I.
Der im 19. Jahrhundert interpretierte und seither hundertfach wiederholte Hauptwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit, zwischen privater Aneignung und gesellschaftlicher Produktion war vielleicht bis in unsere Epoche gültig. Es war möglich, die Geschichte zu sehen als eine, die von Klassenkämpfen vorangetrieben wird. Jedoch scheint diese Interpretation der Änderung zu bedürfen, sie trifft nicht mehr das geschichtliche Gefüge, weder im Abendland, noch in anderen Industrienationen.
Der Hauptwiderspruch ist ein andrer geworden oder vielmehr hat er sich zerlegt in diverse Widerspruchszentren, die mehr und mehr ihre zerstörerische Kraft beweisen. Eines dieser entscheidenden Zentren ist der Widerspruch zwischen Technik und Natur: Die ehemals berechtigte Benutzung von Natur hat sich aufgrund der gesteigerten technischen Möglichkeiten zur Ausnutzung und dann negativ zur Ausbeutung potenziert. Ausbeutung wird als ein gesellschaftlich-geschichtliches Verhältnis nicht mehr nur zwischen Menschen wahrgenommen, sondern eben als ein solches auch zwischen Mensch und Natur. Lassen Sie mich an eine Autorität der Philosophiegeschichte anknüpfen: an Friedrich Wilhelm Schelling. Seinem subjektiven ldealismus sind wir zwar entwachsen, aber sein Aufbegehren gegen die Ausnutzungstheorien, die Unterwerfungstheorien inbezug auf Natur ist aktuell geblieben, ja es ist dringender denn je geworden. Schelling schreibt im Zuge seiner Fichte-Kritik- und seine Kritik kann stellvertretend für die Naturphilosophie der Romantik gelesen werden - daß im Fichteschen System das ganze Dasein der Natur »auf den Zweck ihrer Bearbeitung und Bewirtschaftung durch den Menschen« hinausläuft. »Die Naturkräfte« - so heißt es weiter »sind nach derselben nur da, um menschlichen Zwecken unterworfen zu werden. Diese Unterwerfung wird das einemal ausgedrückt als eine allmähliche Aufhebung und Vernichtung der (also doch wirklichen) Natur durch den Menschen, - das anderemal als eine Belebung der Natur durch das Vernunftleben. Als wäre nichtjede Unterwerfung unter menschliche Zwecke eine Tötung des Lebendigen...« (F. W. Schelling, Werke, Ausg. Manfred Schröter, Bd. VI 1, S. 110)
Genau um diese Tötung des Lebendigen durch Unterwerfung geht es mir heute, denn mit der Zunahme der Technik ist beim derzeitigen Entwicklungsniveau eine Abnahme an Natur programmiert (innen und außen), ein Vernichten des Lebendigen durch Festhalten an mechanistisch geteilten Kontrahenten: Vernünftigem und Natürlichem oder: Geist und Natur. Technik als Mittel der Unterwerfung ist zwar nach der Seite der Intelligenz bis zu gloriosen Höhepunkten freiheitlich entfaltet worden, hat aber nach der Seite der Natur (wiederum innermenschliche Natur inbegriffen) den Repressionsanteil gesteigert; widersprüchlicherweise unausmeßbar, unerrechenbar gesteigert! So wurde die Macht der Technik, die in sich wertindifferent ist, zur negativ wirkenden Gewalt.
Die neuen Konflikte, die diesen Zentralwiderspruch markieren, heißen z. B. Straße/Wald, Flughafen/Erholungslandschaft, Großindustrie/Gewässer, Wohnhäuser/Parks, Fabriken/Felder, Motorenlärm/Naturstille, denkerische Zweckrationalität/Gefühl, Leistungsausstoß/Meditation. Und eben solchen Konflikten gegenüber treten die überkommenen Unterschiede und Widersprüche zwischen den Klassen zurück bzw. werden je nach industrieller Entwicklungsstufe überlagert.
II.
