Kombinatorische Frauenforschung

Das Thema klingt spröde, die Kombination ungewohnt. Wird Kombinatorik doch eher mit Mathematik und Sherlock Holmes in Verbindung gebracht, Frauenforschung hingegen, Mathematik meidend mit Selbsterfahrung, Betroffenheit und, soweit es um philosophische Frauenforschung geht, mit eher poetisch-mythischen als mit wissenschaftlichen Ausdrucksformen.
Immer wiederkehrende Grunderfahrung ist: Ich bin verwirrt. Ich will es nicht bleiben. Was kann ich tun?
Ich befrage zunächst einmal feministisch orientierte Denkerinnen der Gegenwart dazu. Warum gerade sie? Zwar bin ich verwirrt, doch ist mir manches auch klarer: Die "Schädelstätte"[1] der Philosophiegeschichte ist mit traditionsgepflegten männlichen Köpfen übersät, die mir bis heute fortwirkend als Frau die Befähigung zu philosophischem Denken abgesprochen haben. Dafür werde ich sie auf diesem Symposion von Philosophinnen jedenfalls dort unten liegen lassen. Von feministisch orientierten Denkerinnen erwarte ich hingegen, daß sie sich gegen die Unterdrückung von Frauen und ihre Folgen auch in der Philosophie zur Wehr setzen.
Soll ich Meg Huber glauben, es »flüstern die Philosophinnen nur ein einziges Wort: "siehste"«?[2] Ich könnte es auch, Mary Daly folgend, mit dem Hören versuchen: »Am Anfang war nicht das Wort. Am Anfang ist das Hören.«[3] »Wenn wir Frauen uns vom Grund unseres Wesens her hören und benennen, benennen wir uns auf Gott hin«.[4] Sehen, hören: Héléne Cixous bringt es auf den abstrakteren Begriff: »Empfangen ist eine Wissenschaft der Frauen. (...) Wir dürfen nicht das Mütterliche vergessen.«[5] Schwanger möchte ich noch nicht werden, vielleicht sollte ich es lieber darauf nicht ankommen lassen und versuchen, es Carla Lonzi recht zu machen, ein »neues Subjekt« zu werden, das »ein neues Wort« »ausspricht«?[6] »Zweifellos« scheint dieses neue Wort schon da zu sein; ich bräuchte es nur Frigga Haug nachzusprechen: »Der Marxismus selber, die Theorie des wissenschaftlichen Sozialismus, ist zweifellos die ausgearbeitetste Theorie der Befreiung der Menschen und in dieser Weise eine Theorie, die für die Frauenbefreiung unabdingbar ist. (...) Die Erfahrungen der vielen Frauen in den unterschiedlichen Bereichen sollen begriffen werden. Von hier aus wollen wir den Marxismus schöpferisch ausbauen. (...) wir so den Marxismus nicht als Dogma verstehen.«[7] Doch jäh reißt mich Ti-Grace Atkinson aus dieser Hoffnung: »Unsere Theorie ist ausnahmslos eklektisch und abgeleitet. Unsere einzige Behauptung: nämlich daß Frauen der Inbegriff von Unterdrückung sind - ist nie systematisch entfaltet worden.«[8] Also gibt es noch kein "neues Wort"? Aber "neu" könnte ja auch heißen, mit Mary Daly einfach aus alt neu zu machen: »wenn wir uns entscheiden, dieselben Laute zu sprechen, so werden sie formal und existentiell neue Worte sein, denn der neue Zusammenhang macht sie dazu. Unser Entwicklungsprozeß ist unser Entwicklungsprozeß.«[9] Doch folge ich Luce Irigaray, so scheint die ganze Suche nach neuen Worten oder Begriffen verfehlt zu sein: »Zu behaupten, daß die Weiblichkeit sich als Begriff zum Ausdruck bringen kann, heißt bereits, sich in ein männliches Repräsentationssystem vereinnahmen zu lassen.«[10] Und Héléne Cixous fügt hinzu, daß »das Symbolische als Ort der Sprache der Ort des Vaters ist«.[11] Wenn es also mit dem neuen Wort so seine Schwierigkeiten zu haben scheint, vielleicht könnte die Mythologie meiner Verwirrung abhelfen; nach Einschätzung von Heide Göttner ist schon das ganze weibliche Geschlecht auf diesem Weg: »dieses gewaltlose Sichdurchdringen der physischen, psychischen und intellektuellen Kräfte, in der Komplexität der Tätigkeiten, im harmonischen Rhythmus der zeitlichen Abläufe war nicht nur Schönheit, sondern auch Weisheit, die Kunst der Integration. Die Mythologie ist (...) das Kernstück dieser Integration, (...) die Vision (...) diesmal eines ganzen Geschlechts, des weiblichen, das daraus seine neuen Identitäten zu gewinnen sucht.«[12] Ganz versunken in »Athenes Gestalt«, die »vielfältig und vollständig war (...) als die dreifaltige Göttin (...) und überaus schön«,[13] bevor Zeus' Herrschaft sie einschränkte, werde ich durch die energische Stimme von Maria Mies aufgestört: Achtung, hier spricht die Bewegung; wir fordern Sie auf, Ihre »Verpflichtung vor der Geschichte« zu erfüllen. Machen Sie umgehend Ihre »Betroffenheit zum Ausgangspunkt Ihrer Forschung«, heben Sie »konsequenterweise die Vereinzelung und das illusionäre Prinzip der "Einsamkeit und Freiheit" der "freien" Wahl des Forschungsgegenstandes auf« und machen Sie »die Wahl des Forschungsgegenstandes (...) abhängig (...) von den allgemeinen Zielen und den strategischen und taktischen Erfordernissen der sozialen Bewegung zur Aufhebung von Ausbeutung und Unterdrückung von Frauen«.[14]
Welch vielfältige Möglichkeiten eröffnen sich mir; meine Verwirrung scheint sich eher noch zu steigern. Vielleicht habe ich mir mit dem Ziel, sie zu verringern, zuviel zugemutet. Vielleicht wäre ich besser dran, wenn ich meinem »Bedürfnis nach jeglicher Vereindeutigung Widerstand leisten (würde) durch ein Spiel von Rollenbesitz und Rollenwechsel im gesellschaftlichen Zusammenhang, in Macht und Sprache«,[15] wie Eva Meyer empfiehlt. Sonst erginge es mir womöglich ähnlich wie Beilo in der Erzählung von Christa Wolf: »Beilo, ein harmlos-treues Tier, (...) der immer Freude am Gehorchen gezeigt, (wurde) zwischen zwei Befehle gestellt (...). Der Hund sei offenbar von dem Konflikt überwältigt worden (...) und (...) auf der Stelle eingeschlafen.«[16] Doch noch spüre ich keine Müdigkeit; was kann ich tun.
