»Die Frau ist heute zu fast allem zugelassen: auf
Widerruf. Sie muß immer auf Zehenspitzen sein,
sie braucht die doppelte Portion <Glück>: wie jeder
sozial Deklassierte, der es trotzdem schafft. Wenn
sie einmal verdächtigt wird (wessen? Frau zu sein),
verliert sie ihre Freunde, wird die Konzession widerrufen.
Denn es waren ja nur <Konzessionen>.
Toleranz ist nicht einem mitgeborenen Recht
gleichzusetzen.
Hilde Domin
Von der Natur nicht vorgesehen
Im Arbeitsleben ist die Macht männlich. Das beginnt bereits beim viel zitierten »Recht auf Arbeit«. Dieses hat, jedenfalls soweit das Recht auf bezahlte Arbeit außerhalb des Privathaushalts gemeint ist, für Frauen noch nie ohne Einschränkungen existiert. Aber weibliche Tätigkeiten außerhalb des eigenen Hauses sind überhaupt erst im Zuge der Industrialisierung entstanden. Zum Lebensunterhalt einer Arbeiterfamilie mußten im 19. Jahrhundert sowohl die Frauen wie die Kinder beitragen, wobei die inner familiäre Hierarchie eindeutig geregelt war: Die Erlaubnis für die Arbeitsverhältnisse von anderen Familienmitgliedern lag beim Familienvorstand, beim Mann. Und »natürlich« war es die Frau, der bis zum. heutigen Tag die Hausarbeit überlassen blieb - zumindest die Verantwortung für die Organisation.
Weil dies so war, hatte die Erwerbstätigkeit der Ehefrau immer niedrigeren Rang, sie war Zuarbeit und stand auch gesetzlich bis in die siebziger Jahre unseres Jahrhunderts hinein unter dem Vorbehalt ihrer »Vereinbarkeit mit der Familie«. War schon die Situation der männlichen Arbeiter zu Beginn unseres Jahrhunderts nach heutigen Maßstäben unvorstellbar jämmerlich, so war die Situation der Arbeiterinnen immer noch um Grade schlechter. Dies vor allem auch deswegen, weil die Arbeiterbewegung zunächst und vor allem eine Arbeiter- und nicht eine Arbeiterinnenbewegung war. Heute leben nicht mehr viele Menschen, die sich an Arbeitssituationen von Frauen vor dem Ersten Weltkrieg aus eigener Erfahrung noch erinnern. Wilhelm Kaisen, der langjährige Bremer Bürgermeister, gab mir vor Jahren ein Interview, um das ich ihn gebeten hatte, weil mich das Problem sehr stark beschäftigte, warum die Frauenbewegung der Arbeiterklasse und die bürgerliche Frauenbewegung so isoliert voneinander gearbeitet hatten, obgleich doch jeder Mensch die Diskriminierung wahrnahm und man sie daher gemeinsam hätte überwinden müssen. Hier Kaisens Schilderung aus seiner Lehrlingszeit:
- »Wir hatten morgens um sechs Anfang und abends um sechs Aufhören, dazwischen lagen eine Stunde Mittag undje eine halbe Stunde Vesper- und Kaffeezeit, so daß wir zehn Stunden am Arbeitstisch standen. Und die Frauen, die mußten nun die Stiefelwichse, die ich unten in einem großen Kessel zu kochen hatte, da waren ungefähr 25 Tonnen drin - Buttertonnen - die wurden dann im Kessel raufgewunden nach oben über mir auf der langen Fabrikhalle. Und da waren dann die Frauen an Tischen beschäftigt mit dem Einfüllen in diese Dosen. Da hatten sie zu zwei Reihen nebeneinander aufgereiht die Dosen, und dann hatten sie solche Pötte, heute werden Ja diese Dinger nicht mehr gemacht, diese Wichspötte, also sie hatten die Stiefelwichse da drin und dann gossen sie. Und dann ging es mit Gesang. Da hatten sie eine dabei, Minna Flegel, das war so 'ne abgebrochene oder nicht recht zum Zug gekommene Opernsängerin, und die sang dann alle möglichen Arien, die überhaupt nur irgendwie zu singen waren, und damit hatte sie es so weit gebracht, daß sie dann alle im Chor einfielen. Das war das Harmlose an der Sache. Im übrigen waren aber alle diese Frauen vom Leben gezeichnet. Es waren eine Reihe von ehemaligen Prostituierten dabei, die krank waren, und es waren entlassene Strafgefangene dabei, die der Besitzer der Firma, der im Vorstand für entlassene Strafgefangene war, sich holte als billige Arbeitskräfte. Und dann waren Mütter dabei, die, verlassen, ihre Kinder großzuziehen hatten und dafür sorgen mußten, kurzum, es war das, was man damals so richtig als dem Proletentum zugehörig empfand. Und mit diesen Frauen, mit denen wurde ganz brutal verfahren. Sie hatten nun. dafür, sich zu waschen und zu reinigen, einen Wasserhahn, da standen sie dann Schlange bei. Sie hatten keinen Umkleideraum. Sie bauten sich aus Kisten so eine Barriere, wo sie sich hinter verkrochen, um sich abends umzuziehen, um nach Hause zu kommen. Also, wahnsinnig schlechte Zustände. Nicht mal der Gewerbeordnung und der Fabrikordnung entsprechend. Und ich sagte dann - ich war 15 Jahre alt -, daß sie sich das nicht gefallen lassen sollen. Warum kann denn der Kerl nicht zehn Wasserhähne anbringen lassen mit einem verzinkten Wassertrog, dann kann man sich wenigstens die Hände waschen? Warum wird denn hier nicht ein Gemeinschaftsraum für die Frauen eingerichtet, wo sie sich morgens umziehen und abends auch? Das ist ja schlimmer wie's Vieh. Da müßt ihr gegen angehen. Und habe denn immer so mit ihnen gesprochen. Und da zogen sie mich auf. Und ich sagte schließlich: Ich meine das ganz ernst, so ist das: Ihr müßt euch wehren dagegen. Schließlich sagte ich mir, so geht das nicht weiter. Da muß Helma Steinbach (eine Frau aus der frühen Arbeiterbewegung, Freundin von Adolf von Elm, Mitbegründerin der <Hamburger Produktion>; A. M.) mal her. Ich schrieb ihr dann im Brief, so und so geht es mir hier, ich habe hier so eine Aufgabe, die ich alleine nicht lösen kann. Da muß eine her, hier muß also im Namen des Fabrikarbeiterverbandes mal eine nach dem Rechten sehen. Und Helma kam. Ich seh sie noch vor mir, so 'ne große Gestalt. Damals trug man solche Hüte wie Wagenräder, und sie hatte einen Sonnenschirm in der Hand. Sie ließ sich das erklären und redete zu den Frauen.
