1.1. Die Familienorientierung der Frauen
Natürlich sind die untergeordnete Berufsposition fast aller erwerbstätigen Frauen und die damit verbundenen subjektiven Faktoren (Familienorientierung, geringer Karriereehrgeiz, Rückzug in weibliche Berufe etc.) Produkt der objektiven Strukturen in der Sphäre des Berufs: Produkt also realer Unterprivilegierung und Diskriminierung der Frau. Das Phänomen der Unterprivilegierung der Frauen im Berufsleben ist jedoch nicht allein in der objektiven Diskriminierung der Frau im Berufsleben selbst begründet. Die subjektiven Aspekte dieses Verhaltens sind nicht nur Ausflüchte und Rationalisierungen, sondern zugleich auch das Ergebnis bestimmter Arten und Weisen des Arbeitens und der Erfahrung im weiblichen Leben.
Tatsächlich ist der entscheidende Faktor, der die Frauen zur Berufsarbeit veranlaßt, ein niedriges Durchschnittseinkommen des Mannes und ein niedriger durchschnittlicher Lebensstandard. Frauen, die größere Wahlfreiheit haben - bei hohem Durchschnittseinkommen des Mannes und hohem durchschnittlichen Lebensstandard werden im allgemeinen nicht berufstätig.[4] Diese Weigerung vieler Frauen, sich in die Berufspyramide zu integrieren, ist nicht einfach als Ergebnis bornierter Weiblichkeit zu interpretieren.
Empirische Studien ergeben, daß die Frauen in Meinung und Verhalten sowohl in bezug auf die Berufsrolle als auch auf die Hausfrauenrolle sehr widersprüchlich sind, daß sie sich weder über diese noch über jene eigentlich definieren wollen.
A. Berufstätigkeit und Familienorientierung
Die Frauen bleiben familienorientiert, auch wenn sie berufstätig sind: Eine Studie über die westdeutschen Frauen (Hausfrauen und berufstätige Frauen) erbrachte, daß sich 55% der westdeutschen Frauen, ob sie nun berufstätig sind oder nicht, über Haushalt und Familie definieren, während 33% sich als berufs- und leistungsbezogen erleben.[5] Faktisch sind auch für die berufstätige Frau Haushalt, Familie und Kinder die Hauptbezugspunkte ihrer Aktivitäten. Berufstätigkeit und die hier bestehenden objektiven Ungerechtigkeiten haben im Selbstverständnis der Frauen eine geringe Relevanz; ihre Berufstätigkeit erleben die weitaus meisten Frauen als etwas »Zusätzliches«. Für diese Annahme sprechen die folgenden Strukturen:
-
a. Planung des Arbeitslebens:
-
Frauen stellen sich im allgemeinen nicht auf ein bis zur Pensionierung dauerndes Erwerbsleben ein; nur wenn sie nicht mehr mit Familiengründung oder Familienvergrößerung rechnen, nähern sie ihre Pläne denen der Männer an (Arbeit bis zur Pensionierung); sonst antizipieren sie eine Zukunft, in der es für sie nur die Familie oder eine durch die Familie bestimmte Erwerbstätigkeit gibt. Entscheidungen über das Berufsleben, vor allem über Fortsetzung, Unterbrechung oder Abbruch der beruflichen Tätigkeit, beziehen sich also in erster Linie auf die familiale Situation; unabhängig davon planen nur wenige.[6]
-
b. Einstellung zum Beruf:
- Von allen im Rahmen der Pross-Studie befragten (berufstätigen) Arbeitnehmerinnen der Bundesrepublik [7] erklärten 24%, daß sie ein Leben als Hausfrau vorziehen würden. Bei den Arbeiterinnen liegt der Prozentsatz bei 41%; entsprechend erklärten sich nur 50% der Arbeiterinnen für die Erwerbstätigkeit oder eine Verbindung von Hausarbeit und außerhäuslicher Berufsarbeit. Von den Angestellten unter den Frauen sprachen sich 13% für Hausarbeit und 81% für eine Berufstätigkeit aus. Die Ursache für diesen Unterschied zu den Einstellungen der Arbeiterinnen dürfte sowohl in der unterschiedlichen Arbeit als auch im unterschiedlichen Wertsystem liegen. In der Unterschicht besteht in stärkerem Maße die Vorstellung, der Mann müsse imstande sein, »seine« Frau ohne deren entlohnte Mitarbeit zu erhalten, er solle ihr die Härte des Erwerbslebens ersparen und könne dafür auf sexuelle Treue und eine angemessene Versorgung des Haushalts zählen. Für die berufstätige Arbeiterfrau beschreibt vor allem die Familie [8] den Bereich ihrer Aktivität. Es ist daher nicht erstaunlich, daß die jungen ledigen Arbeiterinnen, die Walter Jaide befragte, nur und einzig beim Thema Heirat aktiv und übersprudelnd erzählen und über ihre Zukunft mit Mann, Kindern und ausreichendem Haushaltsgeld phantasieren:[9] Das Alltagsleben des Haushalts ist der einzige Bereich ihres Einflusses und ihrer Aktivität.
