Philosophische Gedanken über das Verhältnis von Vernunft und Sinnlichkeit

Zum Begriff der neuzeitlichen und "modernen" Hexe

Vorwort: Mein Alptraum

Ich sehe einen riesigen Frauenkörper, der kilometerlang und kilometerbreit ist. Aus ihm heraus wachsen kleine Figuren, die in ihrem Habitus Ähnlichkeit mit dem großen Körper haben. Aber - die kleinen und der große Körper sind zu rot und zu blutig, um schön und gesund sein zu können. »Denn dieser Körper«, so wird mir von einer blechernen Stimme ins Ohr geflüstert, »ist unser Schlachtfeld, genannt "Hexe", auf dem wir die Kämpfe um das wahre Wissen austragen.« Ich bewege meinen Kopf in die Richtung, aus der die Stimme kommt. Oh, nein - welch grausamer Anblick! Ich sehe ein Skelett, an dem ein schwerer, schwarzer Mantel hängt, auf dessen Totenkopf ein großer schwarzer Hut sitzt und da, wo sich wohl einmal Augen befanden, sind jetzt zwei tiefe schwarze Höhlen. Ich blicke in diese Verließe und frage, zitternd vor Angst: »Bist du der Sensenmann?« Denn das muß er sein, da die Märchen mir, als ich noch ein kleines Mädchen war, den Herrn des Todes immer so beschrieben haben.
»Aber, nein«, klappert das Gestell, »ich bin doch die Vernunft - die männliche Vernunft«, fügt es verbessernd und stolz hinzu, »denn nur ich, das Männliche, habe das Vorrecht mich so zu nennen. Dort«, sagt es,-auf den blutigen Körper zeigend, »das Weibliche, welches unter meiner Leitung verbrannt, seziert und analysiert wird, ist das Opfer, auf dem meine Entwicklung beruht. Und du wirst mir doch zustimmen - natürlich, vorausgesetzt, daß du vernünftig bist: Allein mir ist der FORTSCHRITT zu verdanken! Die Frau, die ich in der Neuzeit unter der Allmacht Gottes verbrannt habe, habe ich, nachdem ich selbst Gottes Thron bestieg, vom Feuer befreit. Nur in meinem Fortschreiten liegt die Befreiung«, so spricht (Herr) Vernunft mich belehrend, den knöchrigen Zeigefinger hebend. »ich bin die Humanität, d. h. das Leiden wird verwissenschaftlicht.« Und während die Vernunft mir tönernd und kraftlos ihr »Leben« erzählt, vernimmt mein anderes Ohr ein Stöhnen des großen Körpers, gepaart mit den Schmerzenslauten der kleinen Körper. Aber - höre ich recht? Die Laute kommen mir bekannt vor: »Ja«, geben sie mir zu verstehen, »du kannst uns deuten, weil du noch nicht so vernünftig bist wie die Vernunft. Wir wollen dich vor ihr warnen: Laß dich nicht von ihr täuschen, auch wenn sie sich mit unserem Artikel schmückt. Sie hat ihn uns vor Urzeiten gestohlen. Er, der Mann, hat sich die weibliche Vernunft angeeignet, um sie für sein Geschlecht zurecht zu stutzen und mit ihr seine Wahrheit auszutüfteln.«
Die Schreie aus der Stille beauftragen mich, das Verhältnis einer Vernunft und einer Sinnlichkeit aus dem Blickwinkel der (wie ich hoffe!) »Noch Nicht - So - Ganz Vernünftigen« zu beschreiben. Noch oft zeigt sich das Gefühl der Ohn(e)-Macht, solch eine Geschichte innerhalb des männlichen Wissenschaftsapparates zu schreiben - aber dies wird sich ändern! Der stöhnende Frauenkörper wird sich erheben, um aus seinen Schmerzenslauten Begriffe zu gestalten, die ihn aufstehen lassen. Das Philosophieren des "Weibes" hat begonnen! Hier der Beginn einer langen Reise!

