Pressestreik
Am frühen Morgen des 1. Oktober 1975 riß mich das Klingeln des Telefons neben meinem Bett aus dem Tiefschlaf. Benommen sah ich auf die Uhr und griff nach dem Hörer. Es war etwa Viertel vor fünf. Was konnte das nur bedeuten? Vor dem mitternächtlichen Auslaufen der Tarifverträge zwischen der Washington Post und ihren Gewerkschaften hatten wir alle Angst gehabt, und ich war deshalb extra früher von Sitzungen aus Florida nach Washington zurückgekommen. Nach meiner Rückkehr hatte ich Mark Meagher angerufen: Sollte ich zur Zeitung kommen? Nein, hatte der geantwortet, alles sei ruhig. Alle Manager seien anwesend - für den Fall, daß doch noch etwas passieren sollte. Es deute aber alles darauf hin, daß auch nach dem Stichtermin weiterverhandelt werde. Also war ich zu Bett gegangen - im Glauben, wenn Mitternacht problemlos vorübergegangen sei, würden beide Seiten auch am Verhandlungstisch weitermachen. Der Anruf, der mich weckte, kam von Mark: Die Drucker hatten uns eine Art Pearl Harbor[1] bereitet.
Sie hatten die Druckmaschinen über den Mitternachtstermin hinaus weiterlaufen lassen, um uns über ihre wahren Absichten zu täuschen, und dann ungefähr um vier Uhr morgens, kurz vor Schluß des Druckprozesses, alle zweiundsiebzig Druckstraßen auf den neun Druckmaschinen außer Betrieb gesetzt. Dabei hatten sie auf unterschiedliche Weise schweren Schaden angerichtet. Eine Druckmaschine hatten sie in Brand gesteckt und den Aufseher der Druckerei, Jim Hover, brutal zusammengeschlagen, als er aus seinem Büro kam, um nachzusehen, was den Lauf der Maschinen verlangsamt hatte. Die Drucker, in Lokal 6 der Newspaper and Graphic Communications Union organisiert, traten in den Ausstand, nahmen die anderen am Produktionsprozeß beteiligten Gewerkschaften mit sich und stellten Streikposten vor dem Gebäude auf. Zum Nachdenken blieb mir keine Zeit. Ich zog mich schnell an, sprang ins Auto, ohne meinen Fahrer, der in der Nähe wohnte, zu wecken, und fuhr selbst die ruhige, noch dunkle Massachusetts Avenue entlang zur 15th Street. Als ich um die Ecke zum Post-Gebäude bog, bot sich ein erschreckender Anblick: Die ganze Straße war in gleißendes Licht getaucht, und es herrschte hektische Betriebsamkeit. Feuerwehr, Polizei, Fernsehkameras und Hunderte von Streikposten sorgten für Getümmel rings um das Zeitungsgebäude. Ein Polizist stand mitten auf der Straße und sperrte den Verkehr. Ich fuhr heran, erklärte, wer ich sei, und sagte, daß ich zwar unbedingt ins Gebäude müsse, aber Angst hätte, allein auf den Parkplatz neben dem Gebäude zu fahren. »Lassen Sie das Auto einfach hier stehen«, sagte er. »Ich werde es persönlich beaufsichtigen.« Ich fuhr an den Rand, stieg aus und begann, mitten auf der Straße weiterzugehen, wo die Streikposten mich sehen konnten. Einen Augenblick lang machte ich mir Sorgen, sie könnten versuchen, mich am Betreten des Gebäudes zu hindern oder, schlimmer noch, mich verprügeln. Aber ich verließ mich einfach darauf, daß sie einer Frau schon nichts antun würden - später machten wir allerdings andere Erfahrungen. Ich zog jedenfalls meinen Kopf ein und wühlte mich durch die Kette der Streikposten, bis ich den Seiteneingang erreicht hatte. Drinnen stellte sich das Drama genau umgekehrt dar: ein ruhiges, leeres, dunkles Gebäude, in dem kein Mensch zu sehen war.
Fast alle Manager und sonstigen Verantwortlichen waren gegen zwei Uhr morgens nach Hause gefahren, nachdem alles ruhig schien und Larry Wallace berichtet hatte, die Verhandlungen würden weitergehen. Inzwischen hatte Mark das Management allerdings zurückgerufen, und sie tagten nun in der obersten Etage. Ich ging erst einmal nach unten, um die verlassene Druckerei zu inspizieren. Was ich sah, schockierte mich und machte mich traurig. Denn ohne jeden Zweifel hatte man hier gewaltsam gewütet. Überall roch es nach Rauch. Laut Bens Beschreibung hatte die Druckerei ausgesehen »wie der Maschinenraum in einem ausgebrannten Schiffsrumpf«. Ich kann mich nicht erinnern, im ganzen Gebäudetrakt auch nur einen einzigen Menschen gesehen zu haben, allenfalls ein oder zwei verbliebene Feuerwehrleute. Es war schon gespenstisch, wie ich so dastand und den Schaden betrachtete. Ich fuhr hinauf in den siebten Stock, wo ich Mark und die versammelten Spitzenmanager traf. Mark erläuterte uns, was geschehen war. Nach Ende der letzten Verhandlungssitzung gegen halb zehn Uhr am Vorabend hatte Jim Dugan Larry Wallace ein Schreiben ausgehändigt, in dem es hieß, seine Leute sähen den alten Vertrag zwar als ausgelaufen an, seien aber bereit, zu den alten Bedingungen weiterzuarbeiten, solange »sinnvoll weiterverhandelt« werde. Im Rahmen des Schlichtungsprogramms der Regierung waren weitere Verhandlungen bereits anberaumt, und Larry hatte mit mehreren Gewerkschaftsvertretern gesprochen und erreicht, daß die anderen Gewerkschaften bereit waren, auf eigene Verhandlungen mit der Washington Post Company - für die bereits Termine festgesetzt waren für einige Tage zu verzichten, solange die Verhandlungen mit den Druckern noch andauerten. Darum konnten sowohl Larry als auch Mark davon ausgehen, daß die Verhandlungen mit den Druckern wirklich weitergehen würden. Das erste Anzeichen dafür, daß dies eine trügerische Hoffnung bleiben sollte, war Jim Hover gewesen, der Aufseher der Druckerei, der mit einer stark blutenden Kopfwunde in Marks Büro wankte.
Unsere Versammlung kurz nach fünf Uhr morgens in Marks Büro markierte, wie sich erweisen sollte, den ersten Tag einer monatelangen hochdramatischen Auseinandersetzung einer Herausforderung, die uns alle Kräfte abverlangte. Ich wollte niemals einen Streik und hatte Mark und unseren Managern definitiv gesagt, sie sollten ihn, wenn irgend möglich, vermeiden.
Nachdem der Streik nun aber begonnen hatte, stimmte ich Mark zu, der ganz zu Beginn der Sitzung gesagt hatte: »Wir wollen nicht, daß dieser Streik auch nur eine Sekunde länger dauert als nötig.« Doch keine der Vorbereitungen, die wir für den Fall eines kurzen Streiks getroffen hatten, um das Weitererscheinen der Zeitung sicherzustellen - und ein Kurzstreik war wirklich das Äußerste gewesen, was wir befürchtet hatten-, hatte Probleme wie die jetzt entstandenen ins Kalkül einbezogen. Wir waren verblüfft, daß man uns die Druckmaschinen so übel zugerichtet hatte: Elektrische Leitungen waren herausgerissen, für den Betrieb unverzichtbare Teile entfernt worden; man hatte Öl abgelassen, um das Getriebe heißlaufen zu lassen, und Zeitungspapierrollen zerfetzt. Überdies hatten wir nicht erwartet, daß fast alle am Herstellungsprozeß beteiligten Gewerkschaften gemeinsam in den Streik treten würden. Unsere ahnungslosen Reporter kamen nun allmählich zur Arbeit, und wir führten sie durch die Druckerei, damit sie mit eigenen Augen sahen, welche Zerstörungen ihre Arbeitskollegen vorsätzlich angerichtet hatten. (Man hatte zum Beispiel auch die Feuerlöscher gebrauchsunfähig gemacht und dann Feuer gelegt.) Die meisten Mitglieder der Newspaper Guild waren genauso schockiert wie wir alle. Bei einer Sitzung am Nachmittag kritisierten sie ausdrücklich den Schaden und die Gewaltanwendung, während die Funktionäre der Guild unter Brian Flores' Führung zum Solidaritätsstreik für die Drucker aufriefen und bestritten, daß in der Druckerei ernsthafter Schaden entstanden sei. Die Mitglieder der Guild stimmten jedoch mit überwältigender Mehrheit dagegen. Die allermeisten von ihnen waren zwar innerlich hin und her gerissen, kamen aber weiterhin zur Arbeit, wofür wir sehr dankbar waren. Umgehend entbrannte auch eine Public-Relations-Schlacht.
Zum Glück hatten wir für den Konfliktfall schon im voraus Ted Van Dyk als unseren PR-Manager engagiert. Darum konnten wir auch schnell eine Erklärung herausgeben, in der die Vorfälle geschildert und erläutert wurden. Regelmäßige Bulletins, in denen das Post-Management seine Position erläuterte und seine Handlungen begründete, erschienen während der gesamten Streikdauer. Die Druckergewerkschaft setzte dem ihre eigenen PR-Anstrengungen entgegen und gab darin der Post die Schuld an der Enttäuschung ihrer Mitglieder. Die Gewerkschaftslinie lautete, die Post unternehme den unverschämten Versuch, wichtige in früheren Verträgen ausgehandelte Klauseln des Rahmentarifvertrags zu eliminieren. Die ersten Streiktage waren besonders wild; im Vordergrund standen die Einleitung von gerichtlichen Schritten und unsere Versuche, uns auf die Lage einzustellen. Der ganze 1. Oktober, ein Mittwoch, verging mit Ad-hoc-Planungen. Bis auf 50000 Exemplare war die gesamte Mittwochsausgabe der Post bereits gedruckt, und diese Zeitungen wurden auch noch ausgeliefert und zugestellt. Während wir das Ausmaß des Schadens taxierten und festzustellen versuchten, ob die am schlimmsten beschädigten Druckmaschinen dauerhaft ruiniert waren, kündigten wir an, daß am Donnerstag keine Zeitung erscheinen werde und daß wir noch nicht sagen könnten, wann die nächste Ausgabe veröffentlicht werde. Mark fügte jedoch hinzu, die Mitarbeiter in der Redaktion würden normal weiterarbeiten und wir beabsichtigten, die Zeitung so schnell wie möglich wieder erscheinen zu lassen, »irgendwie und irgendwo«.
Eine unserer Hauptsorgen war die Sicherheit der Arbeitenden, die täglich zweimal die Kette der Streikposten durchqueren mußten. Diese Sorge veranlaßte uns, bei Gericht eine einstweilige Anordnung zu beantragen, die von den Streikenden den Verzicht auf jegliche Gewaltanwendung und eine zahlenmäßige Beschränkung der Streikposten verlangte, die sich in einem gegebenen Zeitraum vor dem Gebäude aufhalten durften. Eine solche Anordnung konnten wir etwa vierundzwanzig Stunden nach den ersten Gewalttaten erwirken. Trotzdem wurde eine Rauchbombe durch ein Fenster in unser Fotostudio geworfen, und trotzdem mußten Leute, die das Gebäude betreten oder verlassen wollten, weiterhin damit rechnen, herumgestoßen oder geschlagen zu werden - unsere Reporterin Kathy Sawyer zum Beispiel wurde mit einem Holzknüppel am Kopf verletzt. Zum Glück für uns und zum Unglück der Gewerkschaften war unter den Angegriffenen auch der Washingtoner Polizeichef (in Zivil). Es gab mehr als zwanzig Festnahmen. Zugleich leiteten wir zügig die erforderlichen Schritte ein, um die Zeitung so schnell wie möglich wieder herausbringen zu können. Wir hatten schon zuvor bei mehreren kleinen, gewerkschaftsfreien Vorortblättern sondiert, ob sie im Streikfall bereit seien, Teile der Post-Auflage zu drucken, und so konnten wir schon um sieben Uhr morgens am 1. Oktober mit diesen Zeitungen telefonisch klären, was sich machen ließ. Ein Versuch, den Star zu bewegen, die Post eine Zeitlang mitzudrucken - was natürlich zu Solidaritätsstreiks der dortigen Drucker geführt hätte - scheiterte am 2. Oktober. Allbritton ließ sich mit seinem Star nicht hineinziehen. Roger Parkinson, einer von Marks jungen Assistenten bei der Post, ein kurz zuvor von Newsweek gekommener Harvard-Absolvent der Wirtschaftswissenschaft, machte sich sogleich an die Arbeit, um einen Weg zu finden, wie wir die im Fotosatz erstellten Seiten wenn wir sie denn überhaupt zusammenbekämen - aus unserem Gebäude zu den kleinen Vorortzeitungen transportieren könnten, wo sie gedruckt werden sollten.
