Frauen um Sokrates

Vorbemerkung

Das Thema limitiert sehr klar Stoff und eigenen Umfang, also nur "Frauen um Sokrates". Es mag viele Denkerinnen und Philosophinnen auch im klassischen Altertum gegeben haben - bis heute fehlen absolut zuverlässige Quellen, bzw. haben diese die Öffentlichkeit nicht erreicht. Hinweise auf ein bei Heyne erschienenes Taschenbuch, das einen Roman bietet mit (Autor und Titel nicht genannt!)[17] Darstellung solcher Philosophinnen in großer Zahl, sowie Funde in Manuskripten, die bis jetzt weder übersetzt, noch veröffentlicht wurden,[18] genügen nicht der strengen, philosophischen Verifikation. Deshalb überschreitet das gebotene Thema hier auch nicht seine Grenzen - es bleibt im Rahmen: Frauen um Sokrates.

Darbietung: Im Mythos der Athene, die aus dem Haupt des Zeus entspringt, wird mit besonderer Deutlichkeit berichtet - von den Eumeniden des Aischylos - daß Athene als Begründerin des Rechts verehrt wird, als Göttin der Weisheit, als Heilsbringerin. Dieser Mythos ist Ausdruck für das göttliche Gegründetseins des Heils der Geschichte der Menschheit überhaupt. Athene ist die besondere Gründungsgottheit, über welche sich - gemäß ihrer Geburt aus Zeus - Heil auf den universalen Himmelsgott bezieht. Dieser verliert dadurch seine unheimliche Ferne für die Menschen. Er wird als Vater Athenes den Menschen nahegebracht und vertraut. Umgekehrt erlangt Athene dadurch universale Bedeutung und Macht.[1]
Umgekehrt wiederum, finden wir wenig mehr, wenn wir erwarten, daß Bedeutung und Macht der Göttin sich übertragen oder spiegeln würde in der Bedeutung, Macht und Anerkennung ihrer menschlichen Partnerin, der Frau. Vielleicht gibt es viele, heute noch unentdeckte Dokumente für die Einschätzung und Wertschätzung der Frau bei den Griechen. Was dokumentiert ist und veröffentlicht, gibt gerade nicht das hohe und universal angenommene hohe Frauenbild im klassischen Griechenland, das man auf Grund der »hyperdulia« Athenes erwarten möchte. Die hier gegebene kleine Studie nennt sich deshalb beschränkend

Frauen um Sokrates

Die hierfür informativen etablierten Quellen sind zuerst Berichte aus dem sokratischen Kreis selbst, besonders die Platonischen Dialoge Menexenos, Symposion, Phaedon, Thäetetus. Aber auch Xenophon berichtet von Frauen in seinem Oeconomicus, und in seinen Erinnerungen an Sokrates. Ferner beschreibt Aeschines Frauen seiner Zeit in seiner Aspasia. Außer diesen Anhängern des Sokrates erwähnen dieses Thema auch Plutarch in seinem Pericles, Aristophanes in seinen Komödien, z. B. in Acharnians - 425 v. Chr.
Da Platon der meist genannte Informant über unser Thema ist, scheint es vertretbar, Platon zuerst auszuhorchen über Frauen-Einschätzung jener Periode. Vorweg sei hingewiesen darauf, daß Platon in seiner Politeia, Buch 5, 451, eine Einschätzung der Frau bringt, die darauf hinausgeht, daß sie dieselbe Erziehung wie die Männer erhalten müsse. 454 d sagt er, Mann und Frau unterscheiden sich nur dadurch, »daß der Mann erzeugt und das Weib gebärt.« 455 d erklärt er, daß es keine typischen Männer- oder Frauenberufe gibt. Dagegen schränkt in seiner Interpretation O. Eberz die späte platonische Frauenbewertung bedeutend ein. Er sagt:
Für Platon war ... »der Staat bestehend aus niederen und höheren Schichten des Volkes. Der Staat ist für Platon das Symbol des "Makro-Anthropos" innerhalb der (Klein-)Stadt - Athen, Syrakus etc.« Platon, der Hymnendichter des männlichen Eros, war gemäß Eberz »ein Verächter der Frauen, - wenn nicht sogar ein Misogynist, ein Frauenhasser. Für Platon war die Frau nur dann etwas wert, wenn der Mann sie intellektuell transformiert hatte ... bzw. sie zu einer bedeutenden, kriegerischen Amazone gemacht hatte, was nur dann möglich ist, wenn Männer die Frauennatur vergewaltigen ...[2]
Platon nun war ein begeisterter Anhänger des Sokrates. Es liegt die Frage nahe,ob Platon in seinen Ansichten über die Frau beeinflußt worden war von Sokrates. Was sagt die Geschichte über Sokrates selbst und seine Beziehungen zu Frauen?
Frauen, die wir namentlich in den oben erwähnten Quellen finden, sind Phaenarete, die Mutter des Sokrates; Xantippe, die eine Frau des Sokrates, die ihm drei Söhne und eine Tochter gebar; Myrta, die fragliche andere Frau des Sokrates; Aspasia, die Geliebte des Perikles; Diotima von Mantinea und Mnesarete.