Was die westdeutschen »Nur-Hausfrauen« betrifft,[10] so äußern sie unter den gegenwärtigen Bedingungen kein Interesse am Beruf:
»im ganzen, so können wir resumieren, ist das Interesse an einer Berufstätigkeit bei der Masse der Hausfrauen nicht groß. Wenn verhältnismäßig viele Befragte sagen, sie würden, hätten sie jetzt die Wahl, eine Berufstätigkeit der Hausfrauentätigkeit vorziehen, und wenn ebenfalls viele erklären, sie planten eine Rückkehr in den Beruf, so drückt sich darin mehr ein Ungenügen an der rein häuslichen Existenz aus als ein aktives Interesse am Beruf. Ob die Berufsinteressen zunehmen werden, hängt wohl in erster Linie von der Attraktivität der entsprechenden Ausbildungs- und Arbeitsplatzangebote ab. Gegenwärtig scheinen sie zu unentwickelt, scheinen die Anreize zu bescheiden zu sein. Faktisch könnten die Hausfrauen kaum mehr als Hilfsarbeiten übernehmen. Dazu haben sie aber kaum Anlaß. Ihre wirtschaftliche Lage nötigt sie nicht, sich um jeden Preis auf eine Erwerbsarbeit einzulassen, und die Qualität der außerhäuslichen Angebote ist auch nicht hoch genug, um die Berufsabsichten zu intensivieren, Um mehr Hausfrauen für Berufsaufgaben zu gewinnen, müssen die Ausbildungs- und die Arbeitsmöglichkeiten weit über das gegenwärtige Maß hinaus verbessert werden. Andernfalls ist nicht damit zu rechnen, daß die Frauen sich zahlreicher als bisher bezahlten Tätigkeiten zuwenden. Ihr Ungenügen an der rein häuslichen Existenz mag weiter wachsen, und die mit der Hausfrauenrolle nur partiell zufriedene Minderheit mag sich zur Mehrheit erweitern. Solange die Außenwelt sich nicht mehr um diese Frauen bemüht, wird jedoch die Kritik am Hausfrauendasein nicht zu verstärkter Rückkehr in die Berufssphäre führen.«[11]
Fast zwei Drittel der westdeutschen Hausfrauen gingen, bevor sie ausschließlich Hausfrauen wurden, mehr als fünf Jahre einer bezahlten Arbeit nach.[12] Berufstätig gewesen sind fast alle Frauen, die heute Hausfrauen sind (90%).[13] Eine ausgesprochene Ablehnung der Erwerbsarbeit findet sich bei den Frauen nicht; andererseits wurde die Berufstätigkeit von fast 50% der Befragten gern aufgegeben.[14]
-
c. Kinder als Motiv des Berufsabbruchs:
- Der »Widerstand« der Frauen gegenüber der Erwerbsarbeit ist zu einem großen Teil - jedenfalls nach den Äußerungen der Frauen selbst zu schließen - durch die Notwendigkeit bestimmt, sich um die Kinder zu kümmern. Mit gewisser Reserve berichten die amerikanischen Sozialforscher, daß auch in den USA bis heute die Berufstätigkeit der Mutter bei den (weißen) Amerikanerinnen nicht beliebt ist und daß allenfalls finanzielle Notwendigkeiten als akzeptabler Grund für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit angesehen werden, dagegen nicht das Bedürfnis, aus dem Hause zu kommen, oder Motive, die sich auf Status-Prestige beziehen.[15] Berufstätige Frauen wünschen sich und haben weniger Kinder als nicht berufstätige;[16] berufstätige Mütter haben weniger Kinder als Mütter, die nicht berufstätig sind.[17] Nach der >Brigitte<-Studie von 1973 über die westdeutschen Hausfrauen nannten fast zwei Drittel der befragten Hausfrauen als Grund für die Aufgabe der Erwerbsarbeit: »Weil Kinder kamen.« - 17% nannten einen entsprechenden Wunsch des Mannes, - 11% einen eigenen Wunsch als Hauptmotiv.[18]
Die Hausfrau ohne Kinder, die nur den Haushalt führt, ist in der BRD kaum mehr vertreten (in der >Brigitte<-Studie von 1973 nur 5% in der Stichprobe).[19] Die meisten Hausfrauen haben also Kinder und sind zugleich Hausfrauen der Kinder wegen: »jede vierte Befragte ist Mutter eines Kindes, jede dritte hat zwei Kinder geboren oder angenommen, jede fünfte drei. 12 Prozent sind Mütter von vier und mehr Kindern.«[20] Die Wünsche der Frauen richten sich meist auf die Zwei-Kinder-Familie.[21] je mehr Kinder die Frauen haben, desto stärker beschränken sie sich auf den Haushalt, je weniger Kinder die Frauen haben, desto eher, vor allem wenn sie nur ein Kind haben, gehen sie einer Erwerbstätigkeit nach.[22] 19% der Hausfrauen zwischen 18 und 54 Jahren sind Mütter:
»Fast zwei Drittel der Mütter haben für Kleinkinder zu sorgen. Rechnet man diejenigen hinzu, deren Kinder zwar schon zur Schule gehen, aber doch noch zu klein sind, um während eines längeren Teils des Tages allein zu sein, dann wird deutlich, daß die überwiegende Mehrheit der Hausfrauen nicht abkömmlich ist, jedenfalls nicht regelmäßig und nicht für die Dauer eines vollen Arbeitstages. Obwohl freigestellt von Erwerbsfunktionen, sind die Hausfrauen keine Luxusgeschöpfe.«[23]
Ihre Abende verbringen die Hausfrauen zu 88% mit dem Mann oder mit den Kindern oder mit beiden zu Hause. Im Mittelpunkt der Unterhaltungen der westdeutschen Hausfrauen mit ihren Männern stehen die Kinder. Über nichts anderes wird in so zahlreichen Ehen so häufig gesprochen.[24] Auch Streit zwischen den Eheleuten hat die Kinder und deren Erziehung zum Thema; 36% der in der >Brigitte<-Studie von 1973 befragten Hausfrauen gaben an, darüber sei man am ehesten uneins. Danach folgen das Verhalten des Partners (15%) und das Geld (11%). Nach den Angaben der Frauen interessieren sich die Männer für die Erziehung der Kinder, und zwar der überwiegende Teil.