Der Hexenbegriff der Inquisition

Die "Hexe" ist ein im 15. Jahrhundert erfundener Begriff; die Fahndung nach der Hexe entwickelte sich aus den Ketzerverfolgungen. Mit den weiblichen Dämonen der römischen und griechischen Mythologien, wie den Strigen, Lamien und Empusen, hat die Hexe nur teilweise etwas gemein. Die Lamia ist ein vampirartiges, auch kinderraubendes Gespenst, die Strix tritt meistens in Eulengestalt auf, saugt den Menschen das Blut aus und frißt Kinder und schließlich erscheint die Empusa einerseits als schöne Frau, als Ochse oder Pferd, andererseits als ein Wesen mit feurigem, roten Gesicht. Auch ist sie nicht verwandt mit der "Unholde", dem dämonischen Wesen des germanischen Heidentums. Unsere Hexe ist eine Erfindung der Inquisition. Das Hexenmuster, so wie es im "Hexenhammer" (1486, eine Schrift, ausgearbeitet von den Mönchen Institoris und Sprenger. Sie gibt eine ausführliche Darstellung des Hexenwesens und eine Anleitung zu seiner Bekämpfung) und auch später bei Bodin (1530-1596) ausgearbeitet wird, verbindet die Eigenschaften wie Teufelspakt, Satanskult, Tierverwandlung, Malefizium und Apostasie, die in den früheren Jahrhunderten vereinzelt vorkamen in Verbindung mit Strigen, Lamien, Empusen etc. »Für die allmähliche Verschmelzung dieser ursprünglich voneinander unabhängigen Bestandteile waren zwei Vorgänge von entscheidender Bedeutung: 1. die Entwicklung einer Abwehrkonzeption gegen die Sektenbewegung durch die Vertreter der wankenden, feudalkirchlichen Sinnwelt und, damit verbunden, die Angleichung von Häresie und schädigender Zauberei; 2. die fortschreitende Systematisierung alter, subkultureller Deutungen und Praktiken durch die Priesterschaft des späten Mittelalters.«[1] Während der ganzen christlichen Ära bleibt der Volksglaube an weibliche Dämonen bestehen. Nicht alle diese Dämonen hatten schädigenden Charakter. Noch im 13. Jahrhundert wurden diese Vorstellungen mit dem Canon Episkopi bekämpft. Sie wurden als heidnische Irrtümer verurteilt und als Abfall vom rechten Glauben bezeichnet. Im 15. Jahrhundert begann die Priesterschaft selbst an der Beweiskraft der Kanons zu zweifeln, da es sich bei den Hexen um eine "neue Sekte" handelte und die Verfasser des Hexenhammers selbst daran glaubten, eine Hexe könne sich z. B. in eine Katze verwandeln. »Dem Malleus Malevicarum galten nicht nur die satanischen Verkehrsmittel der Bibel, deren Erörterung durch die Scholastik und die Aussagen der Hexen vor der Inquisition als Beweise für die Realität der nächtlichen Flüge, sondern auch der subkulturellen Dämonenglaube selbst. Damit verkehrten sich freilich die Vorzeichen: Was während des Hochmittelalters von der Priesterschaft als heidnischer Aberglaube ausgegliedert und bekämpft worden war, hatte nun den Rang eines Dogmas erlangt, und die in der alten Form tradierten subkulturellen Vorstellungen wurden zu dessen Stützung herangezogen.«[2]
Die Hexe der Inquisition ist nicht die "hagazussa" des Mittelalters, das halbdämonische Wesen, das ein Wissen außerhalb des Gewohnten hat, die außerhalb der Gemeinschaft steht, ist nicht nur die weise Frau, die heilen kann, die böse Frau, die schaden kann. Diese kommen vereinzelt vor. Die Hexe ist auch nicht nur die Ketzerin, die den damals sehr stark vertretenen Sekten, wie z. B. den Waldensern, Katharern angehörte - nein, die »Hexe« ist der Begriff für das weibliche Geschlecht, das im damals christlich- patriarchalen Gedankengut, den Leib, das Fleisch, verkörperte. Das Weib in dieser Hexenform ist das Schlechte, das Böse, das magische Kräfte besitzt und dem die Verantwortlichkeit für die Verursachung starker Leidenschaften zugeschrieben wird. Es ist im Gegensatz zur heiligen Jungfrau die triebbesessene Hure, die unersättliche Scheide - darum hat es auch mit den Dämonen zu schaffen, weil es sonst seine Begierde nicht stillen kann. Das Weib, da es fleischlicher gesonnen ist als der Mann (denn der identifiziert sich mit dem asketischen Geist), ist empfänglicher für das Böse und den Teufel, gleich dem Übernatürlichen, Begehrlichen. Durch diese ungewöhnlich starke Begierde wird die Hexe die Geliebte des Teufels und somit an dessen übernatürlicher Kraft beteiligt. Da dem Satan, dem absolut Bösen des christlichen Denkens, eine absolut vernichtende Macht zugestanden wird, die Macht nämlich, die den asketischen Christen seinem Gott entreißen könnte, bekommt nun die Hexe als konkret vorhandenes leibliches Wesen die Macht. Diese besteht in der potentiellen sexuellen Verführung, welche das Weib in der patriarchalen, heterosexuellen Gesellschaft verkörpert - die Frau ist dem Inquisitor, dem protestantischen Prediger, ja überhaupt dem Manne in einer Zeit des ökonomischen, sozialen und geistigen Zusammenbruchs die Gefahr par excellence. Dieser Mann versucht mit allen Mitteln Tradiertes aufrecht zu erhalten und neu geschaffene ethische Werte durchzusetzen, um seine eigene individuelle wie soziale Identität zu bewahren, zu retten. Diese Identität, das Streben nach dem Göttlichen, beruht auf der Verneinung der Sinne, des Fleisches, des Lebens. Das Fleisch, das anfällig ist für den Teufel, muß vernichtet werden die Hexe wird verbrannt.

