Es gibt eine kleine Sequenz in meinem Lebensfilm, in der ich allein sein mußte, zumindest eine Zeitlang. Was ich mir wünschte, war, ein Kind zu bekommen. Diese Lust hatte sich schon in mir geregt, als ich Anfang Zwanzig war. Aber sie paßte nicht zu meinem lesbischen Leben. Lesben bekamen keine Kinder; sie hatten höchstens welche aus einer gescheiterten heterosexuellen Ehe. Als Lesbe im Jahr 1972 schwanger zu werden und ein Kind zu bekommen, war undenkbar.
Lange Zeit schob ich den Wunsch beiseite. Ich überprüfte immer wieder, warum ich so gern ein Kind haben wollte. Ich hatte die Männer aus meinem Leben ausgeschlossen und damit auch das traditionelle Familienleben. Ich hatte mich in jungen Jahren zu meinem Lesbisch-Sein bekannt und lebte es offen. Niemand erwartete von mir, Mutter zu werden mitsamt der dazugehörenden Frauenrolle. Ich konnte mein freies Leben genießen und meinen Ambitionen und meiner Karriere, vor allem als Malerin, nachgehen. Warum dann nur diese Lust auf Schwangerschaft und dieser Kinderwunsch? War ich nicht oft genug auf Demos gewesen mit Transparenten und Parolen gegen die Doppelbelastung der Frauen, hatte ich nicht auf die Frauenunterdrückung hingewiesen, die in all den aufgezwungenen Muttertugenden lag? Doch ich konnte meine intellektuellen Einsichten nicht mit meinen Gefühlen in Übereinstimmung bringen. Obwohl ich kein Ziehen in der Brust bekam, wenn ich in einen Kinderwagen schaute, die biologische Uhr noch nicht ablief und mir auch nicht an der existenziellen Möglichkeit einer Wiedergeburt lag, wollte ich ein Kind. War ich etwa doch animalischen Instinkten unterworfen? Doch die aufmüpfige Rebellin in mir weigerte sich, dem festgeschriebenen gesellschaftlichen Bild der männeridentifizierten Frau nachzuleben, das uns durch die ganze Geschichte verfolgt, und in unserer kleinen, engen Welt Kinder zu bekommen, hatten wir per definitionem ausgeschlossen, indem wir uns entschieden, lesbisch zu leben. Aber ich wollte mich nicht damit abfinden, ich wollte etwas verändern. Diese Gedanken ließen mich 1976 den endgültigen Beschluß fassen, ein Kind zu bekommen, bevor ich dreißig war.
Wie wird eine Lesbe schwanger?
Das Problem war, daß ich keine sexuelle Beziehung zu einem Mann eingehen wollte. Ich hätte mir damit sowohl psychisch als auch physisch Gewalt angetan, und damit hätte ich nicht leben können. Diese Problematik hatte viele Aspekte. Es ging nicht nur um einen sexuellen Akt zum Zwecke der Fortpflanzung. Selbst wenn ich mich zusammennähme und die Augen vor der Tatsache verschlösse, daß ich Männer sexuell nicht begehre, würde ich dennoch den Mann betrügen und belügen, und das vielleicht nicht nur einmal, denn das Schwangerwerden funktioniert ja nicht unbedingt beim ersten Mal. Darüber hinaus hatte ich beschlossen, das Kind allein aufzuziehen, ohne Einmischung von anderen. Es war meine Wahl, mein Projekt. Als Lehrerin hatte ich allzu viele Scheidungskinder und ihre Probleme mitbekommen; darauf konnte ich gut verzichten. Ich habe dann später die Erfahrung gemacht und bin inzwischen davon überzeugt, daß ein Kind verschiedene Beziehungen zu Erwachsenen für seine Entwicklung braucht, aber nicht unbedingt einen Vater. Ich führte über lange Zeit viele Gespräche mit Freundinnen darüber, wie das Problem gelöst werden könnte. Gemeinsam mit einer Freundin, die selbst vier Kinder hatte und mit Mühe und Not heterosexuell lebte, brütete ich eine Idee aus: Sie sollte eine sexuelle Beziehung zu einem Mann eingehen, ich würde im Nebenzimmer warten, und wenn sie dann mit ihm fertig wäre, sollte sie auf Händen und Knien zu mir kommen, und wir würden den Samen irgendwie in mich hineinbefördern. Das waren die ersten Gedanken, die ich mir über künstliche Befruchtung machte. Ich fragte in allen möglichen Schwulenkreisen herum, ob jemand bereit wäre, Samenspender für mein geplantes Kind zu sein, aber den Schwulen war ihre Rolle dabei nicht ganz geheuer, und sie fanden es gefühlsmäßig zu bedrängend. Ich sah ein, daß ich, um die Anonymität des Spenders zu wahren, so wenig wie möglich von ihm wissen, ihn am besten überhaupt nicht kennen durfte, aber das wiederum war völlig unmöglich, weil ich ihn ja selbst finden mußte.
