Kapitel 25 - 28

Gwen St. Aubyns religiöser Glaube fand ein Echo in Vitas Suche nach Integration. Als Harold in Amerika war, schrieb sie ihm — für sie ganz untypisch: »Ich bete für dich jeden Abend, jeden Morgen und in Abständen tagsüber.« Als Nigel ihr in einem Ge­spräch im Januar 1935 berichtete, was Religion betreffe, befinde er sich »auf der Grenzlinie«.. sagte sie. »das gilt auch für mich«. In dieser Atmosphäre beschloß sie, ein Buch über Johanna von Orleans zu schreiben. »Ich beneide Gwen, die ehrlich an die Wirksamkeit des Betens glaubt. Das tue ich nicht, ich kann es nicht, aber ich bete trotzdem.«
Im Februar 1935 fuhr sie mit Gwen nach London, die in der Römisch-Katholischen Kirche gefirmt wurde, und wünschte, sie könne »ernsthafter mitempfinden«. Vita blieb im Auto und las ei­nen Roman, während Gwen die Beichte ablegte, wohnte jedoch der Firmung bei, wobei sie sich »als völlig Außenstehende fühlte«. »Ich möchte verstehen können, was das alles für Menschen bedeutet, die wirklich glauben«, schrieb sie an Harold. Ihre Neugier und Ambi­valenz lenkten sie in ihren Forschungen über Johanna von Orleans: »Sie führt einen zu allen Arten ergänzender Lektüre, wie, zum Bei­spiel, Bücher über die Psychologie anderer Visionäre.«
Im April fuhren Harold, Vita, Gwen und Nigel mit dem Auto durch Frankreich nach Marseille und bestiegen ein Kreuzfahrtschiff nach Griechenland; ihr alter Freund Hugh Walpole war an Bord. Harold hielt den Passagieren Vorträge über Sehenswürdig­keiten in Griechenland, und auf der Rückreise sprach Vita über moderne Dichtung. Anschließend trafen sie mit ihrem Chauffeur Copper in Rom zusammen, und Nigel und Harold kehrten mit dem Zug zurück, währen Vita und Gwen gemächlich mit dem Auto durch Frankreich fuhren. Vita wollte die Wirkungsstätten Johan­nas, Orleans und Domremis, besichtigen und in Paris Bücher über sie kaufen, die sie für ihre Arbeit benötigte. Anfang Mai waren sie rechtzeitig wieder in Sissinghurst, um die Glockenblumen blühen zu sehen, und Vita begann sogleich, ihr Buch zu schreiben.
Das Hauptprojekt in Sissinghurst war in diesem Jahr die Vollen­dung des »großen Raums« (jetzt die Bibliothek genannt), ein Um­bau des Torhaus-Blocks, der mit einer Tür versehen wurde, die auf den Turmhof führte. In den 30er Jahren war das Gebäude ein Stall für Kutschpferde gewesen. An einem Ende ließen sie ein großes Fenster brechen, und aus Resten eines elisabethanischen Kamins, den sie im Garten vergraben gefunden hatten, ließen sie einen neuen aufbauen. Als Harold den neuen Raum vor Vitas Rückkehr aus Frankreich besichtigte, war er wenig glücklich. Ihm gefielen die Proportionen nicht, und er wußte, daß er ihnen nie so ans Herz wachsen würde wie das große Zimmer in Long Barn: »Der Raum wird immer etwas von einer Krankenstation in einer türkischen Ka­serne an sich haben.«
Im Sommer, als Harold mit Ben in den Vereinigten Staaten war, begann Vita den Raum zu möblieren. Die Jungfrauen-Statue des jugoslawischen Bildhauers Rosandic aus Walnußholz bekam ihren Platz; sie war Gegenstand ihrer Gedichte »Vestal Virgin« und »Absence«. Ein Bleiguß dieser Statue stand im Garten vor dem Fenster des Speisezimmers. Von ihrer Mutter bekam sie einen schöne Lapislazuli-Tisch und andere Stücke aus Long Barn. (Long Barn war möbliert an Sidney Bernstein vermietet worden; um ihre finan­zielle Situation zu erleichtern, hatte B.M. das Anwesen nominell für 8000 Pfund von ihnen gekauft, doch es war kein legaler Kauf. Vita kassierte die Miete, bezahlte die Steuern und überwies B.M. den Restbetrag.) Nachdem sie ihr Bestes getan hatte, mußte auch sie zugeben, daß sie gescheitert war, als sie am 20. Juli an Harold schrieb: »Dies ist eine Vorwarnung: Das große Zimmer ist ein Rein­fall. Ich kann mir noch soviel Mühe geben, ich kriege es nicht so weit, daß es stimmt.«
Sie füllten die neuen Regale mit ein paar Hundert ihrer Tausende von Büchern und versuchten, den Raum zu nutzen. Doch als regel­rechtes Wohnzimmer der Familie wurde er bald aufgegeben. Die Nicolsons nahmen ihr fragmentarisches Familienleben wieder auf: das Eßzimmer im Priesterhaus war der einzige Raum, wo sie leicht zusammenkommen konnte, aber das auch nur zu den Mahlzeiten.
Im vorigen Sommer hatte Vita im Observer Dorothy Wellesleys Poems of Ten Years 1924-1934 ermutigend besprochen. Nun erfuhr Dottie plötzlich Ermutigung durch eine ganz außerordentlich pro­minente Stimme. Ottoline Morrell führte W.B. Yeats in Poems-in-the Rocks ein: Yeats fand sowohl an Dottie als auch an ihren Ge­dichten Gefallen, und sie wurden rasch Freunde. Der siebzigjährige Yeats sammelte Material für sein Oxford Book of Modern Verse. Da er mit den zeitgenössischen Strömungen keine Berührung hatte, folgte er Dotties Rat in Hinblick darauf, welche Autoren er berück­sichtigen sollte. Die Gedichte Dotties, die er in seine Anthologie auf­nahm, füllten nicht weniger als siebzehn und eine halbe Seite, und er glaubte, wie er ihr sagte, daß sie »das Zeug zu einer großen Dich­terin« habe.
Das war genau das Stimulans, das Dottie brauchte. Sie dürfte auch im großen und ganzen nicht ungehalten darüber gewesen sein, daß man Yeats gewaltsam zu einer anderen Ansicht über das Werk ihrer berühmten Freundin bekehrt hatte. Der Dichter schrieb ihr am 6. Juli: »Ich nehme zurück, was ich über deine Freundin Sackville-West gesagt habe, nachdem ich auf >The Greater Cats< [aus Kings Daughter] gestoßen bin: das Gedicht hat ein irrationa­les Element, das in der Alltagssprache nicht enthalten ist. Es ist sehr bewegend.«[1] Er nahm es in seine Anthologie auf.
Ende Oktober lud Dottie Vita nach Penns ein, damit sie Yeats kennenlernen konnte. Diese Aussicht entzückte Vita nicht übermä­ßig, aber »ich werde wohl mal hingehen, und den alten Mann würde ich gern kennenlernen«. Sie war erschöpft, da sie bis in die späten Nächte an ihrem Johanna-Buch gearbeitet hatte. Über ihren Eindruck von Yeats schrieb sie an Harold:
»Er ist ein Mensch, der zur Plauderei gänzlich unfähig ist, sondern entweder stumm bleibt oder sich geradewegs über die Dinge ausläßt, die ihm wichtig sind. Er hat so wenig Verbindliches an sich, daß er noch nicht einmal >Wie geht es Ihnen?< sagt, wenn man her­einkommt. Er sitzt bloß auf dem Sofa, betrachtet zwei Minuten stumm seine Fingernägel, und dann erzählt er einem Geschichten über Manley Hopkins oder Lady Gregory oder Gogarty oder erläu­tert seine Ansichten über T. S. Eliot und les-jeunes.«
Er las ihnen auch einen Teil der Einleitung zu seinem Oxford Book vor. »Ein stattlicher Mann«, schrieb Vita in dieser Nacht in ihr Tagebuch, »mit einem schönen Gesicht, doch unglücklicherweise auch mit einem schönen Bäuchlein.«
Anfang 1935 schrieb Virginia in munter-nostalgischem Ton an Vita: »Mein Kopf ist voller Träume von romantischen Treffen. Weißt du noch, wie wir einmal in Kew in einem Purpurhagel saßen?« Im März hatte Virginia sich mit der Situation abgefunden; in ihrem Ta­gebuch sprach sie vom »Abfall Vitas«.
»Meine Freundschaft mit Vita ist vorbei. Sie endete nicht mit einem Streit oder einem Knall, sondern wie der Fall einer reifen Frucht... Aller ihre Stimme, die außerhalb des Turmzimmers >Virginia?< sagte, war bezaubernd wie immer. Bloß, daß dann nichts geschah. Und sie ist sehr dick geworden, hat sehr viel von einer trägen Lady vom Land, heruntergekommen, will jetzt von Büchern nichts mehr wissen; hat keine Gedichte geschrieben; fängt nur Feuer, wenn's um Hunde, Blumen und neue Gebäude [in Sissinghurst] geht... Und ich empfinde keine Bitterkeit, nur eine gewisse Leere.«[2]
Daß Vita nicht mehr so gut aussah, betrübte Virginia mehr als alles andere. Im November sahen sie sich in London, und Virginia schrieb an Ethel Smyth, sie könne Vita einfach nicht verzeihen, daß sie »so stark geworden« sei:
»Mit solchen Tomatenwangen und diesem dicken, schwarzen Bart - das war gewiß nicht nötig: und der Teufel will es, daß es ihre Au­gen beeinträchtigt, wegen deren strahlender Schönheit ich sie zu­erst liebte... aber sie bedeutet für mich immer noch Bescheidenheit und Sanftheit, wenn auch nicht mehr verkörpert, sondern sozusa­gen wie ein Nimbus über ihr schwebend.«[3]
Harold sorgte sich weniger um ihr Aussehen. Er war besorgt über ihre Weigerung, Menschen zu sehen. Im Februar hatte er sie wegen ihrer »Liebe zur Einsamkeit« getadelt:
»Es fängt damit an, daß du etwas gegen Ansammlungen von Men­schen hast, dann gehst du dazu über, Parties zu hassen, bald da­nach ist sogar die Gesellschaft deiner Freunde anstrengend, nie­mand fühlt sich ermutigt zu kommen, und schließlich betrachtest du jedes lebende Wesen als Störung deiner Einsamkeit, und ich und Ben und Niggs, wir werden uns vorkommen, als seien wir uner­wünscht. Was für uns ein Unglück wäre. Mein Schatz — ich fürchte sehr, daß es soweit kommt.«
Er machte sich immer noch Sorgen darüber, als sie im Frühjahr mit Gwen in Frankreich war: »Ich wünschte, ich wüßte, wie weit deine Abscheu vor Anhänglichkeit geht. Auf der einen Seite steht bei dir die Abneigung, ein Anhängsel zu sein. Andererseits muß es doch so­gar dir gefallen, zu spüren, wie wichtig es anderen Leuten ist, was mit dir geschieht... Ich habe eine sehr schwierige Aufgabe.« Vor al­lem deshalb, weil er nicht einmal mehr wußte, welche Anschrift er auf die Briefumschläge schreiben sollte: Sie zog es jetzt sogar in ih­rer privaten Korrespondenz vor, nicht mehr »Die Ehrenwerte Mrs. Harold Nicolson« zu sein, sondern »Die Ehrenwerte V. Sackville-West«. Ein Tagebuch-Gedicht, das sie vor zwei Jahren nach ihrer Rückkehr aus Amerika in ihrer unfruchtbaren Zeit geschrieben hatte, beschreibt die seelische Verfassung, die allmählich zu einer so auffälligen Entfremdung vom gesellschaftlichen Leben geführt hatte. Es trägt im Tagebuch das Datum 16. Mai 1933, und es drückt das aus, was jetzt in erster Linie ihr Gefühlsleben beherrschte:

Tage, die ich lebe, sind Tage, an denen nichts geschieht.
Wenn auf meinem Terminkalender keine Verabredungen stehen.
Wenn niemand kommt, um meinen Seelenfrieden zu stören.
Wenn niemand mich von mir selbst entfernt
Und mich in ein Flickwerk verwandelt oder in ein Puzzle.
Einen zerbrochenen Spiegel, der einst ein getreues Abbild gab.
Wenn ich nicht schauspielern muß, damit es nicht zu lange dauert.
Um mich selbst zurückzugewinnen, wenn sie gegangen sind.
Die Jahre sind zu karg bemessen, das Leben ist zu kurz,
Um Stücke meiner selbst an Freunde zu verteilen.
Was kann ich ihnen gehen, wenn sie Zuflucht suchen?
Verlegenheit und Schüchternheit und ein Bruchstück nur.
Kein echtes Stück von mir, nutzlose Scherben.
Den Abfall meiner selbst, denn mein Leben gehört mir
Wie ihnen wohl die ihren - und sie können sich nicht treffen.