Phaenarete
Sie war die Frau des Bildhauers Sophroniscos und Mutter des Sokrates und Sophroniscos in zweiter Ehe. Ihre erste Ehe wird gemeldet mit Chairodemos, dem Sohn des Patroklos. Von Sokrates selbst erfahren wir, daß Phaenarete ihm Eindruck gemacht hat, denn nicht dem Beruf des Vaters folgt er, Sokrates liebt es von seiner Tätigkeit als Lehrer und Denker zu sprechen als von einer Hebammentätigkeit (im übertragenen Sinne), als Geburtshelfer von Erkenntnis, Gedanken, Begriffen, rechten Urteilen etc. Demzufolge zeichnet er sich selbst in analoger Weise als den Spuren seiner Mutter folgend, die als Hebamme bezeichnet wurde. Dies dürfte aber nicht als Beruf zu verstehen sein, sondern so, daß Phaenarete, aus gebildetem Hause stammend, hilfsbereit war bei befreundeten Athenerfamilien, in deren Lebenszyklus eben auch Geburten, Kinder vorkommen. Wahrscheinlich war Phaenarete besonders geschickt in Geburtshilfe und solchen Tätigkeiten, die professionelle Hebammen vollzogen, so daß sie analog von Sokrates für »Gedanken- oder Ideengeburtshelfer« zitiert werden konnte. Sokrates sagt z. B. im Thaetetus zu eben diesem: »Einfältiger, hast Du nie davon gehört, daß ich der Sohn einer Hebamme bin, die tapfer und tatkräftig zugriff und deren Name Phaenarete war? . . . Und daß ich selbst Hebammenarbeit ausübe ...«[3] Dann berichtet Sokrates, diese Tätigkeit beschreibend:

Hebammen sind respektable Frauen, die Charakter haben ... Ihre Arbeit ist sehr bedeutend allerdings nicht so bedeutend wie meine! Meine Hebammenarbeit ist aber in vieler Hinsicht der ihren gleich. Sie ist aber verschieden in dem, daß sie den Männern von mir und nicht den Frauen geleistet wird. Ich kümmere mich um die Seelen, nicht um den Leib. Der Triumph meiner Kunst ist dies, daß ich gründlich prüfe, ob der Gedanke, den der Geist des jungen Mannes hervorbringt, ein falsches Idol oder eine Idee und wahre Geburt ist.

Dazu sagt A. E. Taylor: »Phaenarete ... schon dieser Name scheint anzudeuten, daß sie eine Frau aus guter Familie war ... «[4] Platon bemerkt in Thaetetus: »... Es ist eine Tatsache, daß Sokrates scherzender Weise seine Dienste, die er den jungen Freunden erwies, indem er ihnen hilft, Ideen hervorzubringen, mit der Tätigkeit seiner Mutter verglich, die Hebamme war.«[5] Taylor bemerkt hierzu, daß es ein Anachronismus wäre, anzunehmen, Phaenaree wäre eine professionelle Hebamme gewesen.

