Was hat künstliche Insemination mit Reproduktionstechnologie zu tun?

Überlegungen zum Kinderwunsch lesbischer Frauen

Der Kinderwunsch ist ein Thema, mit dem sich nicht nur heterosexuelle Frauen auseinandersetzen. In den USA, den Niederlanden, Dänemark und Großbritannien bietet eine zur Zeit noch lockere Gesetzgebung auch lesbischen Frauen die Möglichkeit, mit Hilfe der Reproduktionstechnologien schwanger zu werden. Die Tatsache, daß sich in diesen Ländern inzwischen sehr viele Lesben dieser technischen Methoden bedienen, war für uns im Feministischen Frauen Gesundheits Zentrum (FFGZ) im ehemaligen West-Berlin ein Anlaß, diese Thematik mit lesbischen Frauen zu diskutieren. Auch wenn Lesben, heterosexuellen Frauen ohne festen Partner bzw. nicht verheirateten Frauen in der Bundesrepublik [2] dieser Weg zur Schwangerschaft verwehrt wird, heißt das nicht, daß lesbische Frauen mit Reproduktionstechnologien und Kinderwunsch nichts zu tun hätten oder haben wollten. [3]
In diesem Beitrag geht es zum einen generell um den Wunsch nach dem eigenen Kind. Er enthält Fragen und Überlegungen, die ich aus der möglichen Vielfalt der gesellschaftlichen und subjektiven Zusammenhänge, in denen der Kinderwunsch angesiedelt sein kann, herausgegriffen habe. Zum anderen gehe ich auf die Reproduktionstechnologien ein und betrachte genauer, was uns diese neuen Wahlmöglichkeiten tatsächlich bieten.


Meine Ausgangsposition

Ich gehe davon aus, daß der Kinderwunsch ein völlig legitimer Lebenswunsch von allen Frauen sein kann, egal ob sie lesbisch oder heterosexuell, fruchtbar oder unfruchtbar sind. Dies gilt meines Erachtens selbst vor dem Hintergrund fragwürdiger Beweggründe und bewußter wie auch unbewußter Widersprüchlichkeiten. Doch halte ich die Diskussion über mögliche Ursachen und Hintergründe des Wunsches nach einem eigenen Kind und vor allem den zentralen Stellenwert dieses Wunsches im Leben von Frauen für unbedingt notwendig. Schließlich gibt es in unserem Leben als Frau viele unerfüllte Wünsche, mit denen wir lernen müssen zu leben: Zum Teil sind wir wütend darüber und kämpfen für eine Veränderung, zum Teil sind wir traurig darüber, weil uns individuelle Wünsche versagt bleiben oder nur auf Kosten anderer in Erfüllung gehen könnten.

Die Forderung einiger Frauen - auch Feministinnen - nach dem >Recht auf ein eigenes Kind< oder gar dem >Recht auf ein perfektes Kind< und auf humangenetische Beratung, [4] ist meines Erachtens Ausdruck eugenischen Gedankenguts und bietet den Gen- und Reproduktionstechnikern ein hervorragendes Klima, um an Selektionsprinzipien, das heißt Ausleseverfahren, weiterzuforschen. Ich bin der Meinung, daß Frauen, die diese neuen Technologien befürworten oder in Anspruch nehmen, Mittäterinnen bei dieser männerbestimmten Politik sind: Mittäterinnen bei einer frauenverachtenden Politik, deren Strategien auf Auslese und Ausmerze beruhen, deren Bevölkerungspolitik auf >Qualität< abzielt. [5]
Für Lesben beinhaltet der Wunsch nach einem eigenen Kind die Suche nach >geeignetem< Sperma. Neben privaten Spermalieferanten nehmen Lesben auch Spermabanken in Anspruch und damit Hochtechnologie zur Spermagefrierung und Spermaauswahl, um >gutes< Sperma zu bekommen. [6] Kriterien dafür, was als >wertvolles< Sperma zu bezeichnen ist, gibt es viele: Manchen Frauen genügt bereits die Sicherheit, daß das Sperma nicht HIV-infiziert ist, andere haben ganz bestimmte Vorstellungen, wie ihr Kind am liebsten soll es natürlich eine Tochter sein - aussehen soll; wieder anderen ist der IQ des Spermalieferanten wichtig. Auch Lesben sind nicht frei von eugenischem Gedankengut! Meine Schlußfolgerung daraus heißt jedoch auf keinen Fall, daß Lesben keine Kinder haben oder überhaupt ohne Kinder leben sollen. Aber: Muß es denn um jeden Preis ein eigenes Kind sein? Auch wenn die Adoptionsvermittlung für sogenannte alleinstehende Personen praktisch unmöglich scheint, so stellt sich mir trotzdem die Frage, warum Lesben sich nicht verstärkt dafür einsetzen, daß auch sie Adoptions- und Pflegekinder bekommen können. Das bei der Adoptionsvermittlung zugrundeliegende Idealbild der heterosexuellen, ökonomisch abgesicherten Kleinfamilie müßte dringend öffentlich in Frage gestellt werden.
Aufgrund der Tatsache, daß es viele heterosexuelle und in den USA, den Niederlanden, Dänemark und Großbritannien inzwischen auch sehr viele lesbische Frauen gibt, die sich in die Hände der Reproduktionsmediziner begeben und hoffen, sich mit deren Hilfe den Wunsch nach einem eigenen Kind erfüllen zu können, scheinen mir folgende Fragen überlegenswert:

