Genauso wie den Frauen und den Mitgliedern bestimmter Rassen und Religionen, wurde auch den Kindern nachgesagt, daß es ihnen an Urteilsfähigkeit, Klarheit, Besonnenheit und der Fähigkeit ermangelt, für sich selbst zu denken. Und wenn man sie dennoch ermutigt dies zu tun, würde dies nur zu einem Chaos führen.
Selten wurden die Gedanken von Kindern wichtig genommen und die Kindheit wurde nur als Vorbereitung, als Entwicklung hin zum Erwachsenwerden, betrachtet. Es wurden zwar die Entwicklungsstufen der Kinder festgestellt, der Spracherwerb wurde untersucht, man fragte sich wie man Kinder motivieren könnte, doch beschäftigte man sich kaum mit den Gedanken der Kinder. Kinder wurden zum Forschungsgegenstand erhoben, sie wurden zum Thema, nicht beiläufig oder etwa vernachlässigt, über Kinder wurde geschrieben, geforscht. Doch wie oft wurden Kinder befragt? Nach ihren Interessen, Wünschen, ihren Fragen und Gedanken?
Wie steht es nun mit der Philosophie, was hat die Philosophie mit Kindern zu tun? Wann haben sich Philosophen überhaupt mit Kindern beschäftigt? Philosophen haben sehr selten über Kinder geschrieben und auch der entscheidende Lebensabschnitt der Kindheit wurde meist ignoriert. Überhaupt war Philosophie eher gedacht als Erwachsenenangelegenheit und nicht für Kinder bestimmt. Die Geschichte der Philosophie zeigt, daß die Aufnahmefähigkeit und Kapazität von Kindern für philosophische Reflexionen nur sehr selten in Betracht gezogen wurden und, daß noch weniger die Rede davon sein kann, daß Kinder gar angeregt oder ermutigt worden wären.
Platon, Aristoteles wie auch Kant trauen erst den "Älteren" zu, die Fähigkeit zu haben, zu argumentieren, sich mit ethischen Fragestellungen auseinanderzusetzen und in dem Sinne auch zu handeln. Platon spricht in diesem Zusammenhang von der Kunst der Dialektik, die erst den Älteren zukommt. Aristoteles stellt zwar einerseits die Verwunderung, das Staunen als Ansatz philosophischen Denkens dar und schreibt im ersten Buch der Metaphysik: »Weil sie sich nämlich wunderten, haben Menschen zuerst wie jetzt noch zu philosophieren begonnen; sie wunderten sich anfangs über das Unerklärliche, das ihnen entgegentrat. Allmählich machten sie auf diese Weise Fortschritte und stellten sich über Größeres Fragen, etwa über Affektionen des Monats und die von Sonne und Sternen und über die Entstehung des Alls.«[1] In der Nikomachischen Ethik[2] spricht Aristoteles aber anderseits von der fehlenden Lebenserfahrung und davon, daß junge Menschen zwar Mathematiker, nicht aber Philosophen werden können.
Wenn aber das Staunen, das Wundern die Quelle des Philosophierens ist, könnte man die Frage stellen, ob nicht vielleicht jeder Mensch zumindestens in seiner Kindheit in naives Staunen geraten ist, fundamentale Fragen gestellt hat, genau beobachtet und vieles hinterfragt hat. Wären das nicht bereits Ansätze philosophischen Denkens?
Kant setzt sich bereits mit Methoden und Zielen des Philosophieunterrichts auseinander und erwägt sogar den kategorischen Imperativ mit Zehnjährigen zu besprechen, doch bringt auch er das Argument der "frühklugen Geschwätzigkeit".[3] Obwohl also jede andere Disziplin, wie z. B. Mathematik, Physik, Chemie für Kinder zugänglich gemacht wurde und man Kinder reif genug erachtete, diese Lehrinhalte auch zu verstehen, blieb Philosophie für »reifere Denker« reserviert. Die Argumentation dafür war dahingehend: Philosophie sei zu schwer und junge Menschen, erst recht Kinder, seien zu unreif, um dieser Disziplin gewachsen zu sein.
