Seit einigen Jahren entscheiden sich in den Niederlanden immer mehr Lesben für ein Leben mit Kindern, und eine neue Kategorie ist entstanden: lesbische Mutterschaft.
Es gibt verschiedene Formen, in denen Lesben ihr Leben mit Kindern gestalten: allein, zusammen mit ihrer Geliebten, mit Freundinnen oder in einer Wohngemeinschaft. Diese Entwicklung hat Ende der siebziger Jahre begonnen, und die ältesten Kinder lesbischer Mütter sind daher im Alter von zehn bis zwölf Jahren. Damals eher vereinzelt, ist lesbische Mutterschaft heute ein relativ verbreitetes Phänomen und wird in jeder Gruppierung der Lesbenbewegung diskutiert. Heute können wir fast schon von einem lesbischen Baby-Boom sprechen. Um diese Entwicklung besser zu verstehen, ist es sinnvoll, zunächst die niederländische Lesbenkultur näher zu betrachten.
Das Bild der Lesben und Schwulen in der Öffentlichkeit wird in den Niederlanden stark geprägt vom COC (Culturele Ontspannings Club, Kultureller Entspannungsclub). Der COC ist ein seit 1946 bestehender Verein mit Sitz in Amsterdam und Niederlassungen in allen größeren Städten. Er organisiert verschiedene Aktivitäten wie Coming-out-Gruppen, Diskussionsrunden, Disco-Veranstaltungen, Kneipenabende und Jugendtreffs. Einen Schwerpunkt bilden Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärungskampagnen. MitarbeiterInnen nehmen beispielsweise am Sexualkundeunterricht in Schulen teil, um Schülerinnen über lesbische und schwule Sexualität und Lebensformen zu informieren. Auch wird seitens des COC versucht, juristisch Einfluß zu nehmen, indem über eine Partei Gesetzesentwürfe beim Parlament eingereicht werden. Obwohl die Bemühungen auf diesem Gebiet größtenteils ergebnislos bleiben, wird doch auf diese Weise - auch in den Medien - zumindest Öffentlichkeit für lesbische und schwule Themen geschaffen.
Der Entschluß von Lesben, Mutter zu werden, bedeutet meistens, >künstliche< Insemination in Anspruch zu nehmen. Im Gegensatz zur BRD wird diese Methode in den Niederlanden viel unkritischer genutzt und auch nicht in Zusammenhang mit Gen- und Reproduktionstechnologien betrachtet. Möglicherweise besteht in der BRD aufgrund der faschistischen Vergangenheit eine größere Sensibilität in bezug auf dieses Thema. Ich denke, wenn lesbische Frauen sich selbst einen Samenspender suchen, statt sich an eine - vielleicht sogar kommerzielle - Institution zu wenden, besteht auch keine Verbindung zur Gen- und Reproduktionstechnologie. Einige Lesben wehren sich auch gegen die Bezeichnung >künstliche< Insemination, da dieser Begriff impliziert, der Koitus mit einem Mann sei >natürlich<.
In den Krankenhäusern gilt offiziell, daß >eigentlich< nur Spender, die HIV-positiv sind oder bestimmte erbliche Krankheiten haben, ausgeschlossen werden. Inwieweit aber sonstige, zum Beispiel äußerliche Kriterien wie braune oder blaue Augen, Haarfarbe etc. bei der Zuweisung des Samens an eine Frau eine Rolle spielen, ist unklar. Offensichtlich ist, daß eine weiße Frau Sperma von einem weißen Mann bekommt. Soweit mir bekannt ist, geschieht das >automatisch<, und hierin zeigt sich deutlich ein rassistisches Moment bei der Samenverteilung. Ein sexistisches Moment liegt darin, daß dem Spender zur Ejakulation pornographische Bilder vorgelegt werden.
Trotz aller Kritik ist es meines Erachtens jedoch positiv zu werten, daß auch für Lesben die Möglichkeit besteht, ihren Kinderwunsch zu realisieren. Somit müssen lesbische Frauen in den Niederlanden bei ihrem Coming-out nicht >automatisch< ihren Kinderwunsch begraben, sondern jede kann selbst entscheiden, ob sie Kinder bekommen will oder nicht.