In dem neuen Widerstreit nun, so behaupte ich, werden die Frauen eine entscheidende Rolle übernehmen. Sie werden nicht simpel mechanisch etwa den Part der Natur gegen denjenigen der Technik ausspielen, wohl aber durch ihre Differenz, die in einer naturnäheren Qualität gegen die technische Quantifizierung des bloßen Technik-Wachstums liegt, dafür eintreten, einen Ausgleich zu finden. Nicht "Kampf" kann hier das Mittel sein, wie bisher der Klassenkampf es war, sondern es müssen Mittel des Aufhebens gefunden werden, da die Natur wesentlich leidend ist und nicht kämpfend auftreten kann; nur versöhnende Handlungen können Lösungen herbeiführen, eine umfassende Friedenspolitik also. Und schon die bisherigen Friedensbewegungen waren vorzüglich eine Domäne der Frauen.
Es sieht daher wie eine immanente Sinnhaftigkeit von Geschichte aus, daß gerade in diesem Zeitpunkt der sich ablösenden Widersprüche die Frauenbewegung massiv an Kraft gewinnt. Die Zeitgleichheit fällt auf. Das beruhigt insofern, als es sich dann nicht nur um eine fällig gewordene Selbstverwirklichung der Frau, um eine innergesellschaftliche Notwendigkeit, um ein in gewisser Weise egoistisches Starkwerden des Besonderen handelt, sondern um einen in dieser emanzipatorischen Entwicklung zu Freiheit und Selbstbestimmung der Frau aufs Allgemeine der Gattungsgeschichte sich auswirkenden Sinn.
Ist nun die genannte Differenz ein die natürlichen Geschlechter trennendes Merkmal, d. h. kommt das Rettende nur der Frau als Geschlechtswesen zu? Das zu bejahen, wäre spaltend und einseitig gedacht. Daher sei, wenn im folgenden von "Frau" gesprochen wird, immer das Weibliche als Prinzip anvisiert, da, wie hinlänglich bekannt, das Weibliche ebenso im Mann wie das Männliche in der Frau bildend ist. Die amerikanische Theologin Mary Daly, die als "erste moderne feministische Philosophin" benannt wird (das bleibt dahingestellt), besteht wie viele heutigen Problemlöser zu Recht auf dem Zusammenwirken beider Geschlechter und meint: »Der Heilungsprozeß erfordert von beiden Geschlechtern, daß sie sich um die Ganzheit des menschlichen Wesens bemühen, was bedeutet, sich auf ein androgynes Sein zuzubewegen.« (»Jenseits von Gottvater«, 1980, dt. Ausg., S. 67)
III.
Nach solchen Global-Thesen will ich versuchen, von verschiedenen Punkten aus die Zusammenhänge zwischen Frau und Natur, zwischen dem Weiblichen und der Natur anschaulich werden zu lassen, Zusammenhänge, die eben die neue geschichtstragende Rolle des Weiblichen garantieren. Bitte, damit nicht überflüssige Aggressionen aufkommen, will ich betonen, daß in den folgenden Ausführungen über die Beziehung Frau/Natur bei einer Gleichsetzung nicht etwa erschöpfend Auskunft gegeben werden soll über "Frau" schlechthin. So sind z. B. die Beziehungen zum Gegenbegriff, also Frau/Kultur, nicht behandelt, ebensowenig wie die selbstverständlich vorhandene Konstituierung von Bewußtsein, Vernunft, "Genie", Intelligenz durch das Weibliche. Lediglich soll gewagt werden, die Naturkomponente, die dem Weiblichen hervorragend zukommt, als zukunftsmächtig herauszustellen. Das der Frau traditionellerweise zugeschriebene Naturwesen - aber meist in diffamierender Absicht zugeschrieben oder zumindest mit dem reaktionären Zweck, dieses Geschlecht dadurch vom wichtigen Bestimmen in der Handlungsgeschichte und der Geschichte des Bewußtseins fernzuhalten - dieses ihr Naturwesen wenden wir jetzt zum Positiven für alle: es ist nicht mehr ein Grund für das Unterdrücktwerden und das Niedrigerstehen, sondern gerade einer der Vorzugsstellung: der Zusammenhang Frau/Natur als Potential des Rettenden.
IV.