Das Schwierigste in diesem Prozeß waren all die Gespräche und die Suche nach dem richtigen Mann für mein zukünftiges Kind. Lange erwartete ich, daß der Spender bestimmte menschliche Qualitäten erfüllte, denn wenn wir eine Wahl treffen können, wünschen wir uns das Beste. Aber die Realität war anders, und irgendwann war es mir völlig egal, wer er war und was er dachte. Ich war inzwischen so von meiner Suche nach einem Samenspender besessen, daß ich jeden Mann fragte. Diese bittstellerischen Gespräche mit zufälligen Männern waren kränkend und erniedrigend. In dieser Zeit war ich nicht gut auf Männer zu sprechen. Ich erkannte, sie besaßen ein Machtmittel, und ich sollte mir ihr Sperma verdienen. Es kam vor, daß sie ja sagten, aber unter der Bedingung, daß ich mit ihnen ins Bett ginge - eine Hand wäscht die andere.
Ich kann verstehen, daß es lächerlich wirkt, wenn man einem Mann ein Glas in die Hand drückt und ihn bittet, in selbiges zu onanieren, damit ich mit Hilfe einer Plastikspritze schwanger werden kann. Aber ich wollte als Lesbe respektiert werden, und also gab es keine andere Möglichkeit, als weiterzusuchen.
Künstliche Befruchtung in Expertenhand
In Dänemark ist künstliche Befruchtung nicht gesetzlich, wohl aber praktisch geregelt. In städtischen wie privaten Kliniken werden nur Frauen künstlich befruchtet, die entweder verheiratet sind oder in einer festen, heterosexuellen Beziehung leben; lesbische und alleinstehende Frauen haben keine Chance. Neben medizinischen und psychosozialen Kriterien muß also auch das >normale< Familienmodell erfüllt werden.