Für die Beschaffung von Sperma gibt es mehrere Möglichkeiten. Zunächst muß geklärt werden, ob der Samenspender (Donor genannt) anonym oder bekannt sein soll. Entscheidet sich die Frau für einen anonymen Spender, stehen ihr mehrere Krankenhäuser mit einer sogenannten KID-Abteilung zur Auswahl (KID steht für künstliche Insemination von Donorsamen). Die Krankenhäuser arbeiten immer mit anonymen Spendern. Die Kosten der Insemination werden von den meisten Krankenkassen übernommen. Der praktische Ablauf ist in den einzelnen Krankenhäusern recht unterschiedlich. Obligatorisch ist jedoch bei allen ein Gespräch der Frau mit einer/einem SozialarbeiterIn, PsychologIn oder ÄrztIn über die Gründe für den Kinderwunsch, das Verhältnis zu möglichen Söhnen, Fragen nach den Erziehungspersonen und dergleichen. Inwieweit die Antworten zu einer Abweisung führen können, ist unklar. Es existieren keine offiziellen Richtlinien, nach denen die Krankenhäuser zu verfahren haben, und das macht deren Politik undurchsichtig und somit auch unangreifbar. Mir ist kein Fall bekannt, in dem Anträge von Frauen aufgrund ihrer lesbischen Lebensweise abgelehnt worden sind.* (* Im Rahmen meiner Arbeit an einer Broschüre zur rechtlichen Situation lesbischer Mütter in den Niederlanden wurden über Annoncen in überregionalen Zeitungen Frauen gesucht, die über ihre Erfahrungen in verschiedenen Krankenhäusern berichten wollten. Die Anzeigenkampagne fand große Resonanz. Keine Frau jedoch teilte uns mit, aufgrund ihrer lesbischen Lebensweise eine Ablehnung erhalten zu haben.)
Es ist sicherlich zu kritisieren, daß es überhaupt ein Pflichtgespräch zur Erklärung des Kinderwunsches gibt, unterstellt es doch, daß die betreffenden Frauen nicht alleinverantwortlich entscheiden könnten. Schließlich gibt es für durch heterosexuelle Penetration geplante Schwangerschaften auch keine Zwangsberatung.
Die zweite Variante, die die Anonymität des Spenders gewährleistet, besteht darin, die Samenbeschaffung über eine dritte Person abzuwickeln. Eine Freundin kann zum Beispiel als Kontaktperson zwischen dem Spender und der Frau, die schwanger werden will, fungieren. Der Vorteil dieser Methode liegt darin, daß es bei einer eventuellen späteren Nachfrage des Kindes möglich wäre, den Namen des Spenders zu erfahren. Der Spender selbst muß sich natürlich dieser Möglichkeit bewußt sein.
Die dritte Möglichkeit besteht darin, daß die Frau einen Spender aus ihrem Bekanntenkreis wählt. Damit die Frau nicht jeden Monat bis zur Schwangerschaft Kontakt mit dem Spender aufnehmen muß, kann er seinen Samen speziell für diese Frau in einem Krankenhaus einfrieren lassen. In den Frauengesundheitszentren gibt es Informationsmaterial, das im einzelnen erläutert, wie eine Insemination durchgeführt wird, an welchen Tagen sie erfolgversprechend ist usw.
Wenn in den Niederlanden eine unverheiratete Frau ein Kind bekommt, erhält sie automatisch die Vormundschaft. Sie muß innerhalb von einigen Wochen eine zweite Vormundin bestimmen. Diese wird durch eine Richterin offiziell bestätigt und heißt >zusehende< Vormundin (toeziend voogdes). Schon dieser Name weist daraufhin, daß diese zweite Frau in ihren Rechten der Mutter des Kindes nachsteht. Nur die biologische Mutter als erste Vormundin hat die >Verfügungsgewalt< über das Kind und kann allein über Wohnort, Schulwahl etc. bestimmen. Sie ist die gesetzliche Vertreterin des Kindes; die zweite Vormundin hat formal nur die Aufgabe, auf die finanzielle Absicherung des Kindes zu achten, z.B. im Falle einer Erbschaft oder wenn die Mutter Sozialhilfe erhält. Außerdem muß sie die erste Vormundin vertreten, wenn diese ihre Vormundschaft nicht ausüben kann (z.B. während einer Krankheit). Gibt es kein Testament oder eine notariell festgehaltene Erklärung darüber, wer im Todesfall der biologischen Mutter die Vormundschaft erhalten soll, entscheidet das Gericht in Absprache mit dem Kinderschutzverein darüber. Die zweite Vormundin wird nicht automatisch zur ersten benannt. Um in einem solchen Fall sicherzustellen, daß eine Frau der eigenen Wahl die erste Vormundin wird, ist es deshalb wichtig, die Ersatz-Vormundschaft möglichst schon während der Schwangerschaft notariell festzulegen.
