Die psychoanalytische Theorie der Weiblichkeit:

zur Ambivalenz des weiblichen Narzißmus; die regressive Fixierung von Autonomiebestrebungen

1.1. » Vollkommenheit« und Regression:
zur Ambivalenz des weiblichen Narzißmus

Die kulturelle Definition der »Weiblichkeit« zielt nicht nur auf die unterdrückte Frau ab; sie enthält die Verbindung von Frau, Lust, Gewähren und Gefahr des Verfahrens zugleich. Diese kulturelle Bestimmung hatte mit dem realen Leben der Frauen immer nur sehr vermittelt zu tun. Die Imago der Weiblichkeit war eher ein gesellschaftliches Symbol dessen, was gesellschaftlich verdrängt wurde, verdrängt werden mußte: der Sehnsucht nach Versöhnung, Einheit, Passivität, nach Freiheit von Arbeit und dem Zwang zur Selbsterhaltung; sie beruhte auf der Unterdrückung der Frau, auf ihrem Ausschluß von gesellschaftlicher Macht. Die Schönheit der Frau repräsentierte die Lockung, in Natur zurückzufallen, zu regredieren auf den Zustand narzißtischer Vollkommenheit, in dem Ich und Welt eins sind, auf einen Zustand, »in dem die Reproduktion des Lebens von der bewußten Selbsterhaltung, die Seligkeit des Satten von der Nützlichkeit planvoller Ernährung unabhängig ist. Die Erinnerung des f ernsten und ältesten Glücks«.[2]
Freud war der Auffassung, die vollkommene Schönheit der Frau komme durch die Konzentration der Libido auf den eigenen Körper zustande. Die Außenwelt existiert dann, im psychologischen Sinn, nicht als Gegenpol des Ich. Sie ist vielmehr im psychologischen Sinne Teil dieses Körpers. Die vollendete Schönheit ist »unwiderstehlich«. Sie gestattet es dem Subjekt, die Trennung zwischen Ich und Außenwelt eine Zeitlang zu ignorieren. Sie stellt die verlorene ursprüngliche Allmacht und Einheitlichkeit des Ich dar und fasziniert daher. Freud bemerkt zu der Entwicklung »bei dem häufigsten, wahrscheinlich reinsten und echtesten Typus des Weibes«:

»Hier scheint mit der Pubertätsentwicklung durch die Ausbildung der bis dahin latenten weiblichen Sexualorgane eine Steigerung des ursprünglichen Narzißmus aufzutreten, welche der Gestaltung einer ordentlichen, mit Sexualüberschätzung ausgestatteten Objektliebe ungünstig ist. Es stellt sich besonders im Falle der Entwicklung zur Schönheit eine Selbstgenügsamkeit des Weibes her, welche das Weib für die ihm sozial verkümmerte Freiheit der Objektwahl entschädigt. Solche Frauen lieben, streng genommen, nur sich selbst mit ähnlicher Intensität, wie der Mann sie liebt. Ihr Bedürfnis geht auch nicht dahin zu lieben, sondern geliebt zu werden, und sie lassen sich den Mann gefallen, welcher diese Bedingung erfüllt. Die Bedeutung dieses Frauentypus für das Liebesleben der Menschen ist sehr hoch einzuschätzen. Solche Frauen üben den größten Reiz auf die Männer aus, nicht nur aus ästhetischen Gründen, weil sie gewöhnlich die schönsten sind, sondern auch infolge interessanter psychologischer Konstellationen. Es erscheint nämlich deutlich erkennbar, daß der Narzißmus einer Person eine große Anziehung auf diejenigen anderen entfaltet, welche sich des vollen Ausmaßes ihres eigenen Narzißmus begeben haben und sich in der Werbung um die Objektliebe befinden; der Reiz des Kindes beruht zum guten Teil auf dessen Narzißmus, seiner Selbstgenügsamkeit und Unzugänglichkeit, ebenso der Reiz gewisser Tiere, die sich um nichts zu kümmern scheinen, wie der Katzen und großen Raubtiere [...]. Es ist so, als beneideten wir sie um die Erhaltung eines seeligen psychischen Zustandes, einer unangreifbaren Libidoposition, die wir selbst seither aufgegeben haben.«[3]

Die weibliche Schönheit hat für den Betrachter den Charakter einer Erinnerung. Sie ruft in dem Betrachtenden die eigene narzißtische Vollkommenheit der Kindheit wach. Aber was bedeutet der Narzißmus für die Frau selbst? Die Frau wird sich selbst zum Liebesobjekt. Das bedeutet, ihre seelische Energie wird von der Außenwelt abgezogen. Sie besetzt ihr eigenes Selbst. Sie behandelt ihren Körper wie ein Liebesobjekt. Helene Deutsch zitiert Tolstoi, um uns diesen Typus der vollkommenen narzißtischen Autonomie vor Augen zu führen:

»Die Prinzessin lächelte. Sie erhob sich mit demselben, immer gleichen Lächeln, mit dem sie zuerst ins Zimmer getreten war - dem Lächeln einer makellos schönen Frau. Mit einem leichten Rauschen ihres weißen Kleides, das mit Moos und Efeu geschmückt war, mit dem Glanz ihrer weißen Schultern, ihres glänzenden Haares und mit ihren funkelnden Diamanten bewegte sie sich unter den Männern, die ihr Platz machten, ohne einen von ihnen anzusehen, aber allen zulächelnd, als wollte sie gerne allen gestatten, ihre schöne Gestalt und ihre wohlgeformten Schultern, Rücken und Busen zu bewundern - die nach der Mode jener- Zeit den Blicken ziemlich weitgehend preisgegeben waren - und sie schien den Zauber eines Ballsaales mit sich zu bringen als sie sich A. P. näherte. Helene war so Schön, daß sie nicht nur keine Spur von Koketterie zeigte, sondern im Gegenteil sich ihrer unzweifelhaften und allzu siegreichen Schönheit eher zu schämen schien. Sie schien zu wünschen, daß sie deren Wirkung verringern könnte, war aber unfähig dazu. Die Gesellschaft hört einer faszinierenden Erzählung zu.
Während der ganzen Zeit, in der die Geschichte erzählt wurde, saß sie aufrecht, betrachtete bald ihren schönen runden Arm, dessen Form durch den Druck gegen den Tisch verändert wurde, bald ihren noch schöneren Busen, auf dem sie einen Diamantenschmuck zurechtschob. Von Zeit zu Zeit glättete sie die Falten ihres Kleides, und jedesmal, wenn die Geschichte zu einer Pointe kam, blickte sie auf A. P., nahm den Ausdruck an, den sie im Gesicht ihrer Ehrendame sah, und kehrte dann zu ihrem strahlenden Lächeln zurück.«[4]