Xantippe
Sie war die Mutter der drei Söhne des Sokrates, des Lamprocles, Sophroniscos und Menexemus. Nach Neu-Entdeckungen hatte sie auch eine Tochter: Mnesarete. Xantippe muß wesentlich jünger gewesen sein als Sokrates, der anscheinend erst spät heiratete, wahrscheinlich erst nach seiner Rückkehr vom Archidamischen Krieg,[6] denn Lamproclus der älteste Sohn - war erst 17 oder 18 Jahre alt, als Sokrates den Giftbecher zu trinken hatte in der Gefängniszelle zu Athen (399). Sophroniscos und Menexenus müssen damals noch kleine Kinder gewesen sein. Die Alexandrinischen Biographien des Sokrates stellen Xantippe dar als eine zänkische Frau ohne Selbstbeherrschung und auf Grund dieser Schriften werden später über Xantippe ungute Anekdoten erzählt, die Xantippe sprichwörtlich als böse Frau erscheinen lassen.
In Platons und Xenophons Schriften wird Xantippe aber dargestellt als anhängliche Gattin, mit der Sokrates, ein schwieriger Gatte[7] - noch im Gefängnis spricht kurz vor seinem Tode. Phaidon berichtet:

Als wir hinausgingen (zum Gefängnis) fanden wir Sokrates gerade befreit von seinen Ketten und Xantippe saß bei ihm mit dem kleinen Sohn -Menexenus- auf ihrem Schoß. Als Xantippe uns sah, brach sie in eine kurze Bemerkung aus, eine, die man von einer Gattin erwarten kann: "O Sokrates, dies ist das letzte Mal, daß Du und Deine Freunde zusammen sprechen können." Sokrates schaute auf Kriton. Er sagte: "Es ist besser, daß jemand sie heimführt!" Diener des Kriton führten sie dann hinaus und sie weinte bitterlich.[8]

Demgemäß scheint es, daß Xantippe und Menexenus, der kleinste Sohn, die letzte Nacht mit Sokrates in der Gefangenenzelle zugebracht haben.[9] Xenophon erwähnt, daß Xantippes ältester Sohn, Lamrpocles, dachte, Xantippe sei eine gute Mutter gewesen und sie war überbesorgt. Antisthenes jedoch konnte sie scheinbar gar nicht leiden, deshalb das verzeichnete Bild dieser Frau. Jedoch kann Xantippe von sich wahrscheinlich behaupten, was Maria Stuart in Schillers Drama gerechtfertigt von sich sagen kann: »Ich bin besser als mein Ruf!«

Myrto
Die gleichen Alexandriner, die über Xantippe berichten, geben auch Information über Myrto. Demgemäß war sie eine Verwandte des großen Aristides, doch bestehen Widersprüche, indem Myrto manchmal erwähnt wird als Tochter, dann wieder als Enkelin des Aristides. Man liest auch, daß Myrto nach dem Tode des Aristides wegen ihrer Armut auf öffentliche Kosten mit einer Mitgift ausgestattet worden wäre. Die über Aristoxenes auf Aristoteles fußende Überlieferungs-Vulgata macht Myrto (hier meist als Enkelin des Aristides bezeichnet) zur Frau des Sokrates neben Xantippe, wogegen sich zu recht bereits Panaitios gewendet hat. Die Behauptung, daß Sokrates mit Xantippe und Myrto in Bigamie gelebt habe, wurde zwar schon im 3. Jahrhundert aufgestellt, verdient aber keinerlei Glauben. Derlei war im Athen des 5. Jahrhunderts durchaus undenkbar, wo streng darauf geachtet wurde, daß die Söhne, weil künftige Bürger von Athen, legitim und echtblütig waren. Zeitlich wäre diese Bigamie mit Xantippe und Myrto möglich gewesen. Es scheint aber unwahrscheinlich. Jedenfalls erwähnen Platon und Xenophon nichts davon und das Athener Gesetz war entschieden gegen eine solche Doppelverbindung.
Über Myrto ist praktisch nichts weiter zu erfahren aus den bisher bekannten Quellen.[9]