Die einzelnen Ärztinnen haben sehr wohl die Möglichkeit, lesbische Frauen künstlich zu befruchten, aber sie orientieren sich an den Richtlinien der Krankenhäuser und nennen ethische und moralische Gründe für ihre Konformität. Häufig wird die Forderung lesbischer Frauen nach künstlicher Befruchtung abgetan, indem das zugrundeliegende Problem nicht anerkannt wird. Als das Thema einmal in den Medien diskutiert wurde, meinte ein Politiker sinngemäß: »Wenn es lesbischen Frauen darum zu tun ist, Kinder zu bekommen, dann müssen sie ihr Problem selbst lösen, indem sie es auf die gute alte Art machen, und im übrigen ist es nicht die Aufgabe der Gesellschaft, Problemfamilien zu schaffen.«
Es gelingt endlich
Im Jahr 1977 traf ich nach einer einjährigen Wüstenwanderung einen Mann in einem Café. Wir kamen ins Gespräch, und ich lenkte das Thema auf meine Geschichte und meine Suche nach einem Samenspender. Es gelang mir, ihn zu überreden, und wir gingen in den nächsten Park. Hier wurde er mit einem Glas ausgerüstet, er verschwand hinter einem Busch und kam nach kurzer Zeit mit den >kostbaren Goldtropfen< zurück. Ich legte mich auf eine Bank und führte den Samen mit einer Plastikspritze ein. Das Ganze ging sehr schnell vor sich. Da lag ich also in einem Chaos von Gedanken und Gefühlen. Nichts war so, wie ich es geplant hatte. Ich hatte mir ausgemalt, zu Hause mit Blumen und Kerzen in meinem gemütlichen Zimmer zu liegen. Den Mann hatte ich sorgfältig aussuchen wollen - der, der da vor mir stand, war ein Unbekannter. Ich war dankbar für seine Hilfe, aber es war erniedrigend, und ich werde es nie vergessen. Wir trennten uns sofort und sahen uns nie wieder. Ich habe nur eine schwache Erinnerung an eine blonde Person.
Andere lesbische Frauen wollen künstlich befruchtet werden
Es hatte sofort geklappt. Als ich in den letzten Tagen des April 1978 meine Tochter zur Welt brachte, wußte ich noch nicht, daß ich anderen dieselbe Möglichkeit eröffnete, indem ich meine Identität als lesbische Mutter öffentlich sichtbar machte.
Meine eigenen Erfahrungen und unangenehmen Erlebnisse führten dazu, daß ich es mir zur Aufgabe machte, anderen Frauen zu helfen. Ich nahm die Plastikspritze buchstäblich selbst in die Hand und sprach mit einem guten schwulen Freund, der einmal geäußert hatte, er wäre bereit, anonymer Spender zu sein. Dann wurden die Anfragen von lesbischen Frauen Monat für Monat zahlreicher. Darauf war ich völlig unvorbereitet. Es war ganz und gar nicht meine Absicht gewesen, eine Graswurzelbewegung ins Leben zu rufen, die lesbischen Frauen schwule Männer als anonyme Samenspender vermittelte. Die Gruppe von schwulen Spendern wuchs auf zwölf Männer an. Sechs von ihnen lebten in einer Wohngemeinschaft zusammen, in der sich das alternative Befruchtungszentrum etablierte. Wir arbeiteten sieben spannende Jahre lang, von 1978 bis 1985, eng zusammen. Ich knüpfte sehr enge persönliche Kontakte mit den Schwulen und gewann Einblicke in ihre politische Arbeit. Der Kampf gegen Diskriminierung und Unterdrückung hatte Priorität in ihren Diskussionen und Aktivitäten. Samenspenden begriffen sie als Teil ihrer politischen Arbeit, als Akt der Solidarität mit lesbischen Frauen, denen Kinder durch künstliche Befruchtung verweigert wurden.
AIDS
1985 geschah das Schreckliche: Bei einem der Schwulen wurde AIDS im Vollbild diagnostiziert. Es war wie ein Schock für uns alle. Ausländische Zeitungen hatten über AIDS berichtet, aber in Dänemark war die Krankheit bis dahin noch nicht aufgetaucht. Ich hatte gelesen, daß AIDS nur durch Blut übertragen würde. Aber ich nahm sicherheitshalber Kontakt zu einem Krankenhaus in Kopenhagen auf. Ich sprach mit einem Oberarzt, der meinte, daß AIDS nicht durch Sperma übertragen werden könne, er wolle sich jedoch informieren und mir Bescheid geben. Inzwischen brachte die Presse Horrormeldungen, Sensationsberichte und Hetzartikel über die >Schwulenkrankheit<. Wir waren zutiefst erschrocken und gleichzeitig wütend über die Hetzkampagne. Schließlich bekam ich einen Bescheid vom Krankenhaus, in dem alle Frauen zu einem AIDS-Test aufgefordert wurden. Auch die anderen Spender machten einen Test, und leider waren einige positiv. Es war keine leichte Sache, 25 Frauen anzurufen und ihnen zu sagen, daß sie möglicherweise mit AIDS-infiziertem Samen befruchtet worden waren. Alle ließen sich testen. Allen tat der Mann, der ihnen einmal geholfen hatte, leid, auch wenn sie ihn nicht persönlich kannten. Keine geriet angesichts einer eventuellen Ansteckung in Panik. Wir spürten, daß wir alle gemeinsam die Verantwortung tragen mußten. Die Angelegenheit berührte mich sehr, Horrorfilme liefen in meinem Kopf ab. Aber endlich, nach vielen Monaten des Wartens, kamen die Befunde. Keine von uns, auch keines der Kinder, war angesteckt worden. Doch wir beschlossen, die künstlichen Befruchtungen zu beenden.
