Vom berufsorientiert-strategischen Interesse her [71] lassen sich die qualitativen Strukturen, die Potentiale, Widersprüche und Ambivalenzen im weiblichen Lebenszusammenhang und im darin sich entwickelnden Sozialcharakter nicht erfassen. Es ist auch wenig nützlich, mittels einer Häufung von Merkmalen des »Männlichen« und des »Weiblichen« den Idealtypus der »Weiblichkeit« zu konstruieren,[72] denn auch hieraus folgen kaum Erkenntnisse über die qualitativen Probleme und Widersprüche im Bewußtsein und im Verhalten der Frauen. Das emanzipative Potential der Frauen läßt sich nicht aus idealtypisch entgegengesetzten Merkmalshäufungen (z. B. Emotionalität vs. Leistungsorientierung etc.) erschließen.
Der weibliche Lebenszusammenhang in Haushalt, Familie, Freundes- und Bekanntenkreis und hierauf bezogener Berufsarbeit wird im allgemeinen nicht näher analysiert, obwohl, wie wir im vorangegangenen Kapitel gesehen haben, sich die Frauen (unzufrieden und zugleich protestierend) eindeutig auf diesen Bereich beziehen und darin mit Alltagsroutine eingedeckt sind. Die Probleme der weiblichen Rolle und des weiblichen Sozialcharakters werden nicht aus den widersprüchlichen Strukturen dieses Bereichs verständlich gemacht und soziologisch erklärt; statt dessen werden sie im allgemeinen auf den spezifischen, frühkindlichen weiblichen Sozialisationsprozeß zurückgeführt, in welchem Mädchen im Vergleich zu Jungen weniger Ermutigung zur Unabhängigkeit, mehr elterliche Fürsorglichkeit, weniger kognitiven und sozialen Druck zur Zugrichtung einer eigenen Identität (unabhängig von der Mutter) und mehr Reinlichkeitsdressur erfahren, ohne daß diese Sozialisation selbst noch weiter interpretiert und begriffen würde. Zum Teil kommt man zu kommunikativen Empfehlungen für das Verhalten der Mütter, denen weniger Permissivität angeraten wird: um identitätsstarke Persönlichkeitsstrukturen zu produzieren, sollen die Mütter ihre Töchter weniger als hilflose, Schutz benötigende Wesen behandeln. Es bleibt jedoch die Frage offen, aus welchen Gründen die Mütter faktisch zwischen einer weiblichen (hilflosen, schutzbedürftigen, Ordentlichkeit und Sauberkeit betonenden) und einer männlichen (stärker leistungs- und konkurrenzorientierten, durch Disziplinierung Identität aufbauenden) Rolle unterscheiden. Sie übernehmen eine derartige Rollendifferenzierung sicherlich aus der Tradition, zweifellos aber auch aufgrund eigener Erfahrung; beide bilden sich in der im weiblichen Lebenszusammenhang vorherrschenden Produktion heraus. Die praktischen »Prämissen« der Geschlechtsrollen-Sozialisation scheinen durch die im weiblichen Lebenszusammenhang vorhandene Produktion bestimmt zu sein.
2.1. Produktion
Im Sinne der Politischen Ökonomie ist die Tätigkeit der Frauen in den Bereichen Haushalt, Familie, Erziehung und Geselligkeit unproduktiv .[73] Häufig entsteht aus der ökonomischen Analyse - durch falsche Gleichsetzung produktiver Arbeit mit gesellschaftlich notwendiger Arbeit - die Auffassung, der nicht unmittelbar wertbildende Interesse- und Arbeitsbereich des »Privatlebens« (in dem die Frauen arbeiten und an dem sie sich orientieren) sei »unkreativ«:
»Obwohl die Alltäglichkeit das Schicksal der meisten unserer Zeitgenossen bestimmt - diese Unfähigkeit zum Schöpferischen, die als einziges Ventil, um aus der Welt der Zwänge und Terrorismen zu entkommen, nur die Erholung kennt - so hat die Frau darunter doppelt zu leiden. Sie lebt im Kern der Alltäglichkeit, denn in den meisten Fällen ist sie dessen Verwalterin. Außerhalb der produktiven Arbeit, die nur für 35% der Frauen im arbeitsfähigen Alter von Bedeutung ist, sind die sogenannten weiblichen Tätigkeiten im wesentlichen unkreativ .«[74]
Der Begriff der Produktion impliziert jedoch nicht nur materielle Güterproduktion, sondern immer zugleich die Produktion von Lebenszusammenhängen: von Sozialisationsagenturen, von sozialen Beziehungen, von Öffentlichkeit etc. Produktion ist gesellschaftlich notwendige Tätigkeit. Unter den Bedingungen der bürgerlichen Gesellschaft steht die Warenproduktion so sehr im Vordergrund, daß sie den allgemeinen Begriff der Produktion verdeckt.