Luthers Angst und seine Zustimmung zur Hexenverbrennung

Wird der Protestantismus als fortschrittliche, eben reformatorische Bewegung gesehen, so bleibt die Frau doch weiterhin Opfer, weiterhin das Gemachte. Der Protestantismus hat am wesentlichen Denken der mittelalterlichen Scholastik nichts geändert; es wird nur an der äußeren Fassade der "gereinigten" Kirche gebastelt. Immer wieder warnt Luther vor Hurerei und Unkeuschheit, die nicht nur die Seele, sondern auch Leib, Gut, Ehre und Freundschaft verderbe. Solch ein Leben verdirbt Fleisch und Blut, Natur und Körperzustand. Gott straft dieses Leben, indem er Krankheiten unter die Menschen schickt und sie dadurch zum ehelichen Leben treibt. Der Ehestand ist die "schönste Ordnung", da er von Gott eingesetzt und erhalten wird. Wer diese göttliche Ordnung in Unordnung zu bringen droht, weiß Luther in einer Tischrede zu berichten: Es habe sich ereignet, daß eine "alte, Hure", ein "böses wäschhaftiges Weibe", zwischen Eheleuten Haß und Zwietracht gesäet habe, so daß der Mann sein ihm angetrautes Weib getötet habe. Vor soviel Bösartigkeit sei sogar der Teufel zurückgeschreckt.[3] Um der Existenz solch böser Weiber vorzubeugen oder sie zu bekämpfen, schafft Luther einerseits das Bild des guten, tüchtigen, arbeitseifrigen, tugendhaften Eheweibes, das ihren Leib als Produktionsmittel zu empfinden und dem Manne eine gute Dienerin zu sein hat, andererseits gibt er mit der Bejahung des Schwertgebrauchs die Erlaubnis, das Weib in Form der Hexe, der Wettermacherin, der Zauberin auch körperlich zu strafen. Er selbst macht den Vorschlag, an "Zäuberin" zur Abschreckung Exempel zu statuieren und Hexen zu verbrennen:

»Anno 1538, den 25. Augusti, ward viel geredt von Hexen und Zäuberin, die Eier aus den Hühnernestern, Milch und Butter stehlen. Sprach D. Martinus:
"Mit denselben soll man keine Barmherzigkeit haben; ich wollte sie selber verbrennen."«[4]

Die Hexe ist Sündenbock für innere und äußere Probleme der Männerwelt, für deren nichtbewältigte Ängste. Das Weib, das andere Geschlecht, wird zur Projektionsfigur der protestantischen, katholischen und wie sich später zeigen wird, auch wissenschaftlichen Männerwelt. »Typisch, daß jeder die Orthodoxie des anderen benutzte, um Frauen das Etikett "Hexe" anzuhängen. Bei einigen Protestanten - beispielsweise Bischof Palladius, dem Reformator von Dänemark - wurde der Ausdruck"Hexe" erweitert auf "solche, die katholische Gebete oder Formeln benutzen"«,[5] schreibt die amerikanische Philosophin Mary Daly. Folgende Äußerung Luthers über sein Verhältnis zum Fleisch und zum Weibe gibt Anlaß zu der Behauptung, daß die legitimierte Frauenvernichtung eine willkommene Gelegenheit war, den Wunsch, dem eigenen Fleisch zu entrinnen, um Gott ähnlich zu werden, in der physischen Vernichtung des Weibes als Hexe zu verwirklichen: »Als wenig man des Essens und Trinkens entbehren und gerathen kann, also müglich ists auch, sich von Weibern zu enthalten; wenn wir durch natürliche Begier aller Maßen uns nicht davon äußern können. Ursach ist die, daß wir in der Weiber Leibe empfangen, darinnen ernähret, davon gebern, gesäuget und erzogen werden, also daß unser Fleisch das meiste Theil Weiberfleisch ist und ist uns unmüglich, uns von ihnen ganz abzusöndern.«[6] Der Geist, der den fleischlichen Lüsten wehrt, erfaßt im Gegensatz zur Vernunft, die unbegreiflichen Dinge durch den Glauben. Denn die Vernunft kann Gottes Werke weder verstehen, noch begreifen, weil sie nicht glauben kann, sie paktiert mit dem Teufel. Sie ist »des Teufels Hure«. Trotzdem ist Weisheit nötig, wie Luther in den Tischreden betont, und die Schriftgelehrten sollen die Oberhand behalten. Nur so kann das Evangelium sich in der Welt verbreiten. Aber sollte Gott zürnen und »die Gelehrten aus der Welt nehmen«, wie Luther angstvoll ausruft, dann würde die Welt nur noch aus Bestien, und wilden Tieren bestehen - dann wäre sie nur noch ein Chaos, ohne den rettenden Einhalt (einen Halt?!) gebietenden Ordnungssinn Gottes. Auch das Phänomen der Besessenheit bleibt bei Luther nicht unerwähnt. Diese besessenen Menschen werden vom Teufel gequält. Nicht natürliche Ursachen wären hier zu suchen, so wie es die Ärzte täten, denn die wüßten ja nichts davon, wie mächtig und gewaltig der Teufel sei.