Trotzdem sind die Frauen nicht derart »familienorientiert«, daß sie »Nur-Hausfrauen« sein möchten: Zahlreiche Hausfrauen, von denen die meisten vorher schon berufstätig waren, verstehen ihre Haushaltstätigkeit nicht als dauerhaft. Die Frauen verlieren zwar das Interesse an der Berufswelt, sobald sie an Heirat denken; wenn sie geheiratet und Kinder haben, entwickelt sich jedoch wieder ein Interesse an beruflicher Tätigkeit.[25] Fast die Hälfte der westdeutschen Hausfrauen fassen ihre häusliche Arbeit nicht als endgültig auf, sondern als Stadium zwischen zwei Phasen der Berufsarbeit; 40% der befragten Hausfrauen erklärten, wenn sie die Wahl hätten, würden sie auch jetzt eine Berufstätigkeit vorziehen, 39% haben vor, später wieder berufstätig zu werden,[26] sobald die Kinder das Haus verlassen haben und die ständige Anwesenheit der Mutter nicht mehr erforderlich ist.[27] Auch die amerikanischen Untersuchungen zeigen, daß die Frauen, vor allem die jüngeren, ein gewisses Gleichgewicht zwischen Berufstätigkeit sowie Ehe und Familie gefunden haben, wenigstens in ihren Aussagen gegenüber den Sozialforschern. Während frühere Untersuchungen noch eine geringe Berufsorientierung verheirateter Frauen ermittelten,[28] haben neuere Studien gezeigt, daß die meisten Frauen eine Berufstätigkeit auch für den Fall erwarteten, daß sie verheiratet und die Kinder »groß genug« sein würden.[29]
Diese Absichtserklärungen stimmen allerdings häufig mit dem realen Verhalten nicht überein, doch zeigen sie die Unzufriedenheit der Frauen mit dem Leben als Hausfrau (eine latente Unzufriedenheit, denn manifest erklären sich die Hausfrauen mit ihrer Hausfrauenrolle zufrieden).[30] Die Hausfrauenuntersuchung von 1973 kommt zu dem Schluß, daß tatsächlich die wenigsten Hausfrauen zwischen 40 und 50 freiwillig eine Berufsarbeit wiederaufnehmen würden.[31] Was die Nur-Hausfrauen betrifft, so ergibt sich, daß auch das Angebot eines Kindergartens, einer Vorschule oder einer Ganztagsschule nur 24% der Frauen dazu veranlassen würde (nach ihren eigenen Aussagen), einen Beruf wiederaufzunehmen, während 40% dies verneinten (11% sagten, es käme darauf an).[32]
»Lediglich jede vierte wäre demnach eine einigermaßen ernst zu nehmende Berufskandidatin, lediglich jede vierte meint jetzt, sie würde ein verbessertes Angebot an Betreuungseinrichtungen für die Kinder auch tatsächlich nutzen. Unter den Ja-Sagerinnen befinden sich etwas mehr Mütter von einem Kind oder von zwei Kindern. Kinderreiche Mütter entschieden sich sehr viel häufiger für ein Nein.«[33]
Ebenso wären 54% der Frauen nicht bereit, ihre Kinder einer Tagesmutter zu überlassen, um einem Beruf nachgehen zu können (gegenüber 11%, die diese Möglichkeit auf jeden Fall nutzen würden, und 21% unentschlossenen Frauen)[34]
B. Tätigkeiten in »weiblichen« Berufen
Frauen stehen Leistung und Karriere von ihren objektiven Möglichkeiten und von ihren Interessen her fern. Frauen arbeiten meistens in unterprivilegierten Berufspositionen; Frauen zeigen wenig Karriereehrgeiz - lediglich in berufskarrierebezogenem oder konfliktreichem familialen Milieu und bei höherer Schichtlage ist Berufs- und Karriereorientierung hochentwickelt; Frauen ergreifen vor allem »weibliche« Berufe.
-
a. Frauen arbeiten meistens in unterprivilegierten Berufspositionen:
-
Von den Arbeiterinnen sind in den Ländern der EWG 1971 etwa drei Viertel als Ungelernte oder als Angelernte tätig. Facharbeiterinnen stellen überall nur eine bescheidene Minorität in der Gruppe der Arbeiterinnen (am kleinsten in Italien: 3%; am größten in Belgien: 21%; die BRD befindet sich mit 13% ähnlich wie Holland und Luxemburg in der Mitte). Auch die weiblichen Angestellten arbeiten zumeist in niedrigeren Berufspositionen. Zwar schätzen sich vergleichsweise große Gruppen als »mittlere Ränge« ein; diese Selbsteinschätzung stimmt aber nicht mit der objektiven Situation überein.[35] (Ihre fehlenden Aufstiegschancen sind den Frauen in allen Berufen, auch den »besseren« aber durchaus bewußt [36]). Weniger als ein Zehntel der erwerbstätigen Frauen in der BRD nehmen leitende oder aufsichtsführende Positionen ein.[37] Im gesamten Bereich der EWG, so schätzt Helge Pross, befinden sich mindestens drei Viertel der Arbeiterinnen und Angestellten an der Basis der Arbeitshierarchie.
Aber nicht nur die Positionen der Frauen in der Berufshierarchie sind schlechter, auch ihre Entlohnung ist geringer als die der Männer:
»Während in der Bundesrepublik nur eine winzige Minderheit der Männer (3 Prozent) weniger als 600,- DM erhält, ist es bei den Frauen fast die Hälfte. Analoge Differenzen bestehen in den höheren Einkommensschichten. Auch wenn man in Rechnung stellt, daß immerhin 18 Prozent der befragten westdeutschen Frauen nicht voll erwerbstätig sind, gilt, daß die durchschnittliche Arbeiterin weniger verdient als der durchschnittliche Arbeiter und die durchschnittliche Angestellte niedrigere Einkünfte hat als der durchschnittliche angestellte Mann.«[38]
-
b. Frauen zeigen wenig Karriereehrgeiz:
- Der berufliche Ehrgeiz ist bei den Frauen gering. In einer Befragung amerikanischer berufstätiger Frauen - einer Befragung, die für die städtische Bevölkerung der USA repräsentativ ist - wurden als Hauptgründe für Berufstätigkeit angegeben: »um mehr Geld zu verdienen« (69%), »um eine Karriere zu verfolgen«, (10%), »um außerhalb des Heims zu sein« (15%) und andere Gründe (10%).[39] Das Geldverdienen wurde eher bei ganztägiger Berufsarbeit als Motiv genannt. Ausschlaggebend für die Erwerbstätigkeit der weitaus meisten Frauen sind auch in der BRD ökonomische Motive: entweder ist das Einkommen des Ehemanns zu gering, um für beide Partner eine durchschnittliche Versorgung zu gewährleisten, oder die Frauen wollen sparen, Mittel für besondere Anschaffungen beibringen oder generell den Lebensstandard erhöhen.
