Lesbische Mutterschaft als radikales Potential

Radikale Mutterschaft. Sicher ist es ein Maßstab für den Grad der Unterwerfung der Frau, daß dieser Begriff wie ein Widerspruch in sich klingt. Zur Praxis der Mutterschaft gehört legitime Macht - Macht über die frühkindliche Sozialisation und lebenslanger Einfluß auf die eigenen Kinder. Jede einzelne Kultur wird von Frauen vermittelt, das heißt, die Entwicklung wenn schon nicht die Ziele - der fundamentalen sozialen Zusammenhänge liegt unangefochten in den Händen von Frauen. Dieses Potential wird jedoch von Müttern viel zu wenig genutzt; fast immer akzeptieren und erfüllen sie ihre Pflicht und verleugnen zugleich ununterbrochen ihre eigenen Interessen.

In der Erziehung von Töchtern liegt ein weiteres Potential: die Vermittlung starker weiblicher Bindungen, in denen Frauen füreinander an erster Stelle stehen. Die Mutter, die ihre Tochter Mütterlichkeit lehrt, könnte eine Alchemistin der Kultur sein, die die frauenhasserischen Traditionen in das Gold des feministisehen Wandels verdampft. Doch Mütter nutzen ihre Macht meistens nicht, um ihre Töchter zum Widerstand gegen die patriarchale Konformität zu verpflichten. Gerade die Frauen, die verlangen, daß Radikalfeministinnen ihre Politik leben, stellen das politische Potential der Mutterschaft in Frage. Viele Lesben betrachten die Mutterschaft weiterhin als traditionsverhaftete Institution, die selbst bei antisexistischen Reformen nur dem Patriarchat nützen könne. Wie können wir die Verbindung zwischen lesbischer Mutterschaft und radikaler Mutterschaft herstellen, das heißt, einer Mutterschaft, die es erfordert, sich bewußt vom Großteil der Programmierung zu lösen, die Frauen von Generation zu Generation im Dienste des Patriarchats fortführen?

Ich bin lesbische Mutter einer lesbischen Tochter. Ich bin im Prozeß des Mutter-Seins von der traditionellen zur radikalfeministisch-lesbischen Strömung übergewechselt. Meine beiden verheirateten Töchter repräsentieren den >Erfolg< der patriarchalen Mutterschaft, die ich innerhalb einer Kernfainilie ausgeübt habe-. die traditionelle Sozialisation, die mehr oder weniger die Werte und Praktiken widerspiegelte, die meine Mutter mir mitgab. Aber mein Umdenken in der Mitte des Lebens hat es mir ermöglicht, den aktiven Widerstand gegen die Ideologie und die Institutionen der Heteromutterschaft praktisch wie theoretisch zu erforschen. Ich erweitere und politisiere mein Mutter-Sein, ich stelle eine Verbindung zwischen meiner Radikalität und dem Lesbisch-Sein meiner Tochter her.

Vor kurzem suchte ich nach anderen Mutter/ Tochter-Dyaden, die beide lesbisch leben. Bei dieser Suche entdeckte ich eine unterschwellige Angst in Zusammenhang mit diesem Thema eine Angst, die, wie ich vermute, von der noch immer verbreiteten Theorie der Homosexualität als >angeborener Krankheit< herffihrt und von der Anpassungspolitik der Lesben- und Schwulenbewegung nach dem Motto >Wir sind genau wie alle anderen!< verstärkt wird. Die Beziehung zwischen meiner Tochter und mir scheint oft unsichtbar zu sein, selbst für unsere Freundinnen und Geliebten. Sie betrachten sie als unpolitisch, eine persönliche >Anornalie<, bedrohlich anders. Vielleicht haben Lesben bisher weder die Ziele noch die >Regeln< der heteropatriarchalen Mutterschaft klar genug erkannt, um sie verändern zu können.
Warum wird die Trennung zwischen Müttern und erwachsenen Töchtern von Frauen so stark befürwortet? Warum sollten sie einander nicht nahe bleiben und ihre Möglichkeiten des Umgangs miteinander zu einer Intimität von einer Erwachsenen zur anderen erweitern, in der es gegenseitige Unterstützung und Wachstum gibt? Die Trennung der Tochter von der Mutter ist doch wohl keine angemessene Erwartung an das Verhalten zweier Lesben? Eine enge Mutter/Tochter-Bindung könnte das letzte patriarchale Tabu sein. In der Therapie wird weibliche Reife mit der Trennung von der Mutter gleichgesetzt, nicht mit der Bindung an sie. Obwohl liebevolle Beziehungen zwischen traditionellen Müttern und ihren heterosexuellen Töchtern nicht unbekannt sind, schätzen die meisten Töchter die Distanz zu ihren Müttern, die ihr Leben erzeugt hat. Dies ist eine Regel der Heteromutterschaft, die wert ist, gebrochen zu werden.

