Brüche einer Co-Mutterschaft
Als Feministin hätte ich es besser wissen müssen. Hätte wissen müssen, ich habe Verantwortung. Verantwortung den Kindern meiner Geliebten gegenüber.
Ich habe nicht das Recht, einfach aus ihrem Leben zu verschwinden, mich aufgrund meiner schmerzlichen Trennung von ihr auf und davon zu machen und damit den Kindern meine Liebe und Zuneigung aufzukündigen. War es nicht Egoismus, der mich glauben machte, sie könnten ohne mich sein, da sie doch auch vorher nicht mit mir gewesen waren?
Nicht die Kinder, sondern ich trat sechs Jahre vor unserer Trennung in ihr Leben. So wie diese Kinder sich weder ihre Herkunft noch ihre Mutter ausgesucht hatten, so wenig hatten sie sich mich ausgesucht. Ich liebte ihre Mutter - hieß das denn gleichzeitig, auch sie zu lieben, für sie da zu sein? Mir wurde sehr schnell bewußt, mein Leben würde sich grundlegend verändern. Nicht mein Leben, sondern das der Kinder würde im Vordergrund stehen. Das Privileg, nur das zu tun, was mir Spaß machte, meinen Tag so zu gestalten wie es mir am angenehmsten war - verschiedene Veranstaltungen zu besuchen, Sport zu treiben, ins Kino zu gehen, ungestört stundenlang zu lesen, einfach zu faulenzen etc. -, hatte ich nun nicht mehr. Allein die Vorstellung, ständig und überall von vier Kindern umgeben zu sein, machte mir Angst. Mich zu verlieben bedeutete bis dahin, Zeit füreinander zu haben, nächtelang zu reden, sich zu lieben, zu verreisen, nichts mehr oder nur wenig von dem wahrzunehmen, was sonst um uns herum geschah. Vier Kinder, das bedeutete auch, nach Minuten und Stunden Ausschau zu halten, um frei und ungestört zu sein. Mein Alltag, dessen Regelmäßigkeit ich ohnehin immer wieder durch neue und abwechslungsreiche Aktivitäten auflockerte, drohte jetzt festgefahrener, möglicherweise langweiliger zu werden. Die Vorstellung, ganz und gar eingebunden zu sein in Pflichten und kaum oder gar keine Zeit mehr für mich und meine Geliebte zu haben, stürzte mich in erhebliche Gewissenskonflikte. Selbst die Möglichkeit, mich für oder gegen das alles zu entscheiden, sah ich nicht. Wie auch? Meine Freundin hatte vier Kinder, die ich weder wegdiskutieren noch übersehen konnte. Tatsache war, ich hatte mich in sie verliebt, nicht aber in ihre vier Kinder, und dennoch waren sie ein Teil von ihr. Wollte ich diese Frau, so hatte ich es unweigerlich auch mit vier Kindern zu tun. Gleichzeitig war klar, im Gegensatz zu ihr konnte ich sie jederzeit wieder aus meinem Leben ausschließen.
Sechs Jahre lebten wir zusammen. Ich sah sie aufwachsen, teilte ihre Freuden und Sorgen und fühlte mich von Tag zu Tag stärker zu ihnen hingezogen. Nicht daß sie mich vom ersten Tag an liebten, doch sie achteten mich, begegneten mir ohne Vorbehalte, ließen mich teilhaben an allem, was sie beschäftigte und bewegte. Zunächst waren es die alltäglichen Dinge wie sie morgens zu wecken, gemeinsam zu frühstücken, zu überlegen, was sie mittags essen möchten, ihnen Mut zu machen für die Schule, bei den Schulaufgaben für sie da zu sein, mich nachmittags an ihren Spielen zu erfreuen, bei denen wir uns in unterschiedlicher Art und Weise kennenlernten. Meine Geduld und mein Durchhaltevermögen wurden immer wieder neu auf die Probe gestellt. Nicht immer bestand ich die kleinen und großen Prüfungen, und oft fühlte ich mich ausgelaugt und müde.