  • Woran könnte es liegen, daß lesbische (und heterosexuelle) Frauen ihre Kinderlosigkeit anscheinend so schwer akzeptieren können?
  • Wo liegen mögliche Ursachen für den lesbischen Kinderwunsch?
  • Welche Rolle spielen hier die modernen Reproduktionstechnologien?
  • Warum entwickeln Frauen nicht verstärkt alternative Möglichkeiten, mit Kindern zu leben?

Ich möchte einige Aspekte benennen, von denen ich glaube, daß sie zur Klärung dieser Fragen beitragen können.

Sicher werden mir die meisten Leserinnen zustimmen, daß der Kinderwunsch keinem ureigenen biologischen Bedürfnis von Frauen entspringt, sondern vielmehr lebensgeschichtlich bedingt ist und mit gesellschaftlichen, sozialen und subjektiven Erwartungen und Zwängen behaftet ist. Der Druck der Gesellschaft, Mutter zu werden, ist für viele Frauen eine frustrierende Erfahrung. Neben der Selbstverständlichkeit, mit der Heterosexualität vorausgesetzt wird, wird davon ausgegangen, daß Frauen Kinder haben oder zumindest haben wollen. Es wird nicht darüber diskutiert, warum eine Frau Kinder hat, sondern ausschließlich darüber, warum sie keine hat.
Nach wie vor sind die körperlichen Voraussetzungen, die es Frauen ermöglichen, Kinder zu gebären, die Grundlage für den Zwang zur Mutterschaft und nicht für eine Wahlmöglichkeit. Das gesellschaftliche Frauenbild stellt heute wieder stärker als vor ein paar Jahren die Mutterschaft als das erstrebenswerte Ziel für Frauen in den Vordergrund. Gemäß diesem Frauenbild ist die kinderlose Frau keine >richtige< Frau, da sie den Sinn ihres Lebens verfehlt habe - nämlich die Mutterschaft. [7] Auch im »Müttermanifest« (1987) wird diese Botschaft transportiert, wird hier doch die Entscheidung von Frauen, ohne Kinder zu leben, abgewertet, indem ihnen unterstellt wird, sie lebten im »Ghetto der Nicht-Mütter« bzw. im »Aquarium der Karrierefrauen«. Des weiteren wird davon gesprochen, der Kinderwunsch von Frauen dürfe nicht länger >grausam< diskriminiert werden. Bei dieser Verkehrung der gesellschaftlichen Realität, in der eindeutig kinderlose Frauen, nicht aber gebärwillige (deutsche, weiße, der Mittelschicht angehörende) Frauen diskriminiert werden, sollten sich die neuen Mütterideologinnen nicht wundern, wenn ihnen der Vorwurf politischer Fahrlässigkeit gemacht wird. [8]

