Mutterschaft - Machtbasis und Machtbremse

»Heraklit hatte behauptet:
»Der Streit ist der Vater aller Dinge.«
Laura war der berühmte Satz aber auch greller
verdolmetscht unter die Augen gekommen.
Der Kampf ist der Vater aller Dinge, hatte sie
da schon gelesen, oder:
Der Krieg ist der Vater aller Dinge.
Laura wollte wissen, was die Mutter aller Dinge ist.«
Irmtraud Morgner
Amanda. Ein Hexenroman

Unter dem Gesichtspunkt »Wie halten es Frauen mit der Macht« über das Thema Mutterschaft nachzudenken, ist eine heikle Angelegenheit. Wer legt sich darüber schon Rechenschaft ab unter uns Frauen! Ich will von mir ausgehen, denn viele Frauen haben sicher ähnliche Erfahrungen mit sich als Mutter gemacht, wie ich dies von mir berichten kann. Und wo es qualitative Andersartigkeit festzustellen gibt, hilft der Vergleich der eigenen Situation mit der anderer Frauen vielleicht dennoch weiter, das Problem klarer zu sehen. Ich komme aus einer relativ großen Familie, habe fünf Geschwister. Auch meine Eltern hatten jeweils zahlreiche Geschwister. Der Familienzusammenhalt der Großfamilie ist vergleichsweise eng. So habe ich mir selbst ein Leben allein und ohne Kinder nie vorstellen können, sondern ging ganz selbstverständlich davon aus, daß ich eine Familie mit Kindern haben wollte und meine außer häusliche Erwerbstätigkeit für etliche Jahre unterbrechen würde, um Kinder zu erziehen. Aber ebenso selbstverständlich war es für mich, eine gute Berufsausbildung zu erhalten, weil ich nach der Kleinkinderphase meiner Kinder in den Beruf zurückkehren wollte. Auch die erstrebte Kinderzahl hatte ich mir in meiner Jugend bereits überlegt - wie übrigens meine Schwestern gleichfalls - Drei bis vier sollten es sein, und im Alter von dreißig wollte ich diese Etappe abgeschlossen haben. Für die Zahl der Kinder war mir immer maßgebend, daß ich eine Familie haben wollte, in der es nicht so schrecklich auffällt, wenn mal ein Kind verreist oder nicht zu Hause ist. Drei war da die Untergrenze. Warum ich unbedingt Kinder wollte, habe ich mich nie gefragt: Es war mir gar nicht anders vorstellbar. Im Grunde war dies merkwürdig, denn ich erinnere mich deutlich an eine Szene während meiner Studienzeit, als Studienfreunde ihr erstes Kind bekamen und einige Kommilitonen und ich, zur Bewunderung dieses Nachwuchses eingeladen waren und das Baby im Laufe des Abends herumgereicht wurde. Während alle anderen sofort in die »angemessene« Sprache verfielen - »Ei, du bist aber ein hübsches Bürschchen! Und was du für niedliche Knopfaugen hast!« -, fiel es mir außerordentlich schwer, das Baby zärtlich zu halten oder gleichfalls in kleine Entzückensrufe auszubrechen: Ich fühlte mich extrem unwohl mit dem Kind, zumal ich unterstellte, daß alle schauen würden, wie denn ich nun mit dem Würmchen umginge. Ebenso wenig wie ich ein Gefühl für Kleinkinder hatte, hatte ich ein Gefühl für meine eigene Körperlichkeit; nur den Kopf und die Muskeln hatte ich bisher trainiert, das Genießen oder Erleiden. körperlicher Befindlichkeiten waren mir weitgehend verschlossen: Hingabe war im Ausbildungsplan nicht vorgesehen, und aus Menstruationsbeschwerden lernt man relativ wenig. 1964 überkam mich meine erste Schwangerschaft, ein wenig zu rasch, denn ich hatte mein Studium zunächst in Ruhe beenden wollen und geriet nun in erheblichen Zeitdruck mit der Fertigstellung meiner Dissertation. Trotzdem, wenn ich an die Monate zurückdenke, waren es etwas hektische, aber glückliche Monate. Ich versuchte, mich gut vorzubereiten, lernte Säuglingspflege und machte Schwangerschaftsgymnastik. Die erwartungsvollen Großmütter schafften die Babyausrüstung an. Ich fühlte mich leistungsfähig und arbeitete auf ein Ziel hin, nämlich vor der Geburt des Kindes mein Studium zu beenden, war dazu sexuell außerordentlich glücklich und zufrieden, denn ich brauchte endlich keine Angst vor einer unverhofften Schwangerschaft mehr zu haben: Ich war ja schwanger.
