchter als freundinnen zu erwerben, kann sie in denselben nur nebenbuhlerinnen sehen - nebenbuhlerinnen, die ihrem misstrauischen blick fürchterlicher als jede andere sind, weil sie immer auf eine ihr nachteilige vergleichung führen und am ende allemal ein weib vom thron der Schönheit vertreiben müssen, das sich nie nach einem sitz auf dem stuhl der vernunft umgesehen hat!

Es bedarf weder lebhafter farben noch einer Überladung des gemäldes, um all das häusliche elend und die torheiten, die eine solche vorsteherin in einer familie verbreitet, darzustellen. Bei dem allen verfährt sie gleichwohl nur so, wie ein weib verfahren muss, das nach dem system Rousseaus erzogen worden ist. Nie wird man ihr den vorwurf machen dürfen, dass sie ins gebiet der männer streife oder dass sie ihren wirkungskreis überschreite. Ja sie kann dabei, einer andern vorschrift jenes schriftstellers zufolge, ihren guten namen auf das sorgfältigste von jedem flecken (einer bösen nachrede) rein erhalten und daher für eine im grunde gute frau gelten. Worin mag wohl diese güte liegen? Es ist wahr, sie enthält sich, ohne dass es ihr viel überwindung kostet, aller groben verbrechen. Allein die frage ist: wie erfüllt sie ihre pflichten? - Pflichten! Ja fürwahr, sie hat damit schon genug zu tun, wie sie ihren körper herausputzen und in einem kränkelnden zustand erhalten will!
In hinsicht auf religion nimmt sie sich nie heraus, für sich zu urteilen. Nein, sie unterwirft sich, wie es ein so abhängiges geschöpf tun muss, in dem frommen glauben, dass klügere köpfe als der ihrige diese angelegenheit schon ins reine gebracht hätten, den gebräuchen der kirche, in welcher sie erzogen ist: jedem zweifei zu entsagen ist für sie der gipfel der vollkommenheit! Sie bringt demnach ihren zehnten in münze und in kümmel - und danket gott, dass sie nicht ist wie andere weiber! Das sind die gesegneten folgen einer guten erziehung! Das sind die tugenden der gehilfin des mannes![20]

Doch ich kann bei einem bild, das mich traurig macht, nicht länger verweilen. Um mich wieder aufzuheitern, zeichne ich noch ein anderes gemälde: Stellen wir uns einmal ein mädchen von ganz gewöhnlichem verstand vor: ihre gesundheit sei durch ausbildung und bewegung des körpers zu der erforderlichen stärke und dieser eben dadurch zu seiner vollen kraft gediehen: ihre seele sei dabei durch stufenweise entwicklung dergestalt erweitert worden, dass sie ihre sittlichen pflichten aus gründen begriffen hat und dass sie weiss, worin menschliche tugend und würde besteht.
Gebildet durch gewissenhafte erfüllung einer jeden pflicht des postens, auf welchem sie bisher stand, tritt sie nun in einen neuen ein: sie wählt einen gatten nach neigung, ohne dabei die klugheit aus dem gesicht zu verlieren. Bei ihren schon im voraus berichtigten begriffen über wahres eheliches glück wird es ihr leicht, sich der achtung ihres mannes weit früher zu sichern, als es notwendig werden kann, niedrige künste spielen zu lassen, um ihm noch zu gefallen und eine flamme anzufachen, welche die natur zum verlöschen verurteilt hat, sobald vertrautere bekanntschaft entsteht, sobald freundschaft und sanftes wohlwollen an die stelle einer glühenden Zärtlichkeit treten. - So stirbt die liebe eines natürlichen todes, ohne dass dabei der häusliche friede durch kämpfe, die ihren abschied hindern wollen, unterbrochen würde. Ich setze voraus, dass auch ihr gatte ein rechtschaffener mann ist. Ist er das nicht - nun, dann kann sie eigene, unabhängige grundsätze vollends gar nicht entbehren. Doch, das Schicksal löst dieses band. Sie ist nun witwe, ohne sich hinreichend versorgt zu wissen. Sie fühlt natürlich den schlag. Mutlos aber wird sie nicht; Sobald die zeit einigermassen ihren schmerz herabgestimmt hat, kehrt ihr herz mit doppelter zärtlichkeit zu ihren kindern zurück. Ihr wunsch ist, sie gebildet und versorgt zu sehen. Und dieser muttersinn drückt allem, was sie für dieselben tut, ein heroisches gepräge auf. Sie weiss, dass ihre bemühungen dem auge dessen nicht verborgen sind, von dem sie jetzt ihr wahres glück erwartet und dessen beifall seligkeit ist, ja ihre fantasie, durch leiden zu einem höhern flug begeistert, hat sich der hoffnung schon vertraut, dass selbst die augen, die ihre hand zudrückte, noch auf sie herabblicken und sehen, wie sie jeden unmut und jede leidenschaft bekämpft, um doppelte pflichten zu erfüllen: um ihren kindern jetzt auch vater zu sein, wie sie ihnen immer mutter war... von nun an tut sie ganz verzicht darauf, zu gefallen, und das bewusstsein ihrer würde sichert sie selbst gegen jeden eitlen stolz auf ein lob, das ihrem betragen gebührt. Ihre kinder besitzen ihre ganze liebe - und ihre hoffnungen sucht sie jenseits des grabes in einer zukunft, in die sich ihre fantasie oft verliert... Hat sie das tagwerk ihres lebens verbracht - dann kann sie ruhig dem tod entgegensehen, und, wenn sie aus dem grab aufsteht, sagen: »Siehe, herr, du gabst mir ein talent, und hier sind fünf talente.«...