Meine lesbische Tochter und ich erkunden das verminte Gebiet der Bindung zwischen Mutter und erwachsener Tochter. Dafür ernten wir in der Lesbengemeinschaft keine Anerkennung. Meine Tochter leidet unter den demütigenden, abfälligen Bemerkungen ihrer Freundinnen, die ihr zu verstehen geben, sie solle >erwachsen werden<, wenn sie davon spricht, daß sie sich nach meiner Anwesenheit sehnt. Mir wird unterstellt, mein MutterSein bestimme offenbar mein Leben, statt ein kleiner, aber wichtiger Teil davon zu sein.
Doch sie und ich zeigen ebenso wie andere lesbische Mutter/Tochter-Paare, die ich befragt habe, ein hohes Maß an Zufriedenheit und Stolz auf die Beziehung zwischen uns. Ich weiß, daß ich ohne ihre Unterstützung beim Erforschen der Mysterien meiner Altersidentität nicht annähernd so mutig oder beharrlich sein könnte. Was wäre, wenn alle meine vier Kinder heterosexuell waren! Könnte ich mit meinen unkonventionellen Lebensentscheidungen noch einen Schwiegersohn überstehen, der über seine gefährliche Schwiegermutter zu Gericht sitzt und seine Frau, meine Tochter, drängt, die Stichhaltigkeit meines Feminismus oder Lesbianismus zu bezweifeln?
Während meine lesbische Tochter mir die magische Erlaubnis gibt, das Altsein zu erforschen, gebe ich ihr die stärkende Kontinuität von Vertrauen und Intimität, während sie sich durch die Jahre des Partnerinnen- und Berufswechsels hindurchrnanövriert, die oft die späten Zwanziger charakterisieren. Wir kämpfen weiterhin mit den Resten der ungleichen Machtverteilung, die noch aus unserer Mutter/Kind-Vergangenheit fortleben. Konkret drückt sich unsere Bindung heute in gewissen finanziellen Verflechtungen aus, im zeitweiligen Zusammenwohnen (darunter zweieinhalb hektische Jahre in einer separatistischen Landlesbengemeinschaft), gemeinsamen Reisen ins Ausland und einem mindestens wöchentlich stattfindenden Austausch über die kleinen Ereignisse unseres Lebens. Wir sind, denke ich, wirklich enge Freundinnen >für immer<.
Ich will nicht behaupten, Beziehungen zwischen lesbischen Müttern und lesbischen Töchtern seien einfach. Eine der lesbischen Mütter, die ich befragte, beschrieb ihre Beziehung zu ihren beiden lesbischen Töchtern als >leidenschaftlich, eng, aufregend, faszinierend<. Durch das stärkere Bewußtsein der erotischen Energie zwischen Frauen, das Lesben entwickeln, werden neue Anforderungen an das Mutter/TochterVerhältnis gestellt. Die Mutter mag fürchten, daß sie und ihre Tochter sich als Geliebte derselben Frau wiederfinden, wenn sie sich in einer relativ kleinen Lesbengemeinschaft beide in den gleichen Kreisen bewegen. Wenn die Tochter dazu neigt, das Handikap der Altersfeindlichkeit zu ignorieren, das ihre Mutter auf dem sexuellen Markt herabsetzt, kann sie sich in vermeintlicher sexueller Konkurrenz mit ihr eingeschüchtert fühlen. Ich kenne eine Tochter in einer engen Mutter/ Tochter-Dyade, die mit sechzehn ihr Coming-out mit der damaligen Geliebten ihrer Mutter hatte. Eine andere Mutter sagte mir: »Der Wunsch meiner Geliebten, meine Tochter zu mögen, und der Wunsch meiner Tochter, meine Geliebte zu mögen, hat etwas Erdrückendes.« Unsicherheit von Müttern, Töchtern oder Geliebten erzeugt Spannungen zwischen ihnen. Der zwischen lesbischen Müttern und lesbischen Töchtern hin- und herpendelnde Anspruch auf Erreichbarkeit kann für die Geliebten außerordentlich bedrohlich sein.

