Es war meine Mutter, die mich lehrte, Frauen zu lieben

Eine autobiografische Skizze

Manchmal weißt du, daß etwas wichtig ist und mitgeteilt werden sollte, und doch hält dich die Unsicherheit, wo du den richtigen Ort zur Veröffentlichung findest, und die Angst, es könnte nirgendwo angenommen werden, davon ab, es zu Papier zu bringen. Dies trifft auf mich und die Geschichte zu, die ich nun schon lange Zeit mit mir herumgetragen habe.
Es ist die Geschichte meines Lebens. Meines Lebens und das meiner Tochter. Ich bin EviB - der lesbische Name, den meine Geliebte mir gab. Es ist ein Name, den ich wegen des warmen und fröhlichen Andenkens an Gertrude Stein und Alice B. Toklas besonders mag. In diesem Namen bin ich sowohl Gertrude als auch Alice. Ich bin Bewegungslesbe und Universitätsprofessorin. Ich bin Jüdin und Mutter. Ich bin eine jüdische Lesbe, die Mutter einer jüdischen Lesbe ist. Und sähe die Welt anders aus und wäre meine Mutter nicht so in patriarchalen Strukturen verhaftet, wäre ich auch die Tochter einer Lesbe.
Es war meine Mutter, die mich lehrte, Frauen zu lieben. Nicht indem sie mich liebte oder mich ermutigte, Frauen zu lieben, sondern durch ihr eigenes unwissentliches Beispiel: die intensiven, lebenslangen Bindungen an ihre Freundinnen. Ich sah die Nähe und die Zuwendung, selbst wenn sie nachdrücklich verbreitete, was sie für ihre Wahrheiten hielt: Liebe Männer, sie sind unsere einzige Rettung. Fürchte Männer, sie sind der Feind. Sie träumte von männlichen Helden, lebte aber in einer sicheren Frauenwelt. Im wirklichen Leben sorgte mein Vater für Schutz und Unterhalt. Andere Männer gab es in meiner Erinnerung nur für gelegentliche Flirts; im Grunde waren sie Randfiguren.
Meine Tochter war in ihren Teenagerjahren eine aktive Lesbe. Ich beneide sie um die Freiheit, die sie sich genommen hat - ich habe sie ihr nicht gegeben. Wenn ich nicht so ängstlich gewesen wäre, wenn ich in einer anderen Zeit gelebt hätte, wenn meine Mutter nicht so wachsam oder so streng gewesen wäre, besonders in meinen ersten Teenagerjahren, hätte ich mehr Freiheit gehabt, die Lesbe zu sein, die ich war. Ich hätte nicht viele verzweifelte Stunden in der Bibliothek zubringen und beweisen müssen, das ich nicht das war, was ich fürchtete zu sein, von dem ich wußte, daß ich es war, und es mir ausredete: intensiv, leidenschaftlich, oft besessen Frauen zu lieben und doch zu leugnen, was das bedeutete.
Die beste Freundin meiner Mädchenjahre erwies sich als Lesbe. Während all der Jahre unserer gemeinsamen großen Leidenschaft für unsere Englischlehrerin in der siebten Klasse, in denen wir einmal einen ganzen Sommer lang unser Geld sparten, um ihr ein teures goldenes Armband zu schenken, wußte ich es nicht. Als sie mit vierzehn ihr Coming-out hatte, war das ein Skandal in unserem Viertel, und es wurde zumindest bei mir zu Hause, hauptsächlich von meiner Mutter, die alles darüber zu wissen schien, lang und breit darüber geredet. Ich kann nicht mehr auseinanderhalten, was ich selbst wußte und was meine Mutter mir gesagt hatte, wieviel sie wirklich wußte und was sie erfand oder vermutete. Ich habe nur noch einige Bruchstücke in Erinnerung: Meine Freundin hatte eine Beziehung zu einer älteren Frau, die mit einer anderen im nächsten Wohnblock lebte. (Wie alt war älter?  Fünfundzwanzig?  Fünfunddreißig?)  Hat meine Mutter wirklich behauptet, meine Freundin sei verführt worden? Wahrscheinlich. Waren sie wirklich Sportlehrerinnen? Meine Freundin erzählte mir, daß die Polizei sie häufig belästigte, wenn sie im Auto zusammen waren. Manchmal konnten sie eine fremde Wohnung benutzen. Wußte ich, was sie taten? Erriet ich es? Phantasierte ich es? Ich muß etwas gewußt haben. Doch wieviel begriff ich wirklich? Ich selbst war zu dieser Zeit sexuell nicht aktiv, abgesehen vom Masturbieren, das ich früh gelernt hatte, sehr mochte, und für das ich mich schrecklich schämte. Ich verabscheute, was auf Parties als Muß galt, und versuchte immer, mich davor zu drücken. Meistens gelang es mir. Zu Hause wiederholte meine Mutter immer und immer wieder: Meine Freundin sei widerlich. Was sie täte, sei widerlich. Wenn ich nicht gehorchte, war sie schuld. Sie habe einen schlechten Einfluß auf mich. Ihre Mutter sei Kommunistin, eine Geschiedene, die arbeiten ging, was war also anderes zu erwarten?