»Wenn man zu den Quellen zurückgeht, nämlich zu den Marxschen Jugendwerken (ohne jedoch das Kapital beiseitezuschieben), gewinnt der Begriff Produktion wieder einen weiten und starken Sinn. Dieser Sinn spaltet sich. Die Produktion reduziert sich nicht auf die Herstellung von Produkten. Der Begriff bezeichnet einerseits die Erschaffung von Werken (einschließlich der sozialen Zeiten und Räume), kurzum die >geistige< Produktion, und andererseits die materielle Produktion, die Herstellung der Dinge. Er bezeichnet auch die Produktion des >menschlichen Seins<, durch es selbst, im Laufe seiner historischen Entwicklung. Das impliziert die Produktion der gesellschaftlichen Beziehungen. Schließlich umfaßt der Ausdruck, im weitesten Sinne, die Reproduktion. Es gibt nicht nur die biologische Reproduktion (die zur Demographie gehört), sondern auch die materielle Reproduktion der zur Produktion notwendigen Werkzeuge, Instrumente und Techniken, und außerdem die Reproduktion der gesellschaftlichen Verhältnisse, Die einer Gesellschaft inhärenten gesellschaftlichen Verhältnisse bleiben bestehen, bis eine Zerstörung sie zerbricht; aber nicht aus Trägheit, passiv. Sie werden in einer komplexen Bewegung reproduziert. Wo geschieht diese Bewegung, diese Produktion, deren Begriff sich verdoppelt oder sich vielmehr derart multipliziert, daß er die Handlung über die Dinge und über die menschlichen Wesen, die Herrschaft über die Natur und die Aneignung der Natur in bezug auf und durch das menschliche >Sein<, die Praxis und die Poiesis, erfaßt? Diese Bewegung spielt sich nicht in den hohen Sphären der Gesellschaft ab: im Staat, in der Wissenschaft, in der >Kultur<. Im täglichen Leben liegt der rationelle Kern, das wirkliche Zentrum der Praxis.[75] Der Begriff der gegenständlichen Tätigkeit, »wie ihn Marx kritisch aus einer Synthesis des traditionell kontemplativen Materialismus und des aktivisch, aber nicht sinnlich tätigen Idealismus in der ersten Feuerbachthese entfaltet, soll sich bei Marx keineswegs [...] auf Arbeit als instrumentales Handeln des unmittelbaren Stoffwechsels zwischen den Menschen und der Natur beschränken, sondern zugleich auch das Verhältnis der miteinander verkehrenden Subjekte umfassen.«[76]
Auf diesen Zusammenhang hinzuweisen, ist für die Frage nach dem Bewußtsein und den Möglichkeiten der Frauen notwendig, da ihre speziellen Fähigkeiten sich im Rahmen der Familie arbeitsteilig entwickelt haben. Die Deformationen wie die Entwicklung von Fähigkeiten müssen als Element gesellschaftlich notwendiger Produktion begriffen werden. Sie können an der arbeitsteiligen Spezialisierung technischer Fertigkeiten und den zugehörigen Verhaltensmöglichkeiten, wie sie im industriellen Bereich entstehen, gar nicht gemessen werden.
Im Sinne dieses erweiterten Begriffs von Produktion wird im Rahmen des weiblichen Lebenszusammenhangs auch produziert: Es werden nicht nur in der Hausarbeit und der Kindererziehung bestimmte quantifizierter Leistungen erbracht, sondern gerade in der Produktionsweise der Frauen - in Erziehung und Kommunikation - spielt die Produktion sozialer Beziehungen und »immaterieller Produkte« eine entscheidende Rolle.
Die Produktionsweise, die sich in diesem Bereich erhält, ist unentwickelter und fortgeschrittener zugleich: Die repetitiven Handlungen im Bereich der Güterproduktion als einem Bereich institutionalisierter Neuerung stehen in einem objektiven Zusammenhang der organisierten Veränderung, neuer Zusammenfassungen von Tätigkeiten, einer fortschreitenden Akkumulation von Wissen. Die Produktion, die typischerweise von der Frau geleistet wurde und wird, stellt demgegenüber eine niedrigere Stufe von Vergesellschaftung der menschlichen Beziehungen dar. Dies drückt sich in einer geringeren Teilung der Arbeit, aber auch in einer geringeren Abstraktion von konkreten Bedürfnissen und Interessen aus. Menschen können als besondere Personen, nicht nur als Inhaber von bestimmter gesellschaftlichen Positionen wahrgenommen werden.
2.2. Produktivkräfte
Im Rahmen dieser Produktion haben sich bestimmte, den Frauen eigentümliche Produktivkräfte [77] entwickelt und wenn auch nur in rudimentärer Form - bewahrt: Fähigkeiten »bedürfnisorientierter« Kommunikation. Unter »Bedürfnisorientierung« verstehen wir hier eine im weiblichen (eher als im männlichen) Erfahrungsmodus strukturell angelegte (nicht in jedem Einzelfall ausgeprägte) Möglichkeit und Fähigkeit zu expressivem, nicht-instrumentellem Verhalten, zu einem Verhalten, das nicht in erster Linie an der Verwirklichung künftiger definierter Ziele als vielmehr an der Strukturierung des unmittelbaren »Stroms von affektiver Zuwendung« und an der Abwendung unmittelbarer Bedrohungen orientiert ist.[78] Am deutlichsten wird dies in der Mutter-Kind-Beziehung:
»In den Umgangsformen gelungener Mutter-Kind-Beziehung hält sich eine Produktionsweise durch, die man als einen Rest matriarchalischer Produktionsweise ansehen kann. Es ist falsch, sie allein auf Vorgänge im Hormonhaushalt, einen bloß biologisch begründeten >Mutterinstinkt< zurückzuführen. Vielmehr verteidigt sich hier eine auf Bedürfnisbefriedigung gerichtete eigene Produktionsweise der Frau (>das Kind nach seinen Fähigkeiten behandeln, seine Bedürfnisse um jeden Preis stillen<) gegenüber der patriarchalen und kapitalistischen Umwelt. Diese Produktionsweise ist den Mechanismen ihrer Umwelt absolut überlegen, aber vom Vergesellschaftungsgrad der gesamtgesellschaftlichen Kommunikation abgeschlossen. In der Überlegenheit dieser Produktionsweise liegt der eigentliche Emanzipationsanspruch der Frau: sie verfügt, wie immer unterdrückt und verformt, über Erfahrungen in einer überlegenen Produktionsweise, sobald diese das Ganze der Gesellschaft erfassen könnte.«[79]
Der Prozeß zwischen Mutter und Kind besteht in einer wechselseitigen Einigung, die ein eigenes Zeitmaß hat und in die die Anforderung abstrakter Normen (z. B. rigide Reinlichkeitsdressur) zerstörerisch eingreifen.[80] Das ist der reale Aspekt des utopischen Charakters, den die Mütterlichkeit, die Mutter als Bild des Friedens hat. In der Mutter-Kind-Symbiose geht es um mehr als um ordnungsgemäße Pflege. Säuglingsernährung z. B. ist nicht einfach Zufuhr von Nahrung, die eine bestimmte geschickte Technik erfordert:
»Die Säuglingsernährung ist nur ein Teil, zwar ein sehr wichtiger Teil der Beziehung zwischen zwei Menschenwesen. Diese zwei, die Mutter und das Neugeborene haben die Bereitschaft, durch ein ungeheuer machtvolles Band der Liebe miteinander vereint zu werden. [...] Wenn es zu einem gegenseitigen Einvernehmen gekommen ist - was bei den einen sofort dasein kann, bei anderen erst nach inneren Konflikten -, verlassen sie sich aufeinander und verstehen einander, und die Ernährung kann sich selbst überlassen werden.«[81]
Die Beziehung zwischen Mutter und Kind verlangt von der Mutter die Fähigkeit und Bereitschaft, eine Liebesbeziehung aufzubauen. Diese Liebesbeziehung, die Identifikation mit dem Säugling, ermöglicht es der Mutter, zahlreiche präverbale Signale, die das Kind als Ausdruck seiner Bedürfnislage sendet, angemessen wahrzunehmen und zu beantworten.