Andererseits mag die Tochter einer Lesbe große Vorteile gegenüber ihren Heteroschwestern genießen, weil sie von dem liebevollen Umgang zwischen Frauen lernen kann - ein Wissen, das in traditionellen Familien selten vermittelt wird. Ich selbst wurde erst durch meinen Ausbruch aus der Selbst-Losigkeit der Ehe fähig, von den Menschen in meiner Umgebung, einschließlich meiner Kinder, eine gegenseitige Fürsorglichkeit zu fordern. Nur die Tochter, die gesehen hat, daß ich von Frauen geliebt werde, ist in der Lage, Fürsorglichkeit ebenso zu nehmen wie zu geben. Diese Gegenseitigkeit ist der beste Weg aus der Abhängigkeit und kann ein Schlüsselfaktor weiblicher Selbstachtung sein.

Die Mutter/Tochter-Bindung in das Erwachsenenalter hinein zu erweitern, schien mir kein radikaler Akt zu sein, bis ich dem Ausmaß an Widersprüchen und Mißverständnissen begegnete, das dies bei anderen Lesben hervorrief. Aufgrund meiner Erfahrungen und dem, was ich von anderen lesbischen Mutter/Tochter-Dyaden gehört habe, glaube ich heute, daß Lesben ebensoviele Vorurteile gegenüber Müttern - allen Müttern - haben wie jede andere Gruppe der Bevölkerung. Je früher sich Lesben von der Heteromythologie lösen, die sich um die Mutterschaft rankt, desto besser.

Viele Mütter, ob heterosexuell oder lesbisch, lesen zwar, wenn ihre Bäuche wachsen, eifrig sämtliche greifbare Literatur über Mutterschaft, doch vermutlich ist die Hälfte dessen, was sie tun, wenn der hektische Tanz des Mutter-Seins beginnt, eine Wiederholung dessen, was sie in nonverbaler Form von ihren eigenen Müttern gelernt haben. Kleinen Mädchen das Bestätigen der männlichen Überlegenheit beizubringen - dienen und sich unterwerfen -, war die Grundlektion des weiblichen Überlebens. Jede Frau, die den männlichen Normen entsprechend sozialisiert wurde, gibt etwas davon weiter. In diese unbewußten Kommunikationsmuster zwischen Mutter und Tochter eingewoben ist die Hoffnung, daß Lesben zu einer bewußten Sicht ihrer selbst kommen und mit neuem, politisiertem Blick urteilen werden.

Lesben können von den Heterofeministinnen, die Bücher über die Erziehung von nichtsexistischen Jungen und freien Mädchen schreiben, keine befriedigenden Leitlinien erwarten. Diese Kinder sollen einmal in einer Männerwelt Erfolg haben, ohne die Voraussetzun en zu hinterfragen, auf denen dieses Ziel beruht. Auch gibt es sehr viel lyrisches Psychogeblubber von Heterofeministinnen darüber, daß durch die Versorgung der Kleinkinder durch Männer eine Wiederherstellung der menschlichen Seele möglich sei. Eine Theorie braucht eine gewisse empirische Basis. Niemand verweigert Vätern die Freuden der Elternschaft. Manche Männer sind erfolgreiche Väter. Aber aufjedes vom Vater gut betreute Kind kommt eine Million Kinder, die von ihren Vätern unverantwortlich gezeugt, verlassen, vergewaltigt, mißhandelt oder emotional verleugnet werden. Die wirklichen Lebensbedingungen von Müttern und Kindern in der Heterofamilie werden in der heterofeministischen Parteilinie nicht beleuchtet, die etwa lautet: Wenn Mütter kleine Mädchen ermutigen, eine anspruchsvolle Karriere anzustreben und sich einen feministischen Mann zu wählen, der ihnen mit den Babies hilft, dann werden in der nächsten Generation alle die Gleichheit zwischen den Geschlechtern erleben. Leider ist das Motiv für die Entscheidung, ein Kind zu bekommen, meistens der Wunsch, die Dauerhaftigkeit und den Wert einer romantischen Liebe zu beweisen (wobei die Hälfte in Scheidung endet). Die Realität hinter dem mythischen Motiv ist die katastrophale Institution der traditionellen Mutterschaft, in der weibliche Kinder dazu erzogen werden, alle außer sich selbst zu lieben.