Nicht glücklich war ich über mein Aussehen. Ich las zwar immer, daß »richtige« Mütter stolz sind auf ihren dicken Bauch: Ich war es nicht. Ich fand mich eh schon nicht besonders schön, war aber immer stolz auf meine gute Figur gewesen, und so fand ich das Schwinden meiner Taille ausgesprochen unkleidsam und versuchte meinen Bauch, so gut es ging, zu verstecken. An die Geburt denke ich mit großer Bewegung zurück. Zwar kündigte sie sich vorzeitig unter absonderlichen Umständen an, denn ich war vom Generalanzeiger der Stadt Wuppertal, bei dem ich mein Volontariat abgeleistet hatte, auf das Oberhausener Kurzfilmfestival entsandt worden. In der Nacht vor dem letzten Festspieltag, als es um die Preisverleihung ging, setzten die Wehen ein, so daß ich am frühen Morgen das in Aussicht genommene Krankenhaus in der Nähe von Wuppertal aufsuchte. Mein Mann ging dann zur Preisverleihung, und am Tag nach der Geburt schrieb ich meinen Bericht. Die Geburt verlief zügig, dank der guten Vorbereitung kam ich ohne Schmerzmittel aus und habe sie von Anfang bis Ende bewußt erlebt. Ich habe das Ereignis als eine große Herausforderung von Körper und Bewußtsein empfunden und war, als der Sohn schließlich da war - schwarz behaart an Kopf und Rücken wie ein kleines Äffchen - ganz euphorisch und unendlich stolz: Ein neuer Lebensabschnitt hatte begonnen, und ich wollte diesem wehrlosen Zwerglein eine gute Mutter werden. Dabei war mir schon vor der Geburt etwas klargeworden, was ich für entscheidend halte: Durch ein Kind wird die Mutter in eine Beziehung hineingestellt, die nie endet und aus der ein »Aussteigen« nicht möglich ist. Wie auch immer das weitere Leben sich entwickeln würde, vom Tag der Geburt an würde mein Leben sich total verwandeln, denn ich würde auf Jahre hinaus praktisch zur Gänze und später zu einem doch erheblichen Teil durch diese Beziehung bestimmt sein. Und mir war immer deutlich, daß es gerade die Unauflöslichkeit dieser Bindung war, die deren besondere Qualität ausmachte: Von einem Kind kann man sich nicht scheiden lassen. Die Legende von den automatisch sich einstellenden Muttergefühlen ist natürlich eine Mär. Sicherlich gibt es viele Frauen, die auch ohne Kinder mütterlicher, emotionaler, inniger, wärmer und damit als »kreatürliche Muttertiere« erheblich geeigneter sind, als ich dies war. Ich habe es erst lernen müssen, eine Mutter zu sein. Was lernt ein weiblicher Kopfmensch durch das Gebären von Kindern? Sie macht die unmittelbare, direkte, nicht zu vergessen: äußerst schmerzhafte - Erfahrung von Körperlichkeit und Sinnlichkeit. Das knackt die Verkopftheit auf. Sie lernt auch, was es heißt, unverbrüchlich in einer Bindung zu stehen. Das wirkt gegen intellektuelle Unverbindlichkeit: Kinder geben »Bodenhaftung«. Sie lernt schließlich, was es bedeutet, einen Menschen anzunehmen, dessen charakterliche Eigenschaften sie sich schließlich nicht ausgesucht hat, mit dem sie sich nun aber tagtäglich, und anfänglich jede Nacht, auseinanderzusetzen hat. Ich möchte schließlich noch zwei Erfahrungen heranziehen, die ich während der Kleinkinderzeit meiner Kinder als für mein weiteres Leben prägend erlebt habe. Ich kann dies nicht anders als mit christlichen Begriffen beschreiben: Wenn ich nach einem total misslungenen Tag am Abend, unzufrieden mit mir, die Kinder ins Bett brachte und mit mir haderte, daß mir dieser Tag leider so