Trotzdem blieben wir Freundinnen. Einige Jahre später erzählte sie mir die Einzelheiten ihrer Liebesaffären mit Frauen auf dem College. Wie ihre Geliebten sie im Dunkeln im Bett berührten, sie aber nicht küssen wollten. Wie sie ihr bei Tag ihre Liebe entzogen und vorgaben, sie nicht zu kennen. Diese Geschichten sind mir nahezu dreißig Jahre lang im Gedächtnis geblieben. Ich konnte damals nur schwer verstehen, warum diese Geliebten sich so merkwürdig verhielten. Wenn eine von uns eine dunkle Ahnung hatte, so sagten wir es nicht. Ich bezweifle, daß uns das Wort Lesbe jemals über die Lippen kam, während sie mir diese Geschichten erzählte. Doch ich erinnere mich, daß sie sehr verletzt und schrecklich verwirrt war. Es war Anfang der fünfziger Jahre in Brooklyn - wir hatten keine Analysen, keine Namen, keine Worte, mit denen wir über die Liebe zwischen Frauen hätten reden können. Das beste, was ich ihr anbieten konnte, und das tat ich eifrig, war das Zuhören. Wenn ich daran zurückdenke, dann dämmert es mir, daß ihre Geschichten mit der stummen Erotik darin mich damals erregt haben müssen, leicht, so wie jetzt beim Wiedererzählen. Und ich schäme mich dafür, daß mir das, was für sie schmerzlich war, Vergnügen bereitete. Und für meine Feigheit.
Wir haben uns heute mehr oder weniger aus den Augen verloren, aber als ich sie vor einigen Jahren nach fünfzehnjähriger Unterbrechung wiedersah, war sie resigniert und ein wenig verbittert. Die mehr als zwanzig Jahre dauernde Therapie hatte die Verletzung nicht ausgelöscht. »Weder noch«, sagte sie, als ich sie fragte, ob sie immer noch Beziehungen mit Frauen habe. »Ich kann Frauen nicht davon trennen, wie schlecht und verrückt ich mich in all den Jahren fühlte.« Ich erinnerte mich, wie verzweifelt sie versucht hatte, das Leben mit einem Mann für sich erträglich zu machen. Mehr als einmal hatte sie ernsthaft erwogen zu heiraten, aber es kam nie dazu. Ich wußte, das war alles abwegig, aber nicht ein einziges Mal in den vielen Jahren, in denen wir in Briefwechsel standen, wagte ich meine Zweifel zu äußern: »Warum versuchst du, so zu sein, wie du nicht bist?« Nein, ich schwieg, blödsinnig höflich, ermutigte sie oft in ihren Heiratsplänen und war bei jeder ihrer Enttäuschungen mit enttäuscht. Heute behauptet sie, sie habe Frieden gefunden, indem sie sich von sexueller Intimität vollkommen zurückgezogen habe, und ich bin wütend auf sie, auf mich selbst, auf uns alle. Natürlich ist sie immer noch eine Lesbe. War niemals etwas anderes. Nie >weder/noch<.
In gewisser Weise hatte ich mehr Glück. Ich tarnte mich, so daß ich geschützt war. Ich glaube, wenn ich wie meine Freundin mein Coming-out damals gehabt hätte, Ende der vierziger Jahre, hätte ich Schlimmeres erfahren als >weder/noch<. Ich bin sicher, ich wäre zerbrochen. Dafür hätte meine Mutter gesorgt. Sie war so unbarmherzig und ich so abhängig von ihrer Anerkennung. Ich war der festen Meinung, sie würde mich einsperren oder hinauswerfen (letzteres scheint rückblickend nicht sehr wahrscheinlich: sie war zu besitzergreifend). Als arme, neueingewanderte Familie hatten wir weder Vertrauen noch Zugang zu Psychiaterinnen. Statt dessen hätte sie im Glauben, mich zu retten, nicht gezögert, mich eigenhändig zu vernichten. Mein Schutzbedürfnis war sehr real, und einige Zeit wirkte meine Tarnung. Es ist wahr, daß ich mich mein ganzes Leben lang immer wieder in Frauen verliebte, aber ich war in der Lage, einen Mann zu heiraten. Und zwanzig Jahre lang mit ihm zu leben. Und zwei Kinder zu haben, von denen eins, meine Tochter, heute lesbisch ist, und zwar seit ihrem dreizehnten Lebensjahr.