Wenige Frauen erreichen die Vollkommenheit und den Autismus der Prinzessin Héléne, die mit sich ganz eins ist, deren ganze Liebe einem Teil ihres Selbst gilt. Dennoch bildet diese narzißtische Einheit ein kulturelles Ideal der Weiblichkeit: es ist die Weiblichkeit, die siegt, ohne selbst der Leidenschaft zu verfallen, da sie ihre Bestätigung in sich selbst hat. Ihre Schönheit macht sie unabhängig. Die Prinzessin Héléne ist träge, charakterlos, unmoralisch. Ihrer sinnlichen Schönheit wird alles verziehen. Für eine kurze Zeit steht sie außerhalb der gewöhnlichen Ordnung.

Allegorie
C'est une femme belle er de riche encolure,
Qui laisse dans son vin trainer sa chevelure.
Les griffes de l'amour, les poisons du tripot,
Tout glisse er tout s'émousse au granit de sa peau.
Elle rit à la Mort et nargue la Débauche,
Ces monstres dont la main, qui toujours gratte er fau
Dans ses jeux destructeurs a pourtant respece
De ce corps ferme et droit la rude majesté.
Elle marche en déesse er repose en sultane;
Elle a dans le plaisir la foi mahométane,
Et dans ses bras ouverts, que remplissent ses seins,
Elle apelle des yeux la race des humains.
Elle croit, elle sait, cette vierge inféconde
Et pourtant nécessaire à la marche du monde,
Que la beauté du corps est un sublime don
Qui de toute infamie arrache le Pardon.
Elle ignore l'Enfer comme le Purgatoire,
Et quand l'heure viendra d'entrer dans la Nuit noire,
Elle regardera la face de la Mort,
Ainsi qu'un nouveau-né, - sans haine et saris remord.

Allegorie
Ein schönes Weib ist dies und reichen Nackens, das in seinem Wein die Haare schleifen läßt. Der Liebe Krallen, des Freudenhauses Gifte, alles gleitet und stumpft sich ab an ihrer Haut Granit. Sie lacht dem Tode zu und trotzt der Unzucht, jenen Ungeheuern, deren Hand, die immer kratzt und mäht, in ihren verwüstenden Spielen dennoch dieses festen, aufrechten Leibes derbe Hoheit stets verschont hat. Wie eine Göttin schreitet sie und ruht wie eine Sultanin; sie hat den Mosleminenglauben an die Lust, und in die offnen Arme, die ihre Brüste füllen, ruft sie mit ihrem Blick das menschliche Geschlecht. Sie glaubt, sie weiß es, diese unfruchtbare Jungfrau, deren der Weltlauf doch bedarf, daß Leibesschönheit ein erhabenes Geschenk ist, das für jede Niedertracht Verzeihung sich erwirkt. Sie weiß von keiner Hölle, keinem Fegefeuer, und kommt die Stunde, einzutreten in die schwarze Nacht, wird sie dem Tod ins Antlitz schauen wie ein Neugebornes - ohne Haß und ohne Reue.[5]

Diese autonom-narzißtische Frau stellt den eigentlichen Rachetypus der Weiblichkeit dar, nicht die zwanghaft Konkurrierende, die sich unbewußt als unvollkommen erlebt und die »Männlichkeit« anstrebt. Der autonome Narzißmus stellt dem Mann die Unwesentlichkeit des Phallus vor Augen. Die Frau bedarf seiner nicht. Sie selbst stellt die vollkommene narzißtische Integrität dar und entwertet damit die Überlegenheit der Männlichkeit. Sie ist den Männern eine Qual: »Dem großen Reiz des narzißtischen Weibes fehlt aber die Kehrseite nicht; ein guter Teil der Unbefriedigung des verliebten Mannes, der Zweifel an der Liebe des Weibes, der Klagen über die Rätsel im Wesen desselben.«[6]
Die regressiv-narzißtische Weiblichkeit, die die Männer fasziniert, ist zugleich asexuell; Freud vermutet, daß narzißtische Frauen oft frigide seien. Die vollendet narzißtische Frau ist das »böse« lockende Prinzip der Weiblichkeit. Ihre Macht ist erkauft durch Rückzug vom Objekt. Freud selbst verweist darauf, daß dieser Rückzug - der Versuch der Frauen, Lust aus ihrem eigenen Körper zu ziehen - mit der sozialen Situation der Weiblichkeit zu tun hat. Er bringt ihn in Zusammenhang mit »der sozial verkümmerten Freiheit der Objektwahl des Weibes«. Das Bild der autonomen weiblichen Schönheit ist eng verbunden mit der Vorstellung von gleichgültiger Zerstörung und Vernichtung von Menschen und Dingen. (Die Frau hat selbst dinghaften Charakter angenommen. Sie ist
zerstört als Subjekt und zerstört andere.)
Die narzißtische Autonomie ist durch eine Verkümmerung der Objektliebe erkauft, durch Verleugnung der Selbständigkeit der Objekte. Die glückhafte Einheit von Ich und Welt wird in regressiver Weise hergestellt. Die narzißtische Struktur bedeutet die Besetzung des eigenen Körpers, die Behandlung des eigenen Körpers als ein Liebesobjekt und zugleich die Fixierung auf einer Stufe der Ich-Entwicklung, auf der die Differenzierung zwischen Ich und Objekt noch nicht abgeschlossen war und Identifikationen die Objektliebe überwogen.[7] Aufgrund besonderer Konstellationen ist die vollkommen narzißtische Frau in der Lage, sich narzißtische Bestätigung selbst zu geben. Sie ist in ihrem körperlichen Sein ihr eigenes Ichideal; ihre Schönheit ist zum Freibrief geworden.
Die »normale« Weiblichkeit dagegen ist durch den Versuch gekennzeichnet, sich die Bestätigung ihres Wertes in ihrer Umwelt zu holen. Sie ist durch permanente narzißtische Bedürftigkeit charakterisiert, durch eine weitgehende Abhängigkeit von ihrem Objekt als Spiegel des eigenen idealen Selbst. Die »normale« Frau will Gegenstand besonderer anerkennender Bewertung sein. Diese Anerkennung soll ihrem körperlichen Sein, ihrer Schönheit, ihrer Persönlichkeit, ihrem sozialen Sein, dem Rahmen ihrer Erscheinung gelten. Soweit die »normale« Frau Idealbilder entwickelt hat, die über diese Eigenschaften hinausgehen, neigt sie dazu, Befriedigung über den Mann zu suchen: Die eigene Veränderung wird durch Identifikation mit einem Objekt ersetzt, das die begehrten Eigenschaften besitzt. Das narzißtische Selbst erreicht so eine labile, »geliehene« Vollkommenheit. Sehr anschaulich beschreibt Helene Deutsch die »weibliche« Frau.

