- * Dieser Text basiert auf Auszügen aus Ursula Sillge: Un-Sichtbare Frauen. Lesben und ihre Emanzipation in der DDR (Berlin: LinksDruck Verlag Christoph Links, 1991).
Während eines Lehrgangs mittlerer DDR-Kader sagte ein Teilnehmer zu einer Kollegin, die mit Kind angereist war: »Eins verstehe ich nicht, du bist die einzige hier, die keinen Liebhaber hat. Dabei brauchst du nur mit dem kleinen Finger zu winken! Also, wenn du kein Kind hättest, würde ich denken, du bist eine Lesbe!« Die Kollegin war und ist lesbisch. Bevor ich auf die Thematik lesbische Mutterschaft in der DDR näher eingehe, werde ich zum besseren Verständnis einige Informationen zu Treffpunkten lesbischer Kultur, die immer auch Kontaktmöglichkeiten sind, und zur Wohnsituation geben.
Lesbenkultur - Treffpunkte von Lesben
Eine Lebenspartnerin bzw. eine Geliebte zu finden, gehörte in der DDR vor der sogenannten Wende zu den Grundproblemen lesbischen Lebens. Bis 1989 gab es keine Lesbenzeitung; inzwischen erscheint frau anders, doch sie wird bislang nur in der »Szene« vertrieben und nicht öffentlich verkauft. Nach und nach entstehen in mehreren Städten der ehemaligen DDR Frauenbuchläden, wodurch die Lesbenzeitung weiter verbreitet wird und sich die Chance erhöht, auf eine Kontaktanzeige zu reagieren oder selbst eine aufzugeben.
Bis 1979 konnten Lesben in der DDR lediglich Anzeigen aufgeben, in denen sie »Briefpartner« suchten, wobei offen bleiben konnte, ob sie eine Frau oder einen Mann meinten. Ansonsten gab es nur heterosexuelle Heiratsanzeigen. Ab 1979 verschwanden die Briefpartneranzeigen; ihre Annahme wurde mit fadenscheinigen Begründungen - Anweisungen >von oben< - verweigert: es sei kein Platz vorhanden, sie entsprächen nicht der sozialistischen Moral usw.
Erst 1985 hatten Lesben und Schwule die Möglichkeit erkämpft, eindeutige Anzeigen aufzugeben: »Sie sucht sie« bzw. »Er sucht ihn«. Die Einschränkungen waren jedoch immer noch beträchtlich. Eine Lesbe, die inserieren wollte: »Suche zärtliche Freundin«, wurde zum Beispiel aufgefordert, das Wort »zärtlich« zu streichen, sonst könne die Anzeige nicht erscheinen. Die Richtlinien zur Veröffentlichung von Anzeigen waren schwer zugänglich und außerdem unterschiedlich auslegbar. Eine offizielle Zensur fand nicht statt, aber alles wurde an der »Linie« gemessen, und niemand konnte oder wollte erklären, was das eigentlich sei. Hin und wieder kamen »von oben«, das heißt vom Politbüro, Anweisungen, was »Linie« sei und was nicht. Ob und in welcher Fassung Kontaktanzeigen genehmigt wurden, hing also meistens von den Chefredakteuren der jeweiligen Zeitungen bzw. deren Verständnis von sozialistischer Moral ab. Ein anderes Problem bildete die lange Wartezeit. Zwischen dem Aufgeben der Annonce und ihrem Erscheinen lagen gewöhnlich drei bis fünf Monate - das stellte die Geduld auf eine harte Probe. Die ab 1988 entstehenden Computer-Partner-Vermittlungen beschränkten ihre Dienstleistungen auf Heterosexuelle. Auch die staatliche Partnervermittlung des Dienstleistungskombinates in Berlin, die ursprünglich auch schwule und lesbische Kontakte vermitteln sollte, lehnte dies plötzlich und ohne Begründung ab. Es bedurfte zahlreicher Eingaben und Gespräche, bis die ursprüngliche Absicht Ende 1989 in die Tat umgesetzt wurde; zu diesem Zeitpunkt gab es jedoch bereits andere Möglichkeiten, und somit war dieser Erfolg nicht mehr so entscheidend. Treffpunkte, wie sie bei Schwulen bekannt sind, die sogenannten Klappen (öffentliche Toiletten) und der Strich (Straßen, Parks, Parkplätze) waren und sind für Lesben nicht relevant. Lokale, die als Treffpunkte Homosexueller bekannt waren, wurden vorwiegend von Schwulen besucht; Lesben- oder Frauencafés gab es nicht. Nur in der Disco Buschallee in Ost-Berlin war der Anteil der Lesben zeitweilig beträchtlich. Dort lernten sich zahlreiche Lesbenpaare kennen. Spezielle Lesbentreffs entstanden, als sich Clubs und kirchliche Arbeitskreise organisierten. Inzwischen gibt es in den meisten größeren Städten Frauenzentren, in denen sich auch Lesbengruppen treffen.
