Wo wir starteten, wo wir stehen

Was Fauen in Bewegung setzte

»Die Menschen machen ihre Geschichte nicht aus
freien Stücken. Aber sie machen sie selbst... Und
wenn wir die geschichtliche Entwicklung so wenig
überspringen können, wie der Mensch seinen
Schatten, wir können sie wohl beschleunigen oder
verlangsamen.«
Rosa Luxemburg
Die Krise der Sozialdemokratie Leipzig 1916

Die Frauenforschung hat in den letzten Jahren die Unterdrückung und Diskriminierung der Frau und der Weiblichkeit verstärkt erforscht und beschrieben. Was wir heute vorfinden und - sofern wir Frauen sind - beklagen, hat schließlich eine mehr als zweitausendjährige Tradition, wenn wir Antike und Christentum als Wurzeln unserer abendländischen Kultur anerkennen. Ich will diese Historie im einzelnen nicht nacherzählen und weder auf die antike Polis noch auf Paulus noch auf die Hexenverbrennungen näher eingehen, will weder die unterdrückten weiblichen Genies in den Malschulen der Renaissance erwähnen, noch die Überlegungen nachvollziehen, warum sich keine einzige Komponistin im Laufe der Musikgeschichte hat durchsetzen können. Mich interessiert vielmehr, unter welchen Bedingungen Frauen als einzelne oder als Gruppe bestehende Machtstrukturen in Frage gestellt, sich öffentlich engagiert und vielleicht sogar Gegenmacht aufzubauen begonnen haben. Die Frage nach der Frauenmacht hat Männer bisher nicht interessiert, denn sie waren mit sich selbst beschäftigt, und so stark war die Frauenmacht nie, daß sie die Männergesellschaft ernsthaft bedroht und in Frage gestellt hätte. Aber auch weibliche Forscher haben sich unter dem Machtgesichtspunkt mit der Geschichte der Frauenbewegung bisher nicht beschäftigt. Auch heute noch besitzt das Wort »Macht« für Frauen einen so abstoßenden Klang, daß sie den Besitz von Macht und das Streben nach Macht immer noch weit von sich weisen und sich noch immer schwertun, machtvolle Frauengestalten emotionslos als solche wahrzunehmen und einzuordnen. daß Rosa Luxemburg sich nie expressis verbis mit der Frauenfrage befaßt hat, ließ sie in den Augen jüngerer »frauenbewegter« Frauen nicht als »richtige Frau« erscheinen und schmälerte ihre Geltung. Besonders schillernd wird die Wahrnehmung machtvoller historischer Frauengestalten, wenn sie in die allgemeine Parteigeschichte eingegliedert werden. Rosa Luxemburg und Clara Zetkin, um deren Rang sonst heftig gestritten wird, rücken dann plötzlich eng zusammen und werden heroisiert, während andere bedeutende Politikerinnen der Sozialdemokratie - Helma Steinbach etwa oder Hedwig Wachenheim oder Marie Juchacz - in die Bedeutungslosigkeit verschwinden. »Marxismus« oder »Reformismus« heißt plötzlich die alles entscheidende Frage, hinter der die »Frau« völlig zurücktritt. Es hat immer schon einzelne politisch bedeutende Frauen gegeben. Als Töchter, Schwestern, Gattinnen oder Geliebte fiel ihnen durch die historischen Umstände Macht zu, und von Cleopatra über Galla Placidia, Lucretia Borgia, Katharina die Große, Maria Theresia, Madame Pompadour bis hin zu Indira Gandhi waren diese besonderen Frauen. imstande, die Gunst der Stunde zu nutzen und Macht und Einfluß auszuüben. Bis zum heutigen Tag funktioniert das Muster der gewissermaßen »ererbten« Macht, wenn wir an Corazon Aquino, Alizar Bhutto oder die ermordete indische Ministerpräsidentin. Gandhi denken. Geht man von der Zahl dieser vereinzelten politisch bedeutsamen Frauen aus, findet sich »ererbte« Macht sogar häufiger als politisch legitimierte, wie etwa bei Golda Meir, Margaret Thatcher oder, neuerdings, Gro Harlem Brundtland. Das hat zunächst kaum etwas mit den jeweiligen Fähigkeiten der Frauen zu tun, viel aber damit, daß »normale« Wege zu Macht und Einfluß für Frauen kaum je zum Erfolg führen, weil die etablierten Machtstrukturen dies verhindern.