Man kann diese Argumentation nun entwicklungspsychologisch beleuchten. Obwohl sich zwar keine rein genetisch determinierten Entwicklungsstufen behaupten lassen, kann man, nach Piaget, von kognitiven Stufenfolgen sprechen. Die Entwicklung im kognitiven, wie auch im affektiv-emotionellen Bereich kann jedoch durch äußere Faktoren (wie Schule, Eltern ...) gefördert oder gehemmt werden.
Hier soll nicht näher auf die kognitiven Stufen menschlicher Entwicklung eingegangen werden, es wird lediglich bemerkt, daß Piaget durch die Entwicklungsperiode eine wichtige Trennlinie zieht. Diese fällt ins Alter von 7-8 Jahren, zu welcher Zeit das kindliche Denken umkehrbar und bewußtermaßen sozial, aktiv wird. Diese Periode stellt einen Übergang dar von der subjektiven Zentriertheit, wie Piaget das nennt, zu einer zugleich kognitiven, sozialen und moralischen Dezentrierung. Auch im Alter von 10-11 Jahren kann man von einem Übergang sprechen und sagen, daß Kinder in diesem Alter prinzipiell zu abstrakten Denkoperationen fähig sind. Kinder beginnen schon in der frühesten Kindheit "Warum" zu fragen. Kinder fangen also an nach einer Begründung zu fragen "Warum etwas so ist, wie es ist." Diese Fragen werden von Erwachsenen oft als lästig empfunden und als "typisch kindliche Fragen" abqualifiziert.
Schon John Locke mißbilligt dieses Verhalten der Erwachsenen, da es Kinder hemmt weitere Fragen zu stellen. Er versucht Wege aufzuzeigen, wie man Kinder in ihren Fragestellungen bestärken kann, und schreibt an seinen Freund Clarke im Jahre 1658: »Die Neugierde der Kinder ist der Wissensdurst nach Erkenntnis, darum sollte man diese in ihnen fördern und ermutigen.«[4] Locke bringt auch ein Beispiel, das Erwachsenen vielleicht ermöglicht, die Gedanken und Fragen der Kinder zu verstehen: Nehmen wir an wir werden, so wie wir jetzt sind, in Japan abgesetzt, hätten nicht auch wir tausende Fragen zu stellen?
Die meisten Erwachsenen haben keinen Zugang zur Philosophie gefunden, daher ist es ihnen auch kaum möglich, die philosophischen Dimensionen in den Fragen ihrer Kinder zu erkennen. Von philosophischer Seite gibt es nur einige wenige, die sich mit dem Thema »Kinderphilosophie« beschäftigt haben. Hier läßt sich Karl Jaspers nennen, der in seiner Einführung zur Philosophie schreibt: »Wer sammeln würde, könnte eine reiche Kinderphilosophie berichten. Der Einwand, die Kinder hätten das vorher von Eltern oder anderen gehört, gilt offenbar gar nicht für die ernsthaften Gedanken. Der Einwand, daß diese Kinder doch nicht weiter philosophieren und daß solche Äußerungen nur zufällig sein könnten, übersieht eine Tatsache: Kinder besitzen oft eine Genialität, die im Erwachsenenalter verloren geht. Es ist, als ob wir mit den Jahren in das Gefängnis der Konventionen und Meinungen, der Verdeckungen und Unbefragtheiten eintreten, wobei wir die Unbefangenheit des Kindes verlieren. Das Kind ist noch offen im Zustand des sich hervorbringenden Lebens, es fühlt und sieht und fragt, was ihm dann bald entschwindet. Es läßt fallen, was einen Augenblick sich ihm offenbarte und ist überrascht, wenn die aufzeichnenden Erwachsenen ihm später berichten, was es gesagt und gefragt habe.«[5]
Heute kann man die Einwände, daß Philosophie keine Kinderangelegenheit sei, dadurch entkräftigen, daß man auf vielfältige Erfahrungen mit Kinderphilosophie zurückblicken kann.
