Vierundzwanzigstes Kapitel

Watergate - Wie die »Story« endet

Als die Watergate-Probleme für die Post am schlimmsten waren, kam für mich persönlich erschwerend noch hinzu, daß mein lieber Kollege Fritz Beebe infolge seiner Krebserkrankung rasch dahinsiechte. Am 30. April 1973 lag Fritz in kritischem Zustand im Krankenhaus. Aber er ließ es sich nicht nehmen, Nixons Ansprache von seinem Bett aus zu verfolgen. Seine Frau Liane erzählte mir später, Fritz habe, als Nixon in seiner Rede einen Teil der Verantwortung auf sich nahm, seinen Arm mit geballter Faust emporgereckt. Wie mir Liane schrieb, »zog ein stolzes Grinsen über sein ganzes Gesicht. >Danke, danke!< rief er voller Begeisterung. >Großartig! Hurra!< Das war Fritz' letzter Gruß an die Washington Post! Ja, er hat noch bei vollem Bewußtsein mitbekommen, was da ablief! Eine Zeitlang lag er strahlend da - erregt und vor Freude bebend, vor Freude über das alles, gemeinsam mit euch allen.« Am nächsten Morgen war er tot. Bei mir löste die Gleichzeitigkeit dieser Ereignisse einen Widerstreit der Gefühle aus: Zufriedenheit und Freude darüber, daß nun bestätigt war, was wir berichtet hatten, und tiefe Trauer über den Verlust von Fritz.

Impeachment-Resolutionen und Pulitzer-Preis

In seiner Pressekonferenz am 1. Mai entschuldigte sich Ron Ziegler bei der Washington Post und speziell bei Woodward und Bernstein für seine frühere Kritik an ihrer Berichterstattung. Zieglers Erklärung kam für uns alle überraschend, zeigte aber auch, wie sehr er von anderen in die Sache hineingezogen worden war. Bob rief ihn umgehend an und bedankte sich, worauf Ziegler erwiderte: »Wir machen alle nur unseren Job.« Den Presseleuten, die mich anriefen, sagte ich unter anderem, ich hätte mich über diese Entschuldigung gefreut: »Sie wurde in netter Form entworfen und geäußert. Ich nehme sie mit Freuden an.« Nur eine Woche nach Fritz' Tod wurde dann verkündet, daß die Washington Post für ihre Verdienste um die Aufdeckung der Watergate-Affäre einen Pulitzerpreis gewonnen habe. Wie sich allerdings herausstellte, hatten die Mitglieder der Pulitzer-Jury, die sich schon Wochen vor den neuen dramatischen Entwicklungen im Watergate-Fall getroffen hatten, die Berichterstattung unserer Zeitung als solche gar nicht bedacht. Woodward und Bernstein wurden zwar erwähnt, zählten aber nicht zu den Preisträgern. Dagegen wurden zunächst andere Journalisten der Post ausgezeichnet: David Broder für seine Kommentare, Bob Kaiser und Dan Morgan, die sich den Preis für Auslandsberichterstattung teilen mußten, und Bill Claiborne in der Sparte Lokalberichterstattung (er hatte über eine Gefängnisrevolte berichtet). Nach Bekanntwerden des Briefes von James McCord an Richter Sirica hatten Scotty Reston und Newbold Noyes, die 1973 beide zum Preisverleihungsgremium gehörten, darauf hingewiesen, daß es wohl kaum sinnvoll sei, wenn die Post mit ihrer Watergate Berichterstattung aus Termingründen völlig übergangen würde. Wir waren zwar schon zuvor in der Kategorie »Dienst an der Öffentlichkeit« nominiert worden, hatten aber zunächst den Preis anscheinend, wenn auch knapp, verfehlt - vor allem, weil die im Preiskomitee vertretenen Redakteure der Regionalpresse die ganze Affäre einfach nicht glauben konnten. Nach Scottys und Newbys Intervention hatte das Gremium dann bei Ben angefragt, ob wir in den Kategorien »Dienst an der Öffentlichkeit« oder »Aufklärungsjournalismus« ausgezeichnet werden wollten. Ben entschied sich für »Dienst an der Öffentlichkeit« - und in dieser Kategorie erhielten wir dann auch den Preis. Dafür zog die Pulitzer-Jury allerdings zwei der drei anderen Preise wieder zurück, die der Post bereits zugesprochen worden waren, so daß letztlich nur noch Broder in der Sparte »Kommentierung« übrigblieb.
Indes, trotz Nixons dramatischer Rede und trotz des Pulitzerpreises, der einer Bestätigung unserer Berichterstattung gleichkam, war die Watergate-Affäre für uns noch lange nicht beendet. Mancher Jubel erwies sich als voreilig. Mit Haldemans und Ehrlichmans Rücktritt hatten wir zwar an Glaubwürdigkeit gewonnen, aber im Weißen Haus regierte immer noch ein unversöhnlicher, wenn auch deutlich geschwächter Feind der Post. Die Welt stand zum großen Teil weiterhin auf Nixons Seite und hielt den Wirbel um diese Affäre für enorm übertrieben; für manche Leute gilt diese Einschätzung noch heute. Viele Ausländer, besonders in Europa und in der arabischen Welt, konnten die Bedeutung von Watergate einfach nicht erfassen. Dort hielt man den Präsidenten für ein außenpolitisches Genie, und in vielerlei Hinsicht traf diese Einschätzung ja auch zu. Es gab vieles, was wir - und die Öffentlichkeit - immer noch nicht wußten. Aber wir waren den Geheimnissen jetzt wenigstens auf der Spur, und dabei half uns im Frühjahr 1973 nicht zuletzt die Anklage einer Geschworenenkammer am Bundesgericht gegen den vormaligen Justizminister John Mitchell und den früheren Handelsminister Maurice Stans wegen Verschwörung, Meineid und Behinderung der Justiz. In diesem Fall ging es um die Behinderung von Ermittlungen der amerikanischen Börsenaufsichtsbehörde SEC gegen den international aktiven Finanzier Robert Vesco - der dafür eine geheime Wahlkampfspende von 200 000 Dollar in bar für Nixons Präsidentschaftswahlkampf im Jahre 1972 entrichtet hatte. Ebenfalls hilfreich für uns waren die im Fernsehen übertragenen Watergate Anhörungen im von Sam Ervin geleiteten Senatsausschuß (Select Committee on Presidential Campaign Activities, ab Februar 1973) und die schon recht früh laut werdenden Rufe nach einem Amtsenthebungsverfahren gegen Nixon, besonders seitens konservativer Kräfte (einschließlich Barry Goldwaters), aber natürlich auch seitens der Liberalen. Die fortdauernden Bemühungen der Post und - endlich - auch anderer Zeitungen und Medien sowie des Kongresses und der Gerichte trugen wesentlich dazu dabei, daß nun die wahre Größe des Eisberges (und nicht nur die Spitze in Gestalt des Watergate-Einbruchs) sichtbar wurde. Es begann eine nicht mehr abreißende Serie von Enthüllungen. Immer mehr Beweise für politische Intrigen und Schikanen kamen ans Licht. Es wurde bekannt, daß etliche Journalisten am Telefon abgehört worden waren. Viele Leute erzählten uns, das Gebäude der Post sei mit Wanzen bestückt worden, und ich persönlich würde sogar beschattet. Doch vieles davon waren eindeutig Übertreibungen - Überreaktionen in einem Klima, in dem der Verfolgungswahn gedieh. Wir untersuchten alle Telefone im ganzen Post-Gebäude genauestes, besonders in meinem Büro und in denen der wichtigsten Redakteure, konnten aber nichts finden. Ich bin auch ziemlich sicher, daß meine Telefone niemals abgehört wurden, und ich glaube ebenfalls nicht, daß ich je beschattet wurde. Aber die Atmosphäre war damals so vergiftet, daß selbst ein derartiger Verdacht nicht von vornherein unsinnig wirkte. Im Juli 1973 geschah dann im Watergate-Verfahren etwas, das einem Erdbeben gleichkam damit war unwiderruflich der Wendepunkt erreicht. Im Zuge seiner Aussagen vor dem Untersuchungsausschuß des Senats enthüllte Alexander Butterfield, ein Mitarbeiter Haldemans, daß es im Weißen Haus ein geheimes System für Tonbandaufnahmen aller dort geführten Gespräche gab, welches sich automatisch einschaltete, wenn Stimmen zu hören waren. Folglich war auch die weit überwiegende Zahl der Gespräche, die der Präsident im Oval Office geführt hatte, auf Tonband aufgenommen worden - eine Tatsache, der sich der Präsident anscheinend gar nicht mehr bewußt war; vielleicht hatte er auch angenommen, daß niemand davon wisse und die Sache deshalb auch niemals publik werden könne. Doch irgend jemand mußte dieses System ja installiert haben, auch mußte es gewartet und bedient werden, und dieser Jemand war Alexander Butterfield. Wie Woodward später sagte, war dies eine weitere »unglaubliche Ereignisfolge, Glück für uns und Pech für Nixon«. Ohne die Tonbänder wäre die ganze Wahrheit nie ans Tageslicht gekommen. Ich glaube sogar, daß wir bei der Post letztlich dadurch gerettet wurden, daß diese Tonbänder existierten und nicht vernichtet worden waren. Von da an warteten die Leute jedoch, gespannt auf weitere Enthüllungen, jeden Tag vor dem Gebäude der Post auf das Erscheinen der neuesten Ausgabe »druckfrisch« im wahrsten Sinne des Wortes. Denn nun verfolgten wirklich alle die Story.