Die Position der Co-Mutter oder Mitmutter (die Frau, mit der die biologische Mutter das Kind erzieht, meistens die zweite Vormundin) ist in der niederländischen Gesetzgebung nicht verankert. Ein Mann hat die Möglichkeit, ein Kind als sein >eigenes< anzuerkennen und somit ein familienrechtliches Band zu schaffen. Voraussetzung für die Anerkennung ist hierbei nicht, daß es sich tatsächlich um den Erzeuger handelt. Frauen steht dieses Recht bislang nicht zu, das heißt, zwischen Co-Mutter und/oder Vormundin und dem Kind kann keine familienrechtliche Verbindung entstehen. Die Co-Mutter gilt dem Gesetz nach nicht als Elternteil und hat deshalb keine entsprechenden Rechte. Aus der Rechtssprechung geht allerdings hervor, daß eine Co-Mutter das Recht auf Umgang mit dem Kind hat. So gab es einen Fall, bei dem zwei Frauen gemeinsam einige Jahre ein Kind aufzogen und sich dann während der zweiten Schwangerschaft trennten. Die biologische Mutter beider Kinder wollte der Co-Mutter den Kontakt zu den Kindern untersagen. Nach einem Gerichtsurteil wurde der Co-Mutter aufgrund der sozialen Elternschaft der Umgang mit dem ersten Kind gewährt, nicht aber mit dem kurz nach der Trennung geborenen Kind.
Ein anderer interessanter Prozeß, der bis zur höchsten Instanz geführt wurde, betraf einen Spender, der Umgangsrechte beanspruchte. Während der Zeit der Insemination hatte er sich mit den beiden Frauen, die zusammen ein Kind bekommen wollten, angefreundet. Ein paar Wochen nach der Geburt zerstritten sich die beiden Lesben mit ihm. Der Spender ging daraufhin vor Gericht und versuchte, das Umgangsrecht einzuklagen. Letztlich entschied das höchste Gericht der Niederlande zu seinen Ungunsten. In der Urteilsbegründung hieß es, das biologische Band allein genüge nicht für einen Anspruch auf Umgangsrecht. Damit wurden alle vorangegangenen anderslautenden Urteile aufgehoben. Es gibt wie gesagt keine gesetzlichen Regelungen, die sich explizit auf die lesbische Mutterschaft beziehen. Selbstverständlich ist auch die niederländische Gesetzgebung patriarchal und dementsprechend heterosexistisch. Zwar gibt es, wie oben beschrieben, Gerichtsurteile, bei denen lesbische Frauen als Rechtssubjekte behandelt werden, aber vor allem im Hinblick auf Europa 1992 wird sich die Situation lesbischer Mütter sicherlich nicht verbessern - im Gegenteil. Es steht zu befürchten, daß die wenigen existierenden Rechte, von denen lesbische Mütter als sogenannte alleinerziehende Frauen profitieren, wieder zurückgenommen werden.
»Die Beziehung mit Wenda ist das Sicherste,
was ich dem Kind geben kann!«
Im folgenden ist ein Gespräch mit Mart, einer zukünftigen lesbischen Mutter, dokumentiert. Abgesehen davon, daß ihre finanzielle Situation überdurchschnittlich gut ist, sind ihre Überlegungen meines Erachtens für einen Großteil lesbischer Mütter repräsentativ.
Mart, Wenda und Yvonne leben zusammen in einem vierstöckigen Haus in Amsterdam. Mart und Wenda kennen sich seit über fünfzehn Jahren und sind dikke maatjes, das heißt, enge Freundinnen. Yvonne und Wenda hatten eine Liebesbeziehung. Alle drei wollten zusammen zwei Kinder großziehen. Mart und Wenda wollten die Kinder gebären. Yvonnes Bruder war als Samenspender vorgesehen. Dann hat sich jedoch einiges verändert. Als erstes zog sich Yvonnes Bruder als Spender zurück. Dann beendeten Wenda und Yvonne ihre Liebesbeziehung, und es schien ihnen auf absehbare Zeit nicht möglich, gemeinsam Mutter/Co-Mutter zu werden. So haben Mart und Wenda beschlossen, Mütter zu werden. Das Haus, in dem die drei Frauen leben, gehört seit einem Jahr Wendas Eltern. Wie in Amsterdam üblich, befindet sich in jedem Stockwerk eine abgeschlossene Wohnung, und so hat jede der drei Frauen eine Wohnung für sich. Das untere Stockwerk ist für die Kinder reserviert und momentan noch vermietet. Da Mart im fünften Monat schwanger ist, wird diese Etage demnächst zur Kinderwohnung umfunktioniert.