Roger, der bei einer Eliteeinheit in Vietnam gedient hatte, dachte sofort an Hubschrauber und hatte die Idee, einfach mal im Branchentelefonbuch unter »H« nachzuschauen. Dort stieß er auf eine Firma, die bereit war, mit uns einen Vertrag für Hubschrauberflüge abzuschließen. Als nächstes war die Frage zu klären, wo die Hubschrauber landen könnten. Der Parkplatz neben dem Gebäude kam nicht in Frage, weil er zu nahe bei den Streikposten lag. Da war das Dach schon sicherer. Aber würde es die Last aushalten? Als nächstes nahm Roger wegen der Fluggenehmigungen Kontakt mit dem Polizeipräsidium auf, das keine Einwände hatte, sowie mit dem Weißen Haus, in dessen Nähe solche Flüge eigentlich untersagt waren. Auch von dort bekamen wir die Genehmigung, allerdings mit der Auflage, solange der japanische Kaiser Hirohito zum Staatsbesuch in der Stadt weile, nicht südlich der K Street zu fliegen - die nur einen Häuserblock von unserem Gebäude entfernt lag -, was uns zu nahe ans Weiße Haus herangeführt hätte. Anschließend mußte das Außenministerium gefragt werden, weil die Botschaft der Sowjetunion direkt hinter dem Gebäude der Post lag. Das Außenministerium hatte Einwände, aber wir entgegneten, uns bliebe keine andere Wahl. Irgendwann zogen die streikenden Drucker sogar zur Federal Aviation Administration (FAA, Luftfahrtamt), um ein Flugverbot für die Helikopter zu erwirken. Ich legte dem Transportminister daraufhin unsere Lage dar, und die FAA blieb auf unserer Seite. Nachdem das alles geklärt und die erste Notausgabe gesetzt war, ließen wir einen Testhubschrauber kommen. John Waits von der Herstellung rannte mit den belichteten Filmen die Treppe hinauf zum Dach und übergab sie Roger, der sie wiederum dem Piloten aushändigte. Als der Helikopter abhob, brachen wir alle in lauten Jubel aus. Auch ich war auf dem Dach und sah erstaunt zu. Und als ich merkte, daß die Sache wirklich funktionierte, umarmte ich in meiner Freude alle Umstehenden. Von da an hielt ich jedesmal die Luft an, wenn ein Hubschrauber kam oder abhob. Und ich war nicht die einzige, der angesichts der Risiken angst und bange wurde. In den ersten Streiktagen, als wir Elektriker und Mechaniker benötigten, um unsere Druckmaschinen zu reparieren, sagte mindestens einer von ihnen, ihm bereite es weniger Angst, die Linie der Streikposten zu durchbrechen, als über das Dach per Hubschrauber eingeflogen zu werden. Einen Tag war die Zeitung nicht erschienen, aber wir hatten nicht vor, noch einen weiteren Tag Zwangspause einzulegen. Wir hatten sechs Druckereien gefunden, die bereit waren, Teile unserer Auflage zu drucken. Später an jenem 2. Oktober - nachdem ich morgens vergeblich versucht hatte, Allbritton auf unsere Seite zu bringen - erschien Don blaß vor Zorn in meinem Büro und sagte, der Star verweigere uns nicht nur die Unterstützung, sondern wolle sogar den Namen einer der kleinen Firmen veröffentlichen, die unsere Zeitung druckten was einer schriftlichen Einladung an die Streikposten gleichgekommen wäre, umgehend auch dort aktiv zu werden und Leute zusammenzuschlagen. Ich rief Joe Allbritton sofort an und sagte, wenn das stimme, was ich gehört hätte, könne es sogar Tote geben.
Joe erwiderte, er wisse nichts von solchen Plänen, und fragte, wer denn wohl auf die Idee kommen könne, eine solche Indiskretion zu begehen. Da platzte mir der Kragen. »Das weiß ich nicht, Joe, aber wenn Sie es bei Ihrer gottverdammten Zeitung nicht selbst herausbekommen können, dann ist Ihnen nicht mehr zu helfen.« Der Star druckte den Namen der betreffenden Zeitung dann nicht ab. Allerdings gaben sich einige der Zeitungsdruckereien, die uns unterstützten, bald von sich aus zu erkennen. Bei all diesen kleinen Druckereien Hubschrauberlandeplätze zu finden war sehr kompliziert. Manchmal handelte es sich nur um einen von Autoscheinwerfern erleuchteten Footballplatz. Überdies hatte der Vertrieb unglaublich komplizierte Routen auszuarbeiten, um die gedruckten Exemplare bei allen beteiligten Druckereien abzuholen und nach Washington zurückzubringen. Dort mußten sie anschließend in der Stadt und in den Vororten ausgeliefert und ausgetragen werden. Weil die Produktionszentren einiger Zeitungen, die die Post mitdruckten, gezwungen waren, wegen Überarbeitung des Personals Druckpausen einzulegen (schließlich war ja auch die jeweils eigene Zeitung zu drucken), mußten unsere Planer täglich bei Null beginnen, neue Landeplätze aussuchen und neue Auslieferungspläne erstellen.
Trotz aller logistischen Schwierigkeiten erschien am Freitag, den 3. Oktober, nach nur eintägiger Unterbrechung wieder eine Ausgabe der Post. Unsere Leser bekamen sie verspätet und mit verringertem Umfang (vierundzwanzig Seiten), doch immerhin, die in sechs kleinen Druckereien im Großraum Washington gedruckten 500000 Exemplare konnten zugestellt und verkauft werden - ein stockender Beginn, aber ein großer Triumph. Wir wußten natürlich, daß wir diese Druckereien nicht endlos bitten konnten, ihr eigenes Blatt und zusätzlich noch die Post zu drucken, und versuchten deshalb, unsere eigenen Druckmaschinen instand zu setzen ein verteufelt schwieriges Unterfangen, weil zu allem Unglück auch bei der Herstellerfirma unserer Maschinen gerade gestreikt wurde und Ersatzteile nur schwer erhältlich waren. Die Gewerkschaft der Maschinisten weigerte sich, Mitglieder ihrer Organisation in unser Haus zu lassen, und wir waren daher darauf angewiesen, uns von anderen - überwiegend gewerkschaftlich nicht organisierten Zeitungen Maschinisten auszuleihen, vor allem Elektriker und Mechaniker. Ferner engagierten wir Wachpersonal, um die Sicherheit in der Umgebung des Gebäudes zu verbessern. Der erwünschte Effekt trat ein, und es kamen wieder mehr Leute zur Arbeit, auch Mitglieder der Guild. Doch die Guild rief in einer öffentlichen Erklärung beide Seiten auf, die Tarifverhandlungen wiederaufzunehmen. Man kritisierte Larry Wallaces Taktik und ernannte ein dreiköpfiges Komitee, das die Verhandlungen beobachten und den Mitgliedern der Guild in einer Woche Bericht über die Fortschritte erstatten sollte. Die Guild verbot ihren Mitgliedern überdies, irgendwelche Arbeiten außerhalb ihres eigenen Tätigkeitsbereichs zu übernehmen. Diese Anordnung hatte im wesentlichen den Zweck, die Mitglieder daran zu hindern, uns auszuhelfen. Einige tapfere Leute setzten sich trotzdem über das Verbot hinweg. Während der langen Streikmonate, aber ganz besonders in jenen ersten wilden Tagen, gab es heftige Diskussionen, hitzige Streitgespräche, Bulletins voller Vorwürfe und Schmähungen und wiederholte Treffen der Guild-Mitglieder - wobei die Funktionäre drohten und alle Überredungskünste aufboten, während die Mitglieder immer wieder dafür stimmten weiterzuarbeiten, wenn auch mit immer knapperen Mehrheiten.
Zwei Tage nach dem überwältigenden ersten Votum am 1. Oktober lautete das Stimmergebnis nur noch 244 zu 186. Am 3. Oktober fuhr ich zu einem Verlegertreffen in der Zentrale der American Newspaper Publishers Association in Reston, Virginia. Ich wuBte, daß man Joe Allbritton und mich eingeladen hatte, getrennt zu den Mitgliedern des Zeitungsverlegerverbandes zu sprechen. Ich berichtete ausführlich über alles, was bis dahin geschehen war, über den Stand der Verhandlungen mit den Gewerkschaften sowie über unsere Bemühungen, das weitere Erscheinen des Blattes zu sichern. Als Beweis für das Vorgefallene brachte ich auch Fotos aus der zerstörten Druckerei mit. Im wesentlichen fragten mich meine Verlegerkollegen, ob jetzt die Zeit für ein Abkommen mit dem Star über eine gemeinsame Herstellung unserer Blätter gekommen sei. Antwort: nein. Sie wollten ebenfalls wissen, ob ich beabsichtigte, den Weg konsequent zu Ende zu gehen, womit sie meinten, ob ich vorhätte, die Gewerkschaft zu »zerschlagen« und ihre Mitglieder nie wieder zur Arbeit ins Haus zu lassen. Darauf antwortete ich, ich wisse nicht, wie sich die Dinge weiterentwickeln würden. Aber wir hätten vor, die Zeitung weiter drucken zu lassen und zugleich zu versuchen, mit den Gewerkschaften ein Verhandlungsergebnis zu erzielen. Wir würden das unter diesen Umständen Bestmögliche tun. Konsequent weigerte ich mich zu versprechen, daß wir die Gewerkschaften auf Dauer loswerden wollten, denn ich wollte nicht den Verlust der Zeitung für ein Ziel riskieren, das womöglich unerreichbar war. Einige der Verleger sagten jedoch, wenn ich ihnen nicht verspräche, so weit zu gehen, würden sie mir auch nicht helfen. Nachdem meine Ansprache vorüber war, fuhr ein guter Freund, Frank Daniels, der Verleger des Raleigh News and Observer, mit mir im Auto nach Washington zurück. Frank sprach mit starkem Südstaatenakzent, und ich werde seine Worte nie vergessen, weder den Tonfall noch den Inhalt: »Paß auf, Süße, sie wollen, daß du die Gewerkschaft kaputtmachst.« Trotz dieser Warnung Franks und trotz der während der Sitzung geäußerten Forderungen und Bedingungen war ein Großteil der Branche uns gegenüber äußerst hilfsbereit. Viele Zeitungen unterstützten uns während des gesamten Streiks mit großem Mut. Am Sonntag, den 5. Oktober, veröffentlichten wir immer noch eine im Umfang deutlich reduzierte - und verlustbringende - Zeitung, die in auswärtigen Druckereien produziert wurde, natürlich gegen Bezahlung. Am 6. Oktober hielt ich mit den Leuten, die immer noch zur Arbeit erschienen, eine Betriebsversammlung ab, um zu berichten, was wir vorhatten. Als erstes setzte ich mich mit den Vorwürfen der Gewerkschaften auseinander, wir würden nicht offen und ehrlich verhandeln und ich wolle die Gewerkschaften. in unserem Betrieb zerschlagen. Diesen Vorwürfen hielt ich mein festes Bekenntnis zu Wert und Bedeutung der Gewerkschaften entgegen:
Ich erwarte nicht, daß unsere Ansichten sich alle genau gleichen. In einem Umfeld normaler und gesunder Spannungen zwischen Gewerkschaften und Management kann das gar nicht der Fall sein, und es ist auch nicht erstrebenswert. Vielmehr ist diese Spannung, wenn sie friedlich und mit den gesetzlich vorgesehenen Mitteln zum Ausdruck kommt und auf friedliche und legale Weise in Vertragsverhandlungen aufgelöst wird, ein großer Ansporn zur ständigen Verbesserung unserer Zeitung. Sie hält uns in Bewegung - hin zu einem besseren, gesünderen, stabileren und sichereren Unternehmen. Kurz gesagt, diese Spannung ist gut für uns alle. Sie ist gut für die Washington Post. Weil ich daran so fest glaube und weil diese Auffassung von Wert und Bedeutung der Gewerkschaften ein so fester Bestandteil der Tradition meiner Familie ist, aber auch all jener, die viele Jahre daran mitgearbeitet haben, daß diese Zeitung so groß wurde, wie sie ist, gerade darum werden Sie es mir hoffentlich nicht verübeln, wenn ich mich zunächst mit den allgemeinen Vorwürfen auseinandersetze, die gegen uns erhoben worden sind. Die Anklage lautet, wir würden versuchen, die Gewerkschaften zu zerschlagen, und keine aufrichtigen Verhandlungen mit ihnen führen, um dieses Ziel zu erreichen. Mir ist klar, daß diese Vorwürfe oft einfach nur Teil jener Pulverdampfrhetorik sind, die in Zeiten gespannter Beziehungen zwischen Gewerkschaften und Management Konjunktur hat. Zugleich aber sind es auch Vorwürfe, die ich sehr ernst und - ja, ich gebe es zu - auch sehr persönlich nehme. Die Vorwürfe sind falsch. Ich glaube an das Recht, sich zu organisieren, gemeinsame Verhandlungen zu führen und zu streiken. Ich glaube auch an das Recht, sich an die Öffentlichkeit zu wenden. Aber ich glaube nicht an das Recht, wie Vandalen zu hausen, Leute in Angst und Schrecken zu versetzen, Eigentum zu zerstören und andere körperlich anzugreifen. Ich glaube nicht an das Recht irgendeiner Gewerkschaft, Bedingungen zu schaffen, unter denen es den Mitgliedern anderer Gewerkschaften unmöglich gemacht wird zu arbeiten, selbst wenn mit diesen Gewerkschaften ein Tarifabschluß erzielt worden ist. Einige von uns hier im Raum - da wollen wir uns nichts vormachen haben in der Vergangenheit ernsthafte Auseinandersetzungen miteinander gehabt. Dabei ging es darum, was in Tarifverträgen wünschenswert und gerecht sei. Zweifellos wird es solche Auseinandersetzungen auch in Zukunft geben. Aber in einem Punkt sind wir uns alle einig: Wir sagen nein zu Gewalt, nein zu brutaler Einschüchterung, nein zu kalkulierter Zerstörung der Arbeitsmöglichkeiten anderer Leute und anderer Gewerkschaften - oder auch nur zur Einschränkung ihrer Entscheidungsfreiheit, ob sie arbeiten wollen oder nicht.
Ich sprach besonders die Guild-Mitglieder an und sagte ihnen, wie sehr ich ihre Anwesenheit zu schätzen wisse - zumal sie durchaus nicht selbstverständlich sei. Ich war ehrlich der Meinung, daß die Anwesenden eine schwere und tapfere Entscheidung getroffen hätten. Ich sagte ihnen aber auch, ich wisse, daß sie gleichfalls in den Ausstand treten würden, wenn sie das Gefühl hätten, daß das Management mit den Druckern unfair umgehe. Nach mir sprach Mark, und auch er sagte, daß wir willens seien, die Verhandlungen mit den Druckern wiederaufzunehmen. Natürlich erschwerte die Gewaltanwendung die Verhandlungen aufs äußerste. Von der Druckergewerkschaft verlangten wir Schadenersatz, und ein Geschworenengericht begann mit der Untersuchung der gewalttätigen Vorkommnisse. Bis zum Abend des 6. Oktober war eine unserer Druckmaschinen wieder repariert, und wir hatten eine Crew, die bereitstand, sie zu bedienen: Manager der Anzeigenabteilung, darunter sogar eine Frau - auch dies ein historischer Durchbruch. Geleitet wurde diese spezielle Druckcrew von John Arcaro, dem allseits beliebten Abteilungsleiter für Einzelhandelskunden. Nun war der entscheidende Augenblick gekommen. Würden unsere nur mit Grundlagenkenntnissen versehenen Amateurdrucker die Maschine wirklich bedienen können? Sie sah so riesig, so kompliziert und so abschreckend aus, daß man fast nicht glauben mochte, daß sie funktionieren könne. Viele von uns, darunter auch Ben und ich, waren an diesem Abend in der Druckerei zugegen, um zuzuschauen, was geschehen würde. »Los geht's, Joe, wirf die Kleine an«, schrie Ben, und dann setzte sich, unglaublich, aber wahr, das Monstrum lautstark in Bewegung. Noch in dieser Nacht druckten wir eine Auflage von 100 000 Exemplaren im Hause. Das nächste, noch größere Drama fand dann auf der Verladerampe statt, nachdem die Zeitungen den Versandraum durchlaufen hatten, wo sie von einer anderen Managercrew gebündelt und auf die Rutschbahnen zu den wartenden Lastwagen der Auslieferer geworfen worden waren. Die hintere Plattform war hell erleuchtet, und auf der ganzen Zufahrt zum Gebäude herrschte Hochspannung. Don Graham half mit, den ersten Lastwagen zu beladen, dessen Fahrer ein äußerst tapferer Auslieferer war. Ein weiterer Lastwagen gab buchstäblich bewaffneten Geleitschutz. Meg und ich warteten und sahen zu. Vor dem ersten Lastwagen fuhr ein Polizeiauto her, ein weiteres dahinter. Unter lautem Geschrei der Streikposten verließen die Lastwagen die Zufahrt und wurden aus Sicherheitsgründen noch ein Stück weit eskortiert. Für uns Zuschauer war es ein erhebender, elektrisierender Augenblick voller symbolischer Bedeutung.