Keine der vielen Auffassungen erscheint mir auf Anhieb so einleuchtend, daß ich, auf weitere Prüfungen verzichtend, ihr folgen möchte. Ich stehe also vor einer Entscheidungssituation. Vorschläge liegen vor. Doch soll ich mich auf sie begrenzen? Sind nicht weitere Möglichkeiten denkbar oder auch Kombinationen daraus? Ich setze mir also erst einmal das Ziel, möglichst weitgehend Möglichkeiten für die Verminderung meiner Verwirrung zu denken und auf ihre Brauchbarkeit hin abzuschätzen. Doch wie kann ich zu Wissen um diese Möglichkeiten gelangen, abgesehen von denen, die andere mitgeteilt haben? Zunächst durch Reflexion darauf, worin eigentlich Verwirrung bestehen kann.
Ich versuche mich an einer Begriffsbestimmung von "Verwirrung". Gegenstandsbereiche meiner Wahrnehmung und meines Denkens können mir verworren erscheinen, ein Strickgarn, eine politische Situation. Verworren heißt hier: Mangel an gesollter Ordnung; wer diese Ordnung will oder aber auch, worin diese bestehen soll, das bleibe offen, aber als jeweils zu konkretisierendes bewußt. Verwirrung, die durch Verworrenheit u. U. ausgelöst werden kann, betrachte ich als eine spezifische Form reflexiver Verworrenheit, als Mangel an von mir gewollter Ordnung meines Denkens in bestimmten Bereichen; sie ist Voraussetzung für kreative Weiterentwicklung in allen Bereichen schöpferischen Denkens. Damit ist die Bedeutung der Verwirrung für mich auch abhängig von der Bedeutung der von ihr betroffenen Bereiche meines Denkens (und damit auch meines Handelns) und auch davon, ob sie die Tendenz hat, sich weiter auszubreiten. Wenn die Verwirrung auf mein gesamtes Denken übergegriffen hat, so möchte ich in Annäherung an psychiatrische Begriffsbildungen[17] von Verwirrtheit sprechen. Ich habe nicht nur etwa gesagt, daß mein Denken in Verwirrung ist, sondern sagte: Ich bin verwirrt (oder genauer jetzt: ich bin in Verwirrung); damit möchte ich zum Ausdruck bringen, daß mein Ich als meine Tätigkeiten einschließlich des Denkens mit Hilfe von Denken koordinierende Instanz eben durch den Mangel an Ordnung des Denkens in seiner Koordinationsfähigkeit für bestimmte Lebensbereiche beeinträchtigt ist.
Bevor ich zu der Frage nach möglichen "Heilmitteln" für meine Verwirrung komme, möchte ich nun etwas konkretisieren, welche Ordnungsmängel meines Denkens, welche Arten von Verwirrung es geben mag, ohne daß ich hier Vollständigkeit anstrebe.
Ich gehe davon aus, daß ein großer Teil menschlichen Verhaltens, körperlichen wie geistigen, einschließlich vieler Urteilsprozesse, auf Grund von wie auch immer bewußten oder gelungenen Entscheidungsprozessen zustande kommt. Verwirrung kann etwa eine Entscheidungsstörung in bestimmten Bereichen sein. Ich möchte nun einige mögliche Phasen und damit auch Störungsmöglichkeiten erwägen, wiederum ohne auf Vollständigkeit aus zu sein.