Fruchtbarkeit/Unfruchtbarkeit männlich definiert

Indem die Reproduktionsmedizin Unfruchtbarkeit generell als Mangel definiert, den sie in ihrem Machbarkeitswahn vorgibt beseitigen zu können, erweckt sie den Eindruck, der Wunsch nach einem Kind sei praktisch für jede Frau erfüllbar. Ulrike Janz und Rita Kronauer schreiben in ihrem Beitrag »Das heterosexistische Patriarchat pflanzt sich fort«: »Die Fortpflanzungstechnologien stärken den heterosexistischen Kerngedanken, daß Frau Kinder haben muß und will, um wirklich Frau zu sein, um >Wert< zu erhalten. Ein hochrangiges Ziel ist die Herstellung der Identität von >Frau-Sein< mit >Mutter-Sein<, entweder als tatsächliche oder potentielle Identität. Der materielle Wert der Frau als Mutter (im Sinne von >Material<) führt - das zeigen die Reproduktions- und Gentechnologien überdeutlich - nie zur Wertschätzung der Frau, sondern gibt ihr lediglich Existenzberechtigung.« [9]
Die Realität zeigt allerdings deutlich, daß sehr vielen Frauen aus welchen Gründen auch immer - ihr Kinderwunsch nicht erfüllt wird, selbst dann nicht, wenn sie sich in die Hände von Medizinern begeben. [10] Viele Faktoren müssen zusammenwirken, um eine Schwangerschaft zu ermöglichen. Untersuchungen haben ergeben, daß eine Verschmelzung von Eizelle und Sperma nur in 25 bis 30% der Fälle zu einer Schwangerschaft führt, alle anderen Eizellen werden nach einer kurzen Einnistungsperiode in der Gebärmutterschleimhaut, häufig von der Frau unbemerkt, wieder abgestoßen. Auch wenn Reproduktionsmediziner uns dies glauben machen wollen: Eine Schwangerschaft ist nicht herstellbar! Neben organischen Störungen (z.B. Undurchlässigkeit der Eileiter, Myome, Zysten) entwickeln einige Frauen Antikörper gegen (bestimmtes) Sperma, das heißt, es kommt zu einer allergischen Reaktion des Körpers der Frau gegen das Sperma eines bestimmten Mannes oder gegen Sperma allgemein. Weitere Faktoren, die Fruchtbarkeitsprobleme auslösen können, sind die zunehmende Vergiftung der Umwelt, schulmedizinische Behandlungen wie überflüssige oder unsachgemäß durchgeführte operative Eingriffe, die Verwendung von Antikonzeptiva (wie zum Beispiel der Spirale, die eine Verklebung der Eileiter sowie Eileiterschwangerschaften zur Folge haben kann) und nicht zuletzt psychische Faktoren oder ambivalente Gefühle in bezug auf den Kinderwunsch.
Weibliche Fruchtbarkeit wird in unserer patriarchalen Gesellschaft immer mit biologischer Fruchtbarkeit gleichgesetzt, das heißt, mit der Fähigkeit von Frauen zu Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt. Aus dieser weiblichen Fähigkeit - die meines Erachtens als positiv zu bewerten ist - aber die Pflicht der Frauen zu Erziehung und Versorgung anderer abzuleiten, bedeutet, sie auf ihre Biologie zu reduzieren.
Wäre es für das Selbstverständnis der Frauen nicht auch notwendig, den Begriff Fruchtbarkeit neu zu definieren, mit anderen Inhalten zu füllen und viel weiter zu fassen? Zum Beispiel biologische Fruchtbarkeit als Potential und als einen möglichen Ausdruck von Kreativität und Produktivität zu sehen? Schließlich gibt es viele lesbische und heterosexuelle Frauen, die keine Kinder haben, ihre Kinderlosigkeit jedoch als genauso selbstverständlich begreifen wie andere ihr Leben mit Kindern und ihr Leben als durchaus fruchtbar bezeichnen würden.
Ungewollt kinderlosen Frauen wird unterstellt, daß sie in besonderem Maße unter dieser Situation leiden. [11] Ich möchte an dieser Stelle keinesfalls den Eindruck erwecken, daß ich die Trauer und Verzweiflung einiger Frauen, die gegen ihren Willen keine Kinder haben, nicht ernst nehme und respektiere. Doch es wird meiner Meinung nach zu selten bedacht, daß dieses Leiden unter anderem erst dadurch entsteht, daß die gesellschaftliche Zurichtung von Frauen gerade auf der Verbindung von Weiblichkeit, natürlicher Bestimmung< zur Heterosexualität und Mutterschaft beruht.
Die Einführung der modernen Reproduktionstechniken ermöglicht meines Erachtens erst die heute in dieser Dimension existierende gesellschaftliche Erwartung, daß sich ungewollt kinderlose Frauen »zum Zwecke der >Beseitigung< ihres >Makels< in medizinische Behandlung« [12] begeben. Die kinderlose Frau zum Mangelwesen abzustempeln, hat mit den modernen Reproduktionstechniken eine neue Dimension erreicht, von der wir wissen, daß sie nicht spurlos an den Frauen vorübergeht, sie oft sogar in Lebensgefahr bringt (Zum Beispiel ist bekannt, daß die Einnahme von Pergonal, ein Hormonpräparat zur Stimulierung der Follikelreifung, >Nebenwirkungen< bis hin zur Todesfolge hat. [13])