Am 7. Oktober wurden die Verhandlungen mit den Druckern im Rahmen des Federal Mediation and Conciliation Service, der regierungsamtlichen Schlichtungsstelle, wiederaufgenommen. Die ganztägige Sitzung wurde von Mark als »hilfreich und konstruktiv« bewertet. Ein zweites Verhandlungsteam, ebenfalls unter der Gesamtleitung von Larry Wallace, sollte am nächsten Tag die Verhandlungen mit den Gewerkschaften der Maschinisten und Elektriker beginnen. Inzwischen hatte Joe Arcaros Crew an den Druckmaschinen ihren Ausstoß mehr als verdoppelt; in jener Nacht wurden mehr als 200 000 Exemplare gedruckt. Und mit Hilfe von sechzehn gewerkschaftlich nicht organisierten Mechanikern, die uns von anderen Zeitungen im ganzen Land zur Verfügung gestellt worden waren, um die beschädigten Druckmaschinen zu reparieren, hofften wir, bald auch eine zweite Maschine wieder in Betrieb nehmen zu können. Am 9. Oktober war es soweit. In jener Nacht stellten wir in unserer eigenen Druckerei 280 000 Exemplare her und konnten allmählich daran denken, die Hilfestellung der Ausweichdruckereien auslaufen zu lassen, je mehr eigene Druckmaschinen repariert wurden. Trotzdem hatten wir immer noch einen täglichen Verlust von 300 000 Dollar beim Anzeigenaufkommen zu verkraften, wenn man die sonst übliche Zeilenzahl als Maßstab nimmt - Anzeigen, die nun im Star erschienen. Nach der Reparatur der Druckmaschinen benötigten wir in erster Linie fähige Elektriker und Maschinisten Facharbeiter mit speziellen Fertigkeiten, die sich Amateure nicht ohne weiteres aneignen konnten. Unsere Manager hatten sie jedenfalls nicht, doch für die reguläre Arbeit an den Maschinen waren diese Kenntnisse unverzichtbar. Von zentraler Bedeutung waren während des Streiks auch die dreihundert selbständigen Auslieferer der Post, denn es hätte uns überhaupt nichts genutzt, Zeitungen drucken zu können, die dann anschließend nicht verteilt worden wären. Die Auslieferer waren engagiert und mutig, geduldig und resolut - allen Gewaltaktionen zum Trotz, denen sie persönlich immer wieder ausgesetzt waren. Innerhalb einer Woche funktionierte der Vertrieb bei der Zustellung an die Abonnenten und der Belieferung der Kioske schon wieder fast so gut wie in Zeiten ohne Streik. Die einzigen Zeitungen, die in den ersten Wochen nicht an ihre Empfänger gelangten, waren die 10000 per Post verschickten Exemplare sowie jene, die per Bus, Bahn und Flugzeug versandt wurden.
Für diesen Bereich, so entschied Jack Patterson, der für den Vertrieb zuständige Vizepräsident, seien weitere Hilfskräfte erforderlich. Er schlug vor, »Außenstehende« anzuheuern. Don Graham aber, der von Natur aus vorsichtig und mißtrauisch war, widersetzte sich diesem Vorschlag. Er fürchtete, die Drucker könnten diese Gelegenheit nutzen, um jemanden ins Gebäude einzuschmuggeln, der uns neuen Schaden zufügen könnte. Jack hörte Don eine Weile zu, doch dann entschloß er sich, unabhängig und tatkräftig, wie er war, Dons Einwände zu übergehen und neue Hilfskräfte einzustellen. Die Vorbereitungen für den Postversand der umfangreichen Sonntagsausgaben nahmen viel Zeit in Anspruch. Außerdem handelte es sich um eine ziemlich schmutzige Arbeit. Dafür forderte Jack Freiwillige an. Auch Meg, Howard, Phil Geyelin, Liz Hylton und ich erklärten sich, wie viele andere, dazu bereit. Während der gesamten Streikdauer arbeiteten wir am Samstagabend im Versandraum, aber auch an mehreren anderen Abenden während der Woche. Wenn die Druckmaschinen gegen halb zehn anliefen, traten wir unseren Dienst an, und anfangs waren wir selten vor drei oder vier Uhr morgens fertig. Das war Schwerarbeit, und am Ende waren wir dreckig, verschwitzt und voller Klebstoff. Jede einzelne Zeitung mußte zusammengerollt und in einen braunen Papierumschlag gesteckt werden, dann mußten die Adressenetiketten aufgeklebt und der Umschlag zugeklebt werden. Die fertigen Sendungen kamen in große, übelriechende, schwere, sperrige Segeltuchsäcke, die neben den Arbeitstischen standen. Die vollen Säcke zerrten wir dann zu einer anderen Stelle, von wo sie schließlich zum Postamt gefahren wurden. Es war das einzige Mal in meinem ganzen Leben, daß ich mich über die große Zahl unserer auswärtigen Abonnenten beklagte. An den ersten zehn Streiktagen arbeiteten wir fieberhaft und unter Hochspannung. Ständig fanden Sitzungen der Geschäftsleitung statt. Die Anspannung war für uns alle unbeschreiblich, und ich erlebte die schlimmste Belastung, die ich je auszuhalten hatte. Die Unsicherheiten und Schwierigkeiten, die Gewalt gegen die Arbeitswilligen, die Angst, der Star könnte die Gelegenheit nutzen, um die Washingtoner Presselandschaft umzukrempeln alles zusammen war zuviel für mich. Ich war verzweifelt und fragte mich insgeheim, ob ich den Karren jetzt vor die Wand gefahren und die Zeitung verloren hatte. Ich konnte wirklich nicht erkennen, wie das alles gutgehen sollte. Wenn ich meine Ängste beschreiben soll, so fällt mir nur ein Vergleich ein: Ich fühlte mich, als sei ich mit einem Felsen im Bauch schwanger gewesen. Und doch mußte ich immer den Eindruck erwecken, ruhig und entschlossen zu sein - Optimismus ausstrahlen, um auch anderen diese Einstellung zu vermitteln.
Eines Tages während der besonders anstrengenden ersten Streikwochen saß ich, in schwermütige Gedanken versunken, in meinem Büro, als Meg hereinkam und schnell erfaßte, wie deprimiert ich war. Weil ich mich auf ihre Diskretion verlassen konnte, wagte ich, mit ihr über meine wahren Gefühle zu sprechen. Ich sagte ihr, ich würde von den Spannungen buchstäblich zerrissen. Lange könne ich das nicht mehr aushalten; ich sei vor Angst wie gelähmt. Da erwiderte sie etwas, das seltsam klingt, mir aber tatsächlich tröstliche Erleichterung verschaffte: »Vergiß nicht, daß es immer noch eine Alternative gibt. Du kannst immer noch aufgeben. Diese Entscheidung steht immer noch in deiner Macht. Und wenn du das im Hinterkopf behältst, kannst du die Sache so lange durchhalten, wie du willst.« Die Kapitulation erschien uns beiden zwar nicht als ernsthafte Alternative, doch allein der Gedanke daran brachte schon Erleichterung. Das verzweifelte Gefühl, in einer Falle zu stecken, verflüchtigte sich. Ein anderer äußerst hilfreicher Freund war Warren Buffett, der schon in der ersten Streikwoche nach Washington kam und mich auch in den folgenden Monaten immer wieder besuchte. Später gestand er mir, vor seinem ersten Besuch von Don und Mark einen entsprechenden Wink erhalten zu haben. Auch er bot mir natürlich seinen Rat an. »Sieh mal«, sagte er, »ich passe auch für dich mit auf. Solltest du meiner Meinung nach wirklich in Gefahr sein, zu verlieren und aufgeben zu müssen, dann sag ich's dir garantiert.« Das beruhigte mich sehr. Ich wußte, daß ich mich - hier wie bei so vielen anderen Dingen - auf sein Urteil verlassen konnte. Warren richtete also sein besonderes Augenmerk auf die der Washington Post Company gerade noch zuträgliche Grenzbelastung in diesem Arbeitskampf. Im Rückblick zog er später folgendes Fazit: »Du bist nicht einmal in die Nähe jenes Punktes gelangt, an dem ernsthaft Gefahr bestand, daß du die Firma hättest verlieren können. Aber es ist ungefähr so wie bei der Heilung von Krebs: Entweder findest du die richtigen Mittel, oder du bist in sechs Monaten unter der Erde. Gelingt die Heilung im vierten Monat, dann sagst du: War doch alles halb so schlimm.« Neben Jack Patterson, der trotz ernsthafter gesundheitlicher Schwierigkeiten die komplexen Vertriebsprobleme mit großem Einsatz löste, waren auch mein Sohn Don und Mark Meagher für mich persönlich - und für die Zeitung - eine enorme Hilfe. Mark löste seine strategischen und planerischen Aufgaben während des Streiks souverän und wurde seiner Gesamtverantwortung für die Post mehr als gerecht.
Don übernahm für diese Zeit von Mark die Verantwortung für die täglichen Abläufe bei der Zeitung - eine sehr schwierige Aufgabe, die er da mit seinen dreißig Jahren schultern mußte. Aber er machte seine Sache hervorragend und lernte viel dazu. Nicht zuletzt schlugen sich alle verbliebenen Mitarbeiter im ganzen Haus heroisch. Allerdings trugen sie auch zu dem Druck bei, der auf mir lastete: »All das hier macht uns nichts aus«, sagten sie, »aber lassen Sie uns bitte nicht im Stich!« Im Klartext hieß das: »Lassen Sie die Drucker nicht wieder ins Haus, geben Sie nicht nach!« Ja, nachgegeben hatte die Post in der Vergangenheit tatsächlich viel zu oft.
Am 12. Oktober, nach fast zwei kompletten Streikwochen, waren wir wieder in der Lage, die gesamte Auflage unserer Zeitung im eigenen Haus zu drucken. Vier Druckmaschinen waren repariert, aber unsere Zeitung umfaßte weiterhin nur vierzig Seiten. Wahrscheinlich, weil wir schneller wieder auf eigenen Füßen standen, als ich es für möglich gehalten hatte, und weil wir den Schaden an den Druckmaschinen schneller und umfassender reparieren konnten, als ich beim Anblick der Beschädigungen je geglaubt hätte, wurde ich allmählich etwas hoffnungsfroher. An manchen Fronten kamen wir deutlich voran, wenn auch nur in kleinen Schritten. Unsere Druckcrews schlugen sich überraschend gut. Einzelne Meilensteine zeigten den Fortschritt an. Am 15. Oktober konnten wir die Titelseite der Spätausgabe schon wieder aktualisieren, um unsere Leser über den letzten Stand der World Series im Baseball und über einen Autounfall von Präsident Ford zu informieren.
Am Sonntag, den 19. Oktober, umfaßte unsere letzte Ausgabe schon wieder neun Teile auf 206 Seiten. Acht Männer arbeiteten an der Herstellung von Matern, Klischees und Druckplatten. Für die Zeitung vom 23. Oktober erstellten diese acht Männer fast sechshundert Druckplatten, darunter auch drei für nachträgliche Seitenrevisionen wegen eines neuen Berichts über die Krankheit von General Franco, der im Sterben lag. In Zeiten, in denen nicht gestreikt wurde, war die Materngießerei mit vierzig Mitarbeitern besetzt. Im Lauf der Monate stellte sich bei uns eine gewisse Routine ein. Allerdings kamen wir aus dem Gebäude fast nicht mehr heraus; viele Leute schliefen sogar in ihren Büros. Die Moral war hervorragend - besonders in den ersten Wochen, als noch nicht abzusehen war, daß der Streik sich so lange hinziehen würde, wie er dann tatsächlich dauerte. Und wir unternahmen alles, um diese großartige Moral aufrechtzuerhalten.