»Nicht-wirtschaftliche Motive: Freude an der Arbeit, Kontakte, Unabhängigkeit, werden überall weitaus häufiger von Angestellten als von Arbeiterinnen genannt. Arbeiterinnen arbeiten beinahe ausnahmslos, weil sie müssen und nicht weil die Arbeit oder der Umgang mit Menschen Freude macht oder die Hausarbeit allein nicht befriedigt oder weil sie unabhängig sein wollen. Darin besteht kein Unterschied zwischen Facharbeiterinnen, Ungelernten und Angelernten.
Nicht-wirtschaftliche Gründe werden zudem häufiger von jungen und kaum von älteren, häufiger von ledigen und selten von verheirateten Frauen genannt.«[40]
Von den Frauen, die noch nicht berufstätig sind, antizipieren viele ihre künftigen Familienaufgaben und unterlassen deshalb von vornherein den Versuch, »weiterzukommen«.
-
c. Lediglich in berufskarrierebezogenem oder konfliktreichem familialen Milieu und bei höherer Schichtlage ist Berufs- und Karriereorientierung hoch entwickelt:
-
In einer Studie über verheiratete Frauen mit Universitätsabschluß in England, durchgeführt 1968, [41] wurde deutlich, daß jener karriereorientierte Frauentyp, der sich von der konventionellen, familienorientierten Frau unterscheidet, durch strukturelle Faktoren »produziert« wird, die für variierendes (nicht-traditionelles) Verhalten auch sonst verantwortlich sind - vom konventionellen Bild abweichende Rollen-Modelle bei den Eltern; gespannte Familienverhältnisse (in der Elternfamilie)[42] - Frauen mit Kindern planen die Fortsetzung ihrer Berufstätigkeit eher, wenn sie in ihrer Elternfamilie Spannungen mit der Mutter und starke Identifikation mit dem Vater hatten;[43] Unterstützung der Karriereorientierung in der eigenen Familie der Frau (Unterstützung durch den Ehemann, durch den Freundeskreis); schließlich geringes (nach eigenen Aussagen geniessendes) »Familienglück«. Frauen, die in einer »warmen« Atmosphäre in der Elternfamilie aufgewachsen sind, tendieren mehr zur Berufsarbeit, wenn ihre eigene Ehe »nicht sehr glücklich« ist.[44] Vor allem die Berufstätigkeit der Mutter verstärkt (in der Mittelschicht) die Karriereorientierung der Tochter, verringert ihre Stilisierung nach der traditionellen Geschlechtsrolle und verstärkt ihre Wahl traditionell männlicher Berufsziele. »Höhere« Berufe, solche also, die traditionellerweise von Männern besetzt sind, erstreben in der mittleren und oberen Mittelschicht vor allem diejenigen Studentinnen, deren Mütter bereits erwerbstätig waren. Intermediäre Faktoren sind hierbei das direkte Erlernen der mütterlichen Werte und des mütterlichen Beispiels, verstärkte Intelligenz, resultierend aus einer größeren Freiheit zu »wandern und zu explorieren«, größere Autonomie des Denkens und der Wertvorstellungen, die die Eltern im Kind ermutigen, sowie größere Leistungsmotivation.[45]
-
d. Frauen ergreifen vor allem »weibliche« Berufe:
-
Enttäuscht registriert die Forschung, daß selbst von den ich-starken, karriereortentierten Frauen nur eine kleine Minderheit in chemische, medizinische, molekular-biologische, experimental-Psychologische und klinisch-psychologische Berufe gingen, während die meisten traditionell »weibliche« Berufe (Sozialarbeit, Lehrberufe etc.) anstrebten.[46] über 70% der US-amerikanischen Frauen arbeiten nur in den folgenden vier Bereichen: Lehrberufe, Pflegeberufe, Sekretärinnenarbeit, Sozialarbeit.[47] Zugleich stellen die Frauen in diesen Berufen die Mehrzahl (70-100%) der Beschäftigten (Gettobildung).[48]
In den Ländern der EWG (1971) finden sich die berufstätigen Frauen vor allem im Dienstleistungssektor; der zweite Schwerpunkt weiblicher Berufstätigkeit liegt in der Industrie, wobei die Frauen in bestimmten Industrien konzentriert sind - in der Bundesrepublik vor allem in der Metall- und Elektro-Industrie; es folgen die Textil- und Bekleidungsindustrie, mit größerem Abstand chemische Industrie, Druckerei- und graphisches Gewerbe, Nahrungs- und Genußmittelindustrie. Obwohl sich in der EWG fast die Hälfte der Frauenarbeitsplätze in der Industrie befindet (und die zweite Hälfte im Dienstleistungsbereich), üben faktisch mehr Frauen Dienstleistungsfunktionen im weiteren Sinne aus; nur Minoritäten, fast ausnahmslos Arbeiterinnen, sind unmittelbar in der Produktion beschäftigt.
