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DAS PORTRAIT IM FEMINISTTSCHEN KURZFILM

Mein Interesse am Porträt, das traditionell der Selbstvergewisserung des (zumeist männlichen) bürgerlichen Subjekts diente, hat mich zu der Frage veranlaßt: Welche Bedeutung hat die individuelle Personenschilderung in der feministischen Filmarbeit? Genauer gesagt: Welche Personen waren/sind im feministischen Kontext darstellungswürdig?
Die Auswahl der fünf Filme,[1] an denen ich das Thema exemplarisch untersucht habe, ist dabei unter verschiedenen Aspekten zusammengestellt. Zum einen geht es darum, einen historischen Bogen zu ziehen von den frühen Anfängen des feministischen Kurzfilms bis in die jüngere Zeit. Zum anderen möchte ich die verschiedenen Formen des dokumentarischen, experimentellen und Trickfilms innerhalb dieses Themas behandeln. Die Form des Kurzfilms stellt dabei als gemeinsames Genre den Rahmen der Untersuchung dar. Zum einen kam das Medium Kurzfilm vielen Filmemacherinnen aus ökonomischen Gründen entgegen. Außerdem ist hier noch eine relativ umfassende Einflußnahme auf den gesamten Produktionsprozeß praktizierbar, die bei größeren Filmen technisch nicht möglich ist. Zum anderen bot der Kurzfilm aber auch thematisch eine Affinität zu den Inhalten feministischer Filmarbeit. Zumeist in Super 8 oder 16 mm gedreht und durch die leichtere Apparatur mobil in der Kameraführung, bietet er sich an, sonst als marginal betrachtete Themen zu behandeln. Dem bis heute gültigen feministischen Postulat, daß das Private politisch sei, entsprachen so die Auseinandersetzungen vieler Filmemacherinnen mit Themen, die ansonsten als peripher, unbedeutend, sprich: intim beiseite geschoben wurden, also Themen, die sich mit der Lebenswelt von Frauen befaßten. Das Porträt spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle.
Im klassischen Sinn hat Porträt immer etwas mit Ähnlichkeit, mit dem Wunsch nach Authentizität zu tun. Daher liegt die Vermutung nahe, daß auch das filmische Porträt einem dokumentarischen Ansatz folgt. Dies war auch zu Beginn feministischer Filmarbeit der Fall. Sie verstand sich in den Anfängen als eine Arbeit, die die feministische Bewegung, ihre Themen und Kämpfe begleiten sollte. Mit der Veränderung der Orte und Ausdrucksformen feministischer Praxis differenzierte sich aber auch die (film)künstlerische Praxis in ihren Inhalten und Bearbeitungsweisen aus.
Ist der erste Film »Angelika Urban, Verkäuferin, verlobt« von Helma Sanders-Brahms noch den frühen Positionen feministischer Filmarbeit zuzuordnen, so verknüpft »Anna« von Linda Christanell die Untersuchung historischer Muster beengter Weiblichkeitskonstruktionen mit der Frage nach ihrer Bedeutung für uns heute. »Familiengruft - ein Liebesgedicht an meine Mutter« von Maria Lang spiegelt die in den frühen 80er Jahren ins Zentrum gerückte Auseinandersetzung mit der persönlichen Familiengeschichte und besonders mit den eigenen Müttern. Noll Brinckmanns "Der Fater" schließ1ich erweitert den Blick auf den Vater als einen ebenso bedeutsamen Fixpunkt feministischer (Film)Analyse. Und last not least steht am Ende der Reihe Cathy Joritz' Dreiminutenfilm "Negative Man", der eine neugewonnene ironische Souveränität demonstriert, mit der gesellschaftlich konstruierte "Überväter" demontierbar sind.