Und die Frauen sagten: Wissen Sie, die Sache ist so, wir hier, wenn wir große Geschichten machen, dann fliegen wir sofort raus und haben das bißchen, was wir hier noch verdienen können, die zehn Mark, dann haben wir das auch nicht mehr. Was sollen wir denn machen? Wir können uns hier nicht viel erlauben, das ist alles nichts. Und dann kam aus der Ecke, aus dem Kontor dahinten, der hatte das wohl bemerkt, daß da eine fremde Frau zwischen war, und dann kam er dann an, der Fabrikbesitzer: <Was wollen Sie hier?> - <Wieso, wer sind Sie denn?> -(Ich bin der Inhaber!> - <Ja, und ich bin die Vertreterin der Arbeiterinnen hier. Sie haben hier Zustände, die gegen jede Fabrikordnung und Gewerbeordnung verstoßen. Das ist erst mal zu bemängeln, und zum anderen, wie kommen Sie eigentlich dazu, diese Menschen wie das liebe Vieh zu behandeln?> Und sie hat ihn erst mal runtergeputzt, so daß die Frauen Nasen und Ohren aufsperrten und hörten, daß es noch etwas anderes gibt. <Ich bin Herr in meinem Hause, und Sie haben sofort das Haus zu verlassen. > Da nahm Helma ihren ollen Sonnenschirm her und haute auf den Tisch, und da ließ sie denn eine Rede los, die sich gewaschen hatte, nach meinem Begriff. Na, kurzum, das war meine erste Begegnung mit einer Frau, die für die Organisation der Fabrikarbeiterinnen eintrat und es sich zur Aufgabe gemacht hatte, diese zu organisieren und sie für die Gewerkschaften zu gewinnen, um sich vereint gegen solche Zustände zu wehren. Das war die erste Begegnung, vermutlich etwa 1904 oder 1905.«
Seit jener Zeit haben sich die Arbeitsbedingungen für beide Geschlechter sehr verbessert, die erwerbstätige Frau ist aber immer noch die »mitarbeitende Ehefrau«. Geblieben ist auch, daß die Frauen, selbst wenn sie zum Familieneinkommen beitragen, nahezu die gesamte Hausarbeit leisten, das kranke Kind pflegen und für die »Beziehungsarbeit« meist allein zuständig bleiben. daß sich an dieser Einschätzung so wenig verändert hat, zeigt die Kampagne gegen die sogenannten »Doppelverdiener«. Hierbei geht es nicht um Menschen mit zwei Steuerkarten, die deshalb an zwei Stellen einen insgesamt doppelten Verdienst einstreichen; sondern hier handelt es sich um Ehepaare, die beide bezahlte Tätigkeiten ausüben, wobei der Verdienst des Mannes ausreichen würde, um die Familie zu ernähren. Deshalb - und hierin liegt die Diskriminierung wird der Frau der Arbeitsplatz streitig gemacht: Sie soll ihn gefälligst für einen anderen Mann räumen und ihrer »eigentlichen Aufgabe« als Ehefrau und Mutter nachgehen. »Erfunden« wurde der Begriff von den Nazis, und damals genau wie heute diente er dazu, die Frauen aus dem Arbeitsmarkt zu drängen. Hier scheint jedes Mittel recht. Wenn in der Bundesrepublik Deutschland ein gleich hoher Prozentsatz von Frauen einer Erwerbstätigkeit nachginge, wie dies für die Vereinigten Staaten oder etwa gar für Schweden und Norwegen gilt, so würde sich die Arbeitslosenzahl verdoppeln. Schon derzeit beträgt die Dunkelziffer erwerbsloser Frauen, die einen bezahlten Arbeitsplatz suchen, mehr als eine Million. Sie ist darauf zurückzuführen, daß diese Frauen beim Arbeitsamt gar nicht mehr registriert sind, da sie keinerlei Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe haben; auch Sozialhilfe beziehen sie nicht, da ihre Ehemänner zuviel verdienen. Durch das sogenannte »Beschäftigungsförderungsgesetz« nehmen nachweisbar die befristeten Arbeitsverträge für Frauen zu.
Schon immer hatte gegolten, daß Frauen leichter entlassen werden als Männer. Nun sind ihre Arbeitsverhältnisse noch ungeschützter, der Druck auf Wohlverhalten wird stärker, und damit wachsen die Möglichkeiten zu unternehmerischer Willkür gegenüber den Frauen. Ein weiteres diskriminierendes Moment der weiblichen Erwerbstätigkeit ist die Steuerklasse V. Wenn bei einem erwerbstätigen Ehepaar der Mann erheblich mehr verdient als die Frau, werden bei der Frau in Steuerklasse V alle steuerlichen Abzüge angerechnet, die das Ehepaar gemeinsam monatlich zu zahlen hat. Für das Ehepaar hat das den Vorteil, daß am Ende des Jahres im Zuge des Lohnsteuerjahresausgleiches keine weiteren größeren Abzüge entstehen. Für die Frau in Steuerklasse V hat dies zwei wesentliche Nachteile: Durch die hohen Abzüge entsteht immer wieder der Eindruck, daß ihre Erwerbstätigkeit für das Gesamteinkommen der Familie praktisch zu vernachlässigen sei, und sie fühlt sich dem besser verdienenden Mann gegenüber diskriminiert. Der in Heller und Pfennig zu berechnende materielle Nachteil, den sie faktisch erleidet, ergibt sich daraus, daß das Arbeitslosengeld, wenn die Frau ihren Arbeitsplatz verlieren solite, sich am Nettoverdienst bemißt; und dieser Nettoverdienst ist durch die Steuermanipulation in Anbetracht des Familiengesamteinkommens künstlich geschmälert worden. Welche Ehefrau und welcher Ehemann wissen das schon? Auch in der Arbeitsbewertung drückt sich die männliche Macht zu Lasten der Frauen im Erwerbsleben aus, vor allem hinsichtlich der Bezahlung: Eine Tätigkeit gilt als um so wichtiger, je höher bezahlt sie ist. Schon aus dem Durchschnittslohn wird so ersichtlich, daß weibliche Tätigkeiten in der Gesellschaft nicht sehr hoch eingeschätzt werden; denn nach wie vor liegen die Durchschnittsverdienste um mehr als ein Drittel unter denen der Männer, ganz gleich, ob wir die Arbeiter, die Angestellten oder die Beamten heranziehen. Erst beim Vergleich, warum denn der Bundeskanzler weniger verdient als ein Durchschnittszahnarzt, führt sich dieser männliche Bewertungsmaßstab selbst ad absurdum - wobei es glücklicherweise weibliche Zahnärzte bereits gibt; ob ich zu meinen Lebzeiten noch einen weiblichen Bundeskanzler erleben werde, stimmt mich skeptisch. Immerhin: Die Leichtlohngruppen für Frauen wurden schon vor Jahren abgeschafft, übrig blieben die »Niedriglohngruppen«, in denen sich nach wie vor die Frauen drängen, soweit sie Arbeiterinnen sind. Nach wie vor werden Kraft und technisches Verständnis höher bewertet als Geschicklichkeit, Sorgfalt, sensiblere Feinmotorik, Umgang mit Menschen. Was »gleichwertige Tätigkeiten« sind, die dann auch gleich bezahlt werden müssen, ist nach wie vor strittig, und da es an der gewerkschaftlichen Neigung, sich für Frauenanliegen genauso stark wie für die Männer einzusetzen, häufig fehlt, ändert sich an der Minderbewertung weiblicher Erwerbstätigkeit nur wenig, und dieses auch noch langsam.
Die Putzfrau, die mein Abgeordnetenbüro säubert, kommt aus der Eifel. Sie steht morgens gegen zwei Uhr auf. Kurz vor drei Uhr werden die Frauen »eingesammelt« und nach Bonn gefahren, und um acht Uhr muß alles fertig sein. Sie trägt oft ihre eigenen Schürzen, weil die Kittel des Reinigungsunternehmens nicht nur häßlich, sondern auch unbequem sind. Viele ihrer Kolleginnen sind in 410 DM Arbeitsverhältnissen, um Steuern und Sozialabgaben zu »sparen«. Dies ist auch »Ganz unten«, denn wenn diese Jobs verloren gehen, gibt es für die Betroffenen nicht einmal Arbeitslosengeld. Ein besonderes Kuriosum stellen die Behinderungen von Frauen an Industriearbeitsplätzen durch sogenannte »Schutzbestimmungen« dar. Diese gibt es nach wie vor bei den Bau- und Bweißemauhilfsberufen und hinsichtlich des Nachtschichtverbots für Arbeiterinnen. Bei den vielen Für-und-Wider-Argumenten, die ich hier nicht vortragen will, werde ich den Verdacht nicht los, daß beim Bau, einer gewerkschaftlich recht konservativen Branche, gegenüber Frauen »closed shop« markiert werden soll. Und hinsichtlich des Verbots der Nachtarbeit, das für weibliche Angestellte - man nehme nur die Krankenschwestern, aber auch Angestellte in der Computerindustrie oder in der Wissenschaft - nicht gilt, scheint mir ebenfalls ein konservativer männlicher Wunsch vorherrschend: nachts soll die Ehefrau und Mutter gefälligst zu Hause sein, darauf hat »mann« ein Recht! Dieser Verdacht ist deshalb nahe liegend, weil sich längst herausgestellt hat, daß Nachtschichten auch für Männer gesundheitlich höchst bedenklich sind und deshalb - wäre es allein dies - der gewerkschaftliche Druck auf Abschaffung jeglicher gewerblicher Industriearbeit in Nachtschichten viel stärker sein müßte. Ein letztes diskriminierendes Moment bei der weiblichen Erwerbstätigkeit ergibt sich