Die Shaker:

Gleichberechtigung und Hierarchie

Die Gemeinschaft der Shaker ist einzigartig und paradox in vieler Hinsicht. Mit dem Zölibat, das sie aus religiösen und organisatorischen Prinzipien hochhielten, überlebten die Shaker die meisten utopischen Gemeinschaften, die im Amerika des 19. Jahrhunderts aufkamen. Der sexuellen wie auch der Rassengleichheit verschrieben, waren sie doch hierarchisch gegliedert: Mann und Frau arbeiteten in traditionellen Rollen.

Die Shaker gehören zu den langlebigsten Gemeinschaften in den Vereinigten Staaten. 1780 gegründet, umfaßte ihre Gemeinde zeitweilig bis zu 17 000 Menschen.[1] Überreste davon existieren noch heute in New Hampshire und Maine. Auf dem Höhepunkt ihres Wachstums — um 1850 - lebten 18 Shakergesell-schaften, die aus 58 Familien oder Kommunen bestanden, auf über 100 000 Morgen Ackerland in zehn Staaten der USA.
Die Shaker waren eine Quelle der Inspiration für viele Sozialtheoretiker des 19. Jahrhunderts - von Robert Owen bis zu Friedrich Engels. Engels führte an ihrem Beispiel 1845 an, daß »Kommunismus oder ein Leben und Arbeiten in einer Kommune, die alle Güter gemeinsam besitzt, nicht nur möglich ist... sondern tatsächlich schon in vielen Kommunen Amerikas mit Erfolg praktiziert wird...«[2] Ein anderer Sozialtheoretiker, John Humphrey Noyes, der die Perfektionisten ins Leben rief — eine der »vielen Kommunen Amerikas« —, beschrieb den Erfolg der Shaker als »die ,Muster-Basis', die alle Papiertheorien verwirklicht und die Niederlagen der französischen und englischen Schulen Lügen straft«.[3] So übernahm Noyes dann auch tatsächlich die »gesamte Formalstruktur seines Systems« von den Shakern und lieferte selbst nach Abänderung der Hauptdoktrinen der Shaker noch immer ein Ebenbild derselben.[4]
Die Shaker, oder der Vereinte Orden der Gläubigen, wie sie sich selbst nannten, entstanden in England. »Ihre Prophezeiungen bestanden oft aus dem leidenschaftlichen Gemurmel« der Frauen, die sie führten.[5] Ann Lee war die Nachfolgerin von Mutter Jane Wardley, Führerin der englischen Sekte. Ann Lee hatte dem »Beiwohnen der Geschlechter« als Ursünde entsagt, nachdem sie die schwere Geburt und den Tod von vier Kindern hinnehmen mußte. Die Frau von John Humphrey Noyes erlebte fünf schwierige Geburten und den Tod von vier Säuglingen. An Mutter Ann und Noyes wird deutlich, daß das Persönliche in der Tat politisch ist: Mutter Ann, die Gebärerin, entsagte dem Sex gänzlich; Noyes, der Mann einer Gebärerin, befürwortete mehr Sex, wollte aber die Fortpflanzung verhindern.
Mutter Anns öffentliche Verurteilung der »Fleischeslust«, das »Schütteln« (engl.: to shake) und in verschiedenen Zungen Reden der Sekte führten zu Anklagen wegen Häresie und Hexerei. Mutter Ann wurde ins Gefängnis geworfen und die Sekte heftig verfolgt.  1774 emigrierte Ann Lee mit sieben Mitgliedern der Gruppe nach Nordamerika. 1780 bildete sich bereits die erste Shaker-Siedlung im nördlichen Teil des Staates New York. Innerhalb von zehn Jahren entstand die Hauptgesellschaft in New Libanon,  Massachussetts.  Andere Kommunen folgten in verschiedenen Staaten Neu Englands, des Südens und Mittleren Westens. Doch auch in der Neuen Welt wurden sie bedroht und verfolgt. Mitten im Sklavenhandel kämpften die Shaker dagegen. Während   des  Revolutionskampfes  waren  ihre  Gesellschaften Heimstatt des Pazifismus. Vor allem in Harvard griffen sie besonders heterosexuelle Beziehungen an, die nach ihrer Auffassung »Trauer und Armut, Scham und Schande über Familien und  Einzelpersonen  brachten und  die  Erde zum Jammertal machten«.[6]  Ihren Gegnern zufolge haben die Shaker nicht nur zum Zerbrechen von Ehen beigetragen und Kinder von ihren Eltern getrennt, sondern, was als noch schlimmer galt, die Führung einer Frau akzeptiert — »einer Frau, die von vielen Gläubigen fast vergöttlicht wurde«.[7]