Damit will ich die politische Bedeutung jener Frauen, die gewissermaßen durch Erbschaft an die Macht kamen, keineswegs schmälern: Viele von ihnen haben gezeigt und zeigen noch, daß sie politische Persönlichkeiten »erster Wahl« darstellen und für ihre Länder Herausragendes leisteten oder leisten. Beide Karrieremuster für Frauen - die »ererbte Macht« genauso wie die politisch legitimierte - lassen Frauen aber nur in extremer Vereinzelung an die Spitze, gewissermaßen als »Bienenköniginnen«: Eine darf es sein, eine muß es manchmal sein aber damit ist es auch gut. Eine »Frauenbewegung« läßt sich auf diese Bienenköniginnen natürlich nicht gründen. Dazu bedarf es einer Vielzahl von Frauen in einflufßreichen Positionen und einer breiten weiblich geprägten Infrastruktur, einer interessierten Öffentlichkeit und der gemeinsamen politischen Überzeugung, daß das Geschlecht politisches Programm oder wenigstens Teil des politischen Programms ist. Diese Grundbedingungen finden wir in Ansätzen in der europäischen Geschichte erst seit etwa 200 Jahren. Das heißt: Die Frauenbewegung hat sich im Pendelschlag der Befreiungsbewegungen entwickelt, also mit den Vorläufern zur Französischen Revolution und zur amerikanischen Unabhängigkeitserklärung. Horst Eberhard Richter hat in seinem Buch »Der Gotteskomplex« unter dem Stichwort »Die Geburt und die Krise des Glaubens an die Allmacht des Menschen« durch »Die Krankheit, nicht leiden zu können« dargestellt, zu welcher Korrumpierung von Solidarität und Sympathie es kommt, wenn eine totale Anpassung an hierarchische Strukturen und eine Unterwerfung unter das Machtprinzip stattfindet. Er beschreibt, wie das »in der Gesellschaft dominierende Machtprinzip ... sich im Einklang mit den traditionellen patriarchalischen Erziehungsleitbildern« befindet, »welche den Jungen zur unmittelbaren Verwirklichung, den Mädchen zur passiven Huldigung vorgehalten werde. Der Junge lernt, das Leiden als Attribut von Ohnmacht an das Mädchen abzutreten und sich planmäßig an den reihenweise angebotenen Märchenhelden oder den historischen Supermännern auszurichten, die insgesamt Größe, Stärke, Siegen, Willen zur Macht repräsentieren.« So wurden und werden die Frauen aus dem aktiven Gesellschaftsleben gedrängt und »hausfrauisiert«. Antike und Christentum waren eifrig und in Phasen der Gefährdung von Männermacht mit aller Brutalität bestrebt, die Frauen aus dem öffentlichen Leben herauszukatapultieren und ihnen den Part der Machtlosigkeit zuzuweisen. Alle Weltreligionen sind sich einig, daß die anarchische Kraft der Frauen eingedämmt werden muß, damit in den Gesellschaften kein Schaden entsteht. [1]
Was fordert - bei so schier unüberwindlichen Barrieren Frauen heraus, sich dennoch öffentlich zu engagieren und nach den Zipfeln der Macht zu greifen, wenn dazu Chancen sind? Ihr Handeln erfolgte häufig aus direkter Betroffenheit, wenn nämlich aller phantasievoll und listig geleistete Widerstand gegen Leid und angetane Unterdrückung keine Hilfe gebracht hatte und die gesellschaftlichen Zustände unerträglich geworden waren. [2] Wenn das Wohlergehen der Familie und der Kinder in Frage gestellt war und die gesellschaftliche Situation dazu Raum bot, haben Frauen sich engagiert. Zeitgenössische Autoren kommen zu dem Ergebnis, daß es im 19. Jahrhundert ohne die Beteiligung von Frauen keine wahre Revolution hätte geben können. In vielen Fällen - beispielsweise bei den Brotunruhen im Vorfeld der Französischen Revolution, aber auch bei Aktionen gegen Mietwucher und gegen die Einführung von Maschinen - sind Frauen sogar die treibende Kraft der revolutionären Auseinandersetzungen gewesen. Als sich nach der Französischen Revolution die Mode änderte und die Gewänder bescheidener, bürgerlicher wurden, weniger prächtige Handarbeiten erforderten, die im Zuge der Industrialisierung durch Maschinen geleistet wurden, zerstörte diese Entwicklung die materielle Lebensgrundlage vieler Arbeiterfamilien.

