1. Die Situation der Hochschule heute
Bevor ich zu meinem eigentlichen Thema komme, will ich Ihnen zuerst die Situation an unseren Universitäten und Hochschulen kurz darlegen. Nach dem zweiten Weltkrieg konnten Frauen an der Uni gleichberechtigt wie Männer studieren. Daran anschließend wurde die Schulreform durchgeführt. Vor fast hundert Jahren mit der Einführung des modernen Bildungswesens in Japan nahmen wir ein Schulsystem an, dessen Vorbild das deutsche war. Es gab wenigstens drei verschiedene Erziehungsgänge: 1. den Bildungskurs für Eliten, in dem man die Grundschule sechs Jahre, die Mittelschule fünf Jahre, das Gymnasium drei Jahre und Uni oder Hochschule drei oder vier Jahre lang besuchte. Wir hatten neun öffentliche, genannt kaiserliche Universitäten, einige private Unis und einige öffentliche und private Hochschulen, die Frauen im allgemeinen nicht besuchen konnten. 2. den Kurs für Fachleute; hier folgte eine spezielle Fachschule nach der Mittelschule, z. B. eine medizinische, technische, künstlerische, musikalische, pädagogische, literarische, hauswirtschaftliche usw. Die Fachschule dauerte drei oder vier Jahre lang, und es gab auch ein Fachbildungswesen für Frauen. Frauen und Männer besuchten selten dieselbe Schule. Einige Fachschulen trugen den Name*n Universität oder Hochschule, was jedoch gesetzlich gesehen nur eine inoffizielle Bezeichnung war. 3. Außer diesen zwei Bildungskursen konnte man nach der Grundschule mit vier- oder fünfjähriger Berufs- oder Realschule oder nur mit der Grundschule die Ausbildung beenden. Damals sollte man wenigstens sechs Jahre lang die Schule besuchen; heute sind es neun Jahre.
Im Folgenden geht es um die ersten beiden Ausbildungskurse. Durch die Schulreform legte man diese zwei Kurse unter der Idee der Chancengleichheit der Erziehung zusammen, und fast alle Fachschulen wurden in den Rang einer Hochschule erhoben, dabei spielte das amerikanische Schulsystem als Modell eine große Rolle. Somit gibt es bei uns jetzt - nach der Statistik von 1980- 466 Hochschulen, und die Zahl der Hochschullehrer beträgt 102 985. Frauen können nun alle Universitäten außer einigen speziellen Hochschulen, z. B. der Wehrhochschule, besuchen. Außerdem werden Männer von einigen Hochschulen für Frauen jetzt noch ausgeschlossen. Aber sie wollen das Tor der Frauenhochschulen für sich auch gar nicht öffnen lassen, weil sie diese Schulen meistens geringschätzen.
Unter dem Aspekt der Verschiedenheit der Situation der Uni in Deutschland und Japan wollen wir sehen, wie die japanischen Wissenschaftlerinnen -vor allem die Philosophinnen - in dieser Situation an der Uni tätig sind.
Heute sind 8620 Frauen als Lehrerinnen an Hochschulen tätig, das sind 8,4% aller Hochschullehrer. Diese Zahl ist bemerkenswert angesichts der kurzen Geschichte der Koedukation. Es handelt sich aber darum, an welchen Hochschulen sie tätig sind und welche Stellen sie haben. In Wirklichkeit sind zwei Drittel von ihnen tätig an den privaten Hochschulen oder Unis. Selbstverständlich haben meistens Privatuniversitäten und Hochschulen schlechtere - besonders finanzielle - Bedingungen als die öffentlichen. Außerdem sichern sich die Lehrer an den öffentlichen Unis als Beamte ihre Stelle.