Überlegungen zur Entstehung des Kinderwunsches

Inwieweit der Kinderwunsch von Lesben überhaupt erst mit der Einführung dieser Techniken (das heißt, der technischen Machbarkeit, ein Kind zu gebären, ohne die Notwendigkeit, sich auf männliche Sexualität einlassen zu müssen) erzeugt wurde und wird, können die Betreffenden selbst am besten beantworten. Ich gehe davon aus, daß auch heute noch bei vielen von uns, sicherlich in unterschiedlichem Ausmaß, das traditionelle Frauenbild mit seiner diskriminierenden Definition weiblicher Identität und der gesellschaftlichen Zurichtung auf Heterosexualität Einfluß auf unser Denken und Handeln hat. Es ist wahrscheinlich, daß die vielfältigen, oft widersprüchlichen Erfahrungen, die lesbische Frauen in ihrem sozialen Umfeld, wie zum Beispiel mit Verwandten, Bekannten, FreundInnen, in der Ausbildung und im Erwerbsleben, machen, zu Verunsicherungen und Brüchen in ihrer Identität führen können. Dies kann sich darin zeigen, daß direkt neben dem Wunsch nach ökonomischer und sozialer Unabhängigkeit das Bedürfnis nach Sicherheit und Gebrauchtwerden steht, was zum Beispiel im Wunsch nach einem Kind zum Ausdruck kommen kann. Es stellt sich die Frage, inwiefern der Kinderwunsch in Zusammenhang mit Konfliktpotentialen in einer Beziehung zu sehen ist: die aufkommende Leere zu füllen, die abnehmende Verliebtheit aufzufangen, dem eigenen Leben oder der zum Alltag gewordenen Beziehung einen neuen Sinn zu geben. Oder inwiefern die sich verschärfende politische, soziale und ökonomische Situation und die uns nach wie vor bedrohende und einschränkende Zwangsheterosexualität den Wunsch nach einer >Insel< und nach Flucht in die vermeintlich heile Privatheit erzeugt. »Die Moderne, die die Menschen aus traditionellen Bindungen herauskatapultiert, erzeugt eben dadurch auch die Sehnsucht nach neuer Bindung«. [14]
Eine wichtige Überlegung zur Entstehung des Kinderwunsches findet sich in dem Beitrag »Auch die Wüste blüht - Gedanken zur Unfruchtbarkeit als fruchtbarem Dasein« von Lindsey Napier. Für sie war Teil der Antwort: »die Verantwortung für ein anderes Wesen, eine winzige Person, die meine Nähe braucht (...). Es ist diese Großartigkeit ganz prosaischer, alltäglicher, lebendiger Beziehungen, die zur Leidenschaft wird. Im Leben vieler Frauen fehlen solche leidenschaftlichen Beziehungen (...) Sie erleben diesen Mangel als große Entbehrung (...) Es geht nicht nur darum, ein Kind zu haben und es zu umsorgen, es ist vielmehr die Intimität, die es für so viele Frauen niemals gibt und nach der sie sich sehnen.« [15]
In der hohen Frauenerwerbslosigkeit liegt möglicherweise ein weiteres Motiv für den Wunsch nach einem eigenen Kind. Bei näherer Betrachtung fällt auf, daß die Zahl der gewünschten Kinder auch im Zusammenhang stehen kann mit den Möglichkeiten für Frauen, ihr Leben eigenständig zu gestalten. Das heißt, je weniger Alternativen zur Mutterrolle den Frauen zur Verfügung stehen bzw. von ihnen überhaupt als solche wahrgenommen werden, desto eher wird auf die Mutterrolle als >Notlösung< zurückgegriffen. Wie Dorothee Schmitz-Köster aufzeigt, kommt der Wunsch nach einem eigenen Kind bei manchen Frauen nicht in den Zeiten ihres Wohlbefindens, sondern vielmehr in Krisenzeiten zum Vorschein. Im Zusammenhang mit einem Kinderwunsch fallen häufig Begriffe wie »Selbstverwirklichung«, »Bedürfnis nach totaler Liebe, absoluter Nähe«, »Verantwortung für ein anderes Leben« statt für das eigene. [16] Ein eigenes Kind wäre demnach TrägerIn von Hoffnung und Ersatz für bisher unerfüllt gebliebene Wünsche.
Da lesbische Frauen grundsätzlich gezwungen sind, sich ökonomische Unabhängigkeit zu verschaffen sowie alternative Lebenskonzepte zu entwickeln, könnten wir zunächst annehmen, daß diese Zusammenhänge für Lesben keine Rolle spielen. Doch was kann es tatsächlich für das Bedürfnis nach freier Persönlichkeitsentfaltung einer lesbischen Frau bedeuten, wenn sie aufgrund gesellschaftlicher und sozialer Diskriminierung (meist geschieht dies in Form des Verschweigens, das heißt der scheinbaren Nichtexistenz von Lesben) ihrer lesbischen Identität unter dem -gesellschaftlichen und oftmals subjektiven Zwang steht, alternative Lebenswege gehen zu müssen? Vielleicht würde sie ja viel lieber so leben wie die meisten heterosexuellen Frauen, zum Beispiel in einer Ehe selbstverständlich mit einer Frau -, die gesellschaftliche Anerkennung findet und auch Möglichkeiten ökonomischer Absicherung bietet (siehe die zur Zeit aktuelle Diskussion um die >Homo-Ehe<).
Hierin könnte eine weitere Spur auf der Suche nach möglichen Ursachen des lesbischen Kinderwunsches liegen. Könnte es nicht sein, daß der soziale Druck und die alltägliche Konfrontation mit unserer heterosexuell normierten Gesellschaft, in der Lesben fast permanent demonstriert wird, daß sie anomal sind, geradezu den Wunsch heraufbeschwören, endlich auch mal eine >normale< Frau sein zu wollen? Der offensichtlichste Beweis dafür wäre ein eigenes Kind.