Durch die zunehmende Verstädterung brach gleichzeitig die traditionelle Armenfürsorge zusammen. Das Massenelend, Hunger und die revolutionären Umtriebe, die daraus entstanden, riefen die Frauen auf den Plan. Es ist bezeichnend, daß die Frauendemonstrationen in der Textilindustrie, die relativ häufig waren, gleichwohl bei Marx und Engels und deren Beschäftigung mit der Frauenfrage nur eine minimale Rolle gespielt haben - eine der üblichen Wahrnehmungsbarrieren den Frauen gegenüber. Wird das Pendel der Frauenbewegung also durch Not angeschubst? Und wird dann, wenn die Not beseitigt ist, die Notwendigkeit nicht mehr gesehen, auch fürderhin für eine vernünftigere Politik zu sorgen? [3] daß sich im Ersten und im Zweiten Weltkrieg die Anzahl der berufstätigen Frauen verdoppelte, daß neue Berufsfelder für Frauen zunächst erobert schienen und Aufstiegschancen eröffnet, diese Entwicklung aber nach der Rückkehr der Männer aus den Kriegen rasch wieder rückgängig gemacht wurde, bestätigt diese These. Ein Antriebsfaktor für Frauen, sich öffentlich zu engagieren und »Macht« im Sinne von Verantwortung zu übernehmen und sich zur Verbreiterung der individuellen Machtbasis auch mit anderen zu solidarisieren, scheint in der Tat darin zu liegen, daß für die Frau selbst und die ihr anvertraute Familie existentielle Not einsetzt. Die historische Forschung weist in diesem Zusammenhang übrigens auf ein bemerkenswertes Beispiel männlicher Feigheit hin: In solchen Krisenzeiten entzogen sich Männer nämlich häufig dem Druck, für die Familie aufzukommen, und verschwanden einfach, damals oft in die Kolonien. »Man weiß noch immer nicht, was mit den 200 000 bretonischen Familien geschah, die vom Salzschmuggel gelebt hatten, als 1790 die Salzsteuer abgeschafft wurde.« [4]  Das Phänomen des männlichen Sich-Dünnemachens in Krisenzeiten kennen wir übrigens auch aus der Beobachtung von armen Farbigenfamilien in den amerikanischen Groß- und Mittelstädten.

Die Frauen halten, so gut sie können, die Familie zusammen, während die Familienväter irgendwo für sich leben oder eine neue Frau finden. Die persönliche Betroffenheit, die für die Frauen den Anlaß zum Engagement bildet, kann übrigens auch - das zeigen andere historische Perioden, bespielsweise im Vorfeld des Ersten Weltkriegs oder das Erstarken der Friedensbewegung in jüngster Zeit - von ideellen Zielen motiviert sein, beispielsweise dem Wunsch nach Frieden. Dabei muß allerdings als Voraussetzung ein weiteres Moment hinzukommen: daß sich gesellschaftliche Formen finden lassen, die nicht bürokratisch eingeengt und hierarchisch gegliedert sind. Öffentliches, auf Übernahme von gesellschaftlicher Verantwortung hinzielendes Engagement von Frauen scheint unbürokratischer und nicht-hierarchischer Organisationsformen zu bedürfen. Zahlreiche Frauen, die sich in den etablierten Parteien betätigt hatten, haben diese verlassen und sich Bürgerinitiativen oder der Partei der GRÜNEN angeschlossen, weil sie sich in den Parteihierarchien gelähmt fühlten und für ihr Engagement kein dementsprechendes Betätigungsfeld fanden. Das Strukturelement unverfestigter und nicht-hierarchischer Lebensformen, mit einem gehörigen Schuß Anarchie kennzeichnet auch den Einfluß bedeutender Frauen der Romantik, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts öffentliche Wirkungen entfalteten: Bettina von Arnim, Caroline Schlegel, Schelling, Dorothea Schlegel, Caroline von Günderode und andere. Welches Bewußtsein von sich selbst, von ihrer Stellung in der ehelichen Beziehung und von der Stellung in der Gesellschaft diese Frauen hatten, ist der Nachwelt weniger deutlich als die Absicht, die ihre Männer mit den alternativen Lebensentwürfen verfolgten, die sie alle miteinander lebten verfolgt und angefochten von viel biedermeierlicher Spießbürgerlichkeit.