Nicht nur aus Amerika, sondern auch aus Canada, Australien, aus Europa, vor allem aus Dänemark, Deutschland und Frankreich und Österreich liegen Erfahrungsberichte vor. Die Erkenntnis, wie relevant Philosophie für Kinder eigentlich ist, hat nicht nur bei Philosophen, sondern auch bei Pädagogen zu einem Prozeß des Umdenkens geführt.
Immer wieder stellt sich die Frage, wie man Schüler und Studenten am besten motiviert. Überraschenderweise hat gerade der Philosophieunterricht gezeigt, daß Kinder signifikante Förderungen erfahren haben. Um zu erfahren wie sich diese Förderung auswirkt, wurden wissenschaftliche Vergleichsuntersuchungen an Schulen angestellt. Der Vergleich der Kinder, die an Philosophiekursen teilnahmen, mit einer Kontrollgruppe, die diesen Unterricht nicht hatte, brachte erstaunliche Ergebnisse zutage: Die Kinder erzielten nicht nur im Lesen und Rechnen bessere Resultate, sondern zeigten sich auch in ihrem Sozialverhalten durch die Behandlung ethischer Fragestellungen - toleranter und offener als Kinder der Kontrollgruppe.[6] In Amerika werden seit Beginn der 70iger Jahre intensive Studien zu dem Problemkreis "Philosophy for Children" betrieben. Das »Institute for the Advancement of Philosophy for Children« in Montclair hat seit seiner offiziellen Gründung im Jahre 1974 Pionierarbeit auf dem Gebiet der Philosophie für Kinder geleistet. Es wurde viel Arbeit und Phantasie in die Erstellung spezifischer Philosophiebücher investiert, die von der Alltagswelt der Kinder ausgehen, außerdem sind spezifische Unterrichtsmethoden erprobt worden, die das Denken anregen und die Phantasie unterstützen. Der Autor dieser Bücher ist der amerikanische Philosoph Matthew Lipman. Lipman war 20 Jahre Professor an der Columbia University. 1968 während der Studentenunruhen überlegte er, daß im Erziehungsbereich etwas grundlegendes verändert werden sollte.
Er erkannte, daß Kinder viele eigene Ideen und Neigungen haben und sah die philosophischen Dimensionen in den Fragen der Kinder, die von Erwachsenen und der Schule oft nicht beachtet und eher untergraben wurden.
Kinder sollten nicht Fragen stellen, sondern Fragen beantworten. Sie sollten eher lernen zu wiederholen, was ihnen vermittelt wurde. Es wurde ihnen so die Möglichkeit genommen, selbst Antworten zu finden, selbst zu entdecken. Die natürliche Fragelust wurde abgewürgt durch den künstlichen Fragezwang der Schule.
Doch Interesse äußert sich in Fragen und von klein auf beginnt Lernen und Denken mit Fragen stellen. Lipman überlegte, wie könnte man die Qualitäten der Kinder, die sie von Natur aus haben, wie z. B. Ideenreichtum, Wißbegierde ... und auch das Denken der Kinder fördern?
Weitere Überlegungen und Forschungen zu diesem Thema führten Lipman dazu, das Buch Harry Stottelmeier's Discovery[7] zu schreiben. Es ist als Teil einer Einführung für Kinder in die Philosophie gedacht. Inhaltlich wird versucht, Themen aus den verschiedensten alltäglichen Erfahrungsbereichen philosophisch zu erörtern.
Es ist das erste Buch einer Serie von Kinderbüchern, die vom »Institute for the Advancement of Philosophy for Children« entwickelt wurde. Es ist kein philosophischer Text, es ist ganz einfach eine Geschichte. In 17 Kapiteln wird in erzählender Weise, ausgehend von den alltäglichen Situationen und Problemen der Kinder, eine Geschichte über die Kinder und ihre Umwelt erzählt. Diese wird Ausgangspunkt zum Philosophieren. Lernziel mit diesem Text ist es, Kinder in die elementare Logik einzuführen und sie mit deren Regeln bekannt zu machen. Es wird aber nicht nur vermittelt, wie man logische Gesetzmäßigkeiten in unserer Sprache und unserem Denken entdecken kann, sondern auch wie man sie anwendet.
