Managementfragen
Hätte ich je dazu tendiert, mir Watergate und den damit verbundenen Ruhm der Post zu Kopf steigen zu lassen, dann hätten gewiß die Managementprobleme in allen Firmenbereichen und die Auseinandersetzungen mit den Gewerkschaften (besonders bei der Post), bei denen ich eine denkbar schlechte Figur abgab, dafür gesorgt, daß ich auf dem Boden der Tatsachen blieb. Diese Probleme hatten sich festgesetzt, waren lästig und beanspruchten alle Aufmerksamkeit. Von Paul Ignatius als Generalmanager der Post (mit dem Titel »Präsident«, weil er früher Marineminister gewesen war) hatte ich mir vergeblich echte Unterstützung erhofft. Paul war ein durch und durch netter, wohlmeinender Mann, aber er kam aus einer vollkommen anderen Unternehmenskultur und fand sich im Kommunikationsgeschäft nie wirklich zurecht. Als ich zu dem Schluß gekommen war, daß wir bei der Post einen neuen Präsidenten bräuchten, und als wir im Oktober 1971 Pauls Rücktritt bekanntgaben, sah ich darin ein Versagen von uns allen, die wir in leitenden Funktionen tätig waren. Wir hatten irrtümlich jemanden auf dem falschen Sessel plaziert. Indes, obwohl ich keine einzige wichtige Entscheidung wirklich allein traf, schon gar nicht die Berufung eines neuen Spitzenmanagers, und obwohl die Kritik an meinen Personalentscheidungen nicht immer völlig unberechtigt war, wurden die Fehler in der Öffentlichkeit allein mir zugeschrieben. Weil die Washington Post Company und die Frau an ihrer Spitze jetzt mehr im Blickpunkt standen, wurde ich für unsere redaktionellen Glanzleistungen übermäßig gelobt, ansonsten aber auch übermäßig kritisiert - und zwar dafür, daß ich meine Fehler korrigierte, nicht dafür, daß ich sie begangen hatte.
Wenn eine Frau einen Mann feuerte, war das nach damaligem Bewußtseinsstand immer ein Fehler der Frau. Weil ich mich in der Branche inzwischen schon besser auskannte und diesmal schon genauer als beim letzten Mal (als wir auf Paul Ignatius verfallen waren) wußte, wonach ich suchte, engagierte ich erneut jemanden von außerhalb der Firma: John Prescott wurde neuer Präsident (Generalmanager) der Post. Auf dem Papier war John der perfekte Mann für den Job. Er hatte seine bedeutende Karriere im Zeitungswesen zwanzig Jahre zuvor bei der Baltimore Sun begonnen, war vier Jahre lang bei der Detroit Free Press für die Verhandlungen mit den Gewerkschaften zuständig gewesen - was angesichts der heillosen Verhältnisse, die bei der Post auf diesem Gebiet herrschten, besonders wichtig war - und er hatte auch zwei Jahre beim Miami Herald, einer gut geführten Zeitung ohne Gewerkschaftsorganisation, als für die Belegschaft zuständiger Manager gearbeitet. Schließlich war er Generalmanager der Zeitungen aus dem Knight-Ridder-Konzern in Charlotte, North Carolina, und Philadelphia gewesen. Mit Fritz Beebes Tod war eine meiner Lernphasen zu Ende gegangen: die ersten zehn Jahre der tastenden Erkundungen und Reaktionen auf Umstände und Probleme, die sich ergaben. Mir war gar nicht klar gewesen, wie sehr Fritz mich beschützt und abgeschirmt hatte. Jetzt wurde ich Vorsitzende (Chairman) - das grammatische Geschlecht dieser Bezeichnung zu ändern war mir nie in den Sinn gekommen - des Vorstands einer expandierenden, an der Börse notierten Firma. Gleichzeitig blieb ich Verlegerin der Post. Ich war nun also die alleinige Verantwortliche bei der Washington Post Company - mit allen Rechten und Pflichten.
Und so stand mir erneut eine Lernphase bevor: Was es hieß, Spitzenmanagerin einer Aktiengesellschaft mit Verpflichtungen gegenüber ihren Aktionären zu sein, mußte ich genauso lernen wie die Anwendung meiner geringen Managementkenntnisse auf die Vorgänge in der Firma. Zu meinen neuen Herausforderungen gehörte auch, wie ich die redaktionelle Qualität der Zeitung aufrechterhalten konnte, ohne darüber die Finanzen aus dem Auge zu verlieren. Ich fühlte mich wie auf einem Nagelbett, für all die anstehenden Aufgaben nur unzureichend gerüstet. Eine eidesstattliche Erklärung über die Arbeitsstunden, die ich aufwendete, hätte meine guten Absichten zweifellos untermauert, doch für mich zählten nur Ergebnisse. Ich wußte zum Beispiel nicht, wie und wann man Expansionsgedanken verfolgen sollte, welche Aufgabenbeschreibung für einen Firmenchef galt und wie hoch der erzielte oder angestrebte Gewinn ausfallen sollte. Vielleicht waren meine Maßstäbe auch unrealistisch hoch: Ich beurteilte mich immer nach der Leichtigkeit, mit der Phil in seinen besten Zeiten mit allen Problemen anscheinend spielend fertig geworden war, oder nach einem imaginären Ideal der an mich berechtigterweise zu stellenden Anforderungen.
Weil ich in öffentlichen Situationen immer noch immense Schwierigkeiten mit meinem Selbstbewußtsein hatte, hatte ich Angst vor Branchenkennern und Wall-Street-Finanziers, besonders vor der Tortur, mich Finanz- und Börsenanalysten stellen zu müssen. Wir wurden an der Börse notiert, und darum würden etwaige Fehler meinerseits auch ihren öffentlichen Niederschlag finden. Um bei der Wahrheit zu bleiben: Ich wußte nicht einmal, wieviel ich immer noch nicht wußte oder wie komplex die vor mir liegenden Aufgaben waren. Ich wußte nur, daß ich mir überhaupt nicht sicher sein konnte, meinen zukünftigen Pflichten gewachsen zu sein. Doch wieder stand mir das Glück zur Seite - es kam in dem Moment, als ich es brauchte: Ungefähr einen Monat nach Fritz' Tod stieg Warren Buffett als Großaktionär bei der Washington Post Company ein. Damit begann ein ganz neuer Abschnitt in meinem Leben. Warrens Auftreten leitete nicht nur meine neue Lernphase ein, sondern markierte auch den Beginn einer Freundschaft, die weit mehr wurde als die übliche Beziehung zwischen Firmenbesitzern und Großaktionären. Nach den Regeln der Börsenaufsichtsbehörde SEC ist jeder, der fünf Prozent oder einen noch größeren Anteil der Aktien einer Firma erwirbt, gesetzlich verpflichtet, die Verantwortlichen dieser Firma über den Kauf zu unterrichten. Warren informierte mich, daß er über seine Firma mehr als 230000 stimmrechtslose B-Aktien der Washington Post Company gekauft habe und beabsichtige, noch weitere Anteile zu erwerben. In einem Brief legte er auch seine Motive offen:
Dieser Erwerb stellt für uns eine beträchtliche Investition dar - und ein ausdrücklich meßbares Kompliment an die Post als Wirtschaftsunternehmen und an Sie als Spitzenmanagerin dieser Firma. Die Ausstellung eines Schecks macht den Unterschied zwischen Überzeugung und unverbindlichem Gerede aus. Mir ist klar, daß die Post von der Familie Graham kontrolliert und gemanagt wird. Und das ist mir nur recht. Vor einigen Jahren investierte eine von mir geführte Partnergruppe eine erhebliche Summe in Aktien von Walt Disney Productions. Gemessen an den Erträgen, Aktiva und Managementfähigkeiten dieser Firma waren ihre Aktien in geradezu lächerlichem Ausmaß unterbewertet. Schon das allein reichte aus, um meinen Puls schneller schlagen zu lassen (und meine Brieftasche zu öffnen), aber hinzu kam noch eine weitere wichtige Dimension. Auf ihrem Gebiet war Disneys Firma einfach die beste - ohne Wenn und Aber. Alles, was nicht höchsten Ansprüchen genügte - alles, was dem Kunden vielleicht das Gefühl vermittelt hätte, er komme nicht auf seine Kosten - war für Walt Disney einfach nicht akzeptabel. Er verband energiegeladene Kreativität mit gewinnorientierter wirtschaftlicher Disziplin und erreichte damit etwas in der Unterhaltungsbranche Einmaliges. Das gleiche Gefühl habe ich auch bei der Washington Post. Die Aktien sind, verglichen mit dem wahren Wert der zum Unternehmen gehörenden Aktiva, dramatisch unterbewertet. Das gilt allerdings heutzutage für viele Börsenwerte. Doch mit der Unterbewertung ist als Attraktion untrennbar verbunden, daß es sich um ein Unternehmen handelt, das im Kommunikationswesen zum Synonym für Qualität geworden ist. Wieviel mehr Befriedigung verschafft es doch, eine Investition bei der Post im Lauf der Jahre wachsen und gedeihen zu sehen, als einfach Aktionär bei einer Feld-Wald-und-Wiesen-Gesellschaft zu sein, deren Aktien zwar ebenfalls preisgünstig zu haben wären, der aber jede Zielstrebigkeit fehlte.
Außerdem beeindruckt mich auch, wie sehr Ihre Mitteilungen an die Mitaktionäre vom Geist der treuhänderischen Verantwortung geprägt sind. Sie sind faktenorientiert, vollständig und interessant, und Sie übertragen darin Ihre gefestigten Maßstäbe für die Integrität einer Zeitung auf das für Sie noch neue Gebiet des wirtschaftlichen Berichtswesens. Vielleicht erinnern Sie sich noch, daß ich vor ungefähr zwei Jahren gemeinsam mit Charles Munger schon einmal bei Ihnen im Büro gesessen habe, um ein geplantes Engagement beim New Yorker zu diskutieren. Damals habe ich Ihnen erzählt, daß ich mein erstes Geld damit verdient habe, daß ich als Schüler der Woodrow Wilson High School die Post ausgetragen habe. Das war Mitte der vierziger Jahre. Obwohl ich damals täglich rund 400 Exemplare der Post ausgetragen habe, verfüge ich hinsichtlich meiner Loyalität zur Post über keine absolut reine Weste, weil ich auch die Times-Herald im Bezirk Westchester verteilt habe (weit weniger Exemplare, meine Kunden kannten schon damals den Unterschied). Das war für ganz aufmerksame Washingtoner vielleicht schon damals ein erstes zaghaftes Zeichen, daß die beiden Zeitungen schließlich zusammengehen würden. Ich sollte vielleicht noch erwähnen, daß (meine Firma) Berkshire Hathaway keine Radio- oder Fernsehstationen besitzt, so daß wir Ihnen auch keine neuen Komplikationen mit der Federal Communications Commission einbringen. Unser einziger Besitz im Kommunikationsbereich sind die Sun Newspapers in Omaha (Nebraska), eine Gruppe von finanziell (aber nicht inhaltlich) unbedeutenden Wochenzeitungen im Großraum Omaha. Im letzten Monat wurde unser Verlag (der einschließlich der Drucker siebzig Mitarbeiter zählt) zu unserer riesigen Freude dadurch bekannt, daß wir einen Pulitzerpreis für unsere Reportage über den versteckten Reichtum von Boys Town (eines in Omaha gelegenen gemeinnützigen Kinderdorfes) erhielten. Nebenbei bemerkt, haben auch Newsweek und Time letztes Jahr über diese Geschichte in ungefähr gleicher Ausführlichkeit berichtet, aber Newsweek hat dabei weit besser abgeschnitten. Sie sehen also, daß die Post hier draußen in Omaha einen ziemlich begeisterten Verehrer hat. Ich hoffe, daß wir unsere Beteiligung, wenn weitere Finanzmittel zur Verfügung stehen, sogar noch aufstocken können. Dann würde ich Ihnen ein entsprechend berichtigtes 13-D-Formular schicken.