Reproduktionstechnologien

Grob gesagt versprechen uns die modernen Reproduktionstechnologien in umfassendem Maße die Möglichkeit, Fortpflanzung von heterosexueller Aktivität zu trennen - bisher am weitesten verbreitet durch künstliche Insemination (Befruchtung) [17] und Invitro-Fertilisation (Verschmelzung von Ei und Sperma im Glas). Vorgesehen sind diese Fortpflanzungstechniken für heterosexuelle Frauen - aber auch nicht für alle- sie sollen möglichst verheiratet, nicht behindert, weiß und aus der Mittelschicht sein. Für diese ganz spezielle Gruppe wird nun das Recht auf ein eigenes Kind gefordert. Es handelt sich hierbei um ein Recht, das es als solches meiner Meinung nach gar nicht gibt. Der Begriff eines Rechts, das damit auch einzufordern wäre, verschleiert die Tatsache, daß viel eher ein Gebot für Frauen gemeint ist. Für bisher kinderlose Frauen vergrößert sich damit der Druck zum Gebären, da Fruchtbarkeitsprobleme angeblich >gelöst< werden können und andere Gründe für Kinderlosigkeit (zum Beispiel die bewußte Entscheidung) weniger denn je akzeptiert werden. Auf diese Weise entstehen meines Erachtens eher neue Zwänge und Verpflichtungen als neue Wahlmöglichkeiten für Frauen.
Darüber hinaus gibt es eine weitere bedenkliche Konsequenz dieses Gebots: Das Verbot für all diejenigen, deren Fortpflanzung bevölkerungspolitisch nicht gewünscht ist. [18] Denn neben dem Profitinteresse (und mit der Reproduktionsmedizin wird weltweit ein Milliardenumsatz erzielt) sowie dem Machbarkeitswahn und Forschungsdrang der Wissenschaftler besteht ein weiteres Motiv der Fortpflanzungsmedizin in »dem Wunsch, die menschlichen Fortpflanzungsaktivitäten zu kontrollieren, zu bestimmen, wer welche Art von Leben schafft, in welchem Teil der Welt, zu welchem Zeitpunkt und auf welche Weise. [19]
Die Durchsetzung dieser Gebote und Verbote ist nicht neu: In der Geschichte gibt es zahllose Beispiele dafür, daß bestimmte Frauen gezwungen wurden und werden zu gebären, abzutreiben, sich sterilisieren zu lassen, Kinder (Mädchen!) auszusetzen usw. »Es ist die gleiche Logik, die die Fruchtbarkeit der Frauen in der >Dritten Welt< zur Zielscheibe für ihre grausame Bevölkerungspolitik
macht, welche, wie wir wissen, zu Todesfällen durch das Dalkon-Pessar und andere IUP (intra-Uterin-Pessare) sowie Massensterilisationen (oft unter katastrophalen hygienischen Bedingungen) geführt hat. (...) Überaus deutlich wird dabei das verbissene Streben von Reproduktionsmedizinern und Bevölkerungskontrolleuren, die (Un)Fruchtbarkeit der Frauen weltweit in den Griff zu bekommen. Ob Kinder oder keine, soll nicht länger den Frauen selbst überlassen bleiben: Angestrebt ist die Kontrolle (in Männerhand), egal, um weichen Preis!« [20]