Aspasia
Aspasia ist bekannt als die Geliebte und später als die zweite Frau des Perikles, des großen Staatsmannes. Sokrates erwähnt, daß er in familiärer Weise mit Aspasia verkehrte.[10] Aeschines schrieb den Dialog Aspasia - über die Freundschaft. Darin ist Sokrates der Sprecher in platonischen Paradoxen, wo festgestellt wird, daß Frauen die Fähigkeit haben für Krieg und Politik.
Xenophon erwähnt Aspasia in Oeconomicos und in seinen Erinnerungen an Sokrates. Im erstgenannten Werk bespricht Xenophon auch Hauswirtschaft.
Aspasia stammte aus Milete. Sie wurde besonders bekannt in Athen durch die Ionischen Höflinge, die sich in Athen niedergelassen hatten. Als Fremde konnte aber Aspasia - gemäß des Gesetzes - gerade von Perikles 451 - nicht die Frau eines Atheners werden. Aber die Persönlichkeit der Aspasia, nicht nur ihre Reize, sondern auch ihre großen geistigen Fähigkeiten, gewannen ihr die Liebe des Perikles und seiner Freunde, besonders der Intellektuellen. Aspasia lebte mit Perikles von 440 bis dieser an Pest starb 429. Aspasias gesellschaftliche Unterhaltungen machten sie berühmt und dies zu einer Zeit, wo die griechischen Frauen im allgemeinen als ungebildet galten. Aspasia funktionierte als Gastgeberin für Perikles und seine politischen Freunde. Dadurch reizte sie aber auch ihre Neider. So wurde sie angegriffen von Perikles' Feinden. Die Tradition erzählt, daß sie wegen ihrer Unfrömmigkeit 431 angeklagt wurde. Aspasia, die Nicht-Athenerin, wurde damals als zweite Frau des Perikles betrachtet, dem sie zwischen 445-440 einen Sohn geboren hatte gleichen Namens. Nach dem Gesetz wurde aber weder sie, noch ihr Sohn Perikles als Bürger Athens betrachtet. Perikles wurde von der Anklage seiner Frau schwer getroffen - und er hatte Schwierigkeiten, Aspasia frei zu bekommen. Die Verleumdung (nach Eupolis' Demoi-Fragment 98 K), Aspasia sei eine Hetäre gewesen, wurde von Wilamowitz in Aristoteles und Athen ausgemerzt.
Der Sohn Perikles wurde später durch besonderen Erlaß legitimiert. Nach des Perikles Tod 429 heiratete Aspasia den Demokraten Lysicles. Von diesem hatte sie einen zweiten Sohn.
Das Andenken an Aspasia hielten besonders die Sokratiker hoch in durchaus günstigem Sinne.[11]

Diotima von Mantineia
Diese scheint die weise Lehrerin des jungen Sokrates gewesen zu sein, die ihn über ein höchst delikates Problem unterrichtet hat.
In Platons Symposion (also einer Schrift der reifen Mannesjahre des Platon) 211 D ff. berichtet Sokrates, er sei durch Diotima - der Priesterin von Mantineia[12] - zum wahren Eros (= zur wahren Liebe) geführt worden. Die Rede über den Aufstieg zur Theorie ist hier Diotima in den Mund gelegt. Ohne Zweifel ist Diotima eine von Platon erfundene Person, nach heutiger Forschung eine Fiktion.[13]
Anstoß zu dieser poetischen Fiktion war wohl die Notwendigkeit zu erklären, wieso Sokrates, der sonst behauptet, nichts zu wissen, plötzlich positives Wissen über den Eros vorträgt. Von diesem Anstoß aus ist der Höhepunkt des Symposions (= des Gastmahls) zum literarischen Kunstwerk gestaltet. Aus dieser Platonischen Lektüre hat später auch Hölderlin die Gestalt seiner Diotima übernommen.
Des Platon oder des Sokrates Diotima beeindruckte die griechischen Denker mit Weisheit. Wenn der alte Sokrates auf dem Banquett sich auf diese Weisheit bezieht, die sich ihm offenbarte als er etwa dreißig Jahre alt war, so war dies eine Demonstration eben auch der Maieutik, der Ideen-Geburtshilfe.
»Sokrates«, sagte Diotima, »Liebe (Eros)[14] ist nicht was du dir einbildest, nämlich nur Liebe des Schönen, sondern Liebe der Generation und der Geburt der Schönheit als solcher.« »Aber wieso der Hervorbringung, der Generation?« - »Weil für die sterbliche Kreatur Generation, Hervorbringung eine Art Ewigkeit und Unsterblichkeit ist... und wenn Eros dauernder Besitz des Guten ist - und alle Menschen notwendiger Weise Dauer des Guten wünschen - bedeutet also Eros, Liebe, Unsterblichkeit.«
Wie immer man auch die Gestalt der Diotima interpretieren mag, hier offenbart sich vielleicht aus Platonischem oder Sokratischem Unterbewußtsein - plötzlich eine an Athenes Verehrung erinnernde Hochschätzung der weisen Frau, die überrascht, aber leider nur zu wenig durchschlagend bleibt in der absolut maskulinen Gesellschaft, Kultur und Zeit dieser Griechen.