Zwar ließen Arnim, Brentano, Novalis, die Brüder Schlegel, Tieck oder Wackenroder den Frauen an ihrer Seite und in ihrem Kreis Luft zu eigenständigem geistigem Atmen. Die Frauen waren aber gleichwohl Ausgebeutete: zu ständigen Schwangerschaften verurteilt, zu einer bürgerlichen Haushaltung verpflichtet, dennoch ohne Recht auf eigene Kreativität, weil ihre männlichen Gefährten die geistige Leistung zwar ermunterten und förderten, aber schlichtweg der eigenen Produktion zurechneten, was den Frauen eingefallen war. Man überhöhte die Frau und sah in ihr das vollkommenere geistige Wesen, marien- und engelsgleich, und man benützte die weibliche Geistigkeit zur seelischen Anreicherung der eigenen Person: Ein romantischer Dichter, der auch noch Elemente weiblichen Fühlens und weiblicher Sensitivität aufnehmen und ausdrücken konnte, der war fürwahr ein vollkommener Mann. An eine Umverteilung von Macht, an eine Neubewertung der weiblichen Kreativität, an öffentliche Anerkennung weiblicher Eigenständigkeit war auch unter den Romantikern nicht zu denken. Dennoch: Der gemeinsame Kampf gegen die deutsche Kleinstaaterei, gegen die Fürsten, gegen Napoleon, aber für die Republik schmiedete freiheitlich gesonnene Frauen und Männer zusammen. Erst als die Reaktion die deutschen Lande wieder fest im Griff hatte, erstarb das zarte Hoffnungspflänzchen geistiger Gleichrangigkeit. Nach Macht und Mitverantwortung haben die Romantikerinnen vielleicht weniger gestrebt als nach geistiger Selbstentfaltung und Geistespartnerschaft. Ihr Blick für die Situation der materiell und geistig Unterdrückten war weniger scharf als der Blick auf die eigenen verschütteten Möglichkeiten: So setzt auch ihr Engagement an der persönlichen Betroffenheit an.