Mehr als die Hälfte aller Wissenschaftlerinnen sind im übrigen nur Assistentinnen; von diesen treten in der Regel viele nach einigen Jahren von ihrem Beruf als Assistentin zurück, sei es mit oder gegen ihren Willen. Eine Dozentur zu gewinnen, ist für sie sehr schwierig, noch schwieriger, wenn sie verheiratet sind. Man sagt oft, eine verheiratete Frau solle zu Hause bleiben und brauche nicht eine Dozentur innezuhaben, weil sie durch das Einkommen ihres Mannes keine finanziellen Schwierigkeiten habe. Da eine solch dumme konservative Meinung leider noch ziemlich stark verbreitet ist, sind viele Wissenschaftlerinnen etwa mit 35 Jahren von der Uni weg. Der G rund, daß viele Hochschullehrerinnen nur als Assistentinnen tätig sind, kommt also nicht daher, daß die Geschichte der Koedukation noch kurz ist, und die Lehrerinnen noch jung sind. Wenige ältere Wissenschaftlerinnen können an der Uni bleiben, und es tut mir leid, daß man ihre Fähigkeiten und Begabungen kaum berücksichtigt. Man sieht sie oft nur mit Neugier an.
Nun, langsam sollte ich über die Aufnahme von Frauen in den Lehrkörper von Universitäten sprechen, ich möchte jedoch vorher die Situation der Philosophinnen statistisch beleuchten. 66 Philosophinnen gehören der philosophischen Assoziation in Japan (the philosophical Association of Japan) an und 45 der japanischen Gesellschaft für Ethik (the Japanese Society for Ethics). Davon gehören 10 beiden an, daher sind es insgesamt 101. Davon sind nur 45 Philosophinnen regulär an Hochschulen tätig. Das ist weniger als die Hälfte. Dagegen sind fast alle Männer, die der Philosophischen Assoziation oder der Gesellschaft für Ethik angehören, irgendwo tätig, ausgenommen die Studenten des Doktorkursus. Bei uns kommt der Magisterkursus erst nach dem Diplom und dann der Doktorkursus, und erst die Studenten des Doktorkursus können den Gesellschaften angehören. Zwar sind die philosophischen Lehrstühle nicht viele, und auch für die Männer, die Philosophie als Spezialgebiet haben, ist es meistens unmöglich, gleich nach dem Studium eine Stelle zu gewinnen, aber sie können später, nach ein paar Jahren, irgendeine Stelle inne haben. Nur die Frauen müssen fast immer oder für immer auf eine Stelle warten. Das hängt von der Situation der Aufnahme ab.
Ich nenne keine offizielle Bedingung der Aufnahme in den Lehrkörper, sondern deren aktuelle Situation. Man könnte sagen, es gebe keine Hochschule mehr, die Lehrerinnen offiziell ausschließt. Jedoch sind Frauen und Männer gleichberechtigt nur formal gesehen. Viele Hochschulen schreiben Stellen öffentlich aus, aber in Wirklichkeit haben Männer bei der Auswahl immer den Vorrang. Wahrscheinlich ist es in Deutschland ähnlich wie bei uns. Wir nehmen jetzt an, daß einige Männer und Frauen sich um eine Stelle bewerben. Eine Frau kann nur in dem Fall die Stelle gewinnen, wenn alle Männer unter dem Durchschnitt sind und die Frau allein ungewöhnliches Niveau hat. Und wenn sie wohl begabt, aber die Begabung nicht enorm ist, oder wenn nur Frauen sich bewerben, urteilt man manchmal, es gebe leider diesmal keinen geeigneten Kandidaten. Es handelt sich um kein System, sondern um das Bewußtsein, wie man die Fähigkeit der Frauen beurteilt, mit anderen Worten, ob man auf die Frauenprobleme in dem Begriff Mensch Rücksicht nimmt. Wir Frauen haben heute dieses gemeinsame Problem, obwohl wir aus verschiedenen Ländern gekommen sind. Eben deshalb, weil wir doch aus verschiedenen Ländern gekommen sind, möchte ich Ihnen das Bewußtseinsproblem bei uns in Japan darlegen. Man sagt, andere Länder, andere Sitten, und ich glaube, daß das Bewußtsein auch die Grundlage von Sitten konstituiert. Vielleicht finden Sie große Unterschiede zwischen dem Bewußtsein bei Ihnen und bei uns.
