Die Philosophin

Geschichte und Ungeschichte ihres Berufsstandes seit der Antike

Einleitung: Allgemeine Ideologiekritik und spezifisches geschlechtliches Vorurteil

»Philosophinnen, ja gibt es das denn«, so lautet der unwillkürlich-erstaunte Ausruf unseres Jahrhunderts. Obwohl die Frau Soziologinnen-, Juristinnen-und selbst Theologinnen-Berufe schon wieder mit größerer Selbstverständlichkeit ausübt, ist die "Philosopha", als Mutter der Wissenschaften, dem Laien wie dem Gelehrten, den Medien wie der allgemeinen Öffentlichkeit fremd und unbekannt. "Große Philosophen" - wie in ihrer Oberzahl auch kleine-so meint die Illustrierte, sind das nicht selbstverständlich nur Männer, die durch ihre Wissenschaft, Weisheit oder weniger verläßliche Theorie, Ideologie und Erfindung Geschichte machen? Scheint nicht schon in der Antike "der" klassische Philosophus recht zu haben, der über die Frau als Berufskollegin fast nicht zu berichten weiß? Bereits für den konservativen Aristoteles, wie noch den späteren christlichen Philosophen von Thomas von Aquin bis zu Melanchthon, der sich mit seiner ganzen Philosophiegeschichte und Universitätsauffassung allein auf dessen Lehrbuch stützt, gilt doch die Frau weder als gleichberechtigter Mensch (homo), noch als an Geist und Weisheit gleich begabter (sapiens). Wie soll die, anfangs zwar selbst noch als weiblich angesehene "Philo-Sophia" da überhaupt Philosophinnen, noch dazu schon in der Antike, hervorgebracht haben?[1]
Ehe wir ihre Geschichte wieder entdecken können, müssen wir uns also mit jenen massiven Vorurteilen befassen, die ihre Existenz für unsere Zeiten völlig verschüttet haben.
Durch viele kritische Philosophen - und Philosophinnen - stellt zwar schon die Antike eine durchsystematisierte Liste von Vorurteilen auf, die der Wissenschaftler beachten und überwinden muß, wenn er einigermaßen objektive Ergebnisse erzielen will.[2] Weder sie noch die heutige, viel weniger konsequent skeptische "kritische Theorie" rechnet unter diese "Proläpsis" (Vor-Begriffe), neben den persönlichen Idiosynkrasien, den rassischen und ideologischen bzw. durch die Umwelt von Forscher, Gegenstand oder der Beziehung zwischen beiden bedingten aber schon die sexistischen. Während andere Vorurteile im Laufe der Geschichte also allmählich verringert werden, ist das geschlechtsphilosophische noch kaum aus dem Dunstkreis des Unbewußten hervorgetreten. Mann und Frau vermögen noch heute nicht sachlich-eindeutig zu unterscheiden, was an ihnen, nach Körper, Seele oder Geist, allgemeinmenschlich, d. h. gleich, und was wirklich sexualspezifisch verschieden ist. Noch lehrt man ja auch kein Kind in der Schule, was man darüber schon sicher weiß: daß Mann- und Frau-Mensch 22 Chromosome, mit ihren Genen als Anlageträger, gemeinsam haben; ihre Unterschiedlichkeit sich also, statistisch gesehen, nur auf 3-4%, d. h. höchstens ein einziges X- bzw. Y-Chromosom beläuft.[3] Denn die bisherige Kultur, ob sie als häuslichstaatliche, profane Patriarchatsmacht des Mannes, als Religion oder ihnen zusammen folgende Sozialisation, Gefühlszüchtung und Verinnerlichung durch beide Geschlechter wirksam wird, hat die an sich geringe "natürliche" geschlechtliche Differenz schon so hochgereizt, daß man selbst solche Fakten nicht mehr bemerkt. Das beeinflußt selbstverständlich auch viele Philosophen, einschließlich ihrer politischen Macht zur Austeilung von Menschenrechten, erheblich. In genauer Umkehrung ihrer "natürlichen" Berechtigtheit geraten praktisch noch immer 96% der Berufssparte allein in die Hände des Mannes. Auf den Rest ihrer bloßen Weiblichkeit verwiesen, bleibt der Frau oft nichts anderes übrig, als eine rein geschlechtsspezifische Philosophie, vor allem als Hausfrauen- und Mutterideologie, zu entwickeln. In unserem ungeschichtlichen Jahrhundert wird dabei auch noch vergessen, daß sie wenigstens schon versucht hat, als Berufsphilosophin tätig zu sein und das nicht ohne Erfolg. Jedenfalls immer dann, wenn sich irgendwo ein humanistisch-aufklärerisches Klima ausbreitet, wie vor allem in der Antike.

A. Die Position der "weisen Frau" in der "primitive society",
bis zur einsetzenden Hochkultur (30 000-5000 v. Chr.)

Nach den neuesten, nunmehr auch von Frauen selbst durchgeführten ethnologischen Forschungen zeigt jedoch auch die Frühgesellschaft schon mehrere Typen von "Philosophinnen". Sie erscheint implizit in den Matriarchaten, in denen die Frau die Vorherrschaft in der Gesellschaft erobert. Denn es ist ihre geistige Leistung, die die dazu mitbenutzte Urmutter- oder Göttinnenfigur erdenkt und in ihnen die für diese Gesellschaftsform notwendige Metaphysik, ihren Mythos, erschafft.[4] Daneben treten Frauen aber auch als speziell "weise Frauen", z. B. als Medizinerinnen, Seherinnen, Streitschlichterinnen oder sonstige Inhaber von besonderen "wissenschaftlichen" oder praktischen, bis zu kriegerischen "Tüchtigkeiten" auf. Die entsprechende griechische Mythologie und deren erste, halbbewußte Ordnung durch große Dichter und Dichterinnen hat daher ebenfalls noch viel Raum für solche vorwissenschaftlich-philosophischen weiblichen Gestalten, sowohl der Weisheit (Athene) und der Gerechtigkeit (Themis, Dike), wie ihres Gegenteils. Neben der Philo-Sophia selbst führen außerdem viele andere Wissenschaften griechischer Herkunft, wie Physio- oder Psycho-Logia und Geo-Graphia weibliche Namen.[5] Sie werden also erst später vom männlich geprägten Gott Logos und Logiker überwältigt.
Von diesen griechischen oder anderen steinzeitlichen Exklaven abgesehen, verliert die Frau allerdings schon viel früher, fast weltweit, ihre in der "primitive society" noch reichhaltigere Gelegenheit, auch als weibliche Weise hervorzutreten. Bereits mit der um 5300 v. Chr. einsetzenden Hochkultur auf vielen Gebieten entsteht, im Rahmen der Bildung von despotischen, d. h. "herr"scherlichen profanen von Ägypten über den vorderen Orient bis nach China und Japan reichenden Imperien, eine neue männliche Übermacht über sie und ein einseitig maskulin-patriarchalisches, nun noch dazu schriftliches und damit schwerer änderbares Recht. Von Hammurabi (1800 v. Chr.) über Griechenland und Rom bis zum deutschen BGB von 1900 spricht es der Frau, auch in Europa, fast alle ihre Menschlichkeit ab. Sie wird, wie im Orient, mit Kind und Sklave (Sklavin) beinahe ausnahmslos bloße "Sache" unter der "Hand" (mancipio oder Munt) des Mannes, Vaters oder Bruders.[6] - In ähnlicher Weise unterdrücken sie bald aber auch die zwischen 1200 v. Chr. und 600 n. Chr. die polytheistischen Stammesreligionen der frühen Völker ablösenden, vorwiegend männlich initiierten und ausgerichteten neuen Stifter oder Hochreligionen, von Buddha und Konfutius über Christus bis zu Mohammed. Der Frau wird ihre Göttin und die in ihr gespiegelte frühere mythisch-geistige Leistung wieder entrissen, d. h. fast allein noch dem männlich monotheistischen Gott und seinem Priester zugeteilt.[7] Von Muttergottesverehrungen abgesehen wird die dieser Hochkultur, eher der Mannheit als der Menschheit, angehörige Frau, vom Mittelmeerraum bis weit nach Asien hinein, bereits vor 5000 Jahren also recht durchgehend und gründlich patriarchalisiert, d. h. entrechtet und ins Haus verbannt.