Kompetenzstreitigkeiten

Diese Kompetenzstreitigkeiten, die zwischen Luther und der aufkommenden Ärzteschaft aufkeimen, setzen sich zwischen Bodin, als einem wichtigen Philosophen und Juristen der damaligen Zeit und Johann Weyer, einem Arzt, fort. »Der erbleichende Glaube und die aufblühende Vernunft stritten miteinander: inmitten dieser beiden bemächtigte sich irgend jemand des Menschen«[7] beschreibt Michelet diesen qualitativen Sprung. Das Wissen der weisen Frau, ihr Umgang mit der Natur, die eine besondere Eigenart hatte, die Macht ihres Wissens, wird zur Ohnmacht. Der neugeborene Wissenschaftler verdrängt nicht nur die "Hexe" als heilende Frau, sondern setzt sich an deren Stelle und ersetzt sogar den Hexenbegriff, der wie oben schon erwähnt die Prägung eines anderen Denksystems, des Glaubenssystems ist, durch den Begriff der "Kranken". Mit der Dämonomanie Bodins wird das tradierte Hexenmuster durch philosophische Erwägungen und rechtliche Beweisketten auf den wissenschaftlichen Stand seiner Zeit gebracht. Bodin gesteht der Hexe noch eine Eigenverantwortlichkeit, ja überhaupt eine Subjektivität in dem Pakt mit dem Teufel zu. Der Begriff der Hexe schließt bei ihm das »geile Weib, die Giftmischerin und die Kindsmörderin« ein. Hier wird der Frau noch eine gefährliche Macht zuerkannt; die oft betonte Geilheit des Weibes zeugt von einer der Frau zugestandenen - den Mann gefährdenden Sinnlichkeit. Bodin plädiert für die Todesstrafe der Hexen, da die Gefahr ihrer Existenz eindeutig zu groß sei. Die Todesstrafe ist ein Mittel a) das Volk vor dem Zorn Gottes zu schützen, b) die Hexen und Zauberer zur Reue zu bringen und c) zur Abschreckung anderer potentieller Hexen und zur Stärkung der Frommen. Nein, entgegnet der Arzt Johann Weyer (1515-1598) entschieden, nein, diese Strafe solle nicht mehr angewandt werden; er hat eine andere in peto. Satan wird von jetzt an zur Krankheit; die Hexe wird entmachtet. Der in die Hexe geschlüpfte Satan macht die Frau krank, diese ist nicht mehr ernst zu nehmen. Das Obel kommt nun von innen. Die ländliche Hexerei verwandelt sich in die "städtische Besessenheit"; ein sich aufbäumender weiblicher Körper, Weiber, die mehrere Sprachen sprechen können, ohne diese jemals real gelernt zu haben, der "böse Blick" der Frau, der ehemals als gefährliche Suggestion gedeutet wurde, wird jetzt durch Weyerzum Merkmal der Melancholie und diese Frau wird zum armen "kranken Weiblin" stilisiert. Die Luftfahrten und Hexensabbate sind Einflüsterungen des Teufels, Einbildungen der Hexe. Diejenigen, die sich für behext halten, sind in Wahrheit vom Teufel besessen; und die Hexe als Zwischeninstanz sei nicht erforderlich, da die Hexe selbst die eigentlich verhexte/verteufelte sei. Hexen sind nunmehr arme unwissende, vom Teufel verführte Frauen. Beide Wirklichkeitsdeutungen, sowohl Bodins als auch Weyers, sind Experimente, ausgetragen auf dem Leib der Frau als Hexe. Bodin will sie als das bewußt Böses vollbringende Subjekt, Weyer als armes, vom Teufel besessenes und verführtes Weiblein.