Es verletzte Harald am meisten, daß sie offenbar selbst an den Din­gen kein Interesse hatte, die ihn betrafen. Für ihn bestand noch im­mer die dringende Notwendigkeit, in das öffentliche Leben zurück­zukehren: im Juni hatte er telephonisch erfahren, daß er es nicht geschafft hatte, von der Konservativen Ortsgruppe in Sevenoaks als Parlamentskandidat angenommen zu werden. Zu dieser Zeit war Vita im Zimmer, doch »sie kümmerte sich gar nicht darum, sondern spielte nur mit Martha, dem jungen Hund, den ich ihr aus Uckfield mitgebracht habe... Es ist so, als ob sie überhaupt nicht gemerkt habe, daß dies eine endgültige Entscheidung zwischen Po­litik und Literatur bedeuten könnte. Seltsam, sehr seltsam.« (Vita nahm die Politik nicht ernst. Literatur war für sie viel wichtiger.) Harold war verärgert und enttäuscht. Er hatte Sehnsucht nach sei­nem alten Platz im Außenministerium. »Hier unten fühle ich mich schrecklich aus allem heraus und in einer Sackgasse.«
In diesem Sommer fuhr er ins Ausland, schrieb Helenes Tower* (* Erschienen 1937: dt.: Rose und Sporn. Porträt eines Vizekönigs (1938) [Anm. d. Übers.]) und amüsierte sich mit Victor Cunard in Paris und Venedig. Aber »ich möchte dich keine Spur anders haben«, schrieb er an ihrem Hochzeitstag an Vita: und fast um die gleiche Zeit im Herbst nahm seine politische Zukunft Gestalt an. Italiens Invasion in Abessinien erfüllte ganz Europa mit Unruhe; ihm wurde angeboten, im Wahl­kreis West Leicester für die National Labour Party zu kandidieren.
Mitte Oktober war Vita wieder in Frankreich, um für ihr Jo­hanna-Buch zu recherchieren. (Auf dem Heimweg liefen sie und Gwen im Pariser Ritz Violet Trefusis in die Arme; sie befand sich am nächsten Tag auch auf derselben Kanalfähre. »Gehe ihr aus dem Weg«, schrieb Vita in ihr Tagebuch.) Während sie fort war, schrieb ihr Harold wegen seiner Kandidatur. Er hatte finanzielle Probleme wegen der Wahlkosten und bat sie, ihm 500 Pfund zu lei­hen. Sie war sehr wohl bereit, ihm zu helfen, aber sie hatte nicht die Absicht, als sein »Anhängsel« in den Wahlkampf miteinbezogen zu werden: Das betrachtete sie ausschließlich als seine Aufgabe. Es war peinlich für Harold, obgleich er den Organisatoren in West Leicester klargemacht hatte, daß seine Gattin an Politik nicht interes­siert sei. Trotzdem schrieb er ihr: »Liebling, ich fürchte, du wirst zweimal herkommen müssen, da sie hier sehr bigott sind und glau­ben werden, wir seien geschieden. Ich habe andeutungsweise ge­sagt, du seist nicht recht gesund und für ein paar Wochen nach Frankreich gereist. Aber ich fürchte, du wirst hier mindestens zwei­mal erscheinen und auf dem Podium sitzen müssen.« Am ersten Wochenende nach ihrer Rück kehr erfüllte die Kluft zwischen seiner Erregung und ihrer Distanzierung sie beide mit Schrecken. Am Sonntagabend hatten sie »ein qualvolles Dinner«. »Sehr unglück­lich über alles«, schrieb Vita in ihr Tagebuch. Aber trotzdem mochte sie sich nicht bereit erklären, nach Leicester zu fahren. Am Tag daraufschrieb sie ihm dorthin:
»Ich fürchte, du bist gekränkt abgefahren, und das finde ich schreck­lich. Es lohnt nicht, alles zu wiederholen, und deshalb tue ich das nicht. Nur möchte ich sagen, daß ich abgesehen von dem, was du >prinzipiell< nennst, wirklich meine, ein einziger Auftritt in Leicester wäre schlimmer als gar keiner, weil das so unlogisch wäre, und daß es, wenn du durchkommst, was ich aufrichtig hoffe, nach der Wahl zu Basaren und dergleichen fuhren würde... Weißt du auch noch, was ich gestern abend sagte? Daß mir dein Schreiben immer sehr, sehr am Herzen gelegen hat, und mehr noch deine Rundfunksen­dungen (bring mich nicht um!): und meine Bewunderung für deine sehr seltene Begabung, die ich viel höher bewerte als du, ist groß und immer von der tiefsten Anteilnahme begleitet worden. Also laß nicht die Vorstellung mit dir durchgehen, daß ich mich, wie du sagtest, >niemals interessiert habe< für die Dinge, die dir am Herzen liegen.«
Die Wahrheit war, daß Vita dort an den Dingen Anteil nahm, die ihm am Herzen lagen, wo sie sich mit ihren Interessen berührten. Diplomatie und Politik zählten nicht dazu. Harold antwortete, er sei nicht gekränkt. »Nur verwirrt und ziemlich ärgerlich. Ich be­greife deinen Standpunkt wirklich nicht, aber ich glaube nicht, daß der Beweggrund Selbstsucht im gewöhnlichen Sinne ist — nur selbstsüchtig insoweit, als es meine Bedürfnisse und Schwierigkei­ten ignoriert.« Er sagte seinem Wahlkampfmanager, seine Gattin stehe »nicht zur Verfügung« — was nach seinem Gefühl nicht ganz gelogen war. Ben und Nigel (der jetzt auch auf dem Balliol College war) fuhren nach Leicester, um am Wahltag bei ihrem Vater zu sein. Vita blieb zu Hause und schrieb täglich, manchmal zweimal am Tag, Briefe der Liebe und Aufmunterung an Harold. Er riet ihr, nicht solange aufzubleiben, bis die Wahlergebnisse bekanntgege­ben würden: »Meine einzige liebste Viti - du bist jetzt mit Briefen und Telegrammen so aufmerksam gegen mich gewesen. Es ist wirk­lich etwas anderes, wenn man spürt, daß du wirklich Anteil an meinem Schicksal nimmst. Manchmal glaube ich, du tust es nicht.« »Natürlich werde ich aufbleiben und Radio hören«, erwiderte Vita; und in den frühen Morgenstunden des 15. November hörte sie, daß Harold mit einer Mehrheit von 87 Stimmen gewählt worden war.
Harold war Mitglied des Unterhauses. Er hatte das erreicht, was er am meisten gewollt und gebraucht hatte. Er konnte sich fröhli­chen Herzens wieder auf die Differenzen zwischen sich und Vita einstellen, Differenzen, die bei anderen Ehepaaren inzwischen zu unversöhnlichen Widersprüchen geführt haben würden. In Eile und Aufregung schrieb er ihr am 16. Dezember auf Unterhaus-Schreibpapier:
»Ich werde in diesen Tagen nicht oft schreiben können, was ich hasse. Oh, mein Liebling, ich liebe dich so, du meine alte verrückte, liebste, liebste Viti. Ich glaube nicht, daß jemals ein Mensch so überschwenglich ge­liebt worden ist wie du von mir. Aber du glaubst das alles nicht, weil das, was du liebst, Leidenschaft ist. von der nicht das Geringste ver­geudet werden soll. Wirklich echte Eifersucht und Messer. Das ist es, was Mar gefällt. Alles andere ist bloß dein alter Lehnstuhl.«
Ende Januar 1936 machte sich Vita wieder Sorgen wegen Gwen, die sich einer weiteren Operation unterziehen mußte. Während sie in London den Ausgang der Operation abwartete, wurde Vita in Kings Bench Walk von Miss Macmillan, ihrer neuen Sekretärin, von Sissinghurst aus angerufen. (Hilda Matheson hatte eine ihren Fähigkeiten entsprechende Stellung als Sekretärin beim »African Survey«. dem Sir Malcolm Hailey vorstand, gefunden.) »Mac«, wie jeder Miss Macmillan nannte, sagte Vita, daß B. M. in White Lodge gefährlich erkrankt sei. Vita erreichte das Krankenbett ihrer Mut­ter, kurz bevor B.M. starb. Harold traf ein wenig später ein: »Bringe Viti in das Nebenzimmer... Sie hat eine rührende kleine Botschaft in Maschinenschrift hinterlasssen, daß sie verbrannt werden und ihre Asche ins Meer gestreut werden solle. Viti ist sehr verstört und erschüttert, aber innerlich, so glaube ich, erleichtert.« Die Jungen kamen aus Oxford: Vita legte großen Wert darauf, daß sie ihre Großmutter sahen, vielleicht weil sie ein paar Tage zu­vor so gerührt gewesen war, als sie in Westminster Hall den aufge­bahrten Leichnam Georges V., gesehen hatte.* (* König George V. starb am 20. Januar 1936 [Anm. d. Übers.]) Danach schrieb sie an Nigel:
»Ich bin froh, daß ihr nach White Lodge gekommen seid und euch mit dem Tod auseinandergesetzt habt. Ich glaube, er wird euch jetzt niemals mehr einen Schrecken einjagen. Wie du sagtest, ist er etwas sehr Stilles und Natürliches. Besonders etwas Stilles. >Nach des Lebens launenhaftem Fieber schläft er ruhig. < Ich glaube, daß Großmamas Leben ein launenhaftes Fieber war, aber auch, daß sie jetzt ruhig schläft. Ich glaube auch, daß all ihre Fehler ihr verzie­hen sind und man sich nur an ihre Tugenden erinnern wird. Dafür habe ich gebetet, als ich neben ihrem Bett kniete.
Ihr beide wart so gut zu ihr und verständnisvoll, und dafür werde ich euch immer dankbar sein. Ich darf gar nicht daran denken, wie sehr es mich geschmerzt hätte, wenn meine Söhne schreckliche Zy­niker gewesen wären, die meine sehr schwierige Mutter kein biß­chen verstanden hätten! Aber ihr habt sie verstanden, und mein einziger Kummer ist, daß ihr sie nicht in jenen Zeiten erlebt habt, als sie wirklich heiter und bezaubernd war. Dann hättet ihr sie so sehr geliebt wie ich. Ich liebte sie wirklich, Niggs, und ihr Tod geht mir schrecklich nahe, obgleich ich weiß (mit dem Verstand), daß er das Beste für sie ist.«
»Betäubt«, wie sie in ihrem Tagebuch schrieb, kehrte Vita an Gwens Krankenbett zurück. Harold streute, assistiert von B.M.'s Sekretär, die Asche ins Meer. »Vermisse B. M.«, schrieb Vita traurig am 9. März, ihrem vierundvierzigsten Geburtstag.
Dennoch hatte sie sich aufgemacht und dreißig neue Wellensitti­che für ihr Vogelhaus gekauft und zweihundert Forellen für den See bestellt. Die Lindberghs waren in England, und sie kamen überein, Long Barn zu mieten. Vita war erfreut. »Sie sind reizend und wirrköpfiger, als ich es für möglich gehalten hätte. Ich habe ihre sämtli­chen Angelegenheiten in die Hände genommen, habe sogar ihre Kohlen bestellt! Offenbar haben sie sich schon in Long Barn ver­liebt.« Saint Joan of Ar wurde beendet und an den Verlag Cobden-Sanderson geschickt, wo das Buch mit einer Widmung für Gwens Tochter, Philippa, erschien.
B. M. s Tod verbesserte die finanzielle Situation der Nicolsons erheblich, wenngleich sie Wertpapiere im Wert von 46 000 Pfund verkaufen mußten, um die Erbschaftssteuer zu bezahlen. »Du wirst mit 5000 Pfund jährlich brutto und dem, was du verdienst, in guten Verhältnissen leben«, teilte Harold Vita mit. Die Jungen würden jeder 1000 Pfund im Jahr haben, was sie unabhängig machen würde. Doch Vita machte sich Sorgen, daß der von ihr so verehrte Ben so gleichgültig und offensichtlich ohne Zielstrebigkeit war. Es gefiel ihr nicht, daß er sich nicht sportlich betätigte, sich nur gelegentlich rasierte und Dinge zu tun vergaß, um die man ihn bat. Sie war erleichtert, als er im Sommer bei seinen Abschlussprüfungen in Oxford als Zweiter abschnitt; weiterhin liebte sie an ihm eine »Art Unschuld und Idealismus und Reinheit... ich meine, er ist so ganz ohne Zynismus und Blasiertheit.« Zynismus wurde in zunehmendem Maße die Hauptsünde in ihrem Wertsystem und »Charakter« ihre bevorzugte Tugend. Sogar Harold gab sie den ernsten Rat, wie wichtig es sei, im Unterhaus »wohlüberlegte Äußerungen« zu ma­chen: »Ich denke, das ist es, was einem auf lange Sicht im öffentlichen Leben Respekt verschafft, mag man auch noch soviel Geist und Verstand haben, über die du ja ausreichend verfügst. Und speziell du hast soviel davon, daß die Leute dazu neigen könnten, dir zu mißtrauen - du weißt, wie die Engländer sind.« Die »engli­sche«, konservative Seite ihres Wesens trat stärker hervor, während das unzuverlässige »Zigeuner«-Element zurückgedrängt wurde. In kleinen Dingen rückte sie politisch mehr nach rechts und hatte, zum Beispiel, keine Geduld mit Lady Hastings, dieser »entsetzlichen Frau«, die kam, um für »die Roten« im Spanischen Bür­gerkrieg zu sammeln. Sie hatte wenig Sympathie für die Zwangs­lage, in die sich der neue König Eduard VIII. mit Mrs. Simpson gebracht hatte und die Ende des Jahres zu seiner Abdankung führte.* (* Eduard VIII. (1894-1972) seit Januar Nachfolger von George V.. mußte wegen seiner Freundschaft mit der zweimal geschiedenen Amerikanerin Wallis Warfield-Simpson be­reits am 11. Dezember abdanken [Anm. d. Übers.].) »Das all das geschehen konnte wegen eines solchen billi­gen Unsinns! Natürlich hätte sie das nie zulassen dürfen, und jede anständige Frau hätte es verhindert.« Vita haßte das, was sie »die moderne Welt« nannte. Im Gegensatz zu Harold haßte sie den Ulys­ses. Ihr Arzt, den sie wegen einer kleinen Unpäßlichkeit aufsuchte, sagte ihr, sie sei in den Wechseljahren.
Am 27. Mai 1936 fuhr Vita nach London, um eine Forellenangel zu kaufen, das erste Exemplar von Saint Joan of Arc beim Verlag abzu­holen und um mit Virginia zu speisen: diese fand Vita »sehr stabil, körperlich wie seelisch. Ich finde keine Unlauterkeit oder Verände­rung; aber freilich hat sich meine Beziehung zu ihr nie geändert: immer liebevoll«, schrieb sie an Ethel Smyth. Virginia stand kurz vor einem weiteren ernsten Anfall ihrer Nervenkrankheit, und tat­sächlich regte sie Vitas Besuch so auf, daß sie anschließend Chloral nehmen mußte. Sie bat Ethel, Vita nichts davon zu sagen.
Ethel Smyth mißfiel Saint Joan of Arc sehr, und sie schrieb das auch der Verfasserin. Sie sei »verärgert« und »sprachlos«, daß »die Person, die Passenger to Teheran verfaßt« habe, ein nach ihrer Mei­nung so schlechtes Buch habe schreiben können. Sie hatte den Ver­dacht, Vita habe sich zu sehr auf die Ansichten von Gwen St. Aubyn gestützt. Christopher St. John bat eigens darum, Vitas Buch für den New Statesman rezensieren zu dürfen, dessen Feuilletonredakteur Raymond Mortimer war. In ihrem Liebes-Tagebuch verdammte Christopher Vitas »unerträglich herablassende Haltung gegenüber einer Heiligen Gottheit« und bezeichnete das Buch als »schwach und unschlüssig, langatmig« und voll von »schwächlicher Fröh­lichkeit«. Ihre Kritik war entsprechend scharf.
Auch Virginia mochte Vitas Buch nicht; Vita gegenüber nannte sie es »ein festgefügtes und geschlossenes Werk«, und in einem Brief an Ethel bezeichnete sie es als »ordentliche Fleißarbeit«. Doch in England und in den Vereinigten Staaten wurde es Buch des Monats, und die Kritiken waren meistens respektvoll. Was Vitas Freundinnen eigentlich beklagten, war ihre Hinwendung zu einem Thema, für das sie nach ihrer Meinung schlecht geeignet war und das sie nur wegen der religiösen Ansichten ihrer Schwägerin aufge­griffen habe.
Tatsächlich war das Thema sehr wohl Vitas Stimmung und Inter­esse angemessen, ganz abgesehen von der Tatsache, daß sie die greifbare Sekundärliteratur solide verarbeitet hatte. Johannas klare Entscheidung für männliche Kleidung konnte sie gut verste­hen, und sie deutete Johanna als »sonderbare Mischung aus weibli­chen und männlichen Eigenschaften, rücksichtslos den Feind an­greifend und weinend, wenn sie seine Wunden sah«. Es war leicht für sie, sich in Johannas widerspenstiges, glühendes Naturell einzu­fühlen. Sie war ganz aufrichtig, als sie über Johannas Beziehung zum Dauphin schrieb: »In den Augen lauwarmer Menschen sind leidenschaftliche Menschen immer eine Plage. Aalglatte Menschen betrachten dynamische Menschen immer... als eine Plage.« Dem Problem von Johannas Visionen und Stimmen näherte sie sich »im Geist völliger Aufgeschlossenheit und im Bewußtsein unserer Un­wissenheit«, wie sie in der Einleitung schrieb; dort umriß sie auch ihre eigene religiöse Position:
»Ich selbst bin nicht das, was man im orthodoxen Sinne unter ei­nem >religiösen Menschen< versteht, und ich bin auch nicht Mit­glied einer Religionsgemeinschaft. Gleichwohl glaube ich, glaube ich fest, konfrontiert mit dem letzten Rätsel, an eine geheimnis­volle, zentrale, Leben schaffende Kraft, welche die natürliche Schwäche der menschlichen Natur notwendigerweise in einem Namen glaubt symbolisieren zu müssen, einem Amalgam aus Furcht und Trost.«
Diese Haltung war es, die der orthodoxen Katholikin Christopher St. John »herablassend« vorgekommen sein mag.
Zehn Tage nach Erscheinen von Saint Joan of Arc sah Vita in White Lodge die persönliche Habe ihrer Mutter durch und stieß da­bei auf ein paar Schriftstücke, »die mich in höchste Erregung ver­setzten«. Sie nahm sie mit nach Hause. Diese Papiere enthielten die Aussagen der spanischen Zeugen, die dem Gericht im Prozeß um das Knole-Erbrecht 1910 vorgelegen hatten. »Sie sind genauso wie die Zeugen im Fall der Johanna: alles Arbeiter und ähnliche Leute, die in einem kleinen Dorf in Spanien lebten. Ich habe sie noch nicht ganz durchgelesen, aber was ich gelesen habe, genügte, mir den Mund wäßrig zu machen. Sie alle sind Menschen, die Pepita und ihre Mutter gekannt haben.«
Sie ging zu den Familienanwälten und lieh sich die Protokolle und Akten des damaligen Erbstreites aus. Sie las alles, was sie über das romantische Leben ihrer zigeunerischen spanischen Großmut­ter in die Hände bekommen konnte. Am 20. August, nach dem Dinner, begann sie Pepita zu schreiben, jenen Roman, der das per­sönlichste, menschlichste und lebendigste ihrer Bücher werden sollte. Indem sie die Familiengeschichte über Pepita hinaus weiter­schrieb, nahm sie die Gelegenheit wahr, das komplexe Leben und die Persönlichkeit ihrer Mutter mit Humor und Scharfblick auszu­leuchten und künstlerisches Kapital aus ihrer eigenen Kindheit und ihrem sonderbaren Erbe zu schlagen. Sie erweckte die spani­sche Zigeunerin zum Leben, unterwarf sie den Regeln der Ge­schichte und der Kunst und brachte auf diese Weise, zum Guten oder Bösen, die Austreibung der spanischen Zigeunerin in ihrem Charakter zu einem Ende — eine Austreibung, die mit der Introvertiertheit ihrer mittleren Jahre ein Sissinghurst und vor allem mit dem Tod ihrer Mutter begonnen halte.