Es ist schwer, einzugestehen, daß ich ihr dabei nicht geholfen habe. Nein, um ehrlich zu sein, hätte ich sie zu dem Zeitpunkt davon abgehalten, wenn ich gekonnt hätte. Ich habe es versucht, und ihr Vater ebenso. Das ist am schwersten aufs Papier zu bringen: Ich habe versucht, sie davon abzuhalten, eine Lesbe zu werden. Ich befürchtete, es würde ihr Leben ruinieren. Das glaubte ich tatsächlich. Wir drohten, die Polizei zu holen, falls sie sich weiterhin mit ihrer Geliebten treffen würde. (Ich hatte damals keine Ahnung von der Macht des Gesetzes oder der Ungeheuerlichkeit unserer Drohungen.) Außerdem glaubte ich nicht wirklich, daß sie eine Beziehung hatten - meine dreizehnjährige Tochter und die zwanzigjährige Frau, die ihre Mentorin war. Ich wußte nur, daß sie einander liebten und miteinander schlafen wollten. Wir hielten sie voneinander getrennt (oder wenigstens dachten wir das).
Heute lachen wir darüber, sie und ich. Alle ihre Freundinnen hatten vermutet, ich müsse eine heimliche Lesbe sein, um soviel zu wissen und so leidenschaftlich auf sie zu achten. Sie hatten natürlich recht, aber ich war außergewöhnlich begriffsstutzig. Ich brauchte Jahre, um wirklich zu begreifen, daß meine Tochter mit einer anderen Frau Liebe gemacht hatte (nicht nur Liebe: Sex), selbst als sie und ihre zweite Geliebte schon zwei Jahre zusammengelebt und ein Bett geteilt hatten und in einer Gruppe jüdischer Lesben an einem Protestmarsch in Hillel teilnahmen. Ich war ausgesprochen naiv. Lächerlicherweise hielt ich mein eigenes Coming-out ein ganzes Jahr lang vor meiner Tochter geheim (oder wenigstens dachte ich das). In Wirklichkeit wußte sie es ebenso wie die ganze Szene. Schämte ich mich, zuzugeben, welch großen Fehler ich begangen hatte, als sie dreizehn war? Eine der Mütter, zu der ich in der Panik um meine Tochter gelaufen war, war selbst lesbische Mutter einer Lesbe, nur wußte ich das damals nicht, obwohl sie mit einer Frau zusammenlebte. Ich wage mir kaum auszumalen, wie sie meinen Überfall erlebt hat; sie begegnete ihm mit Schweigen. Ich wollte, daß sie etwas tat, irgend etwas, um die anderen Eltern zu warnen und die Affäre zu beenden. Ich brachte es fertig, die Eltern der Jugendgruppe zusammenzutrommeln; ich weiß nicht mehr, wie sie mich beruhigten. Aus der relativ sicheren Distanz eines Jahrzehnts kann ich beinahe das Komische an dieser Situation sehen. Daß die lesbische Mutter (die heute auch meine Kollegin ist) überhaupt mit mir spricht, wundert mich oft. Wir erwähnen diese Zeit fast nie. Ich glaube, es ist uns beiden peinlich.