Mnesarete
(die unvergeßlich Gute): In keinem der bisher erwähnten und bekannten Dokumente, noch erwähnt von Sokrates selbst oder von seinem Kreis, noch auch von der späteren Forschung und Literatur, ist Erwähnung getan von der Existenz einer Tochter des Sokrates, der Mnesarete. Erst die Ausgrabung in jüngster Zeit von einer Stein- oder Grabplatte macht die Evidenz von der Sokrates-Tochter bewußt.[15] Die Steinplatte oder der Grabstein zeigt ein vollendetes Relief von Mnesarete, die da sitzt in mädchenhafter, vornehmer Haltung und anscheinend besorgt wird von einer Dienerin. Die Inschrift der Tafel klärt über die Identität der Darstellung auf:

Mnesarete
die Tochter des Sokrates, Attika um 380 v. Chr. Sie läft zurück ihren Gatten und ihre Brüder, die trauernde Mutter und ein Kind. Aber sie läßt auch zurück den unsterblichen Ruhm großer Tugend. Hier umschließt die Kammer der Persephone Mnesarete, die den Gipfel aller Exzellenz erreicht hat.[16]

Epilog
Diese knappe Skizze über Frauen um Sokrates läßt für Philosophinnen weite Forschungsdimensionen offen. Die Frauen um Sokrates waren nicht Philosophinnen, aber sie waren "Maieutikerinnen( - Geburtshelferinnen für Ideen und Ideale- und wenn auch durch nichts anderesals durch ihre Fürsorge und das Schaffen der häuslichen Atmosphäre. Besonders erhellt das aus der Persönlichkeit der Phaenarete, der Aspasia, der weisen Diotima. Die Frauen des Altertums waren im allgemeinen meist nur instrumental eingesetzt und eingeschätzt für die Befriedigung ihrer "Herren".
Heute gibt es professionelle Philosophinnen, die wie damalige und heutige Denker, unternehmen, die Wirklichkeit zu durchforschen und zu interpretieren im philosophischen Sinne. Es wird Zeit, daß Gesellschaft, Kultur, Religion sich öffnen für den Einfluß und Beitrag der Frauen auf allen Ebenen, in allen Dimensionen menschlichen Denkens, Forschens, Ergründens, Interpretierens. Einige große Frauen dieses Jahrhunderts haben bereits Bedeutendes gleistet, gerade auch als Denkerinnen, als Forscherinnen, als Philosophinnen. Erwähnt sei nur (aus der wachsenden, zunehmenden Zahl derselben): Simone de Beauvoir, Hedwig Conrad-Martius, Edith Stein.
Denkerinnen, Philosophinnen also tasten sich mutig vor auf den - durch Jahrhunderte von Männern beanspruchten, für Frauen versiegelten Ebenen des Geistes, genauso wie es geschah, geschieht in den Natur-, Atom- und kosmischen Wissenschaften etc. Wenn endlich die Frauen zu vollem Selbst- und Leistungsbewußtsein erwacht und von der männlichen (bisherigen Allein-) Herrschaft zugelassen, angenommen, gleichberechtigt und vollwertig anerkannt sein werden mit ihren spezifischen Denken, Wissen, Leisten, Interpretieren, Forschen, Lehren, dann dürfte eine neue Ära anbrechen für die Menschheit. Ahnungsvoll möchte man antizipieren und sagen: Die Ära der Bilanz der Geschlechter - und damit die Ära des Machtausgleichs, des geschlechtlichen Gleichgewichts an Einfluß und Streben, die Ära des Friedens.