Angenommen, mir ist klar, daß ich, etwa in einem bestimmten Handlungsbereich, etwas tun will oder muß: ich urteile beispielsweise mittags um 1 Uhr antizipierend, daß ich bald hungrig sein werde; dies bewirkt,daß ich mir das Ziel setze, Essen zuzubereiten. Doch, was will ich konkreter und wie will ich dies verwirklichen? Vielleicht kommt mir eine Konkretion meiner Zielsetzung in den Sinn: etwa Obst mit Sahne zu essen. Vielleicht habe ich bei diesem Gedanken ein "gutes Gefühl", ich setze ihn als (gedankliches) Ziel und gehe an seine Vewirklichung heran. Ich habe mich hier intuitiv entschieden, denn es existierte nur ein Zielsetzungsvorschlag, dessen Setzung allein vom Gefühl abhängig gemacht wurde. Dieses Gefühl wird selbst Ergebnis komplexer geistiger Verarbeitungen und auch Regulationen sein, die ich mir aber hier nicht bewußt mache. Vielleicht habe ich aber auch kein so gutes Gefühl, oder mir kommt auch in den Sinn, daß ich mittags etwas Warmes essen sollte; damit versagt meine erste Zielkonkretion vor diesem aktualisierten Bewertungskriterium (das hier aus einer Begleitzielsetzung besteht); oder aber mir fallen auch alternative Zielkonkretionen ein: etwa ein Omelett oder Schnitzel und Kartoffeln zu essen. Vielleicht entscheide ich mich wiederum einfach aufgrund des besten Gefühls für eine der Alternativen, dann habe ich erwägend intuitiv entschieden; deshalb erwägend, weil ich hier mehrere positive Zielsetzungskonkretionen berücksichtigt habe. Zur Auswahl aus den alternativen Möglichkeiten können aber auch bewußte, verschiedene, unterschiedlich gewichtige Kriterien genutzt werden: so könnte ich beim Essen etwa auf ausgewogene Zusammensetzung der Nahrung, Giftstoffgehalt, ob es warm ist usw. achten, evtl. im Verein mit dem "guten Gefühl", hier der Lust auf das Essen, die sich bei bestimmten Vorstellungen von Speisen einstellt oder auch nicht. Schließlich erscheint mir eine der Alternativen gemessen an meinen Kriterien und ihrer Gewichtung und eventuell meiner Intuition als am besten und sie wird als Ziel gesetzt. Dann habe ich mich erwägend reflektierend entschieden oder auch erwägend reflektierend und erwägend intuitiv. Bei der darauf folgenden Verwirklichung können die eben aufgeführten Entscheidungsprozesse wieder auftreten, wenn ich nicht vorgefertigt verkoppelte Handlungssequenzen einsetzen kann oder will. Entscheidungs- und Verwirklichungsprozesse können individual sein, wie im Beispiel, oder aber auch sozial. An sozialen Entscheidungs- und Verwirklichungsprozessen kön nen andere ganz unterschiedlich beteiligt sein: etwa nur als Lieferanten von Alternativen oder von Selektionskriterien oder etwa für alle Phasen des Entscheidungsprozesses, bis auf die letzte der Setzung des Ziels, die sich eine andere Person vorbehält; oder aber, andere nehmen gerade an der Setzung nur teil, etwa gemäß Mehrheitsentscheidungsregelung usw.; auch kann es etwa sein, daß eine Person (etwa aus einem bestimmten Personenkreis) sich die abstrakteren, allgemeineren und folgenreicheren Entscheidungen vorbehält, während eine andere Person (etwa aus anderem Personenkreis) auf konkretere Stufen der Verwirklichung beschränkt ist. Usw. Die unterschiedliche Beteiligung an sozialen Entscheidungsprozessen ebenso wie die Verteilung individualer Entscheidungsprozesse auf bestimmte Handlungsbereiche kann - auf verschiedene Weisen sozial reguliert sein.[18]

Indem ich nun einige Arten und Phasen von Entscheidungsprozessen aufgeführt habe, ergeben sich reichlich Gelegenheiten, Arten von Verwirrungen zu unterscheiden.
Vielleicht ist in meinem Denken der Bereich der intuitiven oder erwägend intuitiven Entscheidungen gestört, vielleicht nur in bestimmten Handlungsbereichen: sei es, daß sich gar keine intuitive Bewertung einstellt - mein Gedanke, Obst mit Sahne zu essen gar kein Gef ühl auslöst-, sei es auch etwa, daß meine intuitiven Bewertungen im Widerspruch zu meiner ref lektierenden Bewertung mit Hilfe von Kriterien stehen: wenn ich etwa Süßspeisen als gesundheitsschädlich ablehne, aber - vor allem in der Phase der Änderung meiner Ernährungsweise - großen Appetit darauf habe. Ich möchte hier anmerken, daß Änderungen des persönlichen Verhaltens zunächst gegen eingewurzelte Intuitionen durchgesetzt werden müssen, was vermutlich nur durch einen zunächst größeren Anteil an reflektierenden Entscheidungsprozessen erreicht werden kann. Vielleicht ist auch meine Fähigkeit gestört, Alternativen zu denken oder von anderen zu erfahren und auch etwa auf Zusammenhang und Vollständigkeit hin zu überprüfen, dort, wo mir dies z.B. wegen der Bedeutung des in Frage stehenden Bereichs erforderlich zu sein scheint oder wo eben auch kein intuitives Entscheiden sich einstellt. Oder aber, ich bin gerade mit einer Vielfalt von Alternativen konfrontiert, und meine Kriterien oder auch Intuitionen greifen nicht, etwa weil ich ihnen mißtraue oder gar keine habe. Vielleicht habe ich mir sogar glücklich ein Ziel gesetzt, doch die Durchführung wird beispielsweise "vergessen" oder während der Durchführung wird das Ziel nicht mehr aufrechterhalten. Und und und. Derartige Mängel an Ordnung des Denkens können innerhalb individualer und auch sozialer Entscheidungsprozesse auftreten; bei den sozialen Prozessen kommen noch Möglichkeiten der Störung der bei ihnen erforderlichen sozialen Koordination hinzu.