Heute ist meine Tochter dreiundzwanzig, und daß sie lesbisch ist, tröstet mich. Worum immer sie kämpft, ich mache mir keine Sorgen, daß sie ihre Kraft an das Patriarchat abgibt. Ich vertraue ihr und respektiere sie und ihre Geliebte und die vielen Frauen, mit denen sie befreundet ist; ich zähle mich selbst dazu. Heute teilen wir vieles miteinander. Ich weiß, daß sie mir durch ihr Beispiel den Weg geebnet hat. Indem ich versuchte, sie zu verstehen, wurde ich mit mir selbst und meiner Ehe konfrontiert. Ich erinnere mich genau an den Tag, an dem unser Familienpsychiater (ein patriarchaler, aber vernünftiger Mann, der wußte, daß sie lesbisch ist) über meine Teenager-Tochter sagte: »Sie ist in Ordnung, aber was ist mit euch beiden?« Dieser Tag markierte den Beginn meiner Befreiung und meine allmähliche Rückkehr zu dem lesbischen Ich, das ich Jahre zuvor von mir gewiesen hatte. Natürlich geschah das nicht alles auf einmal. Der Prozeß verlief langsam, manchmal schmerzlich, und bekam durch meine wachsende ökonomische Unabhängigkeit den entscheidenden Auftrieb. Zuerst mußte ich mich von der Tarnung der Heterosexualität befreien, die ich so gewissenhaft angelegt hatte. Erst dann konnte ich anfangen, meine Liebe zu Frauen zu erforschen. Aber ich wollte nicht alle Brücken auf einmal hinter mir abbrechen. So komisch das heute erscheint, ich bereitete mir den Weg, indem ich meine Absichten meinen heterosexuellen Freundinnen systematisch ankündigte. Es funktionierte. Und mit einer Frau zu schlafen war wie die natürlichste Sache, die ich jemals getan hatte. (Es macht mich immer noch wütend, denn mein ganzes Leben lang war ich angehalten worden, das genaue Gegenteil zu glauben.)
In einer Hinsicht war der Übergang leicht; mein Gefühlsleben hatte sich immer um Frauen gedreht. (Das verursachte mir während meiner Ehe einiges Unbehagen, da es nicht in mein Bild von der Ehe paßte. Hin und wieder beklagte sich mein Ehemann darüber, aber ich gab es ihm gegenüber nicht zu.) Es war mir merkwürdig erschienen, daß ich meine Gefühle für Frauen immer durch Berührungen ausdrücken wollte, aber ich hatte mich pflichtschuldigst zurückgehalten. Es kam mir auch absonderlich vor, daß die einzigen Worte, die gewisse Gefühle in mir für Frauen zutreffend beschreiben konnten, die >unangemessenen< Worte waren: »Ich bin in dich verliebt.« Instinktiv hütete ich mich, diese Gefühle irgendjemand anders gegenüber zu erwähnen als meiner ältesten, liebsten, vertrauenswürdigsten, unzweifelhaft heterosexuellen Freundin. Ich glaube, sie wußte nicht so recht, was sie mit meinem Geständnis anfangen sollte, aber es hat mir enorm geholfen, daß sie mir zuhörte und nicht sagte, das sei ja schrecklich. Das Wort lesbisch wurde natürlich niemals ausgesprochen.
Zum Glück habe ich mich nie in meine Vertraute verliebt, obwohl ich sie zärtlich liebte (und noch liebe). Kein Zweifel, das bewahrte uns die Freundschaft. Ich erinnere mich, wie erleichtert ich war (schon mit achtzehn, als wir uns kennenlernten), daß ich nicht >diese< Gefühle für sie empfand. Ich wollte so gern ihre Freundin sein und wußte aus Erfahrung, wie belastend diese Gefühle sein konnten und welches merkwürdige Verhalten sie manchmal bei mir hervorriefen. Meine Leidenschaft für eine Frau befiel mich immer wie eine furchtbare Krankheit, die ich weder in den Griff bekommen noch loswerden konnte. Ich schämte mich schrecklich wegen dieser Gefühle, und gleichzeitig hütete ich sie als meinen kostbarsten Besitz, meine geheime Quelle von Freude, Wohlbefinden und Energie, all die Jahre meiner Ehe hindurch.
Wenn ich diese Seiten nochmals lese, wird mir klar, wie lang und beschwerlich der Prozeß meines Zu-mir-selbst-Kommens gewesen ist. Ich bin jetzt sechsundvierzig. Ich hatte mein Coming-out vor fünf Jahren. Der Gedanke erschreckt mich, daß ich mich ohne die lesbisch-feministische Bewegung, ohne das Beispiel meiner eigenen Tochter (und anderer mutiger Frauen, die ich bewundere und achte), immer noch vor mir selbst verstecken und trotz der deutlichen Zeichen meiner eigenen Gefühle immer noch an die absolute Normalität der Heterosexualität glauben könnte. Vor kurzem erzählte mir eine Frau, in die ich vor Jahren verliebt gewesen war, ich hätte sie einmal, als ich noch verheiratet war, gefragt, ob sie mit mir schlafen wolle, und sie hätte abgelehnt. Obwohl ich mich nicht daran erinnern kann, bin ich sicher, daß dieses Begehren vorhanden war - vielleicht sogar bei uns beiden; ich vermute, zwischen uns wurde mehr mitgeteilt, als wir beide jemals in Worten ausgedrückt haben. Sie war Malerin, ich stand ihr Modell, nackt und meinen Sohn stillend. Im Laufe der Jahre fertigte sie Hunderte von Porträts und Skizzen von mir an; in Öl, in Bleistift, in Pastell. Stundenlang, tagelang. Ich saß da, sie malte, und wir unterhielten uns. Ich wußte, was mir diese Zeit bedeutete; ich dachte allerdings nie daran, sie zu fragen, was sie ihr bedeutete. Vielleicht haben wir uns schließlich doch geliebt, ohne uns zu berühren.