B. Die allgemeine, private und öffentliche Lage der Frau in der griechischen Antike,
als bloßer Enklave in der orientalischen Hochkultur

Dies wahrhaft "herr"schaftliche, andro-patriarchalische System von monarchisch absolutistischem Staat und monotheistischer Hochkirche überfremdet grundsätzlich auch alle seit etwa 1800 v. Chr. in sein Gebiet einwandernden griechischen und römischen Stämme mit noch eigener Frauenkultur. Oft kommen sie zwar ganz ohne Frauen oder mit nicht genügend von ihnen an, wie die Ionier oder Römer. Sie heiraten also ohnedies schon einheimische Frauen, die ihre orientalischen Haremsgewohnheiten mit ins Haus bringen.[8] Häufig übernimmt das an sich noch ungebildete, wenn auch teilweise demokratisch-segmentär gesinnte Griechen- und Römertum neben der anderen Hochkultur des Orients, im Städte- und Straßenbau, der Fabrikwirtschaft, dem Handel und Bergbau, der Landwirtschaft, dem Handwerk, der ganzen pragmatischen "Wissenschaft" und der Schrift, jedoch auch die damit verbundenen Unsitten, also Kapitalismus, Sklaverei und Frauenunterdrückung. Die europäische Antike wehrt sich nur bedingt erfolgreich gegen den Orient. Insbesondere die Lage der Frauen verschlechtert sich entscheidend. Auch der politische Versuch, eine durchgehend "herr"schaftslose Gesellschaft zu schaffen, bleibt auf halbem Wege stecken. Aber sogar davon gibt es Ausnahmen. Diese als solche zu verstehen und zu eruieren haben allerdings selbst sogenannte moderne Forscher nicht immer mehr geschafft. Besonders das "Bild der Frau in Griechenland und Rom" unterliegt so schwerwiegenden Einseitigkeiten, daß die Philosophin und ihr Berufserfolg in der Wissenschaft in ihm meist ausgelassen sind.[9]

  1. Das Bild des Juristen von der griechischen Frau stellt zwar mit Recht fest, daß sie offiziell nur "res privata", also persönliches Eigentum des Mannes ist. Von Ausnahmen abgesehen besitzt sie keine eigene Rechtspersönlichkeit oder Eigentum. Sie wohnt auch als griechische Gattin abgeschlossen vom übrigen Haus in ihrer "Gynaikonitis", d. h. einer Art Harem, in der sie keine Gäste oder Ärzte empfangen darf.[10] Nur die weniger nahe am Orient lebende romische Ehefrau bewahrt sich ihre alte, indogermanische Freiheit, wie noch Penelope den Mann im Haus zu bewirten oder sich sogar auf der Straße und im Theater zu zeigen. - Fast kein Jurist nennt neben diesen Fakten aber auch die Hauptgründe ihrer Entstehung: das schon fixierte orientalisch- patriarchalische Recht, in dessen Geltungsbereich die Griechen einwandern, oder berücksichtigt die gegenläufige Frauenkultur in Sparta.
  2. Das Bild des Sittenforschers von der griechischen Frau registriert außer der Hausfrau zwar Schankwirtinnen, Händlerinnen oder Handwerkerinnen, wie natürlich Huren und Hetären, die sich in der Öffentlichkeit bewegen und bewähren. Seine Schilderung - man denke an einen Typus wie Ernst Bornemann, in seiner ursprünglichen Forschung - beschränkt sich damit aber auch auf dies Gebiet des "gemeinen", zudem erst im noch mehr Mischprodukte fördernden hellenistischen Zeitalter auftretenden Weibes der Straße. Im besten Fall wird daher noch deutlich, wie anthropologisch-wissenschaftlich neugierig und offen man in Griechenland über sexuelle Fragen, einschließlich sämtlicher Übergangserscheinungen zwischen Mann und Frau spricht. Erst dadurch erzielt man ja auch diejenige, im Mittelmeerraum vielfach bis heute herrschende Toleranz, die im christlichen Nordeuropa noch nicht wieder hergestellt ist. Es entsteht ein wirklich umfassendes Bild menschlichen, allzumenschlichen und menschenrechtlichen Sittenlebens, von dem die ganze spätere Kultur in Wort und Bild zehrt.[11] "Die" griechische Frau ist damit jedoch ebenfalls nicht exemplarisch dargestellt.
  3. Das Bild der Frau in der griechischen Literatur bringt z. B. sofort ganz andere Züge als die Juristerei und die Sittenforschung zutage. Interesse und Feder des Literaten lassen vor allem die griechische Frau wiedererstehen, der man hohe geistige, politische oder moralische Bedeutung überhaupt niemals abgesprochen hat. Denn sie, die Antigone, Elektra, Kassandra, Iphigenie, Medea oder wie sie auch heißen mag, verkörpert von vornherein, nicht nur als dramatische, sondern auch historische Gestalt wie von selbst mehr höchste Menschlichkeit als bloße Weiblichkeit. Von Homer mit seiner noch deutlich "freien" (eleuthera = der Leuteart der Griechen entsprechenden) Frau, über Aischylos, Sophokles und Euripides bis zur bei Aristophanes schon bewußt um ihre politischen Rechte kämpfenden "Suffragette" entsteht das Bild der griechischen Frau oder ihres "Chores" als Charakterfigur und großer Persönlichkeit, die den Mann oft weit überflügelt.
    Dagegen spricht auch nicht, daß sie, vermutlich weil ihr öffentliches Theater und der Schauspielerinnenberuf verboten sind, diese ihre dramatische Chronik nicht selbst aufzeichnet. Denn auf den schriftstellerischen und künstlerischen Gebieten, die ihr offenstehen oder die sie sich selbst eröffnet, leistet sie auch in der Literatur entsprechend allgemein Anerkanntes. Sappho erfindet die griechische Lyrik und inspiriert damit einen ganzen Kreis von 50-60 gleichgesinnten und -tätigen Dichterinnen. Eine Corinna steht auch bei der öffentlichen Preisvergabe nicht hinter dem männlichen Konkurrenten Pindar zurück. Ähnliches gilt für die gleich großen, bedeutenden Kreise der Bildhauerinnen und Malerinnen, die Griechenland hervorbringt.
  4. Die griechische Frau von der Matriarchatsforschung aus gesehen. Dazu kommt die bewußte oder unbewußte Umsetzung der vielen matriarchalischen Einflüsse aus der nichtgriechischen Subkultur. Schließt man die Frau vom eigenen Männerfest oder kult aus, so schafft sie sich entsprechende bedeutende Gegenkulte und Vereinigungen, die die Götterwelt wie das tägliche Leben mitgestalten. Die Bacchantinnenbewegung, die Frauenmysterien mit ihren großen Umzügen wie die eleusinischen Feste, zu deren Thesmophoria (zur Zeit der Aussaat: Demeter ist die Göttin der Fruchtbarkeit) nur Frauen zugelassen sind, sind Standardbeispiele dafür, weichen hohen kulturellen Rang sie erreichen. In mehreren griechischen Staaten gibt es auch noch entsprechende Machtpositionen von Herrscherinnen.[14]
  5. »Was Philosophen über Frauen denken.« Dieselbe Initiative und den gleichen praktischen Erfolg zeigen die griechischen Frauen von Anfang an jedoch auch auf dem speziell geistigen Gebiet der Philosophie. Nur muß man auch hier erst das Vorurteil wegräumen, das männliche Geschichtsschreibung, auch von Frauen zu unkritisch übernommen, auf diesem Gebiet vor der Wahrheit aufgehäuft hat.