Angelika Urban, Verkäuferin, verlobt (1969)
von Helma Sanders-Brahms

Helma Sanders-Brahms war, wie viele Filmemacher und Filmemacherinnen ihrer Generation, Autodidaktin, denn als sie zu arbeiten begann, gab es noch fast keine Ausbildungsstätten für Film in der Bundesrepublik. "Angelika Urban, Verkäuferin, verlobt" war Helma Sanders-Brahms' erster Film. Sie hatte dafür vom Fernsehen einen Auftrag erhalten. Das Drehbuch gefiel der Fernsehanstalt aber nach der Fertigstellung nicht, so daß sich Helma Sanders-Brahms notgedrungen dazu entschied, den Film selbst zu finanzieren. Von 1967 bis 1968 dauerte daher die Produktionsphase, eine Zeit, in der sie sich ihrem filmischen Gegenüber kontinuierlich annähern konnte. Das filmische Endergebnis bot die Filmemacherin wiederum dem Fernsehen an. Dort wurde es mit dem Verdikt "langweilig" abgetan und der Vorschlag gemacht, ihn um die Hälfte zu kürzen. Helma Sanders-Brahms lehnte ab. Bei den Internationalen Westdeutschen Kurzfilmtagen in Oberhausen wurde sie jedoch in ihrer Hartnäckigkeit bestätigt und erhielt zwei Preise. Jetzt erst sprang auch das Fernsehen auf das Trittbrett vermeintlichen Erfolgs und zeigte ein Jahr später, 1970, den Film in ungekürzter Fassung. Dieser Hintergrund, der selbst Stoff genug für eine Filmgroteske böte, ist symptomatisch für die Rezeption vieler früher Filme von Frauen. Sobald Aspekte von Frauenalltag im Mittelpunkt stehen, fällt oft die Vokabel »uninteressant«. Die dargestellten Frauen mit ihren Nöten, Problemen und Wünschen entsprachen nicht dem weiblichen Klischee im konventionellen Kino. Von daher ist der Film von Helma Sanders-Brahms wichtig. Seine Entstehungszeit 1967 bis 1969 fällt mit der Konstituierung der Frauenbewegung in der Bundesrepublik zusammen. Gleichzeitig zeigt der Film noch deutlich die argumentativen und ästhetischen Einflüsse der Studentenbewegungsfilme.
Helma Sanders-Brahms begleitet in ihrem Film die 18jährige Verkäuferin Angelika Urban zwischen den räumlichen Koordinaten ihrer »Privatsphäre« (sie lebt noch bei den Eltern) und ihres Arbeitsplatzes in der Modeschmuckabteilung eines Kölner Kaufhauses. Die Kamera wechselt dabei immer wieder von einem ruhigen, distanzierten Blick auf die Hauptfigur zu einer Perspektive, die sich in einer Art Hundertachtzig-Grad-Wendung die Blickposition Angelika Urbans aneignet. Das Kaufhaus aus der Sicht eines eingeschränkten Horizonts, der bedingt ist durch den an den Verkaufstisch gebundenen Blick, spiegelt sich im alternierenden Schnitt von der extremen Nahsicht auf die Modeschmuckstücke, die Angelika Urban tagtäglich an ihre Kundinnen verkauft, zu den diffusen Ausblicken, die sich ihr über den Rand des eigenen Arbeitsbereichs bieten und die mit dem Überangebot der übrigen Waren sogleich wieder zugestellt werden. Mit dieser visuellen Parteinahme gelingt es der Filmemacherin teilweise, aus der Innenschau der Protagonistin selbst heraus zu argumentieren.
