Einleitung
Der Zusammenhang von Weiblichkeit und Kultur beschäftigt schon immer die philosophischen Gemüter, besonders die der Männer. Die Diskussion läßt sich bis Platon zurückverfolgen, der in der Politeia die Beteiligung von Frauen an den Staatsgeschäften wie selbstverständlich positiv bestimmt, um dann aber einschränkend zu bemerken, daß ihnen nur Leichteres zuzuteilen sei, aufgrund der Schwäche ihres Geschlechts.
Die Betrachtungen über diesen Zusammenhang hatten meist zum Ergebnis, daß Weiblichkeit und Kultur, wenn nicht gerade in einem antagonistischen, so doch in einem problematischen Verhältnis stehen. Kurz: Weiblichkeit und Kultur vertragen sich nicht. Und das sollte uns als Philosophinnen doch interessieren! Ein neuzeitlicher Vertreter dieser Auffassung des kulturellen Unvermögens der Frau ist Georg Simmel. Über seine Philosophie der Geschlechter möchte ich hier referieren.
Simmels »Philosophie der Geschlechter« ist neben der ideengeschichtlichen Tradition der durchgängigen Frauendiffamierung auch vor dem politischen Hintergrund seiner Zeit zu sehen.
Die Frauenbewegung war zwar in eine proletarische und bürgerliche gespalten, dennoch mächtig in allen Lebensbereichen und rückte die gesellschaftliche Stellung der Frau ins allgemeine Bewußtsein. Die proletarische Frau war infolge der industriellen Revolution aus ihrem Arbeitskontext von Heimarbeit und Haushalt in die Fabrik gezwungen, wo sie von den proletarischen Männern als weiterer Konkurrenzfaktor bekämpft wurde. Die überlebensnotwendige Arbeit an der Maschine und die darüber hinaus verbleibende Arbeit mit Haushalt und Kindern belasteten die Frau in unvorstellbarer Weise. Dagegen war die Frau der oberen Schichten von Hausarbeit weitgehend freigestellt und konnte Bedürfnisse nach freier Entfaltung ihrer Individualität, nach Bildung und Berufstätigkeit entwickeln. Dagegen jedoch standen die versammelten Schranken der Tradition. Während also die proletarische Frau aus Lebensnotwendigkeit in die Arbeit gezwungen wurde und einer hohen Belastung unterlag, forderte die Frau der höheren Schichten ein Recht auf Arbeit, das jedoch nicht schlichte Erwerbsarbeit meinte, sondern Recht auf Bildung und qualifizierten Beruf, sowie nach politischer Gleichstellung.
Angesichts dieser Situation: der Zerschundenheit der Frauen, die nicht mehr den männlichen Forderungen nach Schönheit und Anmut entsprechen konnten, einerseits, und der Emanzipationsbestrebungen mit dem Wunsch nach gesellschaftlicher Einflußnahme andererseits, was insgesamt eine einschneidende Relativierung des patriarchalischen Werte- und Ordnungssystems bedeutete, konzentrierte Georg Simmel seinen philosophischen Scharfsinn, um für die Rettung des hehren Weiblichkeitsbildes nichts unversucht zu lassen.
Wir finden in Simmels »Philosophie der Geschlechter« eine subtile Form der Diffamierung von Weiblichkeit, die darauf basiert, daß in der Betrachtung der Geschlechter nicht das Gemeinsame der Menschlichkeit relevant wird, sondern entgegengesetzt Differenzen betont werden, von denen auch nicht klar ist, woher sie rühren. Obwohl Simmel der Frau ein »eigenständiges Prinzip« zuerkennt und sie nicht nur als quasi Wurmfortsatz des Mannes begreift, beläßt er sie doch in der Position der Schwächeren, Unproduktiven, Passiven.
Eine wahrlich phallische Ideologie der Geschlechterpolarität!
Bestimmung der Geschlechter
Georg Simmel hat in drei Essays die Typlogie der Männlichkeit und Weiblichkeit behandelt. In »Das Relative und das Absolute im Geschlechterproblem«, in »Die Koketterie« und in »Weibliche Kultur«. Die Essays sind 1919 erschienen.