Wer weiß, warum Nixon die Bänder nicht vernichtet hatte? Er schien sie für wertvoll zu halten und glaubte wohl, er könne sie mit dem Argument für sich behalten, sie gehörten zu seiner Privatsphäre. Jedenfalls argumentierte er lange so. Am 25. Juli weigerte er sich ausdrücklich, die Bänder an den von Justizminister Elliot Richardson ernannten Sonderermittler Archibald Cox herauszugeben, weil ein solcher Akt die verfassungsmäßig verbriefte »Gewaltenteilung« gefährde. Seltsamerweise war ich damals immer noch an der Pflege der Beziehungen zu Vizepräsident Spiro Agnew interessiert. Im Rückblick erscheint mir das heute würdelos, zumal wenn man bedenkt, welch harte Schläge wir ständig von ihm einstecken mußten. Ich glaube, meinem Verhalten lagen zwei Motive zugrunde: zum einen die durchaus vernünftige Idee, daß es besser sei, mit Leuten, die uns haßten oder kritisierten, zu reden, als sie zu meiden, und zum anderen ein altmodisches Erbteil meiner Persönlichkeit - der Wunsch, anderen gefallen zu wollen. Irgend jemand hatte mir ein witziges Foto von einem alten Schuppen irgendwo in New York geschickt, auf dem die Aufschrift zu lesen stand: »Ted Agnew mag Kay Graham. Weitersagen!« Ich fand das sehr zum Lachen und befolgte die Aufforderung des Slogans, indem ich das Foto mit einigen Begleitzeilen an den Vizepräsidenten weiterreichte: »Ich dachte, diese Aufschrift ... könnte Sie genauso amüsieren wie mich. Der Mann, der mir den Schnappschuß geschickt hat, erzählte mir, der Schuppen sei bald darauf abgebrannt dadurch sei der Beweis vernichtet worden! Ich vermute, daß sich im Leben - wie bei Graffiti - die Kreise manchmal schließen. Ich verspreche auch, die Sache geheimzuhalten.« Was Agnew zurückschrieb, war allerdings noch seltsamer: »Ich kann an den Worten des Graffito nichts Verkehrtes finden. Es ist zwar schwierig, eine Zeitung zu bewundern, die einen mit Caligulas Pferd vergleicht, aber ich glaube trotzdem, Sie sind charmant.« Wie peinlich! Um Agnew entspann sich jedoch schon bald ein eigenes Drama. Nur zehn Tage nachdem ich ihm dieses kleine, etwas unterwürfige Briefchen geschrieben hatte, verkündete Agnew, man habe ihn informiert, daß gegen ihn eine strafrechtliche Untersuchung wegen möglicher Gesetzesverstöße laufe. Zwei Tage darauf, am 8. August, hielt er eine Pressekonferenz ab, bei der er die üblichen Dementis ablieferte-, er sei sich keiner Schuld bewußt. Während sich die Untersuchung weiter hinzog, schrieb die Post am 22. September, der Vizepräsident verhandele, obwohl er einen Rücktritt weiter kategorisch ablehne, hinter den Kulissen bereits über Strafermäßigungen. Agnews Anwälte versuchten daraufhin, an die Quelle bestimmter für Agnew schädlicher Nachrichten heranzukommen, indem sie verschiedene Post-Reporter, die über das Agnew-Verfahren berichtet hatten, unter Strafandrohung vorladen ließen. Die Gegenstrategie unserer Anwälte lief darauf hinaus, daß ich dem Gericht in einer eidesstattlichen Versicherung mitteilte, die fraglichen Notizen der vorgeladenen Reporter befänden sich alle in meiner Verwahrung. Ich war in der Tat bereit, zur Verteidigung der Notizen und Informanten notfalls selbst ins Gefängnis zu gehen. Diesmal schien die Wahrscheinlichkeit, daß es dazu käme, wesentlich größer zu sein als beim letzten Mal. Ich war damals gerade unterwegs und rief bei Aufenthalten zwischen zwei Flügen immer in der Redaktion an, um mich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen. Zu meiner großen Erleichterung hörte ich, daß Agnew zumindest einen Anklagepunkt (Steuerhinterziehungen während seiner Amtszeit als Gouverneur von Maryland) nicht bestritten hatte. Damit war ich aus dem Schneider. Am 10. Oktober trat Spiro T. Agnew als Vizepräsident der Vereinigten Staaten zurück. Inzwischen nahmen auch Nixons Schwierigkeiten weiter zu, und die Agnew-Krise verschärfte alles nur noch mehr.
Am 15. August hatte Nixon eine weitere Fernsehansprache gehalten, seine fünfte große Erklärung zu Watergate. Er bezeichnete die Aufklärungswünsche als »besessenes Herumwühlen in der Vergangenheit« und versuchte, das Interesse der Öffentlichkeit in andere Richtungen zu lenken. Sein Vorschlag lautete, die Nation solle den Fall doch jetzt den Gerichten überlassen und sich statt dessen »weit wichtigeren Dingen« zuwenden. Eine Woche später nahm der Präsident auch die Schuld für das »Klima« im Weißen Haus auf sich, das zum Watergate-Einbruch und zu den Vertuschungsversuchen geführt habe. Das war am 22. August, dem Tag, an dem Henry Kissinger zum neuen Außenminister ernannt wurde, nachdem Bill Rogers von diesem Amt zurückgetreten war. In rasendem Tempo schritten die Ereignisse voran. Am 29. August ordnete Richter Sirica an, der Präsident müsse ihm jene Tonbänder, auf denen es um Watergate ging, zu einer persönlichen Auswertung überlassen. Gegen diese Verfügung legten Nixon und seine Anwälte Berufung ein. Der Kampf wurde schließlich wirklich ernst, als die Revisionsinstanz Sirica recht gab. Als nächstes kam Nixon mit der seltsamen Idee, er wolle den Bundesgerichten und den Mitgliedern des Senatsuntersuchungsausschusses schriftliche Zusammenfassungen der fraglichen Bänder übergeben, deren Korrektheit von Senator John Stennis überprüft und bestätigt werden sollte. Sonderermittler Cox wies diesen Plan zu Recht zurück. Am folgenden Tag, dem 20. Oktober, verteidigte Cox seine Entscheidung, sich bei der Frage der Tonbänder auf keinerlei Kompromisse mit dem Präsidenten einzulassen. An jenem Abend hatten die Buchwalds eine Tennisparty arrangiert, um Arts Geburtstag zu feiern. Viele der Eingeladenen waren bereits in der Tennishalle versammelt oder befanden sich auf dem Weg dorthin, als wir die völlig überraschende Nachricht vom sogenannten Samstagabend-Massaker hörten. Justizminister Richardson hatte von Nixon die Anweisung erhalten, Cox zu entlassen; als er sich weigerte, wurde er selbst entlassen. Auch Richardsons Stellvertreter Bill Ruckelshaus wollte Cox nicht entlassen und mußte ebenfalls gehen. Schließlich erklärte sich der dritte Mann im Justizministerium, Robert Bork, bereit, Nixons Wunsch zu entsprechen und Cox zu entlassen, was dann auch geschah.
Zu diesem Zeitpunkt hatten sämtliche Journalisten Buchwalds Party bereits verlassen und befanden sich auf dem Weg zur Arbeit. Die Ereignisse an jenem Oktoberabend waren so dramatisch und unerwartet, daß wir alle tief erschüttert waren. Man kann sich heute kaum noch vorstellen, wie schnell sich die Krise damals entwickelte. Schon bald traf sich der Anklageausschuß des Repräsentantenhauses (das House Judiciary Committee) mit Leon Jaworski, dem Amtsnachfolger von Cox als Sonderermittler, um über ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Nixon zu sprechen.[1] Schließlich brachten die vielen Impeachment-Resolutionen im Repräsentantenhaus den Präsidenten anscheinend zu der Einsicht, daß es besser sei, die Bänder, auf deren Übergabe Cox bestanden hatte, nun endlich herauszugeben.
Gleichwohl wurde die Post weiterhin angegriffen - und an diesen Angriffen beteiligte sich die Öffentlichkeit nun weit stärker als zuvor. Inzwischen hatte ich mir jedoch eine gewisse Härte zugelegt, zu der ich ein Jahr zuvor wahrscheinlich noch nicht fähig gewesen wäre. Ich bin keine gute Kämpferin. Im allgemeinen hasse ich Streit und laufe vor Konflikten lieber davon, aber wenn es keine andere Wahl mehr gibt, dann weiß ich mich schon zu wehren. Mittlerweile war ich wesentlich eher bereit, auch in die Offensive zu gehen, anstatt mich nur höflich zu verteidigen, besonders in meinen Antworten auf Leserbriefe oder sonstige Beschwerden über unsere Berichterstattung.