Diese Wohnkonstellation war für Mart, mit der ich dieses Gespräch geführt habe, eine wichtige Voraussetzung für die Verwirklichung ihres Kinderwunsches. Vorher hatte sie allein, das heißt ohne Haus- oder Wohngemeinschaft gelebt, und unter solchen Bedingungen war der Kinderwunsch für sie nicht realisierbar. Eine andere wichtige Voraussetzung war die Tatsache, daß Mutter und Co-Mutter einer bezahlten Arbeit nachgehen. Jedoch waren schließlich nicht nur Marts persönliche Verhältnisse ausschlaggebend für ihre Entscheidung, ihren Kinderwunsch in die Tat umzusetzen, sondern auch ihre Umgebung, in der in den letzten Jahren immer mehr lesbische Frauen Kinder bekommen haben.
Wenda dagegen hatte sich immer schon Kinder gewünscht, aber auch für sie wurde der Wunsch erst in Gesprächen mit Mart konkret und umsetzbar. Beiden Frauen war es wichtig, sich für einen nicht-anonymen Spender zu entscheiden. Sie wollten ihn persönlich kennenlernen - nicht nur um ihrer selbst willen, sondern auch um später dem Kind ein Kennenlernen zu ermöglichen. Der jetzige Spender ist ein 56jähriger schwuler Freund von Wenda.
Mart:
»Er ist sehr vertrauenswürdig. Ich finde es im Grunde auch von Vorteil, daß er schon älter und reifer ist. Früher wollte er selbst gern Kinder, aber damals war es für Schwule noch sehr ungewöhnlich, mit Kindern zu leben. Heute sagt er, er fände einen Besuch im Zoo mit dem Kind schön, aber ein ganzes Wochenende wäre ihm zuviel.«
Sie haben gemeinsam darüber gesprochen, was passiert, wenn er - entgegen seiner jetzigen Überzeugung - das Kind öfter sehen möchte. In diesem Fall wollen sie sich Möglichkeiten überlegen, die alle Beteiligten zufriedenstellen. Fest steht für alle drei, daß Wenda und Mart ein Vetorecht haben.
Wenda, die in ein paar Monaten ebenfalls mit dem Inseminieren anfangen will, nimmt denselben Spender. Obwohl sie ursprünglich zu dritt erziehen wollten, teilen Mart und Wenda sich jetzt zu zweit die Verantwortung. Sie suchen auch keine dritte Frau. Beide haben jeweils eine feste Liebesbeziehung, wissen aber noch nicht, inwieweit diese sich einmischen werden bzw. einbeziehen lassen wollen. Für Mart ist es auch eine bewußte Entscheidung gewesen, die Kinder nicht mit ihrer Geliebten zu planen, sondern mit Wenda.
Mart:
»Meine Liebesbeziehungen sind nicht meine Sicherheit. Die bisher längste Beziehung dauerte drei bis vier Jahre. Die Beziehung mit Wenda ist das Sicherste, was ich dem Kind geben kann.«
Ihre jetzige Geliebte mußte sich zunächst an den Gedanken gewöhnen, daß Mart Mutter werden wollte. Sie akzeptierte Marts Entschluß aber und findet es gut, daß Mart sich mit einer anderen Frau die Verantwortung teilt. Sicherlich wird sich nach der Geburt auch in der Liebesbeziehung einiges ändern. Sowohl Marts wie auch Wendas Eltern müssen sich noch an den Gedanken gewöhnen, auf diese Weise Großeltern zu werden.
Mart:
»Ich habe ihnen auch erklärt, wie eine Insemination technisch vor sich geht. Sie versuchen mich zu verstehen,aber es ist nicht einfach für sie. Sie machen sich über mich mehr Sorgen als über meine Schwester, die drei Kinder hat. Als ich meine Mutter anrief, um ihr zu sagen, daß ich schwanger bin, wechselte sie nach dreißig Sekunden das Thema. Bei meiner Schwester hat sie viel freudiger reagiert. Naja, ich denke, sie braucht Zeit, um sich mit dem Gedanken vertraut zu machen.«
Mart und Wenda wollen demnächst beide Elternpaare zu einem Gespräch einladen, um ihnen ihre gemeinsamen Überlegungen und Pläne vorzustellen.