aus der Beobachtung, daß Berufe an Geltung verlieren, wenn sie mehr und mehr von Frauen ergriffen werden. Was war der Lehrer in früherer Zeit für eine anerkannte Persönlichkeit! Er und der Pfarrer waren die geistigen Häupter der dörflichen Gemeinschaft und gehörten zu den Honoratioren der Kleinstadt. Von der »Frau Lehrerin« läßt sich gleiches beileibe nicht sagen. Auch der »Sekretär« - man vergegenwärtige sich seine Bedeutung zur Goethe-Zeit - ist als »Sekretärin« ziemlich heruntergekommen. Schließlich der »Cutter«, der schlechterdings als Mann heutzutage nicht mehr vorstellbar ist, obgleich in den Kindertagen der Filmwirtschaft nur Männer diesen Beruf ausübten. Die Cutterin muß kämpfen, um die kreativen Elemente ihrer Mitwirkung an der künstlerischen Endform eines Filmes als solche bewertet zu sehen. Ein letzter Zusammenhang, in dem sich die Mißachtung der arbeitenden Frau deutlich niederschlägt, ist die Bewertung ihres Arbeitseinsatzes. Gegenüber jüngeren erwerbstätigen Frauen wird immer wieder das Argument angewandt: Sie heirate ja doch und kriege Kinder, deswegen lohne es nicht, a) sie einzustellen, b) sie weiterzuqualifizieren, c) ihr Aufstiegschancen einzuräumen. Das führt häufig dazu, daß auch Frauen, die nicht heiraten und ihr ganzes Leben über erwerbstätig bleiben, diese Chancen alle nicht erhalten. Kämpfen sie aber darum, so sehen sie sich mit dem Vorwurf konfrontiert, sie seien zu ehrgeizig, zu aggressiv, nicht liebenswürdig genug, und deshalb ungeeignet. Versuchen ältere Arbeitnehmerinnen, deren familiäre Situation dies erlaubt, auf dem Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen, so sehen sie sich mit dem Vorurteil konfrontiert, sie seien zu alt. Ein Mann Anfang 40 gilt als »Mann in den besten Jahren«, für Frauen dieses Alters sind meist alle Züge abgefahren. Möglichkeiten, die eingerostete Berufserfahrung wieder aufzufrischen oder das, was eine Frau in der Zeit ihrer »Familienarbeit« gelernt hat, in ein Berufsbild einzubringen, gibt es kaum. Ein mir bekannter Rechtsanwalt suchte kürzlich per Annonce nach einer ihm zuarbeitenden Mitarbeiterin, die aber über die üblichen Sekretariatstätigkeiten hinaus Fremdsprachen können und sich in das Team einer kleinen Sozietät eingliedern solite. Er erhielt eine Vielzahl von Bewerbungen und konnte sich trotz des nicht übertrieben hohen Gehaltes, das er zu zahlen beabsichtigte, aus einem großen Begabungsreservoir bedienen. Schließlich ist es doch etwas, wenn eine Frau nach Jahren der Ausbildung und der Berufstätigkeit einen Haushalt führt, Kinder erzieht, dem Ehemann alle praktischen Lästigkeiten des täglichen Lebens vom Leibe hält und sich außerdem soweit geistig fit hält, daß sie es sich mit 40 Jahren noch zutraut, ins Berufsleben zurückzukehren! Mich empören immer wieder männliche Argumente, die die angeblich mangelnde Arbeitsfreude von Frauen im Zusammenhang mit Mutterschaft betreffen.
Da wird argumentiert, hier nähmen Frauen gesellschaftliche Leistungen in Anspruch - in Form von Krankenkassenleistungen, Leistungen der Arbeitsverwaltung oder Leistungen des Arbeitgebers - die nichts dafür täten. Mich empört das deshalb so, weil daraus eine tief sitzende Mißachtung den Frauen gegenüber spricht. Es wird einfach nicht gesehen, daß jede erwerbstätige Frau ein gerüttelt Maß an Haushaltsarbeit zusätzlich leistet, von der der Mann frei ist. Dies gilt im Zusammenhang mit einem zu erwartenden Kind natürlich in besonderer Weise. Wann und wie soll denn eine werdende oder junge Mutter lernen, Beruf und Familie zu vereinbaren, wenn nicht vor und nach einer Geburt? Und ist es eine reiche Gesellschaft den jungen Müttern nicht schuldig, ihnen diese Phase. soweit als irgend möglich zu erleichtern? Keinesfalls paßt zusammen., wenn Männer das »sterbende Volk« beklagen und gleichzeitig nicht das geringste dafür tun, daß junge Frauen glaubwürdig erfahren können, wie die angestrebten und auch innerlich gewoliten und akzeptierten Familienpflichten mit der Langzeitperspektive Beruf zu verbinden sind. Die 1985 vorgestellte Brigitte-Studie »Der Mann« [9] hat dazu ein paar entlarvende Untersuchungsergebnisse veröffentlicht. Sie betreffen zum einen die Wahrnehmung von Frauen am Arbeitsplatz: ist die eigene Frau nicht berufstätig, wird die Kollegin schon gar nicht gesehen. Gravierender noch ist die Beobachtung, daß die sowieso schon geringe Unterstützung durch die Ehemänner bei der Hausarbeit schlagartig völlig zum Erliegen kommt, wenn ein Baby da ist. Ich erkläre mir das so: Nun ist die Frau ja endlich! - genau das, als was der Mann sie unbewußt schon immer gesehen hat, nämlich Mutter, nun ist sie sowieso stärker ans Haus gebunden: da kann sie den »Rest« Hausarbeit doch gleich mit erledigen.
Nach wie vor wird von den Männern nicht gesehen, daß auch Frauen ein Recht auf Arbeit haben und daß das Berufsfeld ebenso wie für die Männer ein entscheidender Schlüssel für die Selbsterprobung und Selbstfindung der Frau ist, Doppelbelastung hin, Doppelbelastung her. Zahlreiche Untersuchungen bestätigen, daß die früher so oft festgestellten gesundheitlichen Einschränkungen und Depressionen bei Frauen um die Fünfzig heute eine weit geringere Rolle spielen. Diese Frauengeneration, deren Kinder das Haus verlassen haben, ist einsatzfreudig und aktiv und strotzt vor Gesundheit vor allem dank der beruflichen Bestätigung. Zugenommen haben demgegenüber Erkrankungen bei jüngeren Frauen, die auf √úberbelastung zurückzuführen sind. Wie wichtig übrigens ein Arbeitsplatz für die Politisierung von Frauen ist, weiß jede erwerbstätige Frau aus eigener Erfahrung, nur die männlichen Führungspersönlichkeiten der Parteien wollen dies immer noch nicht so recht wahrhaben. Sie werden dies lernen müssen.
»Tits and ass« gefällig? Frauen im Klischee
»Männer haben gelernt, Frauen als diejenigen zu
sehen, die für ihr Lebensglück verantwortlich sind,
die körperlich zu ihrer Verfügung zu stehen haben,
deren Körper ihr Besitz ist. Diese Bilder sitzen tief,
auch wenn sie mit einer dünnen Vernunftschicht
übertüncht sind. An diesen Bildern hat der einzelne
Mann keine Schuld, er hat sie sich nicht ausgedacht.
Aber sicher betrachte ich jeden Mann schon
als dafür verantwortlich, was er mit den Gegebenheiten
seines Sozialisationsprozesses anfängt,
Mit seinen Bedürfnissen und Bildern und schlechten
Gewohnheiten.«
Anja Meulenbelt
Wie Schalen einer Zwiebel
Sie streicht sich wohlgefällig über die weiblichen Rundungen, die sie der plastischen Chirurgie zu verdanken hat, eine der Tänzerinnen des Filmes »A Chorus Line«, und besingt ihr Schicksal als talentierte Tänzerin, die nie reüssierte, weil sie zwar besser tanzte als alle anderen, ihr aber eben »tits and ass« fehlten. Kaum habe sie dort der Natur nachgeholfen, schon habe sich der Erfolg eingestellt. »Her mit den alten Tricks!« formuliert bitter ironisch eine bekannte Frauenzeitschrift hierzulande. Wer wieder Macht über die Männer haben wolle, müsse mit Spitzenbluse und enger Corsage, orientalischem Parfum und schwarzen Dessous vorgehen, das wirke heute noch genauso wie zu Großmutters Zeiten. Ich geniere mich, das zu formulieren, was nun fällig ist. Denn jede Frau, die über die Diskriminierung des weiblichen Geschlechtes schreibt, setzt sich dem Verdacht aus, sie selbst habe besonders schlechte Erfahrungen gemacht, und dies werde schon seine Gründe haben, oder - was noch schlimmer ist - man unterstellt ihr säuerliche und verkrampfte Sexualfeindlichkeit. Beide Verdächtigungen lasse ich nicht auf mir sitzen. Auch wenn Wanda, Lulu, der blaue Engel und wie die Damen sonst alle hießen, inzwischen Patina angesetzt haben und selbst die Todesumstände von Marilyn Monroe nur historisches und kein aktuelles Interesse mehr hervorrufen, so gilt bis zu einem gewissen Grade doch auch heute noch, daß »das Weibliche«, die »Eva« mit Sünde und Versuchung in Zusammenhang gebracht werden. Sexualität bleibt eine Irritation und wird oft als Ablenkung »vom Wesentlichen« gesehen. Verantwortlich - natürlich - ist die Eva, die Frau. Die Aufspaltung des Weiblichen in Mutter und Hure, in Maria und Eva, in bürgerliche Ehefrau und laszive Geliebte ist ein immer noch gültiges Lebens- oder zumindest Denkmuster von Männern in bezug auf Frauen.