»Den größten Anteil an der Arbeit der gegenseitigen Anpassung trägt die Frau: sie überläßt dem Mann die Initiative, erlebt ihr eigenes Selbst stärker durch Identifizierung mit ihm, wenn auch oft unter Verzicht auf eigene Originalität. Manche dieser Frauen haben das Bedürfnis, ihre Objekte zu überschätzen, und ihre narzißtische Methode, sich und den Mann glücklich zu machen, läßt sich in den Worten ausdrücken: >Er ist herrlich, und ich bin ein Teil von ihm.<«[8]

Diese Frauen sind nach Auffassung Helene Deutschs die ideale Lebensgefährtin des Mannes; sie sind ideale Mitarbeiterinnen, sie sind liebenswürdig, unaggressiv, helfen gern, bestehen nicht auf ihren Rechten. »Man hat überall ein leichtes Spiel mit ihnen - wenn man sie nur liebt. [...] Im Sexuellen stellen sie narzißtische Bedingungen, die unbedingt erfüllt werden müssen. Sie verlangen Liebe und heißes Begehren und sehen darin eine befriedigende Entschädigung für den Verzicht auf eigenes aktives Streben.«[9]
Dem Verzicht auf eigene Aktivität, auf Veränderung des Ich, auf den Versuch, selbst herrlich zu sein, bewundert zu werden, dem eigenen Ich-Ideal zu genügen, entspricht eine bestimmte Art der Objektwahl: Eine Person liebt, was sie selbst ist, was sie früher war, was sie sein möchte, jemanden, der einmal Teil ihrer selbst war (das Kind). »Wo die narzißtische Befriedigung auf reale Hindernisse stößt, kann das Sexualideal zur Ersatzbefriedigung verwendet werden. Man liebt dann nach dem Typus der narzißtischen Objektwahl das, was man war und eingebüßt hat. [...] Was den dem Ich zum Ideal fehlenden Vorzug besitzt, wird geliebt.«[10] Das Ich liebt Im anderen ein verlorenes Stück seiner selbst (internalisierte frühere lch-Identifikationen). Die narzißtische Objektwahl bildet ein Element aller Liebesbeziehungen. Sie ist die ursprünglichste Form der Gefühlsbindung. Das Ich nimmt die Eigenschaften des Objekts an. Es inkorporiert sich das Objekt,[11] und was als Objektliebe erscheint, gilt dem Objekt als Teil des Selbst. (Die volle Objektliebe ist dagegen eine späte psychische Errungenschaft.[12]) Dem narzißtisch gewählten Objekt wird die Eigenständigkeit bestritten; es stellt eine Ergänzung dar; im pathologischen Fall ersetzt es einen fehlenden Teil der seelischen Struktur: Es soll fortbestehende kindliche Größenvorstellungen des eigenen Selbst praktisch realisieren, das Selbst bewundern, seinem Exhibitionismus dienen, ehrgeizige Wünsche erfüllen und das Gefühl der Scham und Selbstentwertung, der Minderwertigkeit vertreiben, indem es als Teil des Selbst die infantilen Größenphantasien realisiert und damit die Selbstachtung wiederherstellt***414.3.13:*** Die Frau, die auf eigene Versuche zu Aktivität und Autonomie verzichtet und diese Bedürfnisse auf den Mann projiziert, einen Teil ihrer selbst durch ihn zu verwirklichen sucht, wird leicht enttäuscht. Der Versuch, den anderen zum ausführenden Teil ihrer selbst zu machen, zum Erfüller oft grandioser Träume, zwingt zur Verleugnung aller Züge des Objekts, die dieser Phantasie widersprechen (z. B. der Schwäche des Mannes). Zugleich muß die Aggression abgewehrt werden, die sich gegen den Mann richtet, der schließlich doch im Besitz jener Eigenschaften ist, die die Frau ursprünglich selbst erstrebte. Oft führt die Unterdrückung dieser Aggression dann zu masochistischem Verhalten. »Diese unterschwellige Ambivalenz bringt solche Frauen dazu, den Mann heimlich zu beobachten und abzuschätzen. Sie sind nie ganz sicher, ob er wirklich so prächtig ist, wie sie angenommen hatten.«[14]

1.2. »Penisneid« als symbolischer Ausdruck verdrängter weiblicher Autonomiebestrebungen.
Zur Neuinterpretation der Freudschen Theorie der Weiblichkeit