Die Folter als männliches Erkenntnisinteresse

Die Folter ist nicht nur als die Methode zu sehen, die Frau zu demütigen, sondern auch als Versuch zur Erkenntnisgewinnung. Nur was will "man(n)" erkennen? Schauen wir uns doch einfach die Fragen an, welche die Inquisition an die Hexe stellte. Sie sind erstaunlich detailliert und zielen vorwiegend auf den Koitus mit dem Teufel ab. Wie heiß oder kalt sein Samen gewesen sei, wie oft er sie geküßt habe, wieviele Tage in der Woche sie es zusammen getrieben haben, ob die Hexe Schmerzen beim Geschlechtsverkehr gehabt, wie das Genital des Teufels ausgesehen habe. Dieser so vollzogene Pakt mit dem Teufel setzt voraus, daß sie »Gott im Himmel, den christlichen Namen und Glauben, die lieben Heiligen, und die heiligen Sakramente« verleugnet, »und allen himmlischen Heerscharen und der ganzen Christenheit« entsagt habe. Dieses Verleugnen Gottes, des Guten erst, ermöglicht der Hexe die Kräfte, die Taten, wie Wettermachen, Kinderfressen, auf dem Besen zu reiten, am Sabbat teilzunehmen, also Kräfte, deren Ursachen der Inquisitor sich nicht erklären kann. Anscheinend hängen aber auch diese Kräfte mit dem körperlichen, sinnlichen Bereich zusammen, mit dem auch das Sein oder besser Nicht-Sein der Frau identifiziert wird und welches das moralisch Böse ist. Immer wieder zielen die Interessen der Inquisition auf diesen Bereich ab, auf diesen Bereich, der später mit dem Wort "Sexualität" begriffen wird - der Bereich, von dem magische Kräfte auf den christlichen Asketen auszugehen scheinen. Die Frau wurde schon in der griechischen Mythologie mit tiefer Magie in Verbindung gebracht, einer Macht, einem Wissen, das nur dem Weiblichen zugestanden wird, und das noch von der Kirche als Übernatürliches gesehen, später von der Wissenschaft ins Unendliche verlagert, damit aber faßbarer wird.
Was will nun der Mann erkennen, wenn er die Hexe auf den Hexenstuhl setzt, sie quält und demütigt? Es ist ein Teufeiskreis - er läßt immer wieder das bestätigen, was er sowieso schon weiß; er projeziert in sie eigene Ängste, macht sie zum Abladeplatz seiner eigenen "Sünden", eigener fleischlicher Bedürfnisse, deren Befriedigung er sich von seinem eigenst produzierten Gott verbieten läßt und nimmt sie als lebenden Beweis, die Folter als Alibi seiner eigenen moralischen Reinheit. Die "Hexe" ist seine eigene Begierde, deren Verbrennung ihm für den Moment den Schein eines eigenen, körperlosen Zustandes vorgeben könnte. Mit der Existenz der Hexe ist dem Mann also die Möglichkeit gegeben, sich zu befreien - sich zu befreien von dem Joch des Sinnlichen, das ihn hindert zum sündenfreien, körperlosen Geist aufzusteigen, dessen Identität er anstrebt. Die Hexe ist dem asketischen Geist im Weg; sie ist das Hindernis, das Reich Gottes auf Erden zu verwirklichen.

Die Verwirklichung des Weyer'schen Krankheits- bzw. Melancholiebegriffs
durch Descartes revolutionäre Naturanschauung und dessen Folgen bis in die heutige Zeit