Dreimal täglich gab es im neunten Stock etwas zu essen. Und wenn der nächtliche Druckvorgang abgeschlossen war, gab es ebenfalls zu essen und zu trinken. Stets traf man sich nach getaner Arbeit in größeren Gruppen, um sich gemeinsam zu entspannen. Die Leute vom Partyservice, der die Versorgung der Belegschaft übernommen hatte, trugen abends Kellnerkleidung, und wenn sie in ihren schwarzen Anzügen und Kleidern Sandwiches, Saft und Milch anboten, wirkte das inmitten des ganz normalen Durcheinanders einer Druckerei auf groteske Weise unpassend. In den oberen Stockwerken wurde auch Klavier gespielt oder zur Banjobegleitung gesungen ebenfalls zur Entspannung. Die Klatschkolumnistin des Star aber zeichnete ein böswillig verzerrtes Bild der Vorgänge bei der Post: als würden hier Streikbrecher mit Musik, Kellnern und Gourmetessen bei Laune gehalten. Leute, die einfach nicht verstehen wollten, unter welch immensem Einsatz und unter welchen Opfern wir das Weitererscheinen der Zeitung ermöglichten, waren mir zutiefst zuwider. Jeder verbliebene Mitarbeiter hatte mindestens zwei Jobs: tagsüber seinen eigenen und abends, bis in die Nacht hinein, die Beteiligung an den gemeinsamen Produktionsanstrengungen. Einige instabile Ehen zerbrachen unter dieser Belastung, aber es gab auch Romanzen, die damals ihren Anfang nahmen. Es kamen noch weitere Leute hinzu, die uns helfen wollten. Mein Bruder Bill etwa zog für längere Zeit ins gegenüberliegende Madison Hotel, um uns gemeinsam mit seiner Tochter Ruth und ihrem Mann bei verschiedenen Tätigkeiten zur Hand zu gehen. Lally kam mit meiner damals neunjährigen Enkelin Katharine aus New York. Und eines Samstagabends stand auch Katharine auf einer Kiste im Versandraum und half uns beim Einpacken der Zeitungen. Bei bestimmten Abläufen hatte sich somit zwar eine Art Routine herausgebildet, aber die Sorge blieb mein ständiger Begleiter - vor allem die Frage, ob es uns gelingen würde, die Guild bei der Stange zu halten. Brian Flores kündigte an, die Guild plane, von allen Mitgliedern, die an den Streikposten vorbei zur Arbeit gingen, als Geldstrafe 125 Prozent aller Einkünfte zu verlangen, die sie während des Streiks erzielt hätten. Außerdem drohte er den weiter zur Arbeit erscheinenden Mitgliedern mit Ausschluß - und das zu einer Zeit, da die Mehrheit seiner Gewerkschaftsmitglieder bei der Post wiederholt abgelehnt hatte, sich dem Streik anzuschließen. Die Führer der Guild arbeiteten unermüdlich daran, verschiedene Organisationen in der Stadt auf ihre Seite zu ziehen. So schickte Flores zum Beispiel ein Telegramm an die Baseballmannschaft der Washington Redskins mit der Bitte, sie sollten doch nicht mehr mit den Reportern der Post sprechen - allerdings ohne erkennbaren Erfolg. Flores griff mich auch persönlich an. Als ich für die Berichterstattung der Washington Post im Watergate-Skandal von der John F. Kennedy Lodge des B'nai B'rith[2] in Chevy Chase, Maryland, den Profiles in Courage Award erhielt, schrieb er am selben Tag in einem Bulletin, das in der ganzen Stadt verteilt wurde: »Man kann sich des Gefühls kaum erwehren, daß jedes Kennedy-Porträt zur Wand gedreht werden müßte, wenn in seinem Namen ein Preis an die Gebieterin jener Kräfte verliehen wird, die versuchen, die Gewerkschaften bei der Washington Post hinwegzufegen.« Und er fügte hinzu: »Viel Vergnügen beim Festmahl, Ms. Graham, während 2000 Ihrer Angestellten streiken oder aus Solidarität nicht zur Arbeit kommen. Auch diese Menschen haben den Mut, für ihre Überzeugungen zu kämpfen und mit großen persönlichen Opfern dafür einzustehen, die nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Familien bringen. Wäre JFK noch am Leben, so bin ich ganz sicher, er würde sich lieber mit diesen Leuten als mit Ihnen an einen Tisch setzen!«
Große Sorgen machte uns auch die ständig drohende Gewalt. Irgendwann fanden sich in den Fenstern verschiedener Redaktionsbüros im fünften Stock drei Löcher, die offenkundig von Metallkugeln herrührten, die mit einem starken Luftgewehr abgefeuert worden waren. Schlägereien und Pöbeleien der Streikposten waren an der Tagesordnung. Die Autos vieler Leute, die mit dem Wagen zur Arbeit kamen, hatten ständig platte Reifen, weil in der Einfahrt zum Gebäude häufig Nägel gestreut worden waren. Andere Mitarbeiter wurden bis zu ihrem Auto verfolgt und tätlich angegriffen. Schließlich richteten wir - nach dem Grundsatz: Zu mehreren ist man sicherer - einen Fahrdienst mit einem Kleinbus ein, der die Leute zu anderen Stellen in der Stadt brachte, wo sie ihre Autos geparkt hatten oder mit einem Bus nach Hause fahren konnten. Ehepartner und Familien erhielten regelmäßig Drohanrufe oder mußten sich am Telefon Obszönitäten anhören. Der Frau eines Mitarbeiters wurde zum Beispiel gesagt: »Wir werden dich und dein Baby töten, wenn wir dich auf der Straße erwischen!« Einer älteren Mitarbeiterin, die keiner Gewerkschaft angehörte, tönte es aus dem Hörer entgegen, sie solle lieber mit offenen Augen schlafen oder, bei anderer Gelegenheit, man werde ihr den Kopf abschießen. Einmal, als mein Fahrer Jimmy am Steuer meines Autos saß, hielten mehrere Streikposten den Wagen an, als wir auf das Gelände der Post fahren wollten, und rüttelten bedrohlich daran. Die streikenden Drucker verstärkten ihre Aktivitäten auch an anderen Fronten; zum Beispiel stellten sie vor den Geschäften unserer Inserenten Streikposten auf, woraufhin wir eine gerichtliche Anordnung beantragten, ihnen diesen gesetzlich verbotenen sekundären Boykott zu untersagen. Zu den unerfreulichen Aktionen der Gewerkschaft gehörten ferner die Verteilung von Handzetteln für einen Verbraucherboykott und Vandalismus in den Läden von Inserenten, in denen man einfach Waren aus den Regalen kippte und Chaos anrichtete. In einem Fall gossen mehrere streikende Drucker Öl ins Bassin eines Fischgeschäfts, woraufhin alle darin schwimmenden Fische verendeten. Die ständige Androhung oder gar Ausübung von Gewalt war nur eines von vielen Problemen, als sich der Streik bis in den November hineinzog. Die Stimmung in der Lokalredaktion wurde immer gereizter, denn viele Reporter litten unter schweren Gewissensbissen, weil sie den Streikenden ihre Solidarität verweigerten. Von Guild-Mitgliedern, die weiterhin zur Arbeit erschienen, bekam ich damals zwei Schreiben. Das eine, an Larry Wallace und mich adressiert und von einundvierzig Personen unterzeichnet, sollte verdeutlichen, daß die Anwesenheit der Guild-Mitglieder im Gebäude nicht als Blankovollmacht für das Post-Management mißverstanden werden dürfe. Man sei nicht ohne weiteres mit der Art und Weise einverstanden, wie die Beziehungen zu Gewerkschaft und Belegschaft gehandhabt würden, und verlangte eine Versicherung, daß wir die laufenden Tarifverhandlungen weiterhin »offen und vertrauensvoll« führen würden. Diese Versicherung gab ich gerne: Wir wollten alle streikenden Gewerkschaftsmitglieder weiterbeschäftigen, mit Ausnahme jener Drucker, die sich gewalttätig verhalten hätten. Einige Tage später kam ein weiterer Brief, der von etwa achtzig Guild-Mitgliedern bei der Post unterzeichnet war. Das Schreiben enthielt zwanzig detaillierte Fragen, auf die man eine Antwort verlangte. Die Verfasser leugneten den anfangs in der Druckerei angerichteten Schaden nicht, betonten jedoch, daß diese Angelegenheit jetzt gerichtlich verfolgt werde. Sie meinten, mehr als einen Monat nach Streikbeginn hätte man deutlichere Zeichen des Verlags erwarten können und müssen, daß auf eine schnelle Beendigung der Auseinandersetzung aktiv hingearbeitet werde. Weiter hieß es in dem Schreiben:
... Wir haben uns Strafaktionen unserer eigenen Gewerkschaft ausgesetzt und Zwietracht in unsere Reihen gebracht, was vielleicht nicht mehr wiedergutzumachen ist ... Daran werden Sie vielleicht freundlicherweise denken, wenn nächstes Jahr wieder Tarifverhandlungen mit der Guild anstehen, aber uns wäre es lieber, wenn wir uns nicht auf Ihr Wohlwollen verlassen müßten, sondern als starke Gewerkschaft in diese Verhandlungen gehen könnten ... Ihre Antworten auf die folgenden Fragen werden uns bei der Meinungsbildung helfen. Wir haben das Gefühl, daß Sie durch Ihre Antworten deutlich machen können, daß Sie an einer gütlichen Einigung interessiert sind. Das würde einen wesentlichen Beitrag zur Wiederherstellung der bröckelnden Beziehung zwischen Management und Belegschaft bei der Post leisten.
Offenkundig kam meinen zwanzig Antworten also äußerste Bedeutung zu. Entworfen und ständig neu überarbeitet wurden sie von Don, Meg und i mir. Aus meiner Sicht waren einige der Fragen irrelevant und albern - etwa wenn es um den Grund für die Höhe der Abfindung ging, die Paul Ignatius erhielt, als er 1971 die Firma verließ, Trotzdem war dieser Fragenkatalog für uns eine gute Chance, unsere Ansichten publik zu machen. Zu den wichtigen Aussagen in meinen Antworten gehören die folgenden Passagen:
Bei alldem gibt es jedoch einen entscheidenden Aspekt, den Sie bisher wohl nicht ausreichend in Ihre Überlegungen einbezogen haben, wie mir Ihr Brief zeigt: daß nämlich die Gewalttätigkeiten - letzten Monat in unserer Druckerei und seither bei verschiedenen anderen Anlässen unsere Bemühungen um eine gütliche Einigung grundlegend verändert und insgesamt erschwert haben. Vor dem 1. Oktober konnten wir uns noch den Luxus erlauben, für die Probleme in der Druckerei allmählich und stufenweise eine Lösung zu suchen... Wenn ich sage, daß wir uns diesen Luxus jetzt nicht mehr leisten können, meine ich damit, daß es aus meiner Sicht ein Akt äußerster Verantwortungslosigkeit der Firmenleitung wäre, wenn wir den Druckern gestatten würden, zu den alten Bedingungen an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren. Ich könnte nicht guten Gewissens als Firmenchefin für ein Gebäude verantwortlich sein, in dem Menschen, die bis zur Erschöpfung gewissenhaft ihre Arbeit für die Firma versehen haben, von Kollegen ständig physisch bedroht würden. Ich könnte nicht für eine Firma verantwortlich sein, in der die Zurückkehrenden einen ganzen Gebäudeteil kontrollieren würden, während jene, die dort gearbeitet haben, um den Schaden für die Firma zu beheben und das Erscheinen der Zeitung weiterhin zu gewährleisten, zu ihrem Schutz anderswo hin gebracht werden müßten. Ich könnte nicht für eine Firma verantwortlich sein, in der die alten Einstellungsverfahren und Stellenbesetzungspläne nicht nur weiterhin eine massive Überbesetzung mit Arbeitskräften begünstigen würden, sondern auch wie bisher das Eindringen von Männern, die, käme man ihnen ernsthaft in die Quere, wahrscheinlich wieder zu denselben gewaltsamen Mitteln greifen würden. In den frühen Morgenstunden des 1. Oktober haben die Drucker es uns leider unmöglich gemacht, ihre Zustimmung etwa zur Einsetzung von Aufsichtspersonal in der Druckerei durch das Management jetzt noch als erstrebenswertes Ziel für die Zukunft anzusehen ... Wir brauchen einen Vertrag, der unseren Druckern gegenüber fair ist. Aber wir brauchen auch einen Vertrag, der uns gegenüber fair ist. Ich würde Ihnen etwas vormachen, wenn ich jetzt sagte, daß dieses Ziel leicht zu erreichen sei, ja daß überhaupt sicher sei, daß es erreicht werden kann. Aber wir bemühen uns darum. Ich möchte, daß Sie das wissen und Verständnis dafür haben.
Dann beantwortete ich all die langen, in technische Einzelheiten gehenden Fragen: wie die Drucker bezahlt werden sollten, welche neue Haltung die Post zu kollektiven Tarifverhandlungen einnehme und wie ich auf die anzustrebende Gewinnmarge von 15 Prozent gekommen sei; warum wir überhaupt damit begonnen hätten, Angestellte aus dem Management in der Bedienung von Druckmaschinen auszubilden; warum wir Mitglieder der Guild in diesem Bereich aushelfen ließen; ob wir uns mit anderen Verlegern zusammengetan hätten, um die Drucker auf eine Schwarze Liste zu setzen; welche Einstellung wir gegenüber vor Gericht angeklagten oder verurteilten Druckern hätten. Endlich hatten wir unsere Antworten vollständig beisammen und schickten sie an die Absender des Schreibens. Aber wir schlugen sie auch im ganzen Gebäude an schwarzen Brettern an, vor denen sich sofort Menschentrauben bildeten. Ein Leser soll dabei gemurmelt haben: »Hier fehlt nur noch eine Frage.« Als nachgehakt wurde, was er denn meine, erwiderte er: »Mrs. Graham, wie befriedigend ist Ihr Sexualleben?« Verständlicherweise nutzte der Star alle sich bietenden Chancen. Irgendwann erfuhren wir, daß einige der Drucker, die normalerweise bei der Post tätig waren, jetzt für den Star arbeiteten - möglicherweise bis zu vierzig Leute. Wir fühlten uns nicht unbedingt wohler, als wir hörten, die Druckergewerkschaft verkünde vollmundig, daß der größte Teil der Einkünfte, die diese Männer beim Star erzielten, für die zentrale Streikkasse gespendet werde. Und doch überholten wir am 23. Oktober, nur drei Wochen nach Streikbeginn, den Star wieder, zumindest bei der Seitenzahl unserer Ausgaben. In der letzten Oktoberwoche wurde unsere Zeitung erstmals seit dem 1. Oktober wieder profitabel - eine bemerkenswerte Leistung. Ebenfalls bis zum Ende des Monats hatte der Star jedoch gegenüber dem gleichen Monat des Vorjahres eine Einnahmeverbesserung von 2 Millionen Dollar erreicht. Das Anzeigenaufkommen des Star hatte sich um zwei Millionen Zeilen verbessert - wobei viele der Anzeigen an den Star gegangen waren, weil die Post sie nicht drucken konnte. Zum ersten Mal seit fünf Jahren schrieb der Star im Oktober 1975 schwarze Zahlen. Sein Betriebsverlust hatte sich, wie die Post damals berichtete, auf fast 1 Million Dollar pro Monat belaufen; damit trug der Gewinn beim Anzeigenaufkommen sicher erheblich zur verbesserten Monatsbilanz bei.