Frauen bleiben häufig besonders situationsabhängig, gruppenabhängig, ängstlich, die Liebe der Umwelt zu verlieren; sie sind weniger affektkontrolliert. Die Frau scheint weniger als der Mann in der Lage, »kulturelle Leistungen« zu vollbringen, sachliche Urteile zu fällen und innere Selbständigkeit zu erlangen. Die psychoanalytische Theorie der Weiblichkeit faßt die Reaktionen der Frauen als Hemmung: als Tendenz zur narzißtischen Objektwahl, als Ichschwäche und Unfähigkeit zur Sublimierung.
Eine vernünftige Diskussion dieser Theorie wird jedoch durch ein oberflächliches Verständnis der Theorie des »Penisneids« erschwert.[15]
Wir wollen daher ausführlicher auf die Frage des Penisneids eingehen und zeigen, daß die biologistischen Vorurteile, die sich bei Freud finden, im Rahmen der psychoanalytischen Diskussion selbst kritisch verstanden werden können. Dann wollen wir einige neuere psychoanalytische Beiträge heranziehen, aus denen sich eine nicht-biologistische, aber auch nicht einfach soziologistische (Penisneid = Wunsch nach sozialer Macht) Interpretation ergibt. Obwohl Freud die Ursache des weiblichen Sozialcharakters in der traumatischen Erfahrung des biologischen Geschlechtsunterschieds sieht, handelt es sich nicht einfach um eine von männlicher Borniertheit geprägte positivistische Theorie. Bei Freud ist bereits angedeutet, daß es sich beim Syndrom des »Penisneids« um einen spezifisch weiblichen Abwehrmechanismus handelt, der bestimmte, spezifisch weibliche Konflikte in der kindlichen Geschichte lösen hilft, die das Ergebnis der sozialen Beziehungen in der Familie sind.

Als das entscheidende Problem wird in der psychoanalytischen Diskussion der Weiblichkeit die Entwicklung eines angemessenen Körperbilds, einer richtigen Selbstrepräsentanz des Mädchens gesehen, das sich als Frau und dennoch als eigenes, von der Mutter unterschiedenes Selbst begreifen muß. In diesem Zusammenhang spielt der biologische [16] Geschlechtsunterschied eine entscheidende Rolle. Beginnen wir mit der Freudschen Darstellung-. Die Entwicklung des Kindes in den ersten Phasen der Entwicklung der kindlichen Sexualität verläuft nach Freud für beide Geschlechter im wesentlichen gleich. Erst in der phallischen Phase (etwa 3.-5. Lebensjahr) - in der sich das Interesse der Kinder im Zusammenhang der fortschreitenden körperlichen Entwicklung auf die Genitalien konzentriert und das Kind den Geschlechtsunterschied definitiv wahrnehmen kann - führt die Verarbeitung des anatomischen Geschlechtsunterschieds zu unterschiedlichen Identifikationsprozessen und Entwicklungen, zum Erlernen von Weiblichkeit und Männlichkeit.
Für die weibliche Sexualentwicklung gilt, »daß auch hier die Konstitution sich nicht ohne Sträuben in die Funktion fügen wird«.[17] Freud beschreibt die Prozesse, in denen sich die geschlechtliche Identität herausbildet, als Konflikte von elementarer Gewaltsamkeit. Diese Gewalt entspricht nicht notwendig dem realen Handeln, nicht einmal unbedingt den Intentionen der Erwachsenen. Das Kind lebt zunächst noch in einer magischen Phantasiewelt. Die Grenzen zwischen dem Selbst und den Objekten sind noch fließend, so daß das Kind seine eigenen Phantasien und Gefühle ungebrochen der Umwelt zuschreibt. Daher werden die Rivalität, die Haß- und Rachegefühle der ödipalen Beziehung zugleich als tödliche Bedrohung erlebt. So kann die Vorstellung der Kastration auch in einer »zivilisierten« Umwelt entstehen.[18] Freud kam zu der Auffassung, daß die sexuellen Wünsche des kleinen Jungen, die sich auf die Mutter richten, aus Angst vor Kastration aufgegeben werden. Grund für die Anerkennung der Kastrationsdrohung als realer Gefahr ist die Wahrnehmung des weiblichen Genitales, das als kastriert erlebt wird. Dieser Schock bewirkt, daß die sexuellen Strebungen durch Identiflkation mit dem Aggressor, dem Vater, um der narzißtischen Integrität des Körpers willen sehr schnell aufgegeben werden. Es kommt zu einer raschen und konsistenten Übernahme der elterlichen Gebote und Verbote, dem Aufbau des Über-Ich.[19] Das männliche Über-Ich entwickelt sich unter dem Druck starker Aggression und Angst einheitlicher; damit ist eine größere Unabhängigkeit von den unmittelbaren äußeren Liebesobjekten verbunden. Die sexuellen Wünsche werden im Idealfall der restlosen Bewältigung der ödipalen Mutterbindung teils in Zärtlichkeit, teils in »neutralisierte Energie« umgesetzt, die dem Wissenstrieb in der Latenzzeit zugrunde liegt und die die kulturellen Leistungen des Mannes begründet.
Der entscheidende Unterschied dazu in der Entwicklung des Mädchens ist, daß es - nach Freud - seine Penislosigkeit spontan als Anerkennung der vollzogenen Kastration interpretieren muß. Der weibliche Ödipuskomplex beginnt mit dem genitalen Interesse an der Mutter. Er führt über die Entdeckung der Penislosigkeit der Frau zur Entwertung der Weiblichkeit und damit zur Hinwendung zum Vater, der im Besitz des Symbols der Vollkommenheit, des Penis, ist. Das Mädchen wendet sich von der »kastrierten« Mutter ab, die es so »schlecht ausgestattet« hat. Seine Hinwendung zum Vater erfolgt in der Hoffnung, durch ihn an dem begehrten Objekt teilzuhaben, das heißt: einen Penis zu erhalten bzw. später ein Kind.[20] (Freud spricht in diesem Zusammenhang von einer symbolischen Gleichung im Unbewußten der Frau.)
Da das Mädchen die Tatsache der vollzogenen Kastration zu verarbeiten hat, ist es nicht aus Angst gezwungen - und steht es nicht unter so starkem Druck wie der Junge -, die ödipale Liebesbindung an den Vater zu verlassen.