Descartes (1596-1650) entwickelt seinen Rationalismus auf naturwissenschaftlichem Weg. Seine Naturauffassung ist eine mechanische. Vor aller Erkenntnis steht bei ihm die Skepsis, die methodisch einen Erkenntnisweg öffnen und zum Wahren führen soll, das unumstößlich feststeht. Die erste Wahrheit wird mit dem "cogito ergo sum" erkannt und zur Grundlage weiterer Erkenntnisprozesse gemacht. Das "Ich denke" ist; es hat Sein, denn bei allem anderen, dem wir gegenüberstehen, können wir uns möglicherweise irren, daß es sei. Allein das Denken ist Beweis genug, daß ich bin. "Cogito" bleibt bestehen, ist das Selbstbewußtsein, auch wenn ich meinen Leib wegdenke; es ist das "Geistige" in mir, welches zweifelt, forscht und fragt - es muß sich notwendigerweise als seiend akzeptieren, auch wenn es alles andere als nicht seiend darstellen kann. Unsere Existenz ist also vorwiegend eine geistige daß wir einen Leib haben, kann sich als Irrtum meines »Ich denke« herausstellen. Das »Gewissere« gegenüber dem Leiblichen ist das Geistige. Diese Einsichten hat Descartes aufgrund der Erkenntnisleistungen der Analytischen Geometrie gemacht. Die Sicherheit der Urteile dieser Wissenschaft beruht auf der Verbindung von unmittelbarer Anschauung (Evidenz) mit einer vermittelnden Unterscheidung (Distinktion), welche in ihrer reinsten Form den Beziehungszusammenhang verdeutlicht. Die algebraischen Relationen würden für sich allein zu formelhaft sein, um evident sein zu können; verbunden mit der Imagination allerdings, deren unmittelbar sinnenhafte Gegebenheit sie zugleich reinigen, erreicht die Erkenntnis den höchsten Grad an Zuverlässigkeit und Gewißheit. »Klar (clara) nenne ich die Erkenntnis, welche dem aufmerkenden Geiste gegenwärtig und offenkundig ist, wie man das klar gesehen nennt, was dem schauenden Auge gegenwärtig ist und dasselbe hinreichend kräftig und offenkundig erregt. Deutlich (distincta) nenne ich aber die Erkenntnis, welche, bei Voraussetzung der Stufe der Klarheit, von allen übrigen so getrennt und unterschieden (sejuncta et praecisa) ist, daß sie gar keine andren als klare Merkmale in sich enthält ... Wenn z. B. jemand einen heftigen Schmerz fühlt, so ist die Wahrnehmung dieses Schmerzes ganz klar, aber nicht immer deutlich; denn gemeiniglich vermengen die Menschen sie mit ihrem dunklen Urteil über die Natur des Schmerzes, indem sie meinen, daß in dem schmerzenden Gliede etwas dem Gefühl des Schmerzes, den sie allein wahrnehmen, Ähnliches enthalten sei. So kann eine Vorstellung klar, aber undeutlich sein; aber jede deutliche ist zugleich auch klar.«[8]
Die Cogitatio ist eine immaterielle Substanz, die das Sein ausmacht. Die Seele kann ohne den Körper begreiflich gemacht werden; der Geist ist leichter zu erkennen, als der Leib. Die Erkenntnis wird zu einer Macht, die der göttlichen entspricht, dem Manne wesentlich angehört, sogar zum Zentrum wird, um das sich alles dreht. Das Körperliche, Materielle, wird sich angeeignet, indem es denkend durchgriffen und durch wahrhafte, d. h. klare und distinguierende Erkenntnis aufgeschlossen wird. Dies ist die Freiheit; das Sich-selbst-bewußte tritt, im Unendlichen als Mittelpunkt auf. Das "Ich denke" ist als Seiendes die Seele, welche sich als geistige Cogitatio (Bewußtheit) von der körperlich-materiellen Extensio (Ausgedehntheit) unterscheidet. Die Ausdehnung wird bestimmt von mechanischer Gesetzlichkeit, das Immaterielle (Geistig-Seelische) von Zweckmäßigkeit und Freiheit. Die mechanistische Naturauffassung bestimmt sich durch das distinkte Erkennen. Die Erkenntnis von der Materie ist die physikalische, die sich methodisch nicht von der Geometrie unterscheidet. Allerdings ist mit der Möglichkeit des Zweifelns bzw. des Irrtums die Tatsache gegeben, daß der menschliche Geist unvollkommen ist. Trotz allem gibt es für Descartes die Idee der Vollkommen heit. Allein diese Idee zu haben ist Beweis für ihn, die Existenz eines Gottes vorauszusetzen. Dieses vollkommene Wesen ist absolut wahrhaftig; somit