Mit herzlichen Grüßen, Warren E. Buffett
Über den Mann, der gerade einen beträchtlichen Anteil unserer Firma gekauft hatte, wußte ich so gut wie nichts. Warren war damals derselbe wie heute, aber damals war er noch ein relativ kleiner, fast unbekannter Investor. Ich wußte, daß er sich in unsere Firma eingekauft hatte, weil sie seinen »Regeln« für gute Investitionen entsprach und weil unsere Aktien so billig waren. Damals wurden zwar - rezessionsbedingt - alle Aktien unter Wert gehandelt, unsere aber lagen im Wert nochmals darunter, weil wir in der Geschäftswelt noch ziemlich unbekannt waren. Außerdem waren die Sendelizenzen unserer Fernsehstationen in Florida angefochten worden - und vielleicht spielte auch eine Rolle, daß nach Fritz' Tod ich den Vorstandsvorsitz übernommen hatte. Weil mich viele vor möglichen Übernahmeabsichten gewarnt hatten (ich selbst wäre in meiner Naivität auf diese Idee gar nicht gekommen), versuchte ich, so viel über Warren Buffett herauszufinden, wie ich konnte. Bei der Recherche tauchte ein sehr schmeichelhaftes Kapitel in einem Buch mit dem Titel Supermoney auf (von einem gewissen »Adam Smith«), das einige von uns kurz nach Eintreffen von Warrens Brief regelrecht verschlangen. Und als ich alle möglichen Leute anrief, die Warren vielleicht direkt oder indirekt kannten, erhielt ich ausschließlich positive Reaktionen: Er hatte noch nie etwas Feindseliges unternommen und war diesen Aussagen zufolge ein guter Mensch: geradeheraus, intelligent, nett. Inzwischen war ich neugierig geworden und sogar ängstlich bemüht, ihn persönlich kennenzulernen, nachdem ich mich für seinen Brief freundlich bedankt hatte. Bei unserem ersten Treffen in Los Angeles überraschte mich seine äußere Erscheinung; er sah überhaupt nicht aus wie jemand von der Wall Street oder wie ein Wirtschaftsmagnat, sondern eher wie ein Mann aus dem ländlichen Mittleren Westen. Auch wies er jene Kombination von Eigenschaften auf, die mich schon mein ganzes Leben lang beeindruckt hatte: Intelligenz und Humor. Er gefiel mir von Anfang an.
Bei diesem ersten Zusammentreffen erkannte Warren natürlich sofort, daß ich von Wirtschaft und Finanzen keine Ahnung hatte; überdies merkte er auch, daß ich glaubte, andere verstünden weit mehr davon. Später erzählte er mir, ich hätte ihm damals den Eindruck vermittelt, ich sei überzeugt, auf diesem ungewohnten Terrain »von lauter Achtmetermenschen umgeben zu sein, die nur darauf warteten, mich bei lebendigem Leibe fressen zu können«. Ich kannte Warren noch kaum, vertraute ihm aber instinktiv und lud ihn mit seiner Frau zum Lunch ein, sowohl bei Newsweek in New York als auch bei der Post in Washington. Und ich sagte ihm, daß er auch zum Dinner bei mir zu Hause herzlich willkommen sei. Er nahm die Einladung gern an, und wir vereinbarten einen Termin. Es folgte eine Zeit, in der ich Warren besser kennenlernte. Wir begannen eine Korrespondenz - immer ermutigend und ausnahmslos lehrreich - die bis heute andauert. Über Don, der bei unserem ersten Treffen in Los Angeles dabeigewesen war, schrieb mir Warren:
Sie haben noch einen weiteren Trumpf, der langfristig für Sie spricht und den ich noch gar nicht kannte, als ich das Aktienpaket erwarb: Es sieht ganz so aus, als seien die Meyer-Gene über drei Generationen hin hundertprozentig intakt geblieben. Don Graham hat das Zeug zum erstklassigen Manager ...
Daß Warren großes Vertrauen in die Washington Post Company setzte, war unverkennbar. Laufend kaufte er weitere Aktien hinzu. Im September 1973 besaß er bereits 410 000 Anteile im Wert von mehr als 9 Millionen Dollar.
Die größten Sorgen machte mir in diesen Jahren - abgesehen von Watergate - die wirtschaftliche Situation bei der Post, wo Management- und Belegschaftsprobleme besonders eng zusammenhingen. Im Produktionsbereich herrschte nur noch Chaos, und die Gewerkschaften lagen mit uns im Dauerstreit. Letztlich ging es darum, wer in der Druckerei das Sagen haben sollte. Unsere Schwachstellen und ihre eigene Stärke kannten die Gewerkschaften nur zu gut. Zudem lagen die Wurzeln unserer Herstellungsprobleme schon so viele Jahre zurück, waren so viele Menschen und Umstände daran beteiligt gewesen, daß es schwerfiel, die Probleme überhaupt zu erklären, geschweige denn sie zu lösen. In den Zeitungen der großen Städte dominierten - mit ganz wenigen Ausnahmen - die Gewerkschaften, denn der Organisationsgrad der Belegschaften war dort sehr hoch. Bei der Post hatten wir mit insgesamt dreizehn verschiedenen Gewerkschaften zu tun, die für die ehemals handwerklichen Bereiche zuständig waren: Drucker, Setzer, Klischeehersteller, Materngießer, Versandarbeiter, Maschinisten, Papierrolleneinleger und so weiten Die größte Gruppe waren die Setzer, vertreten durch die International Typographical Union. Entsprechend hatten bei uns auch die meisten - und vor allem die verlustreichsten - Arbeitskämpfe mit den Setzern zu tun. Schon seit Mitte der sechziger Jahre war es immer wieder zu Bummelstreiks oder Ausständen gekommen, besonders in Zeiten, in denen Tarifverhandlungen liefen. Vieles hatte Ähnlichkeit mit einem Guerillakampf, oft mußten die Redakteure einspringen. Wenn Setzer und Drucker das Tempo verzögerten, erschien die Zeitung später - manchmal sogar sehr verspätet. Die Bummelstreiks sollten natürlich die Auflage treffen und damit den wirtschaftlichen Nerv und das in Zeiten intensiven Wettbewerbs. Weil die Post ständig expandierte und versuchte, gegenüber dem Star das bessere Ende für sich zu behalten, mußten wir uns mit solchen Bummelstreiks in einem Ausmaß abfinden, das kurzsichtig war und langfristig großen Schaden nach sich zog.
In den sechziger Jahren erstritten die Gewerkschaften bei der Post wesentlich höhere Löhne, nicht zuletzt dank massiver Überstundenzuschläge - eine beträchtliche Hypothek für die mit den anderen Washingtoner Blättern gemeinsam geführten Tarifverhandlungen. Mit den Setzern hatten wir einen für sie äußerst lukrativen Kontrakt ausgehandelt, in dem auch ein Passus enthalten war, der den »Neusatz« (reproduce) regelte. In jenen Tagen schickten uns die großen nationalen Anzeigenkunden ihre Inserate bereits vorproduziert, so daß sie bei der Seitenmontage gleich in den Druckprozeß integriert werden konnten. Leider war in unseren Tarifverträgen aber noch eine jahrzehntealte Klausel enthalten, in der es hieß, daß die Zeitung komplett von unseren hauseigenen Setzern und Druckern erstellt werden müsse - daß folglich auch die vorgefertigten Anzeigen nochmals neu gesetzt, korrigiert und gedruckt werden mußten. Kaum zu glauben, aber es kam oft vor, daß die angelieferten Seiten und Seitenteile neu produziert und anschließend gleich weggeworfen wurden. Oft ersparte man sich diese unsinnige Arbeit aber auch, weshalb sich im Lauf der Zeit ganze Berge solcher Seiten sammelten, die eigentlich noch neu zu setzen gewesen wären eine Art Zeitbombe. Natürlich wehrte sich die Gewerkschaft mit Händen und Füßen gegen die Aushandlung einer vernünftigen Lösung. Sie ließ sich die fraglichen Seiten auch nicht mit einer Pauschalzahlung abkaufen, denn dieser »Rückstand« bildete ja den Hebel, an dem jederzeit angesetzt werden konnte, wenn es um die Kontrolle in Setzerei und Druckerei ging. Wir mußten praktisch jeden Setzer oder Drucker einstellen, der vorbeikam und für uns arbeiten wollte, weil theoretisch schließlich ein ganzer Berg Arbeit bereitlag. Doch das Ganze diente den Gewerkschaften letztlich nur als unbefristete Arbeitsplatzgarantie.
Personell war die Setzerei bald grotesk überbesetzt, und die Leute standen herum, tranken und spielten. Einer saugte den ganzen Tag an einer - mit Wodka getränkten - Orange, ein anderer erschien in Naziuniform in der Firma. Die Arbeitsmoral lag völlig danieder, und die Leistungen der Setzer waren entsetzlich schlecht (obwohl es natürlich auch positive Ausnahmen gab). Zur Katastrophe wurde das Ganze endgültig, als 1972 der Star die Daily News aufkaufte. Vierhundert arbeitslos gewordene Setzer kamen zur Post, begehrten Arbeit und mußten wegen der »Reproduce«-Klausel eingestellt werden. Über Nacht hatte sich die Belegschaft unserer Setzerei verdoppelt.