Da es eine vollzogene Kastration annehmen muß, »entfällt beim Mädchen das Motiv für die Zertrümmerung des Ödipuskomplexes. Die Kastration hat ihre Wirkung bereits früher getan, und diese bestand darin, das Kind in die Situation des Ödipuskomplexes zu drängen. Dieser entgeht darum dem Schicksal, das ihm beim Knaben bereitet wird, er kann langsam verlassen, durch Verdrängung erledigt werden. [...] Das Über-Ich wird niemals so unerbittlich, so unpersönlich, so unabhängig von seinen affektiven Ursprüngen, wie wir es vom Manne fordern«.[21]

Die Angst, die das Mädchen zur Unterwerfung und zur Verinnerlichung der elterlichen Moral treibt, ist also nicht die Kastrationsangst, sondern die Angst vor Liebesverlust. Dadurch erhält das weibliche über-Ich einen qualitativ anderen Charakter. Das Mädchen bleibt aus motivationalen Ursachen stärker abhängig als der Knabe. Es liegen keine zwingenden Gründe vor, die zu vergleichbar starker »Identifikation mit dem Aggressor« und zu entsprechender Ichveränderung führen. Das Mädchen, das »nichts mehr zu verlieren hat«, verbleibt in der erotischen Bindung an den Vater. Seine seelische Energie dient weniger dem Aufbau eines autonomen Über-Ich, sondern bleibt an die unbewußten Phantasien der ödipalen Phase gebunden. Die Übernahme der weiblichen Rolle ist also nicht nur durch die gesellschaftlich definierten Inhalte dieser Rolle bestimmt, sondern auch durch die Art seiner Objektbeziehung. Das Mädchen, das die weibliche Rolle aus Angst vor Liebesverlust übernimmt, bleibt aus strukturellen Gründen abhängiger, passiver, konformistischer, was auch immer die Inhalte der weiblichen Rolle sein mögen.
Freud bezeichnete als das Hauptproblem der Weiblichkeit die Verarbeitung der narzißtischen Kränkung der Kastration. Das Mädchen selbst interpretiert sich nach Freud als verstümmelten Mann. Es entwertet sich selbst und die Weiblichkeit:

»Das Weib anerkennt die Tatsache seiner Kastration und damit auch die Überlegenheit des Mannes und seine eigene Minderwertigkeit, aber es sträubt sich auch gegen diesen unliebsamen Sachverhalt. Aus dieser zwiespältigen Einstellung leiten sich drei Entwicklungsrichtungen ab. Die erste führt zur allgemeinen Abwendung von der Sexualität Das kleine Weib, durch den Vergleich mit dem Knaben geschreckt, wird mit seiner Klitoris unzufrieden, verzichtet auf seine phallische Betätigung und damit auf die Sexualität überhaupt, wie auf ein gutes Stück seiner Männlichkeit auf anderen Gebieten. Die zweite Richtung hält in trotziger Selbstbehauptung an der bedrohten Männlichkeit fest; die Hoffnung, noch einmal einen Penis zu bekommen, bleibt bis in unglaublich späte Zeiten erhalten, wird zum Lebenszweck erhoben, und die Phantasie, trotz alledem ein Mann zu sein, bleibt oft gestaltend für lange Lebensperioden. Auch dieser >Männlichkeitskomplex< des Weibes kann in manifest homosexuelle Objektwahl ausgehen. Erst eine dritte, recht umwegige Entwicklung mündet in die normal weibliche Endgestaltung aus, die den Vater als Objekt nimmt und so die weibliche Form des Ödipuskomplexes findet. Der Ödipuskomplex ist also beim Weib das Endergebnis einer längeren Entwicklung, er wird durch den Einfluß der Kastration nicht zerstört, sondern durch ihn geschaffen, er entgeht den starken feindlichen Einflüssen, die beim Mann zerstörend auf ihn einwirken, ja er wird allzuhäufig vom Weib überhaupt nicht überwunden. Darum sind auch die kulturellen Ergebnisse seines Zerfalls geringfügiger und weniger belangreich. Man geht wahrscheinlich nicht fehl, wenn man aussagt, daß dieser Unterschied in der gegenseitigen Beziehung von Ödipus- und Kastrationskomplex den Charakter des Weibes als soziales Wesen prägt.«[22]

Das Gefühl der Kastration und, in seinem Gefolge, der Penisneid, die nie ganz verwundene narzißtische Kränkung über die anatomische Benachteiligung, sind demnach nahezu universell das Schicksal der Weiblichkeit. Die Frau verzichtet in den meisten Fällen auf Aktivität, auf Kreativität und bleibt trotz der im Penisneid zum Ausdruck kommenden Proteste abhängig.
Freuds Auffassung beruht auf zwei Prämissen: der Annahme,

  1. daß die Vagina bis zur Geschlechtsreife der Frau unentdeckt bleibt,
  2. daß das Mädchen in der phallischen Phase männliche sexuelle Strebungen entwickelt, die um die Klitoris als Organ zentriert sind.

Das Mädchen empfindet in der phallischen Phase »männliche« Sensationen an der Klitoris. Die Tatsache, daß die Klitoris sozusagen ein beschränkter Penis und kein Mittel des Eindringens ist, begründet biologisch die Spontaneität, Intensität und Unvermeidbarkeit des Penisneids.