Ein entscheidendes Merkmal, das den Zusammenhang konstituiert, ist der qualitative Naturbegriff, d. h. ein Denken über Natur, das Züge des weiblichen Prinzipsträgt und in der herrschenden Männergeselischaft in den letzten Jahrhunderten mehr und mehr verdrängt und abgedrängt worden ist; entscheidend abgedrängt seit dem Siegeszug der Mechanik. Das aualitative der Natur zu sehen, könnte Auswege aus unserer heutigen Konfliktiage eröffnen. (Um Einwände vorweg zu entkräften: es geht mir nicht um ein völliges Entmachten des quantitativen Zugriffs auf die Natur - schließlich entstehen unsere Kategorien von Qualität und Quantität in Wechselwirkung -, sondern es geht um den Abbau der Vorherrschaft des Quantifizieren den, um ein Zurechtrücken, wie es zum Beispiel von Friedrich Engels in seiner »Dialektik der Natur« eingeleitet wurde.)
Um nun im folgenden den quantitativen Naturbegriff näher einzukreisen, seien verschiedene Ausgangspunkte gewählt:
1.) Das im Leben des Alltags Zunächstliegende: heutige Erfahrungen:
In der Medizin erfahren wir, daß Ärzte bei verschiedensten Leiden, wie Kopfschmerzen, Kreislaufbeschwerden, allgemeiner Lustlosigkeit, die gängigen Untersuchungsmethoden anwenden, d. h. Blutdruck messen, Herzfrequenzen zählen, Funktionen berechnen, Kurven ausrechnen und dann feststellen: die Meßergebnisse sind in Ordnung. Und d. h.: »Ihren Symptomen ist leider nicht beizukommen, sie stammen aus Gründen, die mit den Meßmethoden nicht zu entschlüsseln sind.« Diese herrschenden Methoden sind quantitativer Art, weil sich die Medizin an dem Leitbild der mathematischen Naturwissenschaften mit ihren Zahlen, Verhältnisgrößen und Funktionen orientiert hat. Wesentliche Bereiche fallen so außerhalb des wissenschaftlichen Gebietes. (Heutige Wissenschaftskritik). Die Qualität des Krankseins, die der einzelne empfindet, ist nicht allein rückführbar auf quantitative Phänomene. Ein anderes Beispiel ist das unbedingt Am-Leben-Erhalten der kranken Alten. Hier ist nur die Quantifizierung, die Menge der Lebensjahre ausschlaggebend, die Qualität des künstlich verlängerten Lebens interessiert nicht.
Das so Ausgesparte, das Zuganglose wird daher von anderen, bei der Schulmedizin nicht anerkannten Arzttätigkeiten angegangen: Naturheilverfahren, Heilpraktiker, Psychotherapeuten, Homöopathen bis hin zu "Wunderdoktoren". Dieser Zweig der Medizin hat seine eigene Geschichte: Paracelsus im 16. Jahrhundert gehört dazu (wir werden auf diesen Mann noch zurückkommen), aber auch die Kräuterweiblein, die sogenannten Hexen, die Quacksalber, die Heilfrauen. In unserer vom Geld regierten Gesellschaft, dessen nur gesteigerter Ausdruck der Kapitalismus ist, siegte eben die Kalkulation, das Mechanische, die Zahl (wenn auch gerade nicht in ihrer "tiefste Geheimnisse" bergenden Möglichkeit, auf dieschon Leibnitz mit Hinweis auf Pythagoras aufmerksam machte. Gabriele Gutzmann zog in ihrem Referat ebenfalls gegen den "Kalkülismus" zu Felde. Und diese Kalkulation siegte auch in Ansicht der Natur im allgemeinen wie in Ansicht des menschlichen Körpers und seiner Leiden im besonderen.
Heutige Naturzerstörungen liefern Beweise: die Befürworter von neuen Großbauten, Straßen, Flughäfen, Industrieanlagen operieren mit Zahlen: nur ein Bruchteil der vorhandenen Flächen werde genutzt, die Notwendigkeit des Wirtschaftswachstums wird begründet mit Zahlen aus der Wirtschaft, Preiskonkurrenzen, Zahlen derarbeitslosen, usw. Die Gegner aber halten die Lebensqualität im Vordergrund ihrer Argumentation, sie verweisen auf das Vernichten von Lebensräumen, die für das menschliche Empfinden, das Lebensgefühl wirksam sind. Drei große Eichen in der Mitte einer Stadt erhöhen das Wohlbefinden derer, die da herumgehen und 50 Linden entlang einer Straße begrünen und erfreuen denjenigen, der da entlangfährt. Aber, so heißt es: 3 Eichen, 50 Linden, das ist Nullkommanuilnullein Prozent der ringsum vorhandenen Bäume - der Empfindungswert ist nicht berechenbar. Es gibt zwar heutzutage Versuche, Qualitäten in Zahlen auszudrücken, den Wert einer Landschaft zu beziffern, aber wieder leuchtet nur das In-Zahlen-Überführen ein, das nie ein sinnvolles Äquivalent bieten kann.