Unleugbar gibt es zwar, von den noch mythischen Dichterdenkern wie Hesiod und Semonides von Amorgos (7. Jh. v. Chr.)[15] bis zum bewußten Sozialtheoretiker Aristoteles (384-322 v. Chr.) bzw. Cicero, im Rom des 1. Jhs. vor, und dem Stoiker Musonios Rufus (1. Jh. n. Chr.), auch viele ausgesprochen konservative, menschenrechtlich rückständige, uns heute noch von Kirche und Universität als alleinige "Klassiker" empfohlene Philosophen. Sie leugnen die Potenz der Frau auf diesem Gebiet vollständig oder verwehren sie ihr außerhäuslich. Sie erklären die Frau also entweder überhaupt für das größte Übel der Welt, wie kirchlich später die Sündenquelle, und sehen sie deshalb nicht als gleichbegabten und berechtigten Menschen an. Durch eigene, unübersehbar hervorragende Gattinnen oder Töchter nur teilgerührt, gestatten sie ihnen jedoch auch im Höchstfall bloß eine gewisse "heim"liche Gebildetheit und Meinungsäußerungsfreiheit im Käfig. Es wird nämlich das Weibliche, in philosophischer Fortsetzung des alten mythischen orientalischen Dualismus sogar im Prinzip als nur passiv empfangende, samenlose statt mitzeugende Mutter-Stoffheit (mater-ia), reine Natur ohne Kultur, Ir-Rationalität, Chaotik und Dumpfheit-Dummheit, mit höchstens Gefühlskulturmöglichkeit abgewertet. Der Mann allein verkörpert Ordnung, Licht, Logos, Form oder Idee.[17]
Neben dieser Richtung griechischer Philosophie, die erst durch ihre christliche Alleinbevorzugung als Platonismus, Aristotelismus und Stoizismus die im Abendland "herr"schende wird, entsteht in der Blütezeit humanistisch-demokratischer Politik und wissenschaftlicher Kritik in Griechenland aber schon die umgekehrte, voll aufgeklärte Einstellung, auch zur Frau. Sophisten und Sophistinnen als Frauenrechtlerinnen fordern seit 600-500 v. Chr. die Gleichberechtigung aller Klassen, einschließlich der Fremden und Sklaven, der Völker (Rassen) und Geschlechter. Eben sie prägen bereits den klassischen humanistischen Satz von der Gleichheit aller Menschen von Natur aus, der auch im Abendland, von der Renaissance wieder aufgenommen, von der englischen über die amerikanische, französische oder deutsche und russische Revolution von 1917/18 endlich zur entsprechenden UNOErklärung für die ganze Weltführt-wenn sie deshalb nach wie vor auch nicht verwirklicht ist, besonders für die Frauen.[18] Es sind weiterhin die frühen wie späteren Atomisten und Atomistinnen, die zur Grundlegung dieser Forderung auch naturwissenschaftlich nachweisen, daß die Frau gleiche genetische Bausteine für die Vererbung von allgemein menschlichen Anlagen liefert und gleiche Lustorgane wie der Mann besitzt. Aufgrund dieser Einsichten gelingt es ihnen zugleich, ihre Theorie über den politischen und rechtlichen Gesellschaftsvertrag der In-dividuen (= A-Tome) auf das Partnerschaftsverhältnis der Eheleute im Haus zu übertragen. Epikur mit seinen Kolleginnen "zerschlägt", wie es heißt, auch noch das, von Aristoteles wieder bestätigte, alte orientalische Familienpatriarchat des Mannes, das bis heute oft die politische "Herr"schaft überlebt.
Schon die sachlich-wissenschaftliche Geschlechterphilosophie und -forschung "der" Griechen, zieht man nicht nur ihre falschen Klassiker heran, ist in Wirklichkeit also viel besser als ihr gewöhnlicher Ruf. Allerdings ist die Kenntnisnahme von ihr im christlichen Abendland auch ständig bewußt, noch 1629 an der Pariser Sorbonne unter Androhung der Todesstrafe, verhindert und erschwert worden. Sophisten, Atomisten und Skeptiker wie ihre weiblichen Adeptinnen sind der idealistisch-platonischen, der materialistisch-aristotelischen und der stoisch-puritanischen Schule, der Kirche und Universität dauernd verdächtig. Sie werden auch in der "offiziellen" Philosophiegeschichte daher nur höchst einseitig dargestellt.[19]
Damit entfällt meist von vornherein auch der Blick und die Würdigung ihrer Bedeutung für die Qualifizierung der Frauenbewegung aller Zeiten durch sie und ihre weiblichen Vorbilder. Mit ihren bewußten und wissenschaftlich gesicherten menschenrechtlichen Ansprüchen in der Hand, ist auch die Frau selbst nämlich nicht mehr nur bloß aufbegehrende Mitläuferin ähnlicher männlicher Not- und Protestaufstände gegen totalitäre "Herr"schaft, wie schon beim Sturz des alten ägyptischen Reichs ca. 2400 v. Chr. 20 Sie dringt vielmehr, von der Vorsokratikerin Thargelia (ca. 550 v. Chr.) bis zur Sophistin Aspasia, bewußt auf bessere allgemeine Bildung der Mädchen und eigene Philosophinnenberufsausübung. Sie probt am Ende der demokratischen Epoche um 400 v. Chr. bereits den speziellen politisch sexistischen Aufstand, um die ganze gesellschaftliche Macht wieder an sich zu reißen. Wie heute oder in Moliéres "Précieuses ridicules" macht sich der konservative Stückeschreiber, wie Aristophanes, über solche "Lysistratastrategien" von sogenannten "Emanzen" auch damals natürlich nur lustig. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott des Inhumanen nie zu sorgen. Der Gedanke von Menschenrechten für Frauen, wie diese antiken Leitfiguren von Corinna bis zu Hypatia, bleiben trotzdem durch die ganze Geschichte hindurch bis zur französischen Revolution und der neuen Frauenbewegung des 19. Jhs. in England wirksam: ein immer neuer Ansporn zur Beseitigung des Unrechts an dieser Hälfte der Menschheit, in der Mannheit-Hochkultur seit 3000 v. Chr.