Es ist jedoch notwendig, die Formel vom »spontanen« weiblichen Penisneid weiter aufzuklären, und zwar nicht in einer soziologistischen Relativierung. Der Penisneid muß als falscher, fetischistischer Ausdruck eines realen, nicht gelösten Konflikts in der Geschichte des Kindes begriffen werden: als Ergebnis einer bestimmten familialen Interaktion.[23]
Das Penissymbol wird aufgrund der für beide Geschlechter schwierigen Prozesse der Ablösung von der Mutter für beide Geschlechter zum Fetisch.
Alle Richtungen der Psychoanalyse stimmen darin überein, daß der Objektwechsel des Mädchens über eine Idealisierung des Vaters erfolgt, die ihren symbolischen Ausdruck in der unbewußten Überhöhung des Penis findet. Der Penisneid hat zwei klinisch konstante und signifikante Gegebenheiten: Er ist immer Neid auf einen idealisierten Penis, und er ist immer assoziiert mit einem bewußten oder unbewußten Haß auf die Mutter. Das Problem, das die Freudsche Konstruktion nicht lösen konnte, daß der Anblick des männlichen Geschlechts dem kleinen Mädchen einen so gewaltigen Eindruck macht, daß es vor Zorn und Kränkung über die weibliche Unvollkommenheit sein wichtigstes (und lebenswichtiges) Liebesobjekt - die Mutter - aufgibt, um sich dem Vater zuzuwenden, findet seine Lösung, wenn der Penis als Zeichen für einen schon vorher bestehenden, nicht gelösten Konflikt im Leben des Mädchens begriffen wird - seinen Kampf um Autonomie:

»Zahlreiche Frauen machen sich phantastische Vorstellungen von einem männlichen Organ, das über außerordentliche Qualitäten verfügt: unbeschränkte Macht, die Gutes oder Böses tut, die ihrem Besitzer absolute Sicherheit und Freiheit garantiert, die ihn gegen jede Art von Angst und Schuldgefühlen immun macht, die ihm zu Lust, Liebe und Verwirklichung aller seiner Wünsche verhilft. [...] Eine solche Idealisierung muß Gegenstück einer Verdrängung sein.«[24]

Der Anblick des Penis kann eine derartige Selbstentwertung, wie sie im Bild der Kastration enthalten ist, nicht begründen. Die schockierende Wirkung des männlichen Genitales wird nur verständlich, wenn man eine vorausgegangene, konfliktreiche Einstellung des Mädchens zu seinem eigenen Geschlecht annimmt, die in der Tatsache des anatomischen Geschlechtsunterschieds eine äußere (»biologische«) Bestätigung findet. Das Geheimnis des Penisneids ist die schon vorausgegangene Verdrängung des eigenen Geschlechts der Frau. Die Voraussetzung der Überwindung der Freudschen Position: den Peniswunsch als den nicht weiter reduzierbaren, den unmöglichen »weiblichen« Wunsch zu begreifen, ist die klinische Erkenntnis, daß das kleine Mädchen nicht bis zur phallischen Phase »ein kleiner Mann« ist. Ursache der Verdrängung ist die Mißbilligung der Reifungs- und Unabhängigkeitstendenzen des Mädchens durch die Mutter, symbolisch zentriert um die Ablehnung des weiblichen Geschlechts zugleich mit der Ablehnung der Masturbation. Diese Mißbilligung braucht nicht ausgesprochen zu werden, und die Masturbation kann unentdeckt bleiben: Eine häufig vorkommende exzessive oder frühzeitige anale Dressur - meist im Zusammenhang mit einer umfassenden mütterlichen Kontrolle auf allen Gebieten erzeugt eine eifersüchtige, leere, unbefriedigte Mutter-Imago, die die Akte der kindlichen Selbständigkeit mit der Strafe des Verlassens (und damit der Zerstörung) bedroht.[25] Die Wendung zum Peniswunsch läßt sich dann bereits als Kompromiß aufgrund der drohenden Mutter-Imago verstehen, nämlich als Aufgabe der realisierten und praktisch aktiven Selbstbefriedigung, des frühen Ausdrucks von Autonomie.

»Wie sieht die Verdrängung aus? Sicherlich ist es kein Zufall, daß es gerade der Penis ist der in der Anatomie des Mädchens fehlt -, der mit all den Werten besetzt wird, die das Subjekt von sich selbst abstreifen mußte: Nichts könnte sich besser eignen zur Darstellung des Unerreichbaren als das Geschlecht, das man nicht hat, um so mehr, als es seiner Natur nach dem Erleben des eigenen Körpers fremd ist. Genau das Verbot jener Körpererfahrungen, die sich auf das eigene Geschlecht richten, wird hier auf großartige Weise symbolisiert. Kurz gesagt,Zdie Ernennung einer unerreichbaren Sache zum begehrten Objekt verrät die Existenz eines Wunsches, der an einer unüber-windlichen Barriere zerbrochen ist. Die überbesetzung der begehrten Sache ist ein Hinweis auf den ursprünglichen Wert des aufgegebenen Wunsches. Der Frau liegt viel daran, die für die Verdrängung verantwortliche Instanz, diesen Verfolger ohne Gesicht, zu ignorieren; eine Entlarvung würde bedeuten, daß sie sich den obskuren Regionen nähern muß, in denen Haß und Aggressivität gegen das Objekt lauern, das unbedingt geliebt werden muß. Im Penisneid verdichtet sich ein komplexer unbewußter Diskurs, der sich an die mütterliche Imago wendet. Dazu könnte man sich folgende Erklärungen vorstellen:
>Das, was mir fehlt, suche ich in einer Sache und nicht in mir selbst<.
>Meine Suche ist vergeblich, da man sich diese Sache gar nicht aneignen kann. Die offensichtliche Vergeblichkeit meiner Suche soll meinen definitiven Verzicht auf jene Wünsche garantieren, die du bei mir mißbilligst<.
>Mir liegt viel daran, den Wert dieser unerreichbaren Sache zu betonen, damit du das Ausmaß meines Opfers richtig einschätzen kannst, wenn du mich zwingst, meinen Wunsch aufzugeben<.
>Eigentlich müßte ich dich anklagen und dich meinerseits berauben, aber genau das will ich vermeiden, leugnen und ignorieren, da ich deine Liebe unbedingt brauche.< >Kurz, wenn ich den Penis idealisiere, um ihn dann besser begehren zu können, will ich dich damit beruhigen. Ich will dir zeigen, daß nichts zwischen uns treten kann, daß ich folglich nie zu mir selbst finden kann, daß mir selbst so etwas nie gelingen wird. Ich versichere dir, das wäre genau so unmöglich wie das Auswechseln meines Körpers.«[26]