Wie kann es nur zu solchen Verwirrungen kommen? Als Frauen, die sich in männlich geprägte Domänen wie die Universitäten begeben haben, sind wir, noch dazu, wenn wir emanzipatorische Zielsetzungen haben, für Verwirrungen vieler Art prädestiniert. Aus vielerlei Gründen.
Das soziale Verhältnis der Geschlechter ist wesentlich ein Verhältnis der geschlechtsspezifischen Verteilung von individualen Entscheidungs- und Durchführungsprozessen auf bestimmte Handlungsbereiche, auf bestimmte Formen von Entscheidungsprozessen und auf geschlechtsspezifisch auszufüllende Teilaufgaben in sozialen Entscheidungs- und Durchführungsprozessen. Teils wird dies rechtlich abgestützt, teils stellt es sich durch die gute Erziehung her, einschließlich der sozialen Modelle, wie sie in den Medien herumstolzieren, teils werden Änderungen von anderen, etwa Einstellungsinstanzen oder Kollegen und Freundeskreisen nicht zugelassen, teils auch erscheint es den Beteiligten als vorteilhafteste Wahl.
Untersuchungen über die geschlechtsspezifischen Entscheidungs- und Durchführungsverhältnisse in Familien haben ergeben ... aber ich glaube, das brauche ich hier nicht auszuführen.[19]
Das Vorherige konkretisierend: Bei der geschlechtsspezifischen Verteilung von individualen Entscheidungs- und Durchführungsprozessen auf bestimmte Handlungsbereiche ist es immer noch so, daß Frauen, die verheiratet sind oder in eheähnlichen Beziehungen leben, sich mehrheitlich stärker im Haushalt, in Kinderpflege und Erziehung engagieren, während bei den Männern mehrheitlich Beruf und Freizeittätigkeiten im Vordergrund stehen. Zur geschlechtsspezifischen Bevorzugung von Formen von Entscheidungsprozessen: Frauen wird klischeehaft stärker intuitives Denken unterstellt, den Männern hingegen "rationales" Denken; ich bezweifle, ob dies wirklich so ist; des weiteren ist zu bedenken, daß "rationales" Denken, worunter das von mir sogenannte erwägend reflektierende Entscheiden mitbegriffen wird, nicht per se gute Resultate erzielt; die hängen von den bedachten Alternativen ab, von den verwendeten Kriterien und dem Wissen über mögliche Auswirkungen von Alternativen. Es ist klar, daß intuitiv entscheidende Wesen für die abstrakteren, folgenreicheren Entscheidungsprozesse in den höheren Positionen sozialer Entscheidungs- und Durchführungshierarchien nicht geeignet sind - kein Unternehmergespür - dort sind Frauen denn auch selten zu finden, während sie in den für einfacher, geringer und konkreter gehaltenen unteren Positionen sozialer Entscheidungs- und Durchführungshierarchien stark vertreten sind, nochmals teilweise in Abhängigkeit von der Ähnlichkeit der Handlungsbereiche zur Hausfrauenarbeit. Ob dies auch so sein soll, ja, ob dies aufgrund der jeweiligen "natürlichen" Anlagen gar nicht anders sein kann, darüber gibt es keinen gesellschaftlichen Konsens.
Besucht nun eine Frau die Universität, so wird sie mit vielen relativ abstrakten und generalisierenden Urteilen und Urteilsmengen, mit Theorien aus dem gewählten Studien- und damit Gegenstandsbereich konfrontiert, und ihr wird dort, wo Studium noch nicht zu dogmatisierender Lehrbuchlektüre herabgesunken ist, die Forderung nahe gebracht, kritisch zu prüfen, einen Theorieansatz dem anderen vorzuziehen. Auch wenn die Wahl der Gegenstandsbereiche, der Studienfächer, schon stark geschlechtsspezifisch bedingt ist,[20] so vermute ich, daß Frauen dennoch aufgrund der gesellschaftlichen Entscheidungs- und damit auch Denkverteilungen und auch aufgrund der Urteile und Theorien, denen weibliche Perspektiven immer noch größtenteils mangeln und in denen auch Frauen selten zum Thema werden, in höherem oder auch anderem Maße in Verwirrungen geraten. Wenn auch gerade die Philosophie der geistig-soziale Ort ist, an dem Männer wie Descartes [21] oder deutlicher noch Wittgenstein[22] ihre Verwirrungen mitteilten und sich von philosophischem Denken "Heilung" erwarteten (Vielleicht auch deshalb das gerade in der Philosophie besonders große Bemühen, Frauen fernzuhalten; ihnen soll der Anblick männlicher Schwächen erspart bleiben). Es lassen sich nun, je nach Art und Weise des Wirksamwerdens, verschiedene "Heilmittel" gegen Verwirrungen unterscheiden. Vergleichbar den Arzneien gegen körperliche Krankheiten gibt es auch hier solche, die die Symptome, nicht aber das Leiden selbst kurieren. Dazu gehört etwa der Rückzug aus Handlungsbereichen, in denen besonders Verwirrungen auftreten: so der Rückzug aus der Universität oder auch nur aus bestimmten Bereichen von Wissenschaft und Philosophie, z.B. den mehr theoretischen und Hinwendung etwa zu konkreteren Handlungsbereichen. Weiterhin ist hier an magische Praktiken[23] zu denken, die die Verwirrungen zeitweilig zu überdecken vermögen oder auch sozial nicht auffallen lassen, wie beim Bluff.