Wir wußten aber, daß der Star trotz seines damaligen Einnahmeüberschusses noch immer 20 Millionen Dollar Schulden hatte. Allerdings wußten wir auch, daß Joe Allbritton über beträchtliche Finanzmittel verfügte, um solche Verluste auszugleichen. Unter dem falschen - auch vom Star in redaktionellen Beiträgen geförderten - Eindruck, wir als Goliath kämpften gegen einen tapferen kleinen David namens Druckergewerkschaft, schalteten sich immer mehr Gruppen und Einzelpersonen mit Vermittlungsversuchen ein. Wir sollten doch »vernünftig« sein und nachgeben. Mitte November gingen Mark, Don, Larry und ich zu den für Washington und Umgebung zuständigen Kongreßabgeordneten ins Kapitol. Deren Wähler waren schließlich vom Streik am meisten betroffen. Die Abgeordneten wollten sich als Vermittler einschalten, sich zuvor aber erst einmal gründlich informieren, worum es bei dem erbitterten Streik eigentlich ging. Als sie hörten, daß es sich bei der Druckergewerkschaft um eine rein männliche Gruppe von ausschließlich Weißen handelte, ließ ihr Enthusiasmus merklich nach. Während des ganzen Streiks spielte die Zeitdauer eine seltsame Rolle. Hätte mir jemand am Anfang erzählt, daß wir quer durch alle Abteilungen im ganzen Haus viereinhalb Monate später noch immer neben unserer regulären Arbeit bei der Herstellung der täglichen Zeitungsausgaben mithelfen müßten, hätte ich ihm nicht geglaubt. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß wir das so lange durchstehen könnten. Manchmal ist es wirklich besser, wenn man nicht weiß, was einem bevorsteht. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie jemand zum ersten Mal Thanksgiving (das amerikanische Erntedankfest Ende November) erwähnte; mein spontaner Gedanke war: »Das ist völlig unmöglich, wir können hier nicht noch an Thanksgiving so arbeiten wie jetzt, mit all dem Druck und all der Ungewißheit!« Doch Thanksgiving kam und ging. Und als jemand von Weihnachten sprach, dachte ich dasselbe. Während wir uns nun immer erfolgreicher in der täglichen Routine der Herstellung einer im Umfang ständig zunehmenden Zeitung einrichteten, schwand die Euphorie der Anfangszeit dahin. Dazu trugen nicht zuletzt Erschöpfung und Eintönigkeit bei. Ein Redakteur an den Druckmaschinen sagte, er verstehe jetzt langsam, wie sich Arbeiter fühlten, die ständig eine langweilige und undankbare, aber trotzdem schwierige Tätigkeit verrichten müßten, während Manager mit weißen Kragen in den oberen Etagen Entscheidungen träfen, die unmittelbare Auswirkungen auf ihr Leben und ihre Arbeit hätten.
Der Druck ließ zwar ein wenig nach, je erfolgreicher wir wurden, aber es gab immer noch keine Möglichkeit, vorherzusagen, wann und mit welchem Ergebnis das alles enden würde, und die Ängste und die Lebensqualität einer Tretmühle blieben uns erhalten. Unablässig sorgte ich mich, wir könnten durch die völlige Erschöpfung unserer kleinen Belegschaft letztlich doch noch gezwungen sein aufzugeben, zumal es immer schwerer wurde, die wenigen wirklich wichtigen Zusatzkräfte zu bekommen, die wir benötigten. Während der ganzen Zeit gingen natürlich die Verhandlungen mit der Gewerkschaft der Drucker weiter. Von Anfang an waren wir, wie Mark sagte, bereit, das hohe Einkommensniveau unserer Drucker unangetastet zu lassen und sogar die Überstundenzuschläge einzurechnen, die sie in der Vergangenheit aufgrund der absurden Arbeitszeitregelungen erzielt hatten. Was wir jedoch wieder unter Kontrolle bekommen müßten, seien jene Vereinbarungen, die eine erhebliche personelle Überbesetzung zur Folge hätten. Denn diese Praktiken gefährdeten insgesamt unsere Möglichkeiten, eine Qualitätszeitung herauszubringen. Kurz gesagt, wir versuchten, wie es Larry Wallace zusammenfaßte, durch die Tarifverhandlungen »ein gewisses Maß an Kontrolle über die Arbeitsabläufe in der Druckerei zurückzugewinnen, um sie effizienter, produktiver, kostengünstiger und rentabler zu machen«.
Unser früheres Angebot lag auf dem Tisch, und irgendwann Mitte November wurde eine Sitzung vereinbart, bei der die Gewerkschaft ihre Gegenvorschläge präsentieren sollte. In der Sitzung hieß es jedoch von Gewerkschaftsseite, man habe es sich anders überlegt und werde keine eigenen Vorschläge machen. Wir waren sehr erstaunt, denn zu diesem Zeitpunkt befand sich unser Blatt schon wieder in der Gewinnzone. Trotzdem hielten es die Drucker anscheinend immer noch nicht für nötig, Beweglichkeit zu signalisieren. Daher wurden die Gespräche wieder ausgesetzt, bis die Schlichtungsstelle weitere Verhandlungen für sinnvoll hielt. Zwischenzeitlich versuchten wir, die Verhandlungen mit den anderen Gewerkschaften voranzutreiben. Doch sie wollten lieber erst den Ausgang unserer Gespräche mit den Druckern abwarten, so daß sich ein Patt ergab. Währenddessen begann vor einem Geschworenengericht der Prozeß gegen die der Gewaltanwendung und Sachbeschädigung zu Streikbeginn angeklagten Drucker.
Alle Angeklagten beriefen sich auf ihr Recht, die Aussage zu verweigern, um sich nicht selbst zu belasten. Auch Dugan nahm dieses Recht in Anspruch und sagte, er habe keine persönliche Kenntnis von den gewalttätigen Vorfällen in der Druckerei. Von Anfang an behauptete er vielmehr, der Aufruhr sei nicht geplant gewesen; es habe sich »einfach um einen Wutausbruch von Facharbeitern« gehandelt, »die überarbeitet und frustriert waren«. Die Staatsanwälte erwogen, Strafminderung für Angaben zur Klärung des Tathergangs zu gewähren, drohten zugleich aber an, die Drucker wegen Mißachtung des Gerichts zu belangen, sollten diese weiterhin die Aussage verweigern. Wir schrieben schon Dezember, und immer noch war keine Bewegung erkennbar, obwohl wir inzwischen ein weiteres Angebot vorgelegt hatten, das von den Druckern jedoch einfach ignoriert worden war. Der Streik dauerte nun schon neun Wochen, und wir hatten mehrfach großzügige Sonderleistungen sowie bestimmte Arbeitsplatzgarantien und Sicherheiten gegen Zugeständnisse bei den nicht akzeptablen Praktiken am Arbeitsplatz angeboten. Da endlich machten auch die Drucker ein erstes Angebot - nicht einmal schriftlich, sondern mündlich. Sie schlugen allerdings nur eine einzige kleine Änderung der Arbeitsabläufe vor und beansprucht en dafür eine Lohnerhöhung von 37 Dollar pro Woche. Offensichtlich lagen unsere Vorstellungen immer noch weit auseinander. Der folgende Tag, der 4. Dezember, war insofern von Bedeutung, weil wir damals unser endgültiges Angebot vorlegten. Damit sich die Sache nicht noch weiter quälend hinzog, hatten wir uns entschieden, auf den Tisch zu legen, was Mark »das vollständige, definitive und letzte Angebot für eine friedliche Beilegung« nannte. Meiner Meinung nach handelte es sich um ein wirklich großzügiges Angebot.
Danach wäre der Jahresgrundlohn eines Druckers auf einen Schlag auf 17 318,60 Dollar angestiegen und damit höher gewesen als der Verdienst aller anderen Zeitungsdrucker im ganzen Land. Diese Lösung hätte den Druckern die Möglichkeit eröffnet, so viel zu verdienen, wie sie zuvor unter Einbeziehung aller Überstundenzuschläge durchschnittlich verdient hatten, ohne daß sie dafür noch Überstunden hätten leisten müssen. Sie hätten sinnvolle Arbeitszeiten und eine Fünftagewoche bekommen. Bei einer geringen Zahl von Überstunden hätten sie sogar noch mehr Geld in der Lohntüte gehabt als bisher. Mit diesem Vertrag wäre aber auch die Praxis der direkt aufeinanderfolgenden Schichten beendet worden. Wir versprachen Arbeitsplatzsicherheit und hielten fest, daß jeder Abbau von Arbeitskräften an den Druckmaschinen nur über die natürliche Fluktuation und nicht durch betriebsbedingte Kündigungen erfolgen solle. Zusätzlich wären weitere Gelder zu verteilen gewesen - für Überstunden, Urlaubsgeld und andere Zwecke, für die nochmals eine Pauschalsumme von 400 000 Dollar zur Verfügung gestanden hätte. Das war ein Angebot, mit dem die Drucker gut hätten leben können - und das sie besser angenommen hätten - aber auch eines, mit dem wir selbst gut hätten leben können. Und so sollte es bei einem unterschriftsreifen Angebot im Normalfall auch sein. Am Abend des Tages, an dem wir dieses endgültige Angebot vorgelegt hatten, hielten die Drucker eine Geheimsitzung ab, aber es kam keine Reaktion. Dugan gab sich wie immer arrogant, und er wurde auch persönlich ausfällig. Er bezeichnete Mark Meagher und Larry Wallace als Lügner und sagte ihnen, sie sollten »Katharine Graham ausrichten ... sie kann ihren Vertragsentwurf in den Papierkorb werfen«.
Wir hatten die Gewerkschaft gewarnt - und das war weder eine Drohung noch ein Trick -, daß es sich um das unserer Ansicht nach bestmögliche Angebot handelte. Und wir betonten erneut, wie wir es beharrlich schon die ganze Zeit getan hatten, daß für jene Drucker, die die Zerstörungen in unserer Druckerei verursacht hatten, eine Rückkehr an ihre Arbeitsplätze ausgeschlossen sei. Darüber sei mit uns nicht zu verhandeln. Lokal 6 der Druckergewerkschaft stimmte mit 249 zu 5 für die Ablehnung unseres Angebots. Warum nur akzeptierten die Drucker diesen Vertrag nicht? Ich bin sicher, daß es auf diese Frage so viele Antworten gibt wie an der Abstimmung beteiligte Drucker. Vielleicht wollten sie nur durchhalten und hofften, daß wir doch noch einknicken würden - in Erinnerung daran, daß dies bisher noch immer der Fall gewesen war. Jim Dugan selbst spielte bei der Entscheidung sicher eine wichtige Rolle - wie auch Charlie Davis von der Gewerkschaft der Klischeehersteller, sein treuester Gefolgsmann. Dugan war immer ein fähiger Führer gewesen, aber seit seinem vermeintlichen Sieg über John Prescott in der Nacht des wilden Streiks im Jahre 1973 neigte er zweifellos zur Selbstüberschätzung. Er glaubte anscheinend, er sei der starke Mann im Haus und es sei ihm jederzeit möglich, uns letztlich zum Nachgeben zu zwingen. Er vermittelte den Eindruck, als sei er darauf aus, dem Management der Washington Post Company ein für allemal klarzumachen, wer hier wirklich das Sagen hatte. Er verweigerte nicht nur jegliches Entgegenkommen, sondern wollte obendrein noch etwas hinzugewinnen. Während des gesamten Streiks wich die Gewerkschaft von dieser Einstellung keinen Deut ab. Bis zu einem gewissen Grad war Dugan Gefangener seiner eigenen Macht, seiner Erfolge in der Vergangenheit und jener Leute, die den Schaden in der Druckerei angerichtet hatten. Er mußte von uns die Wiedereinstellung dieser Drucker fordern, und wir mußten dieses Ansinnen genauso beharrlich ablehnen. Nachdem unser letztes Angebot von der Gewerkschaft mit überwältigender Mehrheit abgelehnt worden war, war nur noch die Frage, wann - und nicht mehr, ob - wir verkünden sollten, daß mit der Einstellung neuer Arbeitskräfte anstelle der Streikenden begonnen werde. Dies war der heikelste Augenblick des ganzen Streiks, davor hatten wir die größten Befürchtungen. Ich hatte keine Ahnung, wie die Guild, die Drucker und die vielen anderen Streikenden reagieren würden.
Wir sprachen über die anstehende Versammlung der Guild-Mitglieder und darüber, ob wir unser Schicksal herausfordern sollten, indem wir die Ankündigung direkt vor ihrer Sitzung machten, oder erst kurz danach. Aber einen perfekten Augenblick gab es eigentlich nicht. Schließlich entschied Mark, die Sache so schnell wie möglich voranzutreiben und unsere Entscheidung kurz vor der Guild-Versammlung bekanntzugeben. Ich machte mir große Sorgen, aber es zeigte sich, daß dies ein kluges und mutiges Vorgehen war. Drei Tage nachdem die Druckergewerkschaft unser endgültiges Angebot abgelehnt hatte, am 10. Dezember 1975, gingen Mark und ich vormittags in den fünften Stock, in den größten verfügbaren Redaktionsraum, zu einer Belegschaftsversammlung aller noch zur Arbeit Erschienenen. Dort verkündete ich unsere Absicht, neue Arbeitskräfte einzustellen. Zuvor erläuterte ich den Verlauf unserer Verhandlungen mit der Druckergewerkschaft bis zu unserem letzten Angebot. Ich beschrieb die Alternative, wenn wir jetzt keine neuen Drucker einstellen würden: Dann müßte die Zeitung weiterhin von einer bereits erschöpften Crew produziert werden - vielleicht noch monatelang. Ich betonte immer wieder, daß es, nach dem bisherigen Ablauf der Auseinandersetzung zu urteilen, keinerlei Anzeichen gebe, daß zehn weitere Wochen - oder gar zehn weitere Monate - mit Verhandlungen irgend etwas bewegen würden. Eine Fortsetzung der Verhandlungen würde wahrscheinlich nur zu weiteren fruchtlosen Debatten führen sowie zu, wie ich es damals in anderem Zusammenhang formulierte, »ungerechtfertigten Hoffnungen und zusätzlichen Verzögerungen beim Verhandlungsabschluß mit den anderen Gewerkschaften. Die Wahrheit lautet, daß es, soweit die Drucker betroffen sind, nun einfach zu spät ist.« Ich sagte den im Redaktionsraum Versammelten, die Mitglieder von Lokal 6 der Druckergewerkschaft würden alle schriftlich informiert werden, daß wir, sollte unser letztes Vertragsangebot nicht bis zum kommenden Sonntag um Mitternacht angenommen sein, damit beginnen müßten, die Arbeitsplätze auf Dauer neu zu besetzen. (Damit verblieb den Druckern eine letzte Frist von vier Tagen.) Ich fügte hinzu, daß die Drucker als Einzelpersonen - mit Ausnahme natürlich all jener, die sich bekanntermaßen an gewalttätigen Aktionen beteiligt hätten - weiterhin auf ihre Arbeitsplätze in der Druckerei zurückkehren könnten. Ich wolle auch versuchen, direkt mit den Mitgliedern der anderen am Herstellungsprozeß beteiligten Gewerkschaften zu sprechen, wobei ich betonte, wir wollten so schnell wie irgend möglich mit allen Einzelgewerkschaften, deren Verträge am 30. September ausgelaufen seien, zu neuen Abschlüssen kommen. Ich wußte, daß dieses Vorgehen vollkommen legal war, aber ich sagte den an diesem Vormittag Versammelten auch, daß es für mich persönlich wichtig sei, ebenfalls zu bedenken, ob es menschlich richtig sei. Gegen Ende meiner Rede sagte ich:
Wie die Entscheidungen, die jeder einzelne von Ihnen getroffen hat, als er oder sie sich entschloß, während des Streiks weiterzuarbeiten, war auch meine Entscheidung weder einfach noch leichtfertig. Und wie Ihre Entscheidungen hat auch die meine von mir erfordert, verschiedene Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten gegeneinander abzuwägen. Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß ich nicht guten Gewissens zulassen kann, daß eine Situation weiter andauert, in der sich Männer und Frauen in den Gewerkschaften unseres Hauses, von denen viele schon lange Jahre hier arbeiten, düsteren Zukunftsaussichten gegenübersehen, weil sie die Streikposten einer Gruppe von Männern respektieren müssen, die zu den höchstbezahlten Gewerkschaftsmitgliedern im ganzen Haus gehören. Diese Mitglieder unserer anderen Gewerkschaften haben schon auf Lohn in Höhe von vielen hunderttausend Dollar verzichtet - zugunsten von streikenden Druckern, die weiterhin für ihre Arbeit bei anderen Zeitungen Lohn erhalten ... die diese Situation durch unverantwortliche, gewalttätige Aktionen geschaffen haben... und die leichthin ein Angebot ausgeschlagen haben, das sie zu den landesweit bestbezahlten und finanziell am besten abgesicherten Mitgliedern ihrer Branche gemacht hätte.