Zweifellos rächten sich hier unsere Sünden aus der Vergangenheit, doch ein weiterer wichtiger Grund für diese Konflikte war der Umbruch in der Drucktechnik - vom Bleisatz zum Fotosatz. Dieser Prozeß war damals mitten im Gange. Die jahrhundertealte Technik basierte auf zunächst einzeln, später zeilenweise gegossenen Metallbuchstaben (Linotype), die von den Setzern mit immer höher entwickelten Setzmaschinen in die richtige Reihenfolge gebracht worden waren. Diese Technik war nun ein Auslaufmodell, weil der neue Fotosatz materialsparender war und wesentlich weniger Arbeit erforderte. Im Fotosatz konnte eine Zeitungsseite 150-mal schneller erstellt werden als im Linotype-Verfahren. Bei der alten Technik hatte es im Streikfall keinen Ausweg gegeben, weil die Zeitungsherstellung so kompliziert und arbeitsintensiv war. Bei den neuen, auf Computern und auf Belichtungstechnik basierenden Verfahren konnte bei einem Streik dagegen das Management einspringen und die Herstellung der Zeitungsausgabe sichern. Dieser Wandel der Technik zog also eine erhebliche Verschiebung der Kräfteverhältnisse nach sich: Es wurden weniger Setzer und Drucker benötigt, und die Allmacht der Gewerkschaften im Produktionsprozeß ging dem Ende zu. Dementsprechend gestaltete sich der Übergang gerade bei den Großstadtzeitungen am schwierigsten, denn hier hatten die Gewerkschaften am meisten zu verlieren. Und sie leisteten in der Tat erbitterten Widerstand. Hier kam erneut die »Reproduce«-Frage ins Spiel. Endlos wurde darum gestritten, ob eine einmalige Abfindungszahlung an die Gewerkschaften das Problem lösen könne oder ob diese überflüssigen Seiten, so unsinnig es war, nun tatsächlich noch alle gesetzt werden sollten.
Nachdem eine Einmalzahlung endgültig abgelehnt worden war, richteten wir einen eigenen Raum in der Setzerei ein, damit der »Rückstand« endlich abgearbeitet werden konnte. Aber motiviert war niemand, und die Arbeit ging auch nicht wirklich voran - aus naheliegenden Gründen. Unsere Probleme mit den Setzern waren zwar die gravierendsten, aber auch die anderen Gewerkschaften machten uns mehr als genug zu schaffen. Für die Drucker galten zum Beispiel besonders hohe Überstundenzuschläge, was auch weidlich ausgenützt wurde. Man brauchte ja nur durch kleine Sabotageakte den Produktionsprozeß verlangsamen, so daß während der regulären Arbeitszeit viel Leerlauf herrschte und anschließend Überstunden gemacht werden mußten, damit die Zeitung überhaupt noch erscheinen konnte. Innerhalb von zehn Jahren hatten die Drucker der Post auf diese Weise ihr Einkommen mehr als verdoppelt. Wir zahlten fast immer den landesweit höchsten oder zweithöchsten Satz (nach den Blättern in New York City). Hinzu kamen noch reichlich Sondervergünstigungen und weiterhin steigende Tendenz bei den Überstundenvergütungen. Natürlich gab es wie bei den Setzern auch bei den Druckern gute, fleißige und loyale Mitarbeiter. Aber auch diese Abteilung war überbesetzt, und vor allen Dingen hatten sich dort radikale Gewerkschaftsführer wie Jim Dugan und Charlie Davis eingenistet. Diese Leute waren uns aus Städten wie Newark, New Haven oder Kansas City ins Haus gekommen, weil wir tarifvertragsbedingt kaum Einfluß darauf hatten, wer eingestellt wurde und wer nicht. Das bestimmten im wesentlichen die gewerkschaftlichen Obleute. In allen möglichen Fragen hatte unser Management leider! jahrzehntelang so oft nachgegeben und faule Kompromisse geschlossen, daß für die Gewerkschaften bei Konflikten fast kein Risiko mehr bestand. Und warum das alles? Weil jeden Tag die Notwendigkeit bestand, eine Zeitung herauszubringen, koste es, was es wolle. Wir durften gegenüber dem Star einfach keinen Boden verlieren.
Als 1972 neben John Prescott auch Jim Cooper als Herstellungsexperte mit detaillierten technischen Kenntnissen zu uns stieß, wurden die alten Problembereiche endlich energisch und sachgerecht in Angriff genommen. Jim war vorher beim Southern Printing and Production Institute tätig gewesen, wo Manager in Spezialkursen für die Bedienung von Satzcomputern und Druckmaschinen ausgebildet wurden, damit sie gegebenenfalls als Streikbrecher tätig werden konnten. Entsprechend war Jims Eintritt bei der Post von den Gewerkschaften sofort als Kampfansage interpretiert worden. Wann immer Jim (oder ein anderes Mitglied des Managements) die Druckerei betrat, hielten die Drucker sofort alle Maschinen an. Kaum zu glauben, aber wahr!
Die Journalistengewerkschaft Newspaper Guild, die - außerhalb von Produktion und Vertrieb - für alle anderen Mitarbeiter der Zeitung zuständig war, gab es bei der Post schon seit 1936. Sie war eine der größten und stärksten Gewerkschaften im Hause, zu der hochbezahlte Starreporter, Redakteure und Anzeigenakquisiteure ebenso gehörten wie Sekretärinnen, Angestellte in der Abonnentenverwaltung und Anzeigenannahme, Programmierer und Laufburschen. Die in der Newspaper Guild vertretenen Gruppen saßen trotz sehr unterschiedlicher Einzelinteressen alle am gleichen Verhandlungstisch. Schlimmer noch, bei Tarifverhandlungen wurden sie von auswärtigen Funktionären vertreten, die sich dadurch profilieren wollten, daß sie die landesweit höchsten Abschlüsse zu erreichen suchten. Um die konkreten Interessen der Post-Belegschaft kümmerten sie sich damals kaum. Die von der Newspaper Guild bei der Post ausgehandelten Gehaltstarife zählten für alle Teilgruppen zu den höchsten im ganzen Land. Trotzdem waren dem Management im Umgang mit dem Personal auf manchmal geradezu lächerliche Weise die Hände gebunden, besonders bei Kündigungen. Es war für uns fast unmöglich, jemanden zu entlassen, dem nicht schwerwiegende Vergehen wie Betrug oder Diebstahl nachgewiesen werden konnten - und selbst dann war es noch schwer genug. Einfache Inkompetenz war kein Entlassungsgrund, geschweige denn mittelmäßige Leistungen oder Faulheit. Einmal hatte eine Reporterin der Frauenseiten in Zeitnot kurz vor ihrer Abreise in den Urlaub einen Artikel komplett einer Publikation des Fine Arts Council entnommen. Als wir ihr daraufhin kündigen wollten, leitete die Gewerkschaft ein Schiedsverfahren ein - mit der lächerlichen Begründung, derartige Verhaltensweisen seien allgemein üblich. Nach einer langen Anhörung durften wir die Reporterin schließlich entlassen, aber das Beispiel zeigt, mit welchen Komplikationen selbst bei nachgewiesenen, offensichtlichen Verletzungen der arbeitsvertraglichen Pflichten stets zu rechnen war. Damals wurde die Guild von Brian Flores geführt, der immer exorbitante Lohnerhöhungen forderte - und erzielte.
Seitens des Managements waren wir bei Verhandlungen mit den Gewerkschaften hoffnungslos inkompetent. Im Herbst 1971, nach Auslaufen des alten Tarifvertrags, wurde zum Beispiel endlos lange mit der Guild herumdiskutiert. Fritz, Paul Ignatius und ich sprachen mit dem vorgeblichen Verhandlungsführer Jim Daly über zahlreiche weitergehende Vorschläge, während die eigentlichen Tarifexperten auf beiden Seiten gar nicht zugegen waren und die anstehenden Tariffragen fast überhaupt nicht zur Sprache kamen. Ben haßte Tarifverhandlungen. In solchen Zeiten waren die Redakteure von jenem Ziel abgelenkt, das ihm vor allem anderen am Herzen lag: qualitative Fortschritte bei der Arbeit zu erreichen. Die wirtschaftliche Seite war Ben eher lästig. Und als das für die wirtschaftlichen Belange der Zeitung zuständige Management die Situation endlich grundlegend ändern wollte, versuchten die Gewerkschaften, Ben gegen die Manager auszuspielen. Meine eigenen Sympathien und Vorlieben hatten viel zu lange der Redaktion gegolten. Allmählich aber verstand ich auch die wirtschaftlichen Probleme der Zeitungsherstellung besser. Der Aspekt, daß auch Redakteure wirtschaftlich denken und handeln sollten, war in der langen Wachstumsphase der Post sträflich vernachlässigt worden. Der einzige gewerkschaftsfreie Bereich bei der Post war der Vertrieb, vor allem die Auslieferung. Hier hatten Phil, Harry Gladstein und Jack Patterson auf Subunternehmer gesetzt, die für bestimmte Auslieferungsbezirke zuständig waren und mehr Geld verdienten, wenn sie mehr Zeitungen verkauften.
Es hatte zwar wiederholt Versuche gegeben, auch diese Händler gewerkschaftlich zu organisieren, doch sie konnten erfolgreich abgewehrt werden. Wenn ich eines wußte, dann dies: Das wirtschaftliche Überleben und die Zukunft der Post hingen nicht zuletzt davon ab, daß eine Vertriebsgewerkschaft weiterhin verhindert werden konnte. Sollten wir je soweit kommen, im Falle eines Streiks eine Zeitungsausgabe auch ohne die gewerkschaftlich organisierten Mitarbeiter produzieren zu können, dann wäre all dies umsonst, wenn die Zeitungen nicht anschließend auch ausgeliefert werden könnten. Der Kampf gegen die gewerkschaftliche Organisation des Vertriebs gestaltete sich allerdings schwierig, weil die freien Händler unter den zunehmenden Bummelstreiks der Setzer und Drucker immer mehr zu leiden hatten. Erschien die Zeitung zu spät, dann waren die Verkäufer vor Ort die Gelackmeierten. Deshalb bemühte ich mich nachts oft gerade um diese Gruppe und opferte mich freiwillig als Blitzableiter für Wut und Enttäuschung. In Setzerei und Druckerei war die Post inzwischen vollkommen außer Kontrolle geraten. Seit John Sweeterman gegangen war, hatten wir anderen Spitzenmanager nicht mehr die Kraft und die Erfahrung, uns sachgerecht mit Gewerkschafts- und Belegschaftsproblemen auseinanderzusetzen. Erschwerend kam noch hinzu, daß alle Washingtoner Blätter gemeinsame Tarifverhandlungen führten. John Prescott und sein Kollege vom Star, Bin Lewis, hatten sich mit den Gewerkschaftsführern getroffen und die Karten offen auf den Tisch gelegt: Unsere Kosten waren aus dem Ruder gelaufen, und so konnte es ohne eine Gefährdung der Gesamtunternehmen einfach nicht weitergehen. Bin gehörte der weitverzweigten Besitzerfamilie des Blattes an und war ein anständiger und fähiger Mann. Und er war clever genug, John weitgehend das Feld zu überlassen, so daß sich der Zorn und die Angriffe der Gewerkschaften auf die Post konzentrierten, während der Star weniger verwundbar blieb. Prescott, Larry Wallace (im Post-Management für die Tarifverhandlungen zuständig) und Jim Cooper wurden ständig belästigt oder - in Jims Fall - durch Nichtbeachtung gequält. Die Gewerkschaften hatten Jim als »notorischen Streikbrecher« gebrandmarkt und alle Mitglieder, die mit ihm redeten, sogar mit Geldstrafen belegt. Dieses Redeverbot wurde allerdings nach einigen Monaten aufgehoben, nachdem Jim in der Materngießerei eine nachhaltige Verbesserung der Arbeitsbedingungen gelungen war.