»Sie werden verstehen, was es zu bedeuten hat, wenn es seinen Kopf wegdreht und zu trinken verweigert, oder wenn es statt zu trinken in Ihren Armen einschläft, oder wenn es unruhig wird und nicht ordentlich saugen will. Es ist nur durch seine eigenen Gefühle verängstigt, und hier können Sie ihm wie niemand anders durch Ihre große Geduld helfen, indem Sie ihm erlauben zu spielen, die Brustwarze zu belecken oder sie zu greifen. Wenn der Säugling alles tun darf, was ihm irgendwie Spaß macht, ist er zuletzt bereit, das Risiko auf sich zu nehmen und zu saugen.«[82]
Die Mutter-Kind-Beziehung ist eine Liebesbeziehung gleichsam vor allem Inhalt. In sie greifen jedoch schon frühzeitig Momente der Reinlichkeitsdressur und repressive, geschlechtsspezifische Rollenvorstellungen ein.[83] Hinter der Formulierung der natürlichen Liebe, dem natürlichen Wissen und Verstehen der liebevollen Mutter steht bei Winnicott zugleich die Forderung nach der Freiheit und Entfesselung dieser Produktivkräfte: die Forderung nach der »Gesundheit« der Mutter und dem Rahmen an Ruhe und Zeit, den sie als äußere Bedingung braucht, um eine befriedigende Beziehung mit dem Kind aufbauen zu können.[84] Gesundheit und Liebesfähigkeit der Mutter sind die Bedingungen für die Gesundheit, die seelische wie die physische, des Kindes und für das subjektive Glück der Mutter in dieser Beziehung. Die Mutter-Kind-Beziehung ist das Beispiel einer sozialen Beziehung, in der Einigung nicht durch formalisierte Regeln, sondern durch Verstehen, durch Einfühlen zustande kommt, und die auf diese Weise eine Einheit der Interessen herstellt. Der weibliche Sozialcharakter ist durch eine geringere Abgrenzung eigener Gefühle, eigener Interessen von denen anderer charakterisiert.
Die Elemente der im weiblichen Lebenszusammenhang strukturell angelegten (also nicht von jeder einzelnen Frau ausgeübten) bedürfnisorientierten, kommunikativen Produktionsweise sind ein Teil des weiblichen Erfahrungsmodus und des weiblichen Sozialcharakters überhaupt - wobei allerdings die Elemente dieser Bedürfnisorientierung stets unentwickelt, schwach bleiben, in der Form, in der sie empirisch auftreten, also keineswegs zu idealisieren sind:[85] Ein entscheidendes Element des Alltagslebens der meisten Frauen ist, daß die Trennung von geistiger und körperlicher Arbeit in ihren Tätigkeiten nicht entwickelt ist. Daraus erklärt sich unter anderem ihre »instinktive« Ablehnung und Verständnislosigkeit gegenüber »abstrakten« Zusammenhängen. Tendenziell ist der Erfahrungsmodus der Frauen (mit allen Schwächen) jedoch bedürfnisorientiert (an konkreten Dingen und Personen orientiert und meist wenig instrumentell) - wobei allerdings die empirischen Untersuchungen die Dimension der »Bedürfnisorientierung« qualitativ kaum näher erforschen: Frauen bevorzugen vor allem Arbeiten, die Umgang mit Menschen statt mit Sachen und Symbolen beinhalten. Sowohl jugendliche als auch erwachsene Frauen zeigen weniger Leistung- als vielmehr gruppenbezogene Motive.[86]
»Schon im Vorschulalter zeigen Mädchen eine andere Orientierung gegenüber intellektuellen Aufgaben als Jungen. Mädchen wollen gefallen; sie arbeiten, um Liebe und Anerkennung zu finden; wenn sie begabt sind, unterschätzen sie ihre Fähigkeiten. Jungen verhalten sich aufgabenorientierter; sie zeigen mehr Selbstvertrauen, und bei ihnen ist ein steigender IQ wahrscheinlicher. Mädchen haben mehr Angst als Jungen, und ihre Angst ist allgemein für ihre Leistungsfähigkeit dysfunktionaler als das bei Jungen der Fall ist. Es gibt auch Unterschiede in den spezifischen Geschicklichkeiten: Jungen zeichnen sich durch bessere räumliche Wahrnehmung, besseres Rechnen, bessere Informiertheit aus und zeigen weniger Umweltabhängigkeit; Mädchen zeichnen sich durch die Fähigkeit zur schnellen Wahrnehmung von Details, Flüssigkeit der Sprache, Fähigkeiten zum Auswendiglernen und durch Fähigkeiten zur schriftlichen Artikulation aus.[87]
Weibliches Leistungsverhalten ist weit mehr durch den Wunsch nach Liebe und Anerkennung als durch den Willen motiviert, eine gestellte Aufgabe zu »meistern«. (Unterschiedliche Schulleistungen folgen hieraus nicht, denn gute Schulleistungen werden durch Liebe und Anerkennung von Eltern, Lehrer, Mitschülerinnen belohnt.) Es wäre jedoch falsch, Weiblichkeit mit »Passivität« und Männlichkeit mit »Aktivität« gleichzusetzen, denn die Qualität des weiblichen Erfahrungsmodus hat durchaus aktive Komponenten: Die Ambitionen der Frauen richten sich mehr auf Individuierung durch persönliche Stilisierung, die der Männer mehr auf Ziele, die Aufschub von Gratifikationen erfordern. Unter Individuierung wird von den Frauen die Anstrengung verstanden, sich von anderen zu unterscheiden und sozial Aufmerksamkeit zu erregen.[88] Während Schulbildungs- und Berufsehrgeiz bei den Männern vor allem mit materiellem Ehrgeiz verbunden ist, korrelieren die beruflichen und die Karriere- Aspirationen von Frauen weniger mit materiellen Erwartungen.