Diskussionsbeitrag zu: »Frauen um Sokrates«, von Caroline Schützinger

A.: Da haben wir einen Vortrag gehört, der zwar in vorzüglicher Weise wiedergibt, was eine platonisch -konservative Philosophie seit dem 19. Jh. über die Frauen der Antike zu sagen weiß. Aber diese Frauen werden lediglich um einen männlichen Philosophen gruppiert. Sie spiegeln allein die Eigenschaften, die, von der Erotik über eine Ver- Ehrung des Geheimnisvollen bis zur Zanksucht der Megäre, in dessen Vorstellung passen. Dieses "Bild der Frau" ist, so bitte ich, mir zu glauben, längst überholt. Selbst in der Antike des Sokrates gibt es schon die selbständige, öffentlich auftretende Berufsphilosophin. Im Zuge der Menschenrechtsentwicklung bei den Sophisten und Atomisten seit 550 v. Chr. (Alkidamas: »die Natur hat niemand zum Slaven gemacht.« (Aristoteles Rhet. 113.2), entsteht gleichzeitig eine "erste" bewußte Frauenbewegung, die von Ionien (Thargelia) nach Athen übergreift. Dort wird Aspasia um 450 v. Chr. die Hauptfigur. Politisch sorgt sie ebenfalls für eine freiere nicht mehr nur orientalisch-häuslich ausgerichtete Mädchenerziehung und die Berufung aufgeklärter Philosophen. Sie ist zudem auch selbst Wissenschaftlerin und berühmte Rhetorin. Wie Platon im Menexenos berichtet, ist es daher Sokrates, der, ihr zu Füßen sitzend, von ihr lernt, nicht umgekehrt. Noch Renaissancebilder stellen das richtig dar. Zur ersten Orientierung über diese Verhältnisse im Athen von Perikles, auch dortige Ärztinnen, empfehle ich das Heyne-Taschenbuch "Aspasia", dessen Autorin mir nur gerade nicht einfällt (Nachtrag: Taylor Caldwell, 1974); Roman aufgrund der antiken Quellen, ebenso berühmt wie Mary Renault, The Persian Boy, oder The Last of the Wine u. a.). Vom Ende der Frauenbewegung in Athen kennen Sie sicher die Komödien des Aristophanes, insbesondere "Lysistrata". Sie verspotten diese Frauenvereinigungen und ihre Streiks allerdings schon wieder.
Auch in anderen philosophischen Schulen vor und nach Platon, insbesondere der epikurischen, gibt es viele, etwa hundert heute noch namentlich bekannte, oft "weltweit" berühmte Berufsphilosophinnen. Auf die einzige direkte Schülerin Platons, Axiothea, folgen allein an 35 spätere, bis zu Hypatia, die in Alexandria am Museiom ("Universität") lehrt. Sie wird 415 n. Chr. von einem christlichen Mob in einer Kirche geschändet und zerrissen; Symbol der nun aufkommenden Ansicht, die Frau dürfe nicht mehr Gelehrte (und schön) in der Öffentlichkeit sein. Bereits in der Renaissance gibt es jedoch wieder Lehrstühle für Frauen auf allen Gebieten.
C.S.: Ich glaube, wir müssen uns unbedingt auf Verifikation besinnen, wenn wir durchschlagen wollen mit unseren philosophischen Beiträgen. Es geht nicht an, auf einen Roman zu verweisen, von dem weder Titel noch Autor genannt werden konnte, desgleichen sind auch Hinweise auf unveröffentlichte Manuskripte vage, solange nicht explizit Autor, Jahr, Quelle etc. genannt werden können. Ich bin zu lange schon im Beruf als Philosophin, um nicht genau zu wissen, welcher Kritik man sich aussetzt, wenn man nicht genaue Angaben machen kann. Damit aber dürfen wir Frauen uns am allerwenigsten abgeben, wenn wir ankommen wollen, wohin unser Recht weist.
(Zitat aus einem Brief vom 22. 11. 81 an die Herausgeberinnen als Replik auf das vorstehende Diskussionsvotum.)