Sie werden fragen, wieso nun diese aufs Qualitative weisenden und dieses als Zentrum nehmenden Erfahrungen dem weiblichen Prinzip zuzuschlagen sind. Dies bleibt vorerst These.
Eine Annäherung an ihren Beweis liefert das Einschätzen bei der von seiten der Herrschenden: so wie die Tradition des qualitativen Naturbildes weitgehend gering gehalten wurde, in der Achtung gering, so widerfuhr es dem Weiblichen, beide werden auf die Stufe des Gefühls, des Irrationalen, des Wissenschaftsfernen und zwar als niedrigere Stufe gestellt, der gegenüber die höhere als Verstand, objektive Größe, als verbindliche Wissenschaft und statistisch einwandfrei bewiesene Größe gilt. - Eine andere Beweisart für die These des Zusammen von Qualitativem und Weiblichem ist mit der Evidenz der subjektiven Empfindung gegeben, sie meint eine "sympathische Beziehung" des Weiblichen zu dem anderen Naturbegriff, obschon Evidenz nach jenem messenden Schema nicht gleichzusetzen ist mit Beweis.
2.) Aber ich gehe erst einmal weiter im Erläutern dieses anderen Naturbegriffs und komme zum zweiten Annäherungsweg:
zu ausgewählten Bestimmungen aus der Philosophiegeschichte. Dies wirkt wie das Auskramen von Altem, längst Vergangenem und soll doch gerade das gegenwärtig Nötige anschaulich machen. Bei Paracelsus (1493-1541) und Jakob Böhme (1575-1624) steht das Qualitative ihres Naturbildes im Gegensatz zu einer mechanisch -quantifizierenden Naturwissenschaft, und es geht bemerkenswerterweise zusammen mit der hohen Bedeutung, die hier dem Weiblichen zugemessen wird. Bei beiden Männern ist das dialektische Denken vorgebildet, besonders bei Böhme, einem Vorfahr Hegels, und Dialektik ist philosophische Grundlage für das Erfassen eines Ineinander von Mensch und Natur.
- a) Qualitativ heißt zum Beispiel für Böhme, daß Urkräfte gedacht werden. In seinem berühmtesten Buch »Aurora oder Morgenröte im Aufgang«, 1612, schreibt er: »Die Natur hat zwei Qualitäten in sich bis in das Gericht Gottes, eine liebliche, himmlische und heilige, und eine grimmige, höllische und durstige. Nun dieses beides ist in dem Baum der Natur, und die Menschen sind aus dem Baum gemacht und leben in dieser Welt.« Andere Qualitäten sind: das Herbe, Zusammenziehende und das Weiche, das Bittre und das Süße, Feuriges (Feuer ist für Böhme der "Schrack", das Entsetzen, die Angst, also Empfindung und keine Gradzahl), Lichthaftes und Dunkles, Kaltes. Ernst Bloch verlängert in seinen »Vorlesungen zur Renaissancephilosophie« bis zu Goethes Farbenlehre, in der Goethe gegen das Mechanistische Newton's die »Farben als Kinder der Nacht und des Lichts« definierte, also qualitativ.
- b) Auch in der wichtigen Korrespondenz von Innen und Außen sind dialektisch-qualitätseigene Beziehungen maßgebend. Ohne das Innen als das Subjektive sei das Außen nicht existent, sagen Böhme und Paracelsus; der Körper in der Medizin des Paracelsus ist nur ein Entsprechungsglied der inneren Kräfte. Analog sind Mikro- und Makrokosmos verschränkt, der Mensch und das All ringsum, in der mythischen Figur des Makanthropos gehen beide ineinander. Auch dies ist Goethe später vertraut. Ich zitiere nur seinen berühmten Spruch als Motto zur »Morphologie« (1. Band, 1. Heft, 1820):
»Müsset im Naturbetrachten / Immer eins wie alles achten; /Nichts ist drinne, nichts ist draußen: / Denn was innen das ist außen. / So ergreifet ohne Säumnis, / Heilig öffentlich Geheimnis.«
(Das Bild zu Sais ist öffentlich und geheimnisvoll zugleich.)