»Büro, Fabrik und Verkaufsgeschäft sind demnach die wichtigsten Arbeitsstätten von Frauen.«[49]
Zum Teil ist diese »Gettobildung« ohne Zweifel unfreiwillig und aufgezwungen (niedrige Löhne etc.). Frauen werden bevorzugt in diesen Bereichen eingestellt; der Zugang zu anderen Berufslaufbahnen ist für sie erschwert. Zum Teil aber beruht die Berufswahl der Frauen auch auf spezifisch »weiblichen« Eigenschaften und Interessen. Dies zeigen z. B. in der Untersuchung über die westdeutschen Arbeitnehmerinnen die Antworten auf die Frage: »Wenn Sie sich noch einmal entscheiden könnten, würden Sie sich dann für einen anderen Beruf ausbilden lassen als den, den Sie jetzt ausüben? Wenn ja, für welchen Beruf würden Sie sich ausbilden lassen?«[50] Nur eine starke Minderheit (43%) antwortete, sie würde auch bei erneuter Berufswahl wieder den jetzigen Beruf ergreifen; etwa die Hälfte der Befragten dagegen meinte, sie würde sich anders entscheiden. Die Voten von Arbeiterinnen und Angestellten fielen unterschiedlich aus: die Zustimmung zur jetzigen Tätigkeit ist bei den Arbeiterinnen erwartungsgemäß geringer als bei den Angestellten. Interessanter als diese Tatsache sind die Unterschiede in bezug auf die als Alternative gedachte Arbeit: Auch diejenigen, die sich für einen anderen Beruf entscheiden würden, wählten erneut das, was als »weibliche Berufe« bezeichnet wird: Arbeiterinnen optieren vor allem für handwerkliche Berufe (11%) und für einen Büroberuf (11%), Angestellte mehr für Sozialberufe und soziale Dienstleistungen; 8% der Arbeiterinnen und 6% der Angestellten nennen künstlerische Berufe (Goldschmied, Mode, Kunsthandwerk).[51]
Folgendes ist also im Hinblick auf das berufsbezogene Verhalten der Frauen bedeutsam:
- Die Frauen bleiben familienorientiert, auch wenn sie berufstätig sind - und auch wenn sie nicht »Nur-Hausfrauen« sein wollen.
- Die Frauen stehen Leistung und Karriere von ihren Interessen und von ihren objektiven Möglichkeiten her fern.
1.2. Familienstrukturen; »Modernisierung« der Familie
Das Alltagsleben der Frauen in Haushalt, Familie und Geselligkeit ist durch die allgemeine Entwicklung der »Modernisierung« der Familie (»Funktionsverlust«, Veränderung des Familientyps) bestimmt. Die Soziologie konstatiert den Funktionsverlust und die Umstrukturierung der Familie als »Desintegration« und »Desorganisation«.[52] (Unter Desintegration wird die fortschreitende Umwandlung der familialen Aktivitäten in Aufgaben der Gesamtgesellschaft verstanden: der Abbau der ökonomisch-produktiven sowie der religiösen, erzieherischen Tätigkeiten, der Unterhaltungs- und Unterstützungsaufgaben).[53] Der Desintegration der Familie entspricht eine Zunahme des sozialstaatlichen Aktionsbereichs: die gesellschaftliche Kontrolle des Ausbildungs- und Erziehungssystems sowie die Übernahme von Versorgungsleistungen, die traditionellerweise der Familie zukamen: Alten-, Krankenfürsorge etc. Einerseits kann die Familie den Anforderungen der arbeitsteiligen, spezialisierten Ausbildung der Arbeitskraft nicht mehr genügen, andererseits bedeutet die Vergesellschaftung der ehemaligen Familienaktivitäten einen Praxisentzug für die Menschen, denen diese Beziehungen jetzt als fremde, bürokratisch organisierte gegenübertreten. Dies hat Folgen für die innerfamilialen Strukturen.
Was die Charakterisierung von familialen Strukturen als »patriarchalisch« betrifft, so sind mindestens drei Dimensionen zu unterscheiden:
- die juristische Dimension;
- die nicht mit staatlichen Sanktionen, sondern über die Mittel der sozialen Kontrolle durchgesetzten Normen des geschlechtsspezifischen Verhaltens;
- die Ebene der faktischen Entscheidungskompetenz.
Im strengen Sinn patriarchalisch sind Konstellationen, in denen die Dominanz des Mannes in den wichtigsten Handlungsbereichen (freie Verfügung über Eigentum und freies sexuelles Verhalten) auf allen drei Ebenen, der des Rechts, der sozialen und der des faktischen Verhaltens, gesichert ist. In hochindustrialisierten Gesellschaften besteht in diesem Sinne kein Patriarchat. Die Norm weiblicher Unterordnung, vor allem was Sexualität und Dienstleistungen innerhalb der Familie betrifft, wird - wie die Studien übereinstimmend zeigen - als legitime Norm zunehmend aufgelöst. Dieser Prozeß ist ungleichmäßig; noch ungleichmäßiger entwickelt sich die faktische Gleichheit der Entscheidungskompetenzen. Wir konzentrieren uns im folgenden auf die letzten beiden Elemente: auf die Legitimität von Dominanzrelationen und auf die Verteilung faktischer Entscheidungsgewalt in den Familien.