2. Das Bewußtsein und die soziale Struktur in Japan
Das Bewußtsein liegt der sozialen Struktur und dem Alltagsleben zugrunde, daher können wir das Problem des Bewußtseins nicht in der Statistik klarmachen. Frau Dr. Weisshaupt analysiert das Bewußtsein übers Frauenproblem philosophisch genau in ihrem Aufsatz »Alltag und Philosophie« und stellt die Frage, wie wir die Situation des Sisyphos ohne Pathos überwinden sollen. Ich danke ihr, daß sie mir den Aufsatz gezeigt hat, und glaube, daß ich hier das Bewußtsein weder philosophisch noch phänomenologisch zu behandeln brauche. Zwar ist es ein Problem, ob man sich des Alltagsbewußtseins klar bewußt sein könne, aber man soll sich eben daher aus dem Alltag heraus philosophieren, um zu sich selbst zu kommen, und zudem kann man den Alltag als solchen selten erreichen, weil der Alltag wesentlich immer eine Erscheinung bleibt. Es geht hier nicht darum, was das Wesen des Alltags ist, sondern wie wir uns zum Alltag verhalten. Nur möchte ich Ihnen den Inhalt unseres heutigen wirklichen Alltagsbewußtseins aufzeigen, um aus dem Alltag sich heraus zu philosophieren. Insofern man den Begriff Alltag ausschließlich philosophisch allgemeingültig behandelt, bleibt der Alltag noch abstrakt. Wenn der Alltag wirklich lebendig ist, soll er mein oder unser Alltag, Ihr Alltag, oder der Alltag der anderen sein. Und natürlich ist unser Alltag verschieden von Ihrem Alltag. Wenn ich daher aus dem Alltag mich heraus philosophieren will, sollte ich zuerst nach dem Zustand unseres eigenen Alltags suchen. Nämlich ich will das Frauenproblem unter unserem Alltagsbewußtsein klarmachen.
Nun, man würde sagen, hier sollten nicht nur philosophische, sondern auch soziologische Forschungen in Betracht gezogen werden. Eine vorzügliche japanische Soziologin, Frau Prof. Chie Nakane, zeigt auf, daß die japanische Gesellschaft sozusagen eine von unten nach oben (z. B. das Aufsteigen der Stellung) oder von oben nach unten (z. B. beim Befehl) ist und vertikale Struktur hat (vgl. »Japanese Society« Japanisch 1967, Englisch 1970, London). Der Gegenstand ihrer Forschung sind die inoffiziellen Strukturen, die jedoch als eine unsichtbare Potenz zum offiziellen bestehenden System den Hintergrund abgeben und daher den Charakter der Gesellschaft lebendig machen.
Als das Prinzip, auf dem eine Gruppe gebildet wird, kann nicht nur die Qualifikation (d. h. was), sondern auch der Platz (wo) bezeichnet werden. Bei uns legt man auf den Platz mehr Schwerpunkt als auf die Qualifikation. Oft fragt man jemanden, an welcher Uni oder an welcher Firma er tätig sei, aber kaum, was er sei. Eine Gruppe wird für wichtiger gehalten als ein Einzelner, zu dem doch die Qualifikation gehört. Daher ist es fast unmöglich, eine Assoziation Gleichstehender oder eine vereinigte Fachgewerkschaft verschiedener Firmen zu gründen. Zwar gibt es eine Arbeitergewerkschaft heute fast in allen Arbeitsstellen, aber sie bleibt im allgemeinen nur in einer Firma und enthält fast alle Angestellten, z. B. Büroangestellte, Fabrikarbeiter, Pförtner u. a. So findet man wohl den Gegensatz der Arbeitnehmer zu dem Arbeitgeber, er ist jedoch nur scheinbar und gesetzlich. Da der Arbeitsplatz eine wichtigere Rolle als die Qualifikation des Einzelnen spielt, ist die Verbindung zur Firma viel stärker als der Gegensatz, der nur durch den Vertrag geformt ist. Dagegen hängt die Verbindung von der emotionellen Treue ab. Es handelt sich viel mehr um eine Gemeinschaft als eine Gesellschaft. Es mangelt hier aber im allgemeinen eigentlich an dem Stolz auf einen eigenen Beruf und an dem Verantwortungsbewußtsein. Niemand will Spezialist mit seiner Erfahrung im Beruf werden, sondern immer auf eine sozusagen höhere Stelle aufsteigen. Ganz komischerweise findet man manchmal, daß man zuerst Sprecher der Arbeitergewerkschaft, dann langsam Abteilungsleiter in der Firma und endlich Mitglied des Direktoriums werden kann. Überall herrscht eine unsinnige Rangordnung, nicht nur unter verschiedenen Stellen, sondern auch darin, wie alt man oder wie lange man dort tätig ist usw. Aber die Rangordnung ist nicht festgelegt, sondern ziemlich leicht veränderlich. Es gibt bei uns keinen klaren Unterschied der traditionellen Stände mehr. Trotzdem odergerade deswegen kann die Rangordnung oft zu einer lästigen Frage werden.