Kinder denken ganz von selbst, untersuchen und prüfen, die Logik wird dabei zu einem Hilfsmittel für sie, Problemsituationen durchschaubar zu machen und verschiedene Möglichkeiten von Lösungen durchzudenken. Logische Operationen und Beziehungen werden so aus dem menschlichen Handlungszusammenhang erklärbar gemacht.
Im Text selbst werden aber keine "Fachtermini" verwendet, der Begriff "Philosophie" taucht nirgendwo auf, auch werden keine philosophischen Theorien vertreten oder verteidigt. Das Ziel ist also nicht, daß Kinder Philosophie oder Philosophen studieren, sondern, daß sie denken, begründen und zuhören lernen und so selbst die Möglichkeit haben, eigene Ideen zu entwickeln und zu überprüfen.
Um besser vermitteln zu können, wie das in der Praxis aussieht, ist es wohl am besten vom Inhalt des ersten Kapitels der Geschichte Harry Stottelmeier's Entdeckungen zu erzählen:
Harry Stottelmeier ist ein etwa 12jähriger Junge. Es passiert ihm das, was auch vielen von uns im Unterricht widerfahren ist. Er träumt vor sich hin und paßt nicht auf. Gerade in diesem Augenblick fragt ihn der Lehrer, was sich um die Sonne bewegt. Kurz davor hatte der Lehrer von Kometen gesprochen und das wäre die richtige Antwort gewesen. Harry weiß noch von der letzten Unterrichtsstunde, daß alle Planeten sich um die Sonne bewegen, also antwortet er zögernd. Ein Planet? Es ist die falsche Antwort.
Harry ärgert sich und am Nachhauseweg hört er noch, was der Lehrer einmal im Unterricht gesagt hat: »Alle Planeten drehen sich um die Sonne.« Harry überlegt und versucht den Satz umzudrehen: »Alles was sich um die Sonne dreht sind Planeten.« Er probiert es auch an anderen Sätzen aus und entdeckt eine Gesetzmäßigkeit. Er ist überrascht, daß man zwar korrekt sagen kann, »Alle Eichen sind Bäume«, daß man aber nicht umgekehrt davon sprechen kann, daß alle Bäume Eichen sind. Er macht so die große Entdeckung: »Wenn man Sätze umdreht sind sie nicht länger wahr.« Harry ist so fasziniert, daß er einer Freundin am Nachhauseweg sofort mitteilen will, was er entdeckt hat. Lisa ist skeptisch, und als Harry es ihr beweisen will, gibt Lisa ihm den Satz: »Keine Adler sind Löwen«. Harry dreht den Satz um und ist enttäuscht, daß es nicht funktioniert. Wenn er diesen Satz umdreht »Keine Löwen sind Adler« so ist er genauso wahr, wie der erste Satz »Keine Adler sind Löwen«.
Nach längerem Überlegen kommen Lisa und Harry gemeinsam auf das Ergebnis, daß All-Sätze, wenn man sie umdreht falsch sind, aber Sätze die mit »Keine« beginnen, auch wenn man sie umdreht, wahr sind.
Die Anwendung der Logik auf alltägliche Lebenssituationen, zeigt sich am Schluß dieses Kapitels:
Harry kommt nach Hause und eine Nachbarin ist zu Besuch. Sie erzählt Harrys Mutter, daß die Frau im Nebenhaus sich sehr der armen Leute annimmt. Im selben Atemzug sagt sie aber auch, daß alle Radikalen davon sprechen, armen Leuten zu helfen. Sie vermutet auch, daß diese Frau aus dem Nebenhaus einer solchen Gruppe angehört. Harry hört den Satz »Alle, die radikal sind, helfen den armen Leuten.« Er dreht den Satz um »Alle, die armen Leuten helfen, sind radikal«. Der Satz ist falsch. Darauf hin sagt Harry zur Nachbarin: »Nein, das stimmt nicht«, und verwendet so ein logisches Argument in seiner Begründung dafür.