Lesbischen Müttern sind Themen wichtig, die Heterofeministinnen nicht ansprechen. Von höchster Bedeutung für uns ist zunächst, Mütter von Töchtern zu sein. Wenn Frauen an erster Stelle kommen, dann kommen Töchter an erster Stelle. Der nächste Schritt der Ablösung von der patriarchalen Mutterschaft besteht darin, die Mutter/Tochter-Dyade als den Schmelztiegel der Evolution zu erkennen. Jeder Mißbrauch durch die erwachsenen Männer der früheren Familie - Vergewaltigung, Prügel oder Ausbeutung der Tochter durch schwere Arbeit - kann die weibliche Autonomie in dieser Familie auf Generationen schwächen. Die Mutter bringt der nächsten Generation von Müttern bei, was Mutter-Sein ist wie die sozialen Informationen zu vernütteln sind, die allen Menschen auf unbewußter Ebene gemeinsam sind.

Welche geheimen Ziele sind in der Heteromutterschaft versteckt, die auf Frauen, Töchter wie Mütter, zerstörerisch wirken? Ist es zu diesem geschichtlichen Zeitpunkt möglich, Jungen und Mädchen in der gleichen frühkindlichen Verhaltensumgebung erfolgreich zu fördern? Gibt es psychologische Bindeglieder zwischen den Frauengenerationen, analog zu den durch Alkohol oder sexuellen Mißbrauch gebildeten, die die Beschädigungen von der Mutter an die Tochter weitergeben - Beschädigungen, die begangen wurden im Namen des Überlebens als Frau oder um eine liebevolle Mutter oder gute Ehefrau zu sein; Beschädigungen, die begangen wurden in den Zeiten der Hexenverbrennungen oder in Konzentrations- oder Flüchtlingslagern oder bei anderen von Frauen erlittenen Massengreueln; Beschädigungen, die über Jahrhunderte begangen wurden, so daß es die Norm wurde, diese Handlungsweisen zu akzeptieren? Die radikal-lesbische Analyse solcher Fragen kann lesbischen Müttern helfen, erstens zu vermeiden, in die Fallen der >Natürlichkeit< zu tappen, die um die Voraussetzungen, Regeln und Mythen der Heteromutterschaft herum aufgestellt sind; zweitens sich aktiven Widerstand gegen den fortwährenden Verrat der Mütter an den Töchtern zu überlegen und drittens die der lesbischen Mutterschaft eigenen, einzigartigen Vorteile zu entdecken.

Lesbische Mütter sind fast ausnahmslos selbst Produkte der Heteromutterschaft. Lesben ziehen ihre Kinder im Patriarchat auf wie andere Frauen auch. Die Lesbe kann jedoch Entscheidungen darüber treffen, in welchem Ausmaß ihre Tochter sich an das Patriarchat anpassen soll, wenn sie bereit ist, einige der unbewußten Wurzeln der weiblichen Unterordnung ins Bewußtsein zu heben. Im Kontext der heterosexuellen Tradition, aus der sie kommt, hat die lesbische Mutter gelernt, sowohl ihren Jungen als auch ihren Mädchen ihr Verständnis der zur Zeit geltenden kulturellen Parameter männlicher Vorrechte zu vermitteln. Da dies nie eine statische Informationsmenge ist - es gibt unendlich viele Variationen männlicher Vorrechte von einer Familienstruktur zur anderen, von einer Religion zur anderen, von einer ethnischen oder kulturellen Gruppe zur anderen -, wird das Kind dazu erzogen, die Erwartungen der Mutter zu erfüllen. Als junge Mädchen müssen Töchter die Einschränkungen ihrer Identität gelernt haben, die die Kehrseite der männlichen Vorrechte bilden, und darauf vorbereitet sein, Chancen und Erfüllung in einem ausgefeilten System zu finden, das von niemandem je eindeutig benannt wurde. Männliche Vorrechte werden von Annahmen hergeleitet, die zu etwas Natürlichem und Universalen mythologisiert wurden.