Hier versteckt sich jedoch ein merkwürdiges Gleichheitsbewußtsein. Es kommt daher, daß man die Verschiedenheit der Qualifikation oder der Begabungen nicht fürwichtig hält. Niemand darf in der Regel von der Gelegenheit zum Aufsteigen in der Stellung ausgeschlossen werden, und dabei spielen das Alter oder die Dienstjahre eine unentbehrliche Rolle. Jeder hegt innerlich den Gedanken, daß er langsam auch eine bessere Stelle bekommen könnte, aber es hängt nicht von seinem Fleiß und seiner Bemühung ab, sondern von der Geduld, auf seine Reihenfolge zu warten. Es fehlt ihm an der objektiven Einsicht in seine Qualifikation. Er denkt an die Gleichheit aller Qualifikationen, aber leider nicht an die aller Personen. Wenn jemand nun auch nach seiner Qualifikation und seiner Begabung ganz und gar überraschend zu einer wichtigen Stelle befördert wird, kann dieser Mann an der neuen Stelle seine Kraft jedoch nicht genug zur Geltung bringen, weil er keine emotionelle Treue von seinen Untergeordneten bekommen kann, sondern seine Beförderung nur ihren Neid erregt. Hier findet man fast keine Idee des Vertrags, der jedem seine Rolle klar bestimmt. Das Moment, das die Belegschaft zusammenhält, ist im allgemeinen nur eine japanisch-eigentümliche menschliche Verbundenheit und Teilnahme, die manchmal übervernünftig oder unter- und unvernünftig gefärbt wird. Es ist nämlich ein noch nicht modernisierter Zusammenhalt einer gewissen verschworenen Gefolgschaft für den Chef. Dieser Zusammenhalt beansprucht den Gehorsam des Untergeordneten aus der ganzen Person, nicht nur die Mitwirkung in jeder Rolle.
Es gibt hier eigentlich keine Mitsprache, an der jeder in Rücksicht sowohl auf seine eigene Verantwortung als auch die der anderen teilnimmt, sondern nur den Befehl von oben nach unten und den Gehorsam von unten nach oben.
Diese Tendenz findet man komischerweise nicht selten auch bei wissenschaftlichen Diskussionen. Die Wichtigkeit einer Meinung hängt nicht von ihrem Inhalt ab, sondern vielmehr davon, wer sie ausspricht. Die Behauptung oder die Leistung als solche ist manchmal kein Gegenstand der Einwendungen, sondern die Person selbst wird kritisiert.
Man könnte darin eine Perversion sehen, denn die Person selbst kann in der Wirklichkeit nicht faktisch erscheinen. Man kann nur nach der Rolle oder der Leistung die Person beurteilen. Trotzdem sieht man vom Sinn der Leistung und der Rolle ab. Es ist also die Geringschätzung von Begabung und Qualifikation, außerdem macht es die Person zum Sklaven ohne Subjektivität.