Seine Mutter weist ihn zwar zurecht, da sie nicht möchte, daß er sich einmischt, aber an der Art und Weise, wie sie es tut, merkt er, daß er doch nichts Falsches gesagt hat.
In Harry Stottelmeier wird also gezeigt, wie man vernünftig mit Problemen, Meinungen und Situationen umgehen lernt. Das Wichtige aber ist vor allem der Dialog, daß man gemeinsam Reflexionen anstellt. Es geht dabei immer wieder um das Abwägen von Gründen und Gegengründen im Dialog zwischen den Kindern untereinander und dem Lehrer.
Die Kinder haben Freude daran, Dinge selbst zu entdecken und im Austausch mit anderen, gemeinsam Fragen aufzuwerfen und schließlich selbst Lösungen und Antworten zu finden.
Sie erleben so, wie sie philosophische Gedanken selbst entwickeln können. Durch den Gruppenkontakt und die Diskussion lernen sie Problemverständnis, Urteils- und Artikulationsfähigkeit und nicht zuletzt, Toleranz, auch anderen Meinungen gegenüber.
Für den Lehrer ist der Unterricht eine immer neue Herausforderung. Einerseits ist es seine Aufgabe an Hand seiner Kenntnisse, an den Interessen und Gesprächsthemen der Kinder anzuknüpfen und, von den Kindern ausgehend, Fragen zu stellen, aber auch für Transparenz und Ergiebigkeit des Gespräches zu sorgen.
Andererseits soll er seine überlegene Fachkenntnis nicht direkt zur Kenntnis bringen, also die selbständige Urteilsbildung und Reflexion der Schüler nicht unterbinden. Die Arbeit mit diesen philosophischen Texten verlangt vom Lehrer nicht nur genaueste Fachkenntnis auf den Gebieten der Wissenschaftstheorie, Sozialphilosophie, Erkenntnistheorie, Logik und Ethik, sondern auch ein hohes Einfühlungsvermögen.
Zu jedem dieser Philosophiebücher (bisher wurde nur das Logikbuch vorgestellt) gibt es ein eigenes Manual für den Lehrer. Diese Unterrichtsmaterialien enthalten viele Anregungen, Fragenkonzepte und grundsätzliche Überlegungen zum Philosophieunterricht an Schulen. In Workshops und eigenen Ausbildungslehrgängen haben die Lehrer die Möglichkeit sich in viele Themenbereiche genauest einzuarbeiten. Sie erfahren dabei selbst wie man abstrakte Thesen an konkreten Beispielen erläutern und wie man in Gesprächen zu Fragen überleiten kann.
Dieser sehr praxisbezogene Philosophieunterricht leidet aber nicht an einem "Theoriendefizit", was dem Philosophieunterricht ja so oft vorgeworfen wird. Es ist ein handlungsorientierter Unterricht, der erkenntnistheoretische und ethische Probleme aus der konkreten Lebenswelt des Kindes heraus expliziert. Es ist aber keine Reduktion der Philosophie auf praktische Philosophie; so werden Logik, Wissenschaftstheorie und Erkenntnistheorie in den Unterricht, d. h. in den philosophischen Texten behandelt.
Das »Institute for the Advancement of Philosophy for Children« hat im Laufe der Zeit ein ganzes Curriculum entwickelt. In einzelnen Büchern werden Logik, Ethik, Ästhetik, Sozialphilosophie behandelt. In diesem Rahmen ist es nur möglich kurz auf diese Bücher hinzuweisen.