Offensichtlich ist die Mutter nicht die einzige Quelle des Informationsflusses. Sie ist jedoch diejenige mit der stärksten Motivation, ihren Töchtern die Manipulation dieses geheimen Systems erfolgreich zu vermitteln, da sie selbst es als Schlüssel zum Überleben als Frau von ihrer Mutter gelernt hat. Je nachdem, welche Kultur wir betrachten, nimmt das geheime Einverständnis der Mutter mit den männlichen Vorrechten verschiedene Formen an: die Geburt eines Sohnes zu bevorzugen, den Mord an weiblichen Kindern, selektive Vernachlässigung weiblicher Babies, die ihre Entwicklung behindert, krasse Ungleichheit von Bildungschancen oder Anerkennung, Verkauf oder Tausch der Töchter zwecks Eheschließung. Weiß jemand, wie viele Generationen ohne diese Praktiken nötig sein werden, um deren psychologische Wunden verheilen zu lassen?

Ein Gegensystem weiblicher Vorrechte existiert nicht - nur die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und die geschlechtsspezifischen Bräuche, die alle Kulturen haben. Um dem Patriarchat seine Funktion als sich selbst erhaltendes Heterosystem zu bewahren, müssen die Töchter gelehrt werden, Frauen zu mißtrauen und sich Männern zuzuwenden. Die Mütter lehren die Töchter schon auf vorverbaler Ebene, daß ihrem Selbsterhaltungstrieb am besten durch das Fehlen weiblicher Bindungen, das Fehlen von Vorrechten zwischen Frauen gedient ist. Mütter niüssen ihren Töchtern darüber hinaus die Treue zur patriarchalen Ästhetik einimpfen, sie zum Beispiel dazu erziehen, als Frau das Altern zu fürchten, ständig Fehler an ihrem Körper zu entdecken, zu glauben, sie müßten aus ihrer natürlichen Schönheit oder Jugend Kapital schlagen. Den Töchtern beizubringen, sie müßten 4 attraktiv< und 4erfolgreich< sein, war die harmlose Rechtfertigung für infamsten Verrat von Müttern an Töchtern, der sich äußert in Phänomenen wie dem Füßeeinbinden, dem Erzeugen von physischer Schwäche und geistiger Flachheit, kosmetischer Chirurgie und Diäten, sexueller Unwissenheit, Kindbräuten, Kinderprostitution und Kinderpornographie, Klitorisbeschneidung. Den Töchtern beizubringen, sie müßten in dem lebenslangen Kampf um Assitnilation an eine von Männern aufgestellte Hierarchie des weiblichen Wertes erfolgreich sein, war schon immer eine Falle. Dieser subtile Prozeß und sein frauenfeindlicher Inhalt ist in die oft quälerischen Alltagsinteraktionen zwischen einer Mutter und ihren Töchtern eingebettet. Radikale Mutterschaft bedeutet, Kinder in den Ungehorsam gegen die Kultur einzubeziehen, die die Mutter auf Kosten der Bindung zwischen Frauen und der weiblichen Macht vermitteln soll. Die in die vermittelten Informationen über die Erziehung von Töchtern eingebetteten Heteromythen auszugraben, ist die wichtigste Aufgabe der radikalen lesbischen Mutter. Im Patriarchat bringt die Existenz als Radikallesbe dem Mutter-Sein einige klare Vorteile. Für lesbische Mütter hat zum Beispiel der grundlegende Heteromythos, der besagt, ein Kind brauche für seine ganzheitliche Entwicklung die Anwesenheit eines Vaters, meistens keine Gültigkeit. Lesbische Mutterschaft kann die Entwicklung der weiblichen Autonomie und Selbstliebe fördern. Lesbische Mütter mögen auch motivierter sein, sich auszudenken, was unter positiven weiblichen Rechten und Rollenerwartungen für unsere Töchter zu verstehen wäre.