Als in den nachfolgenden Jahrzehnten die Trennung von Familienwohnung und Arbeitsplatz voran schritt, die Löhne sanken, die Inflation zunahm und im Zuge der wachsenden sozialen Ungerechtigkeit die sozialistische Bewegung und parallel dazu die liberale Bürgerrechtsbewegung erstarkten, wurden die Frauen in Deutschland immer noch von Junkern und Industrieherren, von Pfarrern, Richtern und Professoren das ganze Jahrhundert hindurch beharrlich klein gehalten. In den Jahren des Vormärz begannen vereinzelt Frauen aus dem gebildeten Bürgertum, sich für die Rechte und Chancen ihrer Geschlechtsgenossinnen einzusetzen. Ihr Antriebsmotiv war der Wunsch nach Gerechtigkeit. Louise Otto gründete ihre Frauen-Zeitung - »Dem Reich der Freiheit werb' ich Bürgerinnen« - und stritt für das Recht der Frauen auf Arbeit. Fanny Lewald kämpfte für die Rechte der Frauen in der Familie. 1865 erfolgte die Gründung des »Allgemeinen Deutschen Frauenvereins«, in dessen Satzungsparagraph 1 es hieß, daß der Verein die Aufgabe habe, »für die erhöhte Bildung des weiblichen Geschlechts und die Befreiung der weiblichen Arbeit von allen ihrer Entfaltung entgegenstehenden Hindernissen mit vereinten Kräften zu wirken!« [5] 1888 folgte die Gründung des »Vereins Frauenwohl«, dessen Vorsitzende bis zum Mal  Minna Cauer wurde; vom 1. Januar 1895 bis zum 31. Dezember 1919 gab sie die Zeitschrift »Die Frauenbewegung« heraus, das Sprachrohr schlechthin für die Selbstdarstellung der bürgerlichen Frauenbewegung. Doch so sehr die Frauen sich auch bemühten, am Ende des 19. Jahrhunderts waren die Heldinnen der frühen Jahre der Frauenbewegung erneut vergessen. Diejenigen, die sich mit dem Ausklang des Jahrhunderts in der Schweiz ins Studium begeben konnten, aber auch jene anderen, die an der Seite ihrer unterdrückten Arbeiter-Ehemänner, -brüder, -väter für humane Lebensbedingungen kämpften, fingen vorbildlos von neuem an, wieder Wege zu suchen, wie den Frauen zu gerechter Beteiligung an gesellschaftlicher Macht verholfen werden könnte. Dabei gingen sie in ihren Forderungen gar nicht sehr weit: Verbesserte Bildungschancen für Mädchen und Frauen, Verbot der Mütter- und Kinderarbeit, Ausbau des Gesundheitswesens, Arbeitnehmerrechte für Hausangestellte - dies waren die Forderungen, für die Frauen kämpften. Unterstützung fanden sie nur auf dem linken Flügel des liberalen bürgerlichen Lagers und bei den Sozialisten. Im Juni 1916 demonstrierten Hausfrauen auf dem Marienplatz in München und zertrümmerten dabei Fensterscheiben, um ihrem Protest gegen die unzureichende Brotzuteilung Ausdruck zu verleihen. Im Juli und August kam es in Nürnberg zu schweren Unruhen, weil Eier und Butter ausgegangen waren; hierbei bewarfen die Frauen die Polizei mit Pferdemist und Pflastersteinen. Im Januar 1917 wurden in Harburg Polizisten mit leeren Flaschen beworfen, und in einer lang andauernden Welle von Frauenrevolten wurden in der Hansestadt die Fenster von 105 Läden von aufständischen proletarischen Hausfrauen zertrümmert. Hauptsächlich war die unzureichende Lebensmittelversorgung in all diesen Fällen Ursache für die Demonstration. [6] Wie bei der Französischen Revolution scheint auch hier die Empörung der Frauen dem allgemeinen Aufstand vorangegangen zu sein. In der Rätebewegung selbst spielten die Frauen dann nur noch eine geringe oder gar keine Rolle, obgleich beispielsweise Kurt Eisner in München Frauen gern verstärkt beteiligt gesehen hätte. Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs brachen die bürgerlichen Strukturen des 19. Jahrhunderts in Deutschland zusammen.

Zu Beginn des Jahrhunderts kam es zu einem geistig-kulturellen Durchbruch für die Frauen. Von Nora über Wanda bis zu Lulu und Salome führten Literatur, bildende Kunst und Musik die Frauen aus dem Mief der Gründerjahre heraus. Dies vollzog sich auch praktisch; man muß nur Franziska von Reventlow oder Ricarda Huch und ihre Beschreibungen des Schwabing der Jahrhundertwende lesen, bzw. die Briefe und Lebenserinnerungen vieler Künstlerinnen, die in Wien, München oder Berlin lebten. [7]