Die lesbischen Frauen wollen immer noch Kinder
Seit den achtziger Jahren wollen immer mehr lesbische Frauen Kinder haben. In den Zeitungen tauchten Annoncen auf wie: »Zwei lesbische Frauen suchen Samenspender«. Die verschiedensten Familienmodelle werden ausprobiert. Manche Lesben wollen Väter für ihre Kinder, die sie kennen. Bei anderen Paaren will jede ein Kind, aber vom selben Mann, damit die Kinder Geschwister sind. Es gibt Beispiele dafür, daß ein Schwuler und eine Lesbe eine Vernunftehe eingehen, zusammenziehen und eine Familie bilden, aber beide ihre Lebensweisen beibehalten. Schwedische und norwegische Frauen nahmen Kontakt mit mir auf, wollten Hilfe, weil es in den anderen skandinavischen Ländern verboten war, alternative künstliche Befruchtungen vorzunehmen. Das AIDS-Problem schreckte die Frauen nicht ab. Ich hatte das Gefühl, weitermachen zu müssen und konnte nicht nein sagen. Aber ich beschloß, viel mehr politisch zu arbeiten; es sollte öffentlich werden, daß sich lesbische Frauen Kinder durch künstliche Befruchtung wünschen und daß sie zugunsten des heterosexuellen Familienmodells diskriminiert werden. Jetzt mußte Schluß sein mit dem genügsamen >Frauen helfen Frauen<, es genügte nicht. Die Gesellschaft mußte Stellung beziehen.
Zuerst einmal ging es darum, öffentlich zu machen, daß wir ein Problem hatten. Deshalb bat ich die Frauen, sich an ihre jeweiligen Ärztinnen zu wenden und sie um eine Überweisung zur künstlichen Befruchtung in ein Krankenhaus zu bitten, wohl wissend, daß ihr Ansinnen abgelehnt werden würde. Die Presse bekam Informationen, die oft zu verzerrten Darstellungen mißbraucht wurden. Ich hatte jetzt auch Kontakt zu heterosexuellen Männern aufgenommen, um neue Spender zu bekommen, und binnen kurzer Zeit stellten sich fünf zur Verfügung. Mit der AIDS-Geschichte im Hinterkopf führte ich lange Gespräche mit den Männern über Ansteckungsrisiken. Ich wußte, daß sie alle sehr verantwortungsbewußt waren, es aber keine Sicherheit gab, und das sagte ich auch den Frauen. Wir mußten das Risiko auf uns nehmen und einander vertrauen.
Die >registrierte Partnerschaft<
Als erstes Land der Welt hat Dänemark es ermöglicht, daß zwei Menschen des gleichen Geschlechts ihre Partnerschaft registrieren lassen können. Das Gesetz über die >registrierte Partnerschaft< bedeutet, daß sämtliche Rechtsfolgen einer Ehe auch für die registrierte Partnerschaft gelten, von einigen Ausnahmen abgesehen. So ist es nicht möglich, Kinder zu adoptieren, und das Gesetz enthält nichts über Kinder, die aus künstlicher Befruchtung hervorgegangen sind. Das sind eindeutig Mängel, die möglichst bald behoben werden müssen.