Am 28. Dezember war ich - was nur selten vorkam - zum Lunch nicht im Gebäude der Post. Ich war mit Meg und Phil Geyelin in ein italienisches Restaurant gegangen und wurde dort plötzlich ans Telefon gerufen. Am Apparat war Alexander Haig, der Nachfolger Haldemans als Stabschef im Weißen Haus. Er rief aus Nixons Haus in Kalifornien an, dem »Weißen Haus im Westen«, wie man es nannte, weil der Präsident einen großen Teil seiner Zeit dort verbrachte. Ich kann mich noch lebhaft daran erinnern, wie ich in einem dunklen, engen Treppenhaus, in dem sich das Telefon befand, auf den Stufen saß und mir wie wild Notizen auf einem kleinen Blatt Papier machte, das ich hastig aus meiner Handtasche gekramt hatte. Erregt beschwerte sich Haig über zwei auf der Titelseite der Post erschienene Artikel von Woodward und Bernstein. Im ersten hatte es geheißen, man habe »Operation Candor« (»Operation Offenheit«) eingestellt - die Versuche des Präsidenten, sich in der Öffentlichkeit zu verteidigen. Zwei der engsten Berater des Präsidenten, hieß es dort weiter, welche die ganze Zeit treu zu ihm gehalten hätten, glaubten ihm nun nicht mehr. Im zweiten Bericht hatten Woodward und Bernstein gemeldet, die Rechtsberater des Präsidenten hätten jene Dokumente und Beweismittel, die das Weiße Haus dem Amt des Sonderermittlers übergeben habe, auch den Anwälten von Haldeman und Ehrlichman überlassen. Haig war außer sich vor Wut. Er nannte die Artikel »skurril und unwahr«, den zweiten bezeichnete er sogar als »Flickwerk aus Gestohlenem«. Ende Januar 1974 war ich bei Clark MacGregor (Nixons früherem Wahlkampfmanager) gemeinsam mit dem neuen Vizepräsidenten Gerald Ford und dessen Frau zum Dinner eingeladen. Schon diese Tatsache sagte einiges darüber aus, wie MacGregor inzwischen zu Nixon stand.
Interessant war auch, daß die Fords bereit waren, sich mit mir zum Dinner zu treffen. Schließlich saß ich an der Tafel sogar noch neben Alexander Haig, der mir mit jeder neuen Enthüllung aus dem Weißen Haus freundlicher gesonnen zu sein schien. Am 6. Februar stimmten die Mitglieder des Repräsentantenhauses mit 410 zu 4 Stimmen für die Einleitung des Amtsenthebungsverfahrens. Der Anklageausschuß (House Judiciary Committee) erhielt weitreichende Vollmachten, bei seinen Ermittlungen auch Zwangsmaßnahmen einzusetzen (subpoena).
Später im Februar lud Alexander Haig Meg, Ben und mich zum Lunch ins Weiße Haus ein eindeutig eine Geste, die Entgegenkommen signalisieren sollte. Überhaupt war die gesamte Gefühlslage, die wir Anfang 1974 erlebten, das genaue Gegenteil unserer von Druck, Sorgen und Ärger bestimmten Erfahrungen in den Monaten zuvor. Inzwischen befanden wir uns alle zweifellos in einem Stimmungshoch, weil wir bestätigt und entlastet worden waren. Doch unsere Genugtuung wurde erheblich durch den Abscheu über das wahre Ausmaß dessen beeinträchtigt, was sich im Weißen Haus unter Nixon abgespielt hatte. Als ich von einem Wochenende auf dem Land zurückkehrte, fragte mich Meg mit ungläubigem Unterton in der Stimme: »Hast du schon das Neueste gehört?« Und dann berichtete sie mir von der Rückdatierung der Schenkungsurkunde, mit der Nixon seine Papiere dem Nationalarchiv für die geplante Nixon Library vermacht hatte. Nach Einführung eines neuen Steuergesetzes, durch das Steuerermäßigungen für solche Schenkungen wesentlich reduziert worden waren, hatte man das Datum der Nixonschen Schenkungsurkunde einfach gefälscht, um Steuervorteile von fast einer halben Million Dollar über einen Zeitraum von vier Jahren zu erlangen. Ich kann mich noch erinnern, daß ich damals nur sagte: »Wie wunderbar!« Das klingt rachsüchtig, aber Tatsache ist, daß es uns nach einer so langen Periode der Angriffe natürlich Genugtuung bereitete, wie derartige Enthüllungen nun Schlag auf Schlag aufeinander folgten - wobei das Ausmaß des von uns Berichteten und selbst unsere wildesten Spekulationen noch weit übertroffen wurde. Meg erwiderte damals nur: »Wenn du das nächste Mal wieder in einer deiner Reden sagst: >Das alles bereitet uns ganz gewiß keine Genugtuung, wir erfüllen nur unsere Pflicht<, dann wird der liebe Gott dich tot umfallen lassen.«
Als dann am 1. März 1974 von einer Geschworenenkammer am Bundesgericht auch noch gegen sieben frühere Mitarbeiter Nixons aus Regierung und Wiederwahlkomitee Anklage wegen Verschwörung zur Vertuschung des Watergate-Einbruchs erhoben wurde, freuten wir uns sehr, daß unsere Enthüllungen erneut nachdrücklich bestätigt wurden. Wie ging es weiter? Am 9. Mai 1974 begannen vor dem House Judiciary Committee die formellen Anhörungen wegen einer möglichen Amtsenthebung Nixons. Obwohl einige meiner Freunde, darunter auch André Meyer, glaubten, die Post versuche nun, dem Präsidenten »auch noch den letzten Blutstropfen auszusaugen«, war ich der Meinung, wir verfolgten den Impeachment-Prozeß in unserer Berichterstattung mit Vernunft, Distanz und Augenmaß. André entgegnete ich: »Ich kann einfach nicht erkennen, wie jemand, und sei er noch so böswillig, diese Sache so verdrehen könnte ... daß der Ausdruck >den letzten Blutstropfen aussaugen< angemessen wäre ... Das alles hat wirklich mehr mit dem zu tun, was für unser Land jetzt und in Zukunft besser ist, als mit diesem Präsidenten - um den geht es doch schon gar nicht mehr, wohl aber um das Wohl des Landes.« Mitte Mai kam dann durch eine Spezialuntersuchung der von Nixon übergebenen Tonbänder heraus, daß Nixons Gespräch mit Haldeman und Dean, in dem er wirtschaftliche Vergeltungsmaßnahmen gegen die Washington Post Company und deren Fernsehstationen angedroht hatte, vor der Übergabe aus dem betreffenden Band herausgeschnitten worden war. Diese Tatsache spielte in den Zeitungen eine große Rolle, und auch die Post berichtete natürlich darüber. Daraufhin erhielt ich von Joe Alsop einen reumütigen Brief. Joe hatte im wesentlichen weiterhin zum Präsidenten gehalten, und ich hatte mich ernsthaft mit ihm über die Frage gestritten, ob die Regierung bei der Anfechtung unserer Fernsehlizenzen ihre Hand im Spiel gehabt habe. Nun schrieb mir Joe:

Du bist vollkommen im Recht, und ich war fast vollständig im Unrecht. Das war meine spontane erste Reaktion auf die außerordentlich interessante Story von Bernstein und Woodward über die Vergeltungsdrohung des Präsidenten gegen die Post. Ich kann Dir gar nicht sagen, wie sehr ich den enormen Mut bewundere, den Ihr alle gezeigt habt, besonders Du und Ben. Ob die Sache letzten Endes glücklich ausgehen wird, kann ich unmöglich sagen, und ich habe daran manchmal meine Zweifel. Tatsache ist jedoch, daß sich im Weißen Haus ein sehr gefährliches System entwickelt hatte, das dieses Land bedroht hätte, wenn es weiter hätte fortbestehen dürfen. Zerstört wurde es fast im Alleingang von Dir und den anderen führenden Leuten der Post und den Post-Reportern ... Deshalb sende ich Dir meine allerherzlichsten Glückwünsche und möchte mich zugleich bei Dir dafür entschuldigen, daß ich unserem elenden Präsidenten so lange den Vorteil gewährt habe, im Zweifel lieber für ihn zu sein - wie sich jetzt herausstellt, war das völlig falsch.

Dieses großzügige Eingeständnis schrieb Joe sicher mit einer großen Portion Traurigkeit, da er den Verlust von etwas unwiderruflich Verlorenem beklagte. Die Watergate-Affäre strebte nun unaufhaltsam einem Ende zu, das niemand von uns sich zwei Jahre zuvor hätte vorstellen können. Noch im Sommer 1974 schob Nixon erstaunlicherweise die Schuld für seine Lage der Presse zu, und das nach all den Enthüllungen und verfassungsrechtlichen Schritten der Zwischenzeit: nach offiziellen Anklagen, Gerichtsverhandlungen und parlamentarischen Untersuchungen. Er sagte, wenn er ein Liberaler gewesen wäre und »in Vietnam den Schwanz eingezogen hätte«, hätte die Presse Watergate niemals derartig hochgespielt.