Das Wohn-Problem
Viele Lesbenpaare leben zusammen, weil ein gemeinsamer Haushalt wirtschaftlicher und effektiver zu organisieren ist. Andere leben getrennt, weil sie das Getrenntwohnen als sichtbaren Kontrapunkt zum Besitzdenken an der Freundin verstehen. Wieder andere leben zwar vorwiegend in einer Wohnung zusammen, halten sich aber mit der zweiten Wohnung eine Rückzugsmöglichkeit, auch für den Fall der Trennung, offen. Die Mieten waren in der DDR erschwinglich, aber es wuchs sich mitunter zur Geduldsprobe aus, eine zweite Wohnung zu ergattern, wenn die Beziehung zu Ende ging. Ein freier Wohnungsmarkt wie in der BRD existierte nicht; alle Bürgerinnen konnten ab dem 18. Lebensjahr einen Antrag auf eine Wohnung stellen und bekamen gewöhnlich nach sechs bis acht Wochen eine Registrierkarte, die ihnen bestätigte, daß sie das Recht auf eine Wohnung hatten. Lebten sie mit den Eltern in einer Vier- oder Fünf-Raum-Wohnung, waren die Chancen auf eine eigene Wohnung gering. Die Entscheidung, ob und wann welche Wohnung vergeben wurde, trafen die Abteilungen Wohnungspolitik der Kommunen. Darüber hinaus gab es jedoch auch Werkswohnungen und Bereiche wie Gesundheitswesen, Volksbildung sowie gewisse Ministerien mit eigenen Wohnungskontingenten. Kinderreiche Familien, junge Ehepaare, Schichtarbeiterinnen, ausscheidende Berufssoldaten sowie Verfolgte des Naziregimes einschließlich ihrer Kinder wurden bevorzugt in die Vergabepläne aufgenommen. Lesbische Paare hatten somit eine schlechte Chance auf eine gemeinsame Wohnung. Es war zwar nicht verboten, aber auch nicht ausdrücklich erwünscht, ihnen eine Wohnung zuzuweisen.
Lesbische Paare waren nicht standesamtlich registriert und galten nicht als verwandt. Aber gerade an solchen Kriterien orientierten sich die meisten Mitarbeiterinnen der Wohnungsämter. Daher spielten Einsicht und Entscheidungsfreude der Zuständigen eine große Rolle. Wohngemeinschaften wie in vielen westlichen Ländern etablierten sich nur in Ausnahmefällen und wurden politisch und moralisch beargwöhnt.
Um eine gemeinsame Wohnung zugewiesen zu bekommen, mußten Lesben bereit sein, sich gegebenenfalls zu ihrem Motiv zu bekennen. Konnten oder wollten sie das nicht oder stießen sie auf erbitterte Ablehnung, hatten sie noch die Möglichkeit, sich bei einer Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft zu bewerben, ein Haus zu kaufen oder zwei kleinere Wohnungen gegen eine größere zu tauschen. Bei manchen lesbischen Paaren gehörten zwei Wohnungen zur Geheimhaltungsstrategie: Die Beziehung ließ sich leichter als »harmlose Freundschaft« deklarieren. Das mag besonders in kleinen Städten oder auf dem Land eine Rolle gespielt haben.