Es gibt auch Aspekte des radikalen Lesbisch-Seins, die für lesbische Mütter neu definiert werden müssen, wie der Separatismus. Nur wenige Lesben leben oder arbeiten in einer männerfreien Weit, und mit Sicherheit wird selbst die Tochter einer Separatistin irgendwann einmal Männer in ihrem Leben haben: Wie kann sie darauf am besten vorbereitet werden? Als radikale Mütter brauchen wir eine neue Definition des lesbischen Separatismus, die die Verwundbarkeit der Kinder in unserer Gemeinschaft berücksichtigt. Denn wir können es uns nicht leisten, so zu tun, als träfen die Statistiken über sexuelle Gewalt nicht auch auf die Männer zu, die wir kennen. Ich möchte vorschlagen, daß jede erwachsene Frau für sich selbst entscheidet, welche Männer sie in ihrem Leben zulassen will und in welchem Maße diese Männer Zugang zu ihrem Zuhause und ihrer Person haben sollen. Keine Frau sollte jedoch davon ausgehen, daß die Männer, denen sie vertraut, auch für alle anderen Frauen einschließlich der weiblichen Kinder vertrauenswürdig sind oder daß eine andere Frau
ihnen vertrauen sollte, weil sie es tut. Wenn ihr dies extrem erscheint, sollte die Mutter sich fragen: Wie sehr schadet ein einziger Vorfall sexuellen Mißbrauchs dem Vertrauen, das das Kind zur Welt im allgemeinen und zu Männern im besonderen aufbaut? Wenn es sich um eine schwere, unheilbare, aber vermeidbare ansteckende Krankheit handelte, wäre es dann ein »vertretbares Risiko«? Wie lernt ein in einem heterosexuellen Haushalt aufwachsendes Mädchen innerhalb ihrer ersten Lebensjahre, Raum, körperliche Unversehrtheit oder verbalen Ausdruck an Männer abzutreten? Es scheint klar, daß die Tochter einer Lesbe, die Gelegenheit hat zu beobachten, wie Frauen einander Macht, Anerkennung und Vertrauen geben - am besten unter so vielen verschiedenen Frauen wie möglich -, neue Wege kennenlernt, eine Frau zu sein. Ein anderer Heteromythos, der radikal entschärft werden muß, ist die Vorstellung, lesbische Mütter müßten in bezug auf die künftige sexuelle Präferenz ihrer Töchter Neutralität wahren. Es geht nicht um sexuelle Präferenz. Die Realität, die hinter dem Mythos steht, kennen wir alle: Weibliche Heterosexualität kann nicht als freie Entscheidung bezeichnet werden, wenn sie in allen Kulturen aufgezwungen wird. Aber wir sind Lesben, und es ist ein fundamentaler Ausdruck von Selbstliebe, daß wir den Wunsch haben, unsere heranwachsenden Töchter möchten ein Spiegelbild unserer frauenidentifizierten Entscheidungen sein. Es haben zwar viele heterosexuelle Mütter versucht, ihren Töchtern das Lesbisch-Sein >auszutreiben<, doch eine lesbische Mutter, die diese Entscheidung ihrer Tochter mißbilligen würde, ist schwer vorstellbar.

Zur radikalen Mutterschaft gehören oft auch die gleichen Kämpfe, denen sich verantwortungsbewußte Heteromütter gegenübersehen. Alle politisch engagierten Mütter kommen zu dem Ergebnis, daß es nicht genügt, unseren Kindern gegenüber verbal auszudrücken, niemanden wegen ethnischer und kultureller Herkunft, Alter oder Aussehen zu diskriminieren. Außer in Gesprächen müssen wir auch durch unser Vorbild das Verhalten vermitteln, das wir von ihnen erwarten. Das macht es notwendig, den eigenen Lebensstil nicht als Erweiterung der Frau zu betrachten, die ich bin, sondern der Frau, die ich ihnen als Vorbild hinstellen will. Keine Mutter schafft es, ständig so zu sein, wie sie ihre Kinder haben möchte, aber die radikale Mutter strukturiert ihren Lebensstil so, daß ihr Kind reichlich Gelegenheit hat zu sehen, daß sie sich Mühe gibt. Was die Vorbeugung gegen Kinderkrankheiten angeht, zögern Lesben nicht, für ihre Töchter zu entscheiden, aber wir scheuen uns, sie gegen die Assimilation an die Heteroweiblichkeit zu impfen - an die süchtig machenden Befriedigungen der weiblichen Normalität.