In dieser Typologie wird das Männliche mit dem Menschlichen gleichgesetzt, da der Mann kraft seiner Auseinandersetzung mit Welt und Ideen, sich in der Lage sieht, Normen zu setzen, die den Status des Allgemeinen erhalten. Diese Erhöhung der männlichen Normen zu allgemein-menschlichen geschieht durch die Machtstellung der Männer, die nach Simmel jedoch keine historisch zufällige ist, sondern der männlichen Uberlegenheit entspricht. Die Macht wird objektiv begründet, in Recht transformiert, die »psychologische Superiorität, die das Herrschaftsverhältnis zwischen Männern und Frauen den männlichen Wesensäußerungen verschafft, sozusagen in eine logische« (Rel., 67) gegossen.
So wird der Mann zum Träger einer objektiven Gesetzlichkeit und repräsentiert das Überpersönlich -Allgemeine.
Simmel geht von einer überhistorischen Basis des Geschlechterunterschiedes aus und spricht vom metaphysischen Wesen der Männlichkeit und der Weiblichkeit. Diese Wesen stehen sich polar gegenüber, wobei der Pol der Männlichkeit im Laufe der Entwicklung Dominanz erhalten habe und zum schlechthin Objektiven und sachlich Maßgebenden verabsolutiert wurde.
Die Möglichkeit des Mannes, als Maßstab für das Menschliche fungieren zu können, liegt in seinem Wesen begründet, das als dualistisch und expansiv charakterisiert wird. Die Eigengesetzlichkeit der Dinge akzeptierend, ist er trotzdem getrieben sie sich zu unterwerfen und nach seinen Ideen zu gestalten. In der hieraus entstehenden Subjekt-Objekt-Spannung sieht Simmel die Bedingung für Kultur überhaupt. Das Hin-und-Her-Gerissensein zwischen Sinnlichkeit und Geistigem, zwischen beherrschender Begehrlichkeit und der Unbegehrlichkeit des Transzendenten disponiert den Mann zu einem Relativwesen, zu einem Mittel. Die innere Zerrissenheit treibt ihn zum Schaffen, zur Produktivität, zum Tun.
Komplementär dazu ist der Bereich der Frau nicht der des Tuns, sondern der des Seins. Ihre Aktivität erschöpft sich in der »Geschäftigkeit«, bleibt in der »Halb- Produktivität« stecken. Sie ist ungetrennte Einheit von Subjekt und Objekt und gravitiert expansionslos in ihrem Mittelpunkt. Ihr ungebrochenes Für-sich-Sein läßt sie unmittelbar besitzen, was der Mann sich erst mittels Logik und Beweisverfahren zugänglich machen muß. Deswegen ist ihr Mangel an Logik nach Simmel kein Manko, sondern ein Nichtbenötigen, da sie in ihrem Versenktsein in sich selbst mit dem Grund der Dinge und des Lebens eins ist. Daher rührt auch ihr »instinkt für das theoretisch Richtige«, das nicht wie beim Manne Resultat von Abstraktion ist. Die tiefe Verwurzeltheit im Dasein läßt sie ungeeignet sein für Prozesse geistigen Schaffens, für kulturelle Produktivität, »für die vollkommene Bestimmung der objektiven Form durch die subjektive Kraft, aber auch das vollkommene Objektwerdens des Subjekts« (Rel. 76). Zu der Identität von Subjekt und Objekt gesellt sich die von Sein und Sollen, die sie moralischer Kriterien enthebt. Sie ist amoralisch, will, was sie soll, befindet sich in Einheit mit der sittlichen Idee. Ihre Triebe befinden sich in Harmonie mit sich selbst, sie ist die »schöne Seele« per se und bedarf nicht der Oberwindung der Sinnlichkeit, wie der Mann.