Kapitel 26

Vita versuchte ihren Hang zur Zurückgezogenheit zu bekämp­fen, um Harold eine Freude zu machen. Am ersten Sonntag im November 1936 hatten sie eine Invasion zu verzeichnen: »Peter Quennell*, Cyril Connolly und Mrs. C., Mrs. Quennell und einer der Paget-Zwillinge kamen am Morgen von Possingworth herüber; alle sehr schmutzig und angesäuselt.« (*  Peter Quennell (geb. 1905), Schriftsteller, Kritiker und Essayist. Verfaßte u.a. Arbeiten über Ruskin, Byron und Hogarth [Anm. d. Übers.]) Dann kamen Eddy und Eardley Knollys zum Lunch, Sam St. Aubyn und zwei seiner Töch­ter und Ozzie Dickinson zum Tee. Obwohl Vita die meisten dieser Leute als Einzelpersonen mochte, hatte sie, wenn sie zusammen auftraten, keine Freude an ihnen. »Ruhiger Tag in Sissinghurst«, war ihr bevorzugter Tagebucheintrag, ein Ausdruck, der zu einem Familienspaß wurde. Peter Quennell hat nach fast fünfzig Jahren seine Erinnerungen an das Treffen mit den Nicolsons an jenem Sonntag veröffentlicht. Wenn seine Begleitung Vita »schmutzig und angesäuselt« vorkam, so rief ihre Erscheinung bei ihren Gä­sten Erstaunen hervor. Ihre Befürchtungen, ihr Aussehen könne den Leuten sonderbar vorkommen, beruhten nicht nur auf Para­noia :
»Fülliger und ein wenig größer als ihr Gatte, der mit seinem fri­schen rosigen Gesicht, Pfeife und konventionellem Tweed-Jackett neben ihr ein wenig jungenhaft und studentisch wirkte, stellte sie sich als eine kraftvolle Mischung beider Geschlechter dar — Lady Chatterley und ihr Liebhaber in einer Person, wie nach meiner Erinnerung ein zeitgenössischer Humorist bemerkte. Unter der Krempe eines steifen spanischen Hutes kamen schwarze, drahtige Locken hervor. Ihre Augenbrauen waren dicht; ihre Augen waren sehr dunkel: ihre Wangen hatten eine intensive, karminrote Fär­bung; und sie machte keinen Versuch, den merklichen Bart zu ver­bergen, den Virginia Woolf liebevoll erwähnt. Obwohl sie lange Ohrringe und eine kleine Perlenkette trug, deren Ende in ein Spitzenhemd gesteckt war, wurde der Schmuck von einem dicken Cord-Jackett begleitet; ihre Beine, die Mrs. Woolf an kräftige Baumstämme erinnerten, steckten in Jagdhüter-Breeches und bis zum Knie geschnürten Stiefeln... Sie hat die eindrucksvolle Aura einer archaischen Kult-Statue: und ich schüttelte nicht ohne ein ge­wisses Schmerzempfinden ihre kräftige Hand.«[1]
Sie arbeitete, nachdem sie den ganzen Tag im Garten tätig gewesen war, bis zwei oder drei Uhr früh an Pepita. Im Lauf des Jahres war die Lindenallee fertiggestellt und die Beete zwischen den Linden bepflanzt worden. Sie versuchte, ein Enzianbeet anzulegen, und hatte ihr Orchideenhaus in Betrieb genommen. Im großen Zimmer war eine Zentralheizung installiert worden.
Zu Beginn des Jahres 1937 trotzte sie abermals der Außenwelt und verbrachte drei Tage in London, ihre »Wintersaison«, wie sie es nannte. Harold weilte in Regierungsangelegenheiten in Afrika, und die Party, die sie in Kings Bench Walk ausrichtete, gab sie aus­schließlich Ben zuliebe. Er hatte eine befristete Anstellung bei der National Gallery am Trafalgar Square, und Vita war der Meinung, wenn er Leute einlade, würden sie »ihn vielleicht ihrerseits zum Dinner oder zu Lunch-Parties einladen«.
Als die drei Tage vorüber waren, schrieb sie an Harold: »Ich kann nicht verstehen, wie Leute aus freien Stücken in London leben kön­nen. Alles erscheint mir so unwirklich und verwirrend.« Doch ihre Bemühungen, mit anderen Verbindungen anzuknüpfen, schienen zu Ergebnissen zu führen — eines der besten war die Tatsache, daß sie besser mit Nigel auskam. »Er sagte Gwen, daß er gern mit mir hier [in Sissinghurst] sei, was mir zu Herzen ging, weil ich bereits das Gefühl hatte, daß wir viel besser miteinander auskommen: we­niger verkrampft und so, weißt du«, schrieb sie an Harold.
Eine regelmäßige Besucherin in Sissinghurst. selbst in Vitas un­geselligsten Phasen und obwohl dort für das leibliche Wohl nur höchst unzulänglich gesorgt wurde, war Sibyl Colefax*.(*  Lady Sibyl Colefax war neben Lady Cunard die führende Gastgeberin des politischen Und literarischen Londons. Sie starb 1950 [Anm. d. Übers.]) In erster Linie als Prominentenjägerin und Gastgeberin bekannt, zeigte sie den Nicolsons, die sie liebte und verehrte, eine anderes Gesicht. Sie schickte Vita einen »Flauschmantel«. wie sie einen trug, bloß weil Vita ihn bewundert hatte; sie fühlte sich in Sissinghurst verstanden und pflegte Vita lange, unleserliche Tiraden voller Zuneigung und Dankbarkeit zu schreiben. Vita, die einige davon aufbewahrte, schrieb auf einen Umschlag: »Dies ist ein Brief von einer angeblich kalten und herzlosen Person. Ich habe ihn aufbewahrt, weil ich im­mer der Meinung war, daß man sie falsch eingeschätzt hat.«
Während sich Vita mit Gwen im Frühling auf einer Urlaubsreise in Nordafrika befand, erfuhr sie von Mac, ihrer Sekretärin, daß sie und Harald für den 17. März zu einem Dinner im Buckingham Palast eingeladen worden seien. Trotz ihrer neuen Linie, in beschei­denem Maße am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, weigerte sie sich hinzugehen. Sie habe kein Abendkleid, schrieb sie Harold, und keine Zeit, eines anfertigen zu lassen. »Ich brauche mich bloß zu verstecken, und du brauchst bloß heftig zu lügen, wenn jemand fragt, wo ich bin.« Doch sie nahm eine Einladung an von Mrs. Morrows Zimmer im Carlton dem Krönungszug von George VI. zuzu­schauen, und lud auch weiterhin ein paar Leute nach Sissinghurst ein.
Eine dieser Besucherinnen war Olive Rubens, ihres Vaters alte Liebe, die seit 1932 glücklich mit einem General Nation verheiratet war. Im Mai kam Jack Squire zum Lunch, der sich inzwischen ganz dem Trunk ergeben hatte. Als das Essen halb vorüber war, schrieb Vita, »war ich sein >Liebling< geworden und ließ mir erzählen, es gebe nur zwei Menschen in England, die er liebe, nämlich Mr. Baldwin* und mich«.(* Stanley Earl Baldwin of Bewdley (1867-1947), mehrere Male Premierminister: zuletzt 1935/36. Trat nach der Krönung Georges VI. zurück [Anm. d. Übers.]) Um ihn von der Flasche wegzulocken, führte sie ihn in den Garten, »wo er liebevoll meinen Arm nahm, weil er nicht mehr gerade gehen konnte. Es war einfach schrecklich... manch­mal hatte er einen wirklich tragischen Ausdruck in den Augen.« Angenehmere Sommergäste waren ihre alte Freundin Enid Bagnold Jones und die Dichterin Ruth Pitter, die für ihr Buch. A Trophy of Anns den diesjährigen Hawthornden-Preis erhalten hatte, über­reicht durch Vita: »Eine bezaubernde Person, eine wirklich sehr ausgeprägte Persönlichkeit; sehr intelligent, voller Ideen. Ich habe mich selten mit jemandem auf Anhieb so gut verstanden. Wir redeten fünf Stunden ohne Unterbrechung und machten einen langen Waldspaziergang.«
Eine Abordnung von Herolds Wählern kam zur Besichtigung des Gartens; Harold. der ihr gemeinsames Werk mit den Augen der Be­sucher sah, begriff zum ersten Mal, wie gut es war. Den Plan rech­nete er sich selbst als Verdienst an; doch Vita habe den Garten ein­zigartig gemacht. »Das Geheimnis deiner Gärtnerei besteht ganz einfach darin, glaube ich, daß du den Mut hast, häßliche oder we­nig erfolgreiche Blumen wegzutun. Abgesehen von diesen gräßli­chen knallroten Kniphofien, für die du eine Schwäche hast, gibt es auf dem ganzen Grundstück keine häßliche Blume... Es ist schön, schön, schön — und du mußt mit deiner Arbeit zufrieden sein.« Ha­rold hatte starke Vorurteile gegen bestimmte Blumen — »Ich wäre überaus glücklich, wenn ich wüßte, daß ich nie mehr eine Buddleia zu sehen brauchte«, schrieb er später im Jahr, und ihm zu Gefallen nahm Vita zwei Buddleias fort.
Nachdem sie Pepita abgeschlossen hatte, bereitete sie ein kleines Buch mit dem Titel Some Flowers vor — kurze Texte, die durch Photographien ergänzt wurden. Christopher St. John, die dieses Buch Ende des Jahres als Weihnachtsgeschenk verschickte, erzählte ei­ner ihrer Freundinnen, Vitas eigener Garten sei »sehr schön und originell«; doch dann: »Dabei kommt ihr ein sehr fruchtbarer Bo­den zu Hilfe und der Schutz der alten Mauern ihres Schlosses... (Außerdem Berge von Geld!!).« Der Plan des Gartens änderte sich laufend: Wo der Gemüsegarten gewesen war, pflanzten sie Rosen um das Rondell: und den alten Rosengarten machten sie zum Kräu­tergarten mit vielen Ritterspornstauden.
Vita ließ sich dazu herbei, Einladungen zu Vorträgen anzuneh­men, und im Juli ging sie sogar auf eine königliche Garten-Party. Ende des Monats war sie mit Gwen in Oxford, wo sie als Preisrich­terin beim Festival der gesprochenen Dichtung fungierte. Auden war einer ihrer Kollegen; später schrieb sie über ihn an Ben: »Ich mag ihn sehr gern, aber ich wünschte, er wäre nicht so schmutzig... Wenn man schon die offenen Sandalen eines spanischen Maultiertreibers trägt, müssen die Füße so aussehen, als habe man sie im Lauf der letzten sechs Wochen wenigstens einmal gewa­schen. Seine sehen nicht so aus.« Ihre Briefe an Ben, der den Sommer im Ausland verbrachte, befassen sich oft mit seiner lässigen Einstellung zum Leben und zur Arbeit, die sie weiterhin beunru­higte. 18. Oktober 1937:

  • »Du weißt, daß ich die moderne Welt ebenso verabscheue wie du, wenn nicht noch mehr, und ebenso wie dich langweilen auch mich Politik und Probleme. Wie du würde ich es tausendmal vorziehen, wenn alles sicher, geregelt, menschlich, heiter, gemütlich, gelehrt und überhaupt charmant wäre... Doch zugleich kann man sich der Einsicht nicht verschließen, daß Kunst und praktische Wirksam­keit immer Hand in Hand gegangen sind und daß die vitalsten und tatkräftigsten Nationen immer diejenigen gewesen sind, welche die größte Kunst hervorbrachten... Kurz, ich möchte sagen, daß man, da es nicht gut ist, sich gegen die moderne Welt abzuschotten und sich in seine eigene kleine, goldene, zentralbeheizte Klause zurück­ziehen, sie seinen Bedürfnissen anpassen, sich das Beste nehmen muß, helfen muß, wo man kann, und erst nach reiflicher Überle­gung fallenlassen darf.«

Das waren die Lektionen, die sie selbst nach ihrem langen Rückzug hinter die huis clos von Sissinghurst zu lernen versuchte.
Sie schrieb Ben aus Lisieux in Frankreich, wo sich Heimat und Grab der Heiligen Therese befanden, der »Kleinen Blume Jesu«. Gwen, der als Katholikin die Kathedrale und das Haus der Therese viel bedeuteten, war bei ihr: für Vita war Lisieux »ein sonderbarer Ort«, und die Geschichte der Therese faszinierte sie. Copper chauffierte sie durch die Dordogne nach Rocamadour: »ein erstaunliches Dorf, das sich an eine mehrere hundert Fuß hohe Klippe anklammert und von Kirchen gekrönt wird«. Im nahegelegenen Padirac kletterten Vita und Copper in die tiefe gouffre hinunter. Diese Ferien machten auf Vita einen großen Eindruck. In der Nacht ihrer Rückkehr nach Sissinghurst begann sie ein Gedicht über Rocamadour; und am nächsten Tag: »Denke daran, ein Buch über die Heilige Teresa von Avila und die Heilige Therese von Lisieux zu schreiben.« Doch für den Augenblick blieb das Buch Adler und Taube noch ungeschrieben.
Im Oktober, eine Woche nach ihrer Rückkehr aus Frankreich, erschien Pepita. Das Buch war auf Anhieb ein Erfolg und wie nichts sonst dazu angetan, Vita wieder unter Menschen zu bringen. Die Hogarth Press verkaufte in den ersten zwei Monaten 10 000 Exem­plare, und das Buch erwies sich als ein »Dauerbrenner«. Was die Aufnahme des Buches betraf, blieb Vita zurückhaltend: sie schrieb an Harold:

  • »Ich glaube nicht, daß ich jemals so viele nette Briefe über ein Buch bekommen habe wie über Pepita ... und außerdem viele sehr gute Kritiken. Um B.M.'s willen erfreut mich das, doch es irritiert mich auch ein wenig... da in Wirklichkeit der Wert, den das Buch haben mag, hauptsächlich auf dem Stoff beruht — und obwohl man ihn geschickt zusammenfügen muß, ist das doch nur ein Trick, den man in jahrelanger Erfahrung gelernt hat.«