Meine Rede endete mit den Worten:
Es ist ein ernüchternder Augenblick für dieses Haus und für uns alle. Über die Konsequenzen des Tuns, zu dem wir uns gezwungen sehen, haben wir eingehend nachgedacht. Ich glaube, wir haben getan, was verantwortungsbewußt und richtig ist: für die Zeitung, für die 2 000 Gewerkschaftsmitglieder, die hier arbeiten, für die Ehre der Firma und für die Gemeinschaft, der wir dienen.
Die Reaktion auf meine Rede war angespanntes Schweigen. Als nächster sprach Mark. Anschließend beantworteten wir noch einige Fragen und gingen dann fort. Am nächsten Tag erschien in der Post ein ganzseitiger offener Brief von Mark unter der Überschrift »Warum die Washington Post Maßnahmen ergriffen hat, den Streik zu beenden und zum normalen Produktionsverfahren zurückzukehren«. Dieser Beitrag stammte aus der Feder von Ted Van Dyk. Gleichzeitig erschien im Anzeigenteil eine Annonce, in der »zum sofortigen Arbeitsantritt« für die Druckerei der Post »erfahrenes oder unerfahrenes« Produktionspersonal gesucht wurde. Zu unserer Verwunderung standen schon in aller Frühe am nächsten Morgen ungefähr siebenhundert Bewerber vor dem Gebäude Schlange. Am Ende hatten wir tausend Bewerber, unter denen wir sehr sorgfältig und zunächst auch sehr langsam auswählten. Zum Zuge kamen sowohl Bewerber, die sich auf die Anzeige gemeldet hatten, als auch einige, die während des Streiks bereits in der Druckerei gearbeitet hatten. Als erster wurde ein Schwarzer eingestellt, der sich in eher exotischer Kleidung vor dem Haus angestellt hatte. Einer der ersten neuen Drucker war eine Frau, Diane EImore (heute Patterson), die zuvor in der Anzeigenakquisition gearbeitet hatte. Während des Streiks hatte sie die Druckmaschinen bedient und so viel Gefallen daran gefunden, daß sie sich für den Arbeitsplatzwechsel entschied. Inzwischen ist sie stellvertretende Leiterin im Versandraum unserer Druckerei in Springfield. Auch verschiedene Vietnamesen, die in den unterschiedlichsten Abteilungen unseres Hauses mit Zeitverträgen angestellt waren, wurden berücksichtigt und gehörten schon nach kurzer Zeit zu unseren besten Druckern überhaupt. Es war gut, daß Jim Cooper sich auf meiner Farm in Virginia mit sechs Schichtleitern unserer Druckerei getroffen hatte, die Gewerkschaftsmitglieder waren. Er hatte sie gebeten, an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren, und sie hatten eingewilligt, aber erst, als die Tarifverhandlungen mit den Druckern rettungslos festgefahren waren und wir begonnen hatten, neues Personal einzustellen. Sie halfen schließlich dabei, die Neuen einzuarbeiten. Ihre Rückkehr bedeutete für uns einen großen Schritt voran, fiel ihnen aber sichtlich schwer: An den ersten Arbeitstagen nach der Rückkehr sahen sie sehr mitgenommen und blaß aus und wirkten verängstigt. Die befürchteten Konfrontationen zwischen Streikposten und Stellenbewerbern blieben übrigens zu unserer großen Überraschung und Erleichterung aus.
Nach unserer Ankündigung, wir würden neues Personal einstellen, wuchs der Druck von außen. Mark, Don und ich wurden vor den Washingtoner Stadtrat zitiert, um Rede und Antwort zu stehen. Auch Dugan hatte um ein Treffen mit dem Stadtrat gebeten und dabei tatsächlich gesagt: »Ich habe auch mal in Washington gewohnt, was immer das wert sein mag.« Der Ratsvorsitzende Sterling Tucker hatte ihn abblitzen lassen: »Das ist überhaupt nichts wert.« Wiederum half uns die Rassenfrage gegen die im allgemeinen gewerkschaftsfreundlichen Vorurteile. Denn als wir Tucker informierten, daß es in der Druckergewerkschaft keine schwarzen Mitglieder gebe, sah er sie als rassistische Vereinigung an und beschloß, den Druckern jede Hilfestellung zu versagen. Um diese Zeit inszenierten mehr als 1500 Demonstranten einen Protestzug am Post-Gebäude vorbei, um ihre Solidarität mit den Gewerkschaften zu bekunden. Verschiedene von uns versammelten sich diskret an einem Fenster in den oberen Stockwerken, um den herannahenden Demonstrationszug zu beobachten. Charlie Davis war an der Spitze des Zuges mit einem Plakat zu sehen, auf dem in großen Buchstaben stand: »Phil erschoß den falschen Graham«. Ich zuckte zusammen und lief bestürzt vom Fenster weg. Kaum zu glauben, daß Charlie und ich einst entspannt und immer zu Scherzen aufgelegt miteinander umgegangen waren. Seltsamerweise schienen sich die Drucker immer noch nicht bedroht zu fühlen - nicht einmal nachdem wir mit der Einstellung neuer Mitarbeiter begonnen hatten. Sie verhielten sich, als glaubten sie wirklich, es sei nur eine Frage der Zeit, bis sie an ihre Arbeitsplätze zurückkehren könnten. In mancherlei Hinsicht wirft diese Einstellung ein bezeichnendes Licht darauf, wie sehr Dugan den Kontakt mit der Realität verloren hatte. Schon von Anfang an hielt er es anscheinend nicht für denkbar, daß wir die Druckmaschinen auch ohne die Streikenden bedienen könnten. Unsere Erfolge nahm er einfach nicht zur Kenntnis und bestritt sie immer wieder vehement. Obwohl die Streikenden allem Anschein nach glaubten, daß die Zeit für sie arbeite, appellierten sie an George Meany, den mächtigen Boß des Gewerkschaftsdachverbandes AFLCIO, und baten ihn um Hilfe. Er rief mich an und sagte: »Katharine, die Drucker haben mich angerufen und wollen, daß ich mit dir spreche.« Ich gestehe, daß mir das Herz bei diesem Anruf in die Hose rutschte. Meany hätte uns durch Boykottaufrufe und Entfesselung politischen Drucks wirklich ernsthaft schaden können, wenn er sich hinter die Drucker gestellt hätte. Er fragte mich, ob ich wolle, daß er zu einem Gespräch zu mir ins Post-Gebäude komme. Ich kannte Meany schon durch meinen Vater, der mit ihm zusammen im War Labor Board gesessen hatte, ich respektierte ihn, und ich mochte ihn gern. Weil mir klar war, daß er es sich unmöglich leisten konnte, durch die Kette der Streikposten ins Gebäude der Post zu kommen, sagte ich, ich würde zu ihm kommen. Meanys Büro lag nur wenige Straßen weiter. Am 17. Dezember suchte ich ihn gemeinsam mit Mark dort auf. Nachdem wir Platz genommen hatten, kam George sofort zur Sache und fragte: »Würdest du die Drucker wieder einstellen, wenn sie die Reparaturkosten bezahlen?«
»Nein«, antwortete ich klar und deutlich. »Die Druckmaschinen sind längst repariert. Und wir haben auch bereits die Hälfte der benötigten Mitarbeiter neu eingestellt. Für eine Rückkehr ist es schon zu spät. Wir können sie nicht Seite an Seite mit gewerkschaftlich nicht organisierten Leuten arbeiten lassen.« Nun folgte Frage auf Frage, und jede begann mit »Würdest du die Drucker wieder einstellen, wenn ... « Ich erklärte unermüdlich, daß wir den Rubikon überschritten hätten.
Wir hätten ihnen Brücken gebaut, und sie hätten auf unsere Verhandlungsangebote nicht reagiert. Jetzt hätten wir uns für einen anderen Weg entschieden. Schließlich stellte er die letzte, schwierigste Frage: »Was würdest du tun, wenn sie dein letztes Vertragsangebot annähmen?« Juristisch gesehen, wären sie dann jederzeit für die noch verbliebenen Arbeitsplätze in Frage gekommen. Ich holte tief Luft, verließ mich auf meine Intuition und antwortete: »Ich glaube, dann würde ich mir die Kehle durchschneiden!« Einen Augenblick lang herrschte lähmende Stille, während George mich anstarrte und Mark in sich zusammensackte. Es sah aus, als würde er jeden Augenblick von dem Sofa fallen, auf dem wir beide saßen. Aber ich kannte George gut und wußte, daß ich mich mit ihm messen konnte. Außerdem hatte ich die Wahrheit gesagt. Ich wußte, daß er schon verstehen werde, was ich meinte. Er war ein sehr politischer Mensch und hatte empfindliche Antennen. Schließlich resümierte er traurig: »Nun, ich habe den Druckern meine Hilfe angeboten, als dieser Streik losging. Ich habe ihnen ein Telegramm geschickt, und sie haben nie geantwortet. Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie Leute ihre eigenen Werkzeuge und Arbeitsplätze zerstören können. Das habe ich nie gebilligt. Das hätte es zu meiner Zeit auch nie gegeben.« Wir redeten noch einen Augenblick zusammen, und dann erhoben sich Mark und ich, um zu gehen. Mit langsamen Schritten und sorgenvoller Miene begleitete uns Meany hinaus. Als wir schon im Aufzug waren, rief er mir nach: »Die Post ist eine großartige Zeitung. Ich habe deinen Vater gut gekannt und mochte ihn gern.«
Kurz vor Weihnachten hatten wir den ersten Einbruch an der Streikfront zu verzeichnen, als die Papierrolleneinleger als erste Gewerkschaft einen neuen Tarifvertrag unterzeichneten. Sie waren für den Transport und das Einlegen der riesigen Zeitungspapierrollen in die Druckmaschinen zuständig - ein Job, den während des Streiks Don Graham, Mark Meagher und einige andere erledigt hatten. In der Öffentlichkeit ließ sich diese Rückkehr einer kleinen Spezialgewerkschaft nicht unbedingt als der große Erfolg verkaufen, der es de facto war. Denn die Gewerkschaften der Drucker und anderer Branchen sahen auf diese Leute herab - es handelte sich im wesentlichen um ungelernte schwarze Arbeiter. Trotzdem war es aus unserer Sicht ein Umschwung, daß sie auf ihre Arbeitsplätze zurückkehrten, und wir waren erheblich erleichtert. Gleichzeitig weigerte sich der Regionaldirektor des National Labor Relations Board, eine Beschwerde der Druckergewerkschaft offiziell entgegenzunehmen, in der uns Verzögerungs- und Hinhaltetaktik vorgeworfen wurde. Auch wurde geklagt, wir würden nicht vertrauensvoll mit ihnen verhandeln. Trotzdem war die Anspannung immer noch hoch. Die Frauen der Drucker begannen, mir zu schreiben. Heiligabend - ein Tag, an dem ich niemals geglaubt hätte, immer noch in diesen Streik verwickelt zu sein - war für uns alle besonders hart.