Deutlich wird, daß rassistische und sexistische Zwänge weiter zunehmen und in noch größerem Ausmaß als heute zu Verarmung und Ausgrenzung von Frauen führen werden. Die Reproduktionstechnologien werden sich, wie Renate Klein bemerkt, langfristig »auf das Leben aller, insbesondere aller Frauen, in allen Ländern der Erde auswirken.« [21]
Neu hingegen ist erstens der mögliche Umfang gesamtgesellschaftlicher Planung im Hinblick auf Fortpflanzung: In Zukunft könnte eine rationierte Zuteilung von Eiern, von Sperma und von Embryonen an >Gebär-Mütter< Wirklichkeit werden. Realität ist, daß Frauen meist aus ökonomischen Gründen ihren Körper zur Austragung einer Schwangerschaft zur Verfügung stellen. Gerade Frauen aus sogenannten Dritte-Welt-Ländern, von denen, bevölkerungspolitisch gesehen, keine eigenen Kinder erwünscht sind, geht es ökonomisch oft so schlecht, daß Leihmutterschaft für sie eine, wenn auch unterbezahlte Einkommensquelle darstellt (ob es einen angemessenen Preis überhaupt geben kann, sei dahingestellt). Sie können es sich kaum leisten, Leihmutterschaft und deren physische und psychische Belastungen in einem kritischen Licht zu sehen. »Nur wenige Leute sind bereit, den Vertrag selbst in Frage zu stellen oder sich bewußt zu machen, daß diese neue Form der Prostitution Frauen als lebende Brutapparate ausbeutet und es sich hier um reine Geschäftemacherei mit den Körpern von Frauen handelt. Frauen werden überredet, ihre Gebärfähigkeit zur Verfügung zu stellen unter dem Vorwand, dies sei ein >freiwilliger< Akt der Nächstenliebe und Solidarität mit ihren unfruchtbaren Schwestern.« [22]
Neu sind zweitens die ausgefeilten Methoden der Qualitätskontrolle durch die Hochtechnologie der Spermagefrierung sowie die umfangreichen Methoden genetischer Analyse. Unübersehbar ist, daß diese Kontrolle von Erbgut untrennbar mit der Tradtion der während der NS-Zeit betriebenen Eugenik, der Auslese und Ausmerze von >wertem< und >unwertem< Leben, verbunden ist. [23]

Künstliche Insemination

Ich greife die Technik der künstlichen Insemination heraus, da sie erstens die >harmloseste< Methode zu sein scheint und zweitens die Methode ist, die im Moment von Lesben am meisten in Anspruch genommen wird. Inzwischen werden bereits zwei Ausleseverfahren bei der institutionalisierten Spermalieferung angewendet:

  1. bei der Auswahl der Frauen, die in Frage kommen, und
  2. bei der Qualitätskontrolle des Spermas. [24]