C. Der spezielle geistige Großerfolg der antiken Frau im
Philosophinnen- und Wissenschaftlerinnenberuf

Erst auf diesem Hintergrund einer "politischen", d. h. die ganze Polisgemeinschaft durchsetzenden Frauenbewegung von vielerlei Art ist damit aber auch erklärt, warum es nun, von vornherein, auch Philosophinnen gelingt, sich in allen entstehenden Sparten solcher griechischen Wissenschaft wie ihrem ganz neuen Stand und Standesbewußtsein sofort mit zu etablieren.

  1. Die Quellenlage bezüglich der griechischen Philosophin
    Zunächst ist dabei zwar noch ein Wort über die Quellenlage, ihre Verschüttung in der männlich be"herr"schten Philosophiegeschichte und in der Vereinseitigung der neuzeitlichen Philosophieauffassung zu sagen.
    Erstens ist gegenüber der noch heutigen, insbesondere deutschen, meist sehr verstiegenen Auffassung von Philosophie als bloßer Metaphysik oder reiner idealistischer bzw. materialistischer Ideologie und Utopie festzuhalten, daß sie von der Antike bis 1800, ehe die Einzelwissenschaften natur- und geisteswissenschaftlicher Art sich - unfruchtbarer und sinnloser Weise - von ihr und voneinander sowie als theoretische und praktisch-technische, mit Ausnahme der Ethik, trennen, diese ganze menschliche Wissenschaft und Anwendungsweisheit mit produziert und umfaßt. Man darf den Philosophinnenberuf der Antike also nicht so eng verstehen, wie den derzeitigen und natürlich auch nicht so rein universitär und beamtenhaft-staatsbezahlt.
    Weiterhin muß man wissen, mit weich schweren Handikaps auch die Philosophiegeschichtsschreibung von vornherein belastet ist. Die allgemeine, wissenschaftlich werdende "Historia( der Griechen kann ebenfalls anfangs noch keine Philosophiegeschichtsschreibung enthalten. Das Ereignis "Wissenschaftsentstehung" und Wissenschaftlerberuf stellt sich ja erst im Laufe der griechischen Geschichte selbst ein. Wer diese beiden, im Grunde erst mit Aristoteles, nach 200 Jahren ihrer bloßen Aktualität, beschreibt, erfaßt sie also nur in einer Sondergeschichte. Diese Philosophiegeschichte wird von diesem ihrem ersten konservativen Autor aber von vornherein schon erheblich vereinseitigt und, weil sie später als klassisch gilt, Ahnherrin immer weiterer solcher Verfälschungen. Sie vernachlässigt also bis heute alle ihr konträre aufklärerische, insbesondere also sophistisch-atomistische, demokratisch-menschenrechtliche wie naturwissenschaftlich-kritische Philosophie und in ihr selbstverständlich auch die der entsprechenden Frauenbewegung.[27]
    Dabei haben wir andererseits unbezweifelte Nachrichten darüber, daß schon die Antike, wenn auch wieder nur speziell, von diesen Philosophinnen Kenntnis nahm. Sie erregt also nicht nur aktuelles öffentliches Aufsehen, sondern es gibt bereits "journalistisch" geschwinde wie echt historische Monographien über sie und ihre Leistung. Schon Cicero beklagt sich da, daß man "dickleibige Bände" über die berühmte Epikureerin Themista, statt über männliche Größen schreibe. Aber auch am Ende der Antike sind noch die verschiedensten zusammenfassenden oder einzelnen ausführlichen Berichte über Philosophinnen festzustellen. Gleiche, interessierte, schon um christliche Denkerinnen bereicherte, wenn auch immer noch der Übersetzung ins Deutsche und einer präzis-kritischen Auswertung harrende Philosophinnengeschichten liegen erneut aus der Zeit nach der Renaissance vor. Denn auch in ihr zeigt sich wieder ein spektakuläres Phänomen weiblicher Geistigkeit. Im Zuge der neuen erfolgreichen Frauenbewegung des 19. Jhs. erweitert sich diese historischmonographische Sicht noch einmal zum vollen Überblick und zieht ihre Leistung in allen Fachwissenschaften von 1500-1900 in das Repertoire mit ein.
    Gleichzeitig folgt die universitätsoffizielle Philosophiegeschichtsschreibung in den letzten zwei Jahrhunderten jedoch weiterhin nur dem frauenfeindlichen oder -gleichgültigen Muster ihres Ahnherrn Aristoteles. Sie wird zudem in der ohnedies "verspäteten Nation" Deutschland geschrieben. »Wie viele Frauen sich schon mit Wissenschaft und Philosophie beschäftigt haben«, bleibt in dieser "großen" Philosophiegeschichte also nach wie vor fast unbekannt. Selbst Speziallexika altphilologischer Art, wie der Pauly-Wissowa, erreichen damit weder schon den Stand der Kenntnis, die man, bei gleich fleißiger Arbeit am Thema wie beim Mann, davon haben könnte, noch überwinden sie das Standardvorurteil patriarchalischer, christlicher oder speziell aristotelischer Art, das es in Ansatz und Ausdeutung umhüllt. Ritters neuestes "Historisches Wörterbuch der Philosophie" kennt das Stichwort "Frau" oder "Philosopha" überhaupt nicht mehr. Kein Wunder, daß auch die allgemeine Geschichte, von ihrem jeweiligen "Ploetz( bis zu ihrem "Mommsen" nur noch von ihrem Anfang (Aspasia) und ihrem Ende (Hypatia) berichtet.[22]
  2. Die speziell-philosophische Bildungschance und der äußere Erfolg der Frau als Philosophin
    Mit der geschilderten Quellenlage muß selbstverständlich auch meine jetzige, kurze Übersicht über den äußeren und den sachlichen Berufserfolg der antiken Philosophin eine erst vorläufige sein: Anregung zu weiterer, vertiefter Nachforschung. Jedoch dürfte folgendes schon heute feststehen.
    Die öffentliche, vom Orient übernommene, wenn auch vielfach demokratisierte Grundschule für Mädchen kommt nur dort voran, wo sich aufgeklärte Philosophen und Philosophinnen von Kleobulos und Thargelia bis zu Aspasia darum kümmern. Einen eigentlichen entsprechenden wissenschaftlichen und polytechnischen Aufbau-Kurs, in allen neuen natur- und geisteswissenschaftlichen Sparten, können ohnedies erst die privaten, oft ausländischen sophistischen Wanderlehrer ohne Polis-Beamten-Status und damit gegen Bezahlung, so wie sie das anglo-amerikanische System noch heute kennzeichnen, einrichten. Auch wo sich diese Fremden, z. B. der Macedonier Aristoteles oder der Cyprer Chrysipp, in öffentliche Institutionen, wie Lyceum und Stoa, einfädeln, werden Frauen diese kaum besucht haben können.[23]