Und als Sigmund Freud die weibliche Psyche entdeckte, wurde die Frau zum erstenmal in der Geistesgeschichte zu einem eigenen Forschungsgebiet! Zwar immer noch durch die männliche Brille gesehen und in männliche Denkkategorien und Vorurteile gefesselt, aber doch mit wissenschaftlicher Akribie und mit Neugier betrachtet: die Frau, das unbekannte Wesen. Sicher muß man manche von Freuds Forschungsergebnissen äußerst kritisch werten, aber an der Lebensleistung gibt es doch kein Deuteln: Freud hat die Frau zum Forschungsgegenstand gemacht, zu einem »Objekt höherer Ordnung« gewissermaßen. Als während des Ersten Weltkrieges die etablierten Strukturen zusammenbrachen, drangen die Frauen in eine Vielzahl neuer Felder vor, die ihnen in Friedenszeiten verschlossen geblieben wären. Historisches Niemandsland wurde von ihnen beackert, aber die Möglichkeiten, diese Felder dauernd in Besitz zu nehmen, blieben ihnen immer noch versperrt. Als der Krieg zu Ende und die Männer wieder daheim waren, bescherte ihnen die Revolution als Erlaß (!) noch das Wahlrecht, aber ab 1919 gingen die Frauen dann ihren angestammten Tätigkeiten nach versorgten die Familien, versuchten das Kriegsleid zu lindern, engagierten sich in ihrem unmittelbaren Verantwortungsbereich - und überließen die »große Politik« den Männern. Selbst auf dem Gebiet der Völkerverständigung, für das sich Frauen vor dem Ersten Weltkrieg so stark eingesetzt hatten, verblaßte ihr Engagement. Immerhin: 1918 wurde in der Verfassunggebenden Versammlung ein Frauenanteil von rund zehn Prozent erreicht; längst nicht alle Bundestage nach dem. Zweiten Weltkrieg haben dies zustande gebracht. 1919 wurde das Recht der Frauen, zu wählen und sich wählen zu lassen, in der Verfassung verankert.

Dafür engagierten sich damals auch die bürgerlichen Frauen, allerdings nur diejenigen auf dein linken, radikalen Flügel; die christlichen und eher konservativen akzeptierten das Wahlrecht nur widerwillig. Anita Augspurg argumentierte sarkastisch: Es gebe nur einen Bereich, in dem man die Frauen ernst nähme und voll zur Verantwortung zöge; das Strafrecht. »Man traut ihr (der Frau, A. M.) nicht nur die gleiche Unterscheidung von Verbotenem und Erlaubtem zu, man hält sie sogar für vollkommen zurechnungsfähig und verantwortlich für ihre Handlungen.« Diese Mündigkeit gelte aber nicht für das Zivilrecht, denn die Frau habe kein Wahlrecht, und außerdem gebe sie mit der Eheschließung Namen und Eigentum auf und mache ihre Handlungen voll von der Autorität des Mannes abhängig.[8] Das Frauenwahlrecht wurde per Dekret des »Rates der Volksbeauftragten« im Aufruf vom 12. November 1918 erlassen. Parlamentarisch diskutiert wurde es nie, und die Frage steht unbeantwortet im Raum, was wohl gewesen wäre, wenn das Parlament darüber debattiert hätte. In der Nationalversammlung von 1919 waren von 423 Abgeordneten am Ende der Legislaturperiode 41 Frauen, das sind 9,6 Prozent. Der Reichstag verzeichnet mit kontinuierlich abnehmender Tendenz Frauen als Abgeordnete. Aber so tief wie in der Bundestagsperiode von 1976 bis 1980 waren in der Weimarer Republik die Zahlen nie gesunken. [9]

Nach 1919 also erneut ein Pendelschlag zurück: Durch die große Not der Nachkriegszeit und durch die zunehmende Polarisierung zwischen Nationalsozialisten und Sozialdemokraten bzw. Kommunisten erstarkten in Deutschland die restaurativen Kräfte, insbesondere im ehemals gemäßigten Bürgertum, und die Bestrebungen, weitere gesetzliche Verbesserungen für Frauen zu erzielen, waren nicht erfolgreich. Wieder einmal, wie schon mehrfach in der Vergangenheit, wurden die Heldinnen des Aufbruchs verdrängt und vergessen. Clara Zetkin und Rosa Luxemburg sind zwar dem Namen nach bekannt, aber verketzert: In westdeutschen Großstädten sucht man vergeblich nach Straßen oder Plätzen, die nach ihnen benannt wären, und eine Zetkin-Briefnarke gibt es auch noch nicht. Wer aber erinnert sich an Lily Braun, Luise Zietz, Toni Pfülf, Louise Schröder, wer verbindet etwas mit den Namen von Minna Cauer, Lida Gustava Heymann, Gertrud Bäumer, Marie Elisabeth Lüders, Marianne Weber, Helene Weber oder Christine Teusch? Die Frauenbewegung rieb sich in Deutschland eher auf als in England oder Amerika, weil das Staatsverständnis der Deutschen mit den liberalistischen Gedanken der Frauenbewegung heftig kollidierte. Staatliche Intervention gilt in Deutschland traditionell eher als positiv, aktives Eintreten der Bürgerinnen und Bürger für Grundrechte und liberale Freiheit eher als negativ. Auch deshalb blieb die Frauenbewegung in Deutschland vergleichsweise schwach, wobei die Frauenrechtlerinnen bei uns an Radikalität denen. in. anderen Ländern oft überlegen waren. In der Zeit des Nationalsozialismus wurden die Fäden der Frauenbewegung in die Vergangenheit brutal abgeschnitten, alle bestehenden Frauenorganisationen gingen auf in der einen großen NS-Frauenschaft, dem Zusammenschluß aller Organisationen der im deutschen Frauenwerk vereinigten Frauen.

In der nationalsozialistischen Ideologie hatten eigene Rechte für die Frau keinen Platz. Nur als Gebärende und Mutter war sie gefragt. Zwar dauerte das Tausendjährige Reich nur zwölf Jahre, und der Zweite Weltkrieg entlarvte seine Ideologie auf das schrecklichste, gleichwohl: Die Generation unserer Eltern ist von den Wertkategorien der Hitlerzeit nachhaltig beeinflußt und wird dies bis an ihr Lebensende bleiben. Die »deutsche Mutter« ist seither ein Markenzeichen »made in Germany«, nicht totzukriegen in den Gehirnen der Konservativen. Unbewußt stehen der niedrigere Rang von Frauen und ihre untergeordnete Stellung, die geringere geistige Leistungsfähigkeit und die »eigentliche Aufgabe« meist außer Frage. So hat die verhängnisvolle Hitlerzeit weit nachhaltiger als manche Epoche zuvor das Pendel zurückschlagen lassen. Die Aufbruchstimmung der zwanziger Jahre war vergessen und nach 1945 nicht bruchlos wiederzubeleben. Deutschland lag 1945 noch viel schlimmer als 1918 in Schutt und Asche, und die größte Völkerwanderung, die das deutsche Volk je erlebt hatte, war zu überstehen. Erneut hatten Frauen während der Kriegszeit alle sich bietenden Chancen zu eigener Erwerbstätigkeit und in neuen Berufen ergri fen bzw. ergre*fen müssen, erneut gaben ihnen die - in gewisser Weise - anarchischen Zustände des Kriegsendes alle Möglichkeiten für pragmatisches Zupacken. Die völlig ungeregelten Lebensumstände erforderten Improvisationsgeist, Mut und auf die Tageserfordernisse ausgerichtete Lebenskraft, Fähigkeiten, die Frauen in reichem Maße besitzen. Erneut aber auch, wie schon nach dem Ersten Weltkrieg, die Abdrängung ins Private. Die weiblichen Kräfte konnten offenbar nur so lange nach eigenen Gesetzen zum Nutzen aller wirken, wie die Männer nicht eingriffen. Kaum waren diese aus dem Krieg zurückgekehrt und soweit gesund gepflegt, daß sie ihre »angestammten« Plätze wieder einnehmen konnten, traten die Frauen brav in die zweite Reihe zurück. Offenbar war bei den Frauen das Bewußtsein, eine unwiederbringliche Chance zur Emanzipation zu haben, im Jahre 1945 erneut nicht da: Die Not und die aus dieser Not erwachsenden praktischen Aufgaben verdeckten solche Chance: Kinder waren hungrig, Kleidung fehlte, Räume waren nicht zu heizen - die Frauen und ihr Organisations- und Improvisationstalent wurden gebraucht. Wer dachte da an Macht?!

Die Frauenzeitschriften nach 1945, kaum gab es wieder welche, erteilten Ratschläge, wie die Frauen ihre vom Krieg gezeichneten Männer wieder aufrichten könnten. Mit dem besten Willen kamen die Frauen solchen Ratschlägen nach und fragten nicht, ob sie denn nicht selbst ebenfalls vom Krieg gezeichnet wären, und wer sie denn aufrichten sollte? Ganz schnell gewöhnten sich die Männer wieder an, ihre Frauen wie einen »Naturschutzpark« zu pflegen und zu nutzen, gewissermaßen von ihnen selbst eingerichtet und zu ihrer Erholung gedacht, ein Refugium, in dem, gottgesegnet, »die Welt noch stimmt«. Die Adenauerzeit verfestigte alte Rollenstrukturen. Ein weiteres Mal feierte die biedermeierliche Familienidylle fröhliche Urständ. Nur kleinste Minoritäten fragten nach Frauenrechten. Doch abermals schlug das Pendel aus: 1968 Beginn der Studentenbewegung, Erwachen des Feminismus. »Mein Bauch gehört mir«, »Brot und Rosen«, »Das Private ist politisch« und schließlich »Die Zukunft ist weiblich - oder gar nicht«, so lauten einige Schlagworte der vergangenen 15 Jahre, die bildhaft zusammenfassen, worum es den Frauen ging. Inzwischen machen sich erneut restaurative Tendenzen bemerkbar. Die hochherzigen Förderpläne, die vor allem Frauen zu einer besseren Bildung verhalfen, sind erheblich gekürzt worden. Die Arbeitsmarktsituation für Frauen hat sich dramatisch verschlechtert. Wieder einmal ist die Veränderung des § 218 in eine heftige öffentliche Diskussion geraten. Kampagnenartige Anwürfe wollen Frauen als angebliche »Doppelverdiener« aus ihren Berufen heraus drängen. Müssen wir da nicht argwöhnisch darauf achten, daß die so mühsam erkämpften Fortschritte nicht erneut in halbe Rückschritte verwandelt werden? Fast 200 Jahre hat die Frauenbewegung das Hin und Her der politischen und geistigen Zeitströme mitgemacht und sich wechseltierchenhaft dem Zeitgeist mal reformerisch, mal beharrend angepaßt, mutig jede Chance ergriffen, das Pendel der Befreiungsbewegungen immer wieder anzuschubsen, wenn die Zustände unerträglich wurden. Anarchie war angesagt? - Also bitte schön: Dann machen wir Frauen eben Anarchie. Bürgerliche Familienidylle ist gefragt? - Nun gut, wir probieren die »heile Welt«. Worin nur liegt diese Anpassungsbereitschaft begründet?

Die Anstöße zur fortschrittlichen Veränderung der Situation der Frauen kamen immer von den Frauen selbst. In der Geschichte der Frauenbewegung kenne ich keinen Mann, der gewissermaßen sich selbst zum Führer der Frauenbewegung gemacht hätte, so wie dies beispielsweise bei der Arbeiterbewegung und den an ihr beteiligten Intellektuellen und Großbürgern der Fall gewesen ist. Selbst August Bebel und sein Buch »Die Frau und der Sozialismus« ist kein Gegenbeweis, denn es wurde von deri Männern und Frauen der Sozialdemokratie weit eher wegen seines utopischen Gehaltes, der ihnen Hoffnung gab, gelesen, als wegen der Behandlung der Frauenfrage. Von Ferdinand Lassalle über Friedrich Engels, Eduard Bernstein, Waldemar von Knoeringen, Carlo Schmid, Alex Möller bis hin zu Peter von Oertzen und Klaus von Dohnanyi waren in der Geschichte der Sozialdemokratie immer Männer aus dem Bürgertum, dem Adel oder dem Großbürgertum beteiligt.

Die Frauenbewegung wurde von Anbeginn an bis heute von den Frauen selbst gemacht. Wobei »machen« bei den Frauen immer sehr viel mit Erdulden und Erleiden zu tun hat. Frauenbewegung, die nach Frauenmacht ruft, muß besonders großen Druck aushalten; Leidensdruck, den die einzelne beteiligte Frau durch ihre Unangepaßtheit an das gesellschaftliche Normgefüge aushalten muß, tritt auch noch hinzu. Den Arbeitern hat mancher Landjunker und hin und wieder sogar ein Gerichtspräsident geholfen, um zu ihrem Recht zu kommen. Wer aber hilft den Frauen?

Texttyp

Historischer Essay