Nach Mutter Anns Tod hatten selbst treue Shaker Schwierigkeiten, die Institutionalisierung weiblicher Führung anzuerkennen.
Wie bei den meisten Kommunen des 19. Jahrhunderts war auch bei den Shakern die Landwirtschaft Grundlage ihres Wirtschaftslebens. Doch ungleich anderen utopischen Gemeinschaften, wie jenen von Owen oder Fourier beispielsweise, gelang es den Shakern, ihre Konzepte »in ein effizientes System gemeinsamer Arbeit, vorbildlicher Bauernhöfe und Dörfer, ausgezeichneten Handwerks und erstaunlich produktiver Industrie« umzuwandeln.[8] »Die Leute, die mit den Pflanzen reden«, in Find-horn, Schottland, vorwegnehmend, hieß es auch bei den Sha-kern: »Wenn du die Pflanze liebst, ihr gibst, was sie braucht, wird sie es dir lohnen... ein Baum spürt deine Sorge um ihn.«[9] Arbeit war eine geheiligte Aufgabe, häufiger Wechsel der Beschäftigung ließ Monotonie gar nicht erst aufkommen und geniale Arbeitserleichterungen wurden ständig entwickelt. Ihre Handwerkserzeugnisse, besonders ihre Möbel erfreuten sich großer Nachfrage. Künstlerischer Ausdruck, der in Liedern und Tänzen, Gemälden und Zeichnungen verwirklicht wurde, war sowohl geistig als auch seelisch erhebend. In den Shaker-Gemeinden verschmolz das Individuum mit der Gruppe und die Kunst mit der Technik. Auch die Perfektionisten waren wirtschaftlich erfolgreich, aber ihre unterschiedlichen Arrangements der Geschlechter fanden nach nur dreiunddreißig Jahren — verglichen mit zwei Jahrhunderten Shaker-Gemeinschaften — im Jahre 1879 ihr Ende.
Außer den Katholiken traten Mitglieder aller Glaubensrichtungen — selbst Juden — den Shakern bei, während in Oneida die Mitglieder »nach ihrer Loyalität gegenüber Noyes' Führung ausgesucht wurden«.[10] Einige Shaker-Gemeinschaften waren gemischtrassig, und in »Philadelphia organisierte eine bemerkenswerte schwarze Frau«,[11] Mutter Rebecca Jackson, eine rein schwarze Kommune, die einige Jahre existierte. Einige Sklavenhalter traten der Shaker-Gemeinschaft bei und entließen ihre Sklaven, vierzig traten mit ein.[12]
Ein wichtiger Grundsatz der Shaker lautete: »Macht über Krankheiten«; die »Erlösung des Leibes« war nicht weniger wichtig als die »Gesundheit der Seele«. Seit Mutter Ann, die für ihre Wunderheilungen durch Handauflegen berühmt war, wurde die »Gabe des Heilens« von vielen Shakern mit großem Erfolg ausgeübt. Die von den Frauen gezüchteten Heilkräuter verkauften sich weit und breit. Einige ihrer Gesundheitspraktiken sind wissenschaftlich anerkannt, von der traditionellen wie auch der alternativen Medizin: Sie rauchten nicht und ernährten sich hauptsächlich vegetarisch, weil sie tierische Nahrungsmittel, besonders Fett, für gefährlich hielten. Krebs verschwand bei ihnen, als sie aufhörien, Schweinefleisch zu essen. Sie starben im Alter zwischen sechzig und neunzig Jahren, und diese »Langlebigkeit der zölibatären Jungfrauen« und ihren guten Gesundheitszustand führten sie auf »sexuelle Reinheit« zurück.
Shaker-Frauen und -Männer lebten in gegenseitiger Abhängigkeit, doch getrennt; parallel, doch symbiotisch; sie sind eine Art Verbindungsglied zwischen heterosozialen und homosozialen Gemeinschaften. Im gleichen Haus lebend, wurde physischer Kontakt zwischen Männern und Frauen vermieden, doch besuchten beide die nächtlichen Versammlungen und religiösen Feste. Oft »reisten sie auch gemeinsam zu Pferde, auf Schlitten oder in Kutschen«.[13] Die Versammlungen der ganzen Gemeinde endeten mit Küssen und Umarmungen — gleichgeschlechtlich. Anders als die frühen Christen, die sie als ihr Vorbild angaben, war die Führung für die Schwester- und Bruderschaften hierarchisch. Gehorsam schuldete man den Ältesten, den Diakonen und Diakonissen, dem Sprecher und der Sprecherin, die von den Geistlichen ohne Konsultation der Mitglieder ernannt wurden.