    Weibliche Ausbildungs- und Werkstätte der Antike bleibt also das Haus, in dem jedoch auch noch die meiste fortschrittliche Wissenschaft und Experimentierkunst Platz hat. Bereits die sechs Töchter des berühmten Arztes Äskulap werden also vermutlich nur durch die Lehre und private Schulstätte des Vaters zu den berühmten "artifices medici", die Homer in der Ilias (7. Jh.) preist. Das gilt auch für die folgenden großen Ärztinnen in historischer Zeit. Daß sie derart bemerkenswerte Leistungen erbringen, beweisen viele öffentliche Statuen, die ihnen Städte dafür aufrichten. Aus ihrer athenischen Geschichte erfahren wir zudem noch Spezielleres über ihren Kampf gegen konservativere Kräfte, die ihnen ihre praktisch schon errungene Stellung wieder streitig machen wollen. Nachdem man ein gesetzliches Berufsverbot für sie ausgesprochen hat, muß man bestürzt bemerken, daß damit auch alle Frauenmedizin überhaupt wieder aufhört. Der männliche Arzt darf das Ha remsgemach der Ehefrau ja nicht betreten. Man hebt das Verbot demnach wieder auf. Oft ist mit solchen Beschränkungen aber auch eine Verweisung der medizinischen Philosophin nur auf die Gynäkologie verbunden. Umso mehr häufen sich damit jedoch ihre Entdeckungen und Schriften auf diesem Gebiet.[24]
    Ebenso lernen wie lehren sämtliche Pythagoreerinnen, "Pythagoras" Lehrerin (Themistokleia), seine Frau Theano, andere ihre Mathematik seit 600 v. Chr. vor allem in der "häuslichen" Gemeinde und Sekte und erringen hier ihre Anerkennung. Ähnliches gilt auch für die naturwissenschaftlichtechnisch experimentell begabten und interessierten Philosophinnen wie Philosophen. Es ist der Handwerks- u. ä. Betrieb, der die neue wissenschaftliche Begründung und Anwendung mitproduziert und enthält, übrigens bis zur Renaissance. Erst in der kirchlich-staatlichen Universität Nordeuropas, mit ihrem platonisch-klösterlichen Ursprung, entfernt sich der "Campus" ganz aus der Stadt und ihrem persönlichen wie politisch-wirtschaftlichen Leben. Noch in Rom lernt der Jurist und Anwalt (Rhetor) auf dem Markt selbst. Schon Logographinnen wie Aspasia oder Rhetorinnen wie Hortensia werden jedoch nur im häuslichen Wissenschaftsbetrieb von bekannten Philosophen oder ihrem Vater gelernt haben. Es sitzt noch Sokrates zu Füßen der Aspasia, da die Sophisten ebenfalls im Privathaus lehren.[25] Zwischengebilde zwischen öffentlicher Grundschule mit der erst späteren sophistisch-philosophischen Collegestufe (Trivium, Quadrivium) und der haus- bzw. betriebsgebunden bleibenden Wissenschaft stellen die seit 400 v. Chr., im Hellenismus, entstehenden, speziell ideologisch-theoretisch ausgerichteten Philosophenschulen dar. Sie betreiben, als Polisbürger, in Platons "Akademie" oder Epikurs "Garten", ihre Forschung und Lehre auf größeren Privatgrundstücken. Im Gegensatz zur "öffentlichen" aristotelischen und stoischen Schule haben hier später auch "Schülerinnen" Zutritt.
    Im Hellenismus solcher Schulphilosophie treten sie, fertig ausgebildet, damit jedoch auch ganz unhausfraulich beruflich selbständig auf. Sie kennzeichnen sich, wie der Mann, dadurch, daß sie die jeweils verschiedene Tracht ihrer "Fakultät", d. h. den Philosophenmantel - im "Ornat" später christianisiert - tragen.[26] Hypatia, am Ende der Antike, um 400 n. Chr., finden wir sogar als sozusagen "Rektorin" einer ganzen "Universität" von ca. hundert, dem berühmten Museion in Alexandrien attachierten Gelehrten. Sie liest also in einem "Wissenschaftszentrum", wie es sich noch Bacon neuzeitlich als Utopie vorstellen muß. Allerdings hat auch sie zunächst wieder nur von ihrem Vater gelernt, ehe sie ihn und seine Philosophie in den Schatten stellt. Mit derartigen Positionen erlangt diese hellenistische Gelehrte zugleich ihren alten bedeutenden politischen Einfluß zurück, der nur in der aristotelischen Geschichtsschreibung für Philosoph wie Philosophin, von den Vorsokratikerinnen an, unexakt ausgelassen oder kleingeschrieben wird. Angesichts dieses ihres Anspruchs auf Gleichberechtigung rächt sich männliche Machtpolitik an ihr damit jedoch auch auf geschlechtsspezifisch besonders grausame Weise.
    Mit solchem Erfolg in allen wissenschaftlich-philosophischen Disziplinen läßt endlich sogar die Quantität der uns heute noch, wenigstens dem Namen nach bekannten Philosophinnen nichts zu wünschen übrig. Man zählt natürlich nur wenige Platonikerinnen (Potone, die Schwester Platons, und Axiothea, als Renommierschülerin, jedoch 30 schwärmerische Neuplatonikerinnen, aber auch 13 kritisch bleibende "Akademikerinnen", 6 Logik- und Dialektik-Beflissene Megarikerinnen, bloß eine Kynikerin und Kyrenaikerin, allerdings wieder sieben Epikureerinnen (Natur-und Kulturwissenschaft mit Entwicklungslehre der Menschheit) und ca. 40 pythagoreische Mathematikerinnen, neben vielen Medizinerinnen, späteren Gnostikerinnen[27] etc. In tausend Jahren Antike also fast mehr als im letzten Jahrhundert.
  3. Die objektive philosophisch -wissenschaftliche Leistung der Frau in der Antike
    Schwieriger als der Nachweis, daß die Frau den neuen speziellen Intelligenzler-Beruf von Anfang an emanzipatorisch miterobert und mit Erfolg ausfüllt, wird die Beurteilung ihrer objektiven Leistung in ihm, obwohl sie schließlich auch nicht ohne Grund so gefeiert worden sein kann.
    An ihrer praktisch medizinischen Befähigung, besonders in der Gynäkologie, auf die man sie sogar zwangsweise verweist, wie ihren entsprechenden theoretischen Schriften besteht in dieser Hinsicht zwar kaum ein Zweifel. Ebensolche, wenn auch zahlenmäßig nicht so umfassende Belege haben wir, damals, bis zu Hypatia, die auch nicht nur neuplatonische Idealistin ist, wie später, seit der Renaissance, über ihre naturwissenschaftlich-technischen Erfindungen und Entdeckungen sowie ihre ausgezeichneten mathematischen Kenntnisse. Die Geister der, bisher allerdings meist nur männlichen Interpreten scheiden sich erst erheblich, wenn es um das geht, was Moderne unter "großer Philosophie" verstehen, also Metaphysik und den Entwurf (angeblich) bedeutender Systeme nach aristotelisch-platonischem Muster. Ob solcher Idealismus oder Materialismus, als "Ismus" und Ideologie, die Quintessenz von Philosophie darstellt, bleibt allerdings selbst fraglich. Die "klassischen" aufklärerischen Philosophen, wie die Sophisten und Atomisten, mit ihrer kritischen Erkenntnis- und Hypothesenlehre lehnen solche Spekulationen, im alten Noch-Mythos oder dem Neu-Mythos der Utopie, als für den Menschen verwirrend wie unnötige Umwege und Opfer kostend ab. Alle natur- und anthropologische Forschung soll zum Nutzen aller auf unkontroilierte, schwärmerische Hypothesen, wenn auch nicht auf diese selbst, verzichten. Große, einseitige Systeme, wie der dualistische Idealismus und Materialismus oder ein absoluter Skeptizismus sind für sie kein Kriterium verantwortlich denkender Philosophie und sein Genie.[28]