Sodann kann auch Amputation und Ersatz durch Prothesen versucht werden. Ich übernehme ein fertiges Denkprogramm, das mich für die Zukunft mit Intuitionen und Kriterien auch zur Abwehr von anderen Denkprogrammen versorgt, das ich selbst aber nicht erwägend reflektierend entschieden habe.
Weiterhin lassen sich Heilmittel denken, die mehr oder weniger umfassend ursächlich, teils im Nachhinein, teils präventiv kurieren. Dies zum einen etwa dadurch, daß ich mich, da Verwirrung ja bereichsspezifischer Mangel an von mir gewollter Ordnung meines Denkens ist, einfach von meinem Willen zur Ordnung trenne oder meine Ordnungsansprüche herabsetze. Andererseits kann ich, meine Ordnungsansprüche beibehaltend oder sogar noch erhöhend, versuchen, Verwirrungen zu reflektieren und die Bedingung zu erkennen, die sie begünstigen; ich kann Verfahren entwickeln, anwenden und wiederum reflektierend verbessern, das Denken zu ordnen und ihm damit auch kreative Impulse zu geben, und dies nicht nur für einen akut gestörten Denkbereich, sondern auch generalisierend fürandere Bereiche meines Denkens und anderen zur Anregung; auch an Mittel zur Stärkung von Intuitionen, die den Intuitionen, die gesellschaftliche Unterdrückung perpetuieren, entgegenstehen, ist hier zu denken, wie auch an den Kampf gegen die gesellschaftlichen Bedingungen, die geschlechtsspezif ische Verwirrungen fortlaufend hervorrufen, nämlich die geschlechtsspezifischen Entscheidungsverteilungen in ihrer Ideologie und Praxis.
Kann ich mich für kein Heilmittel entscheiden oder ist keins vorhanden, so gerate ich womöglich in den Zustand der Hilflosigkeit; die Depression, bei Frauen weit häufiger festgestellt als bei Männern,[24] ist nicht mehr fern. Nach diesem Ausflug in die Verwirrungs- und Heilmittelkunde habe ich mir nun bessere Bedingungen geschaffen, die Heilkraft feministisch orientierter Denkansätze für Verwirrungen einzuschätzen.
Symptomkurierende Rückzüge scheinen mir verbreitet zu sein, wenn etwa nur ein kleiner Teilbereich von möglichen Erkenntnis- und Ausdrucksmitteln in den Mittelpunkt weiblichen Philosophierens gestellt wird. Dies gilt m. E. für die Konzeptionen, in denen die eine oder die andere Art des Wahrnehmens und generell das Empfangen empfohlen werden, wie bei Daly, Huber und Cixous. Dies gilt weiterhin für die Konzeptionen, in denen das begriffliche Denken für unweiblich erklärt wird, wie bei Irigaray oder Cixous, oderauch für Meg Huber, wenn sie sich gegen Argumentieren wendet.[25] Dies sind Rückzüge entsprechend patriarchalischen Weiblichkeitsmodellen. Auch magische Praktiken scheinen mir, zum Teil in Verbindung mit anderen Heilmitteln, sehr verbreitet zu sein. Carla Lonzis von einem neuen Subjekt ausgesprochenes neues Wort zum Beispiel oder etwa die Beschwörung der philosophierenden Schwesterschaft bei Mary Daly,[26] und auch der verdammende Tonfall von Ti-Grace Atkinsons Kritik feministischer Theorie und Praxis erinnert mich eher an Exorzismusrituale als an Aussagen, die an Wahrheit orientiert sein sollen. Heide Göttners Empfehlungen matriarchaler Mythen auch als neuerliche Visionen des weiblichen Geschlechts können sich leicht mit magischen Erwartungen verbinden, auch wenn Göttner in Diskussionen betont, aber abstrakt läßt, daß dies nicht naiv, sondern im Wissen um gegen wärtige gesellschaftliche Bedingungen zu geschehen habe. Prothesen werden ebenfalls lebhaft empfohlen, wenn etwa Frigga Haug die zweifellose Unabdingbarkeit des Marxismus für die Frauenbefreiung behauptet. Auch die eine Variante ursächlichen Kurierens, bei der das Anspruchsniveau gesenkt wird, wird von feministisch orientierten Denkerinnen zum Teil im Verein mit Rückzugsempfehlungen propagiert, wenn etwa Eva Meyer »dem Bedürf nis nach jeglicher Vereindeutigung Widerstand leisten möchte«, oder wenn Meg Huber sich gegen Denken als System, d.h. gegen in bestimmter Ordnung zusammenhängendes Denken ausspricht.