Im Laufe der Zeit lernten wir unsere Schwächen und Stärken kennen, aber auch unsere Unterschiede. Die Mutter war eine weiße deutsche, ich eine afro-deutsche Frau. Wir erzogen ein weißes Mädchen, ihre leibliche Tochter, und drei adoptierte Kinder, einen japanischen Jungen, ein koreanisches Mädchen und einen koreanischen Jungen. Selten verging ein Tag, wo wir nicht intensiv über Diskriminierungen und Verletzungen redeten, die ihnen von Klassenkameradinnen oder anderen Leuten zugefügt wurden. Die älteste Tochter wurde immer häufiger wegen ihrer Geschwister gehänselt, aber noch dringlicher und schmerzvoller trugen die anderen Geschwister ihre eigene Betroffenheit vor. Als afro-deutsche Frau wußte ich nur zu gut, wie sich solche Verletzungen anfühlen. Ich war jedoch erwachsen, hatte viele Kämpfe gegen diese rassistische Gesellschaft hinter mir (und gewiß noch viele vor mir). Wer konnte besser verstehen als ich, was es heißt, von dieser rassistischen Gesellschaft aufgrund der Hautfarbe mißachtet, ausgegrenzt und nicht gewollt zu sein. Ich verspürte immer stärker den Willen - und war mir der Notwendigkeit bewußt -, sie auf einen Kampf vorzubereiten, der anders sein würde als der ihrer Freundinnen, und auch anders als der ihrer eigenen Mutter. Auf keinen Fall wollte ich zulassen, daß irgend jemand ihren Stolz und ihr noch junges, wachsendes Selbstbewußtsein brechen würde. Meine Freundin hatte sie von ganzem Herzen gewollt, darauf mußten sie ihr ganzes Leben aufbauen. Sie sollten stark genug sein, um sich ihre Menschenwürde nicht nehmen zu lassen, dafür wollte ich mich einsetzen. Ihr bereits begonnener und lebenslang währender Kampf gegen Rassismus und Vorurteile spornten auch mich immer wieder erneut an, nicht aufzugeben. Sehr schnell erkannte ich, wie notwendig es war, die Kinder nicht nur mit den alltäglichen Dingen wie Nahrung, Kleidung etc. zu versorgen, sondern sie vor allem in ihrem wachsenden Selbstbewußtsein und in ihren Forderungen nach Gleichberechtigung und Gleichbehandlung zu unterstützen. Wir stärkten uns gegenseitig. Aufgrund dieser Gemeinsamkeiten lernte ich die Kinder lieben und konnte mir zu diesem Zeitpunkt nicht vorstellen, jemals von ihnen getrennt zu sein.
Nach sechs Jahren trennten wir uns. Bis dahin erschien es völlig absurd, uns über eine mögliche Trennung zu unterhalten. Wir liebten uns. Bislang hatte ich mich in Liebesbeziehungen ausschließlich mir selbst und meiner Partnerin gegenüber zu verantworten gehabt, nicht aber außerdem vier Kindern gegenüber. Meine Verletzungen, meine Wut und die Sorge, heil aus dieser Beziehung herauszukommen, standen demzufolge im Vordergrund, nicht aber der Gedanke an die Kinder. Ich war überzeugt, nur mir allein werde Leid zugefügt, ich allein sei die Betrogene, ich sei es, die dringend Erholung brauche und dem Bedürfnis nach sofortiger Distanz folgen dürfe.