    Zum andern ist die Frage, ob auch Philosophinnen in der Antike solche angeblich großen Systeme erdacht haben, heute noch gar nicht entscheidbar. Da ihre Werke verloren gegangen sind, ist die Quellenlage im ganzen katastrophal. Wo wenigstens Bruchstücke und Einzelsentenzen aus ihnen übrig bleiben, hat man ihnen bisher nicht die gleiche Aufmerksamkeit gewidmet und sie mit derselben Akribie in einen möglichen Kontext zu bringen gesucht, wie es bei ähnlichen Fragmenten von Männerphilosophie üblich ist. Weil es sich nur um Frauengedanken handelt, werden sie oft nicht einmal als solche Ernst genommen, es sei denn, auch ein Mann habe sie schon gelobt. Über Sokrates, der kein Wort hinterlassen hat, schreibt man also tausend Sekundärdialoge. Über seine Lehrerin Aspasia meist nur Persönliches, oft bloß in Form der Häme. Was die Philosophin Arete in der kyrenaischen Schule selbst geleistet hat, wird nicht berichtet. Es scheint, als ob sie nichts täte, als die Lehre des Vaters an den Enkel weiterzugeben. Ebensowenig wird über die Mathematik der Pythagoreerinnen etwas gesagt. Nur ihre Tugend ist dem männlichen Betrachter wichtig. Wo handfeste Erfindungen vorliegen und nicht geleugnet werden können, wie später bei Marie Curie oder Lisa Meitner, werden sie wenigstens zwar noch direkt gewürdigt. Ihre allgemeine philosophische Leistung kommt in den Berichten der Zeitgenossen oder Historiker aber kaum zum Zuge. Dabei wissen wir auch von ihr, daß, obwohl die meisten Philosophen, bis heute, immer wieder nur die Lehre ihrer Schule vertreten, diese Frauen es jedenfalls häufig in als glänzend anerkannter Weise taten. Diesen Rang darf man daher auch bei der Niederlegung ihrer Gedanken in ihren Büchern vermuten. Jedoch sind noch nicht einmal deren Titel für solche Beweise ausgewertet worden. [29]
  4. Was Philosophinnen der Antike über Frauen denken
    Selbstverständlich machen sich antike Philosophinnen im Rahmen ihrer wissenschaftlichen und praktischen Erkenntnis wie Lehre auch schon eigene Gedanken über die Stellung der Frau in Haus, Beruf und Gesellschaft. Bereits damals bilden sich dabei, wie heute, jedoch verschiedene Parteistandpunkte aus.
    Die Pythagoreerin z. B. schließt sich, trotz ihrer ausgezeichneten mathematisch-geistigen Leistungen, ganz dem konservativen Ideal des Gründers dieser asketisch-kommunistischen Sekte an. »Fleißig die Spindel drehend und meines Ehebettes wartend«, wie die christliche Hausfrau später und die orientalische vor ihr, begnügt sie sich wieder mit der überkommenen Heim-Woll-Industrie und der Unterordnung unter die patriarchalische Munt. Möglich ist allerdings auch, daß solche Zeugnisse gefälscht wurden.
    Umgekehrt strebt die protestierisch-kommunistische Apo- Frau der kyrenaischen oder kynischen Philosophensekte nach ganz freier Liebe und radikalem Umsturz aller herrschenden Sitten. (Angeblich) den Hunden gleich, wie es der Kyniker-Spitzname nahelegt, versucht sie sich im öffentlich zur Schau gestellten Sex oder verläßt, wie es schon Euripides beschreibt, als moderne Emanze zumindest vehement das Haus: »hinter sich Webstuhl samt Schiffchen« lassend, »trägt sie den (Philosophen-) Mantel«. Sie verzichtet, wie Hipparchia, mit ihrem Mann, auf bürgerliche Wohnung und Vermögen, kleidet sich nach Proletarier-Sklaven-Look (mit der entblößten Schulter), wohnt und arbeitet im Sozialwesen unter den Randgruppen der ausufernden städtischen Gesellschaft, also ihren schon im Orient gebildeten Slums.[30]
    Großen Zulauf haben natürlich auch die Frauenvereine und -mysterien, die sich einem reinen Mystizismus der Weiblichkeit und Mütterlichkeit hingeben, damit autonom außerhalb der Männerwelt bleiben, oder die späteren Gnostikerinnen. Zwischen solchen Extremen bewegt sich nur die Epikureerin weiter auf dem nüchterneren Pfad naturwissenschaftlich exakter Geschlechterforschung und der menschenrechtlich ethischen wie politischen Schlußfolgerung aus ihr. Mit ihrem männlichen Partner kämpft sie, gegen Aristoteles und Platon, um die Durchsetzung der theoretischen Lehre von der Gleichbeteiligung der Frau an der Vererbung von menschlichen Eigenschaften, als geistiger wie im Lustorganbesitz. Auf dieser Kenntnis fußend fordert sie, wie alle ihr folgenden Denker und Denkerinnen dieser Richtung, z. B. John Milton, John Locke, und die berühmten Ehepaare des 19. Jhs. Wollstonecraft-Godwin, Wheeler-Thompson und Taylor-Mill, wie in der großen Politik die Aufhebung der absolutistischen Herrschaft durch den Gesellschaftsvertrag der Individuen untereinander, auch im Haus den Ehe-Vertrag zwischen gleichberechtigten Partnern. Nur ist später die naturwissenschaftliche Begründung dieser Anwendungen wieder vergessen. Die idealistische Forderung klingt hohl. Die Bejahung von Körper und Geist verliert sich. Selbstverständlich wird von diesen Epikureerinnen im christlich-konservativen "wissenschaftlichen" Lexikon der Neuzeit vorzugsweise lediglich Abgünstiges und persönlich Moralisches berichtet.[31]
    Die Platonikerin wiederum hat schon durch die zweideutige Lehre ihres eigenen Meisters große Schwierigkeiten, den rechten Platz im Leben zu finden. Trotz ihrer mutigen Übernahme seiner frühen, noch sophistischen (oder spartanischen) Gleichberechtigungsforderung bleibt sie notwendig in seinen späteren Widersprüchen, der Ober-Ver-Ehrung einer Diotima und der fast vollen Abwertung als faschistische Rassenzucht (Politeia, Gesetze) oder aristotelisch-dualistische Materie-Mutter (Timaios) stecken. Als "die" Philosophin schwingt sie sich also zwar in höchste idealistische Höhen. Als Frau jedoch weiß sie noch in der Renaissance oft nicht, ob sie ihre Schönheit auf dem öffentlichen Katheder nicht doch hinter einem orientalischen Schleier verbergen soll, bzw., wie Hypatia meint, überhaupt jungfräulich bleiben muß. Sie ergibt sich also ebenfalls leicht der alt-neuen christlichen Doppelmoral: Askese für die Frau, ihre Prostitution für den Mann.[32]