Inzwischen ist die Wohnraumlenkungsverordnung der DDR aufgehoben worden, die Mieterhöhungen werden Lesben in den östlichen Bundesländern ebenso wie viele heterosexuelle Paare zwingen, auf ihre zweite Wohnung zu verzichten.
Lesbische Mutterschaft
Hat eine Lesbe ein Kind, so kann das die Folge von gelegentlichen Ausflügen in die Heterosexualität sein. Andere Lesben sind Mütter, weil sie entsprechend ihrer Erziehung innerhalb der hetero-sexistischen Gesellschaft früher Kontakte zu Männern gesucht haben. Manche heirateten und bemerkten erst während der Ehe, daß sie sich zu Frauen hingezogen fühlen. In der DDR gehörten lesbische Mütter in die Kategorie alleinstehender oder alleinerziehender Mütter. War eine Frau in der DDR unverheiratet, stand die Frage, bei wem das Kind aufwachsen soll, nicht zur Debatte. Unverheiratete Mütter hatten wie in der BRD das alleinige Erziehungsrecht. Niemand konnte ihnen hineinreden, so lange sie sich um ihre Kinder kümmerten.
Es gab allerdings im Familiengesetzbuch einen Stolperstein für sie: den §52. Er nannte neben anderen Gründen die »schwerwiegende abnorme Entwicklung einer Persönlichkeit mit Krankheitswert« als Grund für den Entzug elterlicher Verantwortung. Es ist nicht bekannt, ob einer lesbischen Mutter aufgrund dieses §52 das Erziehungsrecht entzogen wurde. Eine Statistik darüber existiert nicht.
Richterinnen hätten sich bei dem Entzug mütterlicher Verantwortung auf die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berufen können, die in ihrem Register Homosexualität unter Punkt 302.0 als Krankheit führt. In Anbetracht dessen müßten sich eigentlich alle Lesben und Schwulen sofort krankschreiben lassen!
Als 1985 während der Leipziger Tagung »Psychosoziale Aspekte der Homosexualität« darauf hingewiesen wurde, daß viele Lesben Mütter sind, bedauerte ein Psychologe allerdings die Kinder, »die unter solchen Verhältnissen großwerden müssen.« Die Frage, ob Lesben bessere oder schlechtere Mütter sind als heterosexuelle Frauen, konnte er nicht beantworten.
Künstliche Befruchtung und Schwangerschaftsabbruch
Wie wird eine Lesbe Mutter, wenn sie sich nicht überwinden kann oder will, mit einem Mann zu schlafen? Seit langem gibt es die Möglichkeit der künstlichen Insemination. Entscheidet sich eine Lesbe für die künstliche Befruchtung, so könnte sie sich einen Samenspender suchen, sich mit ihm einigen, ob er Vaterpflichten und -rechte wahrnehmen und zum Unterhalt des Kindes beitragen will oder nicht. Falls sie die künstliche Befruchtung nicht selbst oder mit Hilfe von Freundinnen vornehmen will, müßte sie eine Ärztin (oder einen Arzt) aufsuchen, die die Insemination ausführt. Aus der DDR ist jedoch kein Fall bekannt, in dem eine lesbische Frau medizinische Hilfe in Anspruch nahm.
Unter Medizinerinnen ist die künstliche Insemination umstritten. Manche lehnen sie völlig ab, andere erkennen nur die Einschränkungen an, die bei der üblichen Zeugung gelten (z.B. Erbkrankheiten). In verschiedenen Kliniken existiert ein Spenderpool, der in Anspruch genommen werden kann, falls der Samenspender anonym bleiben und keine Verbindung zum Kind haben soll. In der DDR wurden bis 1985 insgesamt 2 693 Inseminationen von Medizinerinnen durchgeführt, und zwar ausschließlich in den größeren Städten. Rechtliche Regelungen fehlten. Doch die Liste der Gründe, keine künstliche Befruchtung vorzunehmen, ist lang. Für alleinstehende Frauen - und damit mußten sich auch lesbische Frauen angesprochen fühlen - wollten die Medizinerinnen nur zwei Indikationen, die für eine künstliche Befruchtung sprechen, anerkennen: schwer entstellende Verletzungen oder Mißbildungen nicht genetischer Ursache oder ein schwerstes Psycho-trauma mit ernsten Kontaktschwierigkeiten zum männlichen Sexualpartner. 1987 wurde im Zentralblatt Gynäkologie gewarnt: Die »Behandlung der unverheirateten Frau mit dringendem Kinderwunsch sollte [...] nur in seltenen Ausnahmen Anwendung finden [... und] sollte bei einer ledigen Frau nur mit größter Zurückhaltung durchgeführt werden.«
Lesben wurden in keiner einzigen Publikation auch nur erwähnt. Die Erfüllung ihres Kinderwunsches hätte nach diesen Richtlinien nur eine Chance, wenn die Frau »entstellende Verletzungen oder Mißbildungen« hätte oder die Ärztinnen Homosexualität als schwerstes Psychotrauma betrachteten.