Dagegen setzt sie aber auch den kritischen Blick der Analyse, der ihr als Beobachterin möglich ist und der die physischen Anstrengungen des Berufs, die psychologischen Druckmittel der Vorgesetzten auf die Verkäuferin und die eklatante Lohndiskriminierung ins Zentrum seiner Argumentation setzt. So wird der permanente Lärmpegel im Kaufhaus, den die Filmemacherin während des gesamten Films als akustischen Hintergrund einsetzt, für die Zuschauer/innen zunehmend unerträglich. Oder sie zeigt immer wieder die Nahaufnahmen der Füße der Verkäuferin, die sie, von einem Bein aufs andere tretend, vom stundenlangen Stehen zu entlasten versucht. Mit diesen einfachen, unauffällig eingebauten Beobachtungen gelingt es Sanders-Brahms, nachvollziehbar zu machen, wie zehrend gerade die Belastung der körperlichen und geistigen Monotonie in vielen dieser weiblichen Berufe ist. Die Äußerungen Angelika Urbans zu ihrem Lebensplan, ihren Problemen und Wünschen, die im Off zu diesen Aufnahmen gesprochen sind, zeigen, daß sie wegstrebt von ihrer Tätigkeit, sie als notwendige Station des Geldverdienens vor der eigentlich ersehnten Sphäre von Ehe, Haushalt und Kindern sieht, von der sie sich erstmals Autonomie und selbstbestimmtes Handeln verspricht. Helma Sanders-Brahms läßt diese Sehnsüchte bestehen, gibt ihnen Raum im Film als legitime individuelle Utopien. Gleichzeitig gelingt ihr, ohne ihrer Protagonistin gegenüber diffamierend zu werden, eine analytische Gegenpostion. Durch Interviews mit Abteilungsleitern des Kaufhauses und älteren Mitarbeiterinnen Angelika Urbans wird die klassische Laufbahn der Arbeitnehmerinnen im sogenannten Dreiphasenmodell deutlich. Die meisten können die Phase des reinen Familienlebens aus finanziellen Gründen nur kurz wahrnehmen, zumeist treten sie - weiterhin schlecht bezahlt und zudem mit der Doppel- und Dreifachbelastung von Familie, Beruf und Haushalt befrachtet - nach relativ kurzer Zwischenphase wieder in denselben Beruf ein. Mit Zwischentiteln, wie sie aus den Agitpropfilmen der Studentenbewegung bekannt sind, fügt Helma Sanders-Brahms im brechtschen Sinn "aufklärerische" Daten und Fakten ein: das Verhältnis der Einkommen von Geschäftsleiter zu Verkäuferinnen etwa und die gleichzeitige Beurteilung der Verkäuferinnen durch ihre Vorgesetzten als "nicht motiviert, nur am Geld interessiert."
Deutlich wird an diesem Porträt, wie zu jener Zeit, als es noch keine durch die Frauenbewegung erkämpften Gegenmodelle zum dominanten weiblichen Lebensmodell gab, es der Filmemacherin aus einer gesellschaftskritischen Tradition heraus gelingen konnte, eine genaue Bestandsaufnahme der Situation einer individuellen Frau mit den patriarchalen und klassenspezifischen Zwängen von außen und den verinnerlichten rollenspezifischen Zwängen zu schaffen. Dabei stand, und damit ist Helma Sanders-Brahms' Film Dokument einer sich gerade konstituierenden Frauenbewegung, die Problematik der Unterdrückung als Frau immer im Vordergrund. Daß es ihr in dieser frühen Phase bereits gelungen ist, die Protagonistin nicht für die eigene Argumentation in einer Weise zu funktionalisieren, daß deren Integrität verletzt wird, gehört zu den beachtenswerten Qualitäten dieses Films.