Die Charakterstudie und die Beschreibung B.M.'s in Pepita waren so treffend, liebevoll, unsentimental und ausgewogen, daß dieser Teil des Buches die meiste Resonanz hervorrief. Olive Rubens (Na­tion) schrieb: »Anne B.M... wieviel davon hätte sie verstanden! Ohne ihre Fehler zu verniedlichen, hast du es geschafft, daß man sich liebend ihrer Qualitäten erinnert. Ich bin dankbar, daß ich jetzt wieder dieselbe Faszination empfinden kann, die mich vor so vielen Jahren zuerst in ihren Bann schlug. Bravo, Mar, wie Lionel gesagt hätte.« Edwin Lutyens. »McNed«, der B.M. so sehr geliebt hatte und von ihr so schmählich mißbraucht worden war. schrieb: »Welch ein Stoff, und wie vortrefflich erzählt. B. M. tritt wie Porzel­lan hervor, dessen Glasur krakeliert ist. Ich wünschte, ich hätte am Ende mehr Geduld gehabt. Sie verließ mich!... Die Klosettdeckel waren alle abgeschraubt — »sie wollte keinen Mann im Haus dulden<!... Es war alles zuviel für mich, und dann begannen die Schwierigkeiten. Mein Gott!« George Plank schrieb über B.M.. nachdem er Pepita gelesen hatte: »Ich weiß, ich werde sie vermis­sen, solange ich lebe.«
Auch Vitas Kinder fanden an dem Buch Gefallen. Aus Oxford schrieb Nigel, bereits als der Historiker der Familie: »Liebe Güte, welch bewunderungswürdige Eltern ich doch habe: welch ein Vorbild — mehr noch: welch eine Verbindung — deren Ruf man gerecht werden muß. Glaubst du, daß du oder Papa oder Ben oder ich oder ein Außenstehender jemals ein Bild unserer Familie entwerfen wird, wie du und D. [in Helen's Tower] es von der eurigen gezeich­net habt?« Und Ben schrieb aus Bologna, er habe »wegen Groß­mama mehrere Male einen Klumpen im Hals gehabt«: Vita habe, schrieb er weiter, »alle Tatsachen ausgebreitet, wie schrecklich und wie wundervoll auch immer«.
Innerhalb der Familie gab es nur zwei abweichende Stimmen. Die eine kam von Lord Sackville. Vitas Onkel Charlie. Er schrieb aus Knole, er sei »verstimmt«. Er habe nichts gegen das, was Vita über Pepita und B.M. geschrieben habe, doch er wende sich gegen »die Art, mit der mein Onkel Lionel und dein Vater porträtiert sind«. (Vita hatte die passiven, introvertierten Sackville-Eigenschaften ihres Vaters und Großvaters betont.) Doch »wenn ich viel­leicht auch verstimmt bin, vermindert das nicht meine Zuneigung zu dir«.
Die andere abweichende Stimme kam von B.M.'s ältlicher Schwester Amalia, die, ohne Verbindung zur Familie, in Kent, in der Nähe von Canterbury, lebte. Sie war wütend, daß der Schmutz wieder aufgerührt würde. Sie schrieb an die Presse und an Vita und drohte mit einer Verleumdungsklage, wobei sie durch ihre Behaup­tung, B.M.'s Vater sei nicht Lord Sackville, sondern ein in Spanien ermordeter Jude gewesen, ihrerseits neuen Schmutz aufwirbelte. Dann kam eine Lady Norbury, eine Freundin Amalias, zum Tee nach Sissinghurst »und erzählte mir, B.M.'s Vater sei in Wirklich­keit ein baskischer Ziegenhirt gewesen«. Vitas Anwalt nannte Ama­lias Einlassungen »die Hirngespinste eines verqueren Geistes« und Harold schrieb ihr einen besänftigenden Brief.
Seit Harold Mitglied des Unterhauses geworden war, sahen er und Vita sich weniger häufig, obgleich er an den Wochenenden zu Hause zu sein pflegte — falls er nicht im Ausland war oder anderswo eingeladen wurde. Ihre täglichen Briefe offenbaren kein falsches Bedauern über diesen neuen Zustand, in dem jeder das Leben führte, dessen er bedurfte. Wie immer teilten sie einander mit, was sie dachten und taten: doch in Harolds Briefen schwächten sich die sehnsuchtsvollen, gefühlvollen Töne ab. In der Vergangenheit war es Vita gewesen, die unruhig und unberechenbar war und zu priva­ten Eskapaden verschwand; inzwischen gab es für sie viel seltener keinen »ruhigen Tag in Sissinghurst«. während er geschäftig und gefragt und immer in Eile irgendwohin unterwegs war. Im äußeren Ablauf ihrer Leben glichen sie mehr Mutter und Sohn als Ehemann und Ehefrau. Im Dezember 1937 erhielt er eine Einladung vom Her­zog und der Herzogin von Windsor. »Bist du sicher, daß du Weih­nachten nicht lieber mit ihnen als hier verbringen möchtest?« fragte ihn Vita. »Ich würde das vollkommen verstehen, also nimm auf mich keine Rücksicht.«
Harold antwortete, er wolle Weihnachten »nicht mit dem lusti­gen Weib von Windsor verbringen, sondern nur daheim«. Nach Weihnachten schrieb er ihr einen Liebesbrief; und an Ben schrieb er, er sei zwar »nicht im mindesten >in Mama verliebt<«, doch liebe er sie mehr als alles andere auf der Welt.
»Sie ist keine einfache Ehefrau im herkömmlichen Sinn. Sie ist eine schwierige Ehefrau. Doch sie bedeutet mir alles auf Erden, wie du weißt. Und warum? Weil wir, obwohl wir in vielen Neigungen ver­schieden sind und viele Aktivitäten nicht gemeinsam haben, im Grunde eins sind. Und warum? Weil jeder von uns den anderen ein klein wenig fürchtet. Einer begegnet dem anderen mit tiefer Achtung.
Vita, wenngleich scheu und zaghaft, außer in verläßlicher Gesell­schaft, war der stärkere Charakter: In ihren gelegentlich unbeque­men Vorstellungen und Idealen war sie kompromißloser und entschiedener. Harold neigte zu übergroßer Flexibilität und zum Ausgleich; er brauchte ihre Bestimmtheit.
Die Niederschrift von Pepita war für Vita eine Befreiung und die Möglichkeit, sich offener auszudrücken. Mit einem plötzlichen Auf­schwung des Gefühls wandte sie sich Virginia wieder zu und schrieb »Meiner (einstigen) Virginia« am 13. November einen lan­gen selbstbewußten Brief. »Du sagtest, ich sei eine Närrin, dir zu schreiben, wenn meine Feder verlangend zuckt.« Sie bat Virginia, nicht zu antworten. »Ich werde wissen, daß der Brief angekommen ist und du ihn als einen lieben Gedanken von deinem Orlando empfangen wirst.«[2] Virginia antwortete beruhigend und schrieb sinngemäß, daß sie immer für Vita da sein werde; und ihre Briefe und Treffen füllten sich wieder mit Leben und Sinn.
Pepita hatte Knole Vita sehr nahegebracht, und sie versuchte, ih­ren alten Kummer durch den ziemlich unrealistischen Versuch zu entschärfen, ihre Beziehung zu ihrem Vetter Eddy in der Phantasie auszuspinnen:
»Knole ist eine furchtbare und tiefe Blockade gewesen. Ich schätze, meine Liebe zu Knole ist tiefer gegangen als alles andere in meinem Leben. Wärest du mein Bruder gewesen, hätte es diese Blockade nicht gegeben, weil ich überhaupt nichts dagegen gehabt hätte, daß du Papa nachfolgst, ja, es hätte mir gefallen. Wie die Dinge lie­gen, liebe ich dich, als wärst du mein Bruder und sogar noch dar­über hinaus, vielleicht weil ich nie einen Bruder hatte — und du der beste Ersatz bist, den ich bekommen kann.«
Eddy war Vita zugetan, doch er begrüßte oder teilte diese Phanta­sie nicht, weil er selbst ihrer nicht bedurfte. Da Vita sich standhaft weigerte, Knole aufzusuchen, wurde ihr Bild von Knole im Laufe der Jahre nicht etwa blasser, sondern immer mythischer und magi­scher, wenn auch die Erschaffung Sissinghursts den Schmerz in gewissem Maße neutralisierte.
Anfang 1938 erkrankte Vita auf unerklärliche Weise an akuter Ga­stritis. Die rätselhafte Krankheit dauerte mit Unterbrechungen zwei Monate an, und schließlich kam noch eine Rippenfellentzün­dung hinzu. Mac, eine ausgebildete Krankenschwester, ließ Vita mit einem Krankenwagen nach London zum Arzt bringen, der sie in ein Krankenhaus einwies. Schließlich diagnostizierte man eine Bleivergiftung. Als Ursache des Übels erwies sich das Mahlwerk der Cider-Presse in Sissinghurst: »Gwen sagt, es sei der poetische Lohn dafür, daß ich The Land geschrieben habe.« Vor ihrer Erkrankung war Vita, wie Virginia feststellte, übergewichtig gewesen. Als sie sich im April wieder erholte, hatte sie 35 Pfund verloren, und sie ließ nie wieder zu, daß sie derart zunahm.
Da sie während der Krankheit nicht arbeiten konnte, studierte sie die Kataloge von Samenhändlern und gab üppige Bestellungen auf. Aus ganz England begannen Pflanzen einzutreffen. »Aber ich schätze, daß es tatsächlich nicht mehr als zehn Pfund ausmacht und viele Leute würden das für eine Dinner Party und vier Theater­plätze mit nachfolgendem Abendessen ausgeben. Und meine Inve­stition ist etwas für Jahre und wird sich mehr und mehr auszahlen (es sei denn, jemand wirft Kampfstoffbomben auf den Obstgar­ten).«
Anfang März, als die Gastritis ihr eine Ruhepause gönnte, hatte sie in London mit Virginia gespeist; Kingsley Martin, der Herausge­ber des New Statesman, war dazugekommen und hatte sie gefragt, ob sie ihre »Ländlichen Bemerkungen«, die sie bereits hin und wie­der schrieb, nicht regelmäßig veröffentlichen wolle, jede zweite oder dritte Woche. Sie sagte zu. (Die Artikel wurden später gesam­melt und in Buchform herausgebracht.*) (* Country Notes (1939) [Anm. d. Übers.]
Zum ersten Mal sah sie sich genötigt, ihre achtjährige Sissinghurst-Erfahrung in Worte zu fassen und ihre Vorstellungen zu for­mulieren. Ihre Country Notes von 1938 haben fast den Charakter eines »Manifests«, da die Schreiberin und die Gärtnerin, indem sie ihre Grundsätze darlegte, miteinander verschmolzen: »Ich glaube an die Übertreibung; ich glaube an große Gruppen, gewaltige For­men: ich bin sicher, daß es wirkungsvoller ist, zwölf Tulpen zusam­men als in zwei Gruppen von je sechs zu pflanzen; daß es wirkungs­voller ist, den Rittersporn in einem Beet zusammenzufassen, als die Pflanzen zu zweit oder zu dritt zu verstreuen.« Sie führte 1938 ein »Garten-Tagebuch«, in dem sie Woche für Woche festhielt, was ge­pflanzt wurde und wie es gedieh. Sie beschäftigte drei Gärtner — Farley, Hayter und Sidney Neve — und zeitweise eine Miss Lee. Doch nichts geschah, was sie nicht anordnete und überwachte, und sie arbeitete so hart wie jeder andere. In diesem Jahr kamen riesige Mengen von Knollen, Sträuchern und Blütenbäumen an, das Er­gebnis ihrer Kataloglektüre auf dem Krankenbett. Im Obstgarten wurden Rosen gepflanzt: »10 weitere Moschus. 6 Moos. 1 Setipoda. 1 Oniemensis, 12 Rugosa und ein paar Kletterrosen für die Bäume.« In das Magnolienbeet wurden zwei Macrophylla, ein Dutzend Ma­lus und drei Dutzend Lilien gepflanzt.
Das war im Februar. Im März bepflanzte sie den Kräutergarten und ließ ein paar Eiben umsetzen. (Diese radikale Rücksichtslosig­keit war typisch für sie: Nichts wurde je als definitiv oder unabän­derlich erachtet.) In diesem Frühjahr stammten ihre neuen Nelken nicht aus Setzlingen, sondern »von unserem eigenen aufbewahrten Samen«: die Treibhäuser wurden nicht nur zur Aufzucht aus Sa­men, sondern auch zum Reifen von Feigen, Pfirsichen, Nektarinen und Weintrauben benutzt.
Nach dem letzten späten Frost Mitte Mai, der den Kaiserlilien Schaden zufügte, säte sie im Obstgarten »Mengen von Kornblumen und gemischten Blumensamen« aus. Mitte Juni war nach ihrer Mei­nung der Garten am schönsten, wenn Lilien. Rosen. Päonien. Zistrosen, Ochsenzungen und Rittersporn in Blüte standen. »Ach­tung: im nächsten Jahr den Garten um diese Zeit oder sogar noch eine Woche früher öffnen.« Dies war das erste Jahr, in dem sie den Garten für wohltätige Zwecke der Öffentlichkeit zugänglich machte — an einem einzigen Wochenende. Doch gab es eine wach­sende Zahl einzelner Besucher, darunter Berufsgärtner, Garten­bauexperten und Baumschulgärtner. »Es amüsiert mich, wie diese Gärtner inzwischen anfangen, einander zu erzählen, man müsse unseren Garten sehen«, schrieb sie an Harold am letzten Tag eines »vollkommenen, duftenden, glühenden Juni«. Vita war geschmei­chelt, wenn die berufsmäßigen Gärtner sie um Rat fragten oder um Stecklinge baten. »Wenn du ein wirklich anspruchsvolles Gespräch willst, vertraue mich drei Experten an, die sich über Auriculas un­terhalten, Bloomsbury ist nichts dagegen. Ich konnte nicht die Hälfte von dem verstehen, was sie sagten.«
Der Juli war weniger vollkommen. »Die Rabattenränder drohen zu verblühen. Achtung: etwas besorgen, was um diese Zeit blüht.« Ihre Löwenmäulchen mußten gejätet und verbrannt werden, weil sie vom Rost befallen waren. »Schrecklich viel Unkraut.« Aber dann retteten die Dahlien die Situation: Vita füllte den ganzen Sommer über die unschönen Winkel mit Trögen, irdenen Töpfen, Becken und Tiegeln, die sie mit Hochgebirgspflanzen und kleinen Veilchen bepflanzte. Im Herbst pflanzte sie erneut: zwölf chinesi­sche Päonien in den Obstgarten und in das Randbeet der Lindenal­lee knallrote Kermesbeeren (was Harold nicht behagt hätte). Desweiteren Mengen von Tulpen und Kaiserkronen in den Obstgarten: 200 Zyklamen an den Rand des Schloßgrabens: Lilien in den Walnußgarten und weitere Quitten und japanische Kirschen in den Obstgarten.
Nach ihrem Garten-Tagebuch blühten Mitte Dezember Arilin und Nemesium unter Glas, und sie fand und pflückte die erste Iris stylosa. Weihnachten waren deren Artgenossen tief unter Schnee begraben, »der stellenweise bis zum oberen Rand der Schaftstiefel reicht«.
Anfang August war Vita in Rodmell gewesen, um wie in alten Zeiten eine Nacht in Monk's House zu verbringen. Bei diesem An­laß hatte ihre neue Harmonie eine kurze Trübung erlitten: Vita hatte Vorbehalte gegen Virginias neues Ruch Drei Guineen und sagte es ihr. In Drei Guineen verband Vrginia Anti-Kriegsthesen mit einer Darlegung der Methoden, mit denen Frauen im Berufsleben unterdrückt und entmutigt werden. Ihre These lautete, daß die stammesgemäßen, hierarchischen, konkurrierenden, aggressiven »männlichen« Eigenschaften, die es Frauen unmöglich machten, Spitzenstellungen in Medizin, Rechtswesen, Verwaltung oder Kir­che zu erlangen, dieselben seien« die Konflikt und Konfrontation unvermeidlich machten. In der unbeständigen Situation, in der sich Europa 1938 befand, wurden pazifistische Anschauungen von vielen Leuten als subversiv und unterminierend angesehen. Aus diesem Grunde wurde das Buch falsch verstanden und bedenklich unterschätzt. In der Vergangenheit hätte Vita mit Virginias satiri­scher Verdammung von Uniformen. Orden. Ritualen und exklusi­ven Institutionen übereingestimmt: Dies waren Themen, über die sie sich zehn Jahre zuvor, als Herold noch Diplomat war, einig ge­wesen waren. Doch jetzt war Vita alles teuer, was englisch und tra­ditionell war. Auch konnte sie Virginias Ansicht nicht zustimmen, daß Frauen, wenn sie sich frei und unabhängig von dominierender männlicher Einschränkung entfalten könnten, weniger kriegerisch als Männer sein würden.
Sie überwanden diese Meinungsverschiedenheit, und Vita schrieb an Harold, der in Frankreich Ferien machte: »Oh, mein Lie­ber, was für eine bezaubernde Person Virginia ist! Wie sie Zauber in das Leben wirkt!... Und Leonard ebenfalls: Ich weiß, er ist ermü­dend und verschroben und manchmal jüdisch [d.h. knauserig mit Geld], aber in Wirklichkeit ist er mit seiner schuljungenhaften Liebe zu Tieren und Spielzeug (technischen Spielereien) unwider­stehlich jung und anziehend.«
Welche falsche Meinung die Leute doch von Bloomsbury hätten, meinte Vita, »wenn sie sagen, es sei schwächlich und mache schwächlich. Du könntest keine Leute finden, auf die das weniger zutrifft als auf die Woolfs.« Es sei der Bloomsbury-Anhang, der für den schlechten Ruf verantwortlich sei, »und natürlich hat dieser schlaffe Lytton [Strachey]* in diesem Fall sicher viel Unheil ange­richtet. (* Lytton Strachey (1880-1932) führendes Mitglied der »Bloomsbury«-Gruppe. Stili­stisch glänzender Essayist und Biograph (Queen Victoria. 1921; Elizabeth und Essex 1928 [Anm. d. Übers.]) Ich haßte Lytton.«
Vita und Harold hatten gerade erfahren, daß Nigel seine Ab­schlußprüfung in Oxford mit »Drei« bestanden hatte. Sie hatten hohe Erwartungen in ihn gesetzt; während Vita enttäuscht und »ungläubig« war, überstieg Harolds Ärger jedes Maß. Vita ver­suchte, ihn zur Vernunft zu bringen. Sie hatte mit Virginia und Leo­nard darüber gesprochen, »und sie waren nicht entsetzt, sondern erheitert. Sie sagten, daß alle ihre höchst brillanten Freunde in Cambridge, von denen man Einser erwartet habe, nur Dreier be­kommen hätten.«
»Ich glaube, du hast eine übertrieben hohe Meinung von akademi­schen Auszeichnungen ... Ich weiß, daß du mit Oxford und beson­ders mit Balliol** (** Balliol College in Oxford ist eines der ältesten (gegründet 1263) Colleges in England [Anm. d. Übers.]. einen Kult treibst und daß du doppelt über Balliol und über Niggs enttäuscht bist, aber das kann doch wohl nicht im mindesten deine und meine Einschätzung von Niggs als einem intelligenten und fleißigen Menschen beeinflussen... Niggs ist erst­klassig, was immer die Prüfer von Balliol sagen. Ich bin dessen si­cher. Und du ebenfalls: was also spielt das übrige für eine Rolle?«
Im September ging Ben nach Amerika, um beim Fogg Museum in Cambridge, Massachusetts, zu arbeiten. Ein wenig früher im Jahr war er in Florenz in romantischer Liebe mit einem Mädchen aus Kalifornien liiert gewesen, was seine Eltern ziemlich unbegründet beklagten — immerhin war Ben vierundzwanzig. »Florenz ist ein übler Ort für Liebesgeschichten«, teilte ihm Vita mit. »Ich glaube, ich war nie dort, ohne daß sich eine Verwicklung daraus ergab, und jetzt trittst du in meine Fußstapfen. Komisch.« In ihm sah sie im­mer noch ihr jüngeres Ich; nach seiner Ankunft in den Staaten schickte er ihr ein Photo von sich, aufgenommen an Bord des Schif­fes. »Es war dir so ähnlich«, schrieb sie, »daß ich es irrtümlich zu­erst für eine Photographie von mir hielt und verwirrt war.«
Sie bemerkte ein wenig sarkastisch, er sei in Amerika, während in Europa die Gefahr eines Krieges bestehe. Sie war nicht kriegs­lüstern; im April 1937 hatte sie Harold gesagt, manchmal stimme sie mit den Pazifisten überein, »daß wir uns vom Wettstreit zurück­ziehen sollten, nicht nur unserer Sicherheit wegen, sondern um mit gutem Beispiel voranzugehen, diese wahnsinnige Barbarei abzu­schaffen«. Im Juni 1938 erzählte ihr Harold von den Greueltaten der Nazis in Wien. Er war froh, »in einer Position zu sein, die es mir erlaubt, etwas zu tun, wenn auch wenig, und zu helfen. Ich könnte einfach nicht untätig bleiben und nichts tun.« Vita hatte keine Posi­tion im öffentlichen Leben — »Die einzige Hoffnung für Leute wie mich, die nichts ändern können, besteht darin, den Gedanken bei­seite zu schieben und auf das Beste zu hoffen. Sonst würde man ja verrückt — man würde zu einem Verrückten in einer Welt von Wahn­sinnigen.«
Als der Krieg im Herbst unvermeidlich schien, wurden in Sissinghurst Gasmasken ausgegeben, und im Obstgarten, der gerade so liebevoll bepflanzt worden war, wurde ein Splittergraben ausge­hoben. Selbst in Sissinghurst ließ sich der Gedanke an den Krieg nicht länger beiseite schieben. Vita beschrieb Ben am 9. Oktober die Vorsichtsmaßnahmen:
»Das große Zimmer in einen gasdichten Schutzraum zu verwan­deln, bedeutete, daß die Fenster mit Asbest verkleidet... der Kamin auf dieselbe Weise verschlossen und Decken aufgestapelt wurden, die man gegebenenfalls über die Türen nageln kann. Es bedeutete, daß ich allen Bernstein und die persischen Vasen wegschaffen und den Raum ansonsten für eine plötzliche Besetzung durch die alte Mrs. Hayter. Mrs. Copper, Fay, Mrs. Farley, Mrs. Adsett, den jungen Adsett und so weiter bereitmachen mußte. Es be­deutete, daß wir 6 Thermosflaschen, Taschenlampen, Konserven, Eipulver und Kakao gekauft haben: die Telephonleitung ist bis ins große Zimmer verlängert worden, falls Mac oder ich benötigt wer­den — Mac als Luftschutzhelferin, ich als Krankenwagenfahrerin — überhaupt ist hier alles in heller Aufregung.«
Nachdem all das getan war, kehrte Neville Chamberlain aus Mün­chen mit dem »ehrenvollen Frieden« zurück, und alles mußte wie­der in den Normalzustand versetzt werden — für eine gewisse Zeit. Weder Harold noch Vita hießen es gut, Hitler Zugeständnisse zu machen — Vita nannte die »Appeasement-Politik« eine »falsche, tö­richte und kurzsichtige Sache«, reagierte aber mit Erleichterung auf den Aufschub. Harold beschloß, ein Segelboot zu kaufen — oder besser: Vita sollte es für ihn kaufen, so wie B. M. vor vielen Jahren Sumurun für Lionel gekauft hatte. Vitas Antwort auf die Spannung hatte darin bestanden, zuzulassen, daß sich Mac, ihre schottische, presbyterianische Sekretärin, in sie verliebte. Seit September hat­ten sie eine Affäre miteinander gehabt. Obwohl Mac — von Vita in ihrer neuen Beziehung »Anna« genannt — sich bemühte, »ver­schlossen wie eine Auster« zu sein, brachte dieses neue Liebesver­hältnis in den Mauern von Sissinghurst Komplikationen mit sich. In der kritischen Vor-München-Zeit hatte Mac Vita geschrieben und sich bedankt, daß sie ihr »soviel vollkommenes Glück geschenkt« habe. Doch bald wurden die Briefchen verzweifelter und hoffnungsloser, denn es gab so vieles in Vitas Leben — nicht zuletzt die seit langem bestehende Gemeinschaft mit Gwen St. Aubyn — das sich zwischen Mac und sie schieben konnte.
In diesem unruhigen Herbst wurde am 27. Oktober von der Hogarth Press Vitas Gedicht Solitude ausgeliefert. Leonard Woolf sagte ihr, »für ihn sei das Gedicht das Beste, was du gemacht hast«. Aber Leonard verstand nicht viel von Lyrik, und Vita wußte, daß ihre Art zu schreiben dem Stil der Zeit nicht entsprach; tatsächlich entdeckte Raymond Mortimer in seiner sorgsamen Rezension im New Statesman Anklänge an Landor, Tennyson und Arnold. Doch die Themen des Gedichtes waren Vitas ureigene Erfindung, begin­nend mit ihren »Rocamadour« -Versen, als ein Teil der Widmung an Gwen St. Aubyn:

Du sagtest zu mir in der steilen Schlucht:
»Dies ist dein Ort der Abgeschiedenheit,
Wohl angemessen deiner Einsamkeit...«
Wie wußtest du, daß ich der Welt so müd?

In Solitude werden Vitas Ideen und Formeln aus den Tagebuch-Ge­dichten, aus Erloschenes Feuer und The Dark Island zu einer auf Tod und Nacht bezogenen pantheistischen Hymne verbunden:

Nacht kam, meine täglichen Wunden zu heilen;
Teile meiner selbst drangen wieder in mich ein:
Fragmente meines Ichs, die andre sich geraubt
Und einverleibt, bis nichts mehr blieb, das mein.
Armes Flickwerk meiner selbst, zerfetzt
Und kläglich nur in eine Form gebracht
Wie Klänge, die sich ohne Harmonie verbunden.
Ich trieb mein Roß in eine mondeshelle Höhle.
Wo ich Andromeda in Ketten hab gefunden.

»Die Nacht, die ich liebe, ist der Tod«. sagt die Dichterin; und über die Religion: »Ich brauche keine Kirche, such meinen Gott unmittelbar.« Und die Liebe?

Diese leichten, billigen Lieben! doch wer drang
So rüde ein in die dunkelsten Verstecke? ...
Ein andres Herz genommen, das eigne unversehrt.
Es sind nur Schliche, unwürdig und verlogen.
Kitzel fürs Fleisch, das leichthin wird benutzt.
Doch bleibt in ihrem Grunde die Seele unbeschmutzt,
Unschuldig wie die Halme, die auf den Feldern wogen.

Das Gedicht verstörte ihre Vertrauten, insbesondere die Ex-Gelieb­ten. Mac ließ Vita in Sissinghurst eine Notiz zukommen: »In Solitude tust du die Liebe sehr leichtfertig ab, oder meinst du ober­flächliche Liebe, wenn du so verächtlich davon sprichst? Ich glaube, es muß so sein.« Hilda Matheson schrieb einen langen Brief:

  • »Zu meiner großen Freude entdeckte ich Passagen und Ausdrücke, die ich im Kopf behalten hatte, seit ich ein paar davon vor Jahren im Manuskript las... Der wirkliche Grund für meine Enttäuschung liegt eventuell darin, daß ich in diesem selbstkritischen Gedicht keinen Hinweis auf die Dinge in deinem Inneren gefunden habe, die ich in den letzten paar Jahren zu begreifen unterlassen habe. Deine Einstellung gegenüber der Liebe verwirrt mich — leicht und billig, ein Schwindel, die erstickenden Ranken des Efeus — bezie­hen sich diese Epitheta auf deine Einstellung zur Liebe in der Ver­gangenheit oder auf die Liebe selbst und auf alle menschlichen Be­ziehungen? Wenn nicht, was unterscheidet Liebe dieser Qualität von einer Liebe, die das Herz befreit und die Augen öffnet?«

Hilda unterzeichnete ihren Brief mit »Deine dich liebende Stoker«. Stillschweigend stellte sie sich die Frage — an der alle Geliebten Vitas nicht vorbeikamen: Hat es dir denn nichts bedeutet, alles, was wir miteinander gesprochen und gemacht haben, was mir als die wichtigste Sache von der Welt erschien?