Mart ist im Fort- und Weiterbildungsbereich einer niederländischen Gewerkschaft beschäftigt. Zur Zeit arbeitet sie fünf Tage die Woche, später will sie ihre Arbeitszeit auf vier Tage reduzieren. Im Moment macht sie Schwangerschaftsvertretung für eine lesbische Mutter! Das Thema lesbische Mutterschaft ist im gesamten Kollegium bereits bekannt, und somit erübrigen sich einige Diskussionen.
Mart:
»Mir gegenüber gab es bislang keine negativen Reaktionen. Es wird aber bestimmt viel darüber getratscht. Solange es hinter meinem Rücken geschieht, ist es mir egal. Über die Geburtsanzeige der Kollegin, die ich vertrete, wurde endlos geredet: Auf der Karte waren der Name ihres Kindes, ihr eigener, der ihrer Geliebten und der Name des Spenders angegeben.«
Da nicht nur Mart, sondern auch Wenda eine Vier-Tage-Woche haben wird, wollen sie die Kinder vier oder fünf Tage in der Woche in die Creche (Kinderkrippe) geben. In den Niederlanden ist es im Gegensatz zur BRD grundsätzlich möglich, Babies ab der zehnten Woche ganztags in die Krippe zu geben. Es gibt allerdings viel zu wenig Plätze. Die Gewerkschaft >kauft< für ihre Mitarbeiterinnen Plätze und zahlt pro Platz etwa 13 000 Gulden (ca. 11 400 DM) im Jahr. Da Mart und Wenda zusammen über ein relativ hohes Einkommen verfügen, bezahlen sie einen Eigenanteil von etwa 600 Gulden pro Monat für einen Platz. Sie haben sich entschlossen, Wenda bei der Gewerkschaft offiziell als Co-Mutter anzugeben - trotz der dadurch entstehenden höheren Eigenbeteiligung -, damit auch das zweite Kind, das von Wanda geboren wird, über die Gewerkschaft einen Krippenplatz vermittelt bekommt. Mart und Wenda wollen unbedingt Kontakt mit anderen lesbischen Müttern aufnehmen. Sie kennen zwar schon einige, aber deren Kinder sind meist schon älter. Vielleicht ist es später möglich, einige Kinder in dieselbe Schule zu schicken oder gemeinsame Urlaube zu planen, damit ihre Kinder andere treffen, die aus ähnlichen Lebenszusammenhängen kommen.
Selbstverständlich haben sich die beiden Frauen auch mit der Frage auseinandergesetzt, wie sie als Lesben zu einem Sohn (oder auch zweien) stehen würden. Allerdings hat Mart vor ein paar Tagen erfahren, daß sie ein Mädchen bekommt, und ihre Antwort war entsprechend knapp:
Mart:
»Mit Jungen ist es in mancher Hinsicht einfacher. Bei ihnen ist zum Beispiel die Möglichkeit, daß sie direkt mit sexueller Gewalt konfrontiert werden, geringer. Bei einem Mädchen habe ich Angst, daß ich ihr aus diesem Grund vielleicht weniger erlauben würde, obwohl ich das natürlich nicht will.«
In den nächsten Wochen, wenn das untere Stockwerk leer wird, werden Mart und Wenda mit der Ausstattung beginnen. Mart plant, wie es in den Niederlanden üblich ist, eine Hausgeburt. Sie möchte das Kind in der Kinderetage gebären. Dort wird auch ein Doppelbett stehen, in dem immer diejenige schläft, die gerade das Kind betreut.
Wie gesagt, werden sich die beiden die Verantwortung und die Kosten für das Kind (bzw. die Kinder) teilen. Auch den Namen suchen sie gemeinsam aus. Bis jetzt haben sie noch keine notarielle Verfügung getroffen, wollen es aber demnächst tun. Sofern möglich, wird Wenda bei allen offiziellen Stellen als Co-Mutter angegeben werden. So wird sie zum Beispiel auch bei Marts Entbindung zwei Tage Elternschaftsurlaub bekommen. Dies ist allerdings nicht bei allen Arbeitgebern möglich; in dieser Hinsicht ist die Gewerkschaft sehr fortschrittlich.
Wenda und Mart haben sich gut vorbereitet, aber es ist ihnen klar, daß es unmöglich ist, alles zu planen.
Mart:
»Ich versuche, es mehr auf mich zukommen zu lassen, weil es nie so läuft wie geplant. Schließlich ist unser ursprünglicher Plan, uns zu dritt die Verantwortung für die Kinder zu teilen, auch gescheitert. Wir haben zwar vieles geregelt, aber es ist nicht alles vorhersehbar.«