Ich war außer mir vor Sorgen. Nacht für Nacht lautete die Existenzfrage: Wie bringen wir nur die morgige Ausgabe heraus, und wie spät wird es heute werden? Die Kosten stiegen, die Gewinne sanken, und ein großer Teil der Belegschaft war zutiefst unzufrieden und feindlich gesinnt. Weil ich wußte, daß wir uns diesen Problemen nun ein für allemal stellen und die Kontrolle über unsere Produktionsabteilungen zurückgewinnen mußten, versuchte ich, mir bei den unterschiedlichsten Leuten Rat zu holen, was zu tun sei. Dabei wurden viele Theorien verkündet und alles mögliche erörtert, aber die grundlegende Wahrheit blieb, daß es uns an dem fehlte, was am wichtigsten war: an kompetenten, alerten Managern, die ihr Handwerk verstanden. Ohne sie war für uns kein nachhaltiger Fortschritt möglich.
Während wir an der Lösung dieses Problems arbeiteten, entschied ich - gemeinsam mit John Prescott - daß wir schon jetzt Vorbereitungen treffen müßten, um bei einem Streik in den Produktionsabteilungen die Zeitung trotzdem herausbringen zu können. Deshalb setzten wir 1972 einen Plan um, gewerkschaftlich nicht organisierte Mitarbeiter der Post so auszubilden, daß sie bestimmte Maschinen bedienen konnten, die für den Druck des Blattes unverzichtbar waren. Das war nicht absolut neu, verschiedene andere Zeitungen hatten es schon ausprobiert. Was wir damit letztlich versuchten, war die Wiederherstellung einer gewissen Parität am Verhandlungstisch: Wenn wir die Zeitung auch ohne Mitwirkung der Gewerkschaftler herauszubringen vermochten, dann konnten wir auch mal einen Streik riskieren. Dieser Fall konnte zum Beispiel nach Auslaufen des Tarifvertrags im Herbst 1973 eintreten, und dafür wurde mit dem Star nun ein gemeinsames Vorgehen vereinbart. John Prescott plante und richtete mit Ken Johnson ein entsprechendes Trainingsprogramm ein (Ken war als junger Post-Redakteur zur Herstellung übergewechselt). Ein »Komitee für den Notfall« traf sich im ganzen Jahr 1973 ein- bis zweimal wöchentlich, und wir schickten mehrere Leute in das Ausbildungszentrum in Oklahoma, in dem Jim Cooper zuvor tätig gewesen war. Schließlich hatten wir auch in einem Vorort von Washington große Räume angemietet, um dort ein Trainingszentrum für die Zeitungsherstellung einzurichten.
Als nun wie stets im Herbst der Anzeigenteil anschwoll und die Zeitungsausgaben dicker wurden, war auch 1973 die Zeit der bei uns üblichen Malaise wieder gekommen: Die Setzer und Drucker hatten Gelegenheit, die Maschinen wieder langsamer laufen zu lassen, ihr altes Sabotagespielchen zu spielen und dem Management eins auszuwischen. Und wieder mußten unsere Auslieferer drei bis vier Stunden ohne Bezahlung auf die Zeitungen warten. Die Zusteller liefen uns in Scharen davon, und die Beschwerden der Abonnenten häuften sich. Setzer und Drucker aber wedelten vor den Augen der wütenden Auslieferer stolz mit ihren Überstundenabrechnungen herum. Wir hatten versucht, mit den Setzern einen neuen Tarifvertrag auszuhandeln, aber die Bummelstreiks häuften sich mehr als je zuvor. Allerdings wurden nach dem Eintritt von Larry Wallace unsere Verhandlungen mit der Gewerkschaft der Setzer wenigstens bestimmter und zielstrebiger geführt. John Prescott hatte kurz zuvor in einem Brief an die Belegschaft disziplinarische Maßnahmen bis hin zum Rausschmiß angekündigt, wenn jemand beim Bummeln oder bei Sabotageakten erwischt würde. Nach diesem Brief war die Lage gespannt, und eine Konfrontation lag in der Luft. Bummelaktionen waren nicht leicht nachzuweisen, aber letztlich konnte einer der Aufseher einen Sünder überführen: den Setzer Michael Padilla, der wegen Arbeitsverweigerung fristlos entlassen wurde. Padilla gehörte allerdings nicht zu den üblichen Störenfrieden, sondern war ein erfahrener Mann, der normalerweise zufriedenstellend arbeitete.
Dieses Vorgehen des Managements beschwor sofort eine Konfrontation mit den Gewerkschaften herauf. Die anderen Setzer legten die Arbeit nieder, blieben aber in den Räumen der Setzerei, bis die beiden nächsten Schichten zur Arbeit erschienen. Nun besetzten Hunderte die Räume, ohne zu arbeiten: Erst wenn Padilla wieder eingestellt sei, werde die Arbeit wiederaufgenommen. Wir holten die Polizei, um die Setzerei räumen zu lassen. Daraufhin kam es zu einem wilden Streik. Alle zogen auf die Straße - bis auf zwölf Setzer, die prompt wegen Hausfriedensbruchs festgenommen wurden. Ich hielt mich an diesem Tag gerade zu einer Sitzung in San Francisco auf, flog aber umgehend zurück. Angesichts einer illegalen Arbeitsniederlegung blieb uns meiner Ansicht nach keine andere Wahl, als den Versuch zu wagen, die Zeitung in Eigenregie herauszubringen. Der Testfall für unsere »Notmaßnahmen« war gekommen. Am Abend des 4. November 1973 waren wir alle bei der Post versammelt. Es war ein dramatischer Augenblick, denn es gab Gerüchte, daß sich die Setzer und Drucker bewaffnet hätten. Zufällig hielten sich ausgerechnet an diesem Abend auch Warren Buffett und seine Frau Susie in der Stadt auf - direkt gegenüber dem Gebäude der Post, im Madison Hotel. Sie waren auf meine Einladung hin nach Washington gekommen, um sich die Washington Post Company genauer anzusehen und am folgenden Abend als Ehrengäste an einem Dinner in meinem Haus teilzunehmen. Den ganzen Abend sahen sie sich von ihrem Fenster aus das Durcheinander an: den Menschenauflauf, die Scheinwerfer, die Fernsehkameras. Nicht gerade ein günstiger erster Eindruck für unseren neuen Großaktionär!
Im Gebäude selbst machten wir uns an die Arbeit. Jim Cooper und Ken Johnson übernahmen die Führung, und zu unser aller großer Erleichterung bewältigten wir den komplizierten Prozeß der Herstellung und hatten schließlich vierzig Zeitungsseiten im Fotosatz beisammen. Während wir die Druckmaschinen vorbereiteten, traf sich Dugan mit den anderen Gewerkschaftsführern. Immer wieder rief er bei John Prescott an und erbat sich mehr Zeit für seine Verhandlungen. Er sagte: »Vielleicht kriege ich die Leute ja noch rum.« Dann wurden Prescott und Larry Wallace zu einer Sitzung der Gewerkschaftler ins Statler Hotel geholt. Hier könnte Prescott erstmals eingeknickt sein, denn nachdem die beiden von der Sitzung zurückgekehrt waren, kamen Jim Cooper und Ken Johnson zu mir und sagten: »John denkt an einen Rückzieher. Wenn er das tut, wird er uns das Herz brechen.« Die Lastwagen der Auslieferer warteten schon wieder geduldig in der Zufahrt, und ich ging zu John Prescott und sagte ihm, so bestimmt ich konnte, er sei jetzt an der Kante des Sprungbretts angekommen und es gebe nur noch den Weg nach vorn: Er müsse jetzt ins kalte Wasser springen. Schließlich nannte Prescott Jim Dugan die Uhrzeit, zu der die Druckmaschinen unwiderruflich anlaufen sollten. Wir machten erfolgreich weiter - bis uns leider ein selbstverschuldetes Malheur unterlief. Als John um das Gebäude ging, traf er am Hinterausgang auf Dugan und seine Drucker. Dugan hatte sich über die Arbeitsfortschritte im Gebäude immer sorgfältig auf dem laufenden gehalten und wußte daher, daß wir mit der Einrichtung der Druckmaschinen fertig waren und nun andrucken wollten. »Was machen Sie denn hier?« fragte John. »Nun, das sind doch unsere Druckmaschinen«, sagte Dugan. »Wenn jemand sie in Betrieb nimmt, dann wir. Wir wollen jetzt rein.« Dugan machte John weis, die Gewerkschaft könne den Gedanken einfach nicht ertragen, daß Fremde sich an »ihren« Maschinen zu schaffen machten. Darum wollten die Drucker zurückkehren und sie in Betrieb nehmen. John glaubte Dugan und ließ die Drucker ins Haus. Sie stürmten die Druckerei, schrien herum und beschimpften die Streikbrecher.