Ich kann nicht wissen, wie mein Leben ohne den Einfluß und die Unterstützung einer lesbisch-feministischen Bewegung ausgesehen hätte. Ich weiß jedoch, daß ich in den vergangenen fünf Jahren meines Lebens am intensivsten gelebt habe. Es waren die Jahre des größten Wachstums und der tiefsten Öffnung, der wirklichen Übereinstimmung mit mir selbst. Und für diesen Reichtum, dieses Glück (unerwartet, aber aktiv gesucht) bin ich dankbar.
Vor drei Jahren habe ich meiner Mutter gesagt, daß ich lesbisch bin. Sie wußte es bereits. (Ihre Antennen sind ständig ausgefahren.) Genau genommen habe ich es ihr nicht erzählt. Sie hat gefragt. Das erste, was sie wissen wollte, war, welche von uns der Mann sei. Als ich ihr sagte, wir hielten nichts von Rollen, wollte sie es nicht glauben, besonders was die Sexualität betraf. Wie so etwas möglich sei, wollte sie wissen. »Wer entscheidet, was ihr macht?« Sie bringt ständig das Thema Homosexualität auf den Tisch (manchmal spielerisch), und ebenso ständig läßt sie es wieder fallen. Dennoch - sie das wissen zu lassen, war das Befreiendste, was ich je für mich getan habe. Ich warte jetzt nicht mehr auf ihre Zustimmung. Sie akzeptiert mich so gut sie kann, mit einigen schweren Vorbehalten - die sie das 'große, große ABER' nennt. Ihr Sinn für Humor bewahrt sie mir. Mir wurde bewußt, daß sie mich nicht einfach verurteilt, sondern auch eifersüchtig ist: auf die augenfällige Nähe zwischen meiner Geliebten und mir, auf die Zuwendung, die wir einander geben. In ihrer ironischen Art bekrittelt sie unsere Liebe als 'Gesellschaft zur gegenseitigen Bewunderung'. Doch in einem Ton, der als anklagend bezeichnet werden könnte, fragt sie, warum eigentlich nicht alle so sanft und liebevoll miteinander umgehen wie meine Geliebte und ich - vermutlich hat sie in ihrer Ehe andere Erfahrungen gemacht und sich auch keine besseren vorstellen können. Wir können nicht gut miteinander reden. Sie hat nicht gelernt, mich zu lieben, und sie hat sich selbst nie geliebt. Das macht mich traurig.
Was mich betrifft, habe ich durch mein Coming-out endlich die Frau geboren, die ich jahrzehntelang in mir getragen hatte. Sie hat gelernt, sich selbst zu lieben, so wie sie sich erlaubt, eine andere Frau zu lieben und sich von ihr lieben zu lassen. Ich bin froh, daß ich mein Leben mit ihr teilen kann. Ich mag sie und bin froh, daß sie endlich ihre Geschichte erzählt hat. Meine Geschichte.