Die akribischen, umfangreichen Tests und Untersuchungen, denen Ehepaare sich unterziehen müssen, die ein Kind durch künstliche Befruchtung haben wollen, stehen in auffälligem Gegensatz zu der Forderung derjenigen, die für das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs plädieren. Die einen bestehen auf maximalen Voraussetzungen für das geplante Kind, den anderen sind die Bedingungen, in die das Kind hineingeboren wird, völlig egal. Oftmals werden beide Forderungen von ein- und derselben Person vertreten. Diejenigen also, die kaum einen Grund für einen Schwangerschaftsabbruch akzeptieren wollen, stellen gleichzeitig bei der künstlichen Befruchtung so hohe Anforderungen an die potentiellen Eltern, daß viele Antragstellerinnen abgewiesen werden. Und: in beiden Fällen maßen sich die Medizinerinnen letztlich die Entscheidung an. Frauen können zwar Wünsche äußern, aber die Entscheidung treffen andere.
Der Wunsch einer Frau nach einem Kind scheint den meisten Medizinerinnen nicht zu genügen. Die künstliche Befruchtung wird vom Vorhandensein eines Ehemannes und dessen Wunsch abhängig gemacht. Die Einstellung des Ehemannes nimmt bei den psychischen Kontraindikationen den größten Raum ein. Am Ende stellt sich die Frage, ob es überhaupt darum geht, daß eine Frau ein Kind bekommen möchte; geht es nicht vielmehr um die Wünsche der Ehemänner, die Lebensbedingungen des Kindes und die willkürlichen Bedenken der Medizinerinnen? Wenn Medizinerinnen beim Schwangerschaftsabbruch die gleichen Kriterien in bezug auf die Existenzbedingungen des Kindes und die Wünsche der Ehemänner gelten ließen und Schwangerschaften von unverheirateten Frauen verneinten, müßten sie dem Schwangerschaftsabbruch immer zustimmen. Die freie, souveräne Entscheidung der Frauen über ihren Körper und ihr Leben - egal, ob sie lesbisch, heterosexuell oder bisexuell sind, egal, ob sie sich künstlich befruchten oder eine Abtreibung vornehmen lassen wollen - gehört untrennbar zu ihrer Gleichberechtigung.
Adoption
Immer wieder wird von Lesben und Schwulen gefragt, ob sie ein Kind adoptieren können. Laut Familiengesetz der DDR war Adoption sowohl Ehepaaren als auch Einzelpersonen möglich. Über die Anträge entschieden der Jugendhilfeausschuß eines Kreises oder Stadtbezirkes. Die meisten Anträge wurden von Ehepaaren gestellt. Laut Lehrbuch Familienrecht von 1976 waren es 95%, und der Anteil ungewollt kinderloser Ehepaare wird mit 10 bis 15% angegeben.
Die Anzahl der Kinder, die im Säuglingsalter zur Adoption freigegeben wurden, sank in der DDR seit den fünfziger Jahren. Mütter sahen keinen Grund mehr, ihre Kinder wegzugeben, weil sie unverheiratet waren. Jahrzehntelang gab es mehr Anträge auf Adoption als Kinder, die adoptiert werden konnten. Da der Gesetzestext darauf verwies, daß adoptierte Kinder möglichst in der Familie erzogen werden sollten, Familie aber gleichgesetzt wurde mit Vater, Mutter, Kind, hatten Einzelpersonen wenig Chancen. Trotzdem hat eine Lesbe Ende der siebziger Jahre in Dresden ein Kind adoptieren können, weil es schon über ein Jahr in ihrem Haushalt lebte und sie bereits alle Pflichten wahrnahm, als sie den Antrag stellte.