Die Manager und Anzeigenakquisiteure an den Druckmaschinen suchten natürlich verschreckt das Weite, als die vierschrötigen Drucker auf sie losgingen. Doch dann ließen sich die Drucker lediglich an den Maschinen nieder - und keinen anderen mehr heran. Sie beschädigten einen Teil der Walzen und rissen alle Netze heraus. Damit war die ganze Arbeit dieses Abends zunichte gemacht. Traurig sagte John zu Dugan: »Sie haben mir doch gesagt, daß Sie die Maschinen bedienen wollen.« »Na und«, erwiderte Dugan einfach, »dann habe ich eben gelogen.« Nun hatten sie uns in ihrer Gewalt. All unsere Anstrengungen waren vergebens gewesen. Wir mußten praktisch klein beigeben und konnten nur mit größer Mühe unser Gesicht wahren. Wir stimmten der Wiedereinstellung Padillas zu; er sollte lediglich eine schriftliche Abmahnung für seine Personalakte erhalten. Earnie Smith, unser hartgesottener, loyaler Vorarbeiter in der Setzerei, brach in Tränen aus, als ihm mitgeteilt wurde, daß er Padilla wieder beschäftigen müsse. Im Gegenzug lieferten uns die Drucker wenigstens rund hunderttausend Stück von der Zeitung, welche die gewerkschaftlich nicht organisierten Mitarbeiter erstellt hatten - allerdings erst, nachdem die Klischeearbeiter den ersten Absatz eines Artikels weggekratzt hatten, in dem unsere Leistung und unsere Vorgehensweise beschrieben wurden. Wir hatten einen schweren Fehler gemacht, als wir die Drucker an die Druckmaschinen gelassen hatten, aber zu unserem Erstaunen hatten sie eine Zeitung gedruckt, die ausschließlich von Nichtmitgliedern der Gewerkschaft und im Fotosatzverfahren hergestellt worden war. Der wilde Streik hatte beiden Seiten eine Lektion erteilt, den Gewerkschaften, aber auch dem Management. Müde und deprimiert schlich ich an jenem Morgen um sechs Uhr früh nach Hause. Da erst fiel mir wieder ein, daß ich für den Abend vierzig Gäste zu Ehren der Buffetts zu mir zum Dinner eingeladen hatte. Weil ich mir die ganze Nacht um die Ohren geschlagen hatte, dachte ich einen Augenblick daran, das Ganze abzusagen, aber dann erschien es mir doch einfacher, alles wie geplant laufen zu lassen - auch Warrens Lunch bei der Post am folgenden Tag. Dabei sollte er mit den entscheidenden Leuten aus Redaktion und Management zusammentreffen. Als mich Howard Simons bei diesem Lunch mit einer Frage liebenswert, aber mutwillig in die Bredouille gebracht hatte, stand mir Warren erstmals bei.
Es ging um die Frage, wie sich die Gutwilligkeit der Mitarbeiter wirtschaftlich auszahle, und Howard wollte von mir wissen, wie das denn funktionieren solle. Einen Augenblick lang herrschte erwartungsvolle Stille. Laut Warren machte ich ein Gesicht, als hätte mich jemand gebeten, mal eben Einsteins Relativitätstheorie zu erklären. »Und das war meine Chance, zum Helden zu werden«, sagte er. »Ich sprang ein und erläuterte ziemlich knapp, wie das funktioniert.« Danach sah ich Howard nur noch kurz an und bestätigte: »Ja, genauso war's gemeint.« In dieser Situation merkte ich erstmals, wieviel mir Warren noch bedeuten sollte. Nach dem Lunch unterhielten wir uns eine weitere Stunde lang unter vier Augen. Weil er gespürt hatte, daß mich sein ständiger Zukauf von Aktien beunruhigte, bot mir Warren von sich aus an, erst einmal aufzuhören. Er »beiße« unsere Firma zwar nur mit »Babyzähnen«, aber wenn diese mir als »wölfische Reißzähne« erschienen, werde er sie »herausziehen«. Zunächst wußte ich gar nicht, wie ich reagieren sollte, nahm aber dann sein Angebot dankend an. Warren wollte auf keinen Fall als Bedrohung wirken. Vielmehr rechnete er insgeheim mit seiner Berufung in den Aufsichtsrat.
Trotz unserer Niederlage bei dem wilden Streik, die mich stark beunruhigte, waren die Resultate nicht nur negativ. Wir hatten endlich begonnen, das ewige Problem der Bummelstreiks in Angriff zu nehmen, und unsere Zuversicht war gewachsen, daß wir notfalls auch ohne die Gewerkschaften eine Zeitung zustande bringen würden. Wir wußten und sie wußten -, daß wir die erforderlichen Satz- und Druckarbeiten in eigener Regie bewältigen konnten. Ferner berichteten wir eingehend über das Geschehene und legten damit unseren Lesern und den Gewerkschaften gegenüber eine neue Offenheit an den Tag. Letztlich aber blieb das Ganze doch eine empfindliche Niederlage. Indem sie die Wiedereinstellung Padillas erzwungen und uns daran gehindert hatten, die Druckmaschinen zu bedienen, war den Gewerkschaften ein deutlicher Sieg gelungen. Für die Zukunft sollte sich noch als folgenreich erweisen, daß Dugan sich nicht ganz ohne Grund als den Helden des Stücks sah. Er hatte die Überzeugung gewonnen, daß seine Macht sehr groß sei, daß er die Fäden nach Belieben ziehen könne und wir schon nachgeben würden, wenn man uns nur hart genug zusetzte - fürwahr eine gefährliche Lektion. Immer wieder ließ Dugan die Muskeln spielen
und testete insbesondere, wie weit er bei mir gehen konnte. Einen Artikel, den wir später über die Gewerkschaften brachten, hielt er für nicht akzeptabel. Er rief mich an, um mir mitzuteilen, daß seine Leute so etwas nicht drucken würden. Ich entgegnete Jim Dugan kühl, bei der Zeitung gebe es nur einen Herausgeber und der heiße Ben Bradlee. Er solle gefälligst drucken, was Ben redaktionell abgesegnet habe. Damit war die Grenze des Zumutbaren endgültig erreicht. Nach der Auseinandersetzung mit den Setzern und der damit verbundenen Polemik in der Öffentlichkeit (ich sei herzlos, vernünftigen Argumenten nicht zugänglich und nur auf Steigerung des Unternehmensgewinns aus) sah ich mich monatelang von ärgerlichen Anzeigenkunden und Querulanten aus dem Gewerkschaftsmilieu unter Druck gesetzt.
Als wir den Jahresbericht 1973 der Washington Post Company veröffentlichten, versandte ich auch einen Brief an alle Mitarbeiter der Post, in dem ich schrieb, 1974 müsse zu einem für das weitere Schicksal der Firma entscheidenden Wendejahr werden. Wir müßten »den Trend umkehren und unsere Gewinne in Zukunft wieder vergrößern«. Einige Mitarbeiter schrieben mir daraufhin, sie hätten meinen Brief als anstößig empfunden. In einer Rede vor Börsenanalysten nannte ich die Rückkehr zu einer Gewinnmarge von rund 15 Prozent als unser Unternehmensziel für die Zeitung - kein übermäßig ehrgeiziges Ziel, zumal andere Firmen routinemäßig 20 oder mehr Prozent Gewinn machten. Doch die Gewerkschaften bezeichneten diese Vorgabe als reine Geldgier, und die Leute in der Lokalredaktion, von denen die meisten damals von Wirtschaft und Renditen so gut wie nichts verstanden, hängten dort Karikaturen aus, auf denen ich als Göttin Justitia abgebildet war, deren Waage sich weit zur einen Seite neigte: Die Waagschale war mit Gold gefüllt. Die Setzer fuhren derweil mit ihren Bummelstreiks fort und lehnten Ende März 1974 mit 740 zu 18 Stimmen unser tarifvertragliches Angebot ab: garantierte Lebenszeitstellungen als Gegenleistung für die Freiheit, Setzerei und Druckerei zu automatisieren.
Auch bei der Newspaper Guild kochten die Emotionen im Zeichen schwebender Tarifverhandlungen allmählich wieder hoch. Wir hatten bereits einige verheerende Verhandlungsrunden hinter uns, wobei manche Konfliktpunkte mit den eigentlichen Tarifverträgen fast nichts zu tun hatten, sondern eher mit Beschwerden von Minderheiten und Frauen in der Belegschaft sowie mit dem Konkurrenzkampf unter den jungen Reportern um die Aufmerksamkeit der zuständigen Redakteure und den Abdruck ihrer Beiträge. Mit entsprechend gemischten Gefühlen sahen nach solchen Vorzeichen beide Seiten dem Auslaufen der alten Tarifverträge Anfang April entgegen. Brian Flores war über Larry Wallaces feste, aber geduldige Verhandlungsführung besonders erbost; so etwas hatte er zuvor noch nie erlebt. Im Grunde hatte Larry immer aufs neue wiederholt: »Wir bieten eine Pauschalsumme von 35 Dollar pro Woche als Gehaltserhöhung an, und es ist dann eure Sache zu entscheiden, ob diese Summe als Lohnerhöhung oder als Erhöhung von Zuschlägen und Sondervergünstigungen deklariert werden soll.« Doch Flores hatte nur erwidert: »Wir lassen uns überhaupt nicht auf irgendwelche Paketlösungen ein.« Nachdem wir unser letztes Angebot vorgelegt hatten, das angesichts damals herrschender Lohn- und Preiskontrollen und einer hohen Inflationsrate durchaus großzügig und fair war, leitete die Verhandlungskommission der Guild dieses Angebot (das ausdrücklich einen Inflationsausgleich vorsah) überhaupt nicht an die Mitglieder weiter. Flores hatte sich schon vorher einen pauschalen Streikbeschluß besorgt und rief nun einfach zum Streik auf. Ich hielt mich gerade zu einem Vortrag in Detroit auf, als die Guild zuschlug, und kehrte noch am selben Abend nach Washington zurück. Wir beschlossen, auch in diesem Fall die Zeitung weiter erscheinen zu lassen; nur mußten Manager und gewerkschaftlich nicht gebundene Leute diesmal eben schreiben und redigieren. Die gewerkschaftlich organisierten Mitarbeiter in der Produktion taten ihre Pflicht - wenn auch zögerlich und im Fall der Setzer, deren Tarifverhandlungen ebenfalls noch liefen, mit noch schlechterer Arbeitsmoral als sonst.