Anna (1983) von Linda Christanell

Im Film »Anna« wird eine bildliche Auseinandersetzung mit weiblicher Kollektivgeschichte verwoben mit dem Porträt der Schriftstellerin Anna Rheinsberg.

  • »Eine junge Frau, Anfang bis Mitte zwanzig, auffallend schön, durchlebt die Konfrontation mit historischem Fotomaterial von Männern, von Männern, denen Frauen zugeordnet sind, von Männern, denen Frauen und Fenster in alten Häusern zugeordnet sind, von Frauen, die hinter diesen Fenstern eingesargt sein mögen und denen alte, aus feinstem Faden gehäkelte Spitzenmuster zugeordnet sind, von Frauen, zu denen schmückende Requisiten gehören - eine schöne, junge Frau von heute durchlebt also die Konfrontation, und im Durchleben reagiert sie. Blicke, Gesten, Bewegungen, Handlungen sprechen von ihren Reaktionen, sie sprechen von ihrem Widerwillen, von dieser Abscheu gegenüber der Trostlosigkeit jener Tatsachen aus der weiblichen Kollektivvergangenheit, sie sprechen von der qualvollen Selbstbezwingung, die in der Aneignung, im Hin- und Annehmen solcher Trostlosigkeit liegt.«[2]

Linda Christanells Film ist ein sehr puristischer, hermetischer Film, der auf eine lineare Handlung im konventionellen Sinn verzichtet. Zentral ist vielmehr die fast obsessive Demonstration von Zeichen, die für weibliche Geschichte stehen; nachdem sie in einem Karton 194 gehäkelte Spitzenmuster ihrer Großmutter fand, ließ sich für Linda Christanell »verlorene weibliche Lebenszeit« in diesen duftigen Geweben prototypisch ablesen; andere Requisiten wie Schmuckstücke oder vergilbte Fotos werden neben ihrem nostalgischen Reiz zu geheimen Gefängnissen, in denen individuelle Freude, Trauer, Schmerz der Frauen unsichtbar eingesperrt sind. In der Art wie Linda Christanell sie vorführt, verlieren sie dabei nichts von ihrer Ambiguität. Die Protagonistin Anna setzt gegen diese starren Gegenstände Bewegung ins Bild; widerständig, distanziert, manchmal fasziniert geht sie mit den Objekten um. Ihre eigene Motorik ist dabei eine stark inszenierte und konstruierte, sie fügt sich gleichsam, wenn auch linkisch-störrisch, in die Konstellation der Objekte ein, durchlebt bzw. belebt sie in einer Art Paraphrase.
Am deutlichsten wird die visuelle Auseinandersetzung der Protagonistin mit den Partikeln weiblicher Vergangenheit, wenn es um das eigene Vor- und Abbild geht.

Den Fotos historischer Frauen fügt die Filmemacherin das von Anna Rheinsberg wie zufällig hinzu; immer wieder taucht es auf, zwischen Schmuckstücken und Spitzen, mit Häkelnadeln bestreut, die ihr regelrecht »ins Auge stechen.« In einer rituellen Geste nimmt Anna Rheinsberg in einer Szene ein Foto von sich und hält es anstelle ihres Gesichts der Kamera entgegen. In einer anderen Szene reißt sie dieselbe Fotofolie, die zwischen sie und die Kamera geschoben ist, fort, nur um wieder nichts anderes als ein Bildnis von sich selbst zeigen zu können, nämlich die im Filmkader eingerahmte eigene Physiognomie. Die Fenstermetaphorik, die im Film »Anna« darauf verweist, wie Frauen über Jahrhunderte in Rahmen zurechtgestutzt wurden oder als Personen hinter den Gardinengeweben verschleiert blieben, setzt sich hier direkt in die Thematisierung von Porträt fort. Denn auch der Versuch, alle geschichtlichen Sedimente abzutragen, sei es durch das Entgarnen der festgewobenen Geschichtsschreibung, sei es durch die persönliche Spurensuche nach dem "authentischen", ursprünglichen Antlitz einer Person: was zum Vorschein kommt, ist wieder nur ein weibliches Bildnis, diesmal ist es ein filmisches Bildnis; allerdings eines, das sich zumindest im Widerstand zu bewegen gelernt hat.