Am 8. Juli fand im Supreme Court eine historisch denkwürdige mündliche Verhandlung im Fall United States v. Richard M. Nixon statt, in der es darum ging, ob das Gericht in letzter Instanz die Herausgabe der Originaltonbänder aus dem Weißen Haus anordnen würde. Am 9. Juli ließ der Vorsitzende des House Judiciary Committee, Peter Rodino, verlauten, zwischen den Tonbandtranskripten, die das Weiße Haus herausgegeben habe, und dem, was der Ausschuß auf bestimmten Bändern tatsächlich vorgefunden habe, bestünden deutliche Unterschiede. Daraus ergebe sich, daß Nixon bei der Vertuschung sehr wohl eine aktive Rolle gespielt habe - ja, daß er sie immer noch spiele.

Am 24. Juli 1974 ließ sich der Marsch der Ereignisse endgültig nicht mehr aufhalten, als der Supreme Court in seinem Urteil einstimmig entschied, Nixon habe kein Recht, in einem Strafverfahren Beweise zurückzuhalten. Es wurde angeordnet, daß Nixon die von Jaworski geforderten zusätzlichen Tonbänder herausgeben müsse. Am 27., 29. und 30. Juli verabschiedete dann das House Judiciary Committee je einen der drei Anklagepunkte im Impeachment-Verfahren: Nixon wurde offiziell vorgeworfen, die gerichtlichen Ermittlungen behindert zu haben (Strafvereitelung im Amt), Gesetze nicht beachtet und sich geweigert zu haben, vom Ausschuß angefordertes Beweismaterial herauszugeben. Im Unterschied zu vielen anderen Zeitungen forderte die Post nicht ausdrücklich den Rücktritt des Präsidenten. Wir glaubten, als unabhängigem Blatt stehe uns derartiges schlecht zu Gesicht; wenn die Leser im Besitz der für ihre Entscheidung benötigten Informationen seien, könnten und sollten sie selbst ihre Schlüsse ziehen und sich sachgerecht verhalten. Diesen Prozeß solle man ungestört ablaufen lassen.
Endlich, am 5. August, tauchte das schon lange erwartete Corpus delicti auf, das alles entscheidende Beweisstück: Das Weiße Haus gab drei neue Transkripte von Tonbändern heraus, auf denen Gespräche zwischen Nixon und Haldeman aufgezeichnet waren, die am 23. Juni 1972 geführt worden waren, sechs Tage nach dem Watergate-Einbruch. Daraus ging eindeutig hervor, daß der Präsident persönlich die Vertuschungsaktionen angeordnet und selbst die Bemühungen geleitet hatte, zu verbergen, daß seine engsten Mitarbeiter in die Affäre verwickelt waren. In diesem Zusammenhang hatte er mehrfach die Geheimhaltung von Einzelheiten angeordnet, die ihm selbst bekannt waren, nicht hingegen dem FBI. Dies war eine derart dramatische und offenkundig endgültige Entwicklung, daß ich mein Haus auf der Ferieninsel Marthas Vineyard verließ, wo ich mich schon für den Urlaubsmonat August niedergelassen hatte, und sofort nach Washington zurückflog. Ursprünglich hatte Nixon gesagt, er werde nicht zurücktreten, weil er der Meinung sei, der verfassungsmäßige Prozeß müsse nun wie vorgesehen ablaufen. Doch dann verkündeten alle zehn Republikaner im Anklageausschuß des Repräsentantenhauses, die zunächst gegen das Impeachment gestimmt hatten, sie wollten nun mindestens einen der Anklagepunkte unterstützen: den Vorwurf der Strafvereitelung im Amt. Aufmacher der nächsten Ausgabe der Post war daraufhin der mögliche Rücktritt des Präsidenten. Wir gaben allerdings keine Prognosen ab, obwohl allerseits heftig spekuliert wurde.
Am 8. August verkündete Präsident Nixon, er werde am folgenden Tag von seinem Amt zurücktreten. Ich verbrachte den ganzen Tag im Verlagsgebäude. Gemeinsam sahen sich viele von uns den Fernsehauftritt an, in dem Nixon seine Rücktrittsentscheidung bekanntgab. Phil Geyelin schrieb beim Abendessen im Madison Hotel, direkt gegenüber dem Gebäude der Post, den Rohentwurf seines Leitartikels zu Nixons Rücktritt auf eine Papierserviette. Die getippte Version schickte er mir dann mit der Notiz: »Dies ist einer, den Sie vielleicht doch lieber vorher sehen wollen.«

Am 9. August veröffentlichte die Post eine zweiundzwanzig Seiten umfassende Sonderbeilage über die Nixon-Jahre. Mit einigen Leuten sah ich mir in meinem Büro die gespenstische Abschiedsansprache an, die Nixon im Weißen Haus hielt, ehe er dieses endgültig verließ. Recht unzusammenhängend sprach er im East Room zu seinen Mitarbeitern über seine Mutter, die ihn in Gedanken wohl sehr beschäftigte. Die Unwirklichkeit der Szene war mit Händen zu greifen. Nach all den langen Monaten, die sich zu Jahren gedehnt hatten, war es wirklich seltsam, nun mit eigenen Augen geschehen zu sehen, was sich niemand von uns je hatte vorstellen können. Das Ganze wirkte welterschütternd, aber auch verwirrend. Ein regelrechtes Wunder hatte sich ereignet - das Land war gerade dabei, seinen Präsidenten auf urdemokratische Weise gegen einen neuen auszutauschen. Die Verfahrensweisen dafür waren zwei Jahrhunderte zuvor festgelegt worden, und nun erwiesen sie sich in dieser beispiellosen Situation als funktionsfähig. Bei der Post erhielten wir nun zahlreiche unangenehme Telefonanrufe. Viele Leser brachten zum Ausdruck, daß sie uns offenbar in Champagnerlaune wähnten, ein Ergebnis feiernd, auf das wir von Anfang an hingearbeitet hätten - Tenor: »Hoffentlich seid ihr jetzt endlich zufrieden! « Was ich jedoch vor allem spürte, war Erleichterung, immer noch gemischt mit einer gewissen Angst. Bis zum Auftauchen des verräterischen Tonbands war nichts mit letzter Gewißheit geklärt gewesen; noch bis in die letzten Tage seiner Präsidentschaft hinein hatte es so ausgesehen, als würde sich Nixon im Amt halten können. Jetzt endlich war das ungute Gefühl der Ungewißheit, wohin das alles noch führen werde, vorbei. Sofort nach Nixons Abschiedsrede und noch bevor der Präsident Washington endgültig verlassen hatte, kehrte ich in mein Feriendomizil auf Martha's Vineyard zurück, wo ich immer zur Ruhe komme und vom Alltagsleben Abstand gewinnen kann. Kaum hatte ich dort das Fernsehgerät eingeschaltet, hörte ich, wie jemand von Präsident Ford sprach. Das war für mich regelrecht aufwühlend, und erst jetzt spürte ich ein Gefühl grenzenloser Erleichterung.
Eine Zentnerlast war mir von den Schultern genommen worden. Endlich war es vorbei: Nixon war fort, Ford Präsident und »unser langer nationaler Alptraum« tatsächlich überstanden. Wir hatten wieder einen netten, offenen und ehrlichen Präsidenten einen, der uns nicht bedrohte! Als ich im September nach Washington zurückkehrte, glaubte ich, nach zwei langen aufreibenden Jahren werde das Leben jetzt endlich zur Normalität zurückkehren, hatte dabei aber nicht bedacht, daß sich die »Normalität«, die mir vorschwebte, vollkommen verändert hatte. Was ich mir wünschte, war, wieder ganz aus dem Rampenlicht verschwinden zu können - und das sollte nicht nur für mich persönlich, sondern auch für unsere Zeitung gelten. Doch weit gefehlt. Es fing schon damit an, daß die Situation unserer Fernsehstationen immer noch ungeklärt war; die Einsprüche und die Gegenangebote waren noch nicht vom Tisch. Hier kam Ende 1974 schließlich die Lösung: Die Herausforderung in Miami wurde am 26. November zurückgezogen, eine weitere in Jacksonville im Januar 1975. Die verbliebenen zwei Anträge aus Jacksonville wurden im April und im Juli 1975 von der FCC abschlägig beschieden. In dem betreffenden Urteilsspruch heißt es, weil »bei der Vorlage der St. John-Bewerbungsunterlagen offenkundig Täuschung im Spiel war, konnte nicht festgestellt werden, daß es im öffentlichen Interesse gelegen hätte, dieser Bewerbung (um eine Sendelizenz) stattzugeben«. Auch hier hatten wir Glück, weil unsere Herausforderer aufgrund ihrer politischen Beziehungen anscheinend so siegessicher gewesen waren, daß sie ihre Einsprüche und Angebote niemals einsichtig begründeten. Noch mehr als Nixons Rücktritt markierte die Entscheidung über die TV-Sendelizenzen für uns das wahre Ende des Watergate-Skandals. Inzwischen hatten wir diesen Kampf gegen die Käuflichkeit in zweien der Fälle zwei Jahre, in den beiden anderen sogar zweieinhalb Jahre lang geführt und schwer dafür bezahlen müssen - nicht nur mit Geld, sondern auch mit Existenzsorgen, Verzettelung und Erosionserscheinungen.