täuscht uns nicht Gott, sondern wir täuschen uns selbst. Die vollkommene Vernünftigkeit des Naturzusammenhangs, die an sich vorhanden ist, würde uns niemals zum Zweifeln veranlassen, wenn wir unsere Ratio richtig gebrauchen und nur klare und distinkte Wahrheiten aufstellen würden. Im Grunde sind die freien Erkenntnisleistungen Erkenntnisnotwendigkeiten. Descartes Rationalismus war auf rein naturwissenschaftlichem Wege entwickelt worden. Die eigentliche geistige Leistung liegt in der analysierenden Tätigkeit des Verstandes. Es gilt also, diese Tätigkeit mit der sinnlichen Wahrnehmung zu verbinden, wobei das sinnlich wahrnehmbare, die Materie, zum Objekt des analysierenden Geistes wird. Mann definiert sich abstrakt; Sinnlichkeit, durch Vernunft diszipliniert, ist nur durch die Herrschaft des bestimmenden Ich wahrlich existent, kann anders nur gedacht werden als Chaos, Irrationalismus, d. h. die Vernunft kann sich die Sinnlichkeit ohne sich selbst nur als Chaos vorstellen. Das nicht bestimmende Ich ist gleichbedeutend mit dem Verlust der Wahrheit und dieser mit dem Wahnsinn. Nur das "Ich denke" bedeutet Freiheit, das Bewußtlose ist Gefangenschaft im Wahn des Sinnlichen. Die Frau, die Inkarnation des Vernunftlosen, Sinnlichen, der Leidenschaften, ist nur Leib, der geführt, analysiert, bestimmt werden muß vom männlichen "Ich denke". Das chaotische Weib wird nicht mehr verbrannt, sondern gemacht. »Kommt, liebenswerte und sinnliche Frauen«, schreibt Beauchaîne, »flieht künftig die Gefahren der falschen Lüste, der heftigen Leidenschaften, der Inaktivität und der Weichheit. Folgt euren jungen Gatten auf Feldzügen, bei Reisen. Besiegt sie im Lauf über zartes und blumengeschmücktes Gras. Kommt nach Paris zurück und gebt euren Gefährten das Beispiel der eurem Geschlecht angemessenen Übungen und Arbeiten. Liebt und erzieht vor allem eure Kinder. Ihr werdet lernen, wie sehr dieses Vergnügen über den anderen steht, und daß dies das Glück ist, das die Natur für euch bestimmt hat. Ihr werdet langsam alt werden, wenn euer Leben rein sein wird.«[9]
Was bleibt nun dieser Frau, deren Natur bestimmt wird wie die äußere Natur, nämlich als seelenlose Materie, die, um Satan zu besiegen, analysiert, differenziert, in Form gebracht werden muß? Wie wehrt sich dieses andere Geschlecht, das die männliche Identität bestimmende Sprache nicht akzeptieren will, eine Begrifflichkeit, die nicht das Wesen ihrer Geschlechtlichkeit trifft? »Art und Grad der Geschlechtlichkeit reicht hinauf bis in die obersten Spitzen des Geistes«, sagt Nietzsche und dies sagt sich auch die sich sinnlich wehrende Frau, deren geistige Selbstbestimmung von der männlichen Geistigkeit verhindert wird. Die Hexe wird melancholisch. »Die Melancholie ist "ein Wahnsinn ohne Fieber oder furor, der von Furcht und Traurigkeit begleitet ist". In dem Maße, in dem sie Delirium ist d. h. wesentlicher Bruch mit der Wahrheit - liegt ihr Ursprung in einer ungeordneten Bewegung der Lebensgeister und in einem defekten Zustand des Gehirns.«[10] Für Decartes sei es offensichtlich, sagt Foucault, daß es eine »Mechanik der Furcht und einen Kreislauf der Lebensgeister« gebe, der die Traurigkeit ausmache. Noch ist die Erklärung naturwissenschaftlicher (mechanischer) Art. Die Melancholie gehört dem Irrtum, nicht der Wahrheit, an. Das jetzt noch physikalisch Begriffene wird später psychologisch erfaßt. Die Manie z. B., vorher als Dynamik der Wärme, als Bewegung der Lebensgeister wahrgenommen, wird jetzt zur übertriebenen Lebhaftigkeit der inneren Eindrücke, Schnelligkeit in der Assoziation von Ideen, Unaufmerksamkeit gegenüber der äußeren Welt. (Das, was sich da so bewegt oder nicht bewegt, muß Mann begrifflich fassen, muß er sich bewahrheiten, um sich seine Ordnung immer wieder erneuern zu lassen. Die Wahrheit ist diesseits des Irrtums.) Gewiß ist der die Wahrheit schaffende Geist, unzuverlässig der Leib mit seinen Sinnen und deren Bewegungen. Auch die Hysterie erfährt noch im 17. Jahrhundert