[27] Schließlich gibt es auch Vorschläge für ursächliches, anspruchsverwirklichendes Kurieren, bei dem das Denken in Richtung auf die eigenen Ansprüche hin verbessert werden soll. Doch, und das warfür mich sehr erstaunlich, dieses Streben, insbesondere soweit es um umfassende Lösungen geht, scheint mir im Bereich der philosophischen Frauenforschung äußerst schwach entwickelt zu sein und kaum über programmatische Äußerungen hinaus gelangt, auch wenn mit der immer wieder erhobenen Forderung nach Interdisziplinarität in der Frauenforschung hohe Ordnungsansprüche gesetzt sind. Mit Einschränkungen schätze ich die Konzeption von Maria Mies als zu dieser Art von Heilmitteln gehörig ein. Sie fordert, Betroffenheit zum Ausgangspunkt der Forschung zu machen, der Begriff bleibt allerdings vage, mögliche unterschiedliche Betrof fenheiten zwischen Untersucherinnen und Untersuchten werden nicht zum Thema, es findet eine unreflektierte Entscheidung zugunsten der Orientierung an »den Bedürfnissen und Interessen der Mehrzahl der Frauen« statt; meine Verwirrung paßt da wohl nicht hinein, die Orientierung an anderenkann Prothesenfunktion für mich bekommen; ihre Forderung nach Bezug der Forschung zum Kampf gegen die Unterdrückung von Frauen läßt sich als Programmatik für ursächlich anspruchsverwirklichende Heilmittel verstehen, doch indem sie sich gegen »Einsamkeit und Freiheit«, »freie Wahl des Forschungsgegenstandes« wendet, und eine, wenn auch selbstverantwortete Unterordnung unter eine m. E. in ihrer Einheit fiktive soziale Bewegung fordert, wird die Forscherin in der Entwicklung ihres Denkens nicht gefördert; auch werden keine Mittel zur Verbesserung der Ordnung des Denkens vorgeschlagen, die Priorität hat die Problematik empirischer Forschungsmethoden. Am relativ brauchbarsten scheint mir die Programmatik von Frauenforschung zu sein, die Heide Göttner[28] vorgeschlagen hat; sie berücksichtigt sowohl subjektive Betroffenheit, als auch darauf aufbauend methodische und theoretische Ebenen, sowie das Problem der »Rückvermittlung von Theorie in den sozialen Zusammenhang«. Als mögliche Mittel, feministische Intuitionen zu stärken, sehe ich eher bildhafte, metaphorische Darstellungen an, wie sie von Autorinnen des Empfangens bevorzugt werden, aber auch etwa Ergebnisse der Erforschung matriarchaler Gesellschaften und Mythen und von selbstbestimmten Lebensweisen von Frauen. Ohne starke Verbindungen allerdings mit reflexiven, begrifflichen Heilmitteln besteht die Gefahr, daß das, was als Heilmittel im feministischen Sinne gedacht war, hin zur Anpassung an die patriarchalische "Krankheit" heilt.
Ich bin nun der Meinung, daß dieser Bereich ursächlich anspruchsverwirklichender Heilmittel insbesondere der reflexiven Art weitaus mehr Beachtung und Denkarbeit auf sich ziehen sollte. Zum einen aus dem i Grunde, daß er im Vergleich zu den anderen zumindest innerhalb der philosophischen Frauenforschung trostlos unterentwickelt ist. Zum anderen deshalb, weil ich ihn für den wichtigsten und wirksamsten halte; ohne daß ich das hier weiter ausführen möchte. Und des weiteren deshalb, weil die feministische philosophische Frauenforschung sonst von erkenntnistheoretischen Konzepten abhängig bleibt, die von Männern entwickelt wurden und größtenteils Ausdruck herrschaftlicher Verhältnisse sind, wie beispielsweise aprioristische und platonistische Konzeptionen, das Streben nach absoluter Sicherheit und idealen Welten.[29]
Ich habe mich in meinem Denken dem Bereich ursächlich anspruchsverwirklichender reflexiver Heilmittel von Verwirrungen zugewandt, zunächst als individuelles Heilmittel. Ich untersuchte - zwischen den Empfängnissen und Aussprachen -: verschiedene Prozesse geistiger Verarbeitungen, etwa Urteils- und Entscheidungsprozesse.[30] Sowohl meine Erkenntnis der Möglichkeit und der Möglichkeiten geistiger Verarbeitungen, als auch die Reflexion auf Vorgehensweisen, die mich zu diesen Resultaten gelangen ließen, ermöglichen es mir nun, mein Denken methodischer zu gestalten und durch weitere Selbstreflexionen dabei meine Methoden zu prüfen und zu erweitern.