Nach wie vor wird die Frau in die Rolle des Geschlechtswesens gedrängt und nicht als ganzer Mensch wahrgenommen. »Tits and ass« stehen für den weiblichen Menschen. Wer die Titelbilder bei den wöchentlichen Kioskauslagen studiert, sieht auf einen Blick, wie hochselektiv die Wahrnehmung des weiblichen Menschen bei den Bildmachern nach wie vor ist. Dabei spielt die Verfügbarkeit eine große Rolle: Die Frau, das Sinnenerlebnis zum An-und Abstellen, je nach dem männlichen Bedürfnis. In diese Richtung wird männliche Erwartung gelenkt, gelenkt wird so auch das weibliche schlechte Gewissen: Wenn »er« fremd geht oder »sie« gar verläßt, wird es schon an »lhr« liegen: Sie hat es »ihm« nicht recht gemacht. Was Frauen zu sagen haben, wird oft weder gehört noch wahrgenommen - allein wegen der äußeren Erscheinung oder des Auftretens der Frau, die etwas zu sagen versucht. Ist sie schüchtern und gehemmt, hört »mann« ohnehin nicht zu; aber auch wenn sie uncharmant oder häßlich ist, oder - noch schlimmer! - wenn sie kämpferisch oder zu selbstbewußt ist, wird sie von männlicher Seite mit Nichtachtung gestraft oder »abgebürstet«. »Weißt du, Anke, es gibt Frauen, denen muß ich einfach widersprechen«, sagte mir mal ein Kollege, und ich war froh, daß er mich nicht meinte. Als ich bei einer meiner letzten Bundestagsreden zum Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums sprach, hörte ich den Zwischenruf des Haushaltsberichterstatters der CSU das Protokoll verzeichnet diesen Zwischenruf auch! : »Wenn Sie so reden würden, wie Sie aussehen, Frau Kollegin ... !« Als ich darauf nicht reagierte und in meinem Manuskript fort fuhr, hinderte dies den Kollegen nicht, Voller Begeisterung über seinen vermeintlich geistreichen Zwischenruf, diesen ein zweites Mal zu wiederholen. Undenkbar, dergleichen einem männlichen Kollegen zuzurufen! - Am Tag darauf traf ich den Kollegen zufällig in einem Restaurant und pflaumte ihn an. Darauf er, im Brustton. der Überzeugung: »Seien Sie doch zufrieden, Frau Kollegin, Sie hätten einmal die Abgeordnete sehen sollen, die nach Ihnen sprach!« Wenn die gleichen Kategorien, die Männer auf Frauen im öffentlichen Leben anwenden, auch umgekehrt gelten würden, so würde sich das Aussehen der männlichen Spitzenpolitiker sicherlich schlagartig ändern: Keine Bierbäuche mehr, endlich ein Hosenschnitt ohne Hängepo, der Absatz von Haarshampoo würde steigen, und auch die Hemden-und Krawattenindustrie würde profitieren, denn der Besitzstand an Gegenständen zur Pflege und »Gestaltung« der eigenen Persönlichkeit müßte eigentlich erheblich anwachsen. Übergewicht? Rutschende Brille? Hosenträger? Oder gar Geheimratsecken und Glatze? All dies darf nicht mehr sein, denn vollschlanke Politikerinnen im langweiligen Kostüm mit spießiger Dauerwelle und voller Falten seien schließlich auch nicht attraktiv, wie uns Frauen immer vorgehalten wird. Mir wurde vor einigen Jahren von einer Diskussion berichtet, die zwei weibliche Landtagsabgeordnete mit einem männlichen Kollegen hatten, der an einer weiblichen Bundestagsabgeordneten etwas auszusetzen hatte. Sie gefiel ihm nicht, er teilte auch ihre politischen Ansichten nicht, was sein gutes Recht war, und er kleidete seine Mißbilligung in die Worte: »Sie ist schmutzig.« Dem widersprachen die beiden Frauen, die Diskussion ging so hin und her, und schließlich fragten ihn die Frauen, wie häufig er denn Hemden, Socken, Unterhosen wechsele. Der Kollege, der sich für reinlich hielt, offenbarte Skandalöses: Hemden wurden zweimal in der Woche gewechselt, Socken und Unterhosen wöchentlich. So sind sie, die »Freunde sauberer Verhältnisse«! Statistiken des Verbandes Körperpflege und Waschmittel weisen aus, daß Politiker in dieser Hinsicht dem Durchschnitt der männlichen Bevölkerung entsprechen. Im übrigen rechnet der Verband mit einem Wachstum des Absatzes, gerade bei Körperpflegemitteln für Männer. Hoffentlich. Als Mitglied des Wirtschaftsausschusses und als Vorsitzende einer Arbeitsgruppe im Arbeitskreis Wirtschaftspolitik der SPD-Bundestagsfraktion erhalte ich laufend unangefordert und kostenlos wirtschaftspolitische Veröffentlichungen auf meinen Schreibtisch, die ich mir nicht kaufen würde. Sicherlich studiere ich diese Veröffentlichungen ganz anders als meine männlichen Kollegen, nämlich auch unter dem Gesichtspunkt, wie hier Frauen dargestellt und behandelt werden. Meistens registriere ich Fehlanzeige: Frauen »finden« im deutschen Wirtschaftsleben und mithin auch in den Publikationen so gut wie »gar nicht statt«. Aber hin und wieder registriere ich mit Verblüffung attraktive Fotos hübscher Frauen in Wirtschaftsmagazinen. Worum handelt es sich? Natürlich um eine Werbung der Singapore Airlines, wo entspannt lächelnde Manager so richtig verwöhnt werden. Oder um die neue Generation des Kleincomputers, der außer sachgerechten und trotzdem zeitsparenden Briefen vor allem glückliche Sekretärinnen produziert. ja, und manchmal, wenn an einer Maschine, die doch, unbedingt verkauft werden soll, so gar nichts Fotogenes dran ist, dann wird ein Frauenbein, ein Busen oder sonst was Feminines aufgeboten, um männliche Blicke zu animieren. Ich muß mir bei der Niederschrift dieser Zellen den entsprechenden Ordner aus meinem Archiv gar nicht heraussuchen: Eine beliebige <Wlrtschaftswoche> tut's auch: In Nr. 15 vom April 1986 läßt die Firma Canon für die Qualität ihrer Fotokopien werben. Dem Leser wird verdeutlicht, daß die Canon fax-Kopie rechts viel trennschärfer und klarer ist. Woran sieht man das? An einem Paar langer, netzbestrumpfter Frauenbeine - mit Naht! (Oh, Nostalgie: Mit Frauen, die Nahtstrümpfe trugen, haben unsere Wirtschaftskapitäne sicherlich ihre ersten sexuellen Erfahrungen gemacht. Damals waren sie noch jung und stark ... ) Hohe Stöckelschuhe und extrem hoher Beinschnitt des knappen Höschens, fotografiert in eindeutiger Animierpose. Seien Sie wählerisch, ist die Botschaft - beim Kopierer versteht sich. Schönheit, Attraktivität, Jugend, verführerische Reize alles in bezug auf »lhn« -, so werden Frauen in der Werbung dargestellt. Und die ältere Frau, die faltige, rundliche, nicht mehr Attraktive oder nie attraktiv Gewesene, die mit den immer unglücklichen Liebesgeschichten und ohne Partner, die Verlassene, die überarbeitete, geschiedene Mutter mehrerer Kinder? Sie alle kommen nicht vor in dem von Männern ausgetüftelten Idealbild, das Frauen in frauenfeindlicher Weise »vermarktet«. Da wimmelt es von sexuellen Anzüglichkeiten auf Kosten der Frauen, da werden Frauen mit Produkten und Konsumartikeln praktisch gleichgesetztweißem, da werden »typisch weibliche« Eigenheiten scheinbar liebevoll »entlarvt«, im Grunde aber angeprangert, da werden zynische Witze auf Kosten der Frauen gemacht, und der Begriff »Emanzipation« wird auch noch gleich mit vermarktet und pervertiert. Ganz zu schweigen von der Einengung des weiblichen Arbeitsbereiches auf den privaten Haushalt! Weit diskriminierender als mit der Frau in der Werbung wird mit dem Frauenbild im Männerwitz verfahren. Auf Anhieb fällt einem meist kein Witz ein, der die Diskriminierung von Frauen wiedergibt. Ich erinnere mich beim Nachdenken an eine Geschichte, die sich einmal beim Besuch einer Gruppe politisch interessierter Bürger aus meinem Wahlkreis ereignet hatte. Solche Gruppen dürfen Abgeordnete zweimal im Jahr nach Bonn einladen, und die Kosten des Aufenthaltes trägt das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Bei dieser Reise fand - wie üblich - eine Schiffahrt auf dem Rhein statt, stromaufwärts bis nach Andernach und wieder zurück, auf der es ein Abendessen mit Rheinwein, garniert durch Schunkellieder, gab. Zeigten sich Sehenswürdigkeiten am Ufer - das Gelände der Bundesgartenschau, Botschafterresidenzen, das Wohnhaus von Adenauer. . . , so unterbrach der Kapitän die Schunkelmusik und wies über Lautsprecher auf das Ereignis hin. - So tat er es an einer bestimmten Stelle auch mit dem Ausspruch: »Und nun, meine Damen und Herren, sehen Sie auf der linken Seite die Stammburg unserer Schwiegermütter, den Drachenfels!