Denken Sie nur an Hubers Zeitschrift für »Saitische Philosophie«. In die zweite Nummer dieser Zeitschrift, in »Rätsel 2«, 1979, schrieb sie mir als Widmung: »Für Manon, der absoluten Pionierin für eine weibliche Naturphilosophie«. Übertreibungen hin und her, freundlicher Zusammenhalt der Unterdrückten ist immer kräftigend! Ein solches Umschlagen des Innen ins Außen ist nur als Qualität des Übergängigen zu denken, exakte Messungen, mechanisch analysierende Zug- oder Stoßvorstellungen haben hier keine Zugriffsmöglichkeit. - c) Nah ist diesen mystischen Naturspekulanten auch der in die kabbalistische Lehre abgewanderte, verdrängte Adam Kadmon, der Große Adam, in dem androgyn beide Geschlechter eins sind, statt wie in biblisch verarbeiteter Schöpfungsmythe, in der zwei sind von Anfang an: Adam und Eva. Paracelsus besteht auf dem Einssein: »Zweierlei Fleisch, aber doch eines, nicht zwei,... daß erst beide zusammen den ganzen Menschen ergeben.« (In: »Was Philosophen über Frauen denken,« S. 69)
Und Meister Eckehart sieht ebenfalls: »Zwei als eins«, während Böhme immerhin zwei unterschiedliche Planetenkraftfelder für die Geschlechter verantwortlich macht: den Mann läßt er aus den oberen Kräften - Seele und Feuer- entspringen, die Frau aus den unteren Geist und Luft; aber auch ihm machen beide zusammen erst die Ewigkeit der Natur aus: »So sehnt sich nun die Natur nach dem Ewigen, und wollte gern die Eitelkeit los sein: und als urständet das heftige Begehren in dem weiblichen und männlichen Geschlecht aller Kreaturen, daß sich eines nach dem anderen sehnt zu vermischen.« - d) Die betonte Naturnähe des Weiblichen zeigtsich bei Meister Eckehart, Paracelsus und Böhme darin, daß bei ihnen als Essenz der Frau das Gebärenkönnen ausgegeben wird. Der Schoß als Teil fürs Ganze, die Fruchtbarkeit, die Geburt, das ist das feste Band, das die Frau an die Natur kettet, mehr noch: sie als Natur bestimmt. Aber der ganze Weltprozeß wird von Böhme mit einem gebärenden Weib verglichen. Das Wort Natur, vom lateinischen nasci, natumesse = geborenwerden, setzt immerhin im Abendland eine sprachliche Kennmarke für die Beziehung, für den fast metaphysischen Grundzusammenhang. Von diesem Zentrum der Frau als Gebärerin aus gehen die weiteren Naturbeziehungen, die dem Weiblichen zugedacht werden:
- e) z. B. in Bezug auf die Elementenlehre. Bei Paracelsus heißt es: »Die Frau ist gleich der Erde und allen Elementen,... sie ist der Baum, der aus der Erde wächst ... Gleich wie ein Baum in der Erde steht und nicht nur der Erde, sondern auch der Luft und ebenso dem Wasser und dem Feuer zugehört, also sind auch in der Frau alle vier Elemente ... « (In: Was Philosophen über Frauen denken, S. 69). Die Herausgeberin der Philosophen-Frauen-Texte (Annegret Stopczyk, »Was Philosophen über Frauen denken«, 1980) hat einen Kupferstich von Dürer beigegeben, in dessen Mitte die Philosophia als Frau thront, und dessen Ecken von den vier Elementen beherrscht werden. (Dieselben Elemente sind noch heute unsere wesentlichen Schutzobjekte): Luft, Wasser, Erdboden, und Feuer als Sonnenenergie)
- f) Und nochmals sei die Dialektik ins Feld geführt: Sie ist es, die als Bewegungsgesetz den Naturgegensätzen, dem jederzeit widerfahrbaren Lebensstreit am Ende die Versöhnung und den Frieden verheißt. Bloch sieht bei Böhme »Grübelei mit viel trüber Mystik, aber auch mit der tiefsinnigsten Form von Dialektik, die es seit Heraklit gab.« (Vorlesungen zur Philosophie der Renaissance, S. 70).