Acht Jahre später: Weitere Gedanken

Dieser Beitrag ist persönlicher als alles andere, was ich je veröffentlicht habe, und ihn dem Blick der Öffentlichkeit auszusetzen, gibt mir das Gefühl besonderer Verwundbarkeit. Zusammen mit dem Einführungsessay zu Nice Jewish Girls: A Lesbian Anthology* (* Persephone Press 1982; The Crossing Press, Freedom, Calif. 1984.) …ist er mir als Kernstück meiner Autobiographie ins Gedächtnis eingegraben. Wenn ich heute meine eigenen Worte noch einmal lese, wird mir bewußt, daß ich nicht als Mutter sprechen konnte, ohne beinahe gleichzeitig, kontrapunktisch, als Tochter zu sprechen. Ich schätze die Art und Weise, wie ich Themen zusammenfügte, denen ich seither unabhängig voneinander eingehender nachgegangen bin, aber ich bin erstaunt über das, was ich überhaupt nicht beleuchtet habe: Die Tatsache, daß ich Jüdin bin, ist eindeutig präsent, steht aber nicht im Vordergrund. Ich bin nicht der Frage nachgegangen, was es bedeutet, eine jüdische Tochter und Überlebende des Holocaust, eine jüdische lesbische Mutter einer jüdischen lesbischen Tochter zu sein - das sind Themen, die immer noch auf ihre Weiterentwicklung warten. Dennoch hätte ich diesen Beitrag heute nicht noch einmal schreiben können, ohne nicht die Wahrheiten meines Lebens, wie ich sie damals verstand, zu verletzen. Was dieser Text anspricht, aber nicht analysiert, muß gesondert erforscht werden. Beispielsweise habe ich erst kürzlich angefangen, mich mit der Tatsache zu befassen, daß es mir bei einem Vortrag vor einem nichtlesbischen Auditorium eindeutig Unbehagen bereitet zu erzählen, daß ich eine lesbische Tochter habe. Trotz der großen Freude, die ich in privater und sicherer, das heißt, nicht homophobischer Umgebung darüber empfinde. Was mache ich mit dem Filter, durch den ich mich selbst in den Augen der anderen als sonderbar wahrnehme? Warum sollte ich mir auch nur für eine Minute Sorgen machen, meine Familie sei >zu weit gegangen<, wenn es in ihr eine lesbische Tochter und Mutter gibt? Inwieweit ist diese spezifische Angst mit meiner eigenen Geschichte als Überlebende verbunden? Wer bestimmt die Grenzen des Akzeptablen? Wie kann ich diese Verteidigungshaltung in mir selbst bekämpfen? Wie kann ich selbstverständlich von meiner lesbischen Tochter sprechen, leicht und stolz, so, wie ich heute als Lesbe und als Jüdin spreche?

Mein Sohn und seine Frau setzten kürzlich einen hoffnungsvollen Kontrapunkt gegen dieses Verständnis von Nicht-Leichtigkeit. Zu ihrer Hochzeit im Sommer luden sie mich und meine Geliebte, meine Tochter und ihre Partnerin ein, zusammen mit den anderen engen Verwandten vorn in der Hochzeitsgesellschaft zu sitzen. Die Tatsache, daß zwei der Paare gleichen Geschlechts waren, blieb gänzlich unkommentiert, und ich war sehr stolz, daß ihre Liebe zu uns es ihnen ermöglichte, den Blick durch jeden anderen Filter als ihren eigenen abzulehnen.
Zurück zur Vergangenheit. Einige Fakten in dem Beitrag, wie ich ihn damals schrieb, haben sich geändert und können leicht aktualisiert werden. Meine Tochter ist heute einunddreißig, und ich bin vierundfünfzig. Noch immer sprechen wir nur vorsichtig über die schwierigen Jahre ihres Coming-out. Wir sind Freundinnen, achten jedoch die Distanz, die wir brauchen, um einander nah zu bleiben. Ich hatte gehofft, dieser Nachtrag würde uns die Möglichkeit bieten, eingehender über die Vergangenheit zu sprechen, aber für eine solche Intimität sind wir offenbar noch nicht bereit. Meine Tochter scheint jedoch stolz auf mein Schreiben zu sein und hat bereitwillig ihre Erlaubnis gegeben, auch über sie zu schreiben. Ich habe den Text meiner Mutter nie gezeigt, die in den vergangenen Jahren gelernt hat, mich mehr zu lieben, und ihr >großes, großes ABER< erheblich hat schrumpfen lassen. Obwohl sie entschieden alles verweigert, was als absolute Zustimmung ausgelegt werden könnte, sieht sie, daß ich wirklich glücklich bin, und freut sich für mich, ist letztlich sogar stolz auf meine Erfolge.
Die Freundin, die behauptete, sie sei >weder/noch<, weder heterosexuell noch lesbisch, hat inzwischen ihr lesbisches Ich in positiverer Weise angenommen; dennoch lebt sie immer noch ein sehr verstecktes Leben in relativer Isolation.
Meine erste lesbische Geliebte, die mich EviB nannte, ist heute eine mir tief verbundene und treue Freundin. Ich habe eine Lebenspartnerin gefunden, deren Liebe und Vertrauen das Fundament meines Lebens, meines Liebens und meiner Arbeit in der Welt bilden.

Aus dem amerikanischen Englisch von Cornelia E. Kahler