« Großes Gejohle und Hallo auf dem Schiff Die Frauenbilder, über die Männer lachen - und zwar zumeist in männlicher Gesellschaft, an der Frauen keinen Anteil haben - engen die Frau auf bestimmte Eigenschaften oder Rollen ein, die zutiefst diskriminierend sind und häufig auch gewalttätig. Da gibt es die Standardwitze über Ehefrauen und Schwiegermütter, über Emanzen und berufstätige Frauen, wobei die Sekretärinnenwitze die Dienstmädchenwitze alten Typs abgelöst haben. [10] Im Witz entlasten sich Männer von Lebenssituationen und Frustrationen, die sie erleiden oder in die sie sich hinein manövrieren, wobei sie die Verantwortung für solche Situationen den Frauen zuschieben. Die Quelle der Witze über Frauen bleiben die Vorurteile gegen den realen weiblichen Menschen, die nicht nur außerordentlich bequem sind, sondern häufig auch noch den Vorteil haben, daß sie sich in die Form von Komplimenten kleiden lassen. Unverkennbar wird im Witz eine Haltung konserviert, die den Männern Ansprüche sichert, Ansprüche auf jene Frau, die es realiter gar nicht geben kann: die Idealfigur. Aber auch Angst schlägt sich nieder, nämlich Angst davor, daß emanzipierte und selbstbewußte Frauen künftig nicht mehr so selbstverständlich und mühelos verfügbar sein könnten. Diese Angst muß abgewehrt werden: Solche Frauen sind alt oder häßlich oder beides oder sonst wie deformiert.
Mit der Mannschaft zur Herrschaft - Sprache der Herrenkultur
»Wenn ich ein Wort benutze«, sagte Humpty
Dumpty mit Verachtung in der Stimme, »bedeutet
es genau das, was ich will, daß es bedeutet -nicht
mehr und nicht weniger.« »Ich frage mich«, sagte
Alice, »ob man Worte so viele verschiedene Dinge
bedeuten lassen kann.« »Die Frage ist«, sagte
Humpty Dumpty, »welches herrscht
das ist alles.«
Lewis Carroll
Alice im Wunderland
Nicht erst seit George Orwells »1984« wissen wir, daß die Köpfe beherrscht, wer über die Sprache gebietet. Wer aber gebietet über die Sprache? Frauen sind es nicht. Kaum irgendwo sonst offenbart sich Männermacht so vielseitig, aber immer eindeutig wie beim Sprachgebrauch und bei unseren täglichen Konversationen. Ich ertappe mich selbst oft dabei, daß ich mit der Sprache nicht so umgehe, wie ich sollte; denn gerade ich als Frau, die ich so darum kämpfen muß, in dieser Gesellschaft auch gemeint zu sein mit meinen Geschlechtsgenossinnen, gehe nicht immer dagegen an, wenn vom »Mieter«, »Verbraucher«, »Steuerzahler«, »Kontoinhaber«, »Versicherungsnehmer« oder dem »Autofahrer« die Rede ist und doch auch Frauen mit oder gar ausschließlich gemeint sind: Ich müßte protestieren. Protestieren müßte ich auch bei Berufsbezeichnungen, die es nur in männlicher Form gibt (die »Kauffrau« ist eine rühmliche Ausnahme in einem Heer von ausschließlich Männern offerierten Berufsbildern). Und protestieren müßte ich erst recht gegen bildliche Ausdrücke, die nur auf Männer Bezug nehmen: die »Herrschaft«, die »Mannschaft«, wenn jemand »seinen Mann steht« oder eine Person »ihrer selbst Herr wird«. Es ist typisch, daß wir erst jetzt - und mühsam genug! - die Verordnungen über die Ausbildungen in Handwerk und Industrie daraufl-lin verändern, daß es künftig auch Glaserinnen und Maschinenschlosserinnen geben wird. Bei der Hebamme ging es umgekehrt verdächtig schnell, als auch Männer diesen Beruf ergriffen: Geburtshelferin und Geburtshelfer, so heißt das jetzt. Ich bin gespannt, was ihnen bei <Staatsmann> und <staatsmännisch> einfallen wird. Und vor allem: wann. Eines habe ich mir seit langem angewöhnt: Alle Briefe, die mich erreichen, auf denen steht: Sehr geehrter Herr Bundestagsabgeordneter, oder sogar: Sehr geehrter Herr Dr. Martiny ... werden von mir besonders beantwortet. Ich weise darauf hin, daß ich das Anliegen gerne aufgreifen würde, leider sei ich aber wohl nicht gemeint. - Ich konnte mir allerdings nicht verkneifen, dem Bayerischen Innenminister, der den Herrn Dr. Martiny mit Gattin einladen ließ, einmal zu antworten: Liebe Frau Hillermeier. Die Reaktionen auf meine Sendungen sind unterschiedlich. Ehrliche Betroffenheit über den Fauxpas wechselt mit völliger Humorlosigkeit. Nie war das Echo auf einen meiner vielen Zeitungsartikel so groß wie vor einiger Zeit, als ich auf einer längeren Bahnreise, angeregt durch das Vorbild von Frankfurter Frauen, mir das Münchner Straßenverzeichnis vornahm und die Straßennamen auf weibliche Namengeberinnen absuchte. Das Ergebnis war so niederschmetternd, daß ich eine Glosse schrieb. Die fanden viele Männer aber überhaupt nicht lustig. Einer veröffentlichte sogar einen Kommentar: Ob ich denn sonst nichts zu tun hätte. Ihm habe ich mit einem Auszug aus dem Sach- und Sprechregister des Deutschen Bundestages, meine Person betreffend, geantwortet. Der Brief kostete hohes Porto. Wer Diskussionen kritisch verfolgt - zwischen Männern und Frauen, nur unter Männern oder nur unter Frauen - wird aus eigener und überhaupt nicht »fachmännischer« Beobachtung bestätigen, was auch zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen ausweisen: Männer und Frauen verhalten sich unterschiedlich in Diskussionen, und sehr oft »agieren« die Männer, während die Frauen »behandelt werden«, reagieren. In gemischten Diskussionen reden die Männer überproportional häufig und lange. Sollten Gattinnen oder Freundinnen anwesend sein, so läßt sich feststellen, daß die Frauen ihre Partner durch Kopfnicken, Blicke, bestätigende Einwürfe verbal und nonverbal unterstützen, während sich das Umgekehrte nahezu nie feststellen läßt. Bei gemischten Diskussionen wird der thematische Horizont durch die Männer vorgegeben, die auch nur selten Gesprächslücken lassen, in die Frauen vielleicht hinein schlüpfen könnten. Frauen werden oft unterbrochen und - tragen sie ihre Argumente mit Engagement und Temperament vor häufig al,s aggressiv und unsympathisch bezeichnet. Fernsehauftritte für uns Politikerinnen sind daher immer ein »Eiertanz« und ein unkalkulierbares Risiko. Im Bundestag erlebt man es besonders deutlich, wie Männer auf weibliche Redner reagieren: Kaum tritt eine Frau ans Rednerpult, machen sich die »Zwischenrufer vom Dienst«, die mit Verlaub »kleinen Kläffer« , schon bereit und versuchen mit Macht, die Rednerin zu stören. Sie können es einfach nicht ertragen, daß eine Frau über das Mikrofon verfügt, die auch noch in der Sache etwas beizutragen hat, während sie, die Männer, mikrofonlos und überhaupt nicht »am Ball«, zuhören müßten, was sie zu sagen hat. Statt vieler Worte hier ein Auszug aus dem Protokoll des Deutschen Bundestages: [11]
Vizepräsident Westphal: Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Martiny-Glotz.