[89] Bei experimentellen Spielen verhalten sich Frauen anders als männliche Versuchspersonen, nämlich versöhnlich; sie schlagen zum Beispiel vor, die Preise des Spiels bereits vor Spielbeginn zu verteilen (statt sie dem Gewinner zu geben), und sie machen altruistische Angebote dort, wo die Spielregeln Konkurrenzverhalten vorschreiben. Sie verändern also jene Spiele, in denen es darum geht, durch Überlistung der anderen zu gewinnen.[90] In diesen Zusammenhang gehört auch das Desinteresse bzw. die Ablehnung, mit der fast alle Frauen dem Leistungssport begegnen.[91] Aber auch das berufliche »achievement motive« karriereorientierter Frauen ist nicht unmittelbar dem der Männer vergleichbar. Meist suchen karriereorientierte Frauen materielle Gratifikationen (also Geld und ökonomische Sicherheit, die grundlegende materielle Versorgung) über den Beruf des Mannes. Die Berufskarriere der Frau der Mittelschicht zielt vorab auf andere, teilweise immaterielle Belohnungen wie zum Beispiel ästhetische und intellektuelle Befriedigungen. Solange eine Frau die Möglichkeit dazu hat, sucht sie gutes Leben, Konsum, Status und materielle Sicherheit über den Mann und ästhetische und intellektuelle Belohnungen über ihren Beruf.[92]
Die »Produktivkräfte« der Frau enthalten eine kulturelle (soziale und psychische) Komponente: Arten und Weisen der Wahrnehmung, der Phantasie, der Spontaneität, der Imagination.[93] Auch wenn der Mann Entscheidungen der Familie nach außen vertritt und faktisch auch noch immer seine Zustimmung erforderlich ist, ist die Ausgestaltung des familialen Bereichs, der Charakter der Wohnung, der Kleidung, des Essens, also des Alltags, vor allem Ausdruck der weiblichen Aktivität (auch bei den berufstätigen Frauen); ebenso die Formulierung von Wünschen nach Ausstattung, Kleidung, Möbeln, Ausflügen etc. (mögen diese auch nur als Wünsche in Erscheinung treten). Da die Frau allgemein die Wünsche vertritt, ist sie »Königin« des Konsums, der Werbung, ihr Körper, ihr Lächeln das Symbol der Wunscherfüllung im Konsum. Das Imaginäre ist also in besonderem Maße mit der Alltäglichkeit der Frauen verbunden. Einerseits bedeutet ihr Ausschluß aus dem System der beruflichen Konkurrenz eine Verringerung der Möglichkeit der kooperierenden Aneignung von Wirklichem; andererseits versucht die Frau (je nach Ressourcen unterschiedlich), sich selbst - für sich und für die Männer - zum Objekt der Imagination zu machen. Das Bild, das die Frau traditionellerweise von sich im Mann hervorzurufen sucht, um ihn zu beeindrucken, ihn verliebt zu machen, ist in bestimmten Rollenattributen festgelegt. Diese Attribute sind durch Schichtlage differenziert (Mode, Differenziertheit der Kleidung etc.) und bedeuten trotz ihres restringierten Charakters unter den gegenwärtigen Bedingungen zugleich eine Zulassung und Veröffentlichung von Phantasie und spielerischem Bezug auf sexuelle Wünsche im weiblichen Leben.
Wenn man das Element der Bedürfnisorientierung betont, so darf man, wie gesagt, nicht vergessen, daß es sich hierbei nicht um entfaltete Formen handelt, sondern eher um strukturell angelegte Tendenzen, die häufig von einer generellen Ich-Schwäche begleitet sind. Das größere Interesse an sozialen Beziehungen, das die Frauen bekunden, ist stets mit einer größeren Abhängigkeit von Gruppen gekoppelt. Mädchen sind, verglichen mit Jungen, im allgemeinen konformistischer, leichter zu beeinflussen und abhängiger von der Meinung anderer. Die empirischen Untersuchungen bestätigen zwar, daß der wichtigste Bestandteil der Idealrolle der Frau und Mutter die Komponente »Love and Affection« ist: die Bereitschaft, auf die emotionalen Bedürfnisse anderer einzugehen, das Vermitteln emotionaler Sicherheit und Wärme. Zugleich jedoch hat die Komponente »Maintainance of Self « (die Komponente der persönlichen Identität) - in der idealen Definition der weiblichen Rolle durch die Frauen selbst - die geringste Bedeutung: Beschäftigung mit der eigenen Person, Aussehen, eigene intellektuelle und emotionale Identität werden am wenigsten als Bestandteil der Idealrolle der Frau und Mutter angesehen.[94] Frauen sind auch (nach psychologischen Tests) konformistischer in bezug auf politische Haltungen und auf Norm- und Glaubensvorstellungen.[95] Wegen ihrer emotionalen Abhängigkeit entwickeln sie nicht oder nur schwer die Fähigkeit, analytisch zu denken. Analytisches Denken setzt eine gewisse Unabhängigkeit voraus, die abhängige Personen, die auf Stimuli aus ihrer Umgebung angewiesen sind, nicht entwickeln können.[96] Analytisches Denken bedeutet die Fähigkeit, zu trennen, zu gliedern, Objekte zu umreißen, Problemzusammenhänge zu strukturieren. Bei Frauen findet man häufig die Tendenz zur passiven Durchführung von Aufgaben und wenig Neigung zur selbständigen Umorganisation von Zusammenhängen und zur objektiven Analyse von Relationen.[97] Eine Untersuchung über amerikanische Collegestudentinnen zeigte, daß Frauen, die auf einer Skala der Ich-Stärke (Sinn für Realität, persönliches Mit-den-Dingen-Fertigwerden [98]) hoch rangieren, eine definitive Berufsorientierung aufweisen, Frauen dagegen, die auf der Ich-Stärke-Skala niedriger rangieren, auch in ihren Berufsorientierungen vage und diffus sind; ihre privaten Träume zeigen sich eher in folgender charakteristischer Äußerung:
»Reisen - oder weit weg von zu Hause leben, ohne arbeiten zu müssen, es sei denn, es ist einem danach. Aber ich bin mir auch nicht sicher, ob ich nicht lieber glücklich und leicht Erfolg in einem Beruf haben möchte, in dem ich mit anderen Leuten zusammenkomme. Ach, ich habe so viele private Träume - wahrscheinlich möchte ich einfach von sehr guten Freunden umgeben sein.«[99]
Ich-Stärke ist in dieser Studie von vornherein durch »männliche« Kriterien wie das der Fähigkeit zu Konkurrenzverhalten und durch die Attribute der männlichen Berufsrolle definiert, was zweifellos eine Verzerrung ergibt. Von einem weniger verengten Begriff von Ich-Stärke her ließe sich die zitierte Äußerung, die ja einen Wunsch nach befreiter Arbeit und befreiter Kommunikation ausdrückt, durchaus als ichstark bezeichnen. Andererseits aber erwiesen sich die im Rahmen der in dieser Studie vorliegenden (an den Kriterien der Berufsorientierung orientierten) Ich-Stärke-Skala niedrig rangierenden Frauen als unfähig zum Handeln und Planen, fixiert auf bestimmte Lokalitäten und Situationen; die hoch rangierenden Frauen dagegen waren in bezug auf Karriere höchst realitätstüchtig; sie fixierten sich nicht auf Situationen, vereinbarten Berufsleben und Privatleben ohne Schwierigkeiten, ließen sich immer noch Möglichkeiten und Wege offen:
»Die wenig >ichstarken<, auf der Ich-Stärke-Skala niedrig rangierenden Personen erwiesen sich (im allgemeinen wie im spezifischen Sinn) als besonders abhängig. Sie schienen sich nicht nur mehr auf andere zu verlassen, sondern viele von ihnen waren auch unfähig, sich von der gegenwärtigen Situation hinreichend unabhängig zu machen, wenn es darum ging, Bedürfnisse und angemessene Mittel zur Bedürfnisbefriedigung zu bestimmen. Eine wenig ichstarke Frau, die befragt wurde, sagte zum Beispiel, daß sie in der Stadt bleiben möchte, in der ihr früherer Freund wohnt, und das, obwohl sich beide längst getrennt hatten. Auch auf der Ich-Stärke-Skala hoch rangierende Personen machten Pläne, die ihr Interesse an einem Mann in Betracht zogen, aber sie behielten sich mehrere Möglichkeiten vor, statt sich auf eine einzige Möglichkeit, noch dazu mit ungewissem Ausgang, zu fixieren. So beschloß zum Beispiel eine Studentin, eine nahe gelegene Schule zu besuchen, damit sie und ihr Freund sich besser entscheiden könnten, ob sie zusammen paßten; da sie nicht sehr optimistisch hierüber dachte, machte sie sowohl Pläne für den Fall, daß die Beziehung sich entwickeln würde, als auch Pläne für alternative Interessen und Beziehungen. Eine andere ichstarke Frau beschloß, nicht in ein Entwicklungsland zu gehen, um nicht zwei Jahre von einem >boy in America< getrennt zu sein. Die typische ichschwache Frau hatte mehr Schwierigkeiten, ihre eigenen Bedürfnisse herauszufinden, sich auf eigene Füße zu stellen und sich Alternativen offenzuhalten.«[100]
Von dieser Ambivalenz von Bedürfnis- und Gruppenbezogenheit und Ichschwäche im weiblichen Erfahrungsmodus geht auch etwas in die Geschlechtsrollen-Stereotypen ein, die den Frauen einerseits Sensibilität, Intuition, Freundlichkeit etc., andererseits Hysterie, Kapriziosität, Inkohärenz, Schwatzhaftigkeit, das Bedürfnis, zu vertrauen und zu gefallen, Passivität und Ichschwäche bescheinigen.[101]
Selbst wenn also bestimmte Fähigkeiten der Bedürfnisorientierung, der Kommunikation, der Imagination in der von den Frauen geleisteten Produktion angelegt sind, lassen sich die empirischen Verhaltensweisen und das empirische Bewußtsein der Frauen nicht idealisieren. Der Begriff der »Produktivkraft« fällt nicht ohne weiteres mit den empirischen Bedürfnissen und Interessen der Frauen zusammen. In den Verhaltensweisen und Vorstellungen der Frauen wirken die im weiblichen Lebenszusammenhang bestehenden Produktionsverhältnisse bis in die Ängste und sexuellen Verdrängungen hinein fort.
2.3. Produktionsverhältnisse
Die weiblichen Produktivkräfte sind nicht entwickelt. Die Einheit von körperlicher und geistiger Arbeit, die sich in der »vorindustriellen« Produktionsweise der Frau in Haushalt und Familie erhalten hat, läßt auf dieser Stufe wiederum keine Entfaltung der Produktivkräfte zu (die Zugang zu Wissen und Kooperation voraussetzt). Die im weiblichen Lebenszusammenhang bestehende Produktionsweise, in der sich bestimmte Produktivkräfte entwickelt und rudimentär bewahrt haben, ist durch spezifische Produktionsverhältnisse geprägt: die den Frauen eigene Produktionsweise hat sich im Rahmen traditioneller Machtstrukturen und abhängiger Arbeit vollzogen. Beide Faktoren haben die Entfaltung von Bedürfnisbezogenheit und Imagination verhindert. Die Produktivkräfte der Frau werden in den Produktionsverhältnissen des weiblichen Lebenszusammenhangs sowohl rudimentär entwickelt und bewahrt als auch gefesselt.