Kapitel 27

Um der Einsamkeit zu entgehen, nahm Vita an einem Dinner teil, das im Londoner Savoy für Edy Craig gegeben wurde — »mit Ansprachen von Sybil Thorndike, Violet Vanbrugh, Knob­lock, Dame May Whitty. mir etc.«:
»Meine alte Christopher erschien in einer höchst bemerkenswerten Aufmachung — schwarzer Brokat mit knallroten Knöpfen und Puff­ärmeln — eine Art Kreuzung zwischen einer viktorianischen Haus­hälterin und einem elisabethanischen Dienstmädchen. Die erste Person, der ich in den Weg lief, war Margaret Goldsmith, die sich neben mich auf ein Sofa plumpsen ließ und anfing, mir in allen Einzelheiten zu erzählen, wie und warum sie sich von Frederick Voigt hatte scheiden lassen.«
Vita hatte ihre winzige »Winter-Saison« wieder kurz vor Weihnach­ten 1938. Sie gab ein Essen für Virginia und Freya Stark bei An­tonie: im Anschluß daran setzte sie Virginia bei Selfridges ab, die Fleisch kaufen wollte, weil Freud zum Dinner kam, und sah sich mit Freya Stark in einem Geschäft eine Eidechsentasche an. Nach dem Lunch schrieb Vita nostalgisch an Virginia, wie schön »du in deiner braunen Pelzkappe und deiner exquisiten ätherischen Schlankheit aussahst... Und daran zu denken, wie die Decken in Long Barn über uns schwankten!... und Delphine sich auf den Marmorfliesen tummelten.«[1]
Ihre »Winter-Saison« hätte auch ein Dinner im Buckingham-Palast einschließen können, das zu Ehren des Königs von Rumänien gegeben wurde, aber Vita weigerte sich kategorisch, zu diesem An­laß rechtzeitig nach London zu kommen. Es war die übliche Krise mit Harold, nur dieses Mal schlimmer. Der Streit hatte angedauert, seit im November die Einladung erfolgt war. Damals hatte sie ihm geschrieben:

  • »Ich kann einfach nicht hingehen, ich weiß, alles wird wunder­schön und dekorativ sein — und goldenes Geschirr und Orchideen und Leibgardisten — aber ich kann es einfach nicht ertragen, wenn das dann all diese entsetzlich snobistischen Details zur Folge hat wie lange Handschuhe, die zwei Guineen kosten, und krumme Rücken und halb ausgezogene Frauen und teure Juwelen... Ach Gott, wie schwierig das Leben ist... wie sehr ich mir wünsche, es wäre einfacher. Du wirst nicht verstehen, was ich damit meine — weil du an der Politik und an Leuten Spaß hast und ich nicht — ich bin wirklich ein sehr einsamer Mensch.«

Vita fürchtete, sie könne einen absonderlichen Eindruck machen: sie beendete ihren Brief in zittriger, erregter Handschrift: vielleicht ist es die Tatsache, daß ich ein durch und durch einsamer Mensch bin, die mich mehr als nötig fürchten läßt, mich auf einer öffentlichen Gesellschaft zur Schau zu stellen ... Ich hasse den Ge­danken, unter elektrischem Licht examiniert zu werden.«
Sie hatte sogar an die Firma Jay geschrieben, um herauszufin­den, was ein Abendkleid und das notwendige Zubehör kosten wür­den. Harold zog Gwen auf seine Seite. Sie sagt, es sei unrecht von mir, mich zu drücken, sondern ich müsse einfach hingehen. Aber ich bin zu schüchtern. Ginge ich zu dieser Gesellschaft, so würde ich mir selber untreu. Während ich diesen Brief schreibe, liegen meine Juwelen rings um mich verstreut — Smaragde und Brillan­ten, eben von der Bank geholt — so daß mir ganz übel wird. Ich kann mich einfach nicht mehr zu der Welt bekennen, die sich in die­sen Juwelen repräsentiert. Ich kann mir nicht ein Kleid für dreißig Pfund kaufen oder Schmuck im Wert von 2000 Pfund tragen, wäh­rend Menschen verhungern.«
Weil sie über das Geld, die Juwelen und die Ideologie verfügte, mußte Harold die Segel streichen. Er war nicht erbaut. »Entfrem­dung«, schrieb Vita traurig in ihr Tagebuch. Er gab sich geschla­gen, wobei seine Unterwerfung ironisch oder loyal oder eine Mischung aus beidem war. »Mein Gott! Wie ich dich bewundere, meine Viti. Du bist in deinem Urteil so sicher. Es hallt wie eine Glocke.«
Als im folgenden Juli Bens neuer Posten als Stellvertretender Sachverständiger bei der Königlichen Bildergalerie (unter Kennet!) Clark) ihm eine Einladung zu einem Hofball eintrug, weigerte er sich, wie Vita, hinzugehen. Harold klagte, diese Haltung verrate ei­nen Mangel an Intelligenz. Vita wußte nicht, ob sie lachen oder wei­nen sollte. Sie stimmte mit Ben überein, doch ebensosehr wünschte sie sich für ihn. er möge glänzen. »Er hat wirklich überhaupt kei­nen Sinn für Verantwortung«, sagte sie zu Harold. »Ich wünschte, er hätte deine Grundsätze. Aber er hat sie nicht.«
Im Januar 1030 erhielt Vita ein Telegramm von Hilda Matheson, die sich mit Dorothy Wellesley in Frankreich aufhielt; Yeats wohnte in ihrer Nähe und war oft in ihrer Gesellschaft. Das Telegramm besagte, daß der Dichter auf dem Sterbebett liege: Vita wurde beauf­tragt, diese schlimme Nachricht telephonisch an die Yeats-Familie in Dublin weiterzugeben, »da für Telegramme nach Dublin keine Vertraulichkeit zugesichert werden kann. Ich dachte, daß es ein bißchen umständlich sei. diese Sache zu erledigen — von Beaulieu nach Dublin über den Weald von Kent — aber ich tat, worum man mich bat.«
Allein in Sissinghurst — getrennt von Mae und den Dienern — un­ternahm sie einen neuen Anlauf, ihr lange geplantes Gedicht The Garden zu schreiben: »Ich fühle mich miserabel, wenn ich nichts in Arbeit habe.« Am 13. Februar schrieb sie Harold: »Ich habe mein Leben gern und beneide dich nicht um das deine, aber gleichzeitig spüre ich, wie langweilig und bäurisch ich dir oft vorkommen mag.« (Er war im Begriff, nach Ägypten zu fliegen.) »Jedenfalls habe ich den ganzen Morgen damit zugebracht, Gedichte zu schrei­ben (wenn auch Spender, Auden etc. sie alles andere als Gedichte nennen würden; und das gibt mir ein Gefühl von Rechtfertigung.« Sie erzählte Virginia, sie verfasse »eine Art Pendant zu The Land«; außerdem erwarb sie die Bettenham Farm mit 200 Acres. »Herr Gott, wie köstlich ist das Leben, wenn man es richtig anpackt! Acres von Ackerland und ein neues Gedicht in einem Schreibheft — was kann man mehr vom Leben verlangen!«[2]
Dies war in einer ungestümen, krakeligen Handschrift geschrie­ben. Sie und Mac hatten sich allmählich angewöhnt, abends zuviel Sherry zu trinken. The Garden blieb liegen. Vita spielte mit dem Gedanken, das Leben von Leonardo, von Jane Carlyle oder George Sand oder von Thomas Sackville zu beschreiben: Sie schrieb keines dieser Bücher. Ihre Schreibenergie beschränkte sich auf ihre »Country Notes« für den New Statesman, für die sie alles verarbei­tete, was rings um sie geschah, und die sie ihre »Stichlinge« nannte. Nach dem Kauf von Bettenham schrieb sie über »Buying a Farm«: »Ich habe ein irrsinniges Vergnügen daran. Land zu besitzen... einfach weil ich die Felder und Obstgärten so sehr liebe, daß ich sie gern sicher in meinem Besitz weiß. Sicher vor dem Zugriff eines Bauunternehmers.«
Trotzdem hatte die moderne Welt ein paar Versuchungen bereit. Vita und Harold hatten bei den Beales auf dem Schloßgehöft der Probevorführung eines Fernsehgerätes beigewohnt, und Vita war Feuer und Flamme darüber. Am 24. Februar gestand sie Harold: »Ich habe etwas ganz Idiotisches getan: Ich habe ein Fernsehgerät gekauft... Wir können jetzt also das Grand National und das Derby und die großen Fußballspiele sehen.« Sie stellte das Gerät im gro­ßen Zimmer auf, weil dort neutraler Boden war, wo sowohl die Fa­milie als auch die Dienerschaft nach dem Abendessen zuschauen konnten. In England gab es 1939 sehr wenige Fernsehgeräte: Vita lud die Nachbarn und die örtlichen Bauern ein, das Derby anzu­schauen, und veranstaltete ein Sissinghurst-Rennen.
Im Mai erschien Harold auf dem Bildschirm. »Liebling, wie gut du im Fernsehen warst! Es war, als hätte ich dich im Zimmer.« Es gab eine weitere Neuerung: »Habe ich dir schon erzählt, daß ich mich dem Druck gebeugt und einen Rasenmäher mit Motor ge­kauft habe? Ich hasse das Ding, aber es ist unvermeidlich. Es wird 2 Männer und 2 Tage Arbeit einsparen ... Aber ich werde es immer verabscheuen. Bis jetzt ist das Gerät noch nicht eingetroffen, und um meine Gehässigkeit gegen den Mäher abzubauen, verwandele ich ihn wohl besser rasch in einen Artikel.« Sie tat es. In »Buying a Motor Mower« beschrieb sie, wie ihr alter Rasenmäher von einem stämmigen Braunen gezogen wurde, genannt Gracie Fields, »weil er graziös schritt (der Witz ist nicht von mir). Wenn er einmal in der Woche zum Mähen angespannt wurde, trug er Lederstiefel«, um die Grasnarbe zu schützen. Jetzt bediene der Gartenjunge den Mo­tor-Mäher, wobei er aussieht, »als schlage er sich mit einer Art von wildgewordenem Kinderwagen herum«.[3]
Da der Krieg immer unausweichlicher schien, plante Vita in­stinktiv, als Akt der Treue, langfristig für den Garten. Sie entdeckte eine neue, langsam wachsende, rosafarbene Magnolie — »aber ich glaube nicht, daß wir mit diesen Überlegungen etwas werden ver­hindern können. In hundert Jahren wird jemand vorbeikommen, sie zwischen den Trümmern des Turms wachsen sehen ... und sa­gen: >Es muß sich früher einmal jemand um diesen Ort gekümmert haben.<« Zu ihrem siebenundvierzigsten Geburtstag schenkte ihr Harold für den Turm eine Sackville-Flagge: »ein Traum von Fröh­lichkeit und Protzigkeit«, sagte Vita.
Harold hatte sein neues Boot — die Mar — das auf der Hamble bei Southampton lag, und war noch seltener zu Hause. Vita war weh­mütig. »Es ist schrecklich zu denken, wie viele Wochenenden du mit der Mar unterwegs sein wirst — doch ich schätze, die Seeluft wird Hadji guttun — solange er nicht ertrinkt.« Gwen war krank; dieses Mal litt sie an einem Geschwür am Zwölffingerdarm und wurde im römisch-katholischen Kloster in Staplehurst versorgt. (In den vergangenen Monaten hatte sie viel Zeit im Kloster ver­bracht, um ihr Buch Towards a Pattern, das sich mit ihrer Konver­sion beschäftigt, vorzubereiten.) Nigel war im Norden, wo er bei einem Projekt der Sozialbehörde mit Arbeitslosen zusammenarbei­tete; Vita besuchte ihn Ende März, und er nahm sie mit in den Schacht eines Kohlebergwerks. Als sie wieder zu Hause bei Mac und ihren beiden Schäferhunden Martha und Martin war, schrieb sie am 23. April ziemlich verzweifelt an Virginia: »Hier ist Sissinghurst Nummer 250 — ist dort Museum 2621? Bist du's. Virginia? Hier ist Vita. — Ja: Vita — eine Person, die du einst als deine Freun­din angesehen hast. Oh, das hattest du vergessen?... Ich mag es nicht, von dir abgeschnitten zu sein, also mache ich den Versuch, Kontakt zu bekommen.«[4]
Als sie den Garten am ersten Wochenende im Mai wieder für wohltätige Zwecke öffnete, kamen 800 Leute. Vita betrachtete diese Invasion in keiner Weise als Störung. »Es ist eine echte Erfah­rung, seinen Garten für das Publikum zu öffnen«, schrieb sie in ei­ner der folgenden »Ländlichen Bemerkungen«; »es ist ein Vergnü­gen, ja, man fühlt sich geschmeichelt... Man teilt seine persönliche Freude; die Anlage, die man über zehn, zwanzig Jahre aufgebaut hat, wird Teil des Vergnügens wißbegieriger, emsiger Gärtner.«[5] Diesen interessierten Fremden gegenüber war sie nie schüchtern, abwehrend oder hochmütig. Sie hatte für sie alle Zeit der Welt. Sie wurde ihrerseits gebeten, bei dörflichen Garten Wettbewerben als Preisrichterin zu fungieren. Der Cottage-Garten in Hurstmonceaux, dem sie im August einen Preis gegeben hatte, war, wie sie später erfuhr, ganz und gar auf der Grundlage ihrer Rundfunksen­dungen über Gärten geplant worden: »Ich hatte das Gefühl, nicht umsonst gelebt zu haben.«
Der Garten in Sissinghurst erreichte seinen ersten Grad an Per­fektion und wurde im letzten Sommer vor dem Krieg bereits als eine größere persönliche Leistung gewürdigt. Wie Anne Scott-James geschrieben hatte:

  • »Es gibt Sissinghurst-Pflanzen und Sissinghurst-Methoden, Pflanzen zu kombinieren, und Sissinghurst-Ideen und -Einfälle. Der Sissinghurst-Stil war 1939 für jedermann klar zu erkennen.«[6]

1913, als Vita heiratete, hatte ihre Zeitgenossin und gelegentliche Kritikerin Rebecca West das Schöpferische definiert als »das Ungewöhnliche, das sich selbst rechtfertigt«; »jene, die wissen, daß sie, aus welchem Grund immer, den Gesetzen des Lebens unterworfen sind... vereinigen sich mit dem Leben durch einen gewaltigen Akt der Schöpfung.« Vita Sackville-West schrieb ein paar gute Bücher und ein paar gute Gedichte, aber ihr einziger »gewaltiger Akt der Schöpfung« war Sissinghurst.
Neben der Voliere mit den Wellensittichen gab es in Sissinghurst mehr als hundert weiße Tauben, die dekorativ auf den Dächern und Wegen rund um den Turm saßen, wo sie in einem der Türm­chen nisteten. »Ich pflegte sie immer am Fuß des Turms zu füttern, und sie waren so zahm, daß sie sich auf meinem ganzen Körper nie­derließen — auf meinem Kopf, auf den Schultern und Händen. Als ich sah, daß der Krieg unmittelbar bevorstand, machte ich mir große Sorgen, was ich mit ihnen anfangen sollte, weil ich wußte, daß ich dann kein Futter mehr für sie haben würde. Und dann ge­schah etwas ganz Außergewöhnliches: sie verschwanden alle. Es war, als hätten sie es gewußt.«
Als Deutschland am 1. September in Polen einmarschierte, wußte Vita bereits, welche Aufgabe sie im Krieg haben würde. Sie hatte sich bereit erklärt, bei der örtlichen Verwaltung mitzuarbei­ten, wo sie sich um Anwerbung und Öffentlichkeitsarbeit für die »Womens' Land Army«* (* Weibliche Hilfsorganisation für die Landwirtschaft [Anm. d. Übers.]) kümmern sollte: sie hatte bereits Strohla­ger für Flüchtlinge vorbereitet; und sie war, für den Fall, daß es bei Luftangriffen Verletzte gab, als Fahrerin eines Krankenwagens ausersehen. (Am 24. August erkundigte man sich während des Es­sens telephonisch, ob ihr Buick eine acht Fuß lange Bahre oder »bloß sitzende Fälle und Leichen« aufnehmen könne.)
Am 2. September gab es noch einmal eine routinemäßige Überprüfung des großen Zimmers, bei der man feststellte, daß es gas­dicht war. Am 3. September befand sich England im Krieg. »Unru­hige Tage in Sissinghurst«. Zwischen London und den Kanalorten gelegen, befand sich Sissinghurst in der Flugroute der Bomber in beiden Richtungen; es waren Bomben, nicht das überaus gefürchtete Giftgas, die zur Gefahr werden sollten. Vita war mit allen Vor­kehrungen in Sissinghurst beauftragt und überwachte die obligato­rische Verdunklung, wie sie im Oktober in ihren »Ländlichen Bemerkungen« schrieb:

  • »Jede Nacht mache ich meine Runden wie ein Nachtwächter, um festzustellen, ob die Verdunklung total ist. Nicht ein Lichtspalt deutet darauf hin. daß unter diesen Dächern, hinter diesen verdun­kelten Fenstern Leben ist... Ich wandere herum, und gegen Mitter­nacht wird mir klar, daß die einzige Verdunklung, die mir auffällt, die meiner Seele ist. So tief sind Schmerz und Kummer, daß sie mit Worten nicht auszudrücken sind.«

Am 16. September hatte Vita an Virginia geschrieben: »Wir wollen uns hin und wieder schreiben ... Du fragst, wie es mir geht, und ich erzähle es dir«:

  • »In erster Linie stört mich das, was du den unablässigen Verdruß der kleinen Vorkehrungen nennst — nie ist man für sich: dauernd Leute im Haus: jedesmal fünf, sechs, sieben, acht Personen bei Tisch: die Notwendigkeit, meine Schwiegermutter für ich weiß nicht wie lange aufzunehmen... Darunter kommen dann, in der zweiten Schicht, die Ängste: die jungen Männer, um die man sich sorgt, deren Leben durcheinandergeworfen ist und das sie viel­leicht auf entsetzliche Weise verlieren werden; Ben, bei einer Flak-Batterie, lernt, auf niedrig fliegende Flugzeuge zu achten, die vielleicht mit Maschinengewehren angreifen: Nigel wartet und wartet, zur Garde einberufen zu werden... Dann, in der dritten Schicht, der tiefsten von allen, kommt die eigene Pein und Ver­zweiflung über diese ganze verruchte Narrheit... in meinem gan­zen Leben hab ich mich — körperlich und seelisch — nie so müde ge­fühlt. .. Ich möchte dich gern sehen.«[7]