1. 3. Die Idealisierung des Phallischen (der Symbolik von Autonomie, Macht, Freiheit, Sauberkeit,
Schönheit) als charakteristische weibliche »Fehlsozialisation«

Es ist ein zentrales Problem der weiblichen Entwicklung, daß aufgrund der konfliktreichen Mutter-Tochter-Beziehung die Idealisierung des Vaters - die in der Phase des Objektwechsels vorübergehend notwendig ist, um die Lösung von der Mutter über eine dritte Person zu vollziehen - vom Mädchen häufig nicht mehr aufgegeben werden kann.[27] Das ist dann der Fall, wenn die Versagungen durch die Mutter sich nicht langsam, der Entwicklung des Kindes gemäß, steigern, sondern dem Kind konfliktreich aufgezwungen, wenn sie »schlecht dosiert« wurden. Der Vater erscheint dann als einzige Möglichkeit, überhaupt eine Beziehung zu einem befriedigenden Objekt herzustellen.[28] Falls sich die ersten Erfahrungen des Kindes als böse erwiesen und das zweite, idealisierte Objekt (der Vater) unfähig ist, als »gutes Objekt« zu fungieren (und damit die Ablösung der Tochter von der Mutter zu unterstützen), treten schwere seelische Störungen auf (Charakterstörungen, Perversionen, Psychosen).
Die zentrale, häufigste Fehlentwicklung besteht jedoch in einer fortdauernden Idealisierung des Vaters aufgrund konfliktreicher Mutter-Tochter-Beziehungen. Das Vaterbild (und damit die Vorstellung von Männlichkeit) kann in diesem Fall nicht realitätsgerecht umstrukturiert werden; es kann nicht zusammen mit dem Bild der Mutter (der Vorstellung von Weiblichkeit) - sowohl als »gut« wie auch als »böse« anerkannt werden. Diese Störung ist so häufig, daß sie den Kern des weiblichen Sozialcharakters ausmacht: »Da das zweite Objekt [der Vater, U. P.]  um jeden Preis [aufgrund der gestörten Mutter-Tochter-Beziehung, U. P.] gerettet werden muß, findet eine Verdrängung und Gegenbesetzung der aggressiven, sadistisch-analen Komponente statt.«[29] Eine solche Gegenbesetzung erfolgt aus zwei Gründen: sowohl um das Vaterbild ungestört, von Aggressionen frei zu halten, als auch aufgrund der Weigerung, sich mit der als »böse«, aggressiv erlebten Mutter-Imago selbst zu identifizieren. Kann die Idealisierung der Vater-Imago nicht aufgegeben werden, so wird das Objekt dauerhaft falsch wahrgenommen. Es bleibt dann bei der unbewußten Gleichsetzung von Penis mit Freiheit, Macht, Sauberkeit, Schönheit und offener Aggressivität und von Vagina mit Häßlichkeit, Unfreiheit, Ohnmacht, Schmutz und hinterhältiger Aggressivität.[30]
Freud spricht von der Triebentmischung beim Mann als der »allgemeinen Erniedrigung des Liebeslebens«.[31] Zärtliche und sinnliche Bestrebungen werden auseinandergenommen, sie gehen nicht zusammen, werden auf verschiedene Objekte verteilt: Verehrt und idealisiert wird die Frau, die sexuell nicht oder nur unter Wahrung der gesellschaftlichen Konvention wenig sinnlich geliebt wird. Die Frau, bei der der Mann volle sexuelle Befriedigung findet, ist das Objekt seiner Verachtung. Diese Verachtung ist die Voraussetzung der sexuellen Befriedigung. Auch die Frauen nehmen eine vergleichbare Aufspaltung der Sexualität vor.[32] Sie idealisieren die Sexualität in einer Reaktionsbildung, die auf Verdrängung und Gegenbesetzung »derjenigen Triebkomponenten zurückzuführen ist, die sich ihrem Wesen nach der Idealisierung, der Erhöhung widersetzen; ich meine die sadistisch-analen Triebe«.[33] Die Folge ist eine Triebentmischung bei der Frau analog der von Freud für den Mann beschriebenen: Zärtliche und sinnliche Strebungen können nicht auf das gleiche Objekt gerichtet werden. Es kommt zur Verdrängung der sinnlichen Strebungen oder zur Aufspaltung der erotischen Objekte in zwei klar unterscheidbare Typen: in einen »Vaterersatz«, dem zärtliche »reine« Liebe gilt, und einen zweiten Typus, bei dem soziale Verachtung die Voraussetzung der sexuellen Beziehung ist. Die Gegenbesetzung der aggressiven Komponente hat aber auch schwer-wiegende Folgen für die Entwicklung von Ichautonomie: Da Kreativität im Unbewußten mit dem Symbol des Phallus gleichbedeutend ist, muß Aktivität als Schuld, als aggressiver Akt, als Raub erlebt werden. Aktivitätshemmung, Kreativitätshemmung, Tendenzen zur selbstlosen, dienenden »Helferin« (Frauen, die nur arbeiten können, wenn es anderen nützt) stellen Vermeidungen dar, um der als Raub erlebten Tendenz zur Aneignung »männlicher« Aktivität (d. h. auf primitiver Ebene: des männlichen Organs) und den entsprechenden Schuldgefühlen zu entgehen.