Ich gebe zu, dass den weibern sehr verschiedene pflichten obliegen können. Immer sind es aber menschliche pflichten, und die grundsätze, auf denen ihre verbindlichkeit beruht, müssen, dabei bleibe ich, dieselben sein.

Um achtung zu verdienen, wird auch bei frauenzimmern ausbildung des verstandes erfordert. Eine andere grundlage für unabhängigkeit des charakters gibt es nicht. Auch sie müssen, um es deutlicher zu sagen, nur die vernunft anerkennen und dürfen nicht länger bescheidene sklavinnen des herkommens sein. Woher kommt es, dass wir in den höhern ständen so selten männer von höhern talenten, ja selbst nur von gewöhnlicher geschicklichkeit antreffen? Mir ist diese ursache begreiflich: die leute werden schon in einem unnatürlichen zustand geboren. Der charakter eines menschen bildet sich jedesmal durch die geschäfte, die der ganze stand, zu dem er gehört, betreiben muss oder ihm auch für seine person eigen sind. Wenn sein verstand nicht durch bedürfnis geschärft wird, so bleibt er stumpf. Man kann dieses raisonnement gut auf die weiber anwenden. Auch sie findet man nur selten mit ernsthaften dingen beschäftigt. Das jagen nach vergnügen gibt auch ihrem charakter das unbedeutende, was den Umgang mit grossen so unschmackhaft macht. Derselbe mangel an festigkeit, der in beiden aus einerlei quelle kommt, zwingt jene so wie diese, vor sich selbst zu fliehen und bei lärmenden freuden und erkünstelten leidenschaften so lange zuflucht zu suchen, bis eitelkeit jede gesellige empfindung verdrängt hat und vom gepräge der menschlichkeit kaum noch etwas zu erkennen ist. Das sind die schönen früchte unserer gegenwärtigen verfassungen! Luxus der grossen und weichlichkeit der weiber fliessen beide aus derselben quelle und wirken in gleichem masse zur herabwürdigung des menschengeschlechts.

Lasst dies nicht ferner also sein! Anerkennet die weiber als vernünftige geschöpfe und muntert sie auf, sich tugenden zu erwerben, die sie mit recht als die ihrigen betrachten dürfen. Denn wie könnte wohl ein vernünftiges wesen durch andere vorzüge als solche, die es durch eigne kraft errungen hat, wahren adel erlangen?