Nun, etwas grob gesagt, weil ich mich hier nicht mit der Sprachphilosophie beschäftige, spiegelt sich die Art und Weise des Bewußtseins in der Sprache. Das Bewußtsein der japanischen Gesellschaft spiegelt sich im Japanischen. Das Japanische hat nämlich Schwierigkeiten, wie man jeweils ein Personalpronomen recht anwendet, usw. Für die erste Person gibt es viele verschiedene Ausdrücke, und man muß jedesmal einen zutreffenden auswählen. Dagegen spricht man auf Deutsch nur von »ich« oder »wir«, und deren Kasusveränderungen. Für die zweite Person haben wir auch viele Wörter, trotzdem kann man kein Wort mit dem passenden Sinn für das Deutsche »Du« finden. Das Wort »Anata«, das man manchmal als einen Ausdruck des Wortes »Du« bei der Übersetzung anwendet, bedeutet ursprünglich nur eine Richtung des Jenseits von mir. Es scheint mir, daß der innerste Zusammenhang des Ich mit dem Du bei uns gar nicht entsteht. Aber eben der Zusammenhang bereitet die Grundlage für das Zwiegespräch zwischen beiden. Daher sieht man nicht nur beim Befehl, sondern auch bei der alltäglichen Konversation immer einen Unterschied der Stellung zwischen den beiden, die das Gespräch führen. Die Schwierigkeit der Auswahl eines Personalpronomens hängt davon ab, mit wem man spricht. Und noch die Konjugation der Umgangssprache kann schon den traditionellen Unterschied der Stellen zeigen. Je höflicher und eleganter man japanisch spricht, desto traditioneller und konservativer wird es. Ich würde sagen, daß man mit dem Japanischen einen Sachverhalt nüchtern und objektiv-neutral nicht mitteilen kann, sondern den niedriger Stehenden immer etwas lehrt, und den Höherstehenden etwas respektvoll hören läßt. Beim letzten Fall muß man immer mit dem Japanisch-typischen höflichen Ausdruck sprechen. Zu allem Unglück tönt dieser traditionelle Ausdruck uns jetzt noch schön.
Man lebt diesen Alltag bei uns. In dieser Situation haben alle Menschen ihr eigentliches Selbst in den Alltag verloren. Wer in diesem Alltag die tägliche Routine treibt, kommt nicht zum Bewußtsein seiner Selbst. Daher taucht für mich das Problem auf, wie man das verlorene Selbst wiedergewinnen kann, und damit zusammen kommt das Frauenproblem uns vor Augen.
3. Unsere Aufgabe
Wie aus dem jetzt Erwähnten hervorgeht, sind es nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer, die vom Alltagsbewußtsein der herkömmlichen Gesellschaft emanzipiert werden sollen. Was hindert uns nun an der Emanzipation? Ich will die Frage klarmachen.
In der vertikal-hierarchisch strukturierten Gesellschaft wurden Frauen natürlich niedriger als Männer gestellt. Heute ist dies traditionelle Bewußtsein scheinbar vorbei, aber in Wirklichkeit ist es geblieben. Mit anderen Worten, in der Legalität sind alle Menschen gleich, jedoch in der Moralität noch gar nicht. Und es ist sehr schlimm, daß man dieses Bewußtsein nicht nur bei Männern, sondern auch bei Frauen noch finden kann. Die Moralität hat nun mit der Gesinnung, mit dem innersten Bewußtsein zu tun. Also können wir unsere Angelegenheit in die philosophische Ethik führen.
Indem man die Verschiedenheit jeder Begabung und Qualifikation nicht anerkennt, entsteht eine verfehlte Gleichheitsidee. Man sieht ganz einfach, daß jeder als eine Person gleichberechtigt sei, und daß es wenig wichtig sei, ob jemand besonders vorzüglich begabt sei. Außerdem hält man es nicht für wichtig, ob einer, der begabt ist, diese Begabung fleißig und strebsam ausbildet, sondern man murmelt nur, auch er sei nur ein Mensch wie alle anderen und gar nicht allmächtig, und damit rechtfertigt man Unvermögen und Faulheit. Es ist selbstverständlich ein Selbstbetrug, und man soll sich aus dem Betrug heraushelfen und sich selbst objektiv kennen, aber es ist sehr schwer, beinahe unmöglich, sich selbst bewußt zu sein.