Verantwortung übernahm ich lediglich für mich selbst, nicht aber in der erforderlichen Weise für >meine< Kinder. Ich ließ sie unwissend zurück, ließ sie nicht teilhaben an meinen Verletzungen und schon gar nicht an meinen Veränderungen. Sie blieben ja ohnehin bei der Mutter, und demnach meinte ich, nicht so ein schlechtes Gewissen haben zu müssen und einen Teil der täglichen Verantwortung einfach ablegen zu können. Dennoch, die Kinder fehlten mir, auch wenn ich dies zuerst nicht so recht wahrhaben wollte. Den Kontakt zu ihnen wollte ich nicht verlieren, wobei ich mir schlecht oder gar nicht vorstellen konnte, wie ich ihn aufrechterhalten sollte. Jeden Tag besuchte ich sie für ein bis zwei Stunden, versuchte, die Demütigungen seitens meiner Freundin und die permanente Anwesenheit ihres Freundes an mir abprallen zu lassen. Mit Gewalt hämmerte ich mir immer wieder ein, ausschließlich der Kinder wegen dort zu sein. Sie waren es auch, die mich trösteten und schonen wollten, indem sie versuchten, die Existenz des neuen Freundes in meiner Gegenwart zu ignorieren. Das Gefühl, die Kinder zu überfordern, verstärkte sich von Tag zu Tag. Es kam häufiger zu Situationen, in denen sowohl die älteste Tochter, als auch die jüngeren Geschwister sich bitterlich bei mir ausweinten. Sie fühlten sich nicht nur von mir, sondern auch von ihrer Mutter vernachlässigt und alleingelassen. Obwohl ich viel mit ihnen redete, fühlte ich mich doch sehr hilflos. Das Zusammensein mit den Kindern, das nur in Gegenwart der Mutter möglich war, wurde für mich unerträglich. Ich besuchte die Kinder nicht mehr und brach den Kontakt völlig ab. Auch die Kinder kamen nicht mehr bei mir in meinem Geschäft um die Ecke vorbei. Ab und zu sah ich eines von ihnen mit dem Fahrrad an meinem Schaufenster vorüberfuhren. Bevor ich ihnen nachrufen konnte, waren sie längst verschwunden. Wir hatten keinen Kontakt mehr. Ich vermißte die Kinder, verdrängte aber meinen Schmerz, weil ich keine Möglichkeit sah, eine dauerhafte Beziehung mit ihnen aufrechtzuerhalten. Dennoch, ebenso hart und unerträglich wie diese Situation war auch die Erkenntnis, daß mich das alles nicht von der Verantwortung entband, den einmal gemeinsam begonnenen Weg mit ihnen weiterzugehen. Mein Versprechen, an ihrer Seite zu sein, hatte ich nicht eingehalten.
Heute frage ich mich oft, wie es sein würde, wenn sie mir gegenüberträten. Welche Fragen würden sie mir stellen, und - hätte ich eine Antwort? Würde ich es aushalten, ihnen in die Augen zu sehen? Meine Freundin und ich, wir haben uns getrennt, und das war eine richtige Entscheidung. Doch wir hätten anders und verantwortungsbewußter mit den Auswirkungen der Trennung auf die Kinder umgehen müssen. Wir hätten beide über unsere Schwierigkeiten und Verletzungen hinweg den Kindern ermöglichen müssen, den Kontakt zu mir aufrechtzuerhalten. Als Feministin und als Schwarze* (* Das Adjektiv >Schwarz< wird hier (wie Black im Amerikanischen) groß geschrieben, um zu verdeutlichen, daß es sich um einen politischen Begriff handelt. Er bezieht sich auf Menschen, die aufgrund ihrer ethnischen oder kulturellen Herkunft diskriminiert werden.
Als Frau hätte ich es besser wissen müssen. Hätte wissen müssen, ich habe Verantwortung, Verantwortung den Kindern gegenüber. Ich hatte schließlich zur Genüge erfahren, wie es sich anfühlt, wenn Menschen sich wortlos von dir zurückziehen und ihren Entschluß mit dem Wunsch nach eigener Sicherheit entschuldigen.
Gerade habe ich die erste Geburtstagskarte an eines der Kinder geschrieben.