Am 5. Dezember 1974 wurden Ben und ich von Präsident Ford ins Weiße Haus zum Dinner eingeladen. Ich saß sogar am selben Tisch wie der neue Präsident - ein aufregendes Symbol dafür, daß die ganze traurige Watergate-Affäre endlich vorüber war. Ford hatte Nixon eine vollständige Amnestie gewährt - ein Schritt, den ich für voreilig hielt, weil ich meinte, daß als Gegengabe von Nixon wenigstens eine Art Eingeständnis seiner  Schuld hätte verlangt werden müssen. Überdies hatte ich den Verdacht, daß weitere Missetaten der Aufklärung harrten, die jetzt wohl kaum noch ans Licht kommen würden. Ich bin sicher, daß Ford unter großem Druck stand, diese verhängnisvolle Affäre nun endlich »hinter uns« zu bringen. Doch Nixons Mitstreiter zahlten einen noch höheren Preis als er selbst. Gewiß, der Rücktritt vom Präsidentenamt war nicht geringzuschätzen, aber die Komplizen landeten zum größten Teil im Gefängnis, während Nixon sich letztlich wieder als »Elder Statesman« etablieren konnte und in der Ära der Präsidenten Ronald Reagan und George Bush sogar als Berater bei außenpolitischen Fragen hinzugezogen wurde. Ende 1973 begann die Vergabe zahlreicher Ehrungen und Preise an uns das heißt an die Zeitung und an bestimmte Einzelpersonen, die für sie tätig waren. »Das ist ein glückliches Problem«, schrieb ich in einem Brief. Zwei der größten Auszeichnungen im amerikanischen Pressewesen bekam ich selbst: den John-Peter-Zenger-Preis und den Elijah-Parish-Lovejoy-Preis. Ich bin allerdings der Ansicht, einige dieser bedeutenden Auszeichnungen hätten lieber anderen verliehen werden sollen, insbesondere Ben Bradlee für mich war das Sexismus mit umgekehrtem Vorzeichen. Zum Glück beeinträchtigte das Thema, wer welchen Preis bekam, meine Beziehung zu Ben nicht im geringsten. Im Gegenteil, die gemeinsame Watergate-Erfahrung schweißte uns für alle Zeiten noch fester zusammen. Ich verließ mich rückhaltlos auf ihn, und mehr als je zuvor war Ben der Fels in der Brandung, die charismatische Führungspersönlichkeit, die gelassen und mutig blieb, ganz gleich was geschah. Wie Woodward später sagte, »spürten wir immer, daß Bradlee unser Führer war. Er war derjenige, der die Flagge hißte.«
Ben war und ist so optimistisch, daß ich ihn manchmal nur deshalb aufsuchte, weil das so guttat und Mut machte. Außerdem erfuhr ich von ihm fast immer auch etwas Neues. Es schwirrten nun Gerüchte umher, ich wolle ihn loswerden, weil er mit der Watergate Berichterstattung zu weit gegangen sei. Bei solchen Gerüchten nützen Dementis leider überhaupt nichts; selbst wenn die betreffende Person nicht entlassen wird, kehren die Gerüchte periodisch wieder. Auch wurde unsere Beziehung mit zahlreichen sexistischen Kommentaren bedacht und irgendwie immer übertrieben dargestellt. So schrieb ich zum Beispiel Tom Winship, nachdem ein Artikel über Ben Bradlee und Abe Rosenthal im Boston Globe erschienen war, und beschwerte mich: »Wie kommt es eigentlich, daß dann, wenn eine Verlegerin und ein männlicher Herausgeber gut zusammenarbeiten, er mit dem Vorwurf leben muß, den Takt anzugeben, und sie, anfällig für Manipulationen zu sein?« Die Wahrheit lautet einfach, daß ich immer sehr gern mit Ben zusammengearbeitet habe und daß diese Zeit für uns beide trotz aller Spannungen und Strapazen wahrscheinlich die lohnendste überhaupt war.
Im Frühjahr 1974, als sich unsere Berichterstattung über Watergate schon recht weit entwickelt hatte, es aber immer noch Monate dauern sollte, bis sie wirklich abgeschlossen war, hatten Woodward und Bernstein ihr Buch All the President's Men (deutsche Fassung: Die Watergate-Affare) veröffentlicht, ihr erstes Buch über Watergate. Allein die Paperback-Rechte wurden für eine Million Dollar verkauft. Ironischerweise kam dieser Millionensegen für die Autoren gerade zu einem Zeitpunkt, als die Journalistengewerkschaft (Newspaper Guild) zum Streik aufgerufen hatte. Ich kann mich noch lebhaft erinnern, wie ich die beiden in den Fernsehnachrichten mit ihren Akten das Verlagsgebäude verlassen sah und mit einer bissigen Bemerkung einen Proteststurm erntete: Sie seien die beiden einzigen, die jemals eine Million Dollar verdient hätten, obwohl sie gerade streikten. Von Anfang an war auch von Filmplänen die Rede gewesen. Nachdem Woodward und Bernstein die Filmrechte an All the President's Men (deutscher Filmtitel: Die Unbestechlichen) an Robert Redford verkauft hatten, der Bob Woodward spielen wollte, gab es in der Nachrichtenredaktion der Post und anderswo viel Spaß und lustige Spekulationen darüber, wer denn im Film die anderen Rollen spielen solle. Im Scherz sagte ich einer Gruppe von Vertriebsmanagern bei einer Tagung des Berufsverbandes, meine Redakteure hätten mir versichert, »meine Rolle werde von Raquel Welch gespielt - unter der Voraussetzung, daß unsere Maße übereinstimmten«. In mancherlei Hinsicht erschreckte mich der Gedanke an eine Verfilmung fast zu Tode. Trotz Redfords Versicherungen, er wolle einen guten Film über die verfassungsmäßig garantierte Pressefreiheit drehen, machte mich die Vorstellung nervös, daß Image und Ruf der Post nunmehr auf Gedeih und Verderb von einer Filmgesellschaft abhingen, deren Interessen nicht unbedingt mit den unsrigen übereinstimmten. Ich konnte mir einfach nicht ausmalen, wie Redford und seine Produzenten in einer dramatischen Geschichte auf der großen Leinwand mit einem so komplizierten Thema wie der Pressefreiheit umgehen würden.
Irgend jemand mußte Grundregeln festlegen, was sie durften und was nicht. Besondere Sorgen machte ich mir über die Wirkung des Films auf die Politik - und über die Art, wie wir darin dargestellt würden. Als Personen von öffentlichem Interesse, die viele von uns bei der Post inzwischen waren, hatten wir zwar keine Kontrolle mehr über die Verwendung unserer Namen, aber anfangs gab es zahlreiche Diskussionen, in die auch unsere Anwälte einbezogen waren, ob der Name der Post benutzt werden dürfe oder nicht. Die meisten aus den geschäftlichen Abteilungen unseres Hauses sagten nein. Doch Bens Argument zugunsten der Verwendung war eines, das in der Redaktion weitgehend geteilt wurde: »Was immer sie mit uns machen wollen, sie werden es mit uns machen, ganz gleich, ob sie uns Post oder Bugle nennen.« Um meine Nerven etwas zu beruhigen und mir Sicherheit zu geben, daß die Produzenten es wirklich gut meinten, brachten Bob und Carl die Redfords im Mai 1974 zum Frühstück zu mir nach Hause mit - gerade zu dem Zeitpunkt, als die Filmpläne konkrete Gestalt annahmen. Ich hätte mich eigentlich freuen und mein Interesse an diesem Treffen mit Redford zeigen sollen, aber wir kamen leider nicht gut miteinander aus - wofür die Gründe, da bin ich mir sicher, wenigstens zum Teil bei mir lagen, weil ich infolge all meiner Befürchtungen, realer wie eingebildeter, viel zu defensiv und verkrampft war. Redford wußte, wie sehr mir daran lag, mich selbst und meine Zeitung im Hintergrund zu halten. Dagegen wurden Alan Pakula, der Regisseur, und ich gute Freunde und sind es geblieben. Redford beschrieb unser Treffen beim Frühstück später in einem Interview:

Es war eine spröde Angelegenheit, so kann ich es vielleicht am besten beschreiben. Sie war reizend, aber angespannt. Die Graham hatte etwas ausgeprägt Verkniffenes, Blaublütiges an sich, das sich auch durch noch soviel Kontakt mit Ben Bradlee oder anderen Straßentypen nicht überdecken ließ ... Sie sagte, sie wolle nicht, daß ihr eigener Name und der der Post benutzt würden. Ich sagte ihr, das sei unmöglich. Sie sei eine öffentliche Figur, auch für sich genommen, und das gleiche gelte für die Post. Ich respektierte hingegen, daß sie nicht wünschte, daß man in ihre Privatsphäre eindringe ... aber an ihrem Privatleben waren wir auch gar nicht interessiert. Und ich war verwirrt. Wenn sie sich so bedeckt halten wollte, warum hielt sie dann weiter Reden und nahm öffentlich Preise in Empfang?