In der Situation von der verfehlten Gleichheitsidee bleibt jedoch noch ein einziger Unterschied. Es ist eben der zwischen Frauen und Männern. Für die Männer, die immer in einer niedrigen Stellung der Gesellschaft bleiben müssen und nicht berücksichtigen, daß es von ihrem Unvermögen und ihrer Faulheit abhängig sei, und die dadurch immer gedemütigter werden, bedeutet es große Zufriedenheit, daß Frauen noch viel niedriger gestellt sind. Es versteht sich, daß niemand jede Frau nach ihrer Begabung und Qualifikation schätzen will. Man kann daher ein verkehrtes Überlegenheitsgefühl überall da genießen, wo der objektive nüchterne Gesichtspunkt und damit auch das eigentliche subjektive Selbst verloren sind.
Da wird nicht nur die soziale Emanzipation, sondern auch die des Bewußtseins unentbehrlich. Mir scheint die letztere für uns jetzt viel wichtiger. Sie bedeutet nämlich sich selbst zu kennen, mit anderen Worten, eine Existenzerhellung wie bei Jaspers. Die Erhellung der Existenz als des eigentlichen Selbst ist unmöglich von sich allein, deshalb sollen die Existierenden einander zum Spiegel werden. Diese Erhellung wird bei Jaspers von der existenziellen Kommunikation durch den liebenden Kampf erreicht. Unser Problem ist natürlich etwas anderes als die existenzielle Kommunikation. Aber viele verschiedene Kommunikationen entstehen immer auch in dem Alltagsleben, und wir leben in der Welt an dem Knoten verschiedener Zusammenhänge. Und durch diese Kommunikationen werden wir einander kennenlernen und gegenseitig innerlich verstehen können. Dazu taucht mir ein wichtiger Gedanke bei Kant auf, ob man so handelt, daß man die Menschheit in jeder Person jederzeit als Zweck, niemals bloß als Mittel braucht (vgl. Kant »Grundlegung zur Metaphysik der Sitten«). Und ich möchte fragen, ob der kategorische Imperativ auch auf Frauen wirklich angewendet wurde.
Diese Frage scheint mir damit zusammenzuhängen, wie und wo man den Unterschied zwischen Frauen und Männern finden kann. Man könnte sagen, der Mensch sei vernünftig und leibhaftig. Er ist nicht einfach, sondern besteht aus verschiedenen Momenten. Wenn auch nur ein Moment, z. B. der Geist als das Wesen des Menschen stark betont wird, ist es dennoch unmöglich, alle anderen Momente dem Menschen vollständig wegzunehmen. Man darf nicht vergessen, daß Frauen auch aus diesen verschiedenen Momenten bestehen. An was für Momenten können wir aber den Unterschied zwischen Frauen und Männern klar zeigen? Es können keine geistigen Momente sein. Der Unterschied kommt von der sinnlichen, körperlichen Seite her. Wenn man jedoch Frauenprobleme nur unter der Voraussetzung betrachtet, daß die Frauen sich von den Männern unterscheiden, so wird der Schwerpunkt immer noch nur auf die sinnliche Seite der Frauen gelegt. Ich möchte daher fragen, ob die Männer die Frauen nur für ein sinnliches körperliches Wesen halten. Als Beispiel kann ich die Meinung Max Schelers anführen (vgl. »Umwertung der Werte«). Scheler meint in seinem Aufsatz »Zum Sinn der Frauenbewegung«, daß alle Grundbegriffe der neueren Philosophie »Person«, »Vernunft«, »Wahrheit«, »Gutes« usw. faktisch nur spezifisch männliche Werte verkörpern, so daß die Frau, die allgemein menschlich sein will, eo ipso »männlich« wird. Er verurteilt die Frauenbewegung, da sie das Wesen der Frauen, d. h. die Entbindung, die Kinderpflege usw. mehr und mehr verringern würde. Diese Einsicht ist jedoch nur eine oberflächliche Kritik an der Bewegung und zwar von dem Gesichtspunkt her, daß man die Frauen nur als leibhaft wahrnimmt. Wenn man die Männer nur als leibhaft wahrnähme, würde das Idealbild der Männer ein Don Juan sein. Scheler wollte seine Meinung nach der von Georg Simmel formulieren. Aber es bedeutet bei Simmel etwas anderes (vgl. »Philosophische Kultur«). Bei Simmel sind fast alle Werte und Maßstäbe geschichtlich gesehen männlich charakterisiert, und in diesen Wertanschauungen hat er alle Probleme - Frauenprobleme eingeschlossen - beurteilt. Sind die Maßstäbe nun absolut gültig? Was ist denn absolut? Simmel meint, daß der Unterschied der Geschlechter wirklich übergeschichtlich sei und daß die beiden Geschlechter logisch äquivalent seien. Da wäre der Unterschied zwischen Frauen und Männern für absolut gehalten. Auch ich will ihn nicht verneinen. Aber die männlichen Wertanschauungen, die alles beherrscht haben, sind geschichtlich künstlich geformt und daher nur relativ gültig. Sie können sich verändern. Es ist wohl möglich, daß das Wort »Mensch« von »männisch« herkommt, daß die Idee eines Menschen, die zugleich Mann und Frau umfassen soll, nur eine männliche Idee war, wie Scheler meint (vgl. »Zur Idee des Menschen«, "Mensch und Geschlecht"). Aber die menschliche oder männliche Idee ist eben darum historisch veränderlich.