Bens alljährlicher Brief an mich war bitter und zugleich verständnisvoll. Er habe das Gefühl, schrieb er, ich würde »in meinem Leben nie wieder etwas Schwierigeres tun« als gerade jetzt. Wie recht er doch hatte! Sein eigener Neujahrswunsch lautete, das Durcheinander möge doch möglichst schnell beendet sein, »damit wir uns wieder auf unsere eigentliche Aufgabe konzentrieren können, ohne Kompromisse und Bedrohungen die beste Zeitung der Welt herauszubringen«. Ich glaube, Ben litt besonders unter dem Streik. Wie er später eingestand, hatte er mit Gewerkschaften »nie viel im Sinn gehabt«. Und während ich in den Streikmonaten im wesentlichen von Gleichgesinnten umgeben war, hatte er sich in der Redaktion unablässig mit Leuten herumzuschlagen, die nur unter größten Gewissensqualen arbeiten konnten und ständig Seelenmassage benötigten. In meinem Antwortbrief ließ ich Ben wissen, wie meiner Meinung nach alles enden werde: »Ich weiß, es wird gut ausgehen - in jeder Hinsicht besser, als Du denkst. Ich bete darum, daß in Kürze alles zu Ende sein möge; aber es wäre fatal, die Ruhe zu verlieren und die Entwicklung übermäßig zu forcieren.« An Silvester erschien im Star zu meinem großen Befremden ein offener Brief von einer Gruppe, die sich »Exekutivausschuß des Komitees für eine faire Lösung« nannte. In diesem Brief wurden Verhandlungen rund um die Uhr unter Aufsicht und Vermittlung des Federal Mediation Service gefordert und, sollten diese Verhandlungen scheitern, eine Zwangsschlichtung mit verbindlichem Schiedsspruch. Unterstützt wurde der Aufruf von George Meany, unterzeichnet war er von hundert Leuten, darunter vielen Vorsitzenden von Bürgerinitiativen sowie Liberalen. Zu den Unterzeichnern gehörten: Reverend Walter Fauntroy, Monsignore George Higgins von der Catholic Conference, Leon Keyserling, der frühere Vorsitzende des Council of Economic Advisers, Right Reverend John Walker, Bischof an der Washington National Cathedral, Senator Hubert Humphrey und der Abgeordnete John Brademas, der mir später schrieb, sein Name sei ohne seine Einwilligung verwendet worden. Ich glaube, daß alle Unterzeichner benutzt wurden, obwohl viele es gar nicht merkten. Sie meinten, eine neutrale Position zu vertreten: Wir hätten den Streik gewonnen, sollten jetzt aber das bereits Gewonnene nochmals einem Schiedsspruch unterwerfen. Doch das war weder logisch noch neutral. Worum es bei dem Streik wirklich ging, war ihnen nicht klar, sondern sie hatten sich einfach von der Gewerkschaft düpieren lassen. Bezahlt hatte das Inserat die Newspaper Guild, wie auf einer Pressekonferenz deutlich wurde, die am Erscheinungstag der Anzeige von den Mitgliedern jenes Komitees veranstaltet wurde, das sie aufgegeben hatte. Verschiedenen Unterzeichnern, die ich mehr oder weniger gut kannte, darunter auch Hubert Humphrey, schrieb ich Briefe, in denen ich meine Enttäuschung darüber zum Ausdruck brachte, daß sie ihren Namen hergegeben hatten, ohne sich zuvor wenigstens über unsere Sicht der Dinge informiert zu haben. Hubert schrieb sofort zurück und betonte, er habe gedacht, daß der offene Brief lediglich einen Appell an die Post und die Gewerkschaften darstelle, sich ernsthaft um die Beilegung des Konflikts zu bemühen. Auch halte er diesen Appell immer noch nicht für eine parteiische Äußerung. Er fügte jedoch hinzu: »Vielleicht hätte ich mich doch besser heraushalten sollen ... « und entschuldigte sich für den Fall, daß er mich durch sein unbedachtes und voreiliges Handeln verletzt hätte, ohne es zu wollen. Auch an Bischof Walker schieb ich und schickte ihm ein Exemplar eines Päckchens, das im gesamten Großraum Washington von einer Gruppe verschickt wurde, die sich Post Unions United nannte. Darin enthalten waren ein Exemplar des offenen Briefes, eine vorbereitete Postkarte an die Post für eine Kündigung des Abonnements sowie eine Bestellkarte für ein Star-Abonnement (Porto bereits bezahlt). Diese Fakten sprächen für sich, schrieb ich, »und für eine Zwangsschlichtung besteht auch kein Grund, denn die Angelegenheit fällt von Rechts wegen in den Verantwortungsbereich der beiden Tarifparteien«. Bischof Walker antwortete mir, über die Untergrabung der ursprünglichen Zielsetzung des offenen Briefes sei er zutiefst beunruhigt. Er werde bei dem für den Aufruf verantwortlichen Komitee seine Unterschrift zurückziehen.
Mein guter alter Freund Joe Rauh, der die Anzeige im Star ebenfalls unterzeichnet hatte, verstärkte meine Sorgen eher noch, als er zu mir kam und seiner Befürchtung Ausdruck verlieh, meine Sturheit gegenüber der Druckergewerkschaft habe zur Folge, daß »zwischen natürliche Verbündete ein Keil getrieben« werde. Damit meinte er die Koalition aus Gewerkschaften und Liberalen. Drei Stunden lang saßen wir eines Nachmittags in meinem Haus beisammen: Er argumentierte für die Notwendigkeit, die Druckergewerkschaft wieder an die Arbeitsplätze zurückkehren zu lassen, während ich zu erklären versuchte, warum das nun nicht mehr möglich sei. Meine Differenzen mit Joe werfen ein Schlaglicht auf die Ironie dieses Arbeitskampfes. Ich tat mich schwer damit, plötzlich dem Antigewerkschaftslager zugerechnet zu werden, und es berührte mich seltsam, auf einmal von vielen Leuten unterstützt zu werden, die normalerweise genau entgegengesetzte Positionen vertraten. Das galt natürlich auch umgekehrt, denn viele meiner Freunde waren jetzt deutlich anderer Meinung als ich. Bis zum 6. Januar 1976 hatten wir 107 Mitarbeiter als Ersatz für die streikenden Drucker auf Dauer neu eingestellt. Das Verhältnis von Weißen zu Nichtweißen betrug jetzt ungefähr fünfzig zu fünfzig; fast 10 Prozent der Neuen waren Frauen. Neben der Aufgabe, diese Leute einzuarbeiten, war unser wichtigstes Anliegen nun, die anderen Gewerkschaften zur Rückkehr zu bewegen. Dabei hatte es noch keine allzu großen Fortschritte gegeben. Die Papierrolleneinleger hatten zwar für eine Rückkehr an die Arbeitsplätze gestimmt, waren aber wegen Zwistigkeiten mit übergeordneten Ebenen ihrer Gewerkschaft noch nicht wieder zur Arbeit erschienen. Einige wenige Arbeiter aus den Herstellungsabteilungen waren aus eigenem Antrieb zurückgekehrt, aber die große Mehrzahl der Arbeiter streikte noch immer oder blieb aus Solidarität mit den Streikenden der Arbeit fern. Mitte Januar reichte die örtliche Druckergewerkschaft sogar eine Schadensersatzklage über 20 Millionen Dollar gegen die Post ein. Begründung: Die Zeitung habe sich verschworen, »die Gewerkschaft letztlich vollständig zu zerschlagen«. Der ganze emotionale Streß des Streiks und die Verletzungen auf beiden Seiten kamen am 10. Februar gebündelt zusammen, als einer der streikenden Drucker, John Clauss, Selbstmord beging. Das Coordinating Committee of the Alliance for Labor and Community Action (Koordinationsstelle der Allianz für gemeinsame gewerkschaftliche und kommunale Aktionen) schickte mir sofort ein Telegramm, in dem es hieß: »Sie sind für den Tod des Druckers bei der Post, John Clauss, verantwortlich.«
Als Ihre Gier nach höheren Gewinnen Sie zu der Entscheidung veranlaßte, die Gewerkschaften zu zerschlagen, haben (Sie) damit auch die moralische Verantwortung für all die unvermeidlichen menschlichen Folgen dieser Entscheidung übernommen. Ihr feiger, niederträchtiger Versuch, sich aus dieser moralischen Verantwortung davonzustehlen, indem Sie in Ihrer Zeitung schreiben: »Er hatte Angst, die Kette der gewerkschaftlichen Streikposten zu durchqueren«, war die schlimmste Beleidigung, die Sie einem Mann und seiner Familie antun konnten, der sich seit über dreißig Jahren intensiv für die Gewerkschaften engagiert hat - neunzehn davon bei der Post. Alles Geld, alle Lügen und alle bezahlten Handlanger, die Sie und Ihre Kohorten aufzubieten in der Lage sind, werden es nicht schaffen, daß Sie sich dieser Tatsache entziehen können, die tief in die Herzen der Arbeiter und ihrer Familien eingebrannt ist: John Clauss' Blut klebt an Ihren Händen.
Ich entwarf eine Antwort, die ich jedoch niemals abgeschickt habe vielleicht, weil ich versuchte, in einem emotional aufgeladenen Umfeld rational zu bleiben. Ich wollte eigentlich nur darauf hinweisen, daß der Grund für das Zitat und für den in der Post erschienenen Beitrag darin bestehe, daß John Clauss selbst den beanstandeten Satz in seinem Abschiedsbrief geschrieben hatte. Letztlich sah ich aber keinen Sinn in einer Antwort auf die aus meiner Sicht maßlosen und unbegründeten Anschuldigungen.
Der 15. Februar war wohl der entscheidende Tag für den Umschwung in der Streikbewegung. Die Gewerkschaft der Versandarbeiter stimmte mit 129 zu 58 für die Annahme eines neuen Tarifvertrages. Ihre Mitglieder erschienen am folgenden Abend wieder zur Arbeit. Am 17. Februar entschied sich die Gewerkschaftseinheit der Klischeehersteller bei der Post für einen neuen Vertrag und die Rückkehr zur Arbeit einige Tage darauf. Gemeinsam mit ihnen erschienen auch die Setzer wieder am Arbeitsplatz, die offiziell nicht gestreikt hatten, weil sie bereits einen neuen Tarifvertrag abgeschlossen hatten; aus Solidarität waren sie der Arbeit allerdings trotzdem ferngeblieben. Es liefen immer noch Verhandlungen mit drei Gruppen: den Mechanikern (die den Streik bis zum 1. März durchhielten), den Maschinisten (von denen die Mehrheit bereits wieder arbeitete) und den Arbeitern der Gebäudeinstandhaltung. Ende Februar schrieb unser Reporter Bob Kaiser, der über den Streik berichtet hatte, einen langen Beitrag über alles Geschehene, der fast den ganzen »Outlook«-Teil des Blattes einnahm. Als bemerkenswert unparteiische und ausgewogene Reportage erhielt dieser Artikel von allen Seiten viel Beifall. Ich stimmte nicht mit allem überein, was Bob schrieb, aber ich glaube, Zeitungen müssen damit leben können, daß sie auch selbst zum Gegenstand der Berichterstattung werden. Darüber hinaus hatte der Streik im Lauf der Monate natürlich ein lebhaftes Echo in der gesamten Presse gefunden. Wie zu erwarten war, reichte der Tenor dieser Berichte von extrem positiv bis extrem negativ. Bis zum 1. März war der Streik im wesentlichen vorbei. Wir hatten einen äußerst schwierigen Drahtseilakt hinter uns, aber zum Glück die Balance gehalten und das andere Ende erreicht. Mit Ausnahme der Drucker waren alle Gewerkschaften an ihre Arbeitsplätze zurückgekommen.
Am Ende kehrten auch zweiundzwanzig Drucker (einschließlich der schon erwähnten Schichtleiter) als Einzelpersonen zurück; die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Drucker hatte jedoch mehr als zweihundert betragen. Von den mit den Druckern gewerkschaftlich verbundenen dreiundvierzig Materngießern kamen achtundzwanzig wieder. Einige Drucker konnten sich aus weltanschaulichen Gründen und aus Gewerkschaftsloyalität nicht zur Rückkehr entschließen; andere hatten sicher auch Angst. Ich weiß, daß Hoot Gibson, einer der Vorarbeiter in der Druckerei, die zu uns zurückkehrten, zunächst ebenfalls Angst vor Vergeltungsmaßnahmen hatte. Als ich ihn fragte, was seiner Meinung nach geschehen oder was die Gewerkschaft ihm antun könne, antwortete er in der bedächtigen Redeweise seiner Heimat West Virginia: »Alles, wirklich alles. Sie können deinen Hund töten oder dein Pferd.« Am Morgen seiner Rückkehr hatte ich mit Hoot ein langes Gespräch geführt, das mir seither nicht aus dem Kopf will. Es ging darum, was uns überhaupt in diese schrecklich verzwickte Lage gebracht habe. Hoot erinnerte sich an die früheren Zeiten bei der Post und an das alte Gebäude in der E Street. Damals »hat uns allen die Arbeit Spaß gemacht, und wir hatten auch viel Freude miteinander«, erinnerte er sich. »Wir kamen schon eine Viertelstunde früher, nur um uns gegenseitig zu einem Schwätzchen zu verleiten, ehe die Arbeit losging.« Und er betonte, wieviel leichter es gewesen sei, sich gegenseitig kennenzulernen, als die Zeitung noch klein war. In diesem Zusammenhang ist sicher die Tatsache auch nicht unerheblich, daß am einen Abend dreiundzwanzig Aushilfskräfte die Arbeit im Versandraum erledigten, während am Abend darauf neunundsechzig reguläre Belegschaftsmitglieder dieselbe Arbeit verrichteten.
Mit den zur Arbeit Zurückkehrenden verfuhren wir behutsam und umsichtig; Leute, die für ihre Entscheidung etwas länger brauchten, wurden nicht ungebührlich unter Druck gesetzt. Wir wollten Wunden heilen lassen, nicht neue schaffen. Darum gaben wir uns Mühe, jeden Rückkehrer im Hause willkommen zu heißen. Triumphgehabe war verpönt. Es blieben zwar bei der Post auch weiterhin Ungewißheiten, etwa die Kosten für Abfindungszahlungen an etliche Drucker und die Frage, ob und wie es gelingen werde, das während des Streiks verlorengegangene Anzeigenaufkommen zurückzugewinnen, aber wir hatten nun unseren normalen Arbeitsrhythmus halbwegs wiedergefunden. Trotz der drei Streikmonate am Jahresende hatten wir das Jahr 1975 sogar mit einer Steigerung des Marktanteils der Post bei den Sonntagszeitungen in Washington abgeschlossen; und das gesamte Jahresaufkommen bei den Anzeigen war nur um 2 Prozent gesunken. Auf dem Weg zur Arbeit mußten wir weiterhin ein zunehmend verlorenes Häuflein von Streikposten passieren - ein schrecklich deprimierender Anblick. Und noch monatelang stellten die Frauen und Kinder der Drucker sich sonntags vor meinem Haus in Georgetown auf, so daß ich, wann immer ich wegfuhr oder ankam, stets an ihrer traurigen Phalanx vorbei mußte.