Ben schickte mir eine Kopie dieses herben Interviews, woraufhin ich sagte: »Ich will ja nicht allzu neurotisch erscheinen, aber so wird Paranoia gefördert, nicht wahr? ... Was jedoch meine Ambivalenz, die echt war und ist, angeht, da hat er recht.« Ich machte mir schon genug Sorgen, welche Auswirkungen die Benutzung des Namens der Post wohl haben werde. Als ich aber eines Tages eine Zeitschrift aufschlug und las, daß der Film in der Lokalredaktion der Post gedreht werden solle, wurde ich zornig. Innerhalb weniger Minuten hatte ich Bob Woodward an der Strippe, und er bekam einen Wutausbruch zu hören, wie er denn auf die Idee komme, unsere Nachrichtenredaktion als Filmkulisse benutzen zu wollen. Unter all den Nachteilen, die mir sofort in den Sinn kamen, war der gewichtigste natürlich, daß dann kaum noch normal gearbeitet werden könne. Bob sagte mir später, er habe mich noch nie so wütend erlebt. Schließlich verweigerten wir die Erlaubnis für Dreharbeiten in den Redaktionsräumen. Redfords Leute waren jedoch unabhängig davon ebenfalls zu dem Schluß gekommen, daß ein solches Vorhaben für sie zu viele Unterbrechungen mit sich brächte. Statt dessen wurden in Hollywood (angeblich für nur 450000 Dollar) die Redaktionsräume der Post exakt nachgebaut - bis hin zu den Aufklebern am Schreibtisch von Bens Sekretärin. Um das Ganze so authentisch wie möglich wirken zu lassen, wurden mehrere Tonnen ausgewählte Papiere, Zeitungen und Abfall von den Schreibtischen in unserer Redaktion nach Kalifornien verfrachtet. Wir zeigten uns auch kooperativ, indem wir den Filmleuten gestatteten, den Eingang unseres Zeitungshauses, den Aufzug und bestimmte Produktionsanlagen zu filmen, ebenso eine Szene auf dem Parkplatz. Irgendwann teilte mir Redford mit, sie hätten sich entschlossen, die eine Szene im Film, in der ich dargestellt werden sollte, ganz zu streichen. Niemand verstehe genau, was eine Verlegerin eigentlich so treibe, und das eigens zu erläutern sei für die Bedeutung der Rolle im Film zu aufwendig. Redford meinte, ich müsse darüber doch erleichtert sein, und das war ich auch, aber zu meiner eigenen Überraschung fühlte ich mich jetzt trotzdem ein wenig übergangen. Einzig Mitchells berühmte Anspielung auf meine Anatomie sollte nun im Film vorkommen? Das nächste, was ich von Redford hörte, war die telefonische Ankündigung, er wolle uns eine Vorabkopie des Films zur Ansicht schicken; wir könnten selbst in diesem Stadium noch Änderungen verlangen, was mir aber eher wie eine Farce erschien. Trotzdem gingen natürlich im März 1976 mehrere von uns zur Vorführung im Gebäude der Motion Picture Association. Weil wir alle so nervös waren, saßen wir in kleinen Gruppen über den ganzen Raum verteilt. Nach dem Film herrschte Totenstille. Schließlich stand Redford auf und sagte: »Mein Gott, nun sag doch endlich mal jemand was. Sie müssen doch irgendwie darauf reagieren.« Es kam aber nur eine Menge nervöses Geschwätz. Dabei gefiel mir der Film wirklich gut. Auf dem Weg über Woodward schrieb ich Redford später in einem Brief:

Mir ist plötzlich bewußt geworden, daß der Eindruck des Films, als wir ihn gemeinsam mit Ihnen gesehen haben, so groß war und wir alle so angespannt waren, daß ich Ihnen niemals gesagt habe, was ich davon halte. Es ist in jeder Hinsicht ein außerordentlicher Film. Sie haben wirklich erreicht, was Sie sich - wie Sie mir damals sagten vorgenommen haben und was ich für unmöglich hielt. Aber Sie haben es wirklich geschafft. Mit diesem Film beweisen Sie etwas, das eigentlich vernünftigen Erwartungen widerspricht. Meine Argumente lauteten, daß man diese Story nicht geradeheraus erzählen könne, weil man die Leute sonst langweilen würde. Nähme man aber zu Übertreibungen Zuflucht, dann müßte die Zeitung Schaden nehmen. Meine anderen Sorgen um die Zeitung und uns alle waren zweifellos übertrieben, aber sie entbehrten nicht jeglicher Grundlage. Diese besorgte Haltung tut mir jetzt vor allem deshalb leid, weil sie wahrscheinlich, so fürchte ich, unkomplizierten, direkten Beziehungen zwischen uns im Wege stand, wie ich sie normalerweise kenne und schätze. Deshalb liegt mir sehr daran, daß Sie erfahren, daß ich für das, was Ihnen mit »All the President's Men« gelungen ist, tiefe Bewunderung empfinde. Der Film stellt Carl und Bob - ist das nicht gespenstisch? - fast genauso dar, wie ich sie sehe. Sie sind hartnäckig, fähig, vielschichtig, intelligent und viel erfahrener, als es ihrem Lebensalter entspricht, und sie sind witzig und nette Kerle. Nebenbei gesagt, haben sie auch dem Ruhm bisher auf vernünftige und anständige Weise widerstanden. Der Film erzählt den Leuten wirklich, wie es bei einer Zeitung zugeht und das ist das Entscheidende, das ich Ihnen nicht zugetraut hatte. ... Wir sind dankbar für Ihre Vision, für die ganze unglaublich harte Arbeit, die Sie investiert haben, für die finanziellen Aufwendungen. Für Ihre Leidenschaft für Ihren Beruf und die verschwenderische Detailversessenheit - alles Dinge, um die wir uns auch selbst bemühen und insbesondere für all die Liebe und Sorgfalt. Dadurch wurde der Film zu einem Werk, auf das wir immer stolz sein werden.

Ironie über Ironie, die Weltpremiere des Films fand im Eisenhower Theater im Kennedy Center in Washington statt, direkt neben dem Watergate-Gebäudekomplex. Präsident Ford schickte mir mit freundlichen Grüßen Karten für die Präsidentenloge - und sogar den Schlüssel zum Kühlschrank in dieser Loge, in dem Champagner für mich und meine Gäste bereitstand. Auf uns bei der Post wirkte der Film elektrisierend, aber ein wenig war es auch, als hätten wir vom Apfel der Zwietracht gegessen. Vielleicht war es auch nicht nur der Film, sondern der Ausgang des Watergate-Skandals selbst. Manchmal beschenken uns die Götter im Übermaß und fordern dann ihren Preis. Ich glaube, daß die Zwietracht, von der ich spreche, aus der Darstellung verschiedener Personen im Film herrührte, die dann Rückwirkungen auf die realen Alltagsbeziehungen dieser Leute hatte. Im Film wird alles Ben gutgeschrieben, hauptsächlich weil die Story dadurch einfacher und übersichtlicher wurde und weil Ben von Jason Robards gespielt wurde - aber das war natürlich nicht Bens Schuld. Howard Simons wurde durch den Film ziemlich verbittert. Er kam dort schlecht weg - wiederum aus Gründen der Klarheit und Vereinfachung. Vieles, was er während des Watergate-Skandals geleistet hatte, wurde im Film auf Ben und Harry Rosenfeld aufgeteilt. Barry Sussman wurde sogar völlig ausgelassen - was ihn sicher noch mehr traf als mich. Das gute Verhältnis zwischen Ben und mir wurde durch Watergate gestärkt, doch bei anderen lief es nicht so gut. Die Beziehung zwischen Howard und Ben etwa, die so tolerant und fruchtbar gewesen war, wurde nie mehr wie früher. Meg fand dafür später die besten Worte, als sie sagte: »Wir hatten viel Spaß zusammen. Zwischen uns herrschten Vertrauen und herzliche Freundschaft ... Doch das ging dann auf vielerlei komplizierte Weise in die Brüche ... Die Leute gingen sich gegenseitig auf die Nerven. Jeder sah dafür einen anderen Grund. Und jeder von uns behauptete, schuldlos daran zu sein.« Als Story war Watergate in mancherlei Hinsicht der Traum eines jeden Journalisten obwohl es in den ersten Monaten, als wir so isoliert waren, überhaupt nicht danach aussah. Aber die Geschichte wies alle Bestandteile eines großen Dramas auf: Spannung, bedrängte Personen auf beiden Seiten, Recht und Unrecht, Gesetz und Ordnung, Gut und Böse. Watergate - und damit sind all die vielen illegalen und unmoralischen Handlungen gemeint, die unter dieser Überschrift zusammengefaßt sind war ein politischer Skandal wie kein anderer. Schon allein sein Umfang und seine Reichweite wiesen ihm eine Größenordnung zu, die sich von der früherer Skandale vollkommen unterschied, teils wegen der beispiellosen Verwicklung so vieler Männer aus der engsten Umgebung des Präsidenten, teils wegen der riesigen Geldsummen, die gesammelt, versteckt und dann geheim und illegal ausgegeben worden waren.