Und diese Denk- als Seinsmethode müßte wohl ein Grundbestandteil weiblicher Philosophie sein, denn sie garantiert den Zusammenhalt des Widersprüchlichen, ohne dieses in eine idyllische Einheitstunke zu verkochen. Zusammenhalt aber und Einheit im Obergänglichen sind die Momente, die das Verhalten der Menschen zur Natur im Allgemeinen leiten müssen und die, so unsere Behauptung, das Verhältnis Frau/Natur im Besonderen leiten, ontisch-real.
3.) Auf einem dritten Annäherungsweg an ein qualitatives Naturbild sei die Literaturgeschichte befragt.
Da Literatur in ihrer Substanz mit der Verschränkung von Ästhetischem und Ethischem ein Gebiet von Oualitäten par excellence ist, scheint es töricht, hier überhaupt auszuwählen. Ich tat es im Hinblick auf die beiden Exponenten Frau und Natur. Auch dies ist noch »ein weites Feld«, daher nur Stichproben: Der Name Goethe wurde bereits erwähnt: bei der Korrespondenz von Innen und Außen (seine ganze Morphologie als Lehre von der Gestalt ist ein Sehen von Qualitäten) und bei der Farbenlehre des Hell und Dunkel. Noch zwei Striche dazu: 1.) Das Faustische »Zu den Müttern« ist ein Hinein oder Hinunter in die Erde, ein Hinabsteigen zum Weiblichen und gleichzeitig ins Innere der Natur. 2.) Im »Wilhelm Meister« ist es das Zwischenreich, das Goethes Hang zum Dämonischen und Elementaren repräsentiert, und dabei wiederum beherrschend die Figuren des Harfners und Mignons. Mir kommt es auf die Mignongestalt an, die fast androgyn, aber doch mädchenhaft-weiblich den Elementen, dem Erahnen, den Naturkräften besonders nahesteht.
Als weiterer Name der Literatur sei Theodor Fontane ins Spiel gebracht: Ihm, dem großen Realisten, sind die geheimnisvollen Beziehungen der Menschen zu inneren unsichtbaren Kräften besonders ereignisreich ein Lebenlang, und das bei seinem ausgeprägten Sinn fürs Wirkliche des Tages. Realitätssinn und Naturmystik gehen in Fontanes Werk ineinander. Dabei sind besonders die Frauen ein Hauptbindeglied. So z. B. der frühe Romanentwurf »Oceane von Parceval«, der das Melusine- Motiv gestaltet und die Elemente Feuer und Wasser zu Konstituentien macht. Meiusine ist dann wieder, nun allerdings als entmythologisierte Gräfin, diejenige Figur im späten »Stechlin«, die dem Titelsymbol im letzten Satz nochmal seine volle Bedeutung zukommen läßt: Meiusine äußert ihren Wunsch: »Es ist nicht nötig, daß die Stechline weiterleben (die dort ansässigen Adligen), aber es lebe der Stechlin.« Und das meint den See mit seinen rätselhaften unterirdischen Leitungen: In diesem Wasser in der abgelegenen Mark Brandenburg brodelt und sprudelt es, wenn draußen in der Welt Großes geschieht, und wenn es etwas sehr Großes ist, dann steigt dort ein roter Hahn auf und kräht, wie z. B. beim Erdbeben von Lissabon. An diesem See auch läßt Fontane den Schloßherrn Stechlin die alte Kräuterhexe, die Buschen, begegnen, die ihn mit ihrem Tee mehr zu heilen vermag als die gelehrten Doktoren. Und ihre Enkelin ist mit im Bunde, eine Goethesche Mignongestalt, bewußt so konzipiert behaupte ich, die das Sterben des Schloßherrn begleitet, ihn sozusagen hinüberleitet nur durch ihr stilles Dabeisein im Zimmer des Alten. Wie eine Pflanze oder der Vogel am Fenster soll sie sein, und ihre Feldblumen auf dem Toten lassen den Diener sagen: »Dat sinn de ihrsten und wihren ook woll de besten sinn.« Die besten wegen des Zauberhaften der Verbindung: See, Kind, Sterben, Feldblumen: das Eingehen in die Natur. Fontanes Liebe zu Goethes »Meister« und speziell zu Mignon ist belegt; an ihr sei alles »Zauber, Liebe, Wahrheit von Anfang bis Ende« schreibt er in einer Besprechung zu »Wilhelm Meister«, 1876, und im Gedicht »Fritz Kratzfuß« heißt es:
»Ein Band von Goethe / Blieb mir bis heut mein bestes Wehr und Waffen, /... Der Band von Goethe gab mir Kraft und Leben, / Vielleicht auch Dünkel... All genau dasselbe.«
Gerade das Miteinander von festem Realitätssinn und »Rätselhaften«, wie Fontane es nennt, von Gesellschaftsdarstellung und Wunderbarem, von Politik und »RomantischPhantastischem«wird hier praktiziert, und dies muß aufhorchen machen, weil es am Beginn des Siegeszuges ins heutige technische Zeitalter passiert. Nicht etwa aus Unkenntnis der modernen Wissenschaftlichkeit, sondern aus Kenntnis, um das Qualitative des Gefühlten gegen den Einbruch des Technizistischen zu verteidigen.