»Die Sitte, die nichts ist als die Lebensform des sozialen Kreises, das Verhalten, das dieser um seiner Selbsterhaltung willen zum Gesetz geprägt hat, scheint aus dem eigenen Instinkt ihrer Natur zu quellen« (Rel. 96). So findet die Frau ihre Freiheit, nach Simmel, innerhalb der Sitte während der Mann sie außerhalb sucht. Das läßt sich meines Erachtens so verstehen: daß der Mann als Produzent und Begründer von Normen zum Zwecke seiner Selbsterhaltung und zur Erhaltung seiner Machtbefugnisse diese Normen eher durchbrechen darf oder überwinden, da sie quasi autonome Regeln sind, als die Frau, für die diese Regeln heteronome darstellen und deren Verletzungen ein Sakrileg sind und ein Angriff auf die normengebende Autorität des Mannes. Unverständlich dagegen ist mir die Obereinstimmung von Sitte als verhaltensregelndes System und der inneren Natur der Frau. Entweder ist sie schon so domestiziert, daß sie gar nicht mehr anders wollen kann, als sie sollen muß, oder die Sitte ist gar nicht der empirische Ausdruck des metaphysischen weiblichen Wesens, sondern mehr ein vom Manne gesetztes System zur Selbstregulation seines dualistischen Wesens, um dem Vorbilde des vermeintlich Weiblichen nahezukommen. Die »schöne Seele«, die die Frau natürlicherweise verkörpert, wird der Mann erst durch die moralische Anstrengung.
Aus den speziellen Wesensmodalitäten entspringt eine je eigentümliche Tragik der Geschlechter. Die Tragik des Mannes ist die dualistische Gespaltenheit, die ihn zwischen Anspruch und Realisierung, grenzenloser Forderung und notwendiger Beschränkung verspannt sein läßt. Denn alles Schaf fen ist nur als Kompromiß möglich, so muß sich die subjektive Energie des Ich mit der mit der objektiven Idee und den Notwendigkeiten der Formung in Logik und Sprache etc. einigen.
»Diese Herabsetzung, Störung, Zerstörung, die alle Produktion trifft, ist in den Voraussetzungen dieser Produktion selbst angelegt, die Struktur von Seele und Welt, die alles Schaffen ermöglicht, schlägt dieses Schaffen selbst mit dem Widerspruch, daß die immanente Forderung seiner Unendlichkeit mit der immanenten Unmöglichkeit, diese Forderung zu erfüllen, a priori verbunden ist.« (Re. 79)
Die Tragik der Frau dagegen liegt nicht in ihrem dualistischen Wesen, sondern der Widerspruch besteht zwischen ihrer metaphysischen Wesenheit und der empirischen Realität, in die sie gestellt ist. Nicht wie der Mann Relativwesen, jedoch in der Realität als Mittel zum Zweck eingesetzt, ist auch die Frau einer Tragik unterworfen, oder eher einer traurigen Konstellation, da von einer autochthonen Tragik im eigentlichen Sinne nicht gesprochen werden kann. Eine weitere Traurigkeit in der realen Existenz der Frau tritt auf, dadurch daß sie der Doppeltheit von Maßstäben unterworfen ist, denn einerseits werden allgemein-menschliche Kriterien angelegt, die, wie wir schon erfahren haben allerdings nur zu menschlichen verabsolutierte männliche Kriterien sind, andererseits soll die Frau die dem Manne eigene Struktur korrelativ ergänzen. Simmel meint, diese vertrackten Ansprüche könne nur eine »geniale Weiblichkeit« lösen. Ich habe das so verstanden, daß geniale Weiblichkeit vorliegt, wenn eine Frau dazu in der Lage ist, gesellschaftlich produzierte Widersprüche individuell auszuhalten und zu lösen, d. h. es allen recht zu machen. Simmel schreibt:
»Nicht innerhalb des tiefsten Beisichseins des Wesens, wie f ür die Männer, sondern in der Tatsache des Hineingesetztseins des Wesens in die naturhafte und geschichtliche Weit entspringt der Dualismus, der die typische Tragik der Weiblichkeit trägt.«
Und weiter:
»Vielleicht eine Nuance, vielleicht aber auch die tiefere Fundierung dieser schwierigkeitsbeiadenen Funktion der Frauen als >Mittel( ist der passivistische Charakter, mit dem sie sich, nach allgemeiner Oberzeugung, von dem aktiveren Wesen der Männer abscheiden«. (Rel. 81)
Die von Simmel vorgestellte Tragik oder Traurigkeit in der Existenz der Frau läßt sich zutreffender als Traurigkeit gesellschaftlicher Zustände konstatieren, die allein nach männlichen Interessen und Machtansprüchen über die Frau konstruiert sind und der Frau darüber hinaus auch die Möglichkeit zu Intervention abschneiden, indem sie qua Wesensdefinition ohnmächtig gehalten wird. Aus der inneren Differenziertheit des Mannes resultiert auch sein Vermögen, historische Prozesse voranzutreiben, sich zu entwickeln. Dagegen muß die Frau aufgrund ihrer »relationsfreien Subjektivität« ein unhistorisches Wesen sein und diese Festschreibung tut ein weiteres hinzu, ihr Veränderungsmöglichkeiten zu erschweren. Es bleibt bei der Erstarrung im Dilemma oder der Flucht in die »geniale Weiblichkeit«. Die Verbindung der Geschlechter untereinander stellt sich für Simmel folgendermaßen dar: der Mann bezieht sich in seiner Geschlechtlichkeit auf die Frau, wobei er weniger eine individuelle Frau meint, sondern sich auf die Frau generell bezieht.
»Was den durchschnittlichen Mann an den Frauen zu interessieren pflegt, ist ungefähr das gleiche an der Schneiderin und an der Prinzessin«. (Rel. 94)
Es ist also nicht das Persönliche, Spezifische eines weiblichen Menschen, dem das Interesse des Mannes zukommt, sondern das Generelle, die Weiblichkeit schlechthin, die jede Frau verkörpert und was sie so austauschbar macht. Das wird auch als Grund f ür die U ntreue der Männer angef ührt.
Die Frau dagegen bezieht sich auf den Mann als Individuum und nicht als ein Exemplar von Männlichkeit.
»Die Frau bedarf gar nicht so sehr des Mannes in genere, weil sie das sexuelle Leben in sich hat, als das in sich beschlossene Absolute ihres Wesens; um so mehr bedarf sie, wenn dies Wesen in die Erscheinung treten soll, des Mannes als Individuum. Der Mann, der viel leichter sexuell zu erregen ist, weil es sich dabei für ihn nicht um eine Bewegtheit der Wesenstotalität, sondern nur einer Teilfunktion handelt, hat dazu nur eine ganz generelle Anregung nötig. So können wir die Erfahrungstatsache begreifen, daß die Frau mehr an dem einzelnen Manne, der Mann mehr an der Frau im allgemeinen hängt.« (Rel. 72)
Während die Frau also immer nur die Personifizierung des Gattungsmäßigen inkarniert, ist die Besonderheit des Mannes zum historischen Synonym für das Allgemeine geworden (Rel. 97).
Vor diesem Hintergrund möchte ich anmerken, daß feministische Ansätze zu einer Definition von Frau meist in dieser Geschlechtspolarität verhaftet bleiben. Frauen werden weiterhin über die naturhafte Komponente bestimmt und somit auf den Körper reduziert. Die Sozialität der Frau ist die natürliche zwischen Mutter und Kind, die Geistigkeit wird oft abgelehnt, da Geist vorschnell mit instrumenteller Vernunft und unterdrückendem, rigidem Formalismus gleichgesetzt wird, von dem frau sich distanziert.
Solange die Frau das Frausein als das Eigentliche ihres Seins versteht, bleibt sie auch immer das naturhaft Unentwickelte und gelangt über das irrationale Summen im Bauch nie zu einer eigenen Sprache und zu einer mehr als nur komplementären Existenzberechtigung.
Kritik: Simmel hat in der Charakterisierung der Geschlechter in ihrer Polarität eine Typologie geschaffen, die neben ihren zweifelhaften Inhalten auch in ihrer Form zu kritisieren ist.