Wesentliches Element der Produktionsverhältnisse [102] im weiblichen Lebenszusammenhang ist die alltägliche Organisation der Arbeit in Haushalt und Familie. Die Hausarbeit ist notwendige Arbeit. Solange diese Arbeit nicht von Dienstleistungsbetrieben übernommen wird, ist die Stundenzahl, die in einer durchschnittlichen Familie dafür aufgewendet werden muß, beträchtlich. Fast alle Frauen ob berufstätig oder nicht - fühlen sich für den Haushalt, d. h. vor allem für Ordnung, Sauberkeit der Kleidung, der Wohnung und für das Essen verantwortlich. Dies sind die besonders repetitiven Teile der Hausarbeit.
Zur Gruppe der verheirateten Hausfrauen - also jener Frauen, die am stärksten mit Haushalt und Kindererziehung beschäftigt sind - zählen in der Bundesrepublik vor allem die Altersgruppen der 30-40-jährigen , 40- 50-jährigen und (viel weniger) die der 25-30-jährigen.[103] In der Bundesrepublik machen 92% der Hausfrauen ihre Hausarbeit allein; 5% haben eine Stundenhilfe, und noch weniger Frauen werden von der Mutter, Schwiegermutter oder anderen Verwandten unterstützt. 1-4 Hausfrauen versorgen meist einen Drei-Personen-Haushalt (ein Viertel der Befragten), einen Vier-Personen-Haushalt (ein Drittel der Befragten) und ein Fünftel einen größeren Haushalt.[104] Die Haushalte der Frauen vor allem von ungelernten und angelernten Arbeitern sind im Durchschnitt am größten: 44% dieser Frauen haben fünf und mehr Personen zu versorgen. Am kleinsten sind die Haushalte der Facharbeiter sowie der Angestellten und Beamten (die Frauen von kleinen Selbständigen, von selbständigen Unternehmern und von akademischen Selbständigen haben dagegen ebenfalls zu einem hohen Anteil (ca- 35-40%) Haushalte mit fünf und mehr Personen).[105]
Was macht die Alltagsroutine aus? Da sind zunächst die Hausarbeiten, die geleistet werden müssen: die Zubereitung der Mahlzeiten, das Geschirrspülen, das Aufräumen und Säubern der Wohnung, das Wäschewaschen, Bügeln und Einkaufen. Es sind dies die in ihrer repetitiven Struktur als ermüdend und langweilend empfundenen Tätigkeiten. In der >Brigitte<-Studie von 1973 [106] ergab sich hierbei folgendes Zeitbudget (beruhend auf den relativ unklaren Angaben der Hausfrauen selbst): Für die meisten Hausfrauen in der Bundesrepublik beginnt der Tag zwischen 6 und 7 Uhr früh und endet zwischen 22 und 23 Uhr. Für Hausarbeit (dazu gehört nicht Kindererziehung) benötigen 10% der befragten Hausfrauen bis zu drei Stunden am Tag, 55% bis zu 6 Stunden, 24% bis zu 9 Stunden und 11% zehn und mehr Stunden. Frauen mit 4 und mehr Kindern putzen häufig zweimal pro Woche die Wohnung; jede zweite Frau mit einem Kind und )ede zweite Frau mit zwei Kindern (unabhängig vom Beruf des Mannes) sagte, sie putze die Wohnung in der Woche zweimal gründlich. Insgesamt verbringen zwei Drittel der Hausfrauen ca. 30 Stunden pro Woche mit Hausarbeiten.
»Der größte Posten im Zeitbudget ist die Herstellung der Mahlzeiten. Zwei Drittel der Befragten setzen täglich drei Mahlzeiten auf den Tisch, jede fünfte vier. 61 Prozent brauchen für diese Leistung bis zu 15 Stunden pro Woche, 38 Prozent mehr als 15 Stunden. Den nächsten Platz nimmt das tägliche Aufräumen einschließlich Bettenmachen und Putzen ein. Damit verbringen 72 Prozent wöchentlich bis zu 5 Stunden, 29 Prozent mehr. Alle anderen Arbeiten werden von der Majorität in weniger als 15 Wochenstunden getan. Geschirrspülen und Aufräumen der Küche wurden von 66 Prozent mit weniger als 10 Stunden angesetzt, von 34 Prozent höher. Einen gründlichen Wohnungsputz nehmen über zwei Drittel der Befragten einmal in der Woche vor, 25 Prozent zweimal. Er beansprucht bei 77 Prozent bis zu 10 Wochenstunden, bei 13 Prozent eine längere Zeit. Für Routineeinkäufe brauchen 81 Prozent bis zu 5 Stunden in der Woche, 19 Prozent mehr. Ein Drittel der Frauen wäscht wöchentlich einmal, ein Viertel zweimal, ein Fünftel dreimal. 11 Prozent sind damit in weniger als 5 Wochenstunden fertig, mit dem Bügeln 95 Prozent.
Nach dem Zeitaufwand ergibt sich also folgende Rangfolge der Hauptverrichtungen:
Zubereitung der Mahlzeiten
Tägliches Aufräumen
Geschirrspülen und Küchenreinigung
Gründlicher Wochenputz
Einkaufen
Waschen
Bügeln.«[107]
Von der Werktagsroutine weicht der Samstag ab. Ein normaler Arbeitstag ist er für ein Drittel der Hausfrauen, wobei er allerdings desto mehr den Charakter eines üblichen Arbeitstages annimmt, je mehr Kinder vorhanden sind. Der Sonntag ist ein »besonderer Tag»; hier fallen nur drei Arbeiten an: Kochen, Spülen und Aufräumen, die von zwei Dritteln der Hausfrauen besorgt werden. Ein Fünftel beschränkt sich auf die Zubereitung von Mahlzeiten und den Abwasch. Die anderen Arbeiten der Alltagsroutine (Putzen, Waschen, Flicken) fallen dagegen weg.