Die Entwicklung der Familienstruktur verläuft nicht, wie häufig angenommen, »vom Patriarchat zum Egalitarismus«, also von einer auch in der innerfamilialen Entscheidungsgewalt autoritären zur partnerschaftlichen Familie, sondern von einem Familientyp, typisch für Agrarstrukturen, in dem zwar die Geschlechtsrollen getrennt sind (womit Verhaltensautonomie der Frau wenigstens in ihrem Bereich verbunden ist), über einen autoritär-patriarchalischen Familientyp, in dem der Mann auch in die Bereiche eingreift, die traditionellerweise der Frau zugeordnet sind (heute ein Phänomen vor allem der Mittelschicht), zu einem Familientyp, in dem die Geschlechtsrollen nicht strikt getrennt sind, wobei man auch hier drei Typen unterscheiden muß, und zwar danach, bei welchem Familienmitglied die faktische Entscheidungsgewalt (trotz aller verbalen Anerkennung der Gleichheit der Geschlechtsrollen) liegt: beim Mann, bei der Frau oder bei beiden gleichermaßen. Für die Zwecke dieser Arbeit genügt die Zusammenfassung in einer für die Schweiz [54] repräsentativen Studie von 1970/71:
»Bei dieser Typologie handelt es sich um einen groben Orientierungsrahmen, der weder alle möglichen Familientypen erfaßt, noch berücksichtigt, daß zwischen den nach Macht- und Rollenstruktur differenzierten Familientypen Gemeinsamkeiten auf anderen Dimensionen bestehen können. In dieser einfachen, zweidimensionalen Typologie wurde die traditionelle Familie als Kombination von hoher Rollentraditionalität mit ausgeglichenen Machtverhältnissen definiert. Die Rollentraditionalität ist dann hoch, wenn eine scharfe Trennung zwischen den (eher instrumentalen) Rollen des Mannes und den (eher affektiven) Rollen der Frau besteht. Ausgeglichene Machtverhältnisse bedeuten, daß Mann und Frau in entsprechend der Rollentraditionalität - strikt getrennten Bereichen relativ autonom entscheiden, wobei aber die männlichen Bereiche (z. B. Außenbeziehungen der Familie mit Institutionen) ein größeres Gewicht haben und so die männliche Dominanz gesichert ist. Das geltende Familienrecht entspricht mehr oder weniger diesem Familientyp. Wie oben ausgeführt, weist nun aber mindestens im großstädtischen Kontext eine Mehrheit von Familien keine ausgeglichene Machtstruktur und/oder keine ausgeprägte Rollentraditionalität auf. Dies bedeutet, daß Abweichungen vom traditionellen Familientyp sehr verbreitet sind:
In der autoritär-patriarchalischen Familie entscheidet der Mann auch in Bereichen, die traditionellerweise der Frau zugeordnet sind, während die klassische Rollentrennung beibehalten wird. Beim Zustandekommen dieses Familientyps ist in erster Linie daran zu denken, daß die Frau Entscheidungen oder Entscheidungsbereiche >freiwillig< an den Mann delegiert, weil ihr als Gegenleistung materielle Sicherheit oder gar ein gewisser Luxus gewährt wird; dieser Familientyp ist denn auch in der Mittelschicht bedeutend häufiger als in der Unterschicht. Aber obwohl die Mittelschichtfrauen eine nicht unbedeutende Abhängigkeit in Kauf nehmen, akzeptieren gerade sie auf der Einstellungsebene männliche Dominanz sehr selten. Die Bezeichnung >autoritär-patriarchalisch< soll denn auch ausdrücken, daß die Machtverhältnisse in der Familie - obwohl sie keinen offenen Konflikt zu provozieren scheinen - nicht legitimiert sind. Auch vom Mann her gibt es aber Tendenzen, die zur autoritär-patriarchalischen Familie führen. Neben einer konservativen Reaktion auf Emanzipationsbestrebungen der Frau muß auch die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, daß der Mann den Machtverlust im außerfamiliären Bereich, den er im Zuge des relativen sozialen Abstiegs der Mittelschicht erfährt, in der Familie zu kompensieren versucht.
Der letzte Faktor spielt auch beim Zustandekommen der vaterzentrierten Familie eine wichtige Rolle. Wie beim autoritär-patriarchalischen Familientyp liegt hier die Entscheidungsgewalt vorwiegend beim Mann, während die Rollentraditionalität gemäßigt ist, d. h. die Frau auch >männliche< und - allerdings in viel seltenerem Ausmaß der Mann >weibliche< Funktionen wahrnimmt. Dieser Familientyp ist vor allem dort zu erwarten, wo die Präsenz des Mannes in der Familie gering ist (die Familien der >grünen Witwen< sind ein aktuelles Beispiel dafür). In einer solchen Familie ist die Macht des Mannes wegen seiner geringen Teilnahme am Familienleben besonders wenig legitimiert, vor allem dann, wenn seine gesellschaftliche Stellung auch wenig materielle Sicherheit für die Frau garantiert, was in der Unterschicht oft der Fall ist.
In der mutterzentrierten Familie liegt die Entscheidungsgewalt weitgehend bei der Frau und die Rollentraditionalität ist gering, was in diesem Fall - ähnlich wie bei der vaterzentrierten Familie - bedeutet, daß die Frau auch die >männlichen< Rollen (insbesondere die Ressourcenbeschaffung) übernimmt. Im Extremfall fehlt ein Ehemann und Vater fast ganz (vaterlose Familie) oder ist gleichsam nur zu Gast (Familie mit transitorischem Vater). In der mutterzentrierten Familie ist die Emanzipation der Frau hoch, jedoch ist der Mann meist nicht bereit, in seinem Verhalten zur Frau die Konsequenzen aus dieser Emanzipation im Sinne einer Anerkennung der Gleichberechtigung der Frau zu ziehen.
Beim egalitären Familientyp ist die Rollentraditionalität gering, die Machtstruktur ausgeglichen. Anders als beim traditionellen Familientyp werden aber im Prinzip Entscheidungen nicht je nach Bereich vom Mann oder von der Frau getroffen (autokratische Machtstruktur), sondern zusammen (synkratische Machtstruktur). Die Gattenbeziehung innerhalb der egalitären Familie kann als >Kameradschaftsehe< umschrieben werden. Neben der geringen Differenzierung nach instrumentaler und affektiver Führungsperson ist sie durch hohe gegenseitige emotionale Ansprüche der Ehepartner gekennzeichnet; Ungleichheit dieser emotionalen Ansprüche können die Stabilität der Beziehung beeinträchtigen. Das Ausmaß dieser Ansprüche hängt bei der Frau, die in den meisten Fällen keine außerfamiliale Rolle (Berufstätigkeit) ausübt, u. a. davon ab, ob sie einen eigenen Kreis von Bekannten besitzt.«[55]
Die autoritär-patriarchalische Familie kommt vor allem in der Mittelschicht vor, und zwar sowohl in hochentwickelten, städtischen als auch in niedrigentwickelten, ländlichen Zusammenhängen; die traditionelle Familie scheint ein Phänomen im Übergang zu sein; die vaterzentrierte Familie gibt es in allen Schichten gleichmäßig (sowohl in niedrigentwickelten als auch in hochentwickelten Zusammenhängen), ebenso die egalitäre Familie.[56] Bei den meisten Familien besteht eine Übereinstimmung zwischen den Normen und der Machtstruktur, wie sie die Befragten wahrnehmen (seien sie konservativ oder egalitär). (In der Untersuchung über die schweizer Frauen bestand solche Übereinstimmung bei mehr als 70% der Familien).[57]
Die Verteilung der Familientypen in der Schweiz zeigt Tabelle 2.