D. Die dunklen Jahrhunderte für die Frau des christlichen Mittelalters
und die Wiedergeburt ihrer antiken Universitätsrechte in der Renaissance

Mit der Vernichtung aller privaten "öffentlichen", philosophisch-aufklärerischen Schul-und Ausbildung am Ende der Antike löst sich das Frauenproblem selbstverständlich zunächst von allein. Symbolisch dafür steht die Schändung und Ermordung der letzten großen Philosophin Hypatia, in einer Kirche, durch einen bischöflich initiierten christlichen Männer-Mob. Mitsamt dem übrigen außerreligiösen geistigen Leben zieht sich auch die Frau ins Kloster zurück, um dort, als solche nochmals beschränkt, nur noch selten Gelegenheit zur Entwicklung ihrer wissenschaftlichen Begabungen zu erhalten. Daß sie trotzdem noch eindrucksvolle sachliche wie persönliche Leistungen erbringt, ist heute bekannt. Grundsätzlich und in der Öffentlichkeit darf sie sie aber nur noch unter dem Deckmantel der Märtyrerin oder Heiligen vorweisen. Sonst verfügt sie bloß über die Macht dazu, die sie, insbesondere als Adlige, mit ins Kloster bringt, oder außerhalb, im arabischen Minnewesen, verwirklichen kann.[33] Von ihrer Stellung als Stadtbürgerin und Handwerkerin von Graden sehen wir hier ab.
Jedoch endet das philosophische Exil der Frau im Mittelalter auch viel früher und grundlegender, als heute noch bekannt ist. Schon im Italien des 10.-11. Jh. entsteht, mit dem Anbruch der Renaissance der Antike, d. h. ihrer europäischen Wiedergeburt, die auch nicht nur eine platonische ist, wie man uns immer wieder weiß machen möchte, sondern in ihren besten, kritischen, radikaldemokratisch menschenrechtlichen Teilen stets eine sophistisch epikureische bleibt, ein weiteres Frauenstudium. Es gibt wieder öffentliche Lehrstühle für Frauen an den neuen Universitäten. Die "Schule der Salerner Frauen" macht sich "als weiseste in aller Welt" bekannt. Sie bildet sogar schon für Nordeuropa, das seine Hochschulen, weil sie fest in Kirchen- und Staatshand bleiben, bis ins 20. Jh. Wissenschaftlerinnen nicht mehr öffnet, die nötigen Medizinerinnen aus. Neben Lehrstühlen solcher Art, darunter auch für Chirurgie und Obstetrie, gibt es an den süd- und später norditalienischen Universitäten außerdem Professorinnen für Altphilologie, Naturwissenschaft, Mathematik oder Astronomie - selbstverständlich immer noch mit Philosophie verbunden.[34] Kurz, italienische Töchter können schon längst wieder studieren, als, wie eine nach Heidelberg berufen werden sollende Altphilologin feststellt, die deutsche Professorenfrau und ihr Töchterlein weiter bloß mit Stricken - der alten Wollindustrie - und Kochen beschäftigt sind.[35] Heute sind selbst sie zwar schon zum Maschineschreiben für den Mann und die Anfertigung seiner Register avanciert. Jedoch ist Schreiben, seit seiner Erfindung im alten Orient, auch nur Sklavenarbeit. Selbst die Rittersfrau, die es lernt, übt damit allein zunächst noch keinen "freien" Beruf aus. Sie ersetzt höchstens den Nachfahren der Unfreien, den Mönch. Der freie Mann führt das Schwert, nicht die Feder. Er kommandiert, sie stenographiert.
Wie schon gesagt, gibt es in Nordeuropa für die Frau damit auch kaum eine Hochschulzugangsrenaissance mehr, wie im Italien bis 1800. Gerechterweise muß man allerdings hinzufügen, daß der kritische "große Philosoph", der nicht weiter der allein zugelassenen platonisch-aristotelisch-christlichen Lehre ergeben ist, in dieser Neuzeit dort ebenfalls selten Universitätsphilosoph ist und werden kann. Für seine naturwissenschaftlich-erfinderisch-technischen Entdeckungen oder politisch-menschenrechtlichen (sophistisch-atomistisch inspirierten) Revolutionen muß er sich seine "Akademien" selbst gründen oder er lebt, von 1500-1800 n. Chr., wiederum auf eigene Kosten und Gefahr, ohne Beamtenstatus, zur Not von Linsenschleiferei.[36]. Entsprechend diesem Männerlos schaffen sich auch Frauen nur noch private Emanzipationszirkel. Gleichwohl zeichnen sich auch diese Salons, vom Temple bis zur französischen Revolte, in England vor allem in der Revolutionszeit von 1640-1660, durch hohe Geistigkeit und Brillanz aus und sind politisch nicht uneffizient. Noch die Frauenbewegung des 19. Jhs. steht auf ihren Schultern und denen ihrer objektiven Leistung. Die erste englische Übersetzung von Lukrez, »Die Natur aller Dinge«, mit seiner frauenemanzipatorischen Lehre, stammt von Lucy Hutchinson um 1650. Naturwissenschaftlerinnen allerart, von Galileis Tochter Celeste oder Sophia, der Schwester Tycho Brahes, bis zu Caroline Herrschel oder der Mathematikerin Marie Gaetana Agnesi können sich, nach dem Urteil der Zeitgenossen, längst wieder gleichberechtigt neben den Leistungen eines Euler oder Laplace sehen lassen.[37] Nur gehen auch ihre neuzeitlichen Errungenschaften nicht in die männliche Philosophie- oder Wissenschaftsgeschichte ein.