PIXIE das Buch für 6-8jährige ist als Vorbereitung für Harry Stottelmeier gedacht. Es beschäftigt sich mit Familienrelationen, führt über zu Relationen von Raum und Zeit und regt vor allem die Phantasie der Kinder an. Die Hauptfigur in der Geschichte ist Pixie, ein neunjähriges Mädchen.
LISA das Ethikbuch ermöglicht es den Kindern, über Recht und Fairness, Freundschaft und Liebe, Tod und Leben, über Tiere, Menschen und die Wahrheit nachzudenken und moralisch-ethische Probleme anzusprechen. In Lisa werden eine Anzahl von komplexen Lebenssituationen aufgezeigt. In der Diskussion geht es schließlich nicht hauptsächlich darum, wie sich die Schüler in diesen verschiedenen Situationen verhalten oder entscheiden würden, sondern es geht um das Aufzeigen von Kriterien und Gründen für verschiedene Verhaltensweisen. Es geht also um den Weg, wie man zu ethisch-moralischen Entscheidungen kommt.
SUKI das Ästhetikbuch, führt Kinder in die Poesie und Literatur ein und konfrontiert sie mit Fragen der Ästhetik. Die Kinder werden zum Schreiben angeregt und ermutigt. Die Geschichte selbst handelt von dem Jungen Harry, der glaubt, nicht gutschreiben zu können, und seiner Freundin Suki.
MARK das Buch für 14-15jährige, stellt sozialphilosophische Inhalte, z. B. Recht, Bürokratie, Naturrecht, Demokratie, Freiheit, Diskriminierung von Randgruppen, Partnerschaft, Familie zur Diskussion.
Ein neuer Zweig der Philosophie hat sich entwickelt, der zunehmend in das alltägliche Leben und die Problemwelt der Menschen hineinreicht.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß es sich bei dieser Philosophie für Kinder nicht um eine neue Wissensvermittlung handelt. Kinder werden durch diesen Gegenstand nicht mehr belastet und mit neuem Lernstoff überfahren. Es ist ganz einfach ein Versuch, an vorhandenen Interessen der Kinder anzuknüpfen, aber auch neues Interesse bei Schülern zu wecken.
Es werden keine philosophischen Theorien vorgestellt, verteidigt oder vertreten. Die Kinder werden auch nicht in die fachphilosophische Terminologie eingeführt.
Es wurde nun zusammengefaßt, was diese Philosophie für Kinder nicht tut. Welche Förderungen die Kinder durch diesen Unterricht erfahren, möchte ich aber doch hervorheben. Vor allem wurde die Mobilität des Denkens gefördert. Begründen, Definieren, das Konstruieren von Hypothesen, das Entwickeln von Konzepten, die Entdeckung von Alternativen und Möglichkeiten, das Formulieren von Fragen, das Ziehen von Verbindungen, das Treffen von Entscheidungen, das Wahrnehmen von verschiedenen Perspektiven und das logische Denken werden geübt.
Mit diesen Programmen lassen sich auch einige allgemeine Einwände gegen die Philosophie entkräften. Ich hebe nur drei hervor: erstens, daß Philosophie destruktiv ist; zweitens, daß Philosophie nicht praxisbezogen ist; und drittens, daß der Philosoph in einem Elfenbeinturm wohnt und vor sich hin philosophiert. Da Philosophie nicht disziplinär eingeschränkt ist und viele Bereiche anspricht, sind alle Fragestellungen erlaubt und keine Fragen werden tabuisiert.
Der Grund, warum sich dieses Programm als so fruchtbringend und interessant erweist, ist, daß es auch in der Lage zu sein scheint, einen Beitrag zu einer humaneren Schule und damit zu einer humaneren Gesellschaft zu leisten.
Diskussion zu: »Philosophie für Kinder«, von Daniela G. Camity
A.: Ich habe da immer nur Bubennamen gehört. Wie stellst du dich dazu?
D.C.: Schon an den Buchtiteln siehst du, daß Buben wie Mädchen vorkommen. Das Ethikbuch heißt Lisa, das Ästhetikbuch Suki, das Logikbuch Harry und das Buch der Einführung heißt Pixie, das ist auch ein Mädchen.