Sie besuchte Virginia, die »so süß und zärtlich zu mir war, daß es mich rührte«.
Es war Ironie, daß Vita gerade den besten Gärtner eingestellt hatte, den sie bis jetzt gehabt hatte. Sein Name war Jack Vass, und er hatte in den großen Gärten in Cliveden gearbeitet. Der Garten würde zweifellos so etwas wie ein Kriegsopfer werden, aber Vass und Vita konnten nicht widerstehen, Pläne zu machen. Er legte den Teich im früheren Rosengarten trocken, was schon seit geraumer Zeit Vitas Wunsch gewesen war: jetzt mußte dieser Raum gefüllt werden, und am 13. Dezember teilte Vita Harold ihren Traum vom Weißen Garten mit: »ganz in Weiß, nur weiße Blumen mit ein paar Einsprengseln von sehr blassem Rosa. Weiße Clematis, weißer La­vendel, weiße Schmucklilien, weiße, gefüllte Primeln, weiße Ane­monen, weiße Lilien, darunter in einer Ecke Giganteum und die blasse pfirsichfarbene Pulverulenta.« Harolds einziger Einwand war, der Platz könne vielleicht zu wenig Sonne bekommen. »Allein, es ist eine so gute Idee, daß ich ihr Erfolg wünsche... Liebling, wie sehr entführen einen diese Dinge aus der Kümmernis dieses Krie­ges.« Vita antwortete, daß sie in bezug auf den Garten aus Prinzip hemmungslos sei. >Laß uns pflanzen und fröhlich sein, denn im nächsten Herbst sind wir vielleicht ruiniert.« Im Februar 1940 errechnete sie, daß sie im Verlauf des vergangenen Jahres auf Verstei­gerungen zwischen 11 000 und 12 000 holländische Knollen gekauft hatte. Aber der Weiße Garten sollte erst nach dem Krieg fertiggestellt werden.
Nigel ging zu den Gardegrenadieren. Ben war in Rochester bei ei­ner Flak-Batterie unter dem Kommando von Victor Cazalet, einem unmittelbaren Nachbarn der Nicolsons. Bens Einstellung zu einem Krieg, der gewonnen werden sollte, war nach Vitas Meinung »be­klagenswert«. Er war im Herzen ein Pazifist; er haßte die Armee und weigerte sich lange, sich zum Militär zu melden. Nigels Hal­tung war unkomplizierter, und er gab einen guten Soldaten ab - »Nigel ist moralisch kerngesund«, wie Vita Harold auseinander­setzte. So sehr Vita den Krieg auch verabscheute, so war sie doch der Ansicht, er müsse jetzt geführt werden. Sie versuchte, Ben in­nere Kraft einzuflößen, ohne ihn gegen sich aufzubringen:

  • »Du mußt wissen, daß ich einen großen Teil deiner Schwäche und Introvertiertheit mit dir gemeinsam habe. Auch die späte Entwick­lung teile ich mit dir... Du sagst, daß du mit 22 plötzlich zur Reife gekommen seist; ich fing damit sogar erst mit 26 an [d. h. als sie in der Beziehung zu Violet ihre eigene Natur entdeckte]... Der wirkli­che Unterschied zwischen uns besteht, glaube ich, darin, daß ich mich, weil ich über das leidenschaftlichere Wesen verfüge, heftiger gegen meine eigenen Schwächen und Introvertiertheiten gewehrt habe.«

Mitte Mai folgte Churchill Chamberlain als Premierminister, wäh­rend feindliche Flugzeuge über Sissinghurst hinwegdröhnten, um ihre Bomben über den Marinewerften von Chatham abzuwerfen. Am 17. Mai rief Churchill persönlich in Sissinghurst an und bat Ha­rold, als Parlamentarischer Staatssekretär ins Informationsministerium unter Duff Cooper zu gehen. Harold war entzückt, und Vita freute sich für ihn, meinte jedoch, man müsse ihm eigentlich Dufis Posten geben, denn »mit dir verglichen, ist er eine weiße Maus«.
Ein Angehöriger der Home Guard* stand jede Nacht auf dem Dach von Vitas Turm Wache und hielt nach Fallschirmspringern und Luftlandetruppen Ausschau. (* Diese freiwillige Heimatwehr hatte Anthony Eden im Mai 1940 ins Leben gerufen [Anm. d. Übers.]). »Mit Stahlhelm und Flinte nimmt er sich im Mondlicht über der Brüstung höchst malerisch aus.« Man rechnete mit einer Invasion der Deutschen, und falls die­ser böse Traum Wirklichkeit werden sollte, würde man die Bevölke­rung von Kent auf Anordnung der Regierung möglicherweise zwangsweise evakuieren. Sollte das geschehen — so Harold mit brutaler Eindringlichkeit — müsse Vita »den Buick mit vollem Tank startbereit machen. Ins Innere sollst du die Verpflegung für 24 Stunden packen und hinten hinein dei­nen Schmuck und meine Tagebücher. Die sind rechts im Bücherre­gal, wenn du mein Arbeitszimmer betrittst. Du wirst Kleider benö­tigen und alles, was besonders kostbar ist (Barbara?) [die hölzerne Heiligenfigur, die Harold ihr geschenkt hatte], aber das übrige wird zurückbleiben müssen.«
Sie solle Owen mitnehmen — die das »Horserace« genannte Cottage in den Feldern unweit Sissinghurst bezogen hatte — und die Coppers und zum Haus von Harolds Bruder, Eric, in Devonshire fahren, dabei »Hauptstraßen vermeidend«. Da Vita wußte, daß sie, falls ein Notfall eintrat, ihren Posten als Fahrerin des hiesigen Krankenwagens nicht verlassen durfte, schickte sie eine kleine Aus­wahl wichtiger Dinge — Harolds Tagebücher, ihr Testament und das Manuskript von Orlando — zur sicheren Aufbewahrung nach Devonshire. Harold akzeptierte, daß Vita ihren Posten nicht verlassen konnte, und schrieb ihr, er glaube nicht, daß die Deutschen, selbst wenn sie Sissinghurst besetzten, ihr etwas antun würden. »Um aber ganz sicherzugehen, daß dir nichts Demütigendes zugemutet wird, solltest du wirklich einen blanken Dolch* zur Hand haben, damit du dich nötigenfalls still davonmachen kannst. (* Unter dem Kürzel »Blanker Dolch: treten in den Briefen die Giftpillen auf, die Harold von seinem Arzt Pierre Lansel erhielt [Anm. d. Übers.].) Ich werde auch einen haben ... Mein Liebstes, ich fühlte mich dir gestern so nahe. Wir brauchen niemals alles in Worte zu fassen.« Vita schrieb am folgenden Tag: »Jedesmal, wenn wir uns jetzt begegnen, müs­sen wir immer bedenken, daß wir uns vielleicht nie wieder begeg­nen werden.« Und was den »blanken Dolch« anging, versprach sie, »daß ich damit niemals etwas übereilt oder unbedacht tun werde, aber ich hätte ihn gern bei mir... Es muß etwas Rasches, Schmerzloses und Handliches geben.« Sie hoffte, es werde Zyankali sein, von dem sie in der Zeitung gelesen hatte, es führe »nach ein paar Sekunden zur Bewußtlosigkeit und nach zwei Minuten zum Tod«. Jedoch die Pillen, die Harold von dem mit ihm befreun­deten Arzt erhielt, wirkten erst nach einer Viertelstunde. Vita war froh, sie zu haben, »obgleich ich bedaure, daß sie so langsam zum schmerzlosen Tod führen. Siehst du diesen besonderen fünfzehn Minuten wirklich mit viel Freude entgegen? Ich hätte nichts dagegen, wenn wir dann zusammen wären.«
Copper verbrachte seine Zeit damit, Molotow-Cocktails zu ba­steln, um Invasoren zurückzuschlagen. Doch dann erhielten er und der neue Gärtner Vass ihren Gestellungsbefehl. William Taylor, ein Hilfsgärtner, der unter leichten epileptischen Anfällen litt, blieb. Vita versuchte ohne große Freude, an Grand Canyon zu arbeiten, und akzeptierte einen Auftrag, zu der bei Collins erscheinenden pa­triotischen Reihe »Britain in Pictures« ein Buch über englische Landhäuser beizusteuern. Auf dem Rücken ihres Tagebuches 1940 stellte sie eine Liste wichtiger Dinge zusammen, die sie mitnehmen mußte, falls sie wirklich vor einer Invasionsarmee würde fliehen müssen:

  • »Stiefel. Breeches. Pullover. Hemden. Strümpfe. Trauerkleidung. Pyjamas. Unterwäsche. Taschentücher. Päckchen [von Briefen?]. Aspirin. Dialdehyd. Vick. Natriumbikarbonat. Thermosflasche. Morgenmantel. Hausschuhe. Toilettengegenstände. Heißwasserflaschen. Grand Canyon [Manuskript]. Barbara. Unveröffentlichte Ge­dichte. Roget [Wörterbuch!. Scheckbücher. Zigaretten und Spitzen und Streichhölzer. Brille. Mein Exemplar von Collected Poems mit Korrekturen. Blanker Dolch. Waschsachen: Zahnpulver und Zahn­bürste; Nagelbürste: Rasierapparat. Sibyls Mantel. Handschuhe.«

Weder Vita noch Harold glaubten 1940 insgeheim, daß England den Krieg gewinnen könne. »Ich bin mir deutlich bewußt«, schrieb Harold am 15. Juni in sein Tagebuch, »daß vielleicht in drei Wochen Sissinghurst eine Wüstenei und Vita und ich tot sein werden.«
»Das Leben scheint schwer zu ertragen«, schrieb Vita am selben Tag in das ihre. George Hayter, der Mann der Köchin, Mrs. Staples, erlitt einen Nervenzusammenbruch. »Er schluchzt, zittert und ihm ist übel. Niemand kann sich denken, warum, nicht einmal Mrs. Staples. Ich denke, es ist der Krieg.«
Eine Mrs. Rice, die man eingestellt hatte, damit sie ein paar der Copperschen Aufgaben übernahm und im Garten half, war ein weiterer Fall von Nervenzerrüttung durch den Krieg: eines Nach­mittags wurde sie von Mac und Vita total betrunken in ihrem Zim­mer gefunden. Schließlich verschwand sie ohne Erklärung. »Jetzt sickert durch, daß ihr Lieblingsgetränk eine Mischung aus Eau de Cologne und Gin war, also nehme ich nicht an, daß sie es lange machen wird. Im Dorf ist kein Eau de Cologne mehr zu bekommen; sie hat alle Vorräte aufgekauft.« Auch Harolds unverheirateter Bru­der Freddy, Lord Carnock, trank schwer, so daß seine alte Mutter, Lady Carnock, kaum mit ihm fertig wurde.
Hilda Matheson leitete einen fremdsprachigen Propagandasen­der, für den Vita ein paar Beitrage in französischer Sprache beisteu­erte. Im Oktober kam Hilda wegen einer Schilddrüsenoperation ins Krankenhaus und starb. Dorothy Wellesley, die völlig von Hilda abhängig geworden war, befand sich in einem hoffnungslosen Zustand. Vita suchte sie sogleich in Penns auf und fand sie »völlig aufgelöst und unfähig zu sprechen« vor. (Am selben Tag erfuhr Vita, daß Long Barn, wo jetzt Flüchtlingskinder aus London unter­gebracht waren, von einer Bombe beschädigt worden war. »Kein angenehmer Tag.«) Dotties Arzt sagte Vita, daß Dottie eine Kran­kenschwester brauche, man aber nichts tun könne. »Es gibt keine Möglichkeit, eine Person, die trinkt, zu zwingen oder zu kontrollie­ren.«
Trotz ihrer weit stärkeren Willenskraft griff auch Vita in zuneh­mendem Maß zum Alkohol, um die langen, schreckenerregenden Abende zu überstehen.
Die fast ununterbrochenen Luftangriffe hatten im August begon­nen. Der Blitz* konzentrierte sich auf London — und dort war Harold.(* The Blitz: die deutschen Luftangriffe auf London 1940/41 [Anm. d. Übers.]), doch auch in der Nähe von Sissinghurst gab es Luftkämpfe, und Nacht für Nacht fielen Bomben auf Kent. Violet Trefusis war aus dem besetzten Frankreich entkommen und hatte ihr geliebtes Haus Saint-Loup aufgegeben, das ihre Mutter für sie gekauft hatte. Als sie in England war, nahm sie sogleich Kontakt mit Vita auf, die sie zögernd nach Sissinghurst einlud. Violet schob den Besuch hin­aus, und dann nahm sie ganz davon Abstand: Sie ging nach Somer­set. Vita, durch Erwartung, Furcht und Enttäuschung zermürbt, schrieb ihr:

  • »Was für ein gefährliches Wesen du bist. Ich denke, wir sehen uns besser nicht zu oft. Wir haben einander zu viele Jahre lang zu tief geliebt, und wir dürfen nicht wieder mit dem Feuer spielen. Allein schon der Klang deiner Stimme am Telephon bringt mich aus der Fassung. Ganz abgesehen von diesen drei Jahren unserer leiden­schaftlichen Liebesaffäre hatten wir viele Jahre kindlicher Liebe und Freundschaft hinter uns... Es macht dich mir teuer. Es macht mich dir teuer. Es steht für die kleinen Späße, die wir zusammen ausheckten — Sachen wie die in der Waffenkammer von Duntreath, unser Kinderspielzeug, sogar die Schallplatte mit der Symphonie Antar, die ich heute herausge­sucht hatte, um sie dir vorzuspielen...
    Ich bin traurig, daß du heute nicht herkommst; eine wirkliche Enttäuschung. Ich hoffe, du kommst, wenn du aus Coker zu­rückkehrst — doch in gewisser Hinsicht will ich nicht, daß du kommst.«[8]

In Sissinghurst fand man auf einem Feld am See Kugeln eines Ma­schinengewehrs; zwei Brandbomben gingen in der Nähe nieder; Blindgänger blockierten eine der Zufahrtsstraßen zum Dorf; bei einer Explosion fiel der Putz von der Decke in Vitas Schlafzimmer, und der Bahnhof in Staplehurst wurde schwer beschädigt. Am 11. September — als der Mond im Abnehmen war — warnte Churchill die britische Bevölkerung über das Radio; wenn die Invasion komme, sagte er, sei in den nächsten zwei Wochen damit zu rech­nen. In dieser Situation schrieb Vita an Violet:

  • »Seltsam, wie der Krieg die Linien unserer Leben wieder zusammengeführt hat... Man reist weit, nur um zum Ausgangspunkt zurückzukehren.«[9]

Violet schrieb Vita und bat sie, sich auf halbem Weg mit ihr zu treffen; Vita erwiderte:

  • »Liebling, ehrlich, ich glaube, wir gehen einander besser aus dem Weg. Ich glaube, die Liebe, die wir immer füreinander empfanden, ist der Zeitbombe vergleichbar, die viel­leicht jeden Augenblick hochgehen kann.«

Sie hätte Violet gern in Sissinghurst gesehen, wenn sie sich jedoch »in irgendeinem Dorf in Somerset oder Dorset« träfen,

  • »würde das zu allerlei Sachen füh­ren, die ich nicht wiederbelebt sehen möchte«.[10]

Schließlich erklärte sich Vita einverstanden, Violet zu treffen. Sie setzte Harold davon in Kenntnis:

  • »Aber sei nicht beunruhigt: Keine zehn Pferde könnten mich dazu bringen, mich mit Violet einzulassen. Sie tut mir leid, denn sie hat in Frankreich alles verlo­ren.«

Die einstigen Vagabunden trafen sich — die eine inzwischen achtundvierzig, die andere sechsundvierzig Jahre alt — zum Lunch im Roten Löwen in Pulborough, Sussex, am 15. Dezember. Vita ver­brachte die Nacht bei ihrer Tante Cecilie im nahen Haslemere, und von dort schrieb sie Violet einen langen, unglücklichen Brief. Sie wagte es nicht, Violet wieder in ihr Leben aufzunehmen:

  • »Ja, es war gut, dich wiederzusehen — und das unsinnige Glücksge­fühl, dich im Auto neben mir zu haben — sogar der jähe Schmerz beim Abschied von dir war belebend. Die Vergangenheit macht mir keine Sorgen. Ich trage sie für im­mer im Herzen. Die Gegenwart beunruhigt mich nicht. Sie wird mit jedem Tag Vergangenheit. Es ist die Zukunft, die mir Sorgen macht, unsere Zukunft — und ich muß dir erläutern, wie ich über sie denke. Ich werde dies in der Form einer Erklärung tun.
    1) Ich sagte dir, daß ich mich vor dir fürchtete. Das stimmt. Ich will mich nicht wieder von neuem in dich verlieben oder mich auf eine Weise mit dir einlassen, die mein Leben, wie ich es jetzt einge­richtet habe, komplizieren würde.«

Sie wollte die ganze Heimlichtuerei nicht, die eine Affäre mit sich bringen würde.

  • »Außerdem, wäre es bloß >eine Affäre<? Es wäre eine Wiederaufnahme dessen, das du zu Recht eine griechische Tra­gödie nanntest, und das will ich nicht.«

Vitas zweiter Einwand war, sie sei nicht frei, sich auf ein weiteres Abenteuer einzulassen, »und ich will meinen >Anhang< ebensowenig betrügen, wie ich dich je be­trogen habe«. Violet hatte sie durch die Behauptung aufgeschreckt, sie habe nie an ihre Treue geglaubt.

  • »Ich war dir absolut treu, bis zu dem Augenblick, als ich dir am Telephon sagte, daß ich dir untreu geworden sei.«

Als dritten Grund führte sie an, daß sie niemals zu ihrer kindlichen Beziehung zurückkehren könnten.