Ein großer Teil der Adoptionsanträge betrifft Frauen oder Männer, die erneut geheiratet haben und nun das in der Familie vorhandene Kind adoptieren wollen. In diesen Fällen hat sich meistens schon eine Familiensituation ergeben, wenn der Antrag gestellt wird. Die Annahme an Kindes Statt ist dann ein formaler Akt, der die rechtlichen Konsequenzen regelt. Eine Formulierung, die ausgeschlossen hätte, daß die lesbische Partnerin das Kind ihrer Freundin an Kindes Statt annimmt, gab es im Gesetz nicht. Beide Lesben hätten dann das Erziehungsrecht ausüben können. Im Falle des Todes der leiblichen Mutter hätte die Freundin das Erziehungsrecht weiter wahrnehmen können.
Offensichtlich ist in der DDR keine Lesbe auf die Idee gekommen, einen solchen Antrag zu stellen, zumindest ist mir keiner bekannt. Es ist meist im Interesse des Kindes, wenn es in der gewohnten Umgebung bleiben kann und wichtige Bezugspersonen behält. Lesben haben aber damit zu rechnen, daß nach ihrem Tode Verwandte ihre gesetzlichen Rechte erfolgreich geltend machen, auch wenn die Lesben das Kind zwar gemeinsam erzogen haben, die Freundin aber kein Erziehungsrecht hat. Vorteilhaft ist es, wenn die lesbische Mutter auf jeden Fall ein Testament macht, in dem sie bestimmt, wer das Erziehungsrecht nach ihrem Tod erhalten soll.
Für Menschen, die kinderlos sind, gab es in der DDR noch eine andere Möglichkeit, Verantwortung für ein Kind zu übernehmen, und zwar im Rahmen einer Pflegschaft. Sie konnten sich nach Absprache mit den Erzieherinnen jeweils an den Wochenenden und in den Ferien um ein Kind aus dem Kinderheim kümmern. Der Umgang mit Kindern, die sich noch an ihre leiblichen Eltern erinnern und manchmal unter schlimmen Vernachlässigungen gelitten haben, ist natürlich schwierig und verlangt große pädagogische Fähigkeiten.
Nicht wenige Lesben in der DDR erfüllten sich den Wunsch, mit Kindern zu leben, indem sie Lehrerin oder Erzieherin wurden. Andere kümmerten sich zeitweilig um die Kinder von Verwandten, Freundinnen oder Nachbarinnen.
Berufsleben, sozialpolitische Maßnahmen
und die finanzielle Situation
In der DDR war die Berufstätigkeit von etwa 90% der Frauen im erwerbsfähigen Alter nur möglich durch den kontinuierlichen Ausbau von Kinderkrippen, Kindergärten, Kinderhorten, Ferienlagern und der Schulspeisung. In den siebziger Jahren kam das sogenannte Mütterjahr (Babyjahr) dazu, mehrheitlich begrüßt, vereinzelt kritisiert, weil es die Kindererziehung zur Frauensache deklarierte und damit konservative Traditionen zementierte. Frauen wurde ihr Arbeitsplatz (oder ein gleichwertiger) garantiert und erhielten Lohnfortzahlung. Die Betriebe waren verpflichtet, Frauen das Babyjahr zu gewähren; Männern, denen es per Gesetz als Möglichkeit auch zustand, konnte es verweigert werden.* (* Dem Wunsch weniger Männer, das Babyjahr ganz oder teilweise anstelle der Frauen zu nehmen, standen allerhand Hindernisse im Weg. Der Ausfall des höheren Verdienstes und mögliches Spießrutenlaufen im Betrieb motivierten nicht dazu, die Vaterrolle neu zu interpretieren. In einem konkreten Fall zog ein Vater vor das zuständige Kreisgericht, das die ablehnende Entscheidung des Betriebes jedoch bestätigte: aus dem Blickwinkel »gesamtgesellschaftlicher Interessen« sei die Arbeit des Mannes (er war Zeitungsredakteur) höher zu bewerten als die der Frau (sie arbeitete als Buchlektorin). Frauen, die in dieser Zeit ihrem Beruf nachgehen wollten, galten als karrieresüchtig, wenn nicht gar als Rabenmütter, selbst wenn der Mann erwiesenermaßen gute oder sogar bessere Fähigkeiten für die Kinderbetreuung hatte.)