Mit dem Zölibat als oberstem Grundsatz tadelte Ann Lee die jungen Männer, weil sie die Frauen verführten, die jungen Mädchen, weil sie junge Männer umgarnten, und die Eltern, weil sie ihre Kinder so »aufbauen«, daß sie »die Augen des anderen Geschlechts suchen«.[14] Die Shaker behaupteten, daß die anderen Gemeinschaften hauptsächlich deswegen scheiterten, weil sie die Heirat erlaubten, »die unauflösbar mit dem Privateigentum verbunden ist«.[15] Auch Noyes lehnte Heirat mit »kommunistischen« Begründungen ab: Mit dem Ausschließlichkeitsanspruch an Personen und Besitz putzte er die monogame Ehe ihrer »Eintönigkeit und Enge« wegen herunter.
Wie die sexuell gleichberechtigt lebenden Gnostiker sahen auch die Shaker Gott als männlich/weibliche Dualität, die zunächst in der Person Jesu als männliches Element erschien und später (die Wiedergeburt) im Körper von Ann Lee, dem »weiblichen Messias«. Die »Heilige Elternschaft« von Vater Jesus und Mutter Ann untermauerte ihren Glauben an sexuelle Gleichberechtigung. Sie ersehnten den Tag, »an dem Frauen in der Welt wie in der Gemeinde genau wie Männer Ämtern vorstehen«.[16] Ann Lee war überzeugt, daß heterosexuelle Beziehungen die Frauen in äußerst ungerechte Rollen zwangen, und »sie entwickelte ein ungeheures Bedürfnis, das Ungleichgewicht, das sie in den Beziehungen der Geschlechter untereinander erblickte, zu korrigieren«.[17] Noyes hingegen glaubte ausdrücklich an die »natürliche« Überlegenheit der Männer.[18] Männer waren an der Spitze der Hierarchie, die er errichtete, seine engsten Vertrauten. Dagegen setzten die Shaker, daß die Frauen unter ihnen »genauso fähig wie Männer seien, auch in Geschäften, und außerdem spirituell weiter entwickelt«.[19] Der älteste Frederick Evans, offizieller Sprecher der New Libanon Gemeinde, »wollte die Shaker-Ideen so auslegen, daß Präsidenten- und Führungsamt zwei Ämter seien, nationale und staatliche Parlamente den Frauen vorbehalten würden, das Unterhaus den Männern, die Führung einer Klasse intellektueller Junggesellen und Junggesellinnen' vorbehalten blieb, die nur dem Staat vermählt seien«.[20]
Die Geschlechtsrollenverteilung bei den Shakern war traditionell: die Frauen arbeiteten im Haus, die Männer leisteten die schwere Arbeit außer Haus. Da die Shaker-Frauen und -Männer gleichermaßen an den religiösen Programmen, der Führung und politischen Entscheidungen beteiligt waren, bestand die Gleichheit für Frauen nicht darin, das gleiche zu tun wie die Männer.[21] Bei den Perfektionisten in Oneida blieben einige Beschäftigungsmöglichkeiten den Frauen verwehrt, einige Frauen waren auf dem Bau beschäftigt, und einige Männer befaßten sich mit der Kinderpflege. Meist aber wandten sich die Frauen traditionellen Beschäftigungsformen zu. Von den höheren Rängen der Verwaltung und Ideologien blieben sie ohnehin ausgeschlossen.
Die Gruppenehe in Oneida wurde ausgelöst, weil Noyes sich zu Mary Cragin hingezogen fühlte — was natürlich ihren Mann beunruhigte. Noyes und seine Frau sowie Mary und ihr Mann waren die ersten, die einander »volle Freiheiten« innerhalb der Gruppe zugestanden.[22] Da sexuelle Beziehungen in Oneida von Noyes geregelt wurden, konnten »sexuelle Privilegien« disziplinarisch gewährt oder entzogen werden, um Widerspenstige zu zähmen.[23]
Shaker-Frauen waren immer in der Überzahl, im gebärfähigen Alter (20 bis 45) war das Verhältnis Frau zu Mann »zwei zu eins oder sogar drei zu eins«.[24] Für Frauen mit Ehe- oder wirtschaftlichen Problemen stellten die Shaker-Kommunen den Himmel auf Erden dar:

  • Die Zölibatsregel diente als Auswahlkriterium und zog nicht nur die an, die aus prinzipiellen Gründen daran glaubten, sondern auch jene — vornehmlich Frauen —, die Eheschwierigkeiten und zerbrochenen Familien entrinnen wollten. Wer wirtschaftliche Not kannte... fand bei den Shakern - ähnlich wie in einem Kloster — die Möglichkeit, das Leben mit nützlichen Diensten neu zu gestalten.[25]

Die Shaker-Gemeinden nahmen Frauen und Männer aus zerrütteten Familien auf. Vor 1840 dienten sie sogar als Waisenhäuser der Gemeinde und später als Altenheime. Ein anderes Beispiel ihrer Solidarität mit den Armen und Unterdrückten waren die »Tausende von Dollar in Geld, Tieren und Produkten«, die zwei Gemeinden 1803 spendeten, »um arme, hungernde Cholerakranke in New York zu ernähren«.[26]
Die Trennung der Geschlechter in den Shaker-Siedlungen war »auch Teil... der amerikanischen Gesamtgesellschaft« im 19. Jahrhundert. Nach Smith-Rosenberg führte die »rigorose Rollenverteilung nach Geschlecht innerhalb der Familie und in der Gesamtgesellschaft zu einer emotionalen Trennung von Frauen und Männern«; was wiederum zur Entwicklung einer eigenen weiblichen Welt beitrug, die »sich um ein allgemeines und unbefangenes Muster gleichgeschlechtlicher oder homosozialer Netzwerke drehte«.[27] Die Tagebücher der Shaker-Frauen waren voll mit Eintragungen starker Gefühlsbekundungen für ihre Schwestern in ihren Siedlungen und in anderen, die sie oft besuchten. Obgleich heterosexuelle Liebe gebrandmarkt wurde, gab es laut Campbell in den von ihr untersuchten Materialien keinen einzigen Hinweis »auf die Verurteilung homosexuellen Verhaltens«. Im Gegenteil:

  • Die Schwesternschaft der Shaker muß das Netzwerk wesentlich gestärkt und mit dazu beigetragen haben, daß in den einzelnen Siedlungen Zuneigung und Zuwendung die Menschen einten.[28]

Um 1850 nahm die Zahl der Mitglieder stetig ab; Autoritätsgläubigkeit, Selbstentsagung und Gemeineigentum klangen im Land der »herrlichen Freiheit« und der Anhäufung von Privateigentum wenig verlockend.[29] Besonders zwischen den Gemeinschaften im Osten und Westen kehrten Uneinigkeit und Unfriede ein; die jungen Leute im Westen stemmten sich vor allem gegen die Gehorsamkeitsregel.
Die Schwestern rückten an die Stelle der Brüder in den Schlüsselindustrien und erweiterten die Produktion in eigenen Werkstätten, indem sie ausgedehnte Fahrten zu weit entlegenen Märkten unternahmen. Sie bereisten vor allem Kurorte in den Bergen oder an der See, wo sie ihre Waren anboten. Schließlich ersetzten kleinbäuerliche Betriebe die Viehzucht, und Männer wurden zur Bestellung der Felder angeheuert. Doch dann besannen sich auch die Schwestern auf »die selbstbestimmende Macht des Individuums«, und mit der Abnahme ihrer Zahl schwanden auch ihre Unternehmen dahin. Dennoch wurden die Shaker in den USA in über zweihundert Jahren niemals von einem Schisma gespalten.

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