Familiengruft - ein Liebesgedicht an meine Mutter (1982) von Maria Lang

Wie Linda Christanell hat auch Maria Lang ihren ersten Film vom Drehbuch über die Kamera bis zum Schnitt selbst hergestellt. Bei ihr geht es jedoch nicht um die Reflexion struktureller Schwierigkeiten im Umgang mit weiblicher Geschichte allgemein, sondern um die konkrete Auseinandersetzung mit der eigenen Familienvergangenheit, mit der Person der Mutter.
Der Film beginnt mit einem ruhigen Porträt des Elternschlafzimmers, zu dem aus dem Off eine Alliteration von Begriffen zu hören ist, die mit Blut zu tun haben, wie »Blutsverwandtschaft, Blutgruppe, Blutkreislauf, Blut und Boden.« Ein Familienfoto aus der Zeit des Nationalsozialismus zeigt die Idealfamilie, die aus dem Vater in Wehrmachtsuniform, der Mutter und dem Sohn besteht. Die Filmemacherin, die Tochter, die sich in diesem Kreis als Störfaktor begreift, ist noch nicht geboren. Dieser Einführung folgt die nähere Charakterisierung von Vater und Bruder, eine scheinbar ungewöhnliche Annäherungsweise an die Hauptperson, die Mutter. Doch Maria Lang begründet sie so: "Das Leben der Frauen dreht sich in den meisten Familien um die Männer, deshalb habe ich sie auch an den Anfang gestellt. Die Beziehung einer Tochter zu ihrer Mutter kann nicht ohne die Männer erzählt werden, sie sind die Hauptpersonen."[3] Der Vater wird eingeführt als einer, von dem die Nachbarn sagen, »er könne keiner Fliege etwas zuleide tun.« Gleichzeitig zeigt die Kamera ihn, wie er ein Kaninchen schlachtet, wie bedächtig und geschickt er das Kaninchen häutet, ausnimmt, zerlegt und schließlich das Arbeitsgerät wieder säubert. Die Tochter erinnert sich, wie sie mit der Mutter jeden Samstag »angstvoll« auf die Rückkehr des Vaters aus dem Wirtshaus wartete. »Ich weiß allerdings nicht warum, da er nie gewalttätig wurde und auch immer nach Hause kam«. (...) Ein komplexer Sachverhalt - die Verquickung von persönlicher Harmlosigkeit mit Gewaltverhältnissen - ist hier in seine knappste Form gebracht.[4]
Das Porträt das Bruders bleibt hier vergleichsweise profillos, er wird nur durch Fotos präsent und durch die Erzählungen der Filmemacherin, als Älterer habe er sie »auf die Unendlichkeit des Weltalls aufmerksam gemacht«, und gleichzeitig habe er ihr die Bausteine gestohlen, wenn sie ihre Türme bauen wollte. Die größten Gemeinsamkeiten scheinen die beiden aber in sadistisch-kindlichen Streichen den Eltern gegenüber entwickelt zu haben.

       

Trotz dieser ausführlichen Introduktion wird das Porträt der Mutter, die bislang nur indirekt als Gegenstand der väterlichen und kindlichen Aggressionen auftauchte, durch seine atmosphärische Dichte sogleich als Hauptsequenz ausgewiesen. Wie der Vater wird auch sie bei einer alltäglichen Arbeit gezeigt, beim Backen. Die Kamera geht in diesem Teil sehr nahe an die Mutter heran und folgt der Bewegung des Teigknetens und des Flechtens eines Hefezopfes mit der Faszination des Wiedererkennens altgewohnter Gesten aus der Kindheit. Durch Slow Motion und das Einfrieren einiger Porträtansichten der Mutter zu Standfotos wird der Versuch dieser visuellen Annäherung, des "Begreifens" und Festhaltenwollens, noch deutlicher. Im Kontrast zu dieser Nähe spricht Maria Lang im Ton jedoch von der Distanz, der Verachtung, der Abneigung der Mutter gegenüber, die sich in ihre Liebe zu ihr mischen. Die Demut, mit der die Mutter ihre eigenen Wünsche hinter das Wohlergehen ihres Mannes zurückstellt, lösen bei der Tochter Haßgefühle aus. Die Unfähigkeit der Mutter, ihre Geschichte der Tochter mitzuteilen, ist Zentrum dieser Auseinandersetzung. So sagt Maria Lang über sie: »und zwischen dem Dazwischen hat sie ihre Träume. Ihre Träume kenne ich nicht (...) Zwischen uns sind Mauern, die wir bauten bis zum Schweigen.«[5]
Das Verhältnis der Tochter zur Mutter wird als eines beschrieben, dessen Ambivalenz zwischen Liebe und Abneigung durch die Sprachlosigkeit auf beiden Seiten zementiert wird. Mit der filmpoetischen Annäherung in der Form eines, wenn auch sehr spröden, Liebesgedichtes versucht Maria Lang, zumindest Risse in die »Mauern des Schweigens« und die ohnmächtige Distanz zwischen zwei Frauengenerationen zu bringen.