Es sei genug mit unseren Erfahrungen, dem Philosophiegeschichtlichen und der Literatur, um das anvisierte qualitative Naturbild wortfest zu machen. Ich beleuchte nur kurz noch einen anderen Knäuel-Punkt des Zusammens von Frau und Natur:
V.
Das Objektsein: Hierin können Frau und Natur analog gesetzt werden und weitergehend: aufeinander wechselseitig zurückgeführt werden. Denn so, wie sich der Mann die Natur zum Objekt gemacht hat, tat er es mit der Frau. Die Gleichartigkeit beider ist ausgenutzt worden: Frau gleich Natur hieß: sie stehen auf jener unteren Stufe, auf der sich's leicht mit ihnen umgehen läßt, wo sie beide gut zu beherrschen sind. Und wo Herrschaft ist, ist die Handlungslinie vom Benutzen zum Ausnutzen zum Ausbeuten vorgezeichnet. Beiden Objekten ist folgerichtig diese Behandlungsweise widerfahren. Aber beiden ist als inhärenter Gegenschlag auch das Subjektwerden vorgezeichnet. Was man lange unten hält, rächt sich endlich (soweit es noch überhaupt am Leben ist); es rächt sich durchs Starkwerden, durchs Aufstehen und Sichbehaupten wie im Falle der Frauen, und es rächt sich durch passives Verweigern, durch stummes Sich-dem-Dienst-Entziehen, wie im Falle der Natur. Wenn beide Untergebenen aber ihren Dienst versagen, sind die Herrschenden gezwungen, neu nachzudenken. Und dabei werden sie notgedrungen auf das Umwandeln von purer Objekthaftigkeit zur Subjekthaftigkeit vorstoßen. Dieser Objekt-Subjekt-Umschlag ist eine reale Überlebensbedingung. Eine solche Entwicklung ist bei der Frau nun keine des weiblichen Prinzips oder zumindest nicht direkt ersichtlich, sondern eine der wirklich existierenden Frauen. Aber da diese Entwicklung allen deutlich ist, lassen Sie mich das Zum-Subjekt-Umschlagen im Hinblick auf die Natur erläutern, weil es dort abwegiger und seltsamer klingt.