In der Vergangenheit wurden die geistigen Kulturen meistens von der Hand der Männer geschaffen und hochgehalten. Aber diese Geschichte zeigt nicht, daß die Frauen keine geistigen Wirkungen haben können. Vielmehr soll man in Betracht ziehen, daß sie bis jetzt wenige Möglichkeiten für geistige Tätigkeiten hatten.
Wenn wir aber in die Zukunft blicken, fällt uns die Frage ein, ob die menschliche Idee als eine männliche immer noch herrschend sein kann. Bildlich gesagt: die Männer sind schon müde, weil sie seit langem ihre Maßstäbe errichtet und behalten haben. Eben in dieser Zeit wollen wir Frauen eine neue menschliche Idee errichten und tragen. Wir wollen nicht aufhören, Frauen zu sein, sondern den Unterschied der Geschlechter genau wahrnehmen, aber ihn nur als eine Eigenschaft oder als eine natürliche Anlage ansehen. Wir sollen alle Anlagen gut entwickeln. Es bedeutet, daß jeder zu sich selbst kommen und immer sich selbst aus dem objektiven Standpunkt her prüfen soll. Nämlich,jeder hat sich selbst als einen Einzelnen wahrzunehmen. Jeder Einzelne hat als ein wirklich Existierender seine Begabung und Qualifikation. Wir wollen die Gesinnung pflegen, daß wir jeden Einzelnen nach seiner Begabung und Qualifikation richtig schätzen und als eine Person vor ihm immer Achtung haben sollen. Das ist das Ziel für die Emanzipation des Bewußtseins, und daran hängt die ethische und anthropologische Philosophie. Der Mensch ist sowohl ein Einzelner als auch ein Gattungswesen.Wenn die Gattung aber nicht aus den Einzelnen mit jener Gesinnung besteht, verfällt sie in eine Masse aus Herdenmenschen.
So ist unsere geistige Situation heute. Man könnte sagen, sie sei nicht anders als die europäische Situation, und fragen, an weichen Punkten man die eignen Schwierigkeiten in der japanischen Situation finden könnte. Was das betrifft, daß wir uns selber im Bewußtsein überwinden und zu uns selbst kommen sollen, d. h., was den Zweck betrifft, wäre es wohl überall fast gleich, aber der Ausgangspunkt ist anders. Wir müssen nämlich zuerst und erneut genau verstehen, daß wir heute noch immer in einer vertikal-hierarchischen Gesellschaft leben, obwohl wir schon seit einhundert Jahren mit europäischen Gedankengängen erzogen werden, so daß die japanischen, traditionellen Denkweisen nicht mehr Führungsprinzip werden können, obwohl sie sich jetzt noch stark unter dem Bewußtsein der Menschen verstecken. Daher wollen wir unsere doppelt komplizierte Situation vor allem klarmachen und das ist eben unser Ausgangspunkt, um sich aus dem Alltag heraus zu philosophieren.