Haushaltsgeräte (wenn auch nicht die »gehobenen«) sind zu einem beträchtlichen Anteil bei den Hausfrauen der BRD vorhanden. So haben die Hausfrauen nach der >Brigitte<- Studie von 1973 in ihrem Haushalt:
Staubsauger | 94 Prozent |
Kühlschrank | 94 Prozent |
Waschmaschine | 88 Prozent |
Gefriertruhe | 46 Prozent |
Nähmaschine | 16 Prozent |
Geschirrspülautomat | 14 Prozent |
Bohnermaschine | 11 Prozent |
Bügelmaschine | 16 Prozent |
Wäschetrockner | 5 Prozent |
Zeiteinsparungen beim Waschen und Bügeln sind durch Haushaltsmaschinen und synthetische Textilien möglich geworden.
Zur Hausarbeit gehören jedoch nicht nur die Zubereitung von Mahlzeiten, das Aufräumen und die gründliche Säuberung der Wohnung, das Einkaufen, Waschen und Bügeln, sondern auch die gelegentliche Herstellung von Kleidung, das Tapezieren und das Konservieren von Nahrungsmitteln. Mit der Konservierung von Lebensmitteln durch Einkochen oder Einfrieren beschäftigen sich 70% der befragten verheirateten Hausfrauen. Jede dritte Hausfrau näht regelmäßig für sich oder die Familie, jede fünfte gelegentlich. Die Hälfte der Hausfrauen macht häufig Handarbeiten, ein Fünftel gelegentlich. 50% geben an, sie würden selbst tapezieren, und fast drei Viertel machen sich regelmäßig und 11% manchmal ihre Frisur selbst.
Einen beträchtlichen weiteren Teil der Hausarbeit macht die Versorgung der Kinder aus. Fast zwei Drittel der westdeutschen verheirateten Hausfrauen haben für ein Kind oder für mehrere Kinder unter 6 Jahren zu sorgen.
»Es betreuen im eigenen Haushalt
25 Prozent Kinder unter 3 Jahren
33 Prozent Kinder von 3 bis unter 6 Jahren
51 Prozent Kinder von 6 bis unter 14 Jahren
35 Prozent Kinder von 14 und mehr Jahren.
(Da drei Viertel der Befragten mehr als ein Kind bei sich haben, addieren sich die Prozentsätze auf über hundert.) Fast drei Viertel der Frauen haben ein Schulkind oder mehrere Schulkinder bei sich. jede fünfte hat ein Kind oder mehrere Kinder im Kindergarten. Im einzelnen haben von den Befragten ein Kind oder mehrere Kinder in Kindergarten 21 Prozent
Volksschule 42 Prozent
Realschule 11 Prozent
Höhere Schule 18 Prozent
Hochschule 5 Prozent
Fachschule 3 Prozent
Berufsschule 8 Prozent.«[108]
Für die Pflege der Kinder (füttern, wickeln, baden, beaufsichtigen beim Spielen und bei den Schularbeiten) wenden die meisten Frauen täglich zwei bis drei Stunden auf (der Rest der Frauen mehr). Für sämtliche Hausfrauen- und »Mutterarbeiten« ergibt sich so eine durchschnittliche Beanspruchung von maximal 9 Stunden; rechnet man den Sonntag hinzu, so kommen die Hausfrauen, soweit sie sich auch noch um Kinderpflege kümmern, im Durchschnitt auf eine Arbeitswoche von 55 bis 60 Stunden. Zu den für die Kinder erforderlichen Leistungen gehört vor allem die Hilfe bei den Hausaufgaben. Wie die >Brigitte<-Studie ausweist, haben nahezu zwei Drittel aller befragten Hausfrauen Schulkinder in ihrer Familie. 71% der Frauen helfen bei den Hausaufgaben (28% helfen nicht), meist etwa eine Stunde täglich oder mehr. Das Ausmaß der häuslichen Hilfe bei den Schulaufgaben ist, wie die Untersuchung ergab, nicht an Schichtunterschiede gebunden.
Zur Alltagsroutine der Frau gehört es auch, daß die Freizeit der Männer von der Notwendigkeit ihrer Regeneration begrenzt ist. Die Situation wird in der >Brigitte<-Studie von 1973 beschrieben:
»Die meisten Männer: 55 Prozent, sind bis 18 Uhr wieder zu Hause [...]. 24 Prozent kommen später, und 17 Prozent kehren zu verschiedenen Zeiten zurück. Sie sind auf Montage, haben Schichten, befinden sich häufig auf Reisen oder müssen anderweitig wechselnde Termine wahrnehmen. Die Zeit nach der Berufsarbeit nutzen sie meist für Erholung und häusliche Tätigkeiten. (Da mehrere Antworten möglich waren, addieren sich die Zahlen auf über 100 Prozent.) >ln der Regel< erholen sich zunächst 66 Prozent - sie schlafen, lesen, sitzen vor dem Fernsehapparat oder sind mit Freunden zusammen. 54 Prozent arbeiten in der Wohnung, am Auto, im Garten, 35 Prozent widmen sich den Kindern. Ziemlich hoch im Kurs steht auch der Sport. Aktiv befaßt sich damit >in der Regel< jeder Fünfte nach der Arbeitszeit. Wirklich anstrengenden Aufgaben gehen nur wenige nach: 9 Prozent verdienen nebenher, beginnen also nach Dienstschluß mit einer neuen Erwerbsarbeit. 8 Prozent arbeiten für ihre Weiterbildung, 7 Prozent betätigen sich in einem Ehrenamt. Den größten Teil der Freizeit am Nachmittag und Abend verbringen die Ehemänner also zu Hause, ausruhend oder mit leichten Arbeiten befaßt.«[109]