Beide Geschlechter einigen sich auf ein falsches Symbol, das im Unbewußten Symbol von Freiheit, Macht und Größe ist.[34] Die wirklichen Beziehungen werden zerstört, da der Mann dieses Symbol fetischiert, um dadurch seine Angst vor der Frau zu überwinden, indem er die Frau verachtet und einen Beweis seiner Überlegenheit und Intaktheit besitzt, während die Frau ihre Selbstentwertung nicht verwindet, die ebenfalls verdrängt bleibt. Beide Geschlechter interagieren auf der Basis der wechselseitigen Bestätigung dieser Fehlidentifikation, der Basis ihrer Einigung, die zu subjektivem Leiden führt. Diese Fehlidentifikation liegt, sofern die Liebes- und Arbeitsfähigkeit nicht entscheidend eingeschränkt wird, im Rahmen des Normalen; sie ist Bestandteil institutionalisierter Entfremdung.
Viele Frauen halten an narzißtischen Größenphantasien fest: an der - vom realitätsgerechten Standpunkt aus - unrealistischen Vorstellung, jeder müsse sie lieben. Sie verbleiben auf einer kindlichen Stufe, auf der das eigene Ich Mittelpunkt der Welt und ganz einzigartig ist. In ihrer Vorstellung muß ihnen das Glück zufallen. Dieses Verhalten charakterisiert den weiblichen Sozialcharakter in seiner verzerrten Form, obwohl es ein Ideal aller Menschen formuliert.
Die Frau projiziert ihren schlecht integrierten, ungesättigten Narzißmus auf die Beziehung zu ihrem Liebhaber, weil sie in ihrer frühen Kindheit eine adäquate narzißtische Bestätigung entbehren mußte. Sie besetzt ihr körperliches Ich, Körper, Kleidung, Schmuck, ihr soziales Ich, in narzißtischer Weise. »Zudem möchte sie, daß auch ihr Partner ihre eigene Besetzung quasi spiegelbildlich besetzt.«[35] Der Mann gewährt der Frau die narzißtische Bestätigung, die sie sucht und die sie mit der Objektliebe verwechselt. Die narzißtische Bestätigung, für die sie dem Mann dankbar ist, so daß sie glaubt, das sei die Liebe, ist in einem hohen Ausmaß unpersönlich. Sie reagiert bereits auf das Konventionelle, das doch nur Mittel zum Zweck ist: »Tut ein Mann, der einer Frau den Hof macht, nicht alles, um ihr zu schmeicheln, benutzt er nicht jede Gelegenheit, um sie in ihrem Bewußtsein ihres Wertes und ihrer Einmaligkeit zu bestärken? Er überschüttet sie mit Geschenken und zeigt damit, wie sehr er die Gabe schätzt, die er von ihr zu erhalten hofft. Er bringt seine Bewunderung ganz offen zum Ausdruck und hält ihr einen narzißtischen Spiegel vor, durch den sie sich im höchsten Grade anerkannt fühlt. [...] Es gibt Männer, die bei den Frauen gezielt eine kalte, aber bewußte Technik anwenden. [...] Die narzißtische Vorbereitung erstreckt sich ganz allgemein auf die Beziehungen zwischen Männern und Frauen.«[36]
Die Beschreibung des weiblichen Sozialcharakters ist zugleich eine Beschreibung von Fixierung und »Dummheit«: der Lernunfähigkeit angesichts der sozialen Verhältnisse. Die regressiv-narzißtische Frau hält an einer imaginären Besonderheit, an der Einzigartigkeit ihrer Person fest. Deren Wirklichkeit äußert sich aber nicht in eigenen Taten, sondern bleibt Innerlichkeit. Auch die erträumte Wirklichkeit ist nicht durch Tätigkeit definiert. Sie sieht sich in geträumten Situationen mit den Augen anderer, wie eine Fremde. Wenn sie auch die Genüsse des Reichtums wünscht - vor allem sehnt sie sich nach der sozialen Bestätigung ihrer selbst als schön, reizend, kapriziös und kostbar. Sie sieht sich selbst Rollen spielen in erlesener Umgebung vor bewunderndem Publikum.
Der weibliche Narzißmus, den wir in der Darstellung der Störung als zwangshaften, verzweifelten Versuch sehen, die Einheit des Selbst durch die Bewunderung der anderen wie in einem Spiegel bestätigt zu sehen, enthält jedoch noch eine andere Komponente, auf die Freud mit dem Begriff des »primären Narzißmus« hingewiesen hat. Es ist ja in Freuds Darlegung ein eigenartiger Widerspruch, daß die von ihm als vollendet narzißtisch beschriebene Frau unabhängig von Bestätigung ist. Sie wird geliebt ohne Verdienst. Diese autonome Schönheit ist das Bild der Freiheit, sie erinnert an alles, was die Kultur den Menschen nimmt: die ursprüngliche narzißtische Einheit von Ich und Welt. Die Sehnsucht nach dieser kindlichen Allmacht ohne Arbeit, nach dem Fortbestehen des kindlichen Größen-Selbst in seiner infantilen Großartigkeit, bleibt im weiblichen Sozialcharakter in seiner unentfalteten Infantilität wirksam. (Das Vorbild dieser Lustvorstellung bilden die frühen Phasen der kindlichen Entwicklung.)
Von der psychoanalytischen Theorie her erscheint der weibliche Sozialcharakter (»vollkommen« oder »normal«) als Deformation eines realitätstüchtigen Charaktertyps, der sich selbst reflektieren kann, ein angemessenes Bild von sich als Frau entwickelt, ohne Schuldgefühle ist und daher sowohl sich selbst lieben als auch Objektbeziehungen eingehen kann. Das Romantische, Träumerische, Phantastische des weiblichen Narzißmus, das ja zugleich regressiv ist, erscheint daher lediglich als Deformation, als Zerstörung dieses realitätstüchtigen Typs. Wenn es jedoch darum geht, die Produktivkräfte der Weiblichkeit zu bestimmen, dann ist es notwendig zu beachten, daß das Realitätsprinzip als Leistungsprinzip unter den bestehenden Verhältnissen auch die zusätzliche gesellschaftliche Unterdrückung [37] gegenüber den Wünschen mit vertritt. Was in der psychoanalytischen Theorie also zwar dargestellt, aber in ihren Folgerungen als realitätsuntüchtig und damit »unnormal« vielleicht allzu negativ betrachtet wird, ist die Tatsache, daß der weibliche Narzißmus, daß die projektiven Bestrebungen nach Autonomie, Freiheit, Schönheit, die stets nur in regressiver Form auftreten, auch Bilder des Protests mit bewahren.