Die Typologien von Mann und Frau sind nicht als historische konzipiert, die spezifische Merkmale einer bestimmten Zeit herauspräparieren und auf der Hintergrundsfolie gesellschaftlicher Realität eine Art Zeitgeist vorstellen, sondern sie sind als metaphysische gemeint, stabil in ihrer überhistorischen Definition und unwandelbar.
Dabei ließen sich die Schemata, die Simmel darstellt, teilweise sehr gut als Beschreibung für die Geschlechter akzeptieren. Allerdings nur soweit sie deskriptiv, und für einen historischen Zeitabschnitt gelten sollen. Wir können uns ja selbst oft genug ertappen, wie wir noch solchen Männlichkeits- oder Weiblichkeitsbildern anhängen, oder wie Personen in unserer Umgebung ihnen anhängen, obwohl wir sie für aufgeklärte Menschen halten. Da drückt sich dann immer wieder die konservierende, normative Kraft des Faktischen aus und zeigt deutlich die ideologische Potenz solcher Vorstellungen. Wobei diese Vorstellungen natürlich nicht einfach ausgedachte sind, sondern sie korrespondieren mit einer gesellschaftlichen Verfassung, die über soziale Rollenzuweisung und hohe Arbeitsteilung die Partizipation an der Macht limitiert. Und ideologische Vorstellungen und Herrschaftsansprüche stützen und legitimieren sich gegenseitig.
Wenn ich mit Simmel hier die Gleichung, männlich ist machtvoll, weiblich ist ohnmächtig übernehme, so sind dies für mich keine Zuschreibungen, die dem einen oder anderen Geschlecht kraft seines Wesens zukommen, sondern gesellschaftlich formulierte Ansprüche an Mann oder Frau, die realiter jedoch keineswegs in jedem Falle eingelöst werden. Ein Mann, der gesellschaftlich machtlos und darüber hinaus nicht einmal habituell in der Lage ist, »Männlichkeit auszustrahlen«, sich mit seinen imponierenden Attitüden zu produzieren, gilt doch allgemein als Witzfigur, die über Spott nicht zu klagen hat und der kommt ihm nicht nur von Männern entgegen. Und dann gibt es da einen britischen Premierminister, der bei vielen Männern grimmiges Wohlbehagen und in Teilen der Frauenbewegung ein wahres Thatcher-Syndrom ausgelöst hat.
Aber das Bild des Mannes ist dazu geeignet, ihn als Repräsentant von Herrschaft fungieren zu lassen.
Und so wird es uns auch nicht weiter verwundern, daß die metaphysische Definition des Mannes das Prinzip der Entwicklung impliziert und der Mann als historisches Wesen verstanden wird, wohingegen die Frau als unhistorisches jeglicher Entwicklung entbehrt. In dieser starren Typologie ist die Frau gefesselt, da ihr mit der Ewigkeit der metaphysischen Definition auch die Unwandelbarkeit ihres Wesens oktroyiert wird, während die definitorische Ewigkeit des Mannes dynamisch ausgestattet ist. Schließlich muß er sich ja als Machthaber seine Handlungsfähigkeit erhalten: zumindest den Schein wahren.
Der Kulturbegriff Simmels
Unter »Kultur« versteht Simmel:
»... die Vervollkommnung von Individuen », die vermöge des in der geschichtlichen Gattungsarbeit objektivierten Geistes gewonnen wird. Dadurch, daß die Einheit und Ganzheit des subjektiven Wesens sich durch die Aneignung jener objektiven Werte vollendet.« (Weibl. Kultur 268)
Kultur wird in eine »objektive« und eine »subjektive Kultur« unterteilt. Objektive Kultur meint:
»... all das Ausgesprochene und Geformte, das ideell Bestehende und real Wirksame, dessen Komplex den Kulturbesitz einer Zeit ausmacht...« (WK 268)
Subjektive Kultur umfaßt das »Maß, nach Ausdehnung und lntensität« der Individuen, die daran teilhaben.