Die aus der Alltagsroutine, den regenerativen Funktionen, die die Familie aufgrund der Berufstätigkeit des Mannes (und auch der Frau) zwangsläufig hat, den repetitiven Aspekten der Kindererziehung und den bestehenden Strukturen von realer Öffentlichkeit und Kommunikation hervorgehenden Zwänge sind Produktionsverhältnisse. Sie bestimmen die Art und den Entwicklungsgrad der im weiblichen Lebenszusammenhang geleisteten Arbeiten und damit auch den Grad der Entfaltung der im weiblichen Lebenszusammenhang angelegten Produktivkräfte. Die Produktionsverhältnisse im weiblichen Lebenszusammenhang bewahren aufgrund der geringeren Trennung von geistiger und körperlicher Arbeit bestimmte Fähigkeiten der Bedürfnisorientierung und der Imagination, entfalten sie jedoch nicht weiter, sondern halten die darin entstehenden Orientierungen in einer allgemeinen Unterentwicklung fest. Dies macht die empirisch »bedürfnisorientierten« Eigenschaften der Frauen (jedenfalls der unteren und breiten Mittelschicht), ihre Moral des »gesunden Menschenverstands« man soll freundlich sein, hilfsbereit, eine gute Hausfrau sein etc. - ambivalent: Der zweifellos vorhandenen Bedürfnisorientierung korrespondieren verdrängte Angst und Aggression, wie sie sich z. B. in der Forderung nach der Todesstrafe für schwere Verbrechen und in einem auffallenden Interesse für die Darstellung von Morden in der Presse manifestieren.[110] Der Inhalt des Alltagslebens besteht primär - und je mehr Ressourcen schichtspezifisch vorhanden sind, desto eher ist diese Tatsache kompensierbar - in konservativen Akten, im Erhalten von Menschen und Dingen. Alltäglichkeit ist Lebensablauf in abstrakt gleicher Zeit; Alltäglichkeit ist die Konstituierung einer Ordnung durch äußere Zwänge, Zwänge der Reproduktion, definiert (und modifiziert) durch die objektive Klassenlage, durch die Schichtkriterien Beruf, Einkommen als Determinanten der Lebenschancen. »Das Alltägliche setzt sich in seiner Trivialität aus Wiederholungen zusammen: Gesten in der Arbeit und außerhalb der Arbeit, mechanische Bewegungen (die der Hände und des Körpers, und auch die der Stücke und Verrichtungen, Rotation oder Hin und Her), Stunden, Tage, Wochen, Monate, Jahre.«... Alltäglichkeit gibt es nur in der Bewußtlosigkeit. Ihr Inhalt ist Passivität und Melancholie, ihr Gegenstand die Pflege und Bewahrung von Dingen, Menschen, Beziehungen im Status quo bzw. im Rahmen der normativ vorgeschriebenen Entwicklung.
»Das Alltägliche, das ist das Bescheidene und das Solide, das selbstverständliche, das, dessen Teile und Fragmente sich in einem Stundenplan verketten. Und zwar, ohne daß man (der Betreffende) die Artikulationen dieser Teile prüfen muß. Das, was ohne Datum ist. Das ist (offenbar) das Unbedeutende; es beschäftigt und beruhigt und braucht dennoch nicht gesagt zu werden, Ethik, die dem Stundenplan unterliegt, dekorative Ästhetik dieser gebrauchten Zeit. Was mit der Modernität zusammenfällt.«[112]
Das Alltagsleben ist beruhigend, formal identitätsstiftend und zugleich Grund von verdrängter Verzweiflung.
Es kommt darauf an, die Begriffe »Produktion«, »Produktivkräfte«. »Produktionsverhältnisse« und die von diesen Begriffen bezeichnete Realität nicht reduziert zu verstehen; es kommt also darauf an, weder Produktion auf »Funktionen« (Produktion von Mahlzeiten, von Kindern, von Arbeitskraft) zu reduzieren, noch Produktivkräfte sich als bloß technische vorzustellen, noch Produktionsverhältnisse lediglich als Arbeitsüberlastung der Hausfrau aufzufassen. Produktion ist nicht zuletzt Herstellung von sozialen Beziehungen und von Bewußtseinsformen. Wenn wir von » Widersprüchen und Ambivalenzen« im weiblichen Lebenszusammenhang sprechen, so deshalb weil das Registrieren allein des objektiven Widerspruchs von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen die Probleme, die Verhaltensweisen und das Bewußtsein der Frauen nur an der Oberfläche erfaßt. Praktisch relevant wird der Widerspruch von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen im Rahmen des weiblichen Lebenszusammenhangs erst aufgrund der Widersprüchlichkeit - und der erlebten Widersprüchlichkeit: der Ambivalenz [113] - der psychisch und institutionell verfestigten »Lösungen« (Verhaltensweisen und Bewußtseinsformen), die aus der objektiven Fesselung weiblicher Produktivkräfte hervorgehen. Im weiblichen Lebenszusammenhang entwickeln sich Formen der Subjektivität, die Elemente bedürfnisbezogenen Handelns enthalten. Diese rudimentären Formen verfangen sich in der Unterentwicklung der aufs Private abgedrängten weiblichen Produktion. Die in Teil I an den verselbständigten Strategien geübte Kritik versuchte zu zeigen, daß mit Begriffen wie »Traditionalismus der Geschlechtsrollenstereotypen«, »Manipulation«, »cultural lag« etc. die faktischen Verhaltensweisen und Vorstellungen der Frauen weder soziologisch verstanden noch in ihrem emanzipativen Potential erfaßt werden können. Das empirische Verhalten und die empirischen Vorstellungen der Frauen sind nicht einfach »Ideologien«, die nur noch der Modernisierung bedürfen. Die Verhaltensweisen und Vorstellungen der Frauen sind stets ein ambivalent bleibender Kompromiß, eine Reaktion auf den im weiblichen Lebenszusammenhang vorhandenen objektiven Widerspruch. Es scheint so zu sein, daß in den empirischen Bedürfnissen, Interessen und Vorstellungen der Frauen, in denen sich Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse stets vermischen, sich das Unbehagen und das Leiden an diesem Zustand -an der Unterdrückung, Unentwickeltheit und Deformation der produktiven Momente in Verhalten und Erfahrung - in bestimmten, psychisch und institutionell verfestigten Reaktionen artikuliert: in vegetativen Störungen, »Angst vor Erfolg«, Unzufriedenheit und Protest,[114] in bestimmten Ritualen im Alltagsverhalten und in der Imagination,[115] in der Symbolik von Sauberkeit, des Narzißmus und des Phallischen.[116]