Für die Dauer des Streiks füllten wir - zusammen mit den Redakteuren und leitenden Angestellten, die keinen gewerkschaftlichen Regelungen unterlagen - die Zeitung mit Agenturmeldungen und Fotos, und wir alle schrieben, soviel und worüber wir nur konnten. Darüber hinaus mußten wir auch in anderen Bereichen wie Anzeigenannahme und Vertriebsorganisation einspringen. Die Arbeit war für die Ersatzkräfte hart, intensiv und lang. Ich verbrachte einige Tage am Telefon, um Beschwerden in der Vertriebsabteilung entgegenzunehmen. Gemeinsam mit Ben, Howard, Meg, meiner langjährigen Assistentin Liz Hylton und einigen anderen lernte ich auch, Kleinanzeigen anzunehmen, und verbrachte mit dieser Tätigkeit viele Stunden. Dieses »Praktikum« sollte sich im folgenden Jahr als sehr nützlich erweisen. Wir waren verblüfft, wie hart diese pausenlose Arbeit doch war. Kaum hatte man eine Anzeige entgegengenommen und den Hörer aufgelegt, war schon der nächste Anrufer in der Leitung. Damals mußte man noch komplizierte Anzeigenformulare mit elektrischen Schreibmaschinen ausfüllen, und weil ich nicht so schnell tippen konnte, nahm ich die Anzeigen handschriftlich auf und gab sie dann an jemand anders zum Tippen weiter. Anrufer, die lange, komplizierte Anzeigentexte hatten, versuchte ich zu vermeiden - etwa Gebrauchtwagenhändler, die zahlreiche Autos anbieten wollten. Doch eines Tages gegen Ende des Streiks hatte ich einen Mercedes-Händler an der Strippe, dem ich, weil auch alle anderen zu tun hatten, nicht ausweichen konnte. Ich sagte ihm: »Sehen Sie, ich bin noch ganz neu hier, also bitte schön langsam.« Wir kämpften uns durch seine Liste mit sechs Autos, die er zum Verkauf anbot, und dann sagte er etwas mißtrauisch: »Ich glaube, es ist besser, Sie lesen mir alles noch einmal vor.« - »In Ordnung«, sagte ich und las alles schnell und richtig vor. »Gut«, erwiderte mein Gesprächspartner, »Sie klingen aber überqualifiziert. Sie könnten ja alles sein. Sie würden sogar als Katharine Graham durchgehen.« Eine Sekunde war ich verblüfft und sagte dann: »Ob Sie's glauben oder nicht, ich bin Katharine Graham.« Diesen Händler lernte ich bei späterer Gelegenheit auch persönlich kennen, und wir erinnerten uns lachend an diesen seltsamen Augenblick.
Auf jeden lichteren Moment während des Streiks folgte mindestens ein dunkler. In der Setzerei drückte sich die Aversion gegen die Redakteure sogar physisch aus. Zum Beispiel warfen die Männer direkt hinter den Redakteuren große Pfannen mit heißem Metall auf den Boden, so daß diese erschreckt das Weite suchten, oder warfen sich Bleiklumpen so zu, daß die Redakteure sie an den Kopf bekamen. Und die ganze Zeit blickten sie herausfordernd von ihrer Arbeit auf und setzten die Buchstaben aufreizend langsam in die Druckplatten ein, als wollten sie sagen: »Was wollt ihr denn eigentlich?« Der Gebrauch obszönster Gossensprache, um vor allem die Redakteurinnen zu verschrecken, war schon fast eine Selbstverständlichkeit. Aber zum Repertoire der Kampfmaßnahmen gehörten auch bewußte Textentstellungen wie »Washington Post Staff Rat« statt »... Staff Writer« (»Redaktionsratte« statt »Redaktionsmitglied«) in Verfasserangaben. Nach zwei Wochen Knochenarbeit waren wir alle total übermüdet. Ich glaube, damals gab es nur siebzehn gewerkschaftlich nicht organisierte Redaktionsmitglieder. Sie und einige wenige andere freie Mitarbeiter erstellten die Zeitung und mußten dabei rund achthundert Guild-Mitglieder ersetzen, die sich im Ausstand befanden, es aber zum Glück allmählich leid wurden, ohne Bezahlung zu Hause herumzusitzen. Die gewerkschaftlich organisierten Reporter hatten vorher viel davon geredet, daß sich die Zeitung den »Entzug« ihrer »hervorragenden Arbeit« gar nicht leisten könne. Zu ihrem Leidwesen aber - und zu meinem, weil mir redaktionelle Qualität wirklich sehr am Herzen lag - wurde ihre »hervorragende Arbeit« fast gar nicht vermißt. Während des Streiks sagte eine Mehrheit der Post-Leser laut einer Umfrage des Star, die Zeitung habe sich überhaupt nicht verändert. Und von denen, die eine Veränderung feststellten, meinte die Mehrheit sogar, die Post sei besser geworden! Trotz minderwertigerer Artikel und vieler unveränderter Agenturmeldungen, die wir mangels Alternativen ins Blatt setzten, bekamen viele Leute überhaupt nicht mit, daß bei der Zeitung gestreikt wurde - ein böses Erwachen für die Newspaper Guild und für uns! Die Guild hatte wirklich geglaubt, daß wir die Zeitung nicht ohne sie herausbringen könnten, doch wir bewiesen ihnen das Gegenteil. Jeden Tag brachte die Redaktion eine anständige Zeitungsausgabe zusammen, auch wenn dieses Blatt jenen höchsten Ansprüchen, von denen die Guild immer sprach, natürlich nicht genügen konnte.
Propagandaaktionen seitens der Gewerkschaften begegneten wir damit, daß wir unser letztes konkretes Lohnangebot allen Gewerkschaftsmitgliedern direkt ins Haus schickten, damit sie es wenigstens kennenlernten. Nach der Lektüre waren die meisten ernsthaft wütend auf Flores, der behauptet hatte, unser Angebot sehe keinen Inflationsausgleich vor. Die Gespräche wurden umgehend wieder aufgenommen, und am 24. April akzeptierte die Guild nach einem nervenaufreibenden nächtlichen Verhandlungsmarathon mit 347 zu 229 Stimmen einen neuen Tarifvertrag, der sich von unserem ursprünglichen Angebot nur unwesentlich unterschied. Am folgenden Tag sollte die Arbeit wieder aufgenommen werden.
Das Streikende war für uns eine echte Befriedigung, doch unsere Freude währte nicht lange. Denn genau zu diesem Zeitpunkt tauchte Joe Allbritton in der Hauptstadt auf, um den Star zu kaufen. Das machte mir wirklich angst. Seit einigen Jahren schon war es beim Star bergab gegangen. Im Januar 1970 war unter der Überschrift »The Evening Star: In Ehren ergraute Dame nur noch Nummer zwei, aber keine verstärkten Anstrengungen« in der Zeitschrift Washingtonian ein längerer Artikel erschienen. Und nun kam im April 1974 Allbritton, der reiche Texaner, damals wie heute als brillanter Wirtschaftsstratege bekannt, und kaufte die Zeitung von Jack Kauffmann und den drei Eigentümerfamilien. Jack verkaufte ihm außerdem eine Fernsehstation in Washington und zwei weitere Stationen in Charleston und Lynchburg. Die Zeitung machte Verluste, aber die Sender waren äußerst wertvoll. Der deutlich angeschlagenen Washington Star Company, unserem Hauptkonkurrenten, verpaßte Joe nun eine kräftige Vitalitätsspritze - ganz zu schweigen von der ebenso bedeutsamen Kapitalinfusion und von den neuen Ressourcen, die Allbrittons enormer Reichtum mit sich brachte. Joe war außerdem intelligent und sehr charmant, in allerbester Südstaatenmanier stattete er uns bei der Post sogleich einen Antrittsbesuch ab. Die neubelebte Konkurrenzsituation machte mir natürlich Sorgen, doch zugleich hielt ich frischen Wind für gesund. Joe war ein respektabler Rivale, den man ernst nehmen mußte, aber ich bemühte mich auch erfolgreich um freundschaftliche Beziehungen. »Joe ist das Beste, was passieren konnte«, schrieb ich einem Freund. »Ich weiß, daß er fähig, voll bei der Sache und anständig ist - und daß wir in Zukunft wesentlich mehr Konkurrenz zu spüren bekommen werden als bisher.«
Und so geschah es dann auch, wenigstens eine Zeitlang. Das machte mich so nervös, daß ich Warren in einigen Vorstadtstraßen Verkaufsboxen des Star zeigte, deren Anzahl in meinen Augen diejenige der Post weit übertraf. Doch Warren machte sich - wie so oft - über meine hysterischen Ängste lustig: Warum sollten wir denn auch den vom Audit Bureau of Circulation amtlich ermittelten Auflagenzahlen glauben, nach denen die Post vorn lag, wenn man sich jederzeit so schön darüber aufregen konnte, daß auf den Straßen Verkaufsboxen des Star zu sehen waren? Zu meinem Glück war Warren jetzt häufiger vor Ort anwesend. Und diese Anwesenheit bedeutete für mich absolut keine Bedrohung, denn Warren erwies sich als guter Freund und wertvoller Ratgeber. Bei vielen Dingen, die mich ängstigten, stärkte er mir den Rücken, und er verschaffte mir vor allem ein erweitertes Blickfeld. Schon im Frühjahr 1974 schickte er mir laufend hilfreiche Memos und Ratschläge, und gelegentlich machte er mich auf Probleme aufmerksam, die mir noch gar nicht aufgefallen waren. Anfangs war mir gar nicht klar, wie glücklich ich mich mit einem solchen Mentor schätzen durfte, doch dann wurde ich von seinem Rat regelrecht abhängig. Er machte sich nämlich daran, mir das beizubringen, was ich mir schon so lange gewünscht hatte: die Grundlagen wirtschaftlichen Denkens. Er war stets geduldig, auch wenn ich ihn im Lauf der Zeit manchmal zwei- bis dreimal täglich anrief. Egal ob es um Entscheidungen von großer Tragweite ging oder um kleinste Alltagsdetails aus meinem Leben, er war immer freundlich, verständig, humorvoll und hilfreich. Weil Warren und ich immer mehr Zeit miteinander verbrachten, wurde natürlich auch über die Art unserer Beziehung gemunkelt. Ende Juni 1974 verband ich die Teilnahme an einer Tagung in Los Angeles mit einem Besuch bei Warren und Susie in deren Ferienhaus in Laguna Beach. Es waren zwei intensive, glückliche Tage, die wir miteinander verbrachten. Wir sprachen über vieles, auch über einen Sitz im Aufsichtsrat der Washington Post Company für Warren. Daß er im stillen auf diese Berufung schon gewartet hatte, mußte mir in meiner Naivität erst von dritter Seite klargemacht werden, so wenig verstand ich damals noch von den Aufgaben einer Vorstandsvorsitzenden. Erst im Gespräch mit Warren wurde mir aber auch klar, daß ich vor diesem überfälligen Schritt wohl ein wenig Angst gehabt hatte. Doch nun sollte er bei der nächsten Aufsichtsratssitzung endlich vollzogen werden.