Eine derart systematische Untersuchung der Familientypen gibt es für die Bundesrepublik nicht; die Daten ähnlicher Untersuchungen [58] sind nicht veröffentlicht. Die zugänglichen Darstellungen bestätigen jedoch generell die Strukturierung in die oben angeführten Familientypen auch für die Bundesrepublik.[59]
Aus den Ergebnissen der schweizer Studie läßt sich folgern, daß das Problem des »Patriarchats« eine spezifische Thematik vor allem der städtischen Mittelschicht ist, in der eine zunehmende Entscheidungsdominanz des Mannes konstatiert werden kann. Dies mag zunächst überraschen, da die Interaktionsstruktur in der Mittelschichtfamilie typischerweise an »Gemeinsamkeit« als Wert orientiert ist und die Beziehungen auch durch stärkere Gemeinsamkeit (etwa gemeinsame Interessen, Diskussion von Problemen) als in der Unterschicht charakterisiert sind. Dennoch liegt die Entscheidung in der Mittelschicht häufiger beim Mann, und seine Macht wächst um so mehr, je bedeutender die Ressourcen (d. h. vor allem finanzielle Leistungen) sind, die er in die Familie einbringt. Der wachsenden Entscheidungsdominanz des Mannes in dieser Schicht kontrastieren allerdings die zunehmend egalitären Auffassungen der Frauen über die Geschlechtsrollen. Der zitierten Studie zufolge wird mit steigendem Grad der »Modernisierung«[60] unabhängig von sozialer Schichtung (also in den mittleren ebenso wie in den unteren Schichten) das Bewußtsein der Frauen generell »modernisierter«: Sie entwickeln im Rahmen der »Modernisierung« ein egalitäreres Bewußtsein, das von einer Betonung und Artikulation des Unbehagens an der weiblichen Rolle und von zunehmender außerfamilialer Aktivität begleitet wird. Während in den Familien der Mittelschicht dieses egalitärere Bewußtsein mit der faktisch wachsenden Entscheidungsdominanz des Mannes konfligiert, ist für die Frauen der Unterschicht »Patriarchalismus« - die Ablehnung der (bzw. Kampf gegen die) Entscheidungsdominanz des Mannes - keine identitätsstiftende Thematik. Dies liegt einmal daran, daß egalitäres Bewußtsein angesichts der unterprivilegierten Situation der Unterschichtfamilien nicht »durchschlagen« kann[61] - die Unterprivilegierung (Arbeitsüberlastung) überwiegt; zum anderen ist dieser Unterschied auf dem Hintergrund der generell unterschiedlichen Kommunikationsstrukturen in Mittelschicht- und Unterschichtfamilien zu sehen, die durch verschiedene empirische Studien belegt sind.[62] Die unterschiedliche Art und Weise der Kommunikation impliziert eine verschiedenartige Aufteilung der Lebenssphären zwischen den Eheleuten und damit auch andere - in der Unterschicht weniger auf »Patriarchalismus« bezogene - Konfliktzonen: Die intrafamilialen Beziehungen in der Unterschicht lassen sich eher als »parallel« beschreiben. Die Ehepartner behalten relativ getrennte Lebenssphären; der Austausch von Ideen oder Meinungen durch Konversation etc. wird nicht als zentral angesehen.[63] Die Beziehungen in der Mittelschicht sind dagegen eher »interaktional«, stärker »individuell«: mehr verbale Äußerungen von Liebe und Anerkennung und mehr formuliertes Interesse an der Lebenssphäre des anderen.[64] Die Verteilung der Geschlechtsrollen in der städtischen Unterschicht ist also eher »traditionell« im Sinne der obigen Typologie: Mann und Frau haben - bei stärkeren Außenkontakten (je für sich)[65] deutlicher getrennte Bereiche, in denen sie zuständig sind.
In der familialen Interaktion in der Unterschichtfamilie findet sich das Muster relativer Isolation der Ehepartner, eine Tendenz zu strenger Rollentrennung. Die alltägliche Routine wird im Rahmen definitiv getrennter Rollenbeziehungen bewältigt. Formal ist die Arbeiterfamilie nicht patriarchalisch. So ist es dort z. B. durchaus üblich, daß die Hausarbeit geteilt wird; allerdings hat der Mann seinen Bereich, die Frau den ihren:
»In vielen Haushalten der Arbeiterschicht gibt es eine scharfe Abgrenzung der Tätigkeiten: der Mann mag zwar gelegentlich Aufgaben innerhalb des Hauses übernehmen, wenn die Frau aus irgendeinem Grund nicht arbeitsfähig ist - etwa wenn sie krank ist oder ein Kind erwartet. Dies wird aber als Ausnahme angesehen: normalerweise übernimmt die Frau die Aufgaben innerhalb, der Mann jene außerhalb des Hauses.