»Kultur [ist] eine einzigartige Synthese des subjektiven und des objektiven Geistes, deren letzter Sinn nur in der Vervollkommnung der Individuen liegen kann.« (WK 268)
An einer anderen Stelle nennt er die Idee der Kultur »... den Weg der Seele zu sich selbst.« (Begriff und Tragödie d. Kultur 236). Oder anders: »... der Weg der geschlossenen Einheit durch die entfaltete Vielfalt zur entfalteten Einheit.« (Begriff 238)
Wie die meisten Kulturbegriffe, ist auch der von Simmel ein konkret sehr unbestimmter. Kultur ist für ihn der Inbegriff aller Formen, die sich aus der subjektiven Spontaneität und dem individuellen Leben speisen. Die vom Individuum entäußerten Kulturobjektivationen erstarren und wenden sich gegen die Vitalität des Lebens, das sich dagegen auflehnt.
Seiner Zeit warf Simmel vor, daß sie nicht in der Lage sei, neue Formen aus den alten zu entwickeln, sondern daß sie in der Negation der tradierten stagniere.
Kultur ist essentiell tragisch in ihrem unaufhebbaren Konflikt zwischen subjektiver und objektiver Kultur, zwischen Individuum und Gesellschaft. Um der Selbstentfremdung zu entgehen verbleibt dem Subjekt nur die Verwirklichung in einer entfalteten Innerlichkeit.
Simmels dualistischer Kulturbegriff ist keiner, der sich aus der Analyse konkret gesellschaftlicher Antagonismen entwickelt, sondern baut sich auf aus den traditionellen Kategorien von Wesen und Erscheinungen des Lebens.
Die Tragik oder die »Tragödie der Kultur«, wie Simmel sie auch nennt, ist der ins Überpersönliche gesteigerte Konflikt des dualistischen Menschen; des Mannes.
Für mich stellt sich der dualistische Konflikt und die damit verbundene Tragik in anderer Weise dar: er ist das historische Ergebnis unterwerfender und überwältigender Machtergreifung überdie Natur und der Herrschaftvon Menschen über Menschen. Der Preis für diese Machtergreifung, für diesen gleichsam historischen Sündenfall ist der Verlust der Unschuld, die dualistische Zerrissenheit, die uns auf philosophischer Ebene in Form metaphysischer Entitäten begegnet. Die nun dualistische Subjektivität strebt nach einer neuen Einheit, die den Prozeß der Kultur begründet; "den Weg der verlorenen Unschuld zum Paradies", wie ich es metaphorisch formulieren möchte.
Dies auf unser Beispiel der Beziehung zwischen Mann und Frau angewendet. Es gibt keinen Grund zur Annahme, daß die Frau sich ihre Unschuld bewahren konnte, wenn sie auch sicherlich nicht so umfangreich die Geschäfte der Herrschaft betreibt. Daß ihr trotzdem die Rolle der Unschuld weiter zu spielen abverlangt wird, läßt sich wohl aus der Sehnsucht des männlichen Machthabers nach seiner verlorenen Harmonie erklären. In sadistischer Bemächtigung hat er die Frau in ein Denkmal seines Woher gegossen, das er sich in masochistischer Hilflosigkeit und gleichzeitiger Oberheblichkeit vor Augen hält. Das Verlorene ist einerseits das, wovon man sich weg- und weiterentwickelt hat, das überwunden ist und unentfaltet zurückbleibt nach den neuen Kriterien, das aber immer als das Verlorene schmerzhafter Verlust bleibt. So wäre zu verstehen, warum die Frau mit persönlich uneinholbaren Stilisierungen des Heiligen und Göttlichen inthronisiert und gerade auch ihre Jungfräulichkeit so zum Fetisch erhoben wird, aber sie auch andererseits diesen mystischen Schrecken verbreitet und das Primitive schlechthin verkörpert, das keiner Wertschätzung bedarf. So stellt die Frau gleichzeitig das Woher und das Wohin dar und solange sie dies darstellt, ist es Indiz für die Kontinuität ihres Mißbrauchs als Symbol. Dann ist sie weiterhin Opfer einer Stilisierung nach projektiven Bildern und einer Erniedrigung zum Instrument männlicher Begierden und der Reproduktion. Ein Leben nach selbstgesetzter Bestimmung bleibt versagt.