Frau Dr. Martiny-Glotz SPD Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, das Auditorium erträgt es, nun die dritte Bürgerin des Freistaates Bayern hier ans Pult treten zu hören,
(Duve SPD: Sie sind uns alle lieb!)
zumal, ich nicht zusagen kann, daß ich dem Auditorium ein ähnliches intellektuelles Vergnügen bereite, wie das Herr Maler eben getan hat; aber ich will mir Mühe geben.
(Dr. Waigel CDU/CSU: Sind Sie nicht etwas zu leichtfertig nach Berlingegangen ?)
Mit gelinder Boshaftigkeit stelle ich an den Anfang, Herr Maier, daß heute nachmittag in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste...
(Dr. Waigel CDU / CSU: Das ist der Professor Maier!)
- Eine Dame gebraucht keine Titel, habe ich von meiner Großmutter gelernt.
(Beifall bei der SPD und der FDP - Dr. Waigel CDU/CSU: Er verdient ihn!)
Herr Waigel, wenn Sie dies bitte zur Kenntnis nehmen.
(Dr. Waigel CDU/ CSU: Aber er hat ihn ordentlich erworben! Mit Habilitation!)
- Verdammt noch mal - jetzt fluche ich einmal - was ist das für eine Art, daß Sie,
(Conradi SPD: Herr Waigel ist ein Flegel!) wenn eine Dame, eine Kollegin, hier ans Rednerpult tritt, sofort mit Ihren blöden Zwischenrufen anfangen!
(Beifall bei der SPD - Lachen bei der CDU/ CSU)
So, jetzt bin ich wieder lieb und sage mit gelinder Boshaftigkeit -
Vizepräsident Westphal: Frau Abgeordnete, ich möchte Sie bitte einen Moment unterbrechen. Ich muß dem zustimmen, was die Rednerin eben gesagt hat. Es ist wirklich so: Kaum ist eine Rednerin am Pult, schon setzen Zwischenrufe ein. Ich bitte um ein bißchen Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN - Zurufe von der CDU/ CSU)
Frau Dr. Martiny-Glotz (SPD): Nun ist fast die ganze Pointe kaputt.
(Heiterkeit)
Es handelte sich übrigens um die erste Kulturdebatte im Deutschen Bundestag. Oft kann man in Diskussionen auch feststellen, daß Frauen sich erst relativ spät überhaupt zu Wort melden. Ich erkläre mir dies so, daß sie erst einmal abwarten wollen, wie die Diskussion sich entwickelt und ob sie selbst etwas Sinnvolles dazu beitragen können. Wenn sie sich dann melden, so sind ihre Beiträge meist präzise und genau zur Sache. Man kann auch sicher sein, daß sie nicht - wie meist schon viele Männer vor ihnen - ansetzen mit dem Satz »Wie mein Vorredner schon gesagt hat ... dieser Meinung bin ich auch« oder: »Eigentlich ist schon alles gesagt worden, aber ich will doch noch einmal unterstreichen ...« Man erlebt es außerordentlich selten, daß Frauen sich vor Beginn einer Diskussion bereits zu Wort melden, wie dies Männer tun: Letztere müssen einfach reden, auch wenn sie gar nichts zu sagen haben, Duftmarken setzen gewissermaßen. Weibliche Diskussionsbeiträge zeichnen sich hingegen zumeist durch erheblich größere Kompetenz aus. Trotzdem bestimmen sie den Diskussionsverlauf weit weniger, denn »mann« hört ihnen nicht zu. Was Frauen zu sagen haben, wird schlicht nicht zur Kenntnis genommen. Erst wenn ein Mann die weiblichen Argumente aufgreift und verstärkt, spielen sie in der Diskussion eine Rolle. Diskriminierung von Frauen natürlich auch im Zweiergespräch, beispielsweise zwischen Arzt und Patientin, in der Autowerkstatt oder in der Bank oder etwa gar im Fernsehen durch Interviewer, Talkmaster o. ä. Wie häufig erleben Frauen in solchen Situationen, daß sie als Dummchen »abgefertigt« werden! Es liegen Untersuchungen darüber vor, daß Ärzte sich oft gar nicht die Mühe machen, ihren Patientinnen den Befund zu erklären und sie in die Entscheidung einzubeziehen. Männliche Frauenärzte schreiten auch häufiger zu gynäkologischen Operationen, als weibliche Frauenärzte dies tun würden. Und die Frauen sind wehrlos - wer sollte ihnen schon zu Hilfe kommen? Ein Aufschrei ging durch die Ärzteschaft, als Kölner Frauen es wagten, sich gegen diese Männermacht zu solidarisieren und eine Liste von Gynäkologen anlegten, in der die Frauen ihre Erfahrungen als Patientinnen aufzeichneten und weitergaben. Die Mißachtung der kommunikativen Fähigkeiten von Frauen fällt mir an einem Punkt besonders stark auf, der auch mit der Sprache zusammenhängt: bei der Beobachtung, daß gesellschaftliche Kommunikation ohne Sprache schlechterdings undenkbar ist. Sprachlose Kommunikation taugt nur für Liebende oder das Verhältnis zwischen Mutter und Baby, aber selbst bei solchen intimen Beziehungen ist ohne Liebesgestammel und Worte der Zuwendung nicht auszukommen. Wer lehrt uns eigentlich sprechen? Wer vermittelt Sprache? Auch wenn Ausnahmen die Regel bestätigen.: Die, die in unserer Gesellschaft »muttern«, die »MUTTS«, wie das Kursbuch sie ironisiert - eben die Frauen als Mütter, Tages- und Pflegemütter, als Kindergärtnerinnen. Frauen reden mit den Kleinkindern, ermuntern sie, fragen sie, verbessern Fehler, lesen vor. Sie lehren Kinderreime, singen, spielen. Und dabei ist ein Moment besonders bewundernswert: Sie wenden sich jedem heranwachsenden Individuum individuell zu, übernehmen sein Tempo, reagieren auf seine Beobachtungen, unterstützen und verstärken. Wie stolz können wir Frauen, wir Mütter darauf sein, daß Kommunikation ohne uns in dieser Gesellschaft gar nicht entstehen würde! daß wir die demokratischen Umgangsformen schon vom Kleinkindalter an üben und lebendig halten! daß wir diejenigen sind, die in der Kleinstruktur unserer Gesellschaft - der Familie - »jeden nach seiner Facon selig werden lassen«. Kein Zufall, daß von der »Muttersprache« gesprochen wird. jeder wird bestätigen, daß die Familiarismen in der eigenen Familie überwiegend von der Mutterseite kommen, auch Dialekte werden von Kindern eher von der Mutter übernommen. Sprache ist Leben. Erstaunlich eigentlich, daß die sprach- und damit lebensstiftende Funktion von Frauen so wenig gesehen wurde. Gewiß, Männer schreiben Bücher, und sie tun dies mehr als Frauen.
Männer bestreiten Dispute, wissenschaftliche Kontroversen, Symposien, Polemiken. Aber ist all dies nicht vergleichsweise tot im Vergleich zur siebenundneunzigsten Warum-Frage einer Vierjährigen, die von ihrer Mutter geduldig beantwortet wird? Auch auf die Gefahr hin, mich ins Anekdotische zu verlieren, möchte ich aus der Erfahrung meines Kampfes um den Vorsitz der bayerischen Landespartei zwei Beispiele geben, zu welch komischen Verirrungen Männersprache führen kann. So etwa in der Mitte der Wegesstrecke bis zum entscheidenden Landesparteitag traf in München eine Gruppe von Wahlkampfplanern zusammen, angereichert durch einige »lmporte« aus der Parteizentrale in Bonn, und man besprach, wie denn am besten unters Wählervolk gebracht werden könnte, daß die bayerische SPD neue und erfolgversprechende Wege beschritten habe, so daß das Wahlergebnis der Landtagswahl des Jahres 1986 zwangsläufig ein glänzender Sieg werden müßte. Bei diesen Diskussionen stellte sich heraus, daß von der Tatsache, daß es eine weibliche Person war, die sich um die Position der Landesvorsitzenden bewarb, erhebliche Irritationen ausgingen.