Dieser Anblick setzte mir mehr zu, als andere sich je vorstellen können. Die Streikposten vor dem Post-Gebäude zogen erst im Mai 1977 endgültig ab. Die Drucker bedrängten uns weiterhin entschlossen. Bei der Premiere des Films All the President's Men (Die Unbestechlichen) marschierten Streikposten vor dem Kino auf und ab. Und als ich bei einer Veranstaltung zur Zweihundertjahrfeier der USA am Washington Monument sprach, tauchten im Publikum verborgene Drucker plötzlich auf und machten ein solches Spektakel, daß meine Worte im Lärm untergingen. Ich bemühte mich mehrfach, mit meiner Rede fortzufahren, aber als ich merkte, daß alles umsonst war, sagte ich nur noch, wir sollten uns alle an den Händen fassen und »God Bless America« singen - wie es für das Ende der Kundgebung ohnehin vorgesehen war. Wenigstens das gelang. Die Sache ging mir natürlich ziemlich auf die Nerven, und ich verließ die Veranstaltung so schnell wie möglich. Im Juni 1976 wurde die Rechtmäßigkeit unserer Aktionen gerichtlich bestätigt, als Richter Leonard Braman vom Superior Court of Justice nach fünftägiger mündlicher Verhandlung unserem Antrag stattgab und eine unbefristete Unterlassungsverfügung gegen Lokal 6 der Druckergewerkschaft erließ. In seinem Urteil (»Findings of Fact and Conclusions of Law«) ging der Richter mit der Gewerkschaft hart ins Gericht. Er sagte im wesentlichen, Lokal 6 habe bei den Aktionen seiner Streikposten den Rahmen der verfassungsmäßig garantierten Redefreiheit weit überschritten. Diese Aktionen seien »über die Grenzen der geschützten Kommunikation hinausgegangen, und mit der mündlichen Meinungsäußerung waren Zwangshandlungen vermischt«. Im Juli wurden sieben ehemalige Mitarbeiter aus der Druckerei der Post wegen ihrer Rolle bei den Gewaltaktionen zu Streikbeginn vor einem Geschworenengericht des Bundes angeklagt.
Vier von ihnen wurden auch der Körperverletzung beschuldigt, weil sie den Aufseher Jim Hover zusammengeschlagen hatten. Bei einem dieser Angeklagten handelte es sich um einen mutmaßlichen Mafia-Schläger, allerdings aus den unteren Rängen. Eine Woche später wurden nochmals acht ehemalige Drucker angeklagt, diesmal wegen Sachbeschädigung. Im April 1977, anderthalb Jahre nach Streikbeginn, bekannten sich diese fünfzehn Männer vor Gericht einer ganzen Reihe von Vergehen schuldig - von Tätlichkeiten über Sachbeschädigung bis zum Hausfriedensbruch. Sechs mußten ins Gefängnis, der Rest erhielt Bewährungs- und Geldstrafen. Das Strafmaß war verhältnismäßig gering, weil die Staatsanwaltschaft zuvor Strafmilderung bei Aussagebereitschaft zugesagt hatte. Doch ich war froh, daß es mir auf diese Weise erspart blieb, all die alten aufwühlenden Emotionen bei einer Zeugenaussage im Gerichtssaal nochmals durchleben zu müssen. Dugan hatte eine schwere Niederlage hinnehmen müssen, aber auch er war in mancherlei Hinsicht selbst ein Opfer ein Opfer seiner früheren Erfolge und seiner unverschämten Verbohrtheit. Im Juni 1976 scheiterte er bei dem Versuch, sich zum Vorsitzenden der Drucker von Lokal 6 wiederwählen zu lassen. Brian Flores, der Guild-Stratege, der auch die Versammlungen dieser Gewerkschaft bei der Post geleitet hatte, erlitt ebenfalls sein Waterloo. Als die örtlichen Führer der Guild versuchten, Disziplinarmaßnahmen gegen jene Mitglieder zu ergreifen, die trotz Streikposten zur Arbeit gegangen waren, und diesen Leuten nicht einmal erlauben wollten, einen Anwalt mitzubringen, weil alles gewerkschaftsintern geregelt werden sollte, gab es eine Protestbewegung - mit dem Ziel, die Guild ganz aus Washington zu verdrängen.
Ein Drittel der achthundert Guild-Mitglieder trat aus und gründete eine neue Gewerkschaft, die Washington Newspaper Union. Diese versuchte sogar, die Guild als Ansprechpartner für Tarifverhandlungen zu ersetzen, und erlitt bei diesem Konkurrenzkampf eine denkbar knappe Niederlage. Allerdings war man nun in den überregionalen Gremien der Newspaper Guild aufgeschreckt und sah, daß die Gefahr bestand, das Terrain bei der Post ganz zu verlieren, wenn man nichts unternähme. Daher überredeten die Gewerkschaftsoberen Flores zum Rücktritt und ersetzten ihn durch einen anderen Funktionär. Wir hatten einen Streik durchgestanden, den wir nicht gewollt und den wir nicht unter Kontrolle gehabt hatten. Aber die Post hatte diese entscheidende Probe überlebt. Gleichwohl gab es keinen »klaren, eindeutigen Sieg« weder für die Post, noch für die Gewerkschaftsmitglieder, noch für die Washingtoner insgesamt. Es war ein schmerzlicher Sieg, der die Belegschaft der Zeitung spaltete und ein falsches Wir-Gefühl schuf, einen Gegensatz von »wir« und »die da«. Fast zweihundert Leute verloren ihren Arbeitsplatz, ein Arbeiter beging Selbstmord. Für viel zu viele Männer und ihre Familien ergaben sich traurige, schwerwiegende Konsequenzen. Ich persönlich wollte den Streik nicht. Ich weiß, daß viele meinen, ich hätte es absichtlich auf diese Konfrontation angelegt, um eine Gewerkschaft zu zerschlagen. Aber das war wirklich nicht der Fall. Und hätte ich es tatsächlich gewollt, hätte es nicht funktioniert. Allerdings hatte ich wie alle im Haus, denen daran lag, eine Qualitätszeitung herzustellen und sie pünktlich herauszubringen, ohne jeden Zweifel restlos genug gehabt von der Tyrannei der Druckergewerkschaft, unter der wir jahrelang gelitten hatten.
Dennoch hatte ich nicht im Traum geglaubt, daß es möglich sein würde, unsere Drucker durch andere zu ersetzen - ja, ich hatte das nicht einmal für wünschenswert gehalten. Die meisten Mitarbeiter bei der Post werden noch heute von Gewerkschaften vertreten. Ich hatte es ja schon in einem frühen Stadium des Streiks gesagt: »Die Washington Post hat lange und in allen Ehren mit ihren Gewerkschaften zusammengelebt.« Überdies versicherten Mark und ich während des Streiks wiederholt, daß wir der Ansicht seien, auch die Post profitiere von »starken, gesunden Gewerkschaften«. Davon war ich damals überzeugt und bin es noch heute, als Verlegerin und auch persönlich. Mein Vater war der einzige Verleger, der jemals zum Ehrenmitglied von Lokal 6 der Druckergewerkschaft ernannt wurde. Ich selbst war in einem Zeitalter aufgewachsen, in dem die Gewerkschaften stark waren, und eine meiner ersten beruflichen Ambitionen war es gewesen, als Zeitungsreporterin in San Francisco aus Gewerkschaftssicht von Arbeitskämpfen zu berichten. Und doch bin ich ebenso fest davon überzeugt, daß Gewerkschaften konstruktiv bleiben müssen und daß es Bereiche gibt, in denen Gewerkschaften eher fehl am Platze sind. Wozu ich ohne Wenn und Aber stehe, ist die Aussage, daß wir keine andere Wahl hatten, als das zu tun, was wir taten.
Die Zukunft der Post und die der Washington Post Company standen auf dem Spiel. Ich wußte, daß wir unbedingt eine reibungslos funktionierende Herstellung brauchten davon hingen unser aller Arbeitsplätze ab. Ich wußte, daß wir Managementbefugnisse zurückgewinnen mußten, die aufgrund früherer Versäumnisse und Fehler jahrelang ausgehöhlt worden waren. Ich habe immer gedacht, daß die Schuld dafür auf beiden Seiten lag. Für einige der Managementprobleme, die dazu führten, daß wir die Kontrolle über die Arbeitsabläufe in der Druckerei verloren hatten, übernehme ich persönlich die Verantwortung. Andere Probleme hatte ich schon ererbt. Doch wo auch immer die Wurzeln der Schwierigkeiten lagen, ich wußte, daß es allerhöchste Zeit war, diese Fehlentwicklungen zu korrigieren. Wir strebten eine einvernehmliche und großzügige, aber auch verantwortungsbewußte Regelung mit den Gewerkschaften an. Die Drucker sollten nicht einfach Rechte aufgeben, sondern dafür auch eine faire Gegenleistung erhalten. Indes, die Gewerkschaften, zumindest ihre radikalen Führer, standen leider auf dem Standpunkt: »Was wir besitzen, bleibt unangetastet, und über das, was ihr habt, verhandeln wir.« Obwohl ich für die Entscheidung vieler Drucker Verständnis aufbrachte, lieber ihrer Gewerkschaft die Treue zu halten, als ohne Gewerkschaftsbindung an ihren alten Arbeitsplatz zurückzukehren, glaube ich doch, daß die Einstellung, eine Gewerkschaft habe immer recht, egal, was sie sagt und tut, das Opfer der beruflichen Existenz nicht wert ist. Ich hätte mir gewünscht, die Drucker hätten zunächst ihre Gewerkschaftsführung zu verantwortungsvollerem Handeln bewegt. Für den Fall, daß das nicht gelungen wäre, hätte ich mir gewünscht, sie wären jeder für sich auf ihre Arbeitsplätze zurückgekehrt. Doch leider sprangen viele mit Dugan in den Abgrund. In mancher Hinsicht bekamen wir zufällig etwas, das nur wenigen im Leben je vergönnt ist: die Chance eines völligen Neubeginns. Wir hatten diesen Streik nicht gesucht, aber er war gleichwohl längst überfällig gewesen. Damals sagte ich Ben, der Streik sei, so seltsam es klinge, »ein wirtschaftliches Watergate«: Er sei unverhofft über uns gekommen, aber nun müsse die Sache durchgezogen werden. Was wir in vielen kleinen Schritten über Jahre hin hatten erreichen wollen, waren wir jetzt gezwungen, auf einen Schlag zu erringen.
Obwohl der Streik bei der Washington Post im Februar 1976 weitgehend gelaufen war, sind seine Nachwirkungen bis heute zu spüren. Wir lernten viele notwendige, wenn auch schmerzliche Lektionen darüber, wie unentbehrlich starke, mitfühlende Manager sind, die ihr Handwerk und ihren Aufgabenbereich verstehen, die mit der Belegschaft umgehen können und die etwas für ein gutes Betriebsklima tun. Was wir auf so schmerzliche Weise lernten, nahmen wir uns zu Herzen.
Das Ergebnis war für die Firma insgesamt außerordentlich positiv: größere Effizienz, mehr Flexibilität, mehr Steuerungsmöglichkeiten für das Management. Die gesteigerte Produktivität war in der Druckerei auf Anhieb erkennbar: Vor dem Streik benötigten wir an jeder Druckmaschine eine Crew von siebzehn Druckern, nach dem Streik nur noch acht bis zehn. Die Druckgeschwindigkeit stieg, und dadurch konnten wir die Anschaffung einer weiteren Druckmaschine sparen. Unsere Druckerei begann wieder so zu arbeiten, wie eine Druckerei arbeiten sollte, und das Arbeitsklima im ganzen Haus verbesserte sich. Als Managerin lernte ich, auch wenn ich erst durch Schaden klug werden mußte, daß immer dann, wenn das Management, aus welchen Gründen auch immer, sein Grundrecht verspielt, die Abläufe zu ordnen und zu gestalten, Probleme unausweichlich sind. Der Streik machte mich noch entschlossener, für ein besseres Betriebsklima und für mehr Kommunikation innerhalb des Hauses zu sorgen. Das Ergebnis war eine bessere, stärkere Zeitung. Ohne das durch den Streik gelegte Fundament hätten wir nichts weiter ausbauen, hätten wir nicht weiter wachsen können. Wir erholten uns vom Trauma des Streiks, weil die Post schon zuvor eine gute, bei den Leuten beliebte Zeitung gewesen war und weil die in der Druckerei zurückgewonnene Kontrolle bedeutete, daß die Zeitung fortan pünktlich gedruckt wurde und rechtzeitig erschien. Das hatte es zuvor jahrelang nicht mehr gegeben. Es liegt schon eine gewisse Ironie darin, daß ausgerechnet ich, die ich immer eher konfliktscheu war, eine solch massive Auseinandersetzung durchstehen mußte. Meine Mutter konnte Konflikte nur selten taktvoll und hinter den Kulissen lösen; sie liebte dramatische Konfrontationen und lebte darin geradezu auf. Vielleicht neigte ich deshalb immer dem anderen Extrem zu und zog mich lieber zurück, wenn ein Konflikt drohte. Ich haßte Auseinandersetzungen, fand sie stets unangenehm und hatte immer Angst, den kürzeren zu ziehen. Andererseits stand ich bei diesem großen Streik wirklich mit dem Rücken zur Wand und hatte keine andere Wahl mehr, als zurückzuschlagen. Es mag pathetisch oder auch scheinheilig klingen, aber wir kämpften letztlich für das Wohl unserer Leser. Nach dem Streik stand ich natürlich noch mehr im Blickpunkt der Öffentlichkeit als je zuvor. Bei der Post und in Washington betrachteten mich sicher einige Leute fortan mit sehr gemischten Gefühlen, aber in Branchenkreisen war mein Stern nun endgültig aufgegangen. Selbst jene Verleger, die sonst lautstark den sogenannten Liberalismus der Nachrichten und Kommentare der Post beklagten, lobten unsere Managementaktionen über alle Maßen.
Wenn ich sage, daß ich vielen Leuten für diesen Ausgang sehr dankbar war, ist das ein extremes Understatement. Für seine Stärke und seine vielen Fähigkeiten während dieser langen Monate bin ich Mark Meagher zu tiefstem Dank verpflichtet. Don ließ mich stolz sein als Verlegerin und als Mutter. Larry Wallace erwies sich als Mann von großer Kompetenz und gesundem Menschenverstand; während aller Verhandlungen hatte er mein uneingeschränktes Vertrauen. Andere Vertreter unserer Branche, die uns vielleicht vor allem aufgrund einer gemeinsamen Interessenlage unterstützten, waren gleichwohl außerordentlich großzügig mit ihrer Hilfe zur Lösung unserer Probleme. Jene 125 Mitarbeiter der Post jedoch, die tags wie nachts mit großem Einsatz die Doppelbelastung ertrugen, neben der eigenen Arbeit noch weitere Aufgaben zu übernehmen - Aufgaben, die normalerweise von fast 1500 Voll- und Teilzeitbeschäftigten in den Produktionsabteilungen erledigt wurden -, haben sich alle meinen unverbrüchlichen Respekt und meine tiefe Zuneigung erworben. Schon immer habe ich eine Tageszeitung für ein reines Wunderwerk gehalten, doch noch nie war ich davon so überzeugt wie während des Streiks.