E. Das zweite Mittelalter der Frau: ihre »endgültige« Wiederverbannung
ins Haus und Heim durch den lutherisch-calvinistischen »Puritanismus«

Machte die Renaissance demnach noch große, teilweise höchst erfolgreiche Anstrengungen, der Philosophin ihre in der Antike errungene Berufsstellung wiederzuverschaffen, so fällt mit der lutherisch-kalvinistischen Reformation noch einmal ein so starker christlicher Reif darauf, daß alle Bemühung schließlich umsonst gewesen zu sein scheint. Das nunmehr von allen Volksschichten gelesene »Neue Testament« belebt die alte, orientalisierende, israelisch-patriarchalische, und die speziell paulinisch-frauenasketische Haltung der Kirche und Bevölkerung noch einmal mit voller religiöser Macht und Inbrunst. Es sorgt außerdem für die durchgehende Verinnerlichung dieser inhumanen Moral, vor allem bei der Frau selber. Jenseits aller Ansprüche auf eigene geistige Persönlichkeitsentfaltung angelangt, fühlt sie sich jetzt "endgültig" nur noch als Helferin, Dienerin, Sorgerin für andere wie politisch stumm Gemachte an dem für sie angeblich richtigen Platz. Selbst ihre Stellung als Wissenschaftlerin wird folglich vor ihrem eigenen, ihr nun anerzogenen Gewissen untragbar. Die Agnesi verzichtet mitten in einer steilen Karriere "freiwillig" auf jede weitere geistige Tätigkeit, um sich allein noch christlicher "Pietas" zu widmen. Ähnliches gilt für Lucy Hutchinson nach der englischen Restauration. Tycho Brahes Schwester wie Caroline Herrschel entsagen ebenfalls der begonnenen eigenen erfolgreichen Forschung. Sie schreiben ihre Entdeckungen dem männlichen Partner zu - der das, schamlos genug, auch bedenkenlos annimmt - und widmen sich schließlich überhaupt nur noch seiner persönlichen Bedienung oder der Vergoldung seines Nachruhms. Sie beanspruchen demnach selbst bloß die hilfs-wissenschaftliche Stellung, die das 20. Jh. im MTA-Beruf der Frau so inhuman-logisch weiter instituiert.[38]
Die unterste Stufe der in der Antike mit hohen Ansprüchen und Erfolgen begonnenen Karriere der Philosophin ist erreicht. Man muß wieder einmal von vorn beginnen: die, angeblich "erste" Habilitation von speziell Philosophinnen in Deutschland wird "historisch" erst nach 1945 angesetzt.

Schluß.

Kann die Philosophin aus ihrer Geschichte etwas lernen? Ja, sie kann, wenn sie will, die Mühe nicht scheut, diese Geschichte gründlich aufzudecken, sowie in bessere Zukunftsverhaltensweisen umzuwandeln. Sie lernt z. B. folgendes:

  1. Die Frau ist, bedingt durch ihre zwischenzeitliche Mutterschaftsleistung und Hingabe an sie oder eine entsprechende Ideologie der Kultur persönlich wie historisch-epochenmäßig immer wieder in der Gefahr, darüber ihre sonstige persönliche Ausbildung zu vernachlässigen. Auch als Philosophin-Wissenschaftlerin fängt sie in der Geschichte damit oft erneut ab ovo an. Sie muß daher Institutionen schaffen, die ihr Menschenrecht auf entsprechende geistige Entfaltung überindividuell sichern.
  2. Auch ihre sachliche, philosophisch-geistige Leistung muß durch ihre Einbringung in die bisher von Männern geschriebene Geschichte, Wissenschaft und Lehre stärker bekannt gemacht werden. Es muß für die Antike z. B. heißen: Philosophen und Philosophinnen. Jedes Schulmädchen muß erfahren, daß schon die Pythagoreerinnen gute Mathematikerinnen waren oder Sokrates gerade seine politische Redekunst von Aspasia lernt.
  3. Im Philosophinnenberuf selbst muß die Frau verstärkt "gewerkschaftlich"-solidarisch denken und handeln. Menschenrechte im Verein zu fordern und durchzusetzen, selbst vor Gericht, ist keine Schande, sondern Verfassungsethik der Demokratie.[40]
  4. In ihrer wissenschaftlichen Betrachtung muß die Frau, schärfer und besser als der Mann bisher, die allgemein-menschliche Philosophie und Geistigkeit, die geschlechtsspezifische und bloße solche Vorurteile auseinanderhalten. Erst dann kann es allmählich gelingen, die genauen Grenzen, Ausmaße und Verhältnisse aller drei abzustecken, also auch der rein weiblichen Philosophie - wie der rein männlichen - einen Platz zu verschaffen, selbst wenn er, wie wir bereits wissen, nur klein sein kann.
  5. Die ausschließliche Hingabe an die uns zustehende weibliche Philosophie birgt immer die Gefahr, daß der Mann der Frau die allgemein-menschliche überhaupt abspricht und sie allein für sich beansprucht. Die Geistigkeit der Frau verarmt oder wird unterdrückt. Sie darf sie sich nicht nehmen lassen oder selbst verscherzen.