Beispielsweise: indem ich Wirkliches mit Möglichem konfrontiere und reflektiere, daß ich dies mit Hilfe begrifflicher Ausprägungen einer begrifflichen Ebene tue (etwa "Mittel der Verminderung von Verwirrung" als Ebene und als deren begriffliche Ausprägungen etwa "Wahrnehmen" und "geistige Verarbeitungo; indem ich Existenz- und Abhängigkeitsverhältnisse unter den Gegenständen der begrifflichen Ausprägungen bei Berücksichtigung verschiedener Kombinationsmöglichkeiten untersuche; indem ich Ausprägungen weiter konkretisiere (etwa Arten geistiger Verarbeitungen unterscheide) und damit selbst als Ebenen mit Ausprägungen behandle; oder, indem ich umgekehrt mich von einer Ebene zu einer abstrakteren Ebene bewege, deren Ausprägung damit die erste Ebene wird (ich etwa die zuvor als Ebene behandelte "geistige Verarbeitung" nun als Ausprägung der Ebene "Mittel der Verminderung von Verwirrung" reflektiere). Dabei gehe ich davon aus, daß konkretere Begriffe sich aus abstrakteren kombinieren lassen.
Damit sind also als kombinatorische Vorgehensweisen angedeutet: horizontales Denken als Suche nach Ausprägungen einer Ebene; verknüpfendes Denken, das Beziehungen zwischen Etwassen erfassen läßt; und vertikales Denken, das vom Abstrakteren zum Konkreteren und vom Konkreteren zum Abstrakteren gelangen läßt, indem abstraktere Begriffe zu konkreteren kombiniert und konkretere zu abstrakteren dekombiniert werden".[31]
Kombinatorisches Denken ist also keineswegs nur mathematische Kombinatorik. Selbsterfahrung ist es nicht gegenüberzustellen; vielmehr erfordert es einen hochreflexiven Umgang mit sich selbst. Auch poetischen Erkenntnis- und Ausdrucksformen kann es zugrundegelegt werden. Es erfordert allerdings die Bereitschaft zunächst zur Distanz von Wahrheitsannahmen, gesetzten Zielen oder etwa Vorstellungen von Geschichten, indem es das denkbar Mögliche ins Spiel und zur Prüfung bringt. Damit wirkt es ideologischem Denken entgegen, das »einen gegebenen gesellschaftlichen Zustand gegen seine historischen Alternativen verwahr(t) und abschirm(t), ja die historische Begrenztheit eines bestehenden Zustandes leugne(t).«[32]
Hoffnungsfroh scheue ich mich nun nicht, Philosophie als die "Heimat" eines Denkens zu verstehen, »für das 1. seine jeweiligen Träger/innen selbst verantwortlich sind, das sich 2. sprachlich mitteilt und darüber hinaus auch ausdrückt, das 3. in gewissem Maße persönlich kontinuierlich ist, das 4. frei ist, sich alles zum Gegenstand machen zu können und das insbesondere auch sich selbst zum Gegenstand macht, das sich selbst 5. Regeln gibt, das 6. unter der Zielsetzung umfassender Erkenntnis oder auch Sinngebung in einer Person steht, das 7. jedenfalls auch abstrakt und allgemein ist, das 8. sofern es Erkenntnis ist, von dem rücksichtslosen Bestreben nach Wahrheit geleitet ist und das 9., wo dies möglich ist, in Auseinandersetzung mit (...) (dem) Denken anderer steht«.[33] Eine solche Philosophie wird zur Kombinatorischen Philosophie, wenn im obigen Sinne kombinatorische Denkmittel verwendet werden und verwendet werden sollen. Aufgrund bestimmter Gegenständlichkeiten, emanzipativer Anforderungen an die Denkmittel und durch engen (aber nicht Philosophie funktionalisierenden Bezug) zur feministischen politischen Zielsetzung der »Abschaffung der Frauenunterdrückung«[34] wird Philosophie zur philosophischen Frauenforschung oder pointierter - zur feministischen Philosophie, wenn sie die Situation von weiblichen Lebewesen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, ihre Ursachen und Folgen für alle Lebensbereiche, das eigene Denken nicht ausgenommen, untersucht, und Perspektiven zur Verminderung und Aufhebung der gegenwärtigen Frauenunterdrückung, wiederum bis hin zu den eigenen Denkmitteln thematisiert oder auch eröffnet. Feministische Philosophie, die gemäß einem kombinatorischen Theorieprogramm entwickelt wird, wird damit zur feministisch kombinatorischen Philosophie bzw. zur kombinatorischen philosophischen Frauenforschung.[35] Kombinatorisches Philosophieren könnte ein Mittel sein, die immer wieder geforderte und so wenig verwirklichte Interdisziplinarität in der Frauenforschung[36] zu fördern.
Wenn feministisches Philosophieren überwiegend euphorische Träume erzeugt, werden wir uns im unausbleiblichen Erwachen hilflos vorfinden.[37]

Diskussion zu: "Kombinatorische Frauenforschung", von Gabriele Gutzmann

Diskussionsleitung: Cornelia Klinger

A.: Inwiefern soll die Kombinatorische Frauenforschung eine Philosophie ursächlichen Heilens sein? Wie gehören Ursache und Wirkung zusammen?