Die Lebensgefährtin einer lesbischen Mutter konnte diese sogenannte soziale Freistellung während des ersten Lebensjahres des Kindes nicht in Anspruch nehmen.
Die durch staatliche Subventionierung der Kindergärten geringen, eher symbolischen Gebühren von zehn bis zwanzig Mark im Monat ermöglichten es auch Frauen mit niedrigem Einkommen, alle Kindereinrichtungen zu nutzen und in ihren Berufen zu bleiben. Nach der sogenannten Wende versuchten verschiedene Firmen, ihre Finanzen zu sanieren, indem sie betriebliche Kindereinrichtungen auflösten oder sie den Kommunen zuschoben. Diese Tendenzen, die sich inzwischen noch verstärkten, könnten eingedämmt werden, wenn Betriebe verpflichtet wären, je nach Größe und Beschäftigungszahl eine entsprechende Abgabe an die Kommunen zu entrichten. Damit ließen sich Kindereinrichtungen finanzieren. Regionen oder Kommunen, in denen nur wenige Betriebe angesiedelt sind, sollten statt dessen staatliche Gelder für die Einrichtung bzw. den Erhalt von Kindertagesstätten bekommen. Beschritten wurde aber der Weg wie in den westdeutschen Bundesländern: Erhöhung der Gebühren auf durchschnittlich 300 DM, und das bei bisher gleichbleibend geringen Einkünften. Damit sahen (und sehen) sich viele Mütter gezwungen, zu Hause zu bleiben, was wiederum zur Schließung weiterer Krippen und Kindergärten führte.
In der DDR galten Mütter, besonders mit Kleinkindern, als »unzuverlässige« Arbeitskräfte. Eine der ersten Fragen bei der Einstellungsbewerbung war: »Haben Sie Kinder, und wenn ja, wie alt sind sie?« Denn Kinder können krank werden. In der DDR konnte die unverheiratete Frau eine bezahlte Freistellung von bis zu sechs Wochen im Jahr zur Betreuung ihrer kranken Kinder in Anspruch nehmen. Die verheirateten Mütter konnten ihre Kinder ebenfalls betreuen, aber ihnen wurde meistens eine wesentlich kürzere bezahlte Freistellung gewährt. Erst wenn alle Männer ihre Vaterpflichten erfüllen, wird die Frage nach den Kindern allen oder überhaupt nicht mehr gestellt werden. Dann wird sich ein Diskriminierungsfaktor relativieren, der bisher ausschließlich Frauen trifft.
Die DDR war eines der wenigen Länder, in denen das Gesetz nicht nur das Recht auf Arbeit, sondern auch die Pflicht zur Arbeit festschrieb. Nach §249 des Strafgesetzbuches war es nicht gestattet, sich einer geregelten Arbeit zu entziehen. Nur Ehefrauen waren davon ausgenommen. Diese Ausnahme wurde in dem Paragraphen nicht formuliert, aber sie wurde praktiziert. Das bedeutete für Lesben, in jedem Fall berufstätig zu sein.
Ein Lesbenpaar, das das heterosexuelle Partnermodell insofern erfüllen wollte, daß die eine Frau berufstätig war und die andere die Hausfrau >spielte<, mußte mit Nachfragen und Kontrollen rechnen, gegebenenfalls sogar mit der Einstufung als arbeitsscheu und asozial, was auch mit Gefängnisstrafe geahndet werden konnte.