Die Gegenübernatur wurde als »Niemandsland«, als »Ohnekopf« (Döblin), als ein »subjektlos erscheinendes Ensembie« (Ernst Bloch), als bloßer Schauplatz für das einzig Wichtige klassifiziert, für den Auftritt des Menschen und sein Fürsichwerden. Ich folge einigen Wortkundgebungen und Gedanken Ernst Blochs, in seinem Spätwerk »Experimentum Mundi« (1975); Es geschah eine »statische Herabsetzung der Natur« (S. 224), sagt Bloch, selbst Hegel hatte sie zum »Riesenleichnam zu unseren Füßen« degradiert. Mitschuldig daran sei der grobe quantifizierende Materialismus - das Quantitative also strahlt auch in dieses Objekt-Subjekt-Problem herüber -, und der dialektische Materialismus resümiert: »Dieses ad acta Gelegtsein der Natursphäre ist nicht wahr«. Die Natur stecke genauso wie die menschlichen Subjekte in einem Prozeß, und der ist nicht ohne ein Quasi-Subjekt zu denken, nicht ohne eine das Ganze vorwärtstreibende Kraft, die eine Eigenständigkeit reklamiert. Schließlich behauptet Bloch: »die wichtigste Qualität der Natur« ist »ihr hypothetisches Subjekt«, und er unterstellt einen »Subjektkern in der Natur« (218). Eine solche Kraft, ein solcher Schöpfungskeim stehe zwar vornehmlich im »Dunkel des Anfangs und im Utopischen des Endes«, aber wir könnten nach den heutigen evolutionshistorischen Erkenntnissen immerhin den Anfang so deuten, wie es spekulativ schon Teilhard de Chardin tat, daß die Wurzel alles pflanzlichen und tierischen Lebens eine gemeinsame war, und daher auch in den einzelnen Zellen eine Verwandtschaft besteht, sei es nun Tier, Pflanze oder Mensch. Der Biologe Bernhard Rensch schreibt 1977: »Alle ausgestorbenen und heute lebenden Arten waren und sind durch kontinuierliche Zellfolgen, durch die "Keimbahnen" mit ihren Vorfahren verbunden« (S. 289, Das Universale Weltbild, 1977). So wäre das Subjektive als Bestandteil nichts radikal Einmaliges, nur dem Menschen angehöriges, die humane Sonderstellung ist keine den Grundlagen nach, sondern nur eine der Aufgabe und Verantwortung:
»Die Einheit allen pflanzlichen, tierischen und menschlichen Lebens wird weiterhin auch dadurch dokumentiert, daß die Zellen aller Organismen die gleichen chemischen Grundbestandteile und Strukturen und damit die gleichen Grundfunktionen aufweisen.« (Rensch, S. 54).
Die Blochsche Sichtweise mag etwas zu spekulativ anmuten, insofern sie gerade auch dem Anorganischen Subjektsein ermöglicht. Zu spekulativ auch, weil dabei der Subjektkern doch nur als säkularisierter Schöpfergott erscheinen kann, aber die Tendenz ist wahr. So paktiert z. B. ein vielerorts sich meldendes Recht der Tiere und Pflanzen immerhin mit dem Subjekthaften des organisch Lebendigen, denn das Recht ist dasjenige eines Subjektes. Und schon dies wäre ein heilsamer Einbruch in das männliche Zum-Objektmachen. Immer noch wird im Rechtswesen das Tier als "Sache" ausgegeben, weil kein Subjekt unterstellt werden könne.
Wenn von der sehr weitgehenden Subjektivierung des ganzen Kosmos wenigstens übrig bliebe, daß Tieren und Pflanzen ein dem Subjekt ähnliches Eigensein und damit Eigenrecht zuerkannt würde, so daß sie aus dem NurSchauplatz-bilden mit verwertbaren Requisiten und ihrem Kulissenwesen herausträten in die alle angehende Arena, dann wärefürdie irdisch-materiale Lebensgemeinschaft viel gewonnen. Der notwendigen Versöhnung wäre durch diese Korrespondenz auf der Subjektebene vorgearbeitet. Bloch erwartet ein kosmomorpheres Weltverständnis, uns genügte schon ein organomorpheres, d. h. es genügte, der von Goethe begonnenen Morphologie des Organischen keine menschlichen Speziaischranken zu setzen, und jegliches Organische als Gestaltwerden der letztlich gleichen Lebensimpulse zu akzeptieren. Daß aber dieser Anstoß zur Versöhnung zwischen Mensch und Natur Folgen zeitige, dazu kann das Weibliche beitragen. Erstens aus der erfahrenen "Schicksalsgemeinschaft" der realen Frauen mit Natur (im Orient werden die Frauen immer noch als nützliche Haustiere gehalten, und Tiere im Orient haben es sehr schlecht!) und zweitens aus der sympathetischen Naturnähe, die den qualitativen Naturbegriff auferstehen und entstehen läßt.
Von der Technik war wenigst die Rede; war es von Frauen? Traf die Rede die Natur? Traf meine Rede überhaupt, vielleicht in jemandes Herz oder Sinn? Die Qualität der Gedanken und Worte muß der direkten Menschlichkeit entraten, körperlos haben sie kein Fundament, und all unsere Zugangsversuche sind windig.
Also beschließen wir: wir sind an einem sehr vorläufigen Ende. Es lebe der Narzißmus der Frauen, in ihm sind Weltesche und Gattungsgeschichte zur letzten Rettung zusammengeschlossen.