Und weil man so gar nicht wußte, wie mit diesen Irritationen umzugehen sei, wie man sie in ein einigermaßen kalkulierbares Fahrwasser lenken könne, wurde die Devise ausgegeben: »Die Kuh muß vom Eis!« Die Kuh war ich, und ich sollte zu einer Rücknahme meiner Kandidatur bewegt werden. Noch einprägsamer war ein Dialog zwischen einem ZDF Journalisten und mir am Vorabend der Wahl in Hof. Meldet sich der Journalist am Telefon und fragt: Wann ist denn morgen die große Stunde? - Ich: Irgendwann am Spätnachmittag, genau planen kann man das zeitlich nicht. - Er: Wie wird es denn ablaufen? - Ich: Es ist beschlossen, daß zuerst ich rede, dann Rudolf Schöfberger, jeder hat 30 Minuten Redezeit. - Er: 30 Minuten Redezeit, das ist ja schon was. - Ich: 30 Minuten Redezeit sind 30 Minuten Redezeit. - Er: Na ja, ich meine, da müssen Sie schon die Hosen runterlassen. - Ich: Wenn Sie das so sehen, habe ich schon verloren, denn Sie wissen doch, daß nach Männermeinung darunter bei Frauen nichts ist. Er: Verlegenes Lachen. Die Kuh mit herunter gelassenen Hosen bekam dann 41,3 Prozent der Stimmen. Nicht auszudenken, wenn es sich um einen Stier gehandelt hätte!
Was gibt's bei dir denn zu entfalten - Die Mißachtung weiblicher Kreativität
»Eine Frau muß Geld haben und ein Zimmer für
sich allein, wenn sie <fiction> schreiben will; und
das läßt, wie Sie sehen werden, das große Problem
der wahren Natur der Frau und der wahren Natur
von <fiction> ungelöst.»
Virginia Woolf
Ein Zimmer für sich allein.
Die Lebensgeschichte einer sonst namenlosen Frau ist mir in Erinnerung. Ihre Selbstfindung begann mit einem einfachen Holztisch, den sie in die Küche stellte, um daran ihre Schularbeiten fürs Abendgymnasium zu machen. Von diesem Tisch aus, diesem Quadratmeter eigenem Raum, begann sie, ihr Leben neu zu gestalten. Emanzipation - und das heißt für geistig tätige Frauen das bewußte Bekenntnis zur eigenen Intellektualität und Kreativität - vollzieht sich auch durch symbolische Akte. So habe ich mich als Studentin immer wieder darüber gewundert, warum meine Mutter, die zur Zeit meines Studiums eine Berufsausbildung nachholte, sich in dem riesigen Haus, das meine Familie damals bewohnte, nicht einen Raum und einen Schreibtisch für sich allein reservierte. Irgendwann einmal mußte doch Schluß sein mit dieser Arbeiterei am Wohnzimmertisch, halb auf dem Schoß, ohne das richtige Rüstzeug und mit der Stimme meines Vaters im Hintergrund, der in seinem danebenliegenden Arbeitszimmer abends Briefe zu diktieren. pflegte. Zeit ihres Lebens hat es meine Mutter zu einem solchen Arbeitszimmer oder zumindest zu einem eigenen Schreibtisch nicht gebracht: Sie nahm ihr Bedürfnis danach einfach nicht wichtig genug. Ich war da schon selbstbewußter, obgleich sich im Rückblick mein Kampf um den eigenen Schreibtisch und das eigene Zimmer recht komisch ausnimmt. Mit der Aufgabe des Studentenzimmers in Göttingen Ende 1964 begann ein 20jähriges Provisorium: Erst im Jahr 1984 brachte ich es wieder zu einem Zimmer für mich allein, das weder Schlafzimmer noch Gästezimmer noch. Fernsehzimmer gleichzeitig war und in dem ein Schreibtisch stand, den ich nicht räumen mußte, wenn mein Mann abends nach Hause kam, am Wochenende daran arbeiten wollte, wenn gegessen wurde oder die Kinder fern sahen. Die Kombination zwischen Familie und Beruf, die für den Ehemann zu Hause immer ganz selbstverständlich sein Refugium vorsah, tat dies für mich erst zu dem Zeitpunkt, als er die Familie verließ. Was durchaus nicht besagt, daß dies etwa an seiner Böswilligkeit gelegen hätte, nein: ich selbst habe mich so weit zurückgestellt und meine intellektuellen Ansprüche durch die Projektion auf ihn zu befriedigen versucht, wofür es eben kein eigenes Arbeitszimmer brauchte. Zum Erledigen der Post konnte ich ja ins Büro gehen! Auch die Ausstattung des Arbeitsplatzes Küche ist für die im Doppelberuf stehende kreativ tätige Frau von entscheidender Bedeutung.
Der Hausgeräte-Industrie ist das Werbeargument durchaus vertraut, daß ein Mann seine Hausfrauen-Frau geradezu verwöhnt, wenn er ihr zu den einschlägigen Gedenktagen das aller modernste XY-Hausgerät schenkt. daß ein solches Geschenk bei den außerhäuslich berufstätigen Frauen erst recht angebracht wäre, hat sich noch nicht herumgesprochen. Auch ich habe lange gebraucht, bis ich mich getraut habe, mich auf den Standpunkt zu stellen, daß eine vernünftig ausgestattete Küche und moderne Hausgeräte nötig sind, um mir meine kreativen Kräfte zu erhalten. Natürlich wäre auch die Mithilfe von Familienangehörigen angenehm gewesen bei der Führung des Haushaltes an Wochenenden und in den Ferien, aber welche Ehefrau und Mutter, die durch ihre häufige berufliche Abwesenheit ohnehin ihrer Familie gegenüber ein permanent schlechtes Gewissen hat, setzt dies schon durch! Wenn ich mich zu erinnern versuche, wie sich meine Intellektualität entwickelt hat und welche Haltung ich zu ihr entwickelte, fällt mir merkwürdigerweise Toni Buddenbrook ein. Toni verliebt sich als junges Mädchen an der Ostsee in einen Studenten und sitzt mit diesem, wenn ich mich richtig erinnere, stundenlang auf Deich und Dünen, wo er ihr seine Gedanken entwickelt und sie andächtig und nur wenig verstehend zuhört, dabei aber etwas ein für allemal begriffen hat: die männliche intellektuelle Überlegenheit. Und weil ihr dies so nachhaltigen Eindruck macht, ziehen sich hinfort intellektuelle Überbleibsel jener Jugendliebe durch Tonis Gespräche, meist an wenig passender Stelle. Ganz wie Toni Buddenbrook ist es mir nicht ergangen, aber auch ich habe viele Jahre alles, was Männer äußerten, automatisch für bedeutender gehalten als das, was in meinem eigenen Kopf vorging. Meine geistige Entwicklung nahm ich nicht wichtig: Wichtig waren seiner Karriere und die Kinder. daß er ein Arbeitszimmer brauchte, wo er ungestört und vom Kinderlärm unbelästigt nachdenken und schreiben konnte, war mir immer selbstverständlich; ich zog mit meinen Sachen dann eben um: vom Schlafzimmer ins Eßzimmer, vom Wohnzimmer in den Garten - gerade wie die räumlichen und jahreszeitlichen Möglichkeiten dies zuließen. Und ich habe mich auch nicht dagegen gewehrt, daß mir die Zeiten für eine kontinuierliche geistige Tätigkeit nach der Geburt meiner Kinder so entsetzlich zerstückelt wurden. Nie hatte ich Zeit, etwa einmal länger als drei Stunden an einem Stück nachzudenken und etwas zu Papier zu bringen. Immerzu kam ein Familienmitglied und wollte etwas von mir: »Anke, wo ist wohl ... Bindfaden, meine Badehose, die Zeitung, die Teekanne.«
Während ich auf Zehenspitzen durch die Räume schlich und die Kinder zu äußerster Ruhe ermahnte, wenn »er« schlief oder arbeitete, ist meinen Schaffensprozessen solche Rücksicht nie zuteil geworden. Aber ich habe auch nicht darum gekämpft, sondern es war halt so mein Los als Frau, damit hatte ich mich abzufinden, schließlich hatte ich ja diese Kinder zur Welt gebracht, war es mein Wunsch, zusätzlich berufstätig zu sein, hatte ich den verrückten Gedanken, zusätzlich noch kleinere journalistische Arbeiten verfassen zu wollen! Wenn ich damit nicht zu Rande kam - meine Angelegenheit. Einmal habe ich mich während unserer Ferien in Italien regelrecht versteckt, um einmal zwei Stunden ungestört lesen zu können. Als ich zurück kam, empfingen die Kinder mich vorwurfsvoll: Wo ich denn so lange gewesen sei? Warum war es nicht einmal im Urlaub möglich, daß der Vater Mutterstelle übernahm? Ein andermal, ebenfalls in Italien, machte ich einen tränenreichen Aufstand: Nie hätte ich Zeit und Ruhe, das, was in mir steckt, zu entfalten. Darauf er: Was gibt es bei dir denn zu entfalten? Er meinte es witzig. Mir ging es in puncto Entfaltung nicht schlechter, aber eben auch nicht besser als anderen Frauen meiner Generation. Frauen nehmen das, was in ihrem Kopf ist, lange-nicht wichtig: Männer und männliche Maßstäbe sind wichtiger. Irgendwann kommt dann allerdings der Punkt, wo sie feststellen, daß sie vieles genauso gut oder sogar besser gedanklich fassen und formulieren können, bis sie schließlich sogar entdecken daß sie ganz eigene Ideen und Vorstellungen haben. Auf jeder dieser Entwicklungsstufen sind Frauen im Vergleich zu Männern in geistigen Berufen zusätzlich behindert, weil ihnen die familiäre Unterstützung fehlt. Vor einiger Zeit bereiste ich mit einer Freundin die DDR und wurde in Rostock mit dem Nachlaß einer Malerin bekannt gemacht, die Anfang der dreißiger Jahre kurz vor dem Durchbruch stand, als die Nazis dieses zunichte machten.