mehrere Deutungen. Einmal als Uteruserkrankung, das andere Mal als Kopferkrankung; sie ist mal beweglich, mal unbeweglich, sie ist alkalischer Natur, oder ihre Ursache liegt in der »saure(n) Krudität des Magens« begründet oder ist als Krankheit der Liebe zu sehen. Doch überwiegt im 17. Jahrhundert die Definition der Hysterie als Gebärmutterkrankheit. Jean Liébault schreibt im Jahre 1609, wenn sich die Gebärmutter bewege »geschieht das, damit sie bequemer liegt. Sie tut es nicht aus Klugheit, auf Befehl oder animalischen Stimulus hin, sondern aus natürlichem Instinkt ... die Gebärmutter kann also ... oft ihren Ort verändern und ziemlich heftige, dem Körper der Frau fremde Bewegungen ausführen. Diese Bewegungen sind unterschiedlich, aufsteigend, absteigend, konvulsiv, vagabundierend, mitunter fällt sie auch nach vorne. Sie steigt zur Leber auf, zur Milz, zum Zwerchfell, zum Magen, zur Brust, zum Herz, zur Lunge, zur Kehle und zum Kopf.«[11]
Drei Jahrhunderte später schreibt Freud im Nachruf auf Charcot: »Tatsächlich hatte das Mittelalter doch diese Lösung gewählt, indem es die Besessenheit durch einen Dämon für die Ursache der hysterischen Phänomene erklärte; es hätte sich nur darum gehandelt, für die religiöse Terminologie jener dunklen und abergläubischen Zeit die wissenschaftliche der Gegenwart einzusetzen.«[12] Nach Freud selbst ist also die psychoanalytische Beschreibung des Hysteriephänomens eine semantische Überarbeitung der dämonologischen Erklärungsweisen. Seine ganze Hysterie-Urgeschichte sei vor mehreren Jahrhunderten schon publiziert worden, schreibt Freud an Fließ, die »Theorie des Mittelalters und der geistlichen Gerichte von der Besessenheit« seien seine Fremdkörpertheorie und die Theorie über die Spaltung des Bewußtseins. »Die Grausamkeiten gestatten übrigens einige bisher dunkle Symptome der Hysterie zu verstehen.«[13] Freud kommt nicht auf die Idee, einmal den Charakter der Inquisitoren oder das soziale Denken der damaligen Zeit zu hinterfragen, sondern zählt diese Hysterische, die ehemalige Hexe, ohne weiteres zu seiner Patientin, macht sie zu seinem geistigen Besitz, indem er die Merkmale dieser Krankheit analysiert. Was bei Freud der Psychopathologie untergeordnet wird, wurde damals der Hexerei zugeschrieben. Die Besessenheiten wurden zu Neurosen, die Dämonen zu bösen, verworfenen Wünschen - sie sind »Abkömmlinge abgewiesener, verdrängter Triebregungen.« - Zilboorg, ein Psychiater, der Johann Weyer als den eigentlichen Vater der Psychiatrie ehrt, identifiziert die Geisteskranken mit den Hexen und den Hexern. Ob Zilboorg oder Inquisitor, beide wollen die Betroffenen von ihrem gefürchteten Zustand befreien, ihr Leiden beenden. Beide fällen ein Urteil über dieses andere, das sich anders mitteilt, mit seiner Umgebung, seiner sozialen Wirklichkeit anders umgeht, als es von dieser gefordert wird. »In unserem Denken« sagt Zilboorg, »[bleibt] nicht einmal der Schatten eines Zweifels daran, daß die Millionen Hexen, Zauberer, Besessenen und von Zwangsvorstellungen Befallenen, ein riesiger Haufen von schweren Neurotikern, Psychotikern und Menschen mit heftigen Fieberanfällen waren [...], viele Jahre lang sah die Welt wie ein wahres Irrenhaus ohne anständige Nervenklinik aus.«[14]
Den Hexenhammer sieht er als gelungene Beschreibung der »haluzinatorisch-sexuellen oder nicht-sexuellen Erlebnisse der damaligen psychotischen Frauen« an.
Was damals die "Räckbank" und der "Hexenstuhl" waren, sind heute die medikamentöse Zwangsjacke der Psychiatrie und die Couch des Psychoanalytikers. Das Licht der aufgeklärten männlichen Vernunft dringt mit ihrer Begrifflichkeit ein in den "kranken" Körper und die "kranke" Psyche der Frau. Die Norm ist der Mann, der die normative Wahrheit schafft, eine Wahrheit, die auf dem Opfer des weiblichen Geschlechts beruht, eine Wahrheit, die nur aufgrund des abgetöteten Leibes und der zerstückelten Psyche der Frau überleben kann.

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