Um sich rechtlich und sozial unanfechtbar zu machen und insbesondere kommerziell nicht eingeschränkt zu werden, hat dies in den USA schon 1980 zur vorläufigen Aufstellung von Standards (Richtlinien) geführt, an denen sich die meisten Spermabanken bereits orientieren. Diese Richtlinien wurden von der American Association of Tissue Banks (Amerikanische Vereinigung der Gewebebanken) veröffentlicht und machen deutlich, daß Spermabanken nicht nur als Spermadepot dienen, sondern auch die Aufgabe der Bevölkerungskontrolle erfüllen sollen. Wie einer der Verfasser dieser Richtlinien schreibt, heißt Bevölkerungskontrolle nicht nur »Verringerung der Geburtenzahlen in einer Welt der Bevölkerungsexplosion, sondern auch die genetische Verbesserung der Bevölkerung.« [25]
Die Reproduktionstechnologie ist in Männerhand und wird mit dem Zweck der verschärften Kontrolle von Frauen im Sinne der Männer genutzt. Die Frage ist, ob sich die künstliche Insemination aus dem gesellschaftlichen Zusammenhang herauslösen läßt, ob sie nicht auch von Frauen für Frauen in unserem Sinne nutzbar ist. Wäre zum Beispiel die künstliche Insemination in Frauenhand nicht doch ein Instrument des Widerstands gegen die Ausgrenzung von Lesben? Ließe sich die künstliche Insemination aus den gesellschaftlichen Zusammenhängen herauslösen, könnte sie auf den einfachen Vorgang von Verschmelzung einer Eizelle mit einer Samenzelle reduziert werden und wäre somit auch nichts an sich Künstliches. Künstlich ist sie auch schon gar nicht in dem Sinne, daß im Gegensatz dazu der heterosexuelle Geschlechtsakt als >natürlich< anzusehen wäre. Künstliche Insemination ist objektiv die Einführung von Sperma in die Vagina mit anderen Mitteln als heterosexuellem Geschlechtsverkehr - und nichts anderes. Deshalb ist sie auch sehr einfach und ungefährlich durchzuführen und als Technik >an sich< nicht abzulehnen. Nicht die Methode an sich ist bedenklich, sondern die in ihr enthaltenen Möglichkeiten, sie im Rahmen gesamtgesellschaftlicher Unterdrückungsmaßnahmen gegen Frauen einzusetzen.
Also scheint es ja eine Möglichkeit zu sein, selbst eine Spermabank zu betreiben. Eine feministische Spermabank könnte doch für Lesben eine mögliche Lösung sein, die Schlüsselfrage der männlichen Kontrolle zu umgehen und die Reproduktion in Eigenregie durchzuführen.
Für viele ist die feministische Spermabank in Oakland, Kalifornien, diesbezüglich ein Vorbild. Inwieweit erfüllt sie nun diese Erwartungen? Die Spermabank in Oakland propagiert eine sogenannte Open-door-Philosophie, das heißt, den Zugang zu diesen Techniken für alle Frauen. Gleichzeitig kontrolliert sie dennoch, wählt Frauen aus, setzt Grenzen: drogenabhängige Frauen und Alkoholikerinnen werden nicht akzeptiert. Mit dem Argument, daß die Kontrolle von Safer Sex nicht möglich sei, hatten sie schon vor der Einführung des HIV-Zwangstestes keine schwulen Spermalieferanten zugelassen, während das AIDS-Problem für heterosexuelle und bisexuelle Männer hingegen offensichtlich keinen prinzipiellen Ausschlußgrund darstellte. Diese Open-door-Politik ermöglicht die relativ kritiklose Erfüllung aller Wünsche nach Qualität des Spermas, nach dem Aussehen, der Ethnie und dem Lebensstil des Spermalieferanten (abgesehen von der sexuellen Identität). Selbst die Geschlechtswahl wird nicht grundsätzlich abgelehnt; sie wird nach eigenen Aussagen nur deshalb (noch) nicht praktiziert, weil die Testverfahren zur Geschlechtsselektion zu teuer sind. Ebenfalls aus Kostengründen finden keine Retortenprogramme, das heißt, keine In-vitro-Fertilisationen statt. Die Lieferung von Sperma an Leihmütter-Agenturen hingegen ist im >Service< inbegriffen. [26] Oakland zeigt uns deutlich, wo die Grenzen unserer Insel-Träume liegen.