schief gegangen war, tröstete mich der Gedanke, daß sie mir trotzdem am nächsten Morgen mit strahlendem Lächeln die Ärmchen entgegenstrecken würden: Ein neuer Tag konnte beginnen, und ich hatte die Chance, es besser zu machen. Ich habe dies immer wieder als »Vergebung meiner Sünden« empfunden und das Glück meiner Kinder als eine unverdient empfangene Gnade. Kleine Kinder sind so gar nicht nachtragend, und das eigene Versagen wird einem nicht angerechnet, was immer im Unterbewußtsein auch abläuft. Diese Erfahrung können mit so prägender Intensität sicherlich nur die Menschen machen, die sehr intensiv, und das bedeutet vor allem: zeitintensiv, mit kleinen Kindern umgehen. Der andere christliche Begriff ist der der »Erbsünde«, mit dem ich im dogmatischen Verständnis, wie die katholische Kirche ihn interpretiert, nichts anfangen kann. In bezug auf meine Erfahrungen mit mir als Mutter meine ich damit, daß ich oft wider besseres Wissen und wider das, was ich mir durch Lesen an Kenntnissen erworben hatte, Verhaltensweisen an den Tag legte, die ich. im Grunde nicht wollte, und mich anders verhielt, als es nach Gefühl und Wissen richtig war, weil ich nicht anders konnte. Hier vollzog sich dann sicher das, was Alice Miller als die Verarbeitung der narzisstischen Kränkung bezeichnet, die ich selbst als kleines Kind erlitten hatte. Durch die Weitergabe eigener Unvollkommenheit an meine Kinder - die Erbsünde eben. Ich glaube, daß ich mich in mir nicht täusche, wenn ich aus meiner Erfahrung die Mutter-Kind-Beziehung am Anbeginn als einen machtfreien Raum beschreibe. Die Mutter ist offen für das Kind, sie weiß schließlich gar nicht, was sie erwartet: Sie stellt sich ein. Allmählich lernt sie, daß sich. zwischen ihr und dem Neugeborenen Machtkämpfe abspielen können, und sie lernt sich selbst als machtvolle Person in diesem Zusammenspiel neu kennen. Sie lernt aber auch, daß ihre Macht deutliche Grenzen hat. Zu meinen wesentlichen Erfahrungen als Mutter gehört, daß ich in der Beziehung und durch die Beziehung lernte (und immer noch lerne): Unter bestimmten Bedingungen macht es keinen Sinn, sich auf Machtkämpfe einzulassen. Die Kinder sind stärker, ihre Zukunft ist von mir weit unabhängiger, als dies umgekehrt der Fall ist. Ich »klebe« wesentlich mehr an meinen Kindern als diese an mir. Was ich unwillig lernte als Mutter, war die Zerstückelung meines Zeitbudgets. Auf meine »Bedürfnisse« - ob diese nun Klavierspielen, Lesen oder Texte schreiben oder auch nur ein ruhiges Gespräch waren - wurde keine Rücksicht genommen, und die für mich verfügbaren Zeitdimensionen waren winzig: Hier mal eine halbe Stunde, dort mal zwei Stunden am Abend, wenn ich nicht zu müde war. Und nicht zu vergessen die mütterliche Allzuständigkeit. Alles musste ich im Kopf haben, rechtzeitig vorbereitet, überlegt, angeordnet haben, immer wissen, wo sich vermisste Gegenstände gerade befanden und wo es galt, emotionale Zuspitzungen zu harmonisieren und auszugleichen. Dies habe ich oft auch als Zuflucht empfunden, mir dies aber selten eingestanden. Denn es entlastet ohne Frage, wenn man im Grunde den Anspruch stellen müßte, sich ernsthaft auf sich selbst und die eigenen Angelegenheiten zu konzentrieren, sich statt dessen mit den Problemen der Familienmitglieder - des Ehemannes sowohl als auch der Kinder - befassen kann. Wenn ich aus dieser persönlichen Erfahrung - angereichert durch Lektüre verallgemeinernde Schlüsse ziehe und mich frage, ist Mutterschaft nun eher eine Machtbasis oder eine Machtbremse, so komme ich zu dem Ergebnis, daß sie beides ist. Natürlich ist die Mutter in den Grenzen ihrer häuslichen vier Wände eine mächtige Person. Die häusliche Machtbasis gestattet Frauen, das, was sie an narzisstischer Kränkung erfahren haben, an die eigenen Kinder weiterzugeben und sich dadurch von frühkindlicher Verletzung zu »entlasten«. Unabhängig von Erlebnissen in der eigenen Jugend kann natürlich jede Mutter die in ihr steckende Unzufriedenheit und erlebte Frustration in Druck auf Mann und Kinder umsetzen; dazu kennt jeder Mensch Beispiele aus dem eigenen Bekanntenkreis oder weiß dies sogar von sich selbst oder der eigenen Frau oder Partnerin. Schließlich gestattet die häusliche Machtbasis, sich aus außerhäuslicher Verantwortung zu stehlen und Interesse an Dingen, die Mann und Kinder nicht betreffen, weit von sich wegzuhalten. Allgemein läßt sich sicher auch die Feststellung wagen, daß Kinder es den Frauen ermöglichen, sich geraume Zeit mit sich selbst und auch mit ihrem- Partner nicht intensiv beschäftigen zu müssen. Dies wird häufig nicht wahrgenommen, weil sehr konkrete und kreatürliche Bedürfnisse der Kinder das Bedürfnis dazu ersticken. daß ein Nachholbedarf sich aufstaut und insbesondere Eheprobleme dann massiv hervortreten, wenn die Kinder aus dem Gröbsten heraus sind, zeigt einem die Lebenserfahrung. Eine Erfahrung machen alle Frauen, die längere Zeit ihrer Kinder wegen dem Erwerbsleben fernbleiben: ihre extreme außerhäusliche Machtlosigkeit. Das gesellschaftliche Leben, Vorstands- und Gremienentscheidungen, Einfluß durch Ministerien und Verbände, Durchsetzung von Macht - all dies findet außerhalb der privaten Häuslichkeit statt, und Frauen haben daran keinen Anteil. Werden Frauen, die in der Familie ihre wichtige Bezugsgruppe sehen, vor Entscheidungen gestellt, in denen es um die Ausübung von Macht geht, lautet die Frage der Frauen an sich selbst oder auch an die, die ihnen zu Macht und Einfluß verhelfen wollen: Lohnt sich der Kampf. Zunächst lassen sich nämlich immer eine ganze Reihe von Gründen finden, die es den Frauen angeraten erscheinen lassen, sich nicht noch mehr aufzubürden. Wer Kinder erzieht und einen Haushalt leitet, möglicherweise in gewissem Umfang oder gar vollzeitlich auch noch Erwerbsarbeit leistet, überlegt es sich genau, wofür er weitere Kraft einsetzt. Da muß dann schon wirklich klar sein, daß die Kraft auch gezielt wirkt. Für bloße Gremiensitzungen, Vereine, in denen man ist, um dabei zu sein, vage Verbreiterungen der eigenen Einflussmöglichkeiten lassen Frauen sich nicht einspannen. Und noch aus einem anderen Grunde fragen die Frauen sich »Lohnt sich das?« - Weil sie nämlich immer wieder die Erfahrung machen, daß eine Frau, die sich zu weit vorwagt, gesellschaftlich »bestraft« wird: Da reden die Nachbarinnen und prangern angeblich mangelndes Fensterputzen oder Löcher in den Socken an; da heißt es, die Kinder würden vernachlässigt und seien in der Schule schlecht; da reden die Kollegen des Mannes: Deine Frau ist aber auch nie zu Hause, und was dergleichen menschliche Kleinlichkeiten mehr sind. Unter solchen Umständen braucht es schon ein gutes Selbstbewußtsein, sich dafür zu entscheiden, eine außerhäusliche Machtbasis auf- oder auszubauen.