B.: Du hast nicht erwähnt, daß die Philosophie vor Platon und die Philosophie nach Platon, speziell im epikuräischen Kreis, immer die Ansicht verteidigt hat, daß man Philosophie für alle Altersstufen lehren müßte, und gerade in der epikuräischen Philosophie gibt es einen sehr interessanten philosophiegeschichtlichen Hinweis darauf. Eine zweite kritische Bemerkung: Ich frage mich, ob nicht, obwohl man meint, keine bestimmte Philosophierichtung hier zu vertreten, nicht unbewußt den Kindern doch eine ganz bestimmte Philosophie beigebracht wird, z. B. in der Logik immer nur von der aristotelischen Logik ausgegangen, einer statischen, einer Term-Logik, und nicht der Logik der Kritiker, einer relativistischen Logik. Ich glaube, daß hier doch eine bestimmte schulische Richtung hier einfließt, und das scheint mir doch gerade sehr gefährlich, gerade bei Kindern zu sein.
D. C.: Es geht nicht um die Vermittlung einer bestimmten Logik, sondern darum, wie Kinder selbst über ihr Denken reflektieren können. Es geht um das Abwägen von Gründen und Gegengründen und das Aufzeigen von Kriterien dafür. Logik kann hier eine Hilfe sein Gedanken zu entwickeln und zu überprüfen. Die Regeln sollten einfach und verständlich sein und da bietet sich für Kinder die syllogistische Logik an. Da man das nicht erklären kann, wie Logik in den Texten vermittelt wird, wäre es besser, wenn sie das Buch und den Text anschauen würden und vielleicht auch das Manual, da bekommt man einen besseren Eindruck. Es handelt sich auch nicht um eine bestimmte Ethik, sondern um humanistisch-ethische Fragestellungen.
B.: Gerade war in Berlin die Frage, soll man eine Ethik an den Schulen einführen, und da hat Frau Laurien, die Kultusministerin, gesagt, nein, das sollte man doch nicht machen, da würden die Kinder alle aus dem Religionsunterricht weglaufen.
D. C.: Auf alle Fälle gibt es aber bereits in vielen tausenden Schulklassen Philosophieunterricht; der sich aber nicht nur auf Ethik beschränkt. Zum Beispiel gibt es im Staat New Jersey, New York, Michigan, Oregon bereits in Volksschulen Philosophiekurse. Aber nicht nur in Amerika, auch in Australien und Canada, Dänemark und Österreich werden Philosophiekurse angeboten.
C.: Es geht einfach darum, die Mobilität des Denkens zu fördern, wie Sie gesagt haben, und daß man das auf jeder Stufe tun kann, auch mit kleinen Kindern. Es geht gar nicht darum, ob das bewilligt wird, oder nicht. Und ich wollte sie fragen, ob das nicht auch über Spiel gehen kann, ob das irgendwo erwähnt ist, z. B. das Rollenspiel.
D. C.: Vor allem bei kleinen Kindern geht vieles über das Spiel. Die Manuals zu diesen Büchern enthalten nicht nur Fragenkonzepte, sondern auch viele Anregungen zu Spielen. Doch auch am Ende des Textes "Pixie" spielen plötzlich Kinder, das, worüber Pixie die ganze Zeit gesprochen hat. Es ist wie ein Theaterstück in vier Akten, doch wird Pixies Geschichte verschieden interpretiert.
D.: Eine solche Literatur existiert eigentlich auch im deutschsprachigen Raum. Z. B. hat Peter Härtling Stellung genommen, und hat versucht, Kindern mit einem Buch zu erklären, wie man mit Minderheiten umgehen kann. Es geht nicht einmal darum, ob jetzt Literatur vorhanden ist, ich glaube, die ist da, sondern es geht vielmehr darum, wie man dazu beitragen kann, daß es die Lehrer während des Studiums haben können, und dann es auch üben und applizieren in der Schule.