Wenn zum Beispiel zwei Frauen in einer Partnerschaft ein Kind bekommen haben und die biologische Mutter stirbt, gibt es keine gesetzliche Regelung, aufgrund derer die Co-Mutter das Sorgerecht für das Kind beanspruchen kann. Die biologische Mutter kann ein Kindestestament machen, was jedoch nicht rechtsverbindlich ist. Die Behörden werden jedoch vermutlich das Wohl des Kindes mitberücksichtigen und es bei der anderen Frau aufwachsen lassen, aber eine Garantie gibt es dafür nicht. Die 1948 gegründete Vereinigung von Schwulen und Lesben in Dänemark hat einen >Inseminationsausschuß< damit beauftragt, einen entsprechenden Zusatz zum Gesetz über die registrierte Partnerschaft auszuarbeiten.
Was in den letzten beiden Jahren geschehen ist
Es gab und gibt in den Medien viele Diskussionen zum Thema Lesben und alternative künstliche Befruchtung. Die Leute wissen, daß lesbische Frauen auf diese Weise Kinder bekommen haben, es ist nichts Sensationelles mehr. Viele Lesben haben öffentlich ihre Geschichte berichtet, wir sind jetzt sichtbar. Obwohl die gesellschaftliche Akzeptanz gewachsen, die Tür einen Spaltbreit geöffnet ist, gibt es immer noch vehemente Gegenstimmen. Viele meinen, ein Kind habe einen Anspruch auf Mutter und Vater. Die Konservativen beschimpfen uns, weil sie zu Recht befürchten, daß wir die Gesellschaft umkrempeln wollen. Wir seien dabei, die Kleinfamilie zu unterminieren. Auch wenn wir Gegenmodelle entwickeln und leben wollen, sind wir leider immer noch zu wenige, um mehr tun zu können, als an den Stützen der patriarchalen Gesellschaft zu kratzen.
Das Thema wurde auch in der Ethikkommission des Parlaments diskutiert. Das Ergebnis war jedoch negativ. Im Bericht der Ethikkommission wird vorgeschlagen, künstliche Befruchtungen zukünftig nur noch in Krankenhäusern zu gestatten und private Inseminationen zu verbieten. 1991/92 wird das Parlament darüber entscheiden. Wir hoffen, daß wir dann ebenso wie andere Frauen Zugang zur Insemination in den Krankenhäusern haben werden. Bislang gibt es nur ein einziges Privatkrankenhaus, das bei alleinstehenden und lesbischen Frauen künstliche Befruchtungen durchführt, und zwar für rund 600 DM pro Versuch. Das kann teuer werden, denn oftmals sind mehrere Befruchtungsversuche nötig.