Dies war in der Tat eine neue Erscheinungsform von Regierungskorruption. Noch heute halten manche Leute die Angelegenheit für ein Kavaliersdelikt, für etwas, das sich in irgendeiner Form auch viele andere Politiker hätten zuschulden kommen lassen. Ich hingegen glaube, daß Watergate den beispiellosen Versuch darstellte, den gesamten politischen Prozeß zu unterminieren. Es handelte sich um den umfassenden, wahllosen Einsatz von Macht und Autorität seitens einer Regierung, die sich durch einen Drang zu Geheimniskrämerei und Täuschung sowie durch eine verblüffende Rücksichtslosigkeit gegenüber den üblichen Einschränkungen demokratischer Politikausübung auszeichnete. In meinen Augen war das Ganze eine sehr reale Perversion des demokratischen Systems. Sie reichte vom Rausschmiß guter Republikaner, die lediglich geringfügig anderer Meinung waren als Nixon, über Abhöranlagen bis hin zum Einbruch in die Praxis von Daniel Ellsbergs Psychiater und zu den Tausenden schmutziger Tricks und den Versuchen, die Medien zu diskreditieren und mundtot zu machen. Wie ich damals in einer Rede sagte: »Es war eine Verschwörung, aber nicht aus Raffgier, sondern aus Arroganz und Angst, begangen von Männern, die sich dazu verstiegen, ihr eigenes politisches Wohlergehen mit dem Überleben und der Sicherheit der Nation gleichzusetzen.«
Die Rolle der Post bestand einfach darin, Nachrichten von diesem Geschehen zu überbringen. Wir machten uns daran, eine Story zu verfolgen, die sich vor unseren Augen so entfaltete, daß wir genauso ungläubig staunten wie der Rest der Nation. Die Post war niemals darauf aus, Nixon »fertigzumachen« oder, wie der Vorwurf oft lautete, »den Präsidenten zu Fall zu bringen«. Es erschien mir immer hanebüchen, der Post vorzuwerfen, sie verfolge die Watergate-Story nur, weil sie zugunsten der Demokraten parteiisch sei. Ein höchst ungewöhnlicher Einbruch im nationalen Hauptquartier einer großen Partei ist unter allen Umständen ein wichtiger Vorgang. Wir hätten ihn genauso gebracht und behandelt, wären die politischen Vorzeichen umgekehrt gewesen. Ich wurde oft gefragt, warum wir über Ted Kennedys Debakel in Chappaquiddick[1] nicht genauso ausführlich berichtet hätten wie über Watergate. Aber genau das hatten wir ja getan, und wahrscheinlich waren die Kennedys damals über uns genauso wütend wie später die Nixon-Regierung. Während des gesamten Watergate-Skandals war ich über die regelmäßig wiederkehrenden Anschuldigungen erstaunt, irgendwie hätten wir diese Agonie bewirkt, und zwar dadurch, daß wir bestimmte Storys rücksichtslos weiterverfolgt hätten. Nur deshalb sei das ganze Durcheinander entstanden, dem der Präsident letztlich zum Opfer fiel. Wie konnte man nur allen Ernstes so argumentieren, zumal sich unsere Berichterstattung doch als wahrheitsgetreu erwies? Letztlich war Nixon selbst sein ärgster Feind. Bei der Post gab es - anders als beim Präsidenten - keine Liste politischer Feinde. Aber Nixon sah in der Post anscheinend ein hoffnungslos liberales und unnachgiebig gegen die Regierung eingestelltes Blatt. Dabei unterstützte die Post in Wirklichkeit sehr viele politische Maßnahmen und Programme dieser Regierung. Es waren Nixons Verfolgungswahn, sein Haß auf die Presse und sein Intrigantentum, die zu seinem Fall beitrugen - einem Sturz, der verfassungsgemäß unter Beteiligung von Geschworenen, Gerichten und Kongreß herbeigeführt wurde. Woodward und Bernstein spielten eine entscheidende Rolle dabei, daß die Wahrheit schließlich ans Licht kam, doch andere Beteiligte waren mindestens ebenso wichtig: Richter Sirica, Senator Sam Ervin mit seinem Senatsuntersuchungsausschuß, die Sonderermittler Cox und Jaworski, das House Judiciary Committee unter dem Abgeordneten Peter Rodino. Die Washington Post gehörte zweifellos zu den wichtigen Akteuren der Watergate-Story - doch, wie gesagt, nur als ein Akteur unter anderen. Meine eigene Rolle während der Watergate-Affäre zu definieren ist leicht und doch schwer. Watergate war zweifellos die wichtigste Episode in meinem gesamten Berufsleben, doch meine Beteiligung war nur selten direkter Art; meistens blieb ich eine Randfigur hinter den Kulissen. Ich spielte gewissermaßen die Advokatin des Teufels, indem ich ständig nachfragte, ob unsere Berichterstattung auch fair, faktenorientiert und sorgfältig sei. Mit Ben Bradlee und Howard Simons war ich ständig im Gespräch, ebenso mit unseren beiden wichtigsten Kommentatoren, Phil Geyelin und Meg Greenfield, wodurch ich generell auf dem laufenden war. Ich nahm oft - wie auch schon vor Watergate - an den morgendlichen Redaktionssitzungen teil, bei denen die Themen regelmäßig diskutiert und die redaktionelle Linie festgelegt wurden. Meine Rolle beschränkte sich in erster Linie darauf, den Redakteuren und Reportern, an die ich glaubte, den Rücken zu stärken. Im Lauf der Zeit tat ich dies auch immer mehr in der Öffentlichkeit, indem ich uns in Vorträgen und in Wortmeldungen auf Tagungen im ganzen Land - und sogar international - verteidigte. Mein Verantwortungsbereich reichte über die Zeitung hinaus und erstreckte sich auf die gesamte Washington Post Company und unsere Aktionäre. Man hat mir oft Mut bescheinigt, weil ich mich in der Watergate-Affäre schützend vor meine Redakteure gestellt hätte. In Wahrheit hatte ich jedoch das Gefühl, daß mir kaum eine andere Wahl blieb. Von Mut kann man nur sprechen, wenn man auch die Wahl hatte, feige zu sein. Im Fall Watergate gab es jedoch niemals den einen, alles entscheidenden Moment, in dem ich oder irgend jemand sonst den Vorschlag hätte machen können, die Berichterstattung über diese Geschichte einzustellen. Der Watergate-Skandal entfaltete sich schrittweise. Und als sich die Story so weit entwickelt hatte, daß wir uns ihrer wahren Dimension allmählich bewußt wurden, standen wir bereits mitten im Strom, und es gab kein Zurück mehr.
Es waren unglaubliche zwei Jahre, in denen wir ständig unter Druck standen - unter einem Druck, der nur wenig nachließ, selbst als uns andere Publikationen zur Seite traten und separate Untersuchungen und Gerichtsverhandlungen zum Watergate-Skandal unsere Berichterstattung bestätigten und weitere Facetten hinzufügten. Als vollkommen klar war, daß die Existenz unserer Firma auf dem Spiel stand, wurden wir natürlich heftig bekämpft. Watergate drohte, die Zeitung zu ruinieren. Die Post und die Washington Post Company überlebten nicht zuletzt deshalb, weil unsere Reporter, Redakteure und Manager während der gesamten Krise große Sorgfalt und Beharrlichkeit an den Tag legten. Teilweise hatten wir aber auch Glück. In der Tat, das Glück spielte im Watergate-Fall eine entscheidende Rolle - und es stand auf unserer Seite. Man muß es erkennen und zu nutzen wissen, aber ohne Glück hätte die Sache für uns auch ganz anders ausgehen können. Vom ersten Augenblick an, als ein Wachmann die zugeklebte Tür im Watergate-Gebäude fand, über den Umstand, daß die Polizei einen Zivilfahnder, der gerade im verbeulten Auto in der Gegend Streife fuhr, zum Tatort schickte und nicht einen auffälligen Streifenwagen, der die Einbrecher wahrscheinlich gewarnt hätte, bis hin zu unseren Informanten, die aussagewillig und hilfsbereit waren, teilweise sogar eifrig mitarbeiteten, hatten wir einfach Glück. Ein glücklicher Umstand war ferner, daß der Einbruch, der den Stein ins Rollen brachte, in Washington stattfand und somit zunächst eine Lokalstory war. Wir hatten Glück, daß die Verdächtigen, als gegen sie eine Untersuchung lief, ihre Situation durch weitere Fehler und Fehleinschätzungen noch verschlimmerten. Und wir hatten Glück, daß uns die Mittel zu Gebote standen, die Geschichte zu verfolgen. Glück war ferner, daß Woodward und Bernstein beide noch jung und ledig waren und sich monatelang pausenlos sechzehn- oder achtzehnstündige Arbeitstage zumuten konnten. (Zumindest hatten sie weniger unter privaten Folgeproblemen zu leiden, die bei verheirateten Männern mit Familien unausweichlich gewesen wären.) Und wir hatten das Glück, daß Nixon überspannt genug war, im Weißen Haus ein Tonbandmitschnittsystem zu installieren. Ohne diese Tonbänder hätte er seine Amtszeit sicher zu Ende führen können. Schließlich hatten wir auch noch das Glück, daß unter dem überwältigenden Druck niemand von uns bei seiner Gratwanderung abstürzte. Im Sommer 1973 stand Ben - aufgrund seiner Verantwortung für all die Menschen unter sich und des Zwanges, keinen Fehler machen zu dürfen und immer sorgfältig sein zu müssen - unter derart unmenschlicher Belastung, daß sein Augenlid herabzuhängen begann. Der Arzt sagte ihm, das könne ein sehr ernstes Symptom sein und etwa auf einen Gehirntumor oder ein Aneurysma hinweisen. Nach zehntägiger gespannter, quälender Wartefrist stellte sich jedoch heraus, daß es sich »nur« um ein nervöses Leiden handelte. Je ruhiger die Menschen unter extremem Druck wirken und handeln, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, daß sie dafür mit irgendwelchen körperlichen Symptomen büßen müssen.