Am 11. September 1974 wurden Warren Buffett und Don Graham in den Aufsichtsrat der Washington Post Company berufen, und in den folgenden Jahren, in denen ich auf Hilfe dringend angewiesen war, sollte mir niemand eine größere Stütze sein als diese beiden Männer aus unterschiedlichen Generationen. Bei den meisten Dingen, die die geschäftliche Seite der Firma betrafen, fühlte ich mich immer noch sehr unwohl, schwach und verletzlich. Hier setzte Warren bei seiner Arbeit an, denn jetzt begann für mich die dringend benötigte Ausbildung in den Grundlagen der Ökonomie. Welches Glück ich doch hatte, dieses wirtschaftswissenschaftliche Grundstudium bei Warren Buffett absolvieren zu dürfen! Was hätten viele andere für diese Chance gegeben! Aber es war auch harte Arbeit - für uns beide. Warren merkte sofort, daß ich mich auf diesem Gebiet unwohl fühlte, weil ich die Fachsprache nicht beherrschte. Darum bemühte er sich stets, die Dinge so einfach und allgemeinverständlich wie möglich zu erklären. Aber ich sollte auch nichts einfach glauben, nur weil er es gesagt hatte. Gemeinsam studierten wir alte und neue Jahresberichte von Firmen. Das sorgte für praxisnahen Lehrstoff, und Warren verfügte über eine riesige Sammlung solcher Dokumente. Er war ein großartiger Lehrer, und seine Lektionen blieben wirklich hängen. Zwar lernte ich nicht so viel, wie ich mir gewünscht hätte, aber angesichts meiner großen Wissensdefizite war es trotzdem sehr viel. Unter anderem brachte mir Warren die Maxime nahe, daß es besser sei, schlechter Manager in einer guten Firma zu sein als umgekehrt. Die unausgesprochene Fortsetzung des Spruches lautete, daß es am besten sei, guter Manager in einer guten Firma zu sein. Ich verstand die Anspielung auch so. Daß Warren mich nun unter seine Fittiche genommen hatte, war für die Spitzenmanager der Washington Post Company nicht einfach zu verkraften. Sie hatten genug eigene Probleme, und der neue Mitstreiter schüchterte sie sicher auch ein wenig ein. Während ich in Warren wohl einen Pygmalion sah, der meine unterentwickelten Fähigkeiten formte, betrachteten ihn andere eher als Rasputin-Figur, die mich zu manipulieren suchte.
Vielleicht wollte mich dieser Rasputin ja auch benutzen, um letztlich selbst die Firma zu leiten. Schließlich war die Einstellung zu Warren auch nicht frei von Sexismus: Männliche Konzernchefs durften Warren gern um seinen Rat fragen, ohne daß jemand Böses witterte, aber wenn ich das gleiche tat, wurde es sogleich als Bedrohung angesehen. Ich war immer von der Idee besessen gewesen, man solle alles klar und deutlich sagen, aber ich merkte schon bald, daß die Worte »Warren meint« reines Gift waren. Andererseits wußte ich, daß ohnehin jedem klar war, daß immer dann, wenn ich von Themen sprach, die mit Finanzen und der Börse zu tun hatten, Gespräche mit Warren vorausgegangen waren. Je länger Warren jedoch im Aufsichtsrat saß, desto sympathischer fanden ihn alle und desto mehr wurde er akzeptiert. Andere Aufsichtsratsmitglieder suchten nun ebenfalls seinen Rat, und einige schlossen sogar Freundschaft mit ihm. Für mich war Warren vor allem ein Mann, der das Geschäftsleben liebte, besonders das Zeitungsgeschäft. Er war ein Freund, der nicht viel Wirbel machte und mit seiner Art genau das war, was ich brauchte: Ich lernte viel, aber es machte auch viel Spaß - Lernen und Lachen, meine Lieblingskombination. Warrens Familie hat sich immer über den Gegensatz zwischen uns beiden amüsiert: Wir hatten uns unter vollkommen unterschiedlichen Bedingungen entwickelt, und doch hatten und haben wir soviel Gemeinsames. Auf mancherlei Weise haben wir uns gegenseitig stark beeinflußt. Allerdings war Warrens Einfluß auf mein Leben für alles noch Folgende von zentraler Bedeutung, während mein Einfluß sich auf Randgebiete beschränkte. Schon bald nach meinem Besuch bei Warren im Sommer 1974 schrieb ich seinem Partner Charlie Munger:
Wer wird in dieser neuen Verbindung wen beeinflussen? Warren hat vielleicht in Kalifornien zum ersten Mal im Meer gebadet, aber ich sitze dafür hier in Virginia mit Ben Grahams Wirtschaftslehrbuch für Anfänger und mit »Wie man einen Finanzbericht liest« von Merrill, Lynch, Pierce, Fenner und Smith. Außerdem höre ich gerade, daß ich Ben Graham ziemlich bald durchhaben muß, weil Warren die Gebühren für die Überschreitung der Leihfrist in der Stadtbibliothek von Omaha nicht berappen will.
Ich glaube, mein Einfluß auf Warren hat sich im wesentlichen auf seinen Lebensstil beschränkt. Zum Beispiel halte ich mir zugute, daß seine verbesserten Eßgewohnheiten etwas mit mir zu tun haben, auch sein gewandeltes Äußeres. Ehe wir uns kannten, war »Junk food« zum Frühstück - Erdnüsse, Eis oder Schinkensandwiches - seine Norm gewesen; auch sonst hatte es außer Hamburgers und Steaks fast nichts gegeben, was ihm zusagte. Die Dinners in meinem Haus verhalfen ihm dann zu einer Erweiterung seines kulinarischen Spektrums. Warren sagte später: »Am Eßtisch bist du mit mir so verfahren wie ich mit dir bei den Finanzbüchern.« Wir erinnern uns beide mit großer Freude an ein Dinner, bei dem wir tapfer mit einem Hummer kämpften. So etwas hatte er noch nie zuvor auf dem Tisch gesehen, und er stellte sich auch nicht mehr ganz so ungeschickt an, als ich taktvoll vorschlug, das Ding doch einfach einmal umzudrehen und es an der richtigen Seite zu versuchen. Ich brachte ihn auch auf den Gedanken, daß es für ihn nicht unbedingt das beste sei, wenn er nur von Fast food und Coke lebe. Ferner machte ich ihm klar, daß man außer weißen Hemden auch noch etwas anderes tragen könnte. Vielleicht habe ich sogar seine Knauserigkeit ein wenig positiv beeinflussen können. Als wir einmal zusammen auf einem Flughafen waren, bat ich ihn um ein Zehncentstück zum Telefonieren. Da er nur eine Vierteldollarmünze hatte, wollte er sich gerade auf einen weiten Weg zum Wechseln machen, als ich rief: »Warren, mit dem Quarter geht's doch auch!« Verlegen lächelnd gab er mir die Münze. Ich machte Warren mit vielen verschiedenen Leuten im Journalismus und in der Regierung bekannt.
In den ersten Jahren unserer Bekanntschaft war ich sogar davon überzeugt, daß Warrens Begabungen und Fähigkeiten so außerordentlich waren, daß ihm - wie schon meinem Vater und meinem Mann - nach einer gewissen Zeit das Geldverdienen allein keine Befriedigung mehr verschaffen würde. Auch er würde sich dann vielleicht im Dienst an der Öffentlichkeit und in der großen weiten Welt engagieren wollen. Doch das sah ich falsch. Warrens ganze Liebe gilt der Wirtschaft und dem Geschäftsleben: Er will nur über Dinge aus der Wirtschaft nachdenken, lesen und sprechen. Themen aus der öffentlichen Diskussion interessieren ihn natürlich auch, und er kennt sich dort ebenfalls aus, aber in der Regierung kann ich mir Warren nicht vorstellen. Er ist nur glücklich, wenn er sich frei bewegen kann, wenn er sein eigenes Leben vollständig kontrollieren kann und nicht zu Sitzungen oder Dinnerpartys gehen muß, zu denen er überhaupt nicht gehen will. Er hat einfach kein Interesse daran, mit Leuten zusammenzukommen, die ihn nicht interessieren oder Dinge treiben, die ihm keinen Spaß machen. Mit am wichtigsten für mich war, daß Warren mir Sicherheit gab. So wie Ben mir in redaktionellen Dingen stets den Rücken gestärkt und mich beruhigt hatte, übernahm jetzt Warren diesen Part in geschäftlichen Belangen. Gerade im Kommunikationsgeschäft kennt sich Warren in einer Weise aus, die mir damals abging und die mir selbst heute noch manchmal fehlt. Er hat mich nie durch falschen Optimismus beruhigt, sondern durch eine realistische Analyse der bei mir mit Ängsten besetzten Probleme.
Er wurde so etwas wie mein persönlicher Psychiater im geschäftlichen Bereich und hörte mir immer geduldig zu. Im Gespräch mit ihm konnte ich meine Gedanken klären. Und diese Klärung war wiederum meinem Selbstbewußtsein sehr förderlich. Ungefähr zu der Zeit, als Warren seinen Aufsichtsratssitz einnahm, kochten diverse Dinge bei der Washington Post Company wieder hoch, speziell in den Auseinandersetzungen mit den Gewerkschaften. Schon im Frühjahr hatten wir ein Desaster erlebt, als sich die Leute vom Star entschlossen hatten, mit ihren Setzern getrennte Tarifverhandlungen zu führen, und mit der International Typographical Union (ITU) schnell handelseinig wurden. Dieser ernsthafte Bruch mit der früheren Praxis, nur gemeinsam zu verhandeln, beunruhigte mich sehr. Der anschließende Sommer war genauso schlecht verlaufen wie das Frühjahr: Probleme mit unseren Setzern und Druckern sowie die üblichen Bummelaktionen und Arbeitsunterbrechungen. Angesichts unverschämter Forderungen waren die Verhandlungen mit den Setzern unterbrochen worden. Sie hatten unter anderem verlangt, mein Geburtstag müsse ein bezahlter Feiertag werden. Da wir solche Vorschläge gar nicht erst auf dem Verhandlungstisch sehen wollten, wurde uns vorgeworfen, wir seien nicht wirklich verhandlungsbereit.