Wir müssen einige entscheidende Veränderungen der Informationen vornehmen, die wir gewöhnlich unseren Töchtern vermitteln. Töchtern ist durch ihre Mütter das Wissen um ihr orgasmisches Potential und die vielen Möglichkeiten, es zu befriedigen, die genaue Kenntnis der früheren und heutigen Unterdrückung der Frauenwelt, das Wissen über matrifokale Kulturen und frauen identifizierte Frauen in der Geschichte sowie über Leben und Sexualität ihrer Mütter vorenthalten worden. Diese Unterdrückung von Informationen ist ein von der Mutter an die Tochter weitergegebenes erlerntes Verhaltensmuster, das Mißtrauen zwischen Frauen lehrt. Anerkennung unter Frauen beginnt mit Ehrlichkeit und der Entscheidung, einander zu fördern. Unsere Kinder sind die Töchter von Frauen, die Frauen mehr lieben als Männer. Töchter von Lesben müssen wie FreiheitskämpferInnen überall - in der Kindheit gewonnen und mit Wort und Tat gegen die Heteroweiblichkeit geschützt werden - nicht um ihrer Mutter oder um der Bewegung willen, sondern zu ihrem eigenen psychischen Wohlergehen.

Bei meiner lesbischen Tochter habe ich nie das immerwährende mütterliche Klagelied angestimmt: »Was habe ich nur falsch gemacht?« obwohl sie und ich oft witzeln, ihre Stärken und ihre Schwächen seien meine Schuld. Alle Mütter unterliegen der Gehirnwäsche zu glauben, sie seien für die Ergebnisse uneingeschränkt verantwortlich. Mir ist klar, daß ich diesen Heteromythos durch die Fragen nach den Zielen lesbischen Mutterseins nicht geschwächt habe. Auch die Themen Co-Mutterschaft oder Gruppenmutterschaft habe ich nicht angesprochen, die beide von Lesben derzeit erforschte neue, interessante Variationen der Heteromutterschaft darstellen. Unhinterfragter Gehorsam und unangezweifelte Vermutungen überschatten die Handlungen aller Frauen, die Mütter sind, und sind oftmals zentral für den Selbsthaß und das Fehlen einer Bindung zwischen Frauen. Meine eigenen Erfahrungen und die anderer lesbischer Mütter haben mich zu dem Gedanken ermutigt, daß die lesbische Mutterschaft eine einzigartige Rolle dabei spielen kann, Veränderungen auf diesen Gebieten herbeizuführen.
Lesben sind politische Frauen, ob unsere Politik radikal ist oder nicht. Was alle Lesben brauchen, ist eine frauenidentifizierte Welt, in der die weibliche Selbstliebe die Regel, nicht die Ausnahme ist. Das Bild der Lesbe bestand teilweise darin, die Frau-die-sich-behauptet, die Amazone, als genaues Gegenstück zur Frau-die-sich-aufopfert, der Mutter, zu zeichnen. Dies ist wie so viele duale Begriffe eine falsche Trennung, mit der Frauen gespalten werden sollen. Es ist richtig, daß die meisten Lesben vermutlich keine Kinder haben, aber es werden weiterhin viele Mütter, Co-Mütter und Kinder zur Lesbengemeinschaft gehören. Auch wenn selbst das radikalste lesbische MutterSein ein erhebliches Maß an Altruismus enthalten wird, beinhaltet lesbische Mutterschaft eine bemerkenswerte Chance, die primär biologisch begründete Rolle von Frauen zugunsten der von Frauen selbst gewählten Ziele neu zu gestalten.
Aus dem amerikanischen Englisch von Cornelia E. Kähler

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