Nach dem Krieg, im kommunistischen Teil Deutschlands, wurde diese Künstlerin nicht wieder entdeckt: Auch den neuen Machthabern paßte ihre Richtung nicht. Ende der sechziger Jahre fand schließlich ihre erste große Ausstellung statt, wichtige DDR-Museen und Kunstsammler kauften ihre Bilder, aber da war Kate Diehn-Bitt schon fast siebzig Jahre alt und starb wenige Jahre später. Ein Künstlerschicksal, wie es häufiger vorkommt, aber auch ein Frauenschicksal. Wer erschließt die noch nicht versiegten historischen Quellen, wer kümmert sich um den Nachlaß? Fast jeder männliche Künstler und Intellektuelle hat eine liebende Gattin, eine Geliebte oder eine Tochter, die seinen Nachlaß pflegt. Noch zu seinen Lebzeiten weiß die ganze FamiIie eines unerkannt gebiebenen Genies: Dieser Mann ist außergewöhnlich, sein Erbe muß beachtet und gepflegt werden. Frauen hingegen verschwinden rasch aus der Geschichte. Kunsthistorische Forschungen haben ergeben, daß unter den vielen durch die Zeit des Dritten Reiches vergessenen Künstlern es insbesondere die Frauen sind, deren Schaffen schwer zu rekonstruieren ist: Zu wenig wichtig nahmen sie sich selbst, zu gering wurde ihr (Euvre von der Umwelt geschätzt, zu schütter sind die Quellen, um die Lebensleistung noch rekonstruieren zu können. Wenn heute vergangene Epochen neu beleuchtet werden, unterbleibt in der Regel bei solchen Retrospektiven die Wiederbelebung des weiblichen Kulturbeitrags. Daran müssen wir Frauen schon selber denken! So nimmt es denn kaum wunder, wenn im Katalog zur Ausstellung »Abstrakte Maler der inneren Emigration«, die im Bundeskanzleramt im Dezember 1984 eröffnet wurde, keine Künstlerinnen zu finden sind. Wie sah deren »innere Emigration« wohl aus? Sie werden wohl die Familie durchzubringen gehabt haben. »1931 - Heirat mit der Malerin Anneliese (Woty) Rütgers« steht lapidar im Lebenslauf von Theodor Werner. Wie es ihr wohl erging?
Im Vorwort preist der Herr Bundeskanzler die Väter des Grundgesetzes - die vier »Mütter«, allen voran Elisabeth Seibert, die den Gleichheitsgrundsatz durchsetzten, werden als quantit√© negligeable unterdrückt. Bei den bildenden Künstlerinnen fällt noch ein Moment ins Gewicht, das ihre Situation von der ihrer männlichen Kollegen ganz wesentlich unterscheidet: Die Frage des Modells. Der männliche Künstler hat in der Geliebten oder Ehefrau jederzeit ein kostenloses Modell zur Verfügung, das sich stundenlang für Porträts und Aktstudien zur Verfügung stellt. Die Künstlerin hat diese Möglichkeiten nicht, denn kein Mann - und mag er die Frau noch so lieben - ist zu derlei Dienstleistungen im gleichen Umfang bereit. Ein typisches Frauenschicksal erlitt die kürzlich verstorbene Mathilde - »Quappi« Beckmann, die für ihren Mann eine eigene viel versprechende Sängerinnenkarriere aufgab und sich hinfort als »Engel, den man mir geschickt hat« - so Beckmann - betätigte. In den Porträts, die Beckmann von ihr gemalt hat, wird sie überleben. Doch auch bei den Künstlerinnen ändert sich im Zeichen des Feminismus das Bewußtsein. In den Bildserien der Schweizer Künstlerin Miriam Cahn, die weiteren Kreisen durch ihren Beitrag auf der letzten Biennale in Venedig bekannt wurde, drückt sich dieses veränderte Bewußtsein beeindruckend aus. Eine Serie heißt: »Sie will den Kopf nicht senken«, eine andere war unter dem Sammelbegriff »Eisprungbilder« zusammengefaßt. Alle Bilder zeigten, daß hier eine Künstlerin am Werk ist, die ihre Weiblichkeit als Hinterland ihrer künstlerischen Erfahrung bewußt miteinbezieht, aber offensiv, stark, ihrer selbst bewußt. [12] daß für Künstlerinnen Mutterschaft ein zentrales Thema darstellt, daß Kinder oft eine große Rolle spielen, erleben wir häufig, von Paula Modersohn-Becker bis zu Karin Struck gibt es vielfältige Beispiele.
Was relativ neu ist, ist die künstlerische Auseinandersetzung mit Brutalität und Macht, mit Unterdrückung und Frauenfeindlichkeit, wie insbesondere sensible Künstlerinnen dies erleben. Die Wiener Künstlerin Renate Bertlmann prangert dies mit großer Direktheit an: Präservative jeder Größe, Form und Ausstattung, von ihr selbst in einem Sex-Shop gekauft, hängt sie auf einer Wäscheleine zur Schau aus, erigierte Penisse aus Plastik-Schaumstoff wickelt sie wie Babys im Mittelalter, fünfzig Zentimeter groß, und gruppiert sie in einer Art Brutkasten, der sich wie eine entmenschte Säuglingspflegestation ausnimmt. Mal bilden die Penisse auch die Leiber von Schmetterlingen, wobei man an die Tragfähigkeit der Sehnsuchtsvögel kaum glauben mag. Ein Schauerkabinett der Unterdrückung, geschaffen von einer sensiblen Frau, die sich ihren Wunsch nach Kindern trotz großer Sehnsucht und einer glücklichen Ehe glaubt versagen zu müssen, weil sie nur eines kann: entweder Künstlerin oder Mutter sein. Männer können beides miteinander verbinden. Frauen von Künstlern und Intellektuellen, die vor der Eheschließung häufig ähnliche Begabungen hatten wie der geschätzte Gatte, stellen ihre eigenen Bedürfnisse meist zurück, dafür zunächst einmal atmosphärisch alles bereit, um dem Ivlann das Schaffen zu ermöglichen: Sie führen den Haushalt, erledigen die Wäsche, sorgen für Einkauf und Küche, halten die Kinder zur Ruhe an und vieles andere mehr; nachzulesen bei Thomas Mann, ähnlich bei Beckmann, Carola Bloch oder Alice Herdan-Zuckmayer. Der Einsatz der Ehefrauen geht aber meistens noch weiter: Sie korrigieren Manuskripte, erledigen den Schriftverkehr, besorgen notwendige Bücher, bringen eigene Ideen ein. Wichtige Teile der Schlegel-Tieckschen Shakespeare-Übersetzung stammen von Dorothea Schlegel, und auch Caroline Schlegel war nicht unbeteiligt. Davon spricht aber niemand: Die Damen sollen doch froh sein, an der Seite ihrer bedeutenden Männer gelebt haben zu dürfen, geistiges Eigentum und geistiges Urheberrecht werden quasi kollektiviert und gelten für das Paar insgesamt! Der umgekehrte Fall dürfte selten sein.
Und außerdem gibt es für derlei Tätigkeiten »mithelfender Familienangehöriger« die Erfindung der Widmung. Da finden sich die Gattinnen und Mütter für die Nachwelt verewigt, und auch im unumgänglichen Vorwort wird ihnen gedankt: Für ihre Geduld, für den geleisteten Verzicht auf männliche Mithilfe bei der mühevollen täglichen Daseinsvorsorge. Männer nennen diesen Vorgang der Enteignung gerne »Hingabe«.