Berufstätigkeit war so selbstverständlich, daß sich Lesben darin nicht von anderen Frauen unterschieden. Frauen arbeiteten allerdings vorwiegend in Bereichen, in denen weniger verdient wurde: im Handel, in der Textilindustrie, im Gesundheitswesen und im Dienstleistungssektor. In den achtziger Jahren hatten zwei Drittel der Industriearbeiterinnen einen Bruttoverdienst von weniger als 900 Mark. Das Durchschnittseinkommen von Ein-Personen-Haushalten betrug 1988 1024 Mark. Zwei Verdienende kamen laut Statistischem Jahrbuch der DDR von 1990 auf durchschnittlich 1765 Mark.
Nach der »Wende« hat sich die Situation für Frauen noch verschlechtert. Die Statistik weist zunehmend mehr erwerbslose Frauen als Männer aus. Dabei sind nicht einmal alle Frauen erfaßt, weil sich viele in den Haushalt zurückziehen, sich nicht erwerbslos melden und damit in der Statistik nicht mehr erscheinen.
Alleinerziehende Frauen müssen mehr Ausgaben bestreiten als Singles ohne Kinder. Sie brauchen eine größere Wohnung als kinderlose Frauen oder Männer und müssen mehr für den täglichen Bedarf ausgeben. Erfahrungsgemäß gaben alleinstehende Mütter mit weniger als 1000 Mark im Monat mehr als drei Viertel für den notwendigen Lebensunterhalt aus. Die gestiegenen und steigenden Preise für Waren des täglichen Bedarfs, Miete, Strom, Medien und Versicherungen verschlechtern die Situation zusätzlich.
Die steigenden Lebenshaltungskosten erfordern höhere Unterhaltszahlungen (Alimente). Die durchschnittlich 80 bis 130 Mark sind nicht mehr angemessen. Die Richtsätze waren in der DDR nach dem Netto-Einkommen des Unterhaltspflichtigen gestaffelt. Sie betrugen zum Beispiel bei einem Kind über zwölf Jahre und einem Einkommen des Unterhaltspflichtigen von 200 Mark nur 35 Mark und steigerten sich auf 205 Mark bei 2000 Mark Einkommen. Wenn ein Mann in der DDR 1200 Mark verdiente, zahlte er (für ein Kind bis zwölf Jahre) lediglich 130 Mark Unterhalt im Monat, für zwei Kinder 250 Mark. Weitere Verpflichtungen hatte er nicht zu erfüllen. Die tägliche Arbeit und Sorge lasteten auf dem Elternteil, dem die Kinder zugesprochen waren, meistens war dies die Frau. Verdiente eine Frau 750 Mark im Monat und bekam für zwei Kinder 250 Mark, mußte sie mit 1000 Mark für drei Personen auskommen, während der Mann über fast eben so viel für sich allein verfügte. Es kam selten vor, daß ein Mann mehr zahlte, als die festgelegten Mindestsätze.
Es gäbe die Möglichkeit, von allen Berufstätigen eine allgemeine Kindersteuer zu erheben und sie den Frauen und Männern auszuzahlen, die sich tatsächlich um die Kinder kümmern, ob sie nun Ehepaare, alleinstehende Personen oder Lebensgemeinschaften sind. Auf diese Weise würden Kinder und ihre Betreuung gefördert und nicht die heterosexuelle Ehe. Die steuerliche, moralische, rechtliche und sonstige Bevorzugung der heterosexuellen Ehe geht an einem beträchtlichen Teil der Kinder vorbei, an denen nämlich, die in anderen Familienstrukturen leben. Der Status der Kinder, ob ehelich oder nicht-ehelich, leiblich oder nicht-leiblich, würde so bedeutungslos. Meines Erachtens ist es höchste Zeit, andere Lebensformen der Ehe gleichzustellen und die Förderung der Kinder anstelle der Ehe in die Verfassung aufzunehmen. Die juristische Akzeptanz der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft wäre ein Teilerfolg, ein Schritt auf dem Weg zur Gleichberechtigung aller Lebensformen mit dem heterosexuellen Paarmodell. Diese Gleichstellung muß lesbische und schwule Partnerschaften ebenso einschließen wie Singles und polygame Lebensgemeinschaften. Darüber hinaus bedarf es auch im Interesse der Kinder eines verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbotes ethnischer, politischer, religiöser und sexueller Minderheiten, denn Kinder trifft Benachteiligung immer am stärksten.