Der Fater (1987) von Noll Brinckmann

In Noll Brinckmanns Film konstituiert sich das Verhältnis Vater-Tochter über die Korrespondenz zweier filmischer Produktionen: der in den dreißiger Jahren vom Vater produzierten Schwarz-Weiß-Filme und der 1985/86 gedrehten Aufnahmen der Tochter.
In »Der Fater« unterstreicht Noll Brinckmann die Ästhetik des Stummfilms, die sie im Originalmaterial des Vaters vorfand. Sie vertraut in ihren eigenen Passagen ebenfalls der Kraft der Bilder und der Montage und fügt den Original-Zwischentiteln lediglich eine einleitende Textpassage hinzu, die die Umstände des Fundes der Filmrollen und die Merkwürdigkeit, das Befremden und die Faszination im Umgang mit ihnen benennt.
Der Vater Noll Brinckmanns war ein hochangesehener Arzt und Abenteuerreisender auf den Spuren Sven Hedins im China der Dreißiger Jahre. Die Filmaufnahmen, die er mit seinen Geschäftspartnern in seiner häuslichen Umgebung und besonders extensiv auf seinen Jagd- und Abenteuerreisen machte, zeugen von einer ausgefeilten Begabung zur Selbststilisierung. In einigen dieser Aufnahmen taucht auch die drei- bis viejährige Tochter auf. Mit ausladender Motorik und energischem Gesichtsausdruck beherrscht sie dann das Bild. Eine persönliche Ähnlichkeit zwischen Vater und Tochter wird dabei evident, die den Vater zu dieser filmischen Spiegelung in der Tochter verleitet haben mag. Noll Brinckmann kehrt diesen Prozeß um: "Konzept des Films war es, die Aufnahmen des Vaters so zum Sprechen zu bringen, daß sie ihre Bedeutung für die Tochter preisgeben. Die patriarchalischen und kolonialistischen Gebärden des Vaters, sein Selbstbild, seine ausgelebten Männlichkeitsfantasien sollen ebenso zur Geltung kommen wie seine Eleganz, Attraktivität und ästhetische Begabung.«[6]

     