Nach vierzehnmonatigen, mehrfach unterbrochenen Verhandlungen unterzeichneten die Setzer und die Post am 22. September 1974 einen neuen Tarifvertrag mit einer Laufzeit von sechs Jahren. Damit war endlich der Wendepunkt erreicht, denn für die Setzerei wurde eine schrittweise Automatisierung vereinbart. Dafür erhielten siebenhundert Setzer der Post Lebenszeitstellungen und wir das Recht zugesprochen, die natürliche Fluktuation sowie Abfindungsangebote zu nutzen, um die Mitarbeiterzahl zu reduzieren. Was jedoch das Allerwichtigste war: Mit diesem Vertrag hörte endlich die alte »Reproduce«-Praxis auf. Infolge dieser unsinnigen Regelung hatten sich die Satzkosten pro Seite inzwischen auf stolze 84 Dollar erhöht. Um den »Arbeitsrückstand« ein für allemal loszuwerden, zahlten wir den Gewerkschaftsmitgliedern schließlich eine Abfindung in Höhe von rund 2,5 Millionen Dollar. Dieser Vertrag, ein Meilenstein auf unserem Weg, bedeutete einen Riesenschritt nach vorn. Und für dieses jahrelang angestrebte Ergebnis der Verhandlungen mit der ITU verdient John Prescott alle Hochachtung und großen Respekt. Gleichwohl war es ein teures Abkommen, denn wir hatten Hunderte von eigentlich überflüssigen Arbeitsplätzen zu garantieren. Diese - für beide Seiten faire - Lösung hatten zuvor schon die New Yorker Blätter erreicht. Für uns war es von größter Bedeutung, daß wir endlich unser gravierendstes Dauerproblem los wurden: die ständige Konfrontation mit den Setzern, ihre Feindseligkeit und ihre Bummelstreiks. Damit konnten wir endlich auch die Unzufriedenheit in den Bereichen Auslieferung und Zustellung der Zeitungen beseitigen. Die meisten unserer Zwischenhändler schätzten unser Auslieferungssystem, in dem sie selbständig bleiben und auf eigene Rechnung arbeiten konnten, durchaus. Sie kamen dabei auf ihre Kosten und hatten gute Anreize für ihre Arbeit, solange nicht ständig Leerlauf entstand, weil sie infolge der Bummelstreiks stundenlang auf die Zeitungen warten mußten. Nun ergab sich allerdings ein neues Problem: Einige Auslieferer wollten für die Zeitungen, die sie uns abkauften, eigene Preise festsetzen. Dieser Gefahr begegneten wir, indem wir ein Abkommen aushandelten, das im Vertrieb aus selbständigen Händlern Teilnehmer eines Agentursystems machte. Fortan kauften uns die Agenten die Zeitungen nicht mehr ab, sondern wurden für den Vertrieb der Zeitungen bezahlt, die unser Eigentum blieben. Weil die Anreize auch im neuen System, das sich als fair und profitabel erwies, erhalten blieben, gewann es schnell an Akzeptanz. Ja, die neue Organisationsform diente nun anderen Blättern als Vorbild.
Angesichts solcher Erfolge könnte man meinen, daß John Prescott sich als großer Gewinn für die Washington Post Company erwiesen hätte. Doch dem war nicht so, seine Erfolgsbilanz war durchaus gemischt. Meiner Meinung nach reichten die erzielten Fortschritte noch nicht aus, hätte man den Gewerkschaften noch entschlossener entgegentreten müssen. Und so kam ich, wenn auch zögerlich, gemeinsam mit Larry Israel, der nach Fritz' Tod Präsident (Aufsichtsratsvorsitzender) der Washington Post Company geworden war, zu dem Schluß, an der Spitze des Post-Managements werde letztlich doch eine stärkere Persönlichkeit benötigt. Nachdem wir 1974 die 'Frenton Times gekauft hatten und der Kauf weiterer Blätter geplant war, wurde John Prescott zum Chef einer im Konzern neu eingerichteten Zeitungsabteilung »befördert«. Zu seinem Zuständigkeitsbereich gehörten jetzt auch unser Anteil an der International Herald Tribune, unsere Zeitungspapierfabrik Bowater Mersey, unser gemeinsamer Nachrichtendienst mit der Los Angeles Times und unsere Lagerhaltung an Zeitungspapier. Aus New York holten wir Mark Meagher nach Washington, der seit Mitte 1970 von New York aus als Vizepräsident der Washington Post Company für den Bereich Finanzen und Verwaltung tätig gewesen war. Mark wurde jetzt Executive Vice-President der Firma und Generalmanager der Post. Mir als Verlegerin war er direkt unterstellt. Doch unser Timing hätte ungünstiger nicht sein können, denn diese Entscheidung wurde genau an dem Tag publik, an dem wir den neuen Vertrag mit der Gewerkschaft der Setzer ratifizieren sollten. Dadurch geriet ich wieder einmal unter massiven Beschuß.
Doch die Entscheidung, Prescott zu versetzen, war - wie alle wichtigen Beschlüsse - in Übereinstimmung mit denen getroffen worden, deren Urteil ich wirklich traute. Darum war ich von ihrer Richtigkeit auch fest überzeugt. Somit übernahm nun Mark Meagher das Kommando im geschäftlichen Bereich der Post. Überall begegnete er Ressentiments und einer schlechten Moral, vor allem - wegen häufigen Personalwechsels - im mittleren Management. Die Gewerkschaften hielten das Management insgesamt für inkompetent, allerdings für clever genug, von eigenem Versagen abzulenken und die Gewerkschaften zum Sündenbock für alle Probleme zu machen, die oft eigentlich Managerprobleme seien. Mark war im Zeitungsgeschäft noch ziemlich neu, aber er lernte schnell und schlug sich prächtig. Von Anfang an gelangen ihm deutliche Verbesserungen. Er kümmerte sich ernsthaft um die Belange der Belegschaft und der Gewerkschaften und vertraute auf Larry Wallace als erfahrenen Unterhändler, der das Ruder fest in der Hand hielt. Larry war in seinem Metier erstklassig, mußte aber trotzdem jahrelang unglaublich heftige Prügel einstecken, nur weil er seine Aufgaben kompetent und konsequent erledigte.
Auch Mark zeichnete sich im Umgang mit den Gewerkschaften aus, ebenso bei der Verwirklichung von Chancengleichheit: Er beförderte oder stellte gezielt Frauen und Angehörige von Minderheiten ein. Die geschäftliche Seite des Unternehmens gewann durch ihn überall neuen Schwung. Allerdings bereiteten uns die Drucker weiter ernsthafte Probleme. Letztlich war es so weit gekommen, daß wir in unserer eigenen Druckerei nicht mehr Herr im Haus waren - nach langen Jahren ständigen Nachgebens gegenüber der Druckergewerkschaft und windelweicher Kompromisse, nur um auf keinen Fall einen Streik zu riskieren. Wir wußten, daß wir zunächst die Kontrolle zurückgewinnen mußten, um wirkliche Fortschritte erzielen zu können. Und dafür war es unverzichtbar, einige der exzessiven Bestimmungen aus den Verträgen zu tilgen und generell den »Wildwuchs« zurückzuschneiden. Denn diese Klauseln reduzierten unsere Produktivität, banden uns die Hände und hinderten uns daran, die Zukunft der Zeitung sinnvoll zu planen. Sie gefährdeten sogar die wirtschaftliche Gesundheit der gesamten Post. Entsprechend informierten wir Anfang 1975 die örtliche Vertretung der Druckergewerkschaft, daß wir bei den anstehenden Tarifverhandlungen auf einer Revision der fraglichen Praktiken bestehen würden. Im Laufe des Jahres 1975 intensivierten wir die Ausbildung der Manager in allen Techniken, die im Notfall benötigt wurden, sollten wir durch Streiks der an der Zeitungsherstellung beteiligten Gewerkschaften gezwungen sein, das Blatt in Eigenregie zu produzieren. Viele, die ursprünglich zur Ausbildung in Oklahoma gewesen waren, hatten die Sache nicht sonderlich ernst genommen. Darum schickten wir jetzt mehrere Leute zur Auffrischung ihrer Kenntnisse zum Miami Herald. Am 17. September suchten Mark und ich Joe Allbritton auf, der inzwischen mit der Situation beim Star bestens vertraut war. Wir hofften, er werde verstehen, wie wichtig es war, daß wir bei den Verhandlungen mit den Druckern zusammenhielten.
Ich sagte Joe, es würde langfristig zweifellos auch Auswirkungen auf den Star haben, wenn wir jetzt mit den Druckern getrennte Verträge schließen müßten. Doch Joe gab uns, kaum überraschend, einen Korb. Er könne es sich einfach nicht leisten, noch 50 Cent pro Stunde draufzulegen. Da der Star damals jeden Monat Millionenverluste einfuhr, stimmte das wahrscheinlich sogar. Trotzdem kam es mir recht kurzsichtig vor. Ich überlegte nun, ob wir uns einen Streik leisten konnten, während die andere Zeitung weiter erschien, und kam zu dem Schluß, daß wir dabei nicht »gewinnen« könnten - vor allem, weil das noch niemand je geschafft hatte. Wenn das Konkurrenzblatt erschien, blieb den Inserenten ja ein Mittel, die Leute zu erreichen, während die bestreikte Zeitung ausblutete - es sei denn, man fände Wege, sie weiterhin erscheinen zu lassen. Mein Fazit lautete, daß wir im Streikfall mit solch immensen Nachteilen belastet wären, daß wir das derzeit einfach nicht riskieren könnten, ohne die Existenz der Zeitung zu gefährden. Mit Sicherheit war dies kein guter Zeitpunkt für einen Streik. Der Star machte Boden gut. Allbritton begriff schnell. Und ein Streik bei der Post war, wie mir Warren Buffett klarmachte, wirklich Allbrittons einzige Hoffnung. »Wenn du den Star besitzen würdest, dann wäre dein Weg zum Erfolg doch der, die Post lahmlegen zu lassen. Ansonsten wärest du selbst der Verlierer ... Wenn Allbritton um irgend etwas beten würde, dann darum, daß du mit der Post eine ganze Zeitlang von der Bildfläche verschwinden mögest und die Leute während dieser Zeit andere Lesegewohnheiten entwickeln.«
In meinen Diskussionen mit Mark im Spätsommer und Frühherbst 1975 bat ich ihn, uns nicht in eine Situation zu bringen, in der wir einen Streik riskierten. Ich sagte ganz klar, daß es vielleicht besser wäre, den allen Vertrag noch ein Jahr zu verlängern oder gar einen neuen kurzfristigen abzuschließen, der unseren Vorstellungen nicht entsprach, als das Streikrisiko ganz allein zu tragen. Doch Mark wies darauf hin, daß wir ja in erster Linie nicht mit den Gewerkschaften über streikträchtige Themen verhandelten, sondern daß wir unsere Leute im mittleren Management gebeten hatten, ihre Aufgaben strikt wahrzunehmen. Deshalb müßten wir nun auch hinter ihnen stehen und Maßnahmen treffen, die ihnen ein solches Handeln ermöglichten. Wir vereinbarten also, daß wir mit den meisten Vertragsklauseln noch ein Weilchen länger leben konnten und uns auf die Neuregelung von ein oder zwei Punkten konzentrieren sollten. So könnten wir signalisieren, daß sich etwas verändere, aber nach Möglichkeit einen Streik vermeiden. Die Verträge mit den neun am Herstellungsprozeß beteiligten Gewerkschaften - darunter den Druckern, die sich inzwischen mit den Materngießern zusammengeschlossen hatten - liefen allesamt zum 1. Oktober 1975 aus. Wir sahen diesem Datum mit gemischten Gefühlen entgegen und rechneten mit schwierigen Zeiten und langen Verhandlungen. Was aber dann kam, traf uns unerwartet.