  • »Wir könnten diese nette, schlichte, naive, kindliche Verbindung einfach nicht er­neuern, ohne daß sie wieder in eine leidenschaftliche Liebesbezie­hung umschlägt«:
  • »Du und ich können nicht Zusammensein. Ich gehe über Landstra­ßen und stoße auf ein Schild »Vorsicht — Blindgänger». Also muß ich einen anderen Weg einschlagen. Für mich bist du wie diese Bombe, die jeden Augenblick explodieren kann.
  • Ich will nicht, daß du explodierst.
  • Ich will mir mein Leben nicht auseinanderreißen lassen. Mein ruhiges Leben ist mir teuer, ich hasse es, wenn man mich davon wegschleppt.
  • Dieser Brief wird dich zornig machen. Es ist mir gleich, wenn er das tut, weil ich weiß, daß keine Wut oder Verärgerung jemals die Liebe zerstören können, die zwischen uns besteht.
  • Aber wenn du mich wirklich brauchst, werde ich immer zu dir kommen, überallhin. Mitya.«[11]

Der Krieg und die Möglichkeit, daß jederzeit Tod und Zerstörung hereinbrechen konnten, hatten Vita für Violet anfällig gemacht, wie das seit Jahrzehnten nicht der Fall gewesen war. War ihr Brief ein Ausdruck des Sieges oder der Niederlage, war er ein Schritt auf das Leben zu oder eine Hinnahme des Dunklen? Der letzte Teil ih­res Briefes weist die unruhige, krakelige Handschrift auf, mit der sie nur schrieb, wenn ihr Blick von Alkohol oder von Tränen ge­trübt war.

Kapitel 28

Eine unerwartete Folge der Anwesenheit Violets in England war ihr gelegentlicher Kontakt mit Harold. Wie es unvermeidlich war, trafen sie sich auf Parties in London und speisten hin und wie­der zusammen. Vita und Violet schrieben sich weiterhin beinahe jede zweite Woche, wobei Vita die Einladungen Violets konsequent ablehnte. »Man hat in diesen Tagen mehr als genug zu tragen, um sich noch mehr aufzuladen ... Nun sage nicht, ich sei ausweichend gewesen, und glaube nicht, die Versuchung, mit dir zusammen zu sein, sei nicht groß. Das stimmt nicht.«[1] Im März 1941 bekannte sie Violet. »daß ich dich immerwährend liebe, auf die merkwürdige Art, die uns beiden bewußt ist. Das bedeutet nicht, daß ich dir traue oder mich dir je wieder ausliefern würde.« Von Violet kam die Idee, man solle ihre Geschichte niederschreiben, ein Gedanke, der Vita ebenfalls beschäftigte: »Könnten wir (du und ich) zusammen­arbeiten? — Nein, ich glaube nicht. Es wäre das Buch einer Person. Ich bin der Meinung, daß es ein großes und neues Thema ist, und ich würde es gern in Angriff nehmen. Die intensiven Gefühle, die mich durch mein ganzes Leben begleitet haben, wären es wert, eine Geschichte daraus zu machen.«[2] Sie sagte nichts — zumindest hier — über ihr Manuskript von 1920, und sie hat sich nie in einer an­deren Form an diesem »großen und neuen Thema« versucht.
Im Juli 1941 war Ben in Yeovil in Somerset stationiert, nicht weit von Coker Court, wo Dorothy Heneage, die alte Freundin seiner El­tern, lebte. Violet hatte West Coker Manor bezogen, und Ben würde bei Mrs. Heneage bestimmt mit ihr zusammentreffen. Vita schrieb ihm alles über Violet:

  • »Sie wird dich amüsieren, aber du mußt vor ihr auf der Hut sein. Sie ist eine Sirene. (Nicht eine vom Luftalarm.) Ihre Erscheinung wird dich verblüffen, da sie ihren Sinn für Eleganz verloren hat. Sie hat die lieblichste Stimme von der Welt; durchsetzt ihre Konversa­tion mit französischem Slang, der so aktuell ist, daß man kaum die Hälfte davon versteht: ist eine Mythomanin und dazu von Grund auf unaufrichtig; ist geistreich: ist eine extravagante und phanta­sievolle Persönlichkeit: geht einem dadurch auf die Nerven, daß sie es liebt, in einer Welt von Intrigen zu leben, und entschlossen ist, dich mit hineinzuziehen; ist, mit einem Wort, einer der gefährlich­sten Menschen, die ich kenne. Ich habe dich gewarnt. Gleichzeitig verfügt sie über außerordentlich wertvolle Eigenschaften; nun, da ich dich über sie aufgeklärt habe, kannst du auf der Hut sein, aber auch nach dem wertvollen Teil Ausschau halten.«

Es sei merkwürdig, schrieb Vita an Harold, daß Ben, der vermut­lich während ihrer Flitterwochen in Coker gezeugt worden sei, jetzt nach Coker ginge, um Violet zu treffen, »die unsere Ehe um ein Haar zerstört hätte, aber Gott sei Dank keinen Erfolg damit hatte«. Das Zusammentreffen von Ben und Violet faszinierte sie: »Ich hoffe, daß Ben sich nicht in Violet verlieben wird. Das wäre mög­lich, weißt du.«
Nichts war unwahrscheinlicher. Doch für Vita war Ben noch im­mer in gewissem Sinn die Reinkarnation ihrer selbst: noch immer schrieb sie ihm Briefe, in denen sie wiederholte, wie ähnlich sie sich seien (»wenn je zwei Menschen für den Elfenbeinturm gemacht wurden, dann du und ich«) und warum sie deshalb ihn und seine Probleme auf eine besondere Weise verstehen könne. Aber Ben er­richtete notwendigerweise Barrieren zwischen sich und seiner Mut­ter. Er war im Januar für ein Wochenende zu Hause gewesen und hatte anschließend einen Brief an seinen Bruder geschrieben, der Vita, hätte sie ihn gelesen, zerschmettert hätte. Ben konnte weder die geistige Trägheit noch die konservative Einstellung seiner Mut­ter ertragen. Er hatte ihr erzählt, seine Einheit werde ins Ausland geschickt, doch er werde nicht mitgehen. Für ihn war das eine Er­leichterung, eine Tatsache, die zu begreifen sie sich weigerte. »Du kennst Mutters Gewohnheit, sich einzubilden, daß alles, was (nach ihrer Meinung) so sein sollte, auch so ist. Wenn sie also der Meinung ist, jemand müsse einfach gern ins Ausland gehen« kann man sie durch nichts vom Gegenteil überzeugen.«

  • »Ich glaube, der Mangel an Realitätssinn erwächst aus ihrer Ge­wohnheit, uns als 12 und 14 Jahre alte Kinder zu betrachten. Wenn man in diesem Alter etwas aussprach, glaubte sie es nicht, es sei denn, es stimmte zufällig mit ihrer Ansicht überein oder es war pit­toresk ... Nun hat es aber gar nichts Pittoreskes an sich, wenn man nicht in Kenia kämpfen will... Folglich schenkt man meinen Ansichten keine Beachtung, meine Schwäche übergeht man gewis­sermaßen mit taktvollem Schweigen, ich werde wieder als der ro­mantische, wilde, dunkle Junge (oh-er-ist-ja-noch-so-jung) abge­stempelt, und mir werden edle Gefühle unterschoben, die ich nie geäußert habe - >Ben ist so enttäuscht, daß man ihn nicht ins Aus­land schickt.<«

Ben machte nicht den geringsten Versuch, zu erklären, warum er nicht ins Ausland wolle.

  • »Das wäre so töricht, als wollte ich meinen Kameraden am Geschütz die Quantentheorie erklären.«
  • »Sie wünscht, dagegen zu sein und eifersüchtig zu sein, solange man ihr die Gelegenheit gibt, ein wildes, romantisches Verhalten eher abzulehnen als ein zahmes, prosaisches Verhalten. Du weißt, daß wir unser Leben lang Mama enttäuscht haben (wenn sie sich das auch nicht eingestehen würde, denn sie ist zu loyal, zu liebevoll und uneigennützig), weil wir uns nicht töricht benahmen, wir ha­ben ihr keine Gelegenheit gegeben, uns zu retten. Es ist ihr nie ver­gönnt gewesen, für den verlorenen Sohn ein fettes Kalb an den Spieß zu stecken.«

Es kam noch schlimmer. Er habe, so schrieb er weiter an Nigel, eine Freundin zum Dinner nach Sissinghurst mitgebracht. Es sei ein »gräßlicher Reinfall« gewesen:

  • »Mama war unangenehm liebevoll und unfähig, etwas zu verste­hen. Sie wird nie mehr etwas Neues lernen. Es ist schrecklich, diese vorzeitige Senilität mitanzusehen. Ihr Moralkodex gründet sich auf vollkommen willkürliche Voraussetzungen und nimmt von dem Wissenszweig keine Kenntnis, in dem, wie jeder zugeben muß, das 20. Jahrhundert enorme Fortschritte gemacht hat — die Wissenschaft der Psychologie. Für sie ist eine Handlung (Diebstahl. Un­treue. Unaufrichtigkeit) unrecht, ungeachtet der Motive, die ihr zugrunde liegen. Für sie hängt es von der Umgebung ab, ob man unglücklich ist (daher ihre Verwirrung, wenn sie sich Eddy gegenübersieht, »der solch ein leichtes Leben hat, ich kann es nicht verstehen«), und nicht von der Gemütsverfassung. Für sie ist Trunk­sucht ein unmoralisches Vergnügen und nicht, wie für uns, eine aussichtslose Methode, Elend zu vergessen... Verstehst du, ich und du haben bis zum Alter von 22 Jahren unter einer schützenden Hülle gelebt. Wir beide haben zuviel als gegeben hingenommen, wir sind zu blind gewesen, um zu begreifen, daß vieles, was man uns beigebracht hat, seit 40 Jahren aus der Mode ist... Im allgemeinen gehören die Eltern intelligenter Leute einer völlig anderen Welt an, so daß ihre Kinder nicht in Versuchung ge­raten, sie zu kopieren; du und ich hingegen haben Eltern, die dafür gesorgt haben, daß uns bis ins Mannesalter eine sehr befriedigende Schutzhülle umgab.«

Erst jetzt, im Alter von siebenundzwanzig Jahren, warf Ben diese »Schutzhülle« ab, und weil sein Drang nach Unabhängigkeit so spät einsetzte, nahm er um so heftigere Formen an. Er mußte sich emotional vollkommen von Vita lösen, wobei er sie gelegentlich mißdeuten mußte, um das zu schaffen, und er mußte es eine sehr lange Zeit durchhalten. Er schloß seinen Brief an Nigel mit der Feststellung, daß man, habe man diese Schutzhülle erst einmal ab­geworfen,

  • »ein neues Verhältnis zu seinen Eltern gewinnt— die gleiche Zuneigung, sogar noch verstärkt, aber nicht mehr die gleiche Abhängigkeit und Verständigung. Genau dasselbe widerfuhr Mama und Papa in den Beziehungen zu ihren eigenen Eltern. Und wenn das nicht geschieht, treten furchtbare unbekannte Kräfte wie Ödipuskomplexe in Aktion. Es ist ein notwendiges Stadium in der Entwicklung eines Mannes.«

Ohne auf Bens psychologische Vereinfachungen einzugehen, lohnt sich die Frage, ob Vita je die Reife erlangte, ihre Mutter, so­lange diese lebte, vorurteilslos zu sehen: ob sie jemals unter der gefährlichen, verführerischen Schutzschicht hervorkam, die B.M.. je nach Lust und Laune, bereithielt, entzog oder mißbrauchte. Vita sagte oft zu Harold. daß Violet sie an B.M. erinnere. Aber in gewis­ser Weise hatte Vita in allen ihren Liebesbeziehungen B. M. gespielt. In Violet hatte sie ihre Meisterin und in ihrer Persönlichkeit ein Ebenbild ihrer Mutter gefunden. Harold war - ebenso wie Virgi­nia — ein Fall für sich.
Vitas Beziehung zu Virginia wurde durch die Sorgen der Kriegs­zeit enger und inniger. Vita versorgte die Woolfs mit Butter (man stellte in Sissinghurst eigene Butter her) und mit Strickwolle, die von den Jacobs-Schafen in Sissinghurst stammte. Vita war es ge­lungen, ein paarmal nach Rodmell zu fahren; Anfang Oktober 1940 erzählte ihr Virginia in Monk's House, sie »kritzele an ihren Erinne­rungen«, und schrieb in ihr Tagebuch, sie sei mit einemmal »in ein warmes, anheimelndes Verhältnis« zu Vita geraten. Immer eifer­süchtig, fügte sie hinzu: »Sans Gwen ist es so einfach. Gwen, sagt sie, sei für sie >wie ein Kind<«. Virginia hielt Gwen für eine vollkom­mene Egoistin. In ihrer Zweisamkeit stützten Vita und Virginia ein­ander liebevoll. »Du bedeutest mir mehr, als du je wissen wirst«[3], schrieb Vita in einem Dankesbrief.
Am 17. Februar war Vita wieder in Monk's House und verbrachte dort die Nacht, nachdem sie vor dem Frauenverein von Rodmell ih­ren abgedroschenen Vortrag über Persien gehalten hatte. Sie schrieb an Harald:
»Virginia spricht gerade mit den bedint, und ich sitze allein in ih­rem freundlichen Zimmer mit dem unglaublichen Durcheinander von Sachen; es ist so überfüllt, daß ich Angst habe, ich könnte et­was umwerfen. (Einen Stuhl habe ich schon zerbrochen.) Leonard ist, beladen mit Körben voller Äpfel und Mohrrüben, auf den Markt gezogen. Sie sind wirklich reizend. Leonard hat jetzt eine Katze, was bedeutet, daß in den Zimmern zusätzlich Blechnäpfe auf dem Boden herumstehen.«
Vanessa Bell kam zum Tee. »Ich mag sie auch, und sie würde mir noch besser gefallen, wenn sie nicht eine Geschwulst an der Nase hätte.« Das ganze Gespräch drehte sich um Vanessas zwanzigjäh­rige Tochter Angelica, die mit Bunny Garnett - fünfzig Jahre alt — zusammenlebte und vorhatte, ihn zu heiraten.

  • »Die Sache wird da­durch ein bißchen kompliziert, daß Duncan [Grant] und Bunny einmal eine Affäre miteinander hatten... Da Duncan Angelicas Va­ter ist, scheint zur Sodomie noch Inzest hinzuzukommen. Ich finde das lustig; sie überhaupt nicht, obwohl sie es zweifellos miteinan­der getrieben haben.«

Vita sollte das Scherzen vergehen. Alle ihre Wellensittiche starben, weil sie das richtige Futter nicht bekommen konnte. Tief de­primiert schrieb sie am 28. Februar in ihr Tagebuch: »Diese seeli­sche Verkümmerung dauert nun schon eine Woche.« Hätte sie doch gewußt, daß Virginias Seele in viel schlimmerem Zustand war. Am 6. März schrieb Vita an sie und schlug den Woolfs mögliche Daten für einen Besuch in Sissinghurst vor — mit dem Autobus, weil kaum Benzin zu bekommen war. Virginia legte sich nicht auf ein Datum fest. Es ist möglich, daß sie am 18. März ihre erste Notiz über Selbstmord machte und ihren ersten Selbstmordversuch unter­nahm. Am 22. März schrieb sie an Vita und legte einen Brief an den New Statesman bei, der offenkundig für Vita bestimmt, aber an »Miss Virginia Woolf« adressiert war: »Was für eine verrückte Gedankenübertragung! Nein, ich bin nicht du. Nein, ich halte keine Wellensittiche. Louie lebt noch: Sie füttert sie mit Brosamen... Wenn wir rüberkommen, darf ich ihr ein Paar mitbringen, falls wel­che überleben? Sterben sie alle sofort? Wann sollen wir kommen? Der Himmel weiß es...« Am 25. März tötete Martin, einer von Vitas Schäferhunden, einen anderen Hund und mußte erschossen wer­den. Vita war bei ihm, als er getötet wurde. »Alles höchst qualvoll.« Am 28. März ertränkte sich Virginia im Fluß, während Leonard im Haus war, und ließ auf dem Kaminsims im Wohnzimmer von Monk's House Briefe für ihn und für Vanessa zurück. Leonard hatte sie noch eine halbe Stunde zuvor in ihrer Gartenhütte gese­hen. Es war ein Freitag. Am Montag darauf erhielt Vita Briefe von Leonard und Vanessa und erfuhr, was geschehen war. Sie schrieb beiden sofort: an Harold schrieb sie:

  • »Als Leonard nach Hause kam [sic], fand er einen Zettel, sie werde Selbstmord begehen, und sie glauben, daß sie sich ertränkt hat, da er ihren Stock im Fluß treibend gefunden hat. Er sagt, sie habe sich die letzte Zeit nicht wohl gefühlt und habe Angst davor gehabt, sie könne wieder verrückt werden. Er schreibt: Vermutlich war es die Belastung durch den Krieg und die Fertigstellung ihres Buches [Zwischen den Akten], sie fand weder Ruhe noch mochte sie essen.
    Warum, warum hat er sie allein gelassen, wo er alles das wußte? Er muß sich die furchtbarsten Vorwürfe machen, der arme Mann. Den Leichnam haben sie noch nicht gefunden.
    Ich kann es einfach nicht fassen. Dieses herrliche Wesen, dieser herrliche Geist. Und sie schien so wohl zu sein, als ich sie das letzte Mal sah. Und noch vor zwei Wochen hatte ich einen spaßigen Brief von ihr. Sie muß ganz von Sinnen gewesen sein, sonst hätte sie Leonard und Vanessa nicht soviel Kummer und Entsetzen bereitet. Va­nessa hat ihn besucht und schreibt, er sei verblüffend beherrscht und ruhig, dringe aber darauf, daß man ihn allein läßt. Ich kann nicht umhin, mich zu fragen, ob er ihrem Beispiel folgen wird. Ich kann mir nicht vorstellen, wie er ohne sie weiterleben kann.«

Am selben Montag schrieb Harold — der von dem Vorgefallenen nichts wußte — einen sehr unglücklichen Brief an Vita. Ihre Briefe kreuzten sich. Die Vita, die er liebte, war unverwüstlich und stüt­zend: an einem der vorhergehenden Wochenenden hatte er ihr geschrieben: »Du bist so klug und sanft. Liebling, ich weiß immer, daß ich bei dir Trost und Rat finden werde.« Doch am letzten Wochenende war Vita, deprimiert durch den Krieg, die toten Wel­lensittiche, den toten Hund, nicht klug oder sanft gewesen. Ihre Reaktion auf die Depression hatte darin bestanden, daß sie sich be­trunken hatte. Harold schrieb ihr aus dem Informationsministerium:

  • »Ich weiß nicht, woran es liegt, aber es scheint, als könne ich dir nie helfen, wenn du Kummer hast«: »Ich bekomme Angst, wenn ich dich mit ungesunder Gesichtsfarbe sehe, wenn du keinem zuhören und nur langsam und mit Mühe sprechen kannst. Ich weiß immer, daß diese Situationen Schwin­delanfälle bedeuten. Ich glaube nicht, daß es die Nerven sind, son­dern ich denke eher, daß es etwas mit den Drüsen zu tun hat oder mit der Drüsenfunktion, die für das richtige Gleichgewicht sorgt, und das erschreckt mich. Ich mache mir solche Sorgen, wenn du diese Anwandlungen hast, weil ich dich überreden möchte, einen Arzt aufzusuchen, und du dich weigerst.«

Harold war nicht bloß außerordentlich zartfühlend. Er und Vita sprachen freimütig über die Alkoholprobleme Dorothy Wellesleys und seines Bruders Freddy. Es war nicht so sehr Taktgefühl, das ihn davon abhielt, sie mit der Kernfrage zu konfrontieren oder sie sich selbst zu stellen, sondern Qual und Stolz — er war auf Vita stolz und wollte es bleiben. Er ging dazu über, eine Umschreibung zu benutzen - »Deine Verschwommenheiten« — um auszudrücken, was ihm auffiel. Er beschönigte die Wahrheit; sogar, soweit es ihm möglich war, vor sich selbst. Bei diesem Anlaß war er so unglücklich, daß er zwei weitere Seiten hinzufügte, auf denen er von tieferen Ängsten und Ungewißheiten spricht:

  • »Ich frage mich, ob du glücklicher gewesen wärest, wenn du einen entschlosseneren und weniger sensiblen Mann geheiratet hättest. Einerseits wäre dir jedes Gefühl der Kontrolle oder Bevormundung zuwider gewesen, und andere Männer hätten vielleicht dein Verlangen nach Unabhängigkeit nicht verstanden. Das habe ich immer respektiert, und du hast darin bei mir oft fälschlich Zustimmung gesehen. Mich bekümmert die Frage, ob ich deinen exzentrischen Einfällen zuviel nachgegeben habe, so wie Dada B. M.s Exzentrizi­täten zuviel nachgab.
    Dagegen hat mir immer dein dualistischer Charakter Kopfzer­brechen bereitet. Die eine Seite zärtlich, klug und so verantwor­tungsbewußt; die andere aber ziemlich grausam und ausschwei­fend. An die erste habe ich mich immer als das eigentliche Du geklammert, während mich die zweite immer beunruhigt hat, und ich habe versucht, nicht daran zu denken... Ich hatte das Gefühl, daß diese Seite von dir über meinen Horizont hinausgeht. Wenn du dich dadurch richtig in die Nesseln setztest, warst du mir böse, weil ich mit der heftigen Seite deines Wesens nicht fertig geworden bin.
    Ich glaube nicht, daß du jemals richtig gemerkt hast, wie tief un­glücklich deine exzentrische Seite mich oft gemacht hat. Wenn ich unglücklich bin, schließe ich mich wie eine Auster... Ich liebe dich so sehr, mein Liebstes. Ich stütze meinen Kopf in beide Hände und sorge mich um dich.«

Vitas Brief, in dem sie Harold Virginias Selbstmord mitteilte, kam am nächsten Tag in London an: Harold kam schnurstracks nach Sissinghurst, um bei Vita zu sein. Man sprach nicht über sich und nicht über Virginia.