Noll Brinckmann setzt in diesem Sinn das Material ihres Vaters neu zusammen und durchwirkt es mit filmischen Reflexionen mit der eigenen Kamera. An den Anfang hat sie die Aufnahme einer Szene gesetzt, in der sich der Vater mit der Tochter auf dem Schoß auf einer Schaukel im Garten der eigenen Villa aufnehmen ließ. Wie bei den meisten seiner Aufnahmen schaut er jovial in die Kamera. Wie bei den Sanderschen Fotoporträts ist er sich seines Standes und seiner Repräsentationskraft auch in dieser eher privaten Sphäre voll bewußt. Das Kind dagegen hat einen trotzigen, skeptisch fragenden Blick, eine Gefühlsmischung, die im letzten Bild des Films, einer Großaufnahme der Tochter, wiederaufgenommen wird. Ähnlich wie bei Maria Lang ist das im Film bearbeitete Verhältnis der Filmmacherin zu ihrem Vater bestimmt von einer emotionalen Ambiguität zwischen Bewunderung, Identifikation, dem Wunsch nach Teilhabe an dem selbstverständlichen Zugriff des Vaters auf die Welt und der Abneigung gegen seine gestische Prahlerei, seine eitlen Selbstinszenierungen, die Redundanz seiner Posen. Noll Brinckmann decouvriert diese Sucht zur Selbstdarstellung durch die Wiederholung besonders prägnanter Sequenzen. Die Staffelung der Bilder vom Vater bei der Jagd, mit aufgehäuften Tiertrophäen als Beweis des eigenen Könnens oder als Lonesome Cowboy scheinbar allein dem Horizont entgegenschreitend, legen mit liebevoll witziger Distanz die Konstruiertheit dieser Imagepflege offen. Die Farbaufnahmen von kostbaren chinesischen Seidenstoffen und mit kalligraphischen Tuschzeichen übersäten Dokumenten aus Pergament, die Noll Brinckinann zwischen diese Schwarz-Weiß-Bilder schiebt, sprechen jedoch eine andere Sprache. Mit uneingeschränkter Faszination nähert sich die Kamera diesen ästhetischen Kostbarkeiten, mit einem Anflug von Wehmut gleitet sie an ihren Oberflächen entlang, als wolle die Filmemacherin ihnen den Hauch der eigenen Vergangenheit entreißen. Damit thematisiert sie auch die unwiederbringliche Differenz zur Position des Vaters: was ihm als realer Zugriff auf seine Umgebung möglich war, exploriert die Filmemacherin durch ihr Medium. Darin liegt zugleich die Unterlegenheit wie die Überlegenheit ihrer Position: »Der Vereinnahmung der Welt durch den Vater, seinen männlichen Grenzüberschreitungen und Expansionen, steht die andersartige weibliche Sozialisation, aber auch die Aneignung der väterlichen Bilder durch die Tochter gegenüber.«[7]

Negative Man (1985) von Cathy Joritz

Cathy Joritz berührt in ihrem »Negative Man« die Grenzen des Porträts und spielt gleichzeitig eine ganz andere Form der Aneignung vorgefertigter Bilder durch.
Hauptfigur ihres Einpersonenstücks ist ein amerikanischer TV-Sprecher, der als Sozialarbeiter einen Klientenfall vor dem Publikum ausbreitet. Wie die Tag- und Nachtprediger oder Populärpsychologen der US-Fernsehnation bringt er routiniert und monoton-eindringlich den Zuschauern und Zuschauerinnen seine Rede nahe. Cathy Joritz hat dieses Material als Negativfilm gefunden und in dreimonatiger, minutiöser Arbeit ihre eigenen Zeichnungen direkt in das Zelluloid der ca. 3.000 Einzelbilder gekratzt. Der Protogonist ist also in der Negativ-Verkehrung des Filmmaterials zunächst nichts als eine optische Leerformel, eine Auslassung, eine nur von der Silhouette zusammengehaltene Nicht-Existenz.
Diesem glatzköpfigen Schatten seiner selbst ging Cathy Joritz mit der Spitze ihrer Nadel im wahrsten Sinne des Wortes an den Leib. Mit ihren Zeichnungen verschafft sie ihm nicht nur Kontur, sondern stattet ihn mit den unterschiedlichsten Atributen aus. Während seiner dreiminütigen Rede ist er so Objekt einer fortwährenden Verwandlung, die sich wie eine zweite Zelluloidhaut über ihn legt, die aber auch die sichtbaren »Kratzer an seinem Image« ins Bild bringt.

Cathy Joritz hat mit ihrer frechen, bitterbösen Persiflage die Grenzen des guten Geschmacks im Genre "Porträt" endgültig hinter sich gelassen. Sie schafft sich ihr Bildnis lieber selbst, indem sie das Vorbild zerstört. "Diese Arbeitsweise steht in der Tradition der Graffiti, die ihren Witz aus der spontanen, respektlosen Umgestaltung von öffentlichen Autoritäts- und Werbefiguren ziehen Hier funktioniert der befreiende Mechanismus des Lachens über die "Entblößung" von Trägern struktureller Macht, die Autorität lediglich repräsentieren."[8]

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