Zusammenfassend möchte ich als vorläufiges Ergebnis meiner bisherigen Auseinandersetzung mit Simmel folgendes bemerken: - seine Konzeption von Kultur, die sich teilweise mit herrschender Praxis deckt, muß im weitesten Sinne als herrschaftskonservierende Institution benannt werden, die über keine emanzipatorische Kraft verfügt, um die Entwicklung zur Freiheit voranzutreiben. Das wäre m. E. ein wesentliches Kriterium, das Kultur auszeichnen müßte. Erst wenn Kultur ihr herrschaftslegitimierendes und machtausübendes Element überwindet, wird sie aufhören können, ihren Antrieb nur aus dem Konflikt und aus dem Mangel zu beziehen.
Die Definition der Frau und die Stellung, die Simmel ihr in Bezug auf Kultur zuweist, ist ein besonders deutliches Beispiel für kulturelle Unterdrückungsfunktion. Nach, seiner Einschätzung bedarf die Frau ja weder der Anstrengung des Begriffs, noch der Anstrengung moralischer Auseinandersetzung, was letztlich nur bedeutet, sie aus diesen Bereichen auszuschließen, um den status quo erhalten zu können.
Eine wichtige Aufgabe scheint mir zu sein, das Monopol der Vordenker zu durchbrechen, die uns auf Weiblichkeit reduzieren. Und Weiblichkeit ist f ür mich per se komplementär. Diese Reduktion muß durchbrochen werden, wollen wir nicht weiterhin auf Reservate uns beschränken lassen. Das bedeutet, daß eine neue Definition von Weiblichkeit, auch eine Definition von uns selbst nur eine Zwischenlösung sein kann. Darüber hinaus geht es um ein Bild und um die Realisierung eines Bildes von Menschlichkeit, das weder geschlechts- noch rassenspezifische Werthierarchien beinhaltet. Aber bis dahin ist es weit und der Weg der verlorenen Unschuld zum Paradies ist ein langer. Vor allem wenn die gesuchte Auflösung der Entfremdung in der kulturellen Identität nur immer eine momentane ist und die Entfremdung bestätigt. Das sind Probleme, mit denen auch Frauen konfrontiert sinci und sie sind entfernt von konfliktloser Seinsversenktheit.
Diskussion zu: »Kultur und Weiblichkeit«, von Ursula Menzer
Diskussionsleitung: Manon Maren-Grisebach
A:: Es gibt eine zeitgenössische Kritik der österreichischen Ästhetikerin Rosa Mayreder mit ihrem Essay-Band »Geschlecht und Kultur«. Es dürfte dieser Titel ja in der Weiningerschen Opposition zu »Geschlecht und Charakter« gewesen sein. Also »Geschlecht und Kultur«, die in der Kritik des Kulturbegriffes gleichzeitig Weiblichkeit kritisiert und das am Beispiel des Simmelschen Ausnahmemythos des Weiblichen aufzeigt.
U.M.: Ja. Ich kenn Rosa Mayreder, und ich habe sie auch gelesen. Ich würde sie aber kritisieren, weil sie auch in dieser Geschlechterpolarität, wie Simmel, gefangen bleibt. Sie wertet nur um, daß also die Weiblichkeit ein bißchen positiver bewertet werden soll, aber die Polarität bleibt aufrechterhalten, auch in ihrem Kulturbegriff, den sie entwickelt.
a.: Da würd ich widersprechen. Bei Mayreder ist die Kritik nicht widerspruchslos da. Das ist insofern interessant, weil in ihrer Kritik der Weiblichkeit dieses neue Frauenbild bereits da ist. Sie will ja die Polarität durchgängig aufheben, was ihr aber durchgängig nicht gelingt. Das sind die Brüche, die bei frühen Kritikerinnen der männlichen Philosopheme da sind. Zum Beispiel: Andreas Salomö übernimmt viel genauer noch das Simmelsche Bild. Sie identifiziert sich rein mit den männlichen Philosphemen, in dem Fall.