G.G.: Ich habe als Problemstellung meine Verwirrung gewählt; der erste Schritt zur Problemlösung war es dann, mich zu fragen, wie läßt sich Denken, wie lassen sich Urteilsund Entscheidungsprozesse genauer charakterisieren. Sowohl der Erkenntnisprozeß selbst, auf den ich mich dabei eingelassen habe, als auch seine Ergebnisse ermöglichen mir, meinen Geisteszustand zu verbessern, geordneter zu denken und damit Verwirrung entweder nicht mehr entstehen zu lassen oder aber, sie besser entwirren zu können. Das betrachte ich als ursächliches Heilen insofern, als auf das Phänomen selbst eingewirkt wird. In einem weiteren Schritt läßt sich fragen, aufgrund welcher Bedingungen bin ich, sind andere übefhaupt in Verwirrung geraten? Hier entdecke ich etwa die gesellschaftliche, geschlechtsspezifische Entscheidungsverteilung und ihre Tradierung und lnternalisierung. Kombinatorische Frauenforschung, Philosophie und Wissenschaft überhaupt, können hier Ursachen erkennen lassen, ebenso wie Möglichkeiten von Veränderung, sie können vielleicht auch zur Veränderung der erkennenden Individuen beitragen; weitergehende "Heilungen" verspricht hier politisches Handeln.
B.: Geht es Dir um das Denken an sich, als Sinn des Lebens, oder kommt es darauf an, welches Ziel ich mit meinem Denken anstrebe?
G.G.: Aufgrund der Arbeitsteilung in unserer Gesellschaft können es sich einige Individuen wenigstens eine gewisse Zeit leisten, ihrem Denken mehr Auf merksamkeit zu widmen und in dertat die Untersuchung und Reformation ihres Denkens als relativ autonomen Zweck zu setzen. Ich habe dies auch unternommen, hoffe aber, daß die Ergebnisse eines solchen Denkens für das Wissenschaftssystem und darüber hinaus für gesellschaftliches Handeln nützlich sein können.
C.: Gabi, trotz dieser Verwirrtheiten, die Du uns, den ganzen anderen feministischen Autorinnen nachgesagt hast, würdest Du mich doch zum Essen einladen? Bestimmt, oder? Nehmen wir es an. Ich komme, sitze am Tisch und die Gabi sagt zu mir »Moment, es ist gleich soweit, noch eine kurze halbe Stunde«. Sie geht in die Küche. Ich warte und warte. Nichts passiert. Ich werde unruhig, dann denke ich: nein, das geht nicht, und schaue in die Küche. Die Gabi ist vollkommen vertieft, auf dem Herd dampft es. Ich denke: nein, ich muß mich zurückziehen, einen Rückzug machen. Wieder nach einer Weile, das Essen kommt immer noch nicht, schaue ich erneut in die Küche, Gabi brütet, und ich denke: O Gott ja natürlich, sie hat ja auf dieser Philosophinnentagung erzählt, daß sie vollkommen verwirrt ist, und bis zur Bereitung des Omeletts oder was sonst kommen mag, muß erst einmal A, B, C usw. alles durchprobiert werden, damit es gelingt. Ich ziehe mich noch einmal zurück. Wir wären inzwischen bestimmt schon längst beim Dessert angekommen. Ja, und dann fällt mir ein, nein, das ist es gar nicht. Ich rase in die Küche, sage: »Gabi, ich hab's, es ist nicht die Verwirrung, sondern Dein Rezept, warum man ewig auf das Essen warten muß, Dein Rezept, das lautet: vom Konkretesten zum Abstraktesten und wieder zurück.
G.G.: Meg, das ist ja ein trostloses Bild. Lade Du mich doch lieber zum Essen ein, vielleicht kommen wir dann schneller...
C.: Sehr gut, das geht blitzschnell bei mir.
G.G.: Andererseits glaube ich nicht, daßes Dir bei mirso schlechtergehen würde, wie Du befürchtest. Nach dem Rezept des kombinierenden Aufsteigens vom Abstrakteren zum Konkreteren und wieder zurück sind von mir und anderen einige Speisen - ob sie Dir schmecken würden, weiß ich allerdings nicht - zustande gebracht worden, zugegeben vielleicht etwas mühsamer als bei den Köchinnen, die sich stärker an Bilderrezepte halten.
C.: Das darf doch nicht im Ernst unser Vorbild sein! Welche Kochbücher liest Du?
G.G:.: Ich versuche, sie selber zu verfassen.
C.K.: Bevor Meg und Gabi zum Austausch von Kochrezepten übergehen, möchte ich die Diskussion jetzt abbrechen, abrupt, halbabrupt ...
E.: Habe ich Dich richtig verstanden, daß Du bei den Heilmethoden, die die Symptome und nicht das Leiden lindern, die Magie aufgeführt und als Bluff bezeichnet hast?
G.G.: Ich habe nicht die Magie Bluff genannt, sondern sehe Bluff als eine mögliche Form von Magie an; vielleicht ist das eine etwas kühne Zusammenstellung. Ohne mich hier auf einen allgemeinen Begriff von Magie festlegen zu wollen, so rechne ich doch versuchsweise die große Klasse sozialer Veranstaltungen zur Magie, in denen ohne Rücksicht auf die tatsächlichen Existenzbedingungen von Etwas der Eindruck erweckt oder auch befestigt werden soll, Etwas sei so, wie es eben nicht ist oder Etwas würde durch bestimmte tatsächlich aber nicht wirksame - Handlungen so. Bluff soll Verwirrung überdecken. Demnach wäre er eine Form von Magie.
E.: Ich verstehe vielleicht unter Magie etwas anderes.

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