D. C.: Ja, das ist ganz richtig. Die Erwachsenen, Lehrer und Eltern müßten einmal lernen die philosophischen Dimensionen der Kinder überhaupt zu erkennen.
E.: Es gehört jetzt leider nicht zu dem Referat, aber vielleicht können wir darauf zurückkommen. Ich möchte noch zu deinem Beitrag (siehe Votum "D", Seite 5 oben) etwas sagen. Von meiner Sicht und von meinem Bedürfnis aus war's mir teilweise zuwenig frauenspezifisch, mit der Erwartung, mit der ich hergekommen: Frauen und Philosophie, Philosophinnen und Frauenforschung ... ich habe da teilweise mehr erwartet, von Frauen, und sei's jetzt nicht unter dem Aspekt der Abgrenzung, gegenüber den Männern, sondern daß wir Frauen uns entwickeln, und das nicht immer mit Abgrenzung: die Männer sind so, und wir sind so, sondern uns erfahren, unser Leben, uns entwickeln und ein frauenspezifisches Gefühl kriegen.
D. C.: Ich glaube, das müßte man auch in größeren Rahmen sehen und nicht nur frauenspezifisch. Es gibt viele andere Gruppen, die diskriminiert werden, dazu gehören Kinder wohl ganz besonders in unserer Gesellschaft.
F.: Ich muß sagen, daß mir das sehr unangenehm aufgestoßen ist, daß in den Beispielen, die du gebracht hast, Rollenklischees verbraten werden, also die Jungs machen Logik, die Mädchen machen Begräbnis - genau diese Beispiel sollte man ausmerzen. Ich find's schon schlimm, daß sie überhaupt vorkommen.
G.: Ich ärgere mich ein bißchen, wenn auch bei diesem Thema die Diskussion stellenweise wieder darauf hinausläuft, die Abgrenzungsfrage zu bemühen, also die Problematik zu diskutieren, wie grenzen wir Frauen uns von den Männern ab. Ich erlaube mir jetzt eine leicht tagungskritische Bemerkung, weil ich gleich wegfahren muß. Ich fand dein Referat besonders wohltuend deshalb, weil der bisher eng gesteckte Rahmen dieser rein frauenbezogenen Themen einmal gesprengt wurde. So wichtig alle diese Fragen zu diskutieren sind, so sehr scheint es mir doch "self-fulfilling prophecy" zu werden, wenn wir die alten Probleme immer wieder beschwören. Ich frage mich, ob's nicht auch eine Unterschätzung ist, eine Überschätzung der im patriarchalen System immer noch Herrschenden, wenn wir uns immer wieder bemühen, uns von ihnen abzugrenzen.
K.: Ja, ich hätte noch eine Frage, oder eher eine Bemerkung. Es ist eigentlich ein sehr neues Gebiet, was sich hier zeigt, und ich habe ein bißchen Angst, daß das dann ein Gebiet ist, wo Frauen sich hineinstürzen, und daß man dann wieder Frauen und Kinder auf einer Seite hat, und alles was Forschung ist usw., das können dann weiterhin die Männer betreiben. Es ist jetzt schon sehr schwierig für eine Frau, an einer Uni oder sonstwo zu unterrichten und zu dozieren. Und vieleicht freut es dann die Männer sehr, daß sich für die Philosophinnen, die immer zahlreicher werden, ein Gebiet eröffnet, in das man sie hineinstellen kann, ohne daß die anderen Bereiche gestört werden.
D. C.: Erstens glaube ich, daß wir Frauen uns nicht so unterschätzen dürfen, daß wir uns irgendwo hineinstellen lassen. Zweitens, bin ich der Meinung, daß man den neuen Forschungszweig Philosophie für Kinder als Erweiterung sehen sollte, das ist wichtig für die Zukunft, für die Entwicklung der Kinder und für uns selbst, um wieder zu ursprünglichen philosophischen Fragenstellungen zu kommen.