Doch zurück zu den Bedürfnissen. Ein wesentlicher Aspekt ist für uns, daß nicht nur die Sperma-Bankiers selektieren, sondern daß wir selbst natürlich auch nicht frei von bestimmten Vorstellungen sind. Welche von uns könnte oder wollte sich einer möglichen Auswahl von Sperma vollkommen entziehen, wenn sie doch so einfach angeboten wird? Dies schließt aber, ob wir wollen oder nicht, eine Entscheidung über bevorzugtes, wenn nicht gar über wertes< und >unwertes< Leben mit ein.
Ein kritischer Punkt ist zum Beispiel die Geschlechtswahl. [27] Jede sollte sich selbst fragen, was es bedeuten kann, wenn statistisch gesehen nach künstlicher Insemination weitaus mehr Jungen als Mädchen geboren werden. [28] Vermutlich jedoch ist der Kinderwunsch vieler Lesben ein Tochterwunsch. Auf die Frage, ob es deshalb nicht unser Recht sein kann, die Methode der Geschlechtswahl in diesem Sinn zu nutzen, ist die Antwort eindeutig nein. Meines Erachtens kann eine Methode, die entwickelt wurde, um Frauen und die Reproduktion zu beherrschen, nicht >einfach< von uns übernommen werden. Diese Überlegungen zeigen, daß die gesellschaftlichen Verhältnisse in den Techniken stecken und wir nicht einfach >bloß< die Techniken anwenden können, ohne nicht zugleich die gesellschaftlichen Bedingungen zu reproduzieren. Und dies tun wir durch eine Konsumentinnenhaltung, bei der wir uns einbilden, daß unsere ganz speziellen, besonders hehren Gründe es legitimieren würden, menschliches Lebens nach unseren Wünschen herzustellen und/oder zu behandeln wie eine Ware mit Umtauschrecht. Die Techniken werden nicht einfach dadurch akzeptabel oder gar großartig (wie es uns ein Großteil US-amerikanischer Lesbenliteratur zu diesem Thema weismachen will), daß Lesben, zum Beispiel mit einem feministisch begründeten Tochterwunsch, sie nutzen. Die besondere Brisanz der an sich harmlosen künstlichen Insemination liegt darin, daß sie mit anderen Techniken, wie zum Beispiel der Geschlechtsselektion, kombiniert werden kann.
Mit einer Einforderung des Rechtes auf ein eigenes Kind für Lesben ließe sich bestenfalls von der Seite des Verbots der Fortpflanzung auf die Seite des Gebots und der Verpflichtung überwechseln, nicht aber zur Freiheit und zur Erweiterung der Wahlmöglichkeiten für alle Frauen, da diese in unserer patriarchalen kapitalistischen Gesellschaft keineswegs vorgesehen sind.
Unterm Strich sehe ich nach Abwägung dieser Hintergründe und der gesellschaftlichen Problematik nur einen Weg für Lesben, die um jeden Preis schwanger werden und ein eigenes Kind gebären wollen: die Möglichkeit der Selbstinsemination mittels Selbsthilfemethoden und der privaten Beschaffung von Sperma in völliger Eigenverantwortlichkeit. Selbst dann sind Auswahlkriterien nach Ethnie, Kultur, Klasse nicht ausgeschlossen; nicht einmal dann, wenn der Spender durch eine dritte Person vermittelt wird und anonym bleibt.
Da für mich die Entscheidung für lesbisches Leben und Lieben auch die Möglichkeit beinhaltet, kein Kind zu gebären, halte ich es für wichtig, daß Lesben Alternativen zur biologischen Mutterschaft entwickeln. Eine Möglichkeit kann darin bestehen, mit Kindern zusammenzuleben, als Co-Mutter Verantwortung für sie zu übernehmen und damit die soziale Mutterschaft aufzuwerten. Weiterhin muß eine politische Diskussion über die Praxis der Adoptions- und Pflegschaftsvermittlung initiiert werden, die die heterosexuelle und ökonomisch abgesicherte Kleinfamilie noch immer bevorzugt. Wichtig erscheint mir auch, generationenübergreifende ein- und nicht ausgrenzende Modelle zu entwickeln, in denen Frauen und Kinder selbstbestimmt zusammenleben können.

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