  • »Wir sind aber doch komische Leute, du und ich«, schrieb ihm Vita, dankbar für sein Kommen. »Virginias Tod hatte dich hergeführt, und doch haben wir das überhaupt nicht erwähnt... Es tut mir leid, daß ich schlafen ging. Ich hatte in der Nacht zuvor nicht viel geschlafen und konnte kaum die Augen offenhalten; du weißt, wie es einen am Nachmittag darauf gegen vier Uhr packt.«

Sein eigener unglücklicher Brief kam erst an, als er wieder nach London zurückgekehrt war. »Es war fast unerträglich, deinen Brief zu lesen«, schrieb Vita in ihrer Antwort, »zum Teil weil ich erwartet hatte, daß er von Virginia handele, und daher ehrlich überrascht war.« Sie weigerte sich, seine Befürchtungen ernst zu nehmen oder sich auf eine der Fragen einzulassen, die er angeschnitten hatte.

  • »Ich bin wirklich eine sehr glückliche Natur und bekomme nur manchmal Anwandlungen von Verzweiflung. Es ist töricht und egoistisch von mir zu sagen, daß mich der Krieg stört, wenn so viele Leute so unendlich viel mehr darunter zu leiden haben«: »Aber ich glaube ehrlich nicht, daß mit meinen Drüsen etwas nicht stimmt! Ich fühle mich normalerweise so wohl, daß mir das ganz komisch erscheint. Auch verstehe ich nicht ganz, was du mit mei­ner Exzentrizität meinst: ich habe nicht das Gefühl, daß ich im mindesten exzentrisch bin, sofern nicht die Vorliebe für das Leben hier exzentrisch ist: aber viele Menschen sind von Natur Einsiedler (und das bin ich vermutlich)... Also mache dir keine Sorgen, mein Liebster. Ich gebe dir mein Ehrenwort, daß mir nichts fehlt... Du bist zu mir immer so lieb gewesen, wie ich gar nicht sagen kann, und ich wünsche mir ganz gewiß nicht, daß ich jemand anders ge­heiratet hätte!«

Dieser Brief war nicht dazu bestimmt, ihn zu täuschen, sondern sollte ihm wieder Sicherheit geben, sollte ihm »seine Vita« zurück­geben.
Am 8. April fuhr Vita nach Charleston, um Vanessa zu besuchen. Es versetzte sie in einige Bestürzung, als Vanessa ihr sagte, Leonard wolle sie ebenfalls sehen: also fuhr sie weiter nach Rodmell:

  • »Er trank gerade Tee — nur eine Teetasse auf dem Tisch, an dem sie immer Tee tranken. Das Haus war voll von seinen Blumen, und Vir­ginias Sachen lagen wie üblich herum. Er sagte: >Gehen wir irgend­wohin, wo es behaglicher ist< und führte mich in ihr Wohnzimmer hinauf. Da lag ihre Handarbeit auf einem Stuhl, und ihre bunte Wolle hing über so einer Art Handtuchständer, den sie sich dafür hatte machen lassen. Ihr Fingerhut auf dem Tisch. Ihr Notizblock mit ihrer Schrift. Das Fenster, von dem aus man den Fluß sehen kann. Ich sagte: >Leonard, ich habe es nicht gern, daß Sie hier so al­lein sind.< Er richtete diese durchdringenden blauen Augen auf mich und sagte: >Es ist das einzig Richtige.<«

Leonard erzählte Vita, daß er, als er sie nirgends finden konnte, zu einem verlassenen Haus auf den Downs namens Mad Misery gegangen sei, das sie sehr gern hatte. (Vita erinnerte sich, daß sie ihr ein­mal von Mad Misery erzählt und gesagt hatte, sie wolle es ihr einmal zeigen.) »Sie haben den Fluß abgefischt, geben jetzt aber die Suche auf.« Vita wußte, daß Virginia schwimmen konnte, weil sie ihr einmal die Geschichte erzählt hatte, wie sie in Cambridge nackt mit Rupert Brooke* geschwommen sei. (* Rupert Brooke (1887-1913) talentierter Lyriker, der im I. Weltkrieg fiel [Anm. d. Übers.]) Aber Virginia hatte wahr­scheinlich ihre Gummistiefel getragen, und wenn diese sich mit Wasser füllten, mußten sie sie hinunterziehen; und außerdem hatte sie sich vielleicht, wie Leonard mutmaßte, Steine in die Taschen gestopft.
Er hatte recht. Am 18. April wurde Virginias Leichnam von Kin­dern gefunden. Leonard gab Vita das Manuskript von Mrs. Dalloway zusammen mit einem Teil von Der gewöhnliche Leser; und im Juli schickte er ihr ein Vorausexemplar von Virginias letztem Ro­man Zwischen den Akten.
Es ist behauptet worden, daß Zwischen den Akten zum Teil Virgi­nias Abschiedsbrief an Vita war, so wie Orlando ihr Liebesbrief gewesen war: und daß die Mrs. Manresa des letzten Buches in ihren lüsternen und verschwenderischen Aspekten eine Version Vitas dar­stelle.

  • »Es scheint, daß Virginia Woolf ihrem Roman einen für Vita bestimmten privaten Code unterlegte, der die Botschaft von Liebe. Haß, Lust, Untreue, Furcht und Tod in sich schloß. Vita allein war dazu bestimmt, die Botschaft zu entschlüsseln.«[4] Wenn das zutrifft, hat Vita die Botschaft entweder nicht entdeckt und entschlüsselt oder sie verschwieg die Tatsache, daß sie es getan hatte. Sie schrieb an Ben, für sie sei Zwischen den Akten »eine schreckliche Enttäu­schung« .

Noch anderes bedrückte Vita. Gwen hatte Gallensteine. Der Gar­ten wurde vernachlässigt und der Rasen entheiligt« indem man das Gras als Viehfutter verwendete. Im Juli wurden Duff Cooper und Harold im Informationsministerium abgelöst. Warnend schrieb Vita an Ben: »Es kränkt ihn schrecklich, nicht mehr der Regierung anzugehören... Darüber sollte man keine Scherze machen.« In der Krise war sie die sanfte, hilfreiche Vita, als die er sie brauchte.
Virginias Tod übte auf Vita paradoxerweise eine heilsame Wir­kung aus. Sie hatte keine moralischen Einwände gegen Selbstmord, außer daß man dadurch andere Menschen verletzte. Sie glaubte, Virginia müsse bereits wahnsinnig gewesen sein, um Leo­nard und Vanessa solchen Schmerz zufügen zu können, (Vitas Sohn Nigel, der Virginias Briefe herausgab, gelangte zu der An­sicht, daß sie geistig gesund, »mutig und aus freiem Entschluß« ge­storben sei.[5]) Vita glaubte, daß sie selbst vielleicht imstande gewesen wäre zu verhindern, daß es überhaupt soweit kam. Als sie acht Jahre später an Harold schrieb, meinte sie:

  • »Die beiden Menschen, die ich am meisten vermisse, sind Virginia und Geoffrey Scott — nicht, daß Geoffrey mir nicht eine schreckliche Last gewesen wäre — das war er und eine Beklemmung dazu ... Und Virginia in noch größerem Maße, weil sie nie eine Last, son­dern eine einzige Freude war... Natürlich habe ich auch Angst um sie gehabt, und ich meine immer noch, daß ich sie hätte retten kön­nen, wenn ich doch bloß dagewesen wäre und den seelischen Zu­stand gekannt hätte, in dem sie sich befand. Sie hätte es mir er­zählt, glaube ich — wie sie es schon früher getan hat.«

In Erinnerung an Virginia schrieb sie für Horizon im Mai 1941, ihr sei die Virginia im Gedächtnis, die »ein einziges Vergnügen« gewe­sen sei, hob ihren Sinn für Spaß hervor und »die überschäumende Freude, die kleine Dinge ihr machten«, ganz im Gegensatz zu dem öffentlichen Eindruck. Bloomsbury sei kalt und blasiert. Sie schrieb von ihrer »seelischen Reizbarkeit«, die der Grundton von Virginias Leben gewesen sei, und verglich sie darin mit Coleridge; und in einem denkwürdigen Satz umriß sie, wie gut ihr Name zu Virginia gepaßt habe: »Zartheit und Reinheit waren in ihrem Vor­namen und eine Andeutung des Reißzahnes im Nachnamen.«
Virginias Tod ließ Vita mit einem Schlag ihre eigenen Prioritäten und Verantwortlichkeiten begreifen: sie erkannte, daß Harold von ihr abhängig war und wieviel sie ihm verdankte. In ihren Briefen an ihn ist jetzt öfter und deutlicher von Zuneigung und Zusammengehörigkeit die Rede:

  • »Ich habe über mich nachgedacht, wie man das wohl tut, wenn man allein ist und irgend etwas Beiläufiges tut wie Dahlien eintopfen. Ich dachte: >Wie sonderbar! Ich schätze, Hadji und ich sind einander so untreu gewesen, wie man das aus konventioneller Sicht nur sein kann, ja schlimmer noch als untreu, wenn man Homo­sexualität hinzunimmt, und doch schwöre ich, daß keine zwei Men­schen sich nach all diesen Jahren einander mehr lieben könnten.<«

Sie hatte Untreue im Sinn; Evelyn Irons, die bei der Londoner Feu­erwehr arbeitete, kam für eine Nacht nach Sissinghurst. Vita hatte sie seit neun Jahren nicht mehr gesehen. Der Mond schien, und die Nachtigallen sangen. Davon schrieb Vita an Harold, doch kein Wort darüber, daß Evelyn dagewesen war.
Sie versuchte, ihre Anwandlungen von Verzweiflung vor Harold zu verbergen, hielt sie aber in ihrem Tagebuch fest: 9. September 1941:

  • »Allein hier. Eine plötzliche Sehnsucht nach Virginia. Nicht sehr gut.«
  • 10. September: »Allein hier. Der Garten ist nichts als Un­kraut. Komme nicht dagegen an. Deprimiert. Kann nicht schrei­ben.«

Doch als Christopher St. John für eine Nacht und Besucher zum Tee kamen, schrieb sie: »Kann ich denn niemals allein sein?«

Sie schrieb Harold, sie liebe ihn nun »sentimental«, schickte ihm Abschriften ihrer Tagebuchnotizen des Tages, an dem sie Sissing­hurst zum ersten Mal sahen, und ging in ihrer gemeinsamen Ge­schichte noch weiter zurück: »Ich bin froh, daß wir jenen Ball in Hatfield besuchten«, und: »Ich sehe dich immer als den Hadji, der sich 1913 auf dem Weg nach Konstantinopel die Locken bürstete.« Sowohl sie als auch Harold hatten Spaß daran, über die Heiraten ihrer Söhne zu spekulieren. Bens Bedingungen seien so anspruchs­voll, sagte Vita, daß wohl nichts anderes übrigbleibe, als, um sie zu erfüllen, eine Anzeige im New Statesman aufzugeben. »Aber er will heiraten, und er sollte heiraten.« (Ben war während seiner Besuche daheim sehr schweigsam geworden, wie sie betrübt notierte.) Ha­rold stellte eine Liste mit 21 Eigenschaften auf, die jede Frau, die Nigel heiratete, unbedingt besitzen müsse; er glaubte, daß Sheila Graham, jenes Mädchen, das Nigel Ende September — ein einmali­ger Fall — nach Sissinghurst mitgebracht hatte, sie alle besaß. Vita war überhaupt nicht distanziert, sondern aufgeregt und gespannt. Doch das Wochenende verging ohne Erklärung, und später er­zählte Nigel ihnen, Miss Graham habe sich mit einem seiner Offizierskameraden verlobt. »Armer Niggs! Das Herz tut mir seinetwe­gen weh«, schrieb Vita an Harold.
Vitas Tagebuch am 24. Februar 1942:

  • »Komme mit meinem ver­dammten Buch ziemlich gut voran... Bleibe nachts lange auf und schreibe. Die einzige Art von Glück, die ich finden kann — um Mit­ternacht — allein mit Martha [dem Hund] in der Abgeschieden­heit.«

Sie hatte ihren eiskalten Turm aufgegeben (Kohlen waren schwer zu bekommen), als Mac als Krankenschwester ins Ausland ging, und hatte sich in Macs Zimmer im Pförtnerhaus eingerichtet. Sie beendete Grand Canyon am 24. März, und da die Abende län­ger wurden, verbrachte sie nach dem Dinner viele Stunden mit der Arbeit im verwilderten Garten. Sie kaufte eine neue Japanische Kir­sche —

  • »Sie ist wunderschön, mit grünlich-weißen Blüten wie ein Eisberg... Ich hoffe nur, daß Niggs [dem sie Sissinghurst vermacht hatte] dieses Fleckchen nicht als Baugrund verkauft: unsere Enkel­kinder würden wirklich wunderschöne große blühende Bäume ha­ben — aber wird in fünfzig Jahren noch jemand an solchen Dingen Interesse haben?«

Dann kam ein Schlag. Leonard Woolf lehnte >Grand Canyon< ab. (Wäre das passiert, wenn Virginia noch gelebt hätte?) »Dies ist ei­ner der unerfreulichsten Briefe, die ich je zu schreiben hatte«, teilte er ihr mit, »in erster Linie deshalb, weil Sie uns als Autorin immer so außerordentlich gut behandelt haben, daß es beinahe unvor­stellbar erscheint, daß die Hogarth Press eines Ihrer Manuskripte ablehnt.« John Lehmann*, (* John Lehmann war bereits von 1031 bis 1932 Lektor der Hogarth Press gewesen. 1938 trat er als Partner in den Verlag ein (Virginia verkaufte ihm ihre Anteile). 1946 schied er wie­der aus [Anm. d. Übers.]) der damals im Verlag arbeitete, stimmte mit ihm überein, daß das Buch, das im gerade stattfinden­den Krieg spielte,

»zutiefst defätistisch« sei und »einen schlechten Eindruck hervorrufen« würde.[10]

In ihrer Vorbemerkung nannte Vita >Grand Canyon< eine »Ge­schichte mit einer Moral«. In ihrem Szenario hat Deutschland den Krieg in Europa gewonnen, und viele Europäer fliehen in die Verei­nigten Staaten. Die Regierung der Vereinigten Staaten schließt ei­nen Pakt mit Deutschland, was zur Folge hat, daß Deutschland in Amerika die Macht übernimmt. Teil 1 spielt im »Grand Canyon«-Hotel, in dem sich deutsche Flüchtlinge drängen. In Teil 2 sollen sie alle getötet werden, doch sie wissen es nicht, da sie oder ihre Geister über den Strahlenden Engelspfad in den Canyon hinabwandern. Unter den Flüchtlingen ist Mrs. Temple, eine zurückgezogene, ein­same Frau von fünfzig Jahren — der Autorin nicht unähnlich. Ihre gelassene, über das Grab hinausreichende Beziehung zu einem an­deren Flüchtling reflektiert Vitas Beziehung zu Harold: »Es war wie ein sehr langer, sehr ruhiger Orgasmus des Verstehens, anstelle des raschen und rasch vergessenen Orgasmus der Sinne... Es war vielleicht eine ungewöhnliche Form der Liebe, doch warum sollte Liebe immer so unveränderlich, so konventionell sein?«
Es waren die politischen Implikationen des Buches, die Leonard Sorge machten. Zum ersten die Annahme von Hitlers totalem Sieg über die Welt und zweitens die darin enthaltene Kritik an den Verei­nigten Staaten — die, als er das Manuskript las, noch nicht in den Krieg eingetreten waren. Eine Woche, nachdem sie seinen Absage­brief erhalten hatte, schickte Vita das Manuskript an Heinemann, der es ebenfalls ablehnte. In überarbeiteter Form wurde es von Michael Joseph angenommen und Anfang November herausge­bracht. Zwar sorgte ihr Renommee dafür, daß vor Erscheinen 8000 Exemplare verkauft wurden, doch sie bekam ein paar, wie sie sagte, »verdammte Kritiken«. >Grand Canyon< konnte an den Erfolg, den >The Dark Island< literarisch und bei der Kritik hatte, nicht mehr anknüpfen.