Lesbische Mütter
Ein Kind zu haben, ist nichts Ungewöhnliches, auch nicht, alleinerziehende Mutter zu sein. Das einzige weniger gewöhnliche ist, daß meine Tochter ein Inseminationskind ist und ich lesbisch bin. Weder das eine, noch das andere ist uns anzusehen. Ich habe eine Entscheidung über ihr Leben und ihr Aufwachsen getroffen in einer Gesellschaft, in der es eine Reihe von herrschenden Regeln gibt. Über einige habe ich mich hinweggesetzt und tue es noch. Wird sie aufwachsen und sich >anders< fühlen? Sicher, denn nach den herrschenden Definitionen sind wir eine atypische Familie; wir müssen oft erklären, warum wir so leben. Kinder zu bekommen ist nichts Privates. Wir sind von den Leistungen der Gesellschaft oder dem Fehlen derselben abhängig. Wir müssen uns zu den Banalitäten des Alltags, zur Politik, zu Institutionen wie Schule und Familie sowie in unseren persönlichen Beziehungen verhalten. Wenn wir neue Wege beschreiten, müssen wir stark sein. Meine Stärke beruht auf der Liebe zu meinem Kind, ich habe es gewollt, in Liebe. Es war schon immer schwer, Visionärin zu sein, es gibt Konsequenzen für Pionierinnen, und damit muß auch meine Tochter leben. Ich kann ihr ein Netzwerk von Frauen bieten, meine Familie und Freundinnen, die uns immer unterstützen. Es ist gut für Kinder, wenn es mehrere Erwachsene gibt, zu denen sie Vertrauen haben können. Meine Tochter hat sich selbst ihren Kreis von weiblichen und männlichen Bezugspersonen ausgesucht, sie hat einen großen Bedarf. Sie weiß, wie sie >zustandegekommen< ist. Sie weiß, daß sie keinen Vater hat, und findet: »Ich kann jemanden, den ich nicht kenne, nicht vermissen.« Ich bin mir bewußt, daß Kinder immer solidarisch mit ihren Angehörigen sind, und die einzige, die aufrichtig über ihre Gefühle berichten kann, ist sie selbst, vielleicht kann sie sie erst später, wenn sie erwachsen ist, reflektieren. Ich denke, ich habe einen ganz normalen Teenager mit allen dazugehörenden Problemen. Sie kennt die verschiedenen Lebensformen, und sie kann wählen, was ihr das größtmögliche Glück verspricht, alles ist zugelassen.
Rückblick
Wie gesagt, viele Dinge weißt du erst, wenn du sie gemacht hast. Ich wußte nicht, welchen Einsatz an persönlichen Gefühlen und Energie es kosten würde, als ich vor 13 Jahren damit begann, lesbische Frauen künstlich zu befruchten. Ich trage heute an 31 >Geheimnissen<. Ich habe viele hundert Befruchtungsversuche vorgenommen, aus denen 27 Kinder hervorgegangen sind, 3 Fehlgeburten und eine Totgeburt. Ich habe oft Angst gehabt und mich gesorgt, ob es gesunde Kinder werden. Es ist eine enorm große Verantwortung, Samenspender für andere zu wählen, ich mußte mich nicht zuletzt auf meine Intuition verlassen.
Anonyme Briefe von Menschen, die meinten, ich sei eine Hexe und müsse auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden, haben mich verunsichert und geängstigt. Ich habe unzählige Diskussionen mit vielen Menschen geführt, ich bin von der Presse verfolgt worden, lernte schnell, nie in die Defensive zu gehen. Meine Stärke war, offen und ehrlich zu sein. Ich bin durch existentielle Krisen gegangen, vor allem, als das AIDS-Problem auftauchte. Doch ich wußte, daß ich ein Zwischenglied sein konnte, eine Helferin, und ich konnte das, was ich tat, vertreten; es war keine genetische Manipulation, sondern ein ziemlich einfacher und ungefährlicher mechanischer Eingriff.
Ich habe mir immer wieder Gedanken gemacht und schließlich gemerkt, daß die Belastung zu groß wurde, um sie allein zu tragen. Im letzten Jahr habe ich endgültig aufgehört, Frauen künstlich zu befruchten. Der Weg war für andere geebnet. Seit knapp einem Jahr bin ich Gastforscherin an der Universität von Ärhus. Cekvina, das Zentrum für Frauenforschung, war der Meinung, daß die Geschichte der Insemination als frauenhistorisches Dokument bewahrt werden sollte. Jetzt interviewe ich Frauen, die künstlich befruchtet wurden, - u.a. zum Thema Kinderwunsch -, sowie Spender.
Ich schaue zurück und sehe, daß wir unglaublich viel verändert und ein neues Kapitel in unserer gemeinsamen Geschichte aufgeschlagen haben.
Aus dem Dänischen von Regine Elsässer