B.:Ich möchte dich fragen, warum du dich mit Simmel beschäftigt hast. Warum mit solch einem Autor. Anschließend an das, was du gesagt hast, könnt ich das nie, ich würd mich dermaßen ärgern, und ich würd sagen, über den lohnt es sich überhaupt nicht, sich weiter zu beschäftigen.
U.M.: Das ist ja die ganze traditionelle Philosophie, die uns da entgegenschlägt, in irgendeiner Weise, und uns ärgert, und das sind einfach Vorurteile, die da produziert wurden und verhaftet sind, auch in uns verhaftet. Aus dem Grund finde ich es schon wichtig, sich damit auseinanderzusetzen. Und Simmels Geschlechtermetaphysik ist ein Beispiel für Vorurteile.
C.: Ich möchte mich der Vorrednerin anschließen. Ich hab nur eine Meinung zu dem Referat: ich find's ßo unheimlich fad. Mich mit irgendwelchen Geschlechterduaiitäten, die als Voruteile ewig niedergeschrieben, formuliert werden, noch auseinanderzusetzen. Also diese Vorurteile: wir sind, oder weiß der Teufel wer, in ihnen verhaftet. Aber wir kleben daran fest. Ich find's langweilig, so was.
D.: Ich glaube, daß diese Vorurteile ganz konsequent widerlegt werden müssen, wenn sie ausgerottet werden sollen.
E.: Ja. Also eigentlich wollte ich das auch sagen. Denn Vorurteile mal gehört zu haben, oder auch anerkannt zu haben, heißt ja noch lange nicht, sie überwunden zu haben, und damit auch Alternativen gefunden zu haben. Und ich finde noch eins wirklich wichtig, was du eben selber gesagt hast: das sind hier Philosophien. Und Philosophien sind Denkmodelle, die Ideologien verbreiten, und wir sind in diesen Ideologien erzogen worden, und wir wissen wirklich zum grossen Teil selber nicht, wie weit, wie tief diese in uns drin sind. Sprachliche Beispiele haben wir ja schon viele bekommen, und hier ist sozusagen die reine Theorie. Und deswegen finde ich das unwahrscheinlich wichtig, wenn man die entlarvt. Ich kämpfe immer wieder darum, daß man glaubt, Theorie sei eben nur etwas, das am Himmel schwebt und hätte mit der Praxis gar nichts zu tun. Sondern eben über Ideologisierungen, über Vorurteile prägen die unser Leben, unsere Gesellschaft,ja unser ganzes Dasein. Und wir müssen sie einfach erkennen und entlarven, um überhaupt mal einen Boden, einen Grund zu haben, etwas Neues, oder Alternativen zu entwicklen. Und das finde ich jetzt mal eine Schwierigkeit, die eigentlich am Ende deines Referats mir wieder so aufgekommen ist: daß man denkt, ja gut, wir machen die Analyse, aber was dann? Und daß wir da doch wieder gemeinsam daran arbeiten.
F.: Ja. Ich möchte sagen: ich fand deinen Vortrag gar nicht fad, ich fand ihn sogar sehr interessant. Ich hatte nämlich mal einen Bekannten, der mir immer vorgeschwärmt hat von Simmel, daß das ein Genie sei, und jetzt weiß ich, warum er ihn genial findet. Ich fand deine Kritik an Simmel sehr berechtigt, eben auch weitergehend als eine Kritik am Feminismus, an Teilen der Frauenbewegung, weil du sehr gut aufgezeigt hast, wo Geschlechterdualität hinführen kann, auf Seiten der Männer, aber wo sie auch hinführen könnte, mißverstanden, auf Seiten der Frauen, also das a priori Bessere oder Andere.
G.: Da fiel vorhin: Vorurteile müssen ganz konsequent widerlegt werden. Das ist vielleicht nicht unbedingt falsch. Ich frage mich, auf welche Art. Müssen wir sie unbedingt genau auf dieselbe Art widerlegen, wie sie von den Männern geschaffen worden sind, oder haben wir nicht vielleicht ganz andere Möglichkeiten. Zum Beispiel indem wir einfach unsere eigenen Sachen schaffen.