>Mein Mann und ich haben uns das so eingeteilt. Er macht den Garten und ich den Abwasch. Gelegentlich hilft er mir beim Hausputz, wenn die Dinge mir über den Kopf wachsen oder wenn ich die Arbeit nicht allein tun kann - zum Beispiel beim Möbelrücken.<
>Mein Mann versorgt den Garten und den Rasen und ich kümmere mich um alles im Haus. Gelegentlich helfen wir einander. Wir sind immer bereit, uns zu helfen<.«[67]
Die Aufspaltung in nach Geschlechtsrollen getrennte Bereiche betrifft praktisch alle Lebensprobleme: den Beruf des Ehemanns, über den kaum gesprochen wird, die Finanzen der Familie, die Hausarbeit etc. Mann und Frau verbringen den Tag mit isolierten Tätigkeiten; es bestehen selten und wenig gemeinsame Interessen. Oft ist die Frau - nach ihren Äußerungen - mit ihrer Isolierung unzufrieden, doch hat sie das Gefühl, daß es ihrem Mann so am liebsten ist, der häufig ihr Interesse für seine Berufsarbeit abwehrt. - in der Mittelschicht ist die Rollentrennung weniger stark. Im Gegenteil, das »Zusammensein« stellt für die Mittelschicht einen Wert dar.
»In den meisten Familien der Mittelschicht gibt es eine Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau, aber diese generelle Regel wird sehr flexibel gehandhabt: die Frauen der Mittelschicht sehen es als normal an, daß die Ehepartner bei den Arbeiten, die getan werden müssen, einander abwechseln. Es besteht ein viel stärkeres Interesse daran, die Arbeiten zusammen zu tun, ob dies nun das Geschirrspülen, das Renovieren der Wohnung ist; >Gemeinsamkeit< ist weithin ein Mittelschichtwert. Die Frau der Mittelschicht hält es für ganz natürlich, daß sie ihren Ehemann zu vielen Aufgaben, besonders zu solchen, die normalerweise als weiblich angesehen werden, hinzuziehen kann - mehr als ihre Schwester in der Unterschicht dies tun würde. Ebenso macht es ihr weniger aus, männliche Aufgaben zu übernehmen, etwa Reparaturen, Streichen und Gartenarbeit.
>Gewöhnlich wasche ich das Geschirr, aber er kocht zum Erntedankfest und zu Weihnachten und manchmal auch am Wochenende, wenn er nicht zu beschäftigt ist. Er kocht sehr gern, während ich gar nicht so gerne koche. Ihm macht allein schon die Technik Spaß! Oder der Rasen, das ist wirklich ein Familienunternehmen. Er mäht den Rasen selbst, aber das ist für ihn reine Erholung, denn während er im Garten arbeitet, bin ich auch draußen, mit einer Thermosflasche mit Kaffee, und ich unterhalte mich mit ihm, während er mit dem Rasenmäher unterwegs ist.<
>Manche Dinge tun wir zusammen und manche nicht. Zum Beispiel: ich halte den Garten für seinen Bereich, aber ich helfe ihm und springe häufig ein, denn er ist zu häufig in der Stadt beschäftigt, Er kümmert sich um den Wagen und um die Reparaturen, und er baute auch die Garage, aber die Veranda haben wir zusammen gebaut. Ich helfe bei seinen Projekten draußen gewaltig mit, und er läßt seine Basteleien auch sein, wenn ich ihn brauche. Ich kümmere mich um alles, was mit den Kindern zusammenhängt, aber es ist doch so, daß jeder das tut, wofür er besser geeignet ist. Ich bringe sie zur Tanzschule, und er bringt sie zum Fußballplatz.<«[68]
Was die Kontrolle des Haushaltsbudgets betrifft, so zeigen sich - wie alle Studien übereinstimmend bestätigen - klare Unterschiede zwischen Mittel- und Unterschicht. In der Unterschicht liegt die Entscheidung meist bei der Frau allein oder (weniger oft) beim Mann allein, selten jedoch bei beiden Ehepartnern. Die Frau der Unterschicht neigt zu der Annahme: »Sache des Mannes ist es, Geld zu verdienen, Sache der Frau, es auszugeben.« Dabei geht sie davon aus, daß der Mann mit Geld nicht umgehen kann. (Finanzielle Ausgaben werden auch in jenen Arbeiterhaushalten stark von der Frau beeinflußt, in denen der Mann über die Ausgaben entscheidet.) In der Mittelschicht werden die Ausgaben häufiger gemeinsam besprochen. Bei der Planung der Ausgaben hat der Gesichtspunkt der Repräsentation im Hinblick auf die Karriere des Mannes oft eine nicht geringe Bedeutung. Im Gegensatz zur Familie der Unterschicht werden, dem höheren Einkommen entsprechend, auch eher langfristige finanzielle Pläne entwickelt: Ausgaben für Versicherungen, für die Ausbildung der Kinder etc.[69] Der >Brigitte<-Untersuchung von 1973 zufolge verwaltet in der BRD die Frau das Geld in 50% der Familien von ungelernten und angelernten Arbeitern, in 44-34% der Familien von Facharbeitern, unteren Angestellten und Beamten und mittleren Angestellten und Beamten, weniger jedoch in Familien von höheren Angestellten und Beamten, leitenden Angestellten und Beamten und kleineren Selbständigen.[70]
Die empirischen Familienstrukturen sind nicht allgemein auf den Nenner des »Patriarchats« zu bringen. Die rhetorische Dramatisierung des »Antipatriarchalismus« nimmt überwiegend die Situation der städtischen Mittelschicht-Frauen auf und artikuliert deren Unbehagen.
Fassen wir zusammen.
- »Modernisierung« der Familie bedeutet einen Übergang von einem »traditionellen« Familientyp mit hoher geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung (in den Werten und Normen wie im Verhalten) zu einem »egalitären« Familientyp, egalitär in den Werten wie im Verhalten. Ein in der Mittelschicht verbreiteter Typ ist die Familie, in der, vor allem bei den Frauen, egalitäre Normen gelten, faktisch jedoch eine Entscheidungsdominanz des Mannes besteht.
- Die Familienstruktur in der Unterschicht ist eher »parallel« (Aufrechterhaltung der Trennung in geschlechtsspezifische Bereiche) und faktisch wenig patriarchalisch (entgegen den zugleich bestehenden wenig egalitären Normen); die Familienstruktur in der Mittelschicht ist eher »interaktional« (geringere Trennung in geschlechtsspezifische Bereiche), faktisch jedoch häufiger patriarchalisch.