Watergate war in der Geschichte der Washington Post ein einschneidendes Ereignis, das die Zeitung, viele von uns Beteiligten und den Journalismus insgesamt veränderte. Jedes Ereignis von der Größenordnung Watergates verändert einen - zum Positiven wie zum Negativen. Für uns bei der Post stellte Watergate eine gewaltige Bewährungsprobe dar: für unsere Talent, unser Können, unser Organisationsvermögen und unsere Fähigkeit, alle Kräfte zu mobilisieren, um ein großes, langfristiges Projekt zu bewältigen, ohne darüber die alltägliche Berichterstattung zu vernachlässigen. Letztlich zeigte Watergate, was Reporter leisten können, die unbeirrt und peinlich genau ihrer beschwerlichen Arbeit nachgehen, Fakten aufzuklären; was Redakteure leisten können, die unter solchen Umständen skeptisch, fordernd und so leidenschaftslos wie möglich bleiben; und was Leitartikler zu leisten vermögen, die in ihren Kommentaren dazu beitragen, die entscheidenden Fragen im Bewußtsein ihrer Leser wachzuhalten. Doch wenn man von Nachwirkungen spricht, war die wichtigste wohl, daß Watergate die Washington Post national wie international berühmt und prominent machte. Dieses weltweit veränderte Image der Post war einerseits natürlich schmeichelhaft, andererseits lenkte es aber auch ab. Man vergaß darüber nur allzuleicht die anderen, weniger interessanten Dinge des Alltags, die ebenfalls zu erledigen waren. Auch über mich wurde mehr und mehr geredet und geschrieben. Besonders machte mir zu schaffen, daß man mich ständig »mächtig« oder »stark« nannte. Eine Überschrift nach der anderen bezeichnete mich als »Die mächtigste Frau Amerikas« oder »Die stärkste Frau Amerikas« - fast so, als sei ich eine Art Gewichtheberin oder Bodybuilderin. Tatsächlich war ich über diese Wahrnehmung und diesen Begriff von Macht sehr verwundert. Ich fand es absurd, mich als »mächtiger« herauszuheben als etwa Arthur (»Punch«) Sulzberger, den Verleger der New York Times, oder Bill Paley, den CBS-Chef, die doch über weit mächtigere Medienunternehmen herrschten als ich - freilich als Männer. Ferner machte ich mir Sorgen - und das galt für die Zeitung genauso wie für uns alle, auch mich selbst - daß, wer zu hoch hinaus gelangt, auch leichter zur Zielscheibe wird. Irgendwer oder irgendwas bringt einen dann zu Fall. Eingedenk dieser Befürchtungen gab ich nach Möglichkeit nur Interviews, die ich für beruflich nützlich oder erforderlich hielt. Persönlichen Interviews ging ich aus dem Wege.
Daß die Arbeit der Reporter und Redakteure der Post kritischen Untersuchungen standhalten würde, davon war ich fest überzeugt. Zu Truman Capote habe ich einmal gesagt, es sehe wohl so aus, als ob »entweder ich im Gefängnis lande oder sie (die Watergate-Sünder)«. Andererseits muß ich jedoch zugeben, daß ich auch Angst hatte. Ich hatte Angst vor der Macht eines Mannes und seiner Günstlinge, eines Präsidenten, der glaubte, er habe die Macht, sich zum alleinigen Maßstab der nationalen Sicherheit zu erheben. Ich hatte Angst vor der Zukunft der Washington Post Company. Besonders als ich nach Fritz' Tod auch noch Vorstandsvorsitzende der Gesamtfirma geworden war, lastete die Verantwortung schwer auf mir. Watergate veränderte aber auch die Art und Weise, wie der Journalismus und die Journalisten gesehen wurden, ja sogar deren Arbeitsweise. Während der Watergate-Affäre hatten wir - wenigstens bei der Post - bestimmte Gewohnheiten entwickelt, die nur schwer wieder aufzubrechen waren. John Anderson, ein Leitartikler, sprach diese Arbeitsweise in einigen treffenden Bemerkungen an, die er später in einem Watergate-Rückblick auf der Kommentarseite der Post veröffentlichte:

Wir hatten uns an ein hohes Maß von Spannung und Dramatik gewöhnt. Die morgendlichen Redaktionskonferenzen, bei denen wir stundenlang die Ereignisse eines jeden Tages rauf und runter diskutierten, waren zur Sucht geworden. Schnell belegten diese Sitzungen inmitten all der Papiere und Zeitungen in Phils (Geyelinj Büro den ganzen Morgen mit Beschlag. Der Watergate-Triumph der Post ist allen bekannt, aber wir hatten dafür einen hohen Preis zu zahlen, den nur wenige kennen. Als mit Nixons Rücktritt schließlich alles zu Ende war, war das Leben für uns plötzlich wesentlich uninteressanter geworden. Noch lange danach war unsere Nachrichtenauswahl etwas exzentrisch und unsystematisch, weil die Hälfte der Mitarbeiter, besonders die jungen Stadtreporter, sich auf die Jagd nach Miniskandalen spezialisiert hatte. Es dauerte Jahre, bis wir wieder soweit waren, daß auch über Schulangelegenheiten und Bezirkstagssitzungen ordnungsgemäß berichtet wurde.

Die jungen Leute strömten in den Journalistenberuf, einige aus guten Gründen, andere, weil sie Woodwards und Bernsteins werden wollten. Natürlich bot Watergate gutes Anschauungsmaterial dafür, daß die nationalen Medien Ereignisse durchaus mitgestalten können; und sicher waren es Presseberichte, die zu den Zweifeln von Richter Sirica beitrugen, er habe in seiner Gerichtsverhandlung noch nicht die ganze Wahrheit gehört, aber auch zu den Nachfragen im Kongreß und zur Besorgnis der Öffentlichkeit. Indes, wir Presseleute bemühen uns nicht vorsätzlich um solch nachhaltige Wirkungen. Niemand, am allerwenigsten die Presse selbst, glaubt, daß wir Journalisten frei von Irrtümern und Fehlern oder völlig ohne Vorurteile sind. Ich habe noch nie geglaubt, daß wir von der Presse unfehlbar sind. Aber wir versuchen wenigstens, unsere Meinungen auf die Kommentarseite zu beschränken und uns bei der Berichterstattung größtmöglicher Objektivität zu befleißigen. Die natürliche Gegnerschaft zwischen der Presse und dem Präsidenten erhielt durch Watergate eine neue Dimension. Auch das hatte natürlich Auswirkungen auf den Journalismus. Mir machten bestimmte Tendenzen zu beständigem, übermäßigem Engagement ein wenig Sorge. Das hätte, wenn es nach mir gegangen wäre, möglichst schnell wieder aufhören sollen. Nach Watergate mußte die Presse auf der Hut sein vor den Gefahren romantischer Selbststilisierung zur heroischen, von allen Seiten belagerten Vorkämpferin, zur Beschützerin der Tugenden gegen die Übermacht der bösen Welt. Watergate war eine Verirrung gewesen, und ich hatte das Gefühl, wir dürften jetzt nicht überall nach Verschwörungen und Vertuschungsversuchen fahnden. Andererseits bin ich aber auch nicht der Ansicht, wir hätten Watergate zuviel Aufmerksamkeit gewidmet, was manche Nixon-Anhänger bis zuletzt behaupteten. So umwälzend Watergate für das Land und die Regierung auch war, der Skandal unterstrich die Schlüsselrolle einer freien, fähigen und energisch vorgehenden Presse. Wir bekamen zu spüren, welche Macht die Regierung hat, nur das bekannt werden zu lassen, was sie selbst will und wann sie es will. Das Volk erfährt dann nur noch die autorisierte Version der Ereignisse. Aufs neue lernten wir aber auch, wie wichtig das Recht einer Zeitung ist, ihre Quellen vertraulich behandeln und ihre Informanten schützen zu dürfen. Die Glaubwürdigkeit der Presse bestand den Test der Zeit im Kampf gegen den Glaubwürdigkeitsanspruch all jener, die soviel Zeit darauf verwandten, ihre eigenen Missetaten selbstgerecht zu leugnen und uns anzugreifen, indem sie unsere Leistungen und Motive gnadenlos diffamierten. 1970, noch vor den Affären um die Pentagon-Papiere und Watergate, sagte ich in einer Rede: »Die billigen Lösungen, zu denen die Regierung Zuflucht nimmt, werden sich langfristig als sehr kostspielig erweisen.« Wie wahr diese Worte doch waren!