Die achtziger Jahre
Dick Simmons trug wesentlich dazu bei, daß die achtziger Jahre unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten für die Firma und für mich die besten waren. Allmählich erreichte die Washington Post Company die gesteckten Ziele: kontinuierliche Ertragssteigerung, Entwicklung neuer Geschäftszweige, Ausbau für die Zukunft. Überdies war mir eine Zentnerlast von den Schultern genommen.
Ich hatte nicht länger einen Horror vor Sitzungen, in denen es um Pläne, Optionen und Zukäufe ging. Ohne die Spannungen, die so lange zwischen mir und der jeweiligen Persönlichkeit im Büro auf der gegenüberliegenden Seite des Konferenzzimmers geherrscht hatten, erschien mir die Zukunft sicherer und vor allem positiver. Erst im Rückblick wurde mir klar, wie aufreibend die vergangenen Jahre gewesen waren. Die Arbeit machte wieder Spaß. Ohne es zu merken, hatte ich, ehe Dick kam, einen Punkt erreicht, an dem ich, je besser die Dinge unter meinem Management liefen, desto unzufriedener wurde, daß die Ergebnisse nicht noch besser ausgefallen waren. Viele der ersten Maßnahmen, die Dick ergriff, trugen nun dazu bei, die Ergebnisse nochmals zu verbessern. Und genauso wichtig war, daß Dick Simmons mir zu einer neuen Perspektive verhalf. Mir wurde jetzt wesentlich klarer, wie unsere Firma dastand, was wir unternehmen sollten und was wir erwarten konnten. In mancherlei Hinsicht waren Dick und ich ein ungewöhnliches Duo. In Stil und Temperament unterschieden wir uns sehr deutlich voneinander, und doch harmonierten wir bemerkenswert gut. Nach einer gewissen Zeit führten wir die Aufgaben in den beiden Spitzenpositionen des Konzerns fast arbeitsteilig gemeinsam aus. Dick war viel mehr als der oberste Manager, er war mein Partner und Freund. Sein gesundes Selbstbewußtsein geriet durch meinen unkonventionellen Hintergrund und Habitus als Managerin nicht in Gefahr, und meine Neigung, bei jeder Gelegenheit mit Warren zu telefonieren, machte ihm ebenfalls nichts aus. Ich bemühte mich stets, Dicks Verdienste und Leistungen gebührend hervorzuheben, und im gesamten operativen Geschäft des Konzerns ließ ich ihm freie Hand. Umgekehrt schien es ihm sehr wenig auszumachen, daß ich weit mehr als er im Blickpunkt der Öffentlichkeit stand. Dick packte seine neuen Aufgaben zügig und selbstsicher an. Ende Oktober, als er erst wenige Wochen bei uns war, verkauften wir die Trenton Times an Allbritton Communications. Und einige Tage später ließen wir verlauten, der Verkauf von Inside Sports sei ebenfalls im Gespräch. Diese Zeitschrift hatte uns inzwischen viel Geld gekostet, und es gab kaum Anzeichen einer Trendwende. Weil ich wußte, daß das Blatt verkauft werden mußte, war ich erleichtert, als Dick das Unvermeidliche schnell in Angriff nahm. Der Verkauf beider Blätter schmälerte zwar für dieses eine Jahr deutlich die Ertragsbilanz des Konzerns, aber nun konnten wir unsere Anstrengungen endlich wieder auf die Weiterentwicklung des Kerngeschäfts konzentrieren. Alle Unternehmen, die zu diesem Bereich gehörten, hatten neue Rekordeinnahmen aufzuweisen. Dick übernahm auch die Initiative bei der Suche nach Expansionsmöglichkeiten, die im Einklang mit der Hauptmission unseres Konzerns standen: der zwischenmenschlichen Kommunikation. 1982 taten wir den ersten Schritt ins elektronische Zeitalter, als wir ins Geschäft mit Funktelefonen einstiegen. Allerdings gaben wir diesen Geschäftszweig nach einigen Jahren und nachdem wir einige der ersten Funktelefonnetze in den USA aufgebaut hatten, aus strategischen Gründen wieder auf. Wir hatten erkannt, daß in dieser Branche die marktbeherrschenden Firmen gegenüber kleineren Mitbewerbern wie uns allzu deutliche Vorteile hatten. Finanziell indes hatte sich unser Engagement trotzdem gelohnt. (Alan Spoon, der spätere Präsident der Washington Post Company, erwarb sich in diesem Zusammenhang große Verdienste.) Im Jahre 1983 kauften wir eine kleine Firma aus dem EDV-Sektor namens Legi-Slate, die auf juristische Datenbanken spezialisiert war. Legi-Slate ist heute der wichtigste Anbieter von Online-Informationen über Gesetze, Verordnungen, Regulierungen und alle damit verbundenen Aktivitäten der amerikanischen Bundesregierung. Ferner engagierten wir uns beim Kabelfernsehen, vor allem bei Sportprogrammen, indem wir ungefähr die Hälfte der Anteile an Sports-Channel Associates erwarben. Dieses Network überträgt für seine Abonnenten im Großraum New York Profisportereignisse. Auch diese Geschäftszweige wurden später jedoch verkauft.
Im November 1983 brachten wir mit Erfolg landesweit eine Wochenausgabe der Washington Post auf den Markt. Diese Idee war schon in den ersten Jahren nach dem Erwerb der Zeitung durch meinen Vater diskutiert worden. Die Wochenzeitung hat heute eine Auflage von deutlich über 100 000 Exemplaren. Weil die Post nicht zuletzt eine Regionalzeitung ist, die sich an den Bedürfnissen des Großraums Washington orientiert, war es für uns zu keiner Zeit ein gangbarer Weg, eine echte Tageszeitung für das gesamte Land zu publizieren. Die Wochenausgabe mit einer Artikelauswahl indes kommt dem Wunsch vieler Leute entgegen, die politische Berichterstattung der Post laufend verfolgen zu können. Ende 1984 kauften wir eine Firma, die sich auf Nachhilfeunterricht und Prüfungsvorbereitungen spezialisiert hatte, die Stanley H. Kaplan Company (heute Kaplan Educational Centers). Daran war Dick allerdings stärker interessiert als ich. Ja, ich gestehe, daß mein Desinteresse sogar so weit ging, daß ich zu Dick sagte: »Die Sache interessiert mich nicht die Bohne, aber wenn du glaubst, daß damit Profit zu machen ist, habe ich nichts dagegen.« Nun, die »Sache« hat sich trotz einigem Auf und Ab nicht nur gerechnet, sondern auch von ihrer Zielsetzung her als wesentlich sinnvoller erwiesen, als ich je gedacht hätte. 1985 erwarben wir 20 Prozent der öffentlichen Aktien der Cowles Media Company, der unter anderem die Minneapolis Star Tribune gehört. Unser Anteil ist im Lauf der Jahre sogar auf heute 28 Prozent gewachsen. Weitere Versuche, das Spektrum unserer Beteiligungen an wichtigen Tageszeitungen zu vergrößern, waren nicht von Erfolg gekrönt.
Als Firma vertraten wir eine konservative Wachstumsphilosophie vielleicht waren wir sogar ein wenig zu konservativ -, aber so hatten wir, als die achtziger Jahre zu Ende gingen, wenigstens nicht - wie andere, die sich im Zeichen der Wachstumseuphorie zu unbedachten Käufen hatten hinreißen lassen - einen Schuldenberg angehäuft, der uns gezwungen hätte, »Filetstücke« unseres Konzerns zu verkaufen. Vom Kauf der Denver Post nahmen wir lieber Abstand und überließen sie der Times Mirror Company, die mit ihrer Neuerwerbung eine Katastrophe erlebte. Manchmal sind eben Dinge, die man unterläßt, genauso wichtig wie Dinge, die man unternimmt. Am meisten enttäuschte mich in den ersten Jahren nach Dicks Eintritt, daß wir in der Finanzwelt immer noch nicht als heißer Anlagetip galten, weshalb unsere Aktien weiterhin unterbewertet blieben. Letztlich war das aber zu unserem Vorteil, weil wir unbeirrt unsere eigenen Aktien zurückkauften - was sich später als sehr hilfreich erweisen sollte. Am spektakulärsten und erfolgreichsten von all unseren Expansionsversuchen verlief das Engagement beim Kabelfernsehen. Der beste Kauf, den Dick und ich gemeinsam unter Dach und Fach bringen konnten, begann mit dem Erwerb von dreiundfünfzig Kabelsystemen von Capital Cities Communications Company im Januar 1986. 1985 hatte Warren seinem Freund Tom Murphy, dem Firmenchef von Capital Cities, geholfen, ABC, eines der großen Fernsehnetze in den USA, zu erwerben. Diesen Erfolg gönnte ich beiden von Herzen - bis mir klar wurde, daß Warren nun in den Aufsichtsrat von Cap Cities/ABC wechseln und sein Mandat im Aufsichtsrat der Washington Post Company niederlegen würde. Elf Jahre hatte er bei uns mitgearbeitet und in dieser Zeit keine einzige Sitzung versäumt. Mir sein Ausscheiden mitzuteilen fiel ihm schwer, weil er wußte, wie sehr mich diese Nachricht treffen würde. Doch er versprach mir, weiterhin für mich da zu sein. Jederzeit könne ich ihn anrufen, und wir würden uns genauso oft sehen wie bisher. Wie sich zeigen sollte, ging auch ohne Warrens direkte Beteiligung alles gut. Er behielt seine Washington-Post-Aktien, und sozusagen als Trostpreis durften wir die schon genannten Kabelsysteme direkt von Cap Cities kaufen, obwohl die Firma sonst nur mit Investmentbanken zusammenarbeitete. Nach ausführlichen Verhandlungen, Konsultationen und Kalkulationen zahlten wir einen Kaufpreis von 350 Millionen Dollar für die größte Neuerwerbung unserer Firmengeschichte - die uns überdies auf den höchsten Rang katapultierte, den wir in der Liste der 500 größten Unternehmen der Welt (»Fortune 500«) je innehatten: Platz 263 in den Jahren 1986 und 1987. Inzwischen hat Post-Newsweek Cable seine Abonnentenzahl von 350 000 auf 580 000 erhöhen können, und Warren ist nach zehnjähriger Abwesenheit in unseren Aufsichtsrat zurückgekehrt, nachdem Cap Cities/ ABC an Disney verkauft worden war. Bei Newsweek wendeten sich die Verhältnisse nach äußerst schwierigen Jahren allmählich ebenfalls zum Besseren. Einer der schmerzlichsten Fehler, die ich dort zu verantworten hatte, war der ständige Wechsel im Management, und zwar auf redaktioneller wie auf kaufmännischer Seite, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Im redaktionellen Bereich war ich für das Problem sogar direkt verantwortlich, und es dauerte lange, bis die Weichen endlich richtig gestellt waren. Bei Newsweek spürte ich immer noch eine beträchtliche negative, ja sogar illoyale Einstellung mir gegenüber. Das mag zum Teil mit dem übermäßig häufigen Personalwechsei in wichtigen Funktionen zusammengehangen haben; zum Teil aber rührte es sicher auch aus der natürlichen Konkurrenzsituation zwischen den Mitarbeitern in New York und denen in Washington her. Daß ich mit der Ernennung von Rick Smith zum Herausgeber des Blattes endlich die richtige Wahl getroffen hatte, machte mir schon seine spontane Reaktion deutlich: »Keine Angst, ich werde keinen Mist bauen.« In der Tat, er »baute keinen Mist«. Unter seiner starken Führung, zunächst als Herausgeber und dann als Präsident des Nachrichtenmagazins, verbesserte sich die Stimmung nachhaltig für mich ein weiteres Beispiel dafür, wie gut sich die Dinge entwickeln können, wenn das Management zusammenarbeitet. Trotz aller Probleme, mit denen Nachrichtenmagazine generell in der neuen Medienlandschaft zu kämpfen haben, verzeichnete Newsweek viele schöne Erfolge und ein beträchtliches, solides Wachstum. Mitte der neunziger Jahre galt es sogar als bestes Nachrichtenmagazin der USA. Auch die Post-Newsweek-Fernsehstationen liefen nun immer besser. Weil sie mit allen drei großen landesweiten Networks zusammenarbeiten, ist unsere Leistungsfähigkeit, wie Warren einmal sagte, »unabhängig davon gesichert, ob irgendein Network momentan gerade eine heiße Nummer ist«. Unsere Fernsehnachrichten sind genauso hochwertig wie die gedruckten Nachrichten und Berichte in Post und Newsweek. Alle Stationen (einschließlich der beiden, die wir seither in Texas gekauft haben, KPRC in Houston und KSAT in San Antonio) waren und bleiben Marktführer im Nachrichtenbereich. Dieser Unternehmensbereich wird, nachdem Joel Chaseman zusammen mit Dick Simmons dessen Wirtschaftlichkeit erheblich verbessert hatte, jetzt von Bill Ryan hervorragend geführt.
Nach dem Verschwinden des Star vom Washingtoner Zeitungsmarkt erreichte die Post in den achtziger Jahren an Werktagen einen Marktanteil von rund 50 Prozent, an Sonntagen sogar von 70 Prozent - und lag damit an der Spitze aller großen Zeitungen in den Metropolen der USA. Indes, von all unseren Leistungen der achtziger Jahre war ich auf die enormen Verbesserungen im Konzernmanagement am stolzesten - und hier lagen die besonderen Stärken von Dick Simmons. Ich habe einmal gesagt, am liebsten würde ich einen Pulitzerpreis für Management gewinnen, und jetzt war ich endlich auch bereit zu glauben, daß wir eine wirklich gut geführte Firma wurden. Darüber hinaus machten sich die Auswirkungen der besseren Führung auch allmählich bemerkbar: Im Kerngeschäft des Konzerns verbesserte sich die Ertragslage dramatisch, so daß die Firma schon nach wenigen Jahren eine Spitzenstellung unter vergleichbaren Unternehmen einnahm. Jahrelang war die Washington Post Company auf ihrem Gebiet in vielfacher Hinsicht absolute Spitze. Wichtiger noch als jegliche öffentliche Anerkennung war für mich aber Warrens Urteil über unsere Leistungen: Mitte 1984 schickte er Don, Dick und mir ein Memo, in dem er schrieb, er habe gerade einen neuen Bericht über Zeitungs- und Medienkonzerne intensiv studiert, in dem die Leistungsbilanz dieser Firmen detailliert aufgeschlüsselt sei. Als Warrens Firma Berkshire Hathaway im Frühjahr 1973 die ersten Aktien der Washington Post Company erwarb, habe sie dafür 10,6 Millionen Dollar ausgegeben. 1984 habe der Marktwert dieser Aktien schon 140 Millionen Dollar betragen. Zum Vergleich habe er nun die Werte aller anderen vergleichbaren Firmen in dieser Liste durchgerechnet und ermittelt, was geschehen wäre, wenn er dieselben 10,6 Millionen Dollar zum selben Zeitpunkt in Aktien dieser anderen Konzerne angelegt hätte. Fazit: Bei allen anderen Firmen hätte er nicht im entferntesten die Gewinne machen können, die er mit den Aktien der Washington Post Company erzielt habe. Und Warren kam zu dem Schluß: »Statt >tausend Dank< sollte ich lieber sagen >Danke für etwa 65 bis 110 Millionen Dollar<.« Später wurden die Zahlen sogar noch besser. Nach all den Jahren der Anspannung und des Ringens lief es jetzt in der Firma und bei mir wirklich reibungslos. Zwar konnte ich immer noch nicht ganz aufhören, mir Sorgen zu machen - so bin ich eben veranlagt -, aber die Geschäfte der Firma liefen nun so gut, und ich hatte so viel Vertrauen zu Dick Simmons, daß ich ein wenig loslassen und das Leben wieder genießen konnte. Als für den redaktionellen Bereich zuständige Konzernchefin hatte ich schon immer das starke Gefühl, daß es auch zu meinen Aufgaben gehöre, mich um das Weltgeschehen zu kümmern - wenigstens, soweit es mit der Firma und ihren Geschäftsbereichen zu tun hatte. Doch leider hatte ich diesem Bereich des Verlegerdaseins nur selten die Zeit und Aufmerksamkeit widmen können, die ihm meiner Überzeugung nach zukamen. Seit Ende der siebziger Jahre hatte ich jedoch mit einigen Redakteuren und Reportern - Meg Greenfield und Jim Hoagland waren fast immer dabei Reisen ins Ausland, zum Teil auch in mehrere Länder unternommen, um das zu sehen, worüber wir in unseren eigenen Blättern Berichte gelesen hatten. In den frühen achtziger Jahren nahm die Zahl dieser Reisen zu, vor allem weil Dick daheim mit starker Hand für Ordnung sorgte, wenn ich unterwegs war.
Auf einer der ersten dieser Reisen interviewten wir auf Bitten der Rumänen ihren Diktator Nicolae Ceauceseu in eben jenem Palast, in dem seine Frau und er später getötet wurden. In diesem - entsetzlich steifen - Interview beschwerte sich Ceaucescu unablässig über den Westen, während wir Menschenrechtsfragen erörtern wollten. Wir stellten zuvor festgelegte Fragen, die er umständlich und mechanisch beantwortete. Höhepunkt einer Reise nach Westafrika im Jahre 1978 war ein Besuch zur Eröffnung einer kleinen Dorfschule wenige Stunden außerhalb von Abidjan, der relativ wohlhabenden Hauptstadt der Elfenbeinküste. In Begleitung eines jungen Paares aus der US-Botschaft wurden wir von den versammelten Dorfbewohnern und ihrem Häuptling willkommen geheißen. Trotz der äußerst schwülen Hitze (41 Grad Celsius) war der Häuptling in vollem Ornat mit Hut erschienen und betonte in seiner Festrede, die er in französischer Sprache bei einem Bankett im Freien hielt, welch besondere Ehre es für ihn sei, die in der Bedeutungshierarchie der Welt an siebzehnter Stelle stehende Persönlichkeit in seinem Dorf begrüßen zu können. Offenbar hatte er diese Rangliste der Zeitung U. S. News & World Report entnommen. Jedenfalls genoß es Jim Hoagland fortan, mich »numéro dix-sept« zu nennen.
1980 setzte ich eine Nahostreise mit Meg und Jim an, auf der wir, einem Vorschlag Henry Kissingers folgend, neben Ägypten und Israel auch Saudi-Arabien besuchen wollten. Wir waren nicht sicher, ob die Saudis zwei Frauen überhaupt empfangen würden, aber die Botschaftsangehörigen in Washington - und vor allem ein einflußreiches Mitglied der königlichen Familie, Prinz Bandar, der sich damals zur Pilotenausbildung bei der Air Force in den USA aufhielt - versicherten uns, wir seien willkommen. Meg und ich waren so gründlich über Kleidungs- und Verhaltensvorschriften informiert worden, daß wir ziemlich viel Angst hatten, als wir in Saudi-Arabien landeten. Doch man sagte uns, allein schon die Tatsache, daß wir das Flugzeug über den Vorderausgang verlassen dürften, stelle einen wesentlichen Fortschritt dar: Noch wenige Jahre zuvor hätten Pat Nixon und Nancy Kissinger den Hinterausgang des Flugzeugs benutzen müssen. Frauen waren in Saudi-Arabien unsichtbar. Wir sahen sie nur ein einziges Mal während unseres Besuchs - im Haus von Scheich Ahmed Saki Jamani, dem damaligen Erdölminister, wo eine kleine Gruppe von sehr westlich geprägten Technikern und mittleren Regierungsbeamten mit ihren Frauen versammelt war. Dagegen erwies sich ein Dinner im Haus von Prinz Abdullah, dem damals drittmächtigsten Mann des Landes und Chef der Nationalgarde, als eine Veranstaltung aus Tausendundeiner Nacht. Wir fuhren vor seinem Palast vor, Meg und ich mit langen Röcken und langärmeligen Blusen äußerst sittsam bekleidet, und betraten einen großen ovalen Raum, an dessen Wänden die Mitglieder der Garde im Schneidersitz aufgereiht saßen - mit sämtlichen militärischen Insignien über ihren arabischen Gewändern und mit über der Brust gekreuzten Patronenriemen aus Leder. Sie starrten uns an, als wir zu unseren Sitzen geführt wurden, die gegenüber den ihrigen erhöht waren und eine Art Thron umgaben, der nochmals höher war als unsere Sitze. Auf diesem Thron saß Prinz Abdullah. Später erfuhren wir, daß Abdullah seinen Leuten zuvor mehr als eine Stunde lang hatte erklären müssen, warum er diese beiden amerikanischen Frauen zum Dinner habe einladen müssen. In Ägypten interviewten wir Präsident Sadat in seinem Landhaus. Während er sprach, ließen wir mehrere kleine Tonbandgeräte laufen, die Ägypter nur ein einziges großes. Wir waren sehr beeindruckt, als plötzlich wie aus dem Nichts ein Mann hinter den Büschen hervorkam, um das Band zu wechseln. Sadat sprach mich immer wieder persönlich an und machte dabei äußerst verletzende Bemerkungen über einige seiner Nachbarn. Auf die Einleitungsworte »Katharine, Jimmy« - gemeint war Präsident Carter - »hat mir gesagt, ich dürfe bestimmte Sachen über König Hussein nicht sagen«, folgte zum Beispiel eine höhnische Äußerung über den jordanischen König. Auch über Henry Kissinger mußte Sadat ein paar bissige Bemerkungen loswerden. Aber es war ein interessantes Interview, und anschließend machten sich alle gleich an die Arbeit, um die Texte für Post und Newsweek zu verfassen. Wir waren ziemlich amüsiert, als der besagte ägyptische Regierungsbeamte, dem dies sichtlich peinlich war, erschien, um von uns eine Kopie unserer Tonbandaufnahmen des Interviews zu erbitten, weil sein eigenes Tonbandgerät nicht richtig funktioniert hatte. Später waren wir perplex, als wir entdeckten, daß wir selbst uns zwar an die zuvor vereinbarten Spielregeln gehalten und die unverblümten Bemerkungen des Präsidenten ausgelassen hatten, in einer ägyptischen Zeitung aber eine ungekürzte Abschrift des ganzen Interviews erschienen war. Ich hoffe im nachhinein nur, daß Sadats Äußerungen keinen allzu großen Schaden angerichtet haben. Während wir uns in Ägypten aufhielten, bat ich darum, auch den Schah des Iran besuchen zu dürfen, der am Nil Asyl erhalten hatte. Sehr kurzfristig erhielten Jim und ich die Genehmigung. Der Schah war gern bereit, ja geradezu begierig, sich ausführlich und für die Öffentlichkeit zu äußern; er sprach zwei geschlagene Stunden. Briten und Amerikanern machte er schwere Vorwürfe, daß sie ihn im Stich gelassen hätten. Wie Jim Hoagland in der Einleitung zu seiner Interviewfassung schrieb, bedauerte der Schah, »daß er in seinen letzten Tagen an der Macht eine >Politik der Kapitulation< gegenüber seinen Widersachern verfolgt habe. Er wünschte, er hätte militärische Gewalt eingesetzt, um die Demonstrationen zu unterdrücken, die seiner Herrschaft ein Ende setzten.« Er sagte uns, seine eigenen Fehlkalkulationen hätten ihn, zusammen mit widersprüchlichen Signalen aus amerikanischen und britischen Regierungskreisen, veranlaßt, den falschen Weg einzuschlagen; so habe er am Ende verloren. Unser Interview mit dem Schah erwies sich als das letzte, das er gab. Kurz darauf verstarb er.
In Israel stand, im Rückblick gesehen, alles im Schatten unseres letzten Dinners beim Generaldirektor des Außenministeriums, das sich zu einer wüsten Generalattacke auf die Post und ihre redaktionelle Linie entwickelte. Irgendwann erhob Meg ihre Stimme, um diese Angriffe zurückzuweisen: Die Israelis müßten verstehen, daß man sich zwar angesichts des unermeßlichen Leids, das die Juden in Europa hinter sich hätten, und angesichts der gegenwärtigen Gefahren, in denen sie schwebten, außerordentlich zurückhalten müsse - und sie kenne niemanden, der anders denke - daß aber »was wir schreiben, unsere Vorstellungen von dem widerspiegelt, was getan werden muß, um ein schreckliches Schicksal abzuwenden«. Daraufhin wurde die Debatte immer hitziger und feindseliger. Besonders Meg gegenüber wurden die Israelis regelrecht bösartig, da man von ihr als Jüdin offenbar erwartete, daß sie alle israelischen Ansichten unkritisch unterstützte. Eines der bizarrsten Interviews auf all unseren Reisen führten wir mit dem libyschen Staatschef Muammar al-Gaddhafi. Jim Hoagland, Chris Dickey von Newsweek und ich waren 1988 nach Nordafrika gereist, um den wachsenden islamischen Fundamentalismus in dieser Region unter die Lupe zu nehmen. Mit unserem kurzfristigen Wunsch, Gaddhafi zu interviewen, hatten wir Erfolg. Er hielt sich gerade in Algerien auf, wo er mit den Führern dieses Landes und Tunesiens konferierte. Wir wurden zum Verhandlungsort geflogen, wo wir Gaddhafi treffen sollten, und waren alle höchst verwundert, als man uns sagte, er wolle zunächst mit mir allein sprechen. Aber ich ging mutig zum für das Treffen vereinbarten Ort, wo Gaddhafi mich in einem kleinen Raum empfing. Er erhob sich von einem Lederstuhl und begrüßte mich höflich. Nach ein wenig Small talk lenkte er das Gespräch schnell auf Bob Woodwards gerade erschienenes Buch über den CIA (Veil), worin Bob berichtete, daß der CIA Informationen über gewisse Neigungen Gaddhafis gesammelt habe. Angeblich trage der Libyer Make-up und hochhackige Schuhe, und seine Berater hätten ihm einmal einen Spielzeugteddybären kaufen müssen. Wie jeder andere war auch Gaddhafi besorgt über das, was über ihn geschrieben worden war Was mir allerdings besonders auffiel, waren seine Augen; sie waren ständig in Bewegung, vermieden jedoch jeden direkten Blickkontakt. Gaddhafi bediente sich eines Dolmetschers, schien jedoch gute englische Sprachkenntnisse zu besitzen und griff sogar gelegentlich ein, wenn der Dolmetscher sich bemühte, seine Bemerkungen etwas abzumildern. Mein Gespräch mit Gaddhafi dauerte so lange, daß Jim nervös wurde. Schließlich beschlossen Chris und er, uns zu unterbrechen. Nach Beendigung des Interviews fragte ich Gaddhafi, ob ich ihn fotografieren dürfe. Er stimmte zu, aber leider versagte meine Kamera ihren Dienst. Ich war so frustriert, daß ich ihr einen heftigen Schlag versetzte. Da funktionierte sie auf einmal, und ich schoß sogar ein Foto von ausreichender Qualität, welches Newsweek in seinem Beitrag verwandte. Ich wurde wie eine freie Mitarbeiterin genannt und behandelt. Den Scheck über 87,50 Dollar habe ich eingerahmt.
Das wahrscheinlich anstrengendste Interview auf all meinen Reisen führte ich später im selben Jahr mit dem neuen Sowjetführer Michail Gorbatschow. Schon seit ungefähr fünf Jahren hatten Jim und ich uns darum bemüht, den Generalsekretär der KPdSU zu befragen, doch bereits zwei Amtsinhaber waren kurz nach ihren Gesprächszusagen gestorben: Tschernenko und Andropow. Gleich nach Gorbatschows Amtsantritt bemühte ich mich erneut und war dann sehr enttäuscht, daß NBC und Time eher zum Zuge kamen als ich. Schließlich wurde uns aber kurz vor einem Gipfeltreffen Gorbatschows mit Präsident Reagan ein Interview in Moskau gewährt. Bis zur letzten Minute bereiteten wir uns auf dieses Gespräch gründlich vor. Als ich in den Empfangsraum kam, begegnete mir Gorbatschow in seiner üblichen energischen, charismatischen Art, doch sobald wir Platz genommen und mit den Fragen begonnen hatten, änderte sich seine Haltung merklich. Er war nicht weniger eloquent als bei offiziellen Gelegenheiten in Washington, wo ich ihm zuvor begegnet war, aber seine Stimme und sein Verhalten erschienen mir seltsam gedämpft, ja fast im physischen Sinne abwesend und unbeteiligt. Wenn ihm die Fragen nicht paßten, versteifte sich seine Sitzhaltung, und er wirkte angespannt. Auf Fragen nach möglichen Meinungsverschiedenheiten im Politbüro oder nach Gefängnisstrafen für allzu laute Dissidenten schien er mit geradezu körperlicher Abneigung zu reagieren. Trotzdem antwortete er sehr ausführlich und kontrolliert, bis er das Interview nach der fünften Frage abrupt beendete. Es ging um das Thema Menschenrechte. Gorbatschow war wegen etwaiger Hinweise auf Meinungsverschiedenheiten im Zentralkomitee derart nervös, daß er Nikolai Schischlin, einen wichtigen Offiziellen des Zentralkomitees, eigens im Moskauer Büro der Post anrufen ließ, um auszurichten, er wünsche nicht, mit der Erwähnung irgendeines Namens von Politbüromitgliedern zitiert zu werden. Zu Bob Kaiser, der den Anruf entgegennahm, sagte Schischlin ferner, da der Generalsekretär überhaupt keinen Namen irgendeines Politbüromitglieds im Transkript des Interviews sehen wolle, müsse auch eine unserer Fragen umformuliert werden, in der wir uns speziell nach Jegor Ligatschow erkundigt hatten, einem konservativen Reformgegner, der damals als Gorbatschows wichtigster Rivale galt. Schischlin sagte Kaiser wörtlich: »Hier gelten die Moskauer Spielregeln.« Bob entgegnete aber, daß dieses Ansinnen nichts anderes bedeute als die Ersetzung unseres eigenen Interviewtranskripts durch die offizielle sowjetische Version; das sei jedoch eine Entscheidung, die nur ich persönlich treffen könne. Nachdem wir darauf beharrt hatten, Ligatschows Namen aus der Interviewfrage keinesfalls streichen zu können, rief Schischlin erneut in unserem Büro an und richtete aus, Gorbatschow wolle, daß Georgi Arbatow, der bedeutendste Amerikaexperte der Sowjetunion, mir eine persönliche Botschaft von ihm, Gorbatschow, überbringe. In der Wohnung unseres Moskauer Korrespondenten, wo ich Arbatow traf, argumentierte dieser, einen solchen kleinen Gefallen seien wir Gorbatschow einfach schuldig, nachdem der Generalsekretär mir den großen Gefallen getan habe, ein Interview zu gewähren. Ich erwiderte, es tue mir leid, aber ein solcher Gefallen liege nicht in meiner Macht: Wenn wir eine Frage erst einmal gestellt hätten, sei es für uns undenkbar, sie nachträglich zurechtzuredigieren. Das würden wir nicht einmal für unseren eigenen Präsidenten tun, geschweige denn für den eines anderen Landes. Ich blieb unnachgiebig. Nach einer Weile kehrten wir zu den anderen in der Wohnung Versammelten zurück, und Schischlin, der Arbatow begleitet hatte, sah mich, als er ging, an und sagte: »Keine Angst, Sie kommen nicht ins Gefängnis.« Wir haben niemals erfahren, warum Gorbatschow wegen der Erwähnung Ligatschows damals so sensibel war, zumal er bald darauf, wie Bob Kaiser sich erinnert, »bereitwillig eine Frage über seine Beziehungen zu Ligatschow ohne irgendein Zeichen der Nervosität beantwortete«. Das Gorbatschow-Interview war in gewisser Weise der Höhepunkt all dieser Reisen mit Meg, Jim und anderen, die über mehr als fünfzehn Jahre einen so wichtigen Bestandteil meines Lebens bildeten. Im Lauf der Jahre kamen Zigtausende Meilen im Flugzeug zusammen, als wir nach Südafrika reisten, auf die Philippinen, nach China, Korea, Japan und Indien sowie durch die Länder des Nahen Ostens und Südamerikas. Als Verleger war Don zwar schon längst redaktionell für die Post verantwortlich, aber er ermunterte mich, weiter mitzuwirken. Seine Autorität geriet dabei niemals in Gefahr. Eine Möglichkeit, aktiv zu bleiben, waren die Reisen; bestimmte ausländische Besucher zu empfangen eine weitere. Oft kamen Leute, die ich im Ausland getroffen hatte, nach Washington, und ich lud sie dann zum Lunch in die Redaktion der Post. Nicht selten gab ich für sie auch Dinnerpartys bei mir zu Hause durchaus nicht als Selbstzweck, sondern weil damit bestimmte Ziele erreicht werden sollten. Oft hatten wir diese Ehrengäste bei unseren Redaktionsreisen ins Ausland getroffen. Der sambische Präsident Kaunda und Präsident Mugabe aus Simbabwe zählten in Washington ebenso zu meinen Gästen wie Willy Brandt oder Vàclav Havel. Gelegentlich wurde ich auch von Dritten gebeten, als Gastgeberin für prominente Besucher zu fungieren, weil ich den Platz und die Möglichkeit hatte, größere Gruppen zu bewirten, und mit meinen Bediensteten solche Veranstaltungen relativ leicht bewältigen konnte. Das war beispielsweise der Fall, als Präsident Febres Cordero aus Ecuador oder das jordanische Königspaar in Washington weilten. Ich half auf diese Weise gern mit meinen Möglichkeiten aus, aber sehr zu meinem Verdruß bekam ich von der Presse bald das sexistische Etikett einer »prominenten Washingtoner Hosteß« angehängt. Diese Bezeichnung war mir wirklich sehr zuwider. Denn für mich war das alles nichts anderes als ein selbstverständlicher Bestandteil meines Berufslebens. Ebenso sah ich es als Teil meiner Arbeit an, Kontakte zu alten und neuen Regierungsmitgliedern zu pflegen. Es gehörte einfach zu meinem Job, Politiker zu kennen und sie mit anderen Journalisten bekannt zu machen. Bei vielen meiner Dinnereinladungen waren im Lauf der Jahre Mitglieder der verschiedenen Bundesregierungen zugegen. Man könnte diese Einladungen deshalb auch als politische Essen bezeichnen, obwohl Parteipolitik dabei nie eine Rolle spielte. Oft waren auch Vertreter beider großer Parteien an meiner Tafel anwesend.
Ich war mit Präsidenten aus beiden politischen Parteien befreundet, doch jede Beziehung, selbst eine langdauernde, kann nicht frei von Belastungen bleiben, wenn man - wie ich - als Vertreterin einer großen Zeitung und eines bedeutenden Nachrichtenmagazins zur Zielscheibe präsidialen Mißfallens wird. Dies war bei Johnson, Nixon und Bush der Fall, seltsamerweise aber fast gar nicht bei Reagan. Das Verhältnis zu Ford war geschäftsmäßig freundlich, und die Clintons waren zwar einmal im Urlaub bei mir auf Marthas Vineyard zu Gast, aber ansonsten habe ich kaum Kontakt mit ihnen gehabt. Sie sind mir gegenüber höflich, gehören aber einer jüngeren Generation an, und so ist das alles ganz normal. Wer als Präsident neu nach Washington kommt und nicht - wie beispielsweise Jack Kennedy, Lyndon Johnson und sogar Richard Nixon schon vorher in der Stadt gelebt hat, bringt meistens verdrehte Vorstellungen vom sozialen Umgang zwischen Presseleuten und Regierungsmitgliedern mit. In beiden Gruppen gibt es Leute, die das Gefühl haben, man sollte sich nur bei der Arbeit begegnen und sonst den Kontakt tunlichst meiden. Ich weiß zwar, daß Freundschaften und persönliche Beziehungen in diesem Kontext ein heikles Thema sind, vertrete aber eine andere Meinung. Für Journalisten, die direkt über Regierungsmitglieder berichten, ist es vielleicht besser, nicht persönlich mit der anderen Seite zu verkehren. Für Verleger indes sieht die Sache anders aus. Da ist Offenheit die beste Politik. Ich sehe es als Aufgabe eines Verlegers an, nach beiden Seiten hin offen zu sein und Journalisten und Regierungsangehörige zusammenzubringen. Dabei ist ein lockeres, unkompliziertes Verhältnis für beide Seiten konstruktiv und nützlich: Der Zeitung öffnen sich Türen, und diejenigen, die Gegenstand der Berichterstattung sind, bekommen auf diese Weise ein Gespür dafür, an wen sie sich mit bestimmten Ideen wenden können. Sie wissen auch, bei wem sie sich beschweren können und mit wem sie es überhaupt zu tun haben. Wer Leute nicht gut genug kennt, um sie einfach anrufen zu können, sitzt oft nur zähneknirschend da und frißt seinen Ärger in sich hinein. Vor solchem Ärger habe ich Angst. Gerade wenn es politische Meinungsverschiedenheiten gibt, muß man in der Lage sein, miteinander zu kommunizieren. Und für alle Presseleute ist es von zentraler Bedeutung, nach allen Seiten hin offen zu sein und zuhören zu können.
Jimmy Carter war einer jener Außenseiter im Präsidentenamt, denen es schwerfiel, die für Washington richtigen Verfahrens- und Verhaltensweisen zu finden. An einem Frühlingsabend ungefähr ein Jahr nach Carters Amtsantritt gaben Ben Bradlee und ich einen Empfang für die American Society of Newspaper Editors, die ihre Jahrestagung in Washington abhielt. Anwesend waren rund drei Dutzend Zeitungsverleger und Chefredakteure aus dem ganzen Land, und ich gab mir alle Mühe, auch Regierungsmitglieder und Leute aus dem Weißen Haus zusammenzubekommen, um sie mit den Journalisten bekannt zu machen. Doch Carters Stabschef Hamilton Jordan schickte nur eine höfliche, wenngleich deutliche Absage, und Pressesprecher Jody Powell hielt es nicht für nötig, überhaupt auf meine Einladung zu reagieren. Angesichts all der Ungeschicklichkeiten und Probleme Carters im In- und Ausland während seiner Präsidentschaft war es kein Wunder, daß er die Wahl gegen Ronald Reagan verlor.
Reagan wurde der vierzigste Präsident der USA. Ich hatte das neue Präsidentenpaar schon mehrere Jahre, bevor die Reagans nach Washington kamen, getroffen. Truman Capote hatte mir erzählt, er habe sie bei seinen Recherchen zum Thema Todesstrafe kennengelernt: »Meine Liebe, ich weiß, du wirst mir nicht glauben, aber sie würden dir sicher gefallen«, sagte er mit seiner Falsettstimme, und er hatte recht. Ich kam mit den Reagans bestens aus, und eine lange Freundschaft begann, die viele in Washington in ungläubiges Staunen versetzte.
Als die Reagans nach der Wahl zum ersten Mal nach Washington kamen, gaben sie eine Dinnerparty für Washingtoner, die sich in ihrer Stadt auf die eine oder andere Weise hervorgetan hatten. Wegen einer auswärtigen Vortragsverpflichtung konnte ich leider nicht daran teilnehmen. Ich sprach eine Gegeneinladung aus und war hoch erfreut, als sie angenommen wurde. Ein Dinner für einen Präsidenten auszurichten ist immer eine heikle Aufgabe. Während man sich ganz auf das Präsidentenpaar konzentriert und sich Mühe gibt, die für sie richtigen und wichtigen Leute einzuladen, damit sie sich als Ehrengäste rundum wohl fühlen, muß man viele andere Erwägungen außer acht lassen oder hintanstellen - auch verletzte Gefühle und Druck von Leuten, die gerne dabei wären oder meinen, unbedingt dazuzugehören. Als die Reagans an dem betreffenden Abend zum Dinner vorfuhren, schauten meine beiden wunderbaren langjährigen Dienstmädchen Lucy und Dora aus dem Fenster im zweiten Stock und sahen, wie der neue Präsident, der sein Amt noch nicht angetreten hatte, aus dem Auto stieg, mich umarmte und mich auf beide Wangen küßte. Dora mit ihrem Mutterwitz wandte sich an Lucy und sagte: »Ich hoffe, es hat ihr Spaß gemacht, denn das war sicher das letzte Mal, daß sie in diesen Genuß gekommen ist.« Dora kannte sich im Washingtoner Leben gut aus, und meistens hatte sie auch recht, aber in diesem Fall lag sie mit ihrer Prognose zum Glück daneben. In unseren Trinksprüchen bei diesem ersten Dinner sprachen wir die Vorteile persönlicher Bekanntschaft an, und daran glaubten sowohl der neue Präsident als auch ich felsenfest. Für Reagan jedoch hatte die Tatsache, daß er zum Dinner in mein Haus gekommen war, sofort Folgen. Die politische Rechte war schockiert. Eine Zeitung brachte ein Foto, auf dem unsere Umarmung zu sehen war, und über dieses Bild hieß es im Wall Street Journal, es werde »die Erzkonservativen möglicherweise genauso aus dem Häuschen bringen wie das berühmte Foto von Jimmy Carter, wie er Leonid Breschnew beim Wiener Gipfeltreffen abküßte«. Howard Phillips, der Chefideologe des rechten Lagers, nahm sich Reagan in seinen Bemerkungen beim Treffen des Religious Roundtable vor und sagte: »Man kann Kay Graham nicht immer auf seinen Cocktailpartys begrüßen wollen und sich in ihrem Lächeln sonnen. Wenn im Juni das Washingtoner Establishment noch mit Ronald Reagan glücklich ist, dann haben wir allen Grund, unglücklich über Ronald Reagan zu sein.«
Trotz einiger Höhen und Tiefen schafften wir es, während der gesamten acht Jahre der Reagan-Administration Freunde zu bleiben. Irgendwann begannen Nancy und ich uns regelmäßig zum Lunch zu treffen. Zunächst genossen wir diese ausgedehnten, klatschträchtigen Verabredungen zu zweit; später kam noch Meg dazu, und wir trafen uns dann entweder in meinem Haus oder bei Meg. Wahrscheinlich am ehesten im Rampenlicht standen Nancy Reagan und ich durch ein Wochenende, das sie im August 1985 mit mir auf Marthas Vineyard verbrachte. Ich konnte mir Nancy auf dieser von Liberalen bevölkerten und ausgesprochen legeren Insel eigentlich nicht recht vorstellen und dachte, Mike Deaver sei verrückt, als er dieses Treffen vorschlug. Doch als ich Nancy einlud, sagte sie sofort zu und kam dann gemeinsam mit den Deavers, Meg und Warren. Es war ein typisches ungezwungenes Wochenende an der See mit Strandwanderungen und formlosen Mahlzeiten. Ich glaube, daß es Nancy gefallen hat. Ich habe es jedenfalls genossen - auch wenn das Wochenende eine ganze Woche Vorbereitungszeit erforderte. Unser letztes gemeinsames Dinner in meinem Haus fand im November 1988 statt, kurz nach den Wahlen, als sich die Reagans allmählich zum Aufbruch aus Washington rüsteten, um nach Kalifornien zurückzukehren. Inzwischen waren die geforderten Sicherheitsvorkehrungen wesentlich schärfer als früher, aber wir hielten uns nur zum Teil daran. Als im Gedränge der vielen Freunde jemand ein Glas umstieß, wobei Eiswürfel zu Boden fielen, traute ich meinen Augen kaum, als ich den Präsidenten plötzlich auf allen vieren auf dem Boden sah, um die Eisstückchen einzusammeln. Am nächsten Tag erzählte mir Nancy am Telefon, diese Szene habe sie sehr am, eine Begebenheit im Krankenhaus erinnert, als der Präsident nach dem Attentatsversuch dort lag. Eigentlich habe er gar nicht aufstehen dürfen, sei aber doch zur Toilette gegangen und habe dabei etwas Wasser verschüttet. Als die Pfleger hereinkamen, sahen sie ihn auf Händen und Füßen beim Aufwischen. Auf die Frage, was das denn solle, antwortete er, er habe Angst, die Schwester könnte seinetwegen vielleicht Scherereien bekommen.
Das normalerweise distanzierte Verhältnis zwischen Regierung und Presse ist in Wahlkampfzeiten eher von Gegnerschaft geprägt. Das Wahljahr 1988 bildete da keine Ausnahme. Neben den üblichen Animositäten und den normalen Strapazen mit beiden Kandidaten, George Bush und Michael Dukakis, gab es diesmal auch eher Ungewöhnliches. Natürlich beschwerten sich beide Kandidaten darüber, wie wir über ihren Wahlkampf berichteten, und natürlich waren beide auch zum Lunch in der Redaktion zu Gast. Dennoch bekamen wir mit beiden Gegnern immer mehr Ärger und Probleme. Auch die Art ihrer Wahlkampfführung stieß uns als Redaktion zunehmend ab.
Bush kannte ich schon lange; wir waren nicht eng befreundet, hatten jedoch ein angenehmes Verhältnis. Mein Vater hatte in die Ölfirma investiert, die George Bush als junger Mann gegründet hatte, und ich mochte sowohl George als auch Barbara gern. Ich hielt sie für gute, gemäßigte Republikaner in der Tradition seines Vaters, des Senators Prescott Bush, den ich ebenfalls gekannt hatte. In den acht Jahren, in denen George Bush Vizepräsident war, hatten wir nicht viel Kontakt gehabt. Mir war jedoch bewußt, daß er sich Reagan gegenüber politisch wie persönlich sehr loyal verhalten hatte. Nun leistete sich Newsweek leider einen Fauxpas gegenüber dem Kandidaten Bush, als das Magazin kurz nach der offiziellen Bekanntgabe der Präsidentschaftskandidatur ausgerechnet die Titelgeschichte über den Vizepräsidenten unter der Überschrift »Fighting the Wimp Factor« (»Im Kampf gegen das Waschlappen-Image«) brachte. Fortan saß der Stachel dieses Reizwortes in Bushs ganzem Wahlkampf sehr tief. Das eigentliche Porträt des Kandidaten in besagtem Newsweek-Artikel war fair und vollständig, aber die Wirkung des Wortes »Waschlappen«, das den Leuten an jedem Zeitungskiosk in die Augen sprang, war kaum noch wiedergutzumachen. Was dann folgte, war nicht untypisch: Bushs Leute distanzierten sich von den Newsweek Reportern. Schließlich kam es im September 1988 in der Residenz des Vizepräsidenten zu einem Treffen zwischen Rick Smith, Evan Thomas und mir als Newsweek-Vertretern sowie Bush, Jim Baker und Craig Fuller, Bushs Stabschef. Bush behauptete, die ganze Geschichte sei durch den herausgehobenen Gebrauch des ominösen Wortes auf der 'Titelseite total verzerrt worden, und das warf er den Redakteuren zu Recht vor. Seine Familie, die er gebeten hatte, mit dem Magazin zu kooperieren, war natürlich wütend und verärgert. Von ihr hatte er den Rat erhalten, die Zusammenarbeit mit Newsweek auf einen formal korrekten Umgang zu beschränken. Andernfalls werde er genau das bestätigen, was ihm auf dem Titelblatt vorgeworfen wurde: daß er ein Waschlappen sei. Wir, die Reporter und Redakteure von Post und Newsweek, hatten uns natürlich auch mit Dukakis getroffen. Während des Winters und Frühjahrs hatte er in vielen Politikbereichen ein schwaches Bild abgegeben, besonders aber in Fragen der nationalen Sicherheit. Sein Wahlkampfmanager rief mich zu einem relativ späten Zeitpunkt der Kampagne an und gab den Wunsch des Kandidaten nach einem informellen Treffen mit Vertretern von Post und Newsweek weiter. Ich begab mich also mit einer Gruppe von Post- und Newsweek-Leuten zu diesem Treffen - in der Hoffnung, wir würden dabei eine Seite von Dukakis kennenlernen, die uns bisher entgangen war, und ihn vor allem als Individuum ein wenig besser einschätzen können. Wir saßen in seinem Hotelzimmer, und er redete; doch es kam nichts Neues heraus, und auch seine persönlichen Ansichten wurden nicht deutlich. Trotz seines Wahlkampfes, den ich nicht mochte, wählte ich schließlich Bush; Dukakis war mir einfach zu unerfahren, um das Land zu regieren. Es war übrigens das einzige Mal, daß ich für einen Präsidentschaftskandidaten der Republikaner stimmte. Nach Bushs Wahl blieben unsere Beziehungen jedoch während seiner ganzen vierjährigen Amtszeit unerwartet kühl, wenn nicht gar feindselig. Ich sah das Präsidentenpaar höchstens bei großen Empfängen. Möglicherweise trugen auch meine freundschaftlichen Beziehungen zu den Reagans und zu George Shultz, den Bush überhaupt nicht leiden konnte, zu diesem Dilemma bei. Kühle oder feindselige Beziehungen müssen als Bestandteil des Washingtoner Lebens leider hingenommen werden, aber ich denke oft darüber nach, wie selbstzerstörerisch ein solches Verhalten eigentlich ist. Wieviel besser würden höfliche professionelle Beziehungen doch Politikern und Journalisten in derartigen Situationen bekommen! Mir sind die charmanten Zeilen aus dem Herzen gesprochen, die ich von George McGovern erhielt, als er 1972 im Kampf um die Präsidentschaft gegen Richard Nixon unterlegen war. Er erinnerte daran, daß er bei einer Dinnerparty etliche bittere Bemerkungen über einige unserer Kolumnisten gemacht hatte, und schrieb dann:
Dieser Ausbruch tut mir inzwischen leid, und ich habe außerdem festgelegt, daß ich nie länger als ungefähr drei Monate nachtragend sein kann. Ich möchte Ihnen hiermit einfach mitteilen, daß ich jeglichen Wahlkampfgroll inzwischen vergessen habe. Es fällt mir einfach zu schwer, mich ständig daran zu erinnern, welchen Leuten ich aus dem Weg gehen sollte.
Mit ganz wenigen Ausnahmen bin ich unbedingt dafür, daß wir uns alle ein Beispiel an dieser Haltung McGoverns nehmen sollten. Je älter ich werde, desto mehr halte ich mich an die Maxime, daß man unter dem Ärger über andere, den man mit sich herumträgt, selbst am meisten leidet.
In den Jahren unmittelbar nach Phils Tod fiel es mir fürchterlich schwer, Berufs- und Privatleben zu trennen; sie waren zu sehr ineinander verwoben. Jahrelang lebte ich fast wie von einem Automaten gesteuert und versuchte dabei, allzu vielen Anforderungen gleichzeitig gerecht zu werden. Zu Hause warteten in den ersten Jahren noch zwei Kinder auf mich, ich hatte Freunde, geschäftliche Bekannte und stets zuviel Arbeit, zu viele Sitzungen, zu viele Dinnerpartys.
Zum Glück begann ich irgendwann - vielleicht auch mit Hilfe der von der Frauenbewegung gelernten Lektionen - in meinem Privatleben zufriedener zu werden. Familie und gute Freunde haben mir immer sehr viel bedeutet, aber irgendwann fand ich auch Gefallen an anderen Bekanntschaften. Ich schloß mich anderen Menschen schneller an und konnte auch Freundschaften mit Männern wieder mehr abgewinnen. In meinem Leben hat es immer Männer gegeben - Romanzen genauso wie enge Freundschaften -, und ich habe sie alle gern gemocht. Solange Phil noch lebte, himmelte ich ihn allerdings so sehr an, daß ich nie an andere Beziehungen gedacht hätte. Diese Vorstellung, als Frau nur für einen einzigen Mann dazusein, verfolgte mich noch jahrelang, und letzte Reste davon trage ich immer noch in mir. Man hat mich oft gefragt, warum ich denn nicht wieder geheiratet habe. In meinen ersten Berufsjahren widerstrebte mir diese Frage sehr, weil man sie einem männlichen Verleger wohl nie gestellt hätte. Meine Standardantwort lautete, das wisse ich selbst nicht. Alle Gründe für diese Entscheidung sind mir auch heute noch nicht bewußt, aber ich weiß inzwischen, daß mein Beruf es schwierig, wenn nicht gar unmöglich gemacht hätte. Männer, die mir gefallen, sind stark, intelligent, zäh und engagiert, doch solche Männer würden meinen aktiven, mich vollkommen ausfüllenden Lebensstil wahrscheinlich auf Dauer nicht akzeptieren. Sie würden mehr Aufmerksamkeit und emotionale Energie brauchen, als ich am Ende eines langen Arbeitstages noch zu bieten hätte. Ein Prinzgemahl hingegen war nie nach meinem Geschmack. Eigentlich war ich überhaupt nicht auf der Suche nach einem Mann. Weil ich von all meinen Aktivitäten so vollkommen in Anspruch genommen war, dachte ich nur selten an eine mögliche Wiederverheiratung. Und wenn mir der Gedanke doch einmal kam, wurde mir ziemlich schnell klar, daß es wohl eine schöne Idee bleiben müßte. Hat man nämlich erst einmal viele Jahre allein gelebt, merkt man allmählich, wie schwer es einem fallen würde, sich nochmals auf das Zusammenleben mit jemand anders einzustellen und sich an dessen Wünsche und den Lebensstil anzupassen. Mir war klar, daß ich mit meinem Beruf verheiratet war und daß mir dieser Zustand durchaus behagte. Wenn eine Ehe wirklich funktioniert - und das erfordert eine Menge harter Arbeit - dann ist sie die bestmögliche Lebensform. Mir bereitet es große Freude, mit Ehepaaren zusammenzusein, die sich wirklich lieben, die immer höflich und rücksichtsvoll zueinander sind, die sich gegenseitig tragen und zwischen denen ein spürbares Einvernehmen herrscht. Henry und Nancy Kissinger sind für mich ein Beispiel für zwei Menschen, die sich gegenseitig wirklich lieben. Henry beklagt sich scherzhaft über seine Frau und jammert über dieses oder jenes, doch er hat mir einmal gesagt, ohne Nancy könne er nicht existieren. Auch Scotty und Sally Reston führten fast fünf Jahrzehnte lang eine vorbildliche Ehe. Ich sah ihnen gerne zu und verstand, wieviel sie einander bedeuteten. Scotty schrieb mir einmal: »Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie ich all diese Jahre ohne Sally ausgehalten hätte, und ich weiß gar nicht, wie Du es ohne Deinen Mann geschafft hast.« Die Wahrheit ist wohl, daß ich die Öde eines Lebens ohne Phil sicher nicht überstanden hätte, wäre mein Leben weiter so verlaufen wie vor seinem Tod. Doch mein Leben hatte sich grundlegend verändert, und ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie eine neue Ehe hätte funktionieren sollen, nachdem ich die Leitung der Washington Post Company übernommen hatte. Allerdings bringt auch das Leben als Alleinstehende Schwierigkeiten mit sich, vor allem an Wochenenden auf dem Lande, in den Ferien und im Sommerurlaub - hier machen sich zwei Menschen als Paar einfach besser. Nach einer Weile wußte ich also, daß ich Mittel und Wege finden müßte, wie ich solche Zeiten allein oder mit meiner Familie verbringen könnte.
Der Kauf eines Hauses auf Marthas Vineyard war ein Schritt, der mein Leben sehr zum Positiven wendete und erheblich zu meinem Glück beitrug. Als ich dieses Haus ausfindig machte, war es sehr heruntergekommen, denn es war an Leute vermietet gewesen, die dort im wesentlichen wie auf einem Campingplatz gelebt hatten. Doch der Zuschnitt des Hauses und seine Lage in der herrlichen Landschaft gefielen mir sehr. Schon als ich es zum ersten Mal sah, stellte ich mir vor, daß es ein Zentrum für meine Familie werden könnte, wenn es den Kindern ebenfalls gefiele. Dann könnten sie dort die Enkelkinder bei mir lassen, wenn sie ohne Kinder verreisen wollten. Seit dem Kauf im Jahre 1972 und der anschließenden Renovierung habe ich jedes Jahr den August dort verbracht, und meine Kinder und Enkel lieben das Haus genauso wie ich. Meine Aufenthalte dort geben mir stets neue Kraft. Während mir also das Domizil auf Marthas Vineyard half, als Alleinstehende über den Sommer zu kommen, halfen mir meine Freunde während des restlichen Jahres. Das Leben von uns, die wir auf Dauer in Washington wohnen, ändert sich mit dem Wechsel der Regierungen jeweils ein wenig, aber unsere wichtigen Freundschaften bleiben im wesentlichen unberührt. Über Beziehungen in Washington heißt es: »Wenn du einen treuen Freund suchst, dann nimm dir einen Hund.« Ich habe allerdings vielleicht weil ich dort mein ganzes Leben verbracht habe und Washington im wahrsten Sinne des Wortes meine Heimat ist - vollkommen andere Erfahrungen gemacht. Trotzdem bin ich sicher, daß sich die Lage, wenn man als Mitglied einer Regierungsmannschaft neu nach Washington kommt, ganz anders darstellt: Man braucht immer eine gewisse Zeit, bis man in einer fremden Stadt neue Freunde gewonnen hat, und zweifellos gibt es auch viele Menschen, die versuchen, sich Freundschaften mit Mächtigen zu erschleichen, um diese dann zu irgendeinem Zweck zu benutzen. Doch ich sehe auch keinen Nachteil darin, wenn Menschen, die Macht haben, mit anderen oft auf mehr als einer Beziehungsebene verkehren. Bisweilen freundet man sich bei der Arbeit mit Leuten an, weil man gemeinsame Interessen entdeckt, oft aber auch nur, weil man sich immer wieder begegnet. Es gibt aber auch Beziehungen, die sich aus solchen Anfängen zu echten, dauerhaften Freundschaften weiterentwickeln. Einige meiner tiefsten Freundschaften begannen mit Regierungsmitgliedern, die ich zunächst als Journalistin und Verlegerin kennenlernte sofort fallen mir Bob McNamara und Henry Kissinger ein. Doch dann entwickelten sich diese Beziehungen im Lauf der Zeit zu Freundschaften, die im Kern nichts mehr mit Politik oder Arbeit zu tun hatten. Ähnliches gilt auch für meine Freundschaften mit Paul Nitze, Douglas Dillon, Mac Bundy, Jack Valenti, Joe Califano und Larry Eagleburger. George Shultz und ich waren schon Freunde geworden, als er noch an Nixons Kabinettstisch saß, und er war eines der wenigen Regierungsmitglieder, die auch in der Watergate-Zeit meine Freunde blieben. Ich bewunderte und mochte ihn sehr. Wir trafen uns dann erneut in Megs Haus, als er unter Präsident Reagan als Außenminister nach Washington zurückkehrte. Er fragte, ob ich immer noch Tennis spielte, und äußerte sein Interesse an weiteren Partien mit mir. Also verabredete ich mich mit ihm für das folgende Wochenende zu einem Tennismatch, und von da an spielten wir sonntags ziemlich regelmäßig zu viert, in fast immer derselben Besetzung. Schon bald kamen auch Spiele am Samstag hinzu, und am Ende spielten wir sechs Jahre lang jedes Wochenende, wenn er nicht gerade auf Reisen war. Das gemeinsame Spiel bereitete ihm solche Freude, daß er alles tat, was in seiner Macht stand, um auf dem Tennisplatz dabeisein zu können. Einmal steckte er mitten in schwierigen Nahostverhandlungen, so daß ich eigentlich davon ausging, daß unser Tennismatch ausfallen müsse. Aber er bestand darauf, daß er spielen wolle. Ich fragte ihn erstaunt, wie er es denn geschafft habe, aus der Sitzung herauszukommen, und was er dem israelischen Ministerpräsidenten Shamir gesagt habe. Eigentlich war ich nicht überrascht, als George erwiderte, er habe einfach gesagt: »Ich gehe jetzt Tennis spielen.« Durch die gemeinsamen Fahrten zum und vom Tennisplatz vertiefte sich unsere Freundschaft. Ich habe wohl in Washington so viel Zeit mit George verbracht wie kein anderer - natürlich mit Ausnahme von Obie, Georges lieber Frau, die kürzlich verstarb. Während all der vielen Stunden in seinem Auto hat er mir nie ein politisches Geheimnis verraten. Ich muß allerdings sagen, daß ihm während der Iran-Contra-Affäre deutlich anzumerken war, daß etwas nicht stimmte. Er machte rätselhafte Andeutungen und war sichtlich verstört und niedergeschlagen. Doch selbst da war George, wie immer, ein Muster an Diskretion und Integrität. Ich glaube nicht, daß es für unsere Berichterstattung irgendeine Rolle gespielt hat, mit wem ich befreundet war oder nicht. Das war für unsere Zeitungen und Fernsehstationen unerheblich. Die meisten Redakteure wußten nicht einmal, wer meine Freunde waren, oder es war ihnen vollkommen egal. Und was noch wichtiger war: Ich selbst wußte, wo meine Prioritäten lagen. Bei allen Auseinandersetzungen zwischen unseren Journalisten und Leuten, die mit mir befreundet waren, war ich auf seiten unserer Reporter. Wenn ich gelegentlich den Eindruck hatte, wir seien journalistisch ungerecht gewesen, stellte ich meine kritischen Fragen, aber nur, um sicherzustellen, daß alle fair behandelt wurden. Kommt es wirklich einmal zu einem totalen Interessenkonflikt - hat sich also eine Freundschaft entwickelt, und die Zeitung muß dann etwas Negatives über den betreffenden Freund berichten - verliert man entweder diesen Freund oder hat das Glück, daß er großmütig genug ist, zu verzeihen und die ganze Angelegenheit schließlich zu vergessen.
Ich bewegte mich nun unausweichlich auf das Ende meines siebten Lebensjahrzehnts zu und genoß das Leben mit jedem Jahr mehr. Bislang hatte es mir überhaupt nichts ausgemacht, daß ich älter wurde, ja ich hatte kaum einen Gedanken daran verschwendet. 1987 aber war ein Einschnitt - das Jahr, in dem ich siebzig wurde - und dieser Geburtstag setzte mir wirklich zu. Meine Freundin Luvie Pearson hatte versucht, dem Ereignis seine Schärfe zu nehmen, indem sie mir versicherte: »Siebzig ist doch noch gar nichts. Erst wenn du fünfundsiebzig wirst, fängst du allmählich wirklich an, das Alter zu spüren, und dann macht es sich immer mehr bemerkbar.« Aufgrund meiner Erfahrung kann ich jetzt sagen, daß sie ungefähr recht hatte; aber damals wußte ich es nicht und machte mir Sorgen wegen dieses Geburtstags. Keinesfalls wollte ich mein Alter in die Welt hinausposaunen, und schon gar nicht in die Geschäftswelt. Darum hatte ich auch kein Interesse an einer Party. Polly Wisner, Clayton Fritchey, Bob McNamara und ich planten eine Autotour durch San Francisco und Umgebung: durch den Yosemite-Nationalpark und das Napa Valley. Und diese Reise wurde bewußt so gelegt, daß ich an meinem Geburtstag unterwegs war.
Doch ich hatte die Rechnung ohne Lallys Hartnäckigkeit gemacht. Lally war schon seit ihrer frühesten Kindheit eine bestimmende Person in meinem Leben gewesen, und sie hatte sich jetzt mit meinen drei Söhnen zusammengetan, um sich über meine wahren Gefühle hinwegzusetzen und mich davon zu überzeugen, daß ich mich mit einer kleinen Party einverstanden erklären müsse, die sie, ihre Brüder und deren Frauen für mich ausrichten wollten. Zögernd gab ich ihren Wünschen nach, bestand allerdings darauf, daß der Gästekreis auf wirklich enge Freunde und Familienangehörige beschränkt bleiben müsse. Lally versprach's, legte dann aber ihren eigenen Maßstab für die Kategorie »enge Freunde und Familienangehörige« an. Zu meinem Erschrecken (letztlich aber auch zu meiner Freude) waren schließlich über sechshundert Gäste in einem riesigen Saal in Washington versammelt. Diese Gäste kamen aus allen Abschnitten meines Lebens und aus der ganzen Welt. Lally hatte sich größte Mühe gegeben, den Raum mit riesigen, wunderschönen Rosenbouquets in voller Blüte auf jedem Tisch zu dekorieren, und in einem Vorzimmer waren vergrößerte Bilder aus meinem Leben ausgestellt, darunter auch das Foto eines Zeugnisses der Madeira School. Viele Leute hatten an einer vierseitigen Festausgabe der Post mitgewirkt, die mit der Balkenüberschrift aufmachte: »Katharine Graham sagt nein zum Geburtstag, lehnt alles Trara ab und wünscht sich einen ruhigen Abend daheim«. Don spielte den Zeremonienmeister, und Lally hatte für acht Trinksprüche gesorgt. Art Buchwald brachte dabei eine großartige Pointe heraus: »Die phantastische Besucherzahl heute abend kann wirklich nur eine Ursache haben: Angst.« Und Präsident Reagan rundete, als er das Champagnerglas hob, seine kleine Rede über die Freundschaft mit dem Toast ab: »Darauf, daß wir dich unter uns sehen, Kind.« Obwohl diese Party mir wirklich vor Augen führte, mit wieviel Freunden mein Leben gesegnet war, verlor ich natürlich auch, je älter ich wurde, immer mehr von diesen Freunden, weil sie, wie Joe Alsop so schön sagte, »zum Versammlungsort gebracht« worden waren. In den achtziger Jahren häuften sich die Todesfälle. Auch mein Bruder Bill war darunter, ein wundervoller Mensch, freundlich, großzügig, in seinem Beruf hochgeachtet, und doch die meiste Zeit tief unglücklich. Joe Alsop selbst starb gegen Ende des Jahrzehnts, einer der großen Verluste, die ich zu verkraften hatte. In seinen letzten Lebensjahren waren wir uns näher gekommen als je zuvor. Vielleicht trug auch der Umstand, daß wir nun beide allein waren - er und Susan Mary hatten sich getrennt -, dazu bei, daß unsere Bindung noch stärker wurde. Es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen zwischen unseren Häusern in Georgetown, und es wurde viel telefoniert. Ich fühlte mich in Joes Gegenwart nicht nur wohl, ich war davon fast ein wenig abhängig. Wir brauchten einander: Er war in meinem Leben wichtig, ich in seinem. Mehr als fast jeder, den ich kannte, bereitete Joe anderen Menschen Vergnügen - und vergnügte sich dabei selbst. Er sagte einmal: »Langeweile, Leere und bequeme Selbstgefälligkeit, das sind die wahren Feinde - aber niemals Erfahrungen!« Und er hatte recht. Ich verlor auch meine liebe Freundin Luvie Pearson, auf die ich mich viele Jahre lang so sehr hatte verlassen können. Sie war erfahren, lustig, tapfer und tolerant. Ihr hingebungsvoller Freund Malcolm Forbes veranstaltete auf seiner Jacht im Hafen von New York eine Party zu ihrem achtzigsten Geburtstag. Luvie sah so schön aus wie immer; ihr einer Skulptur ähnelndes, knochiges Gesicht, ihre schlanke Gestalt und ihr langes blondes Haar schienen sich nie verändert zu haben. Sie vertraute mir aber an, daß sie immer weniger in der Lage sei, für sich selbst zu sorgen - Arthritis in beiden Händen machte ihr sehr zu schaffen -, und daß sie fürchte, sie müsse ihr kleines Haus in Georgetown verlassen und in ein Altersheim ziehen. Zwei Jahre darauf, als ihr Gesundheitszustand wirklich bedenklich geworden war, starb Luvie ganz plötzlich während eines Bridgewochenendes genau so, wie sie es sich immer gewünscht hatte. Ihr Fehlen machte mich sehr traurig, aber ich konnte ihr diesen gnädigen Tod nicht mißgönnen. Sie starb, wie es sich jeder nur erhoffen kann - klar im Kopf, nicht zu viele Schmerzen, nicht zu früh und nicht zu spät.
Weil ich nun an einem Punkt meines Lebens angekommen bin, an dem ich immer häufiger Freunde an den Tod verliere, habe ich mir Joe Alsops Rat zu Herzen genommen und schließe bevorzugt mit jüngeren Leuten Freundschaft. Ich tue das auch, weil ich gern mit Menschen aller Altersgruppen zusammen bin, und nicht zuletzt als Vorbeugung gegen die Einsamkeit. Polly, seit fast fünfzig Jahren meine engste Freundin, bedeutet mir weiterhin sehr viel. Stets ist sie umsichtig, freundlich, vital, lustig und tapfer. Meine Freundschaft mit Meg hat sich im Lauf der Jahre in einem Ausmaß vertieft, für das ich unendlich dankbar bin. Liz Hylton, meine geschätzte Assistentin, mit der ich schon vor Phils Tod zusammenarbeitete, bleibt immer noch meine verläßlichste Stütze. Und zu meinen beiden Schwestern Bis und Ruth habe ich weiterhin ein enges Verhältnis; wann immer wir können, sprechen wir miteinander oder besuchen uns. Ende der achtziger Jahre war der Erfolg der Washington Post Company endlich über jeden Zweifel erhaben. Während der großartigen Jahre, als Dick an der Spitze stand, war der Aktienkurs über meine kühnsten Träume hinaus in die Höhe geschossen - zu meiner großen Verwunderung sogar bis auf 300 Dollar pro Aktie. In allen Konzernabteilungen waren wir unserer Konkurrenz im Ergebnis weit voraus, und unsere Qualität war besser als je zuvor. Wir verstärkten, wie Warren einmal sagte, »den Rückenwind noch aufs äußerste«. Außer Dicks unübersehbarem Anteil am Erfolg unserer Firma trugen meiner Meinung nach auch andere Faktoren dazu bei, daß wir erreichen konnten, was wir erreichten. So hatte unser Erfolg sicher zum Teil auch damit zu tun, daß die Firma von der Familie kontrolliert wurde. Beim Star war das Engagement der Familie zwar schließlich aus dem Ruder gelaufen nicht zuletzt, weil es zu viele Eigentümerfamilien gab -, aber ich bin überzeugt, daß Familienunternehmen spezielle Qualitäten haben und daß Familienmitglieder in ein Wirtschaftsunternehmen einzigartige Eigenschaften einbringen können. Möglicherweise wird Qualitätsbewußtsein am ehesten von einer Familie gefördert, deren Perspektive über den unmittelbaren Gegenwartshorizont hinausreicht. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber Familienmitglieder können Stabilität und Kontinuität gewährleisten. Wenn sich eine Firma im Familienbesitz befindet, ist sie überdies eher gegen Übernahmeversuche gefeit - was wiederum in unserer von zerstörerischen und oft unbedachten Fusionen und Übernahmen geprägten Zeit von Vorteil ist. Ein weiterer Faktor, der uns auf unserem Weg ständig vorantrieb, war, daß wir Erfolge nie für selbstverständlich hielten. In allen Unternehmensabteilungen stellten wir uns stets der direkten Konkurrenz und lieferten uns mit ihr einen harten, umfassenden Wettbewerb. Wir bemühten uns um jeden Abonnenten und kämpften um jeden Anzeigenauftrag. Und wenn uns andere bei einer Story zuvorkamen, ärgerte uns das. Wir wollen noch heute immer die ersten sein. Unsere Konzentration auf herausragende journalistische Leistungen war meiner Meinung nach auch ein guter geschäftlicher Ansatz, nicht nur eine notwendige redaktionelle Strategie. Ich glaube, die Tatsache, daß wir eine Firmenphilosophie hatten, die unser Handeln bestimmte und weiterhin bestimmt, war ein weiterer Grund für unseren außerordentlichen Erfolg. Unser Motto lautet, daß journalistische Spitzenleistungen und wirtschaftlicher Gewinn Hand in Hand gehen, und nach dieser Maxime habe ich selbst gehandelt, seit ich die Washington Post Company übernahm. Ich glaube, mein Vater und Phil haben es vor mir genauso gehalten, und nach mir auch Don. Der Grund, warum ich diesen Zusammenhang von Anfang an sah und zum Ausdruck brachte, war der Versuch, der Wall Street zu versichern, daß ich gewinnorientiert arbeitete. Wir hatten Riesensummen dafür ausgegeben, unsere journalistischen Produkte Post, Newsweek und die Fernsehstationen aufzubauen, und wir hatten eine Menge riskiert, als wir gerade zum Zeitpunkt unseres Börsengangs - die Pentagon-Papiere veröffentlichten und später unsere Watergate-Berichte. Darum lag mir unbedingt daran, die Frage beantworten zu können, warum jemand sein Geld in i unsere Firma investieren sollte. Ich mußte versuchen, der Wall Street die Gewißheit zu geben, daß ich nicht irgendeine Verrückte war, die sich nur für Riskantes und redaktionelle Themen interessierte, sondern daß ich sehr wohl auch darüber nachdachte, wie unser Unternehmen optimal geführt werden könnte. Auf dieses Doppelkonzept war ich nicht durch Nachdenken über Gewinnspannen und Unternehmensziele gekommen, sondern eher durch Managementprobleme. Ich hatte zunächst geglaubt, daß sich die positiven Resultate von selbst einstellen würden, wenn man eine Sache nur richtig gut machte und sich darauf konzentrierte, Qualitätsprodukte herzustellen. Doch diese mathematische Logik funktionierte bei uns nicht. Es heißt zwar, man könne in mathematischen Gleichungen nur eine Variable maximieren und nicht mehrere gleichzeitig. Ich meine jedoch, daß wir bewiesen haben, daß sich beide Ziele miteinander vereinbaren lassen: Qualitätsjournalismus und gewinnorientiertes Management. Wir hatten als gut geführtes Unternehmen hervorragende Bilanzen und eine Erfolgssträhne vorzuweisen, und allmählich sprach sich dies auch in Wirtschaftskreisen herum. Warren war so freundlich, 1987 bei einem Lunch anläßlich der Preisverleihung des Center for Communications in New York über die Washington Post Company unter meiner Leitung zu sprechen. Ich war Ehrengast dieser Zeremonie, und Warren konzentrierte sich auf die, wie er sagte, nicht so allgemein bekannten Kapitel der Erfolgsstory unserer Firma. Damals standen wir zum Beispiel bei den Dividenden wesentlich besser da als alle anderen Spitzenfirmen auf unserem Gebiet. Bei den sechs größten Medienkonzernen war die Dividende gegenüber den Ausschüttungen von 1964 im Durchschnitt um 1550 Prozent gestiegen; bei uns lag der Zuwachs mit 3150 Prozent mehr als doppelt so hoch. (Was Warren allerdings verschwieg, war, wie sehr sein kluger Rat zu unserer Bilanz beigetragen hatte.) In dieser Festversammlung gab Warren auch die Anekdote zum besten, er habe einmal auf meinem Schreibtisch an deutlich sichtbarer Stelle folgenden Spickzettel gefunden: »Aktiva in der linken Spalte, Passiva rechts«. Im Dezember 1988 erschien in der Zeitschrift Business Month eine Titelgeschichte über »Die fünf am besten geführten Firmen« der USA, und auf dieser kurzen Liste erschienen neben der Washington Post Company nur noch Apple, Merck, Rubbermaid und Wal-Mart. Wenige Jahre darauf wurde ich schließlich von Fortune in das Pantheon aufgenommen: Ich erhielt den Business Hall of Fame Award, eine hochkarätige Ehrung, die mir wirklich sehr viel bedeutet. Ein ganz erheblicher Teil des Erfolges, der jetzt zunehmend höchste Anerkennung fand, war direkt Dick Simmons zuzuschreiben. Während seiner Zeit bei der Firma wuchs die Dividende unter Einbeziehung von Zinseszinsen - um jährlich 22,5 Prozent; die Wertpapierverzinsung betrug im Schnitt 26 Prozent. Doch auch über alle zähl- und meßbaren Erfolge und Leistungen hinaus führte Dick einen vorbildlich hohen Standard für professionelles Management iii unserer Firma ein. Das ist der Hauptgrund, warum wir überhaupt nicht daran denken mochten, daß er uns je wieder verlassen könnte. Er hatte mich aber schon von Anfang an vorgewarnt, daß er sich zurückziehen wolle, solange er noch jung genug sei, um eine Professur zu übernehmen und einige andere Interessen zu verfolgen. Als sich sein neuntes Jahr bei uns dem Ende näherte, begann Dick vom Aufhören zu reden, und ein gutes Jahr vor der für Mai 1991 angesetzten Aktionärsversammlung der Washington Post Company setzte er das Datum für seinen Rücktritt fest. Ich konnte aber wenigstens noch erreichen, daß er im Aufsichtsrat sowie fünf weitere Jahre als Präsident des International Herald Tribune tätig blieb. Auf diese Weise konnten wir in stetigem engem Kontakt bleiben. Je näher das Datum von Dicks Abschied im Jahre 1991 heranrückte, desto klarer wurde mir, daß nun auch die Zeit für meinen eigenen Rücktritt gekommen war. Ich war immer ein wenig in Sorge gewesen, meine Trägheit oder der fehlende Anreiz aufzuhören könnten dazu führen, daß ich den richtigen Zeitpunkt für den Abschied verpaßte. Bei anderen Firmen hatte ich gesehen, wie ein zu später Abgang eines Eigentümers oder Spitzenmanagers dem Unternehmen schweren Schaden zugefügt hatte, und so war ich eigentlich ganz froh, daß Dicks Schritt mir diese Entscheidung gewissermaßen abnahm. Ich hatte darüber hinaus das Gefühl, daß es gut wäre, wenn das neue Team - Don Graham als Präsident und Alan Spoon, damals noch Präsident von Newsweek, als Nachfolger von Dick Simmons in der Funktion des Chief Operating Officer - seine Aufgaben zum selben Zeitpunkt übernehmen würde. Also erklärten Dick und ich gleichzeitig unseren Rücktritt.
Für unseren Jahresbericht 1991 schrieb Don einen schönen, persönlichen, in einem solchen Kontext freilich höchst ungewöhnlichen Beitrag. »Wenn Sie allein auf objektive Fakten aus sind«, begann er seine Zeilen, »überschlagen Sie diese Seite bitte gleich.« Dann zeichnete er in seinem Porträt meine Ankunft in der Szene nach und erwähnte auch meine etliche Jahre sehr einsame Position als einzige Frau auf der Liste der »Fortune 500«. Er notierte die finanziellen Ergebnisse und beleuchtete wichtige redaktionelle Themen und Ereignisse seit 1963. Er erinnerte auch an meine nie ganz versiegenden Selbstzweifel. »Bei einem Weihnachtsessen«, schrieb Don schließlich, »fragte einer ihrer Gäste alle um den Tisch Sitzenden, welchen Berufswunsch sie sich rückblickend in ihrem Leben gern erfüllt hätten. Die meisten wären am liebsten Baseball- oder Filmstars geworden. Doch Kay sagte, sie hätte am liebsten in Harvard Wirtschaftswissenschaften studiert« - und das wünsche ich mir noch heute. Ich war mir nicht sicher, wie ich mit meinem Rückzug fertig werden würde, und hatte Bedenken, der Abschied von Macht und Verantwortung könnte mir schwerfallen. Zum Glück war jedoch alles gar nicht so schlimm, wie ich gedacht hatte - vielleicht, weil ich mich mit Don und Alan wirklich gut verstehe und sie sich bemühen, mich immer auf dem laufenden zu halten, vielleicht auch, weil es nur ein Abschied auf Raten war. Denn auf Vorschlag mehrerer Aufsichtsratsmitglieder behielt ich den Titel Chairman noch weitere zweieinhalb Jahre. Ich gab ihn erst im September 1993 ab und wurde dann Vorsitzende eines dreiköpfigen Exekutivausschusses der Firma, dem Don, Alan und ich angehören. Ben Bradlees Pensionierung im Alter von siebzig Jahren, ebenfalls 1991, wenige Monate nach meinem Rücktritt, vervollständigte die glatte Wachablösung in den redaktionellen Spitzenpositionen: von Ben und mir zu Len Downie und Don. Hier und da gab es die zu erwartenden negativen Artikel: Don und Len seien weniger ambitioniert als Ben und ich, sie interessierten sich mehr für Lokalnachrichten und seien - deutlich gesagt: Langweiler. Doch genau solche Artikel waren auch erschienen, als ich noch neu war. Die Leute haben einfach Vorurteile gegen junge Manager und vergleichen sie zu ihrem Nachteil mit den illustren Vorgängern. Len hatte in den zurückliegenden fünf Jahren allmählich die redaktionelle Gesamtverantwortung von Ben übernommen, so wie auch Don zuvor schon die Post und einen Teil meiner Arbeit auf der Konzernebene von mir übernommen hatte - er war bereits mehr als zwölf Jahre Verleger der Post gewesen, als er zum Präsidenten und später zum Aufsichtsratsvorsitzenden der Washington Post Company aufstieg. Ben hatte in der Tat, wie es damals in unserem Jahresbericht hieß, »die Post für eine ganze Generation in Washington neu definiert«. Sein Abschied war ein bewegendes Ereignis besser gesagt, eine ganze Reihe von Ereignissen. Er verlief, wie alles, was Ben tat, sehr stilvoll. Kurz bevor er am 31. August 1991 die Redaktionsräume verließ, sollte es für ihn eine kleine Party mit Kuchen und Sekt geben. Doch die Sache wuchs sich zur Massenveranstaltung aus. Es wurden viele spontane Reden gehalten und etliche Storys über den legendären Ben erzählt - Geschichten über Leute, deren Leben er beeinflußt hatte, und über Begebenheiten, wie sie nur mit Ben passiert sein konnten. Nicht alles dort Erzählte war druckreif. Und niemand wollte gehen. Nach drei Stunden äußerte Don, daß eine der Reporterinnen ihr kleines Kind dabeihabe und daß dieses Kind kurz darauf seinen dritten Geburtstag feiern würde. Diese Bemerkung nahm Ben zum Anlaß, den Redaktionsraum und das Gebäude zu verlassen. Aus dem Leben der Post verschwand er damit allerdings nicht, denn er ist weiterhin Vizepräsident ohne besonderen Aufgabenbereich - ein Titel, über den er nur grinsen kann - und hat immer noch ein Büro auf der Chefetage der Post. Seine Energie und sein Charme haben nicht im geringsten nachgelassen, und er ist weiterhin aktiv, glücklich und produktiv. Er hat faszinierende Memoiren geschrieben, die gut aufgenommen wurden ein Buch, in dem man Bens eigene Stimme wirklich zu hören glaubt. Ohne den großen Verantwortungsbereich, der mit meinem Titel verbunden war, mußte ich nun versuchen, meinem Leben eine neue Struktur zu geben, die nicht nur dazu diente, meine Tage auszufüllen, sondern die so angelegt sein mußte, daß sie der »letzten Runde«, wie meine Freundin Luvie den letzten Lebensabschnitt nannte, einen echten Sinn verleihen konnte. Den meisten Menschen, die sich von der Macht verabschieden, fällt es schwer, bestimmte Annehmlichkeiten aufzugeben - den Platz im Zentrum, die privilegierten Gespräche, das letzte Wort und viele andere Vorrechte, die mit einer solchen Position verbunden sind, wie ich sie so lange Zeit bekleidet habe. Zugegeben, viele von uns werden durch solche kleinen und großen Vorteile unseres Berufslebens verdorben. Das gilt gewiß auch für mich. Ich glaube aber auch, daß es heilsam sein kann, wenn man in ein normaleres Leben zurückkehren muß. Auch die Annehmlichkeiten des Privatlebens haben ihren Reiz - um so mehr, wenn man es geschafft hat, während der Jahre an der Spitze eine gewisse Balance von Beruf und Privatleben zu halten. Darum habe ich mich jedenfalls bemüht. Trotzdem bin ich natürlich in mancherlei Hinsicht verwöhnt - ich bin in der Lage, in der mir verbleibenden Zeit tausenderlei Interessen nachzugehen, und ich habe mein Personal, das mich sowohl im Büro als auch daheim bei all meinen Aktivitäten unterstützt.
Als ich mein Leben neu ordnete, versuchte ich zunächst, mir darüber klarzuwerden, was ich von meinem alten Lebensstil beibehalten wollte. Ich wußte, daß es wichtig ist, körperlich und geistig aktiv zu bleiben. Ich habe wieder angefangen, Bridge zu spielen, was mir große Freude bereitet, und ich hoffe, daß ich auch Golf und vielleicht sogar wieder Tennis spielen kann. Am wichtigsten aber ist mir, daß ich weiterhin arbeiten kann. Ich wußte, daß mir eigentlich nie daran gelegen war, nicht zu arbeiten. Für mich ist Arbeit ein Grundbedürfnis wie Essen und Trinken und fast genauso wichtig. Vielleicht ist das sogar ein direktes genetisches Erbe meiner Eltern. Und ich wußte auch, daß ich trotz meiner Teilzeitarbeit für die Firma noch eine andere Aufgabe brauchte. Die Neuorganisation meines Arbeitslebens war gleichbedeutend mit der Suche nach einem neuen Gleichgewicht. Als erstes konzentrierte ich mich darauf, weiterhin einiges für die Firma zu tun und mich mehr um Erziehungsfragen zu kümmern. Außerdem schrieb ich die vorliegenden Memoiren.
Wie kam ich dazu, ein Buch zu schreiben? Wie kommen wir überhaupt auf den Gedanken, jemand anders könnte an Geschichten aus unserer eigenen Vergangenheit interessiert sein? Für mich waren verschiedene Motive bestimmend. Ich hatte über meine Eltern nachgedacht, die mit ihrer Energie, ihrer Disziplin, ihrer Exzentrik und ihrem Reichtum selbst für Menschen außerhalb der Familie von Interesse sein könnten. Auch hatte ich das Gefühl, daß Phils Geschichte noch nicht erzählt worden war. Seine intellektuelle Brillanz, seine Fähigkeiten und sein Charme waren unter seinen Freunden legendär, aber den ganzen Phil und all seine Leistungen hatte noch niemand dargestellt. Vor allem hatte noch niemand über die verheerenden Auswirkungen seiner im wesentlichen unbehandelt gebliebenen manisch-depressiven Erkrankung geschrieben. Zum Teil wollte ich aber auch mein eigenes Leben Revue passieren lassen, weil meine persönliche Geschichte ebenso unerwartete wie unwiederholbare Elemente enthält. Die einem solchen Unterfangen innewohnende Gefahr der Selbstbeweihräucherung ist mir bewußt; ich habe mich darum bemüht, soviel Distanz wie möglich zu wahren. Aber ich wollte über das Geschehene auch so berichten, wie ich es gesehen und erlebt habe. Beim Schreiben erhoffte ich mir ferner einen gewissen Einblick in die Art und Weise, wie Menschen durch das Milieu ihrer Kindheit geformt werden und später dann dadurch, wie sie ihre Tage verbringen. Es liegt schon eine gewisse Ironie darin, daß ich mich jetzt im Alter so intensiv für Fragen der Bildung und Erziehung interessiere, die auch im späteren Leben meiner Mutter eine so große Rolle spielten. Vielleicht ist das ebenfalls ein Erbe, das sie mir hinterließ. Ich glaube wie sie, daß Bildung und Erziehung nicht nur das wichtigste, sondern auch das interessanteste Problem einer jeden Gesellschaft sind. Natürlich werden allenthalben zahllose Erziehungsprojekte durchgeführt und im ganzen Land enorme Summen dafür ausgegeben. Aber ich wollte etwas ganz Einfaches und Direktes tun: das Leben für einige Kinder vielleicht ein wenig verbessern, ohne den damit einhergehenden Versuch, etwas zu beweisen, und ohne die lähmenden Auswirkungen einer großen Bürokratie. Zusammen mit Terry Golden habe ich ein Erziehungsprojekt für kleine Kinder im Washingtoner Stadtteil Anacostia ins Leben gerufen. Das Projekt ist zwar nun doch größer ausgefallen, als ich eigentlich beabsichtigt hatte, aber es konzentriert sich im wesentlichen auf zwei Siedlungen, die Frederick Douglass Community Homes und die Stanton Dwellings. Ziel ist es, den meist unverheirateten, arbeitslosen Müttern (und Vätern) der Kleinkinder dabei zu helfen, sich aktiv um die Erziehung ihrer Kinder zu kümmern. Wir haben genug Geld zusammengebracht, um uns an der Schaffung eines Stadtteilzentrums für Eltern zu beteiligen, das neben einem Tageskindergarten für bis zu fünfzehn Kleinkinder auch eine neue Vorschule für einhundert Kinder im Alter zwischen zwei und vier Jahren enthält, die am Head-Start Programm teilnehmen (einem staatlichen Förderprogramm für sozial benachteiligte Kinder). Wir hoffen, daß diese öffentlich geförderte Privatinitiative in anderen Problemvierteln Washingtons, aber auch andernorts Nachahmer findet. Ich habe mir ferner vorgenommen, mich auch nach Auslaufen dieses Projekts weiter mit Erziehungsfragen zu beschäftigen. Eine Arbeit, die mich erfüllt, das Schreiben und die Aufgabe, Kontakt mit meinen alten Freunden zu halten und neue hinzuzugewinnen - auf solche Dinge konzentriere ich mich jetzt. Dazu kommen natürlich noch meine Kinder und deren Familien. Meine Kinder hallen alle bemerkenswert gut zusammen, selbst wenn sie untereinander oder mit mir einmal Meinungsverschiedenheiten haben. Ihr Erwachsenenleben habe ich aus dieser Chronik bewußt ausgespart, weil ich ihre Privatsphäre respektiere. Aber ich bin dankbar, daß ich mit ihnen allen soviel Zeit verbringen konnte. Lally veröffentlichte zwei Bücher, ehe sie Journalistin wurde. Sie schreibt ziemlich viel für die Los Angeles Times, das Magazin New York und für Parade. Seit 1991 veröffentlicht auch die Post regelmäßig eine Kolumne von ihr. Ich bin außerordentlich stolz auf die Qualität ihrer Beiträge und bewundere, wie hart sie daran arbeitet. Sie ist viel in der Welt herumgekommen und hat längst mehr international bekannte Persönlichkeiten interviewt als ich. Auch ihre Töchter Katharine und Pamela sind in ihren Berufen auf einem vielversprechenden Weg.
Mein Sohn Bill hat eine Investmentpartnerschaft begonnen, nachdem er zuvor als Rechtsanwalt bei Williams & Connolly und als Pflichtverteidiger in Los Angeles gearbeitet und an der Juristischen Fakultät der University of California in Los Angeles unterrichtet hatte. Ein genauer Kenner und Kritiker wie Warren bewundert Bills Weg und seine Arbeit sehr, zumal Bill auf allen Stationen erfolgreich war. Zugleich ist er einer der hingebungsvollsten Väter, die ich kenne. Von all meinen Kindern liebt er Martha's Vineyard am meisten; er hat sich neben meinem Haus auf der Insel ein eigenes gebaut. Das bedeutet, daß ich ihn und seine Kinder im Teenageralter, Edward und Alice, regelmäßig dort sehe.
Steve hat sein ganzes Erwachsenenleben in New York City verbracht und wurde, nachdem er im Theater für Mike Nichols und Lewis Allen gearbeitet hatte, Theaterproduzent. Zu den von ihm herausgebrachten Stücken gehören Werke von Sam Shepard, Athol Fugard, A.R. Gurney und anderen zeitgenössischen Dramatikern. Ferner gründete er den New York Theatre Workshop, eine gemeinnützige Einrichtung, die sich der Aufführung von Stücken unbekannter amerikanischer Dramatiker widmet. Hier kamen zum Beispiel frühe Stücke von John Guare heraus, aber auch die Originalproduktion des Rockmusicals Rent (eine New Yorker Version von La Bohéme), das jetzt ein Broadway-Hit ist und mit dem Tony Award ausgezeichnet wurde. Anschließend machte Steve im Fach Englisch seinen Doktor an der Columbia University und ist jetzt Verleger von Ecco Press, einem der besten literarischen Kleinverlage der USA. 1996 wurden Rent und ein bei Ecco publizierter Gedichtband der Lyrikerin Jorie Graham (Bills geschiedener Frau) mit Pulitzerpreisen ausgezeichnet. Damit erhielt Steve in einem Jahr, in dem die Post leer ausging, gleich zwei der begehrten Trophäen. Steves Frau Cathy, eine Buchillustratorin, engagiert sich in New York ebenfalls bei sozialen Gemeinschaftsprojekten.
Ich bin in der glücklichen Lage, Don und Mary in Washington in meiner Nähe zu haben. Ihre vier Kinder Liza, Laura, Will und Molly sind jetzt zwischen vierzehn und vierundzwanzig Jahren alt. Mary hat ihren Beruf als Anwältin, den sie einige Jahre ausübte, inzwischen aufgegeben, um zu schreiben, sich ihren Kindern zu widmen und ihre eigenen sozialen Interessen zu verfolgen. Meine Familie und die erwähnten lohnenden Aktivitäten, die mich voll in Anspruch nehmen, helfen mir dabei, die unvermeidlichen Probleme des Alters und den Verlust vieler Freunde zu bewältigen. Dieses Buch wird erscheinen, wenn ich rund achtzig Jahre alt bin. Ich bin begünstigt: in meinem Lebensstil, mit meiner Gesundheit und dadurch, daß ich so viele Interessen habe. Trotzdem ist das hohe Alter kein Honigschlecken. Selbst wenn man sich eines so guten Allgemeinzustands erfreuen kann wie ich, gibt es gesundheitliche Probleme - Herzrhythmusstörungen, Arthritis in den Hüften und das geistige wie körperliche Langsamerwerden. Sie machen es unmöglich, die Tatsache zu leugnen, daß das Alter seinen Tribut fordert. Die Leute fangen an, mich am Arm zu führen, wenn ich einen Aufzug betreten will, und behandeln mich eher wie ein Relikt aus der Vergangenheit. Auch wenn immer nur die besten Absichten und ein hohes Maß an Aufmerksamkeit im Spiel sind, läßt sich dabei das Gefühl kaum vermeiden, von oben herab behandelt zu werden. Gleichzeitig hat das Alter aber auch seine guten Seiten. Die Sorgen sind zwar nicht vollständig verschwunden, aber sie behelligen einen auch nicht mehr mitten in der Nacht. Und man kann so frei - oder wenigstens freier - sein, nein zu sagen, wenn einen etwas langweilt, und seine Zeit lieber mit Dingen und Menschen verbringen, die einem Freude bereiten. Ich bin dankbar, daß ich noch arbeiten kann und mein neues Leben so sehr schätze, daß ich das alte nicht mehr vermisse. Es ist gefährlich, wenn man im Alter beginnt, nur noch in der Vergangenheit zu leben. Nachdem ich die Vergangenheit nun in Buchform bewältigt habe, möchte